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"Wir haben keine Heimat mehr..."

Felix Mendelssohn Bartholdy:
Der schönste Zwischenfall der
deutschen Musik ?

Leben und Werk im Zwielichte des Antisemitismus -
eine ConcertCollage

Programmfolge ConcertCollage
„Wir haben keine Heimat mehr…“

Programm
Fanny Hensel,
geb. Mendelssohn

"Das war unsere letzte Musik in Rom"

Besetzung

Buchprojekt:
"Wir haben keine Heimat mehr..."
Felix Mendelssohn Bartholdy oder eine Geschíchte kulturellen Antisemitismus
im Deutschland des 19. und 20. Jahrhunderts

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Konzertprojekt

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Cécile Mendelssohn

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Presseartikel aus 'Neues Deutschland' 2013

Wagners Schuld: das Mendelssohn-Verbrechen

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Deutschland gedenkt zu recht stetig an den Antisemitismus, die Judenverfolgung und den Holocaust. Dabei bleibt
eine markante Causa des Antisemitismus aber stets unberücksichtigt: die geplante und durchgeführte
Vernichtung des Musikerbes von Felix Mendelssohn Bartholdy und Giacomo Meyerbeer. Keine dezidierten
Gedenkfeiern finden statt, um an das wahrhaftig verlorene Erbe der beiden jüdischstämmigen Komponisten zu
erinnern. Keine Reden werden gehalten, um das Verlorene nachhaltig wiederzugewinnen. Das wenige, das dazu
geschrieben wird, bleibt unreflektiert.

Wie konnte es nun zu diesem Verbrechen seinerzeit im Einzelnen kommen?

Anfangs des neunzehnten Jahrhunderts genossen die in Preussen lebenden jüdischen Familien durch das
Hardenbergsche Reformgesetz die beginnende bürgerliche Gleichstellung. Ungeachtet fortwährender
publizistischer Anschläge gegen diese Gleichstellung, begannen jüdische Familien wie die Mendelssohns
umfassend am aufgeklärten urbanen Gemeinschaftsleben teilzunehmen, sich bildungsbürgerlich zu
emanzipieren.

Eine Frucht dieses Erblühens von jüdisch-deutscher Bürgerbildung war das Leben und Wirken eines schon von
frühester Kindheit an als genialisch hervortretenden Musikers namens Felix Mendelssohn Bartholdy. Dieser
wirkte später nicht nur als hervorragender genialer Komponist, sondern auch gerade durch seine Leipziger Zeit
als stilbildender Musikorganisator und generationsprägender Musikpädagoge des allgemeinen deutschen
Musiklebens.

Diese hervorragende extraordinäre Stellung Mendelssohns verblieb nicht ohne Neider und publizistische
Brandwerfer. Bereits zu Lebzeiten sah sich der Komponist offenen oder verdeckten Anfeindungen antisemitischer
Prägung ausgesetzt, wurde er als „Judenjunge“ und sein Wirken am Gewandhaus zu Leipzig als „Mosaisch“
verunglimpft. Diese Angriffe nahmen, auch initiiert durch einen wachsenden, umsichgreifenden Burschenschafts-
Antisemitismus in der Revolutionszeit von 1848/49, nach dem Tode des Komponisten noch an Schärfe hinzu.

Im Frühjahr des Jahres 1850 erschienen zum Auftakt der „Causa Mendelssohn“ in mehreren Publikationen
zeitgleich musikalische Rezensionen, welche das Werk Mendelssohns und Meyerbeers erstmals mit
unverhüllten antisemitischen Invektivismen herabsetzten. Die Publizisten Dr. Eduard Krüger von der "Neuen
Berliner Musikzeitung" (im Januar 1850), Theodor Uhlig in der „Neuen Zeitung für Musik“ in Leipzig“ (ab Februar
1850) und Hans von Bülow in der „Berliner Abendpost“ (gleichsam im Februar 1850) holten zeitgleich zum ersten
Schlag aus, welcher das Erbe und Schaffen Mendelssohns und Meyerbeers ins Wanken bringen sollte.

Den nächsten Schlag gegen Mendelssohn führte im September des Jahres 1850 ein junger Komponist aus der
Schweizer Verbannung heraus aus, der unter einem Pseudonym namens „Karl Freigedank“ in der „Neuen
Zeitung für Musik“ in Leipzig eine kulturgeschichtliche Betrachtung veröffentlichte, welche das scheinbar massiv
vorhandene „Judenthum in der Musik“ anprangerte.

Diese zersetzende Schrift spricht den Juden pauschal jegliches Gespür für die deutsche Musik und die deutsche
Kultur ab, da die Juden als „Volksfremde“ das „deutsche Wesen“ nicht erfahren und erspüren könnten.

Betreffs der Person Mendelssohn Bartholdys heißt es in dem Artikel im Detail:

Alles, was sich bei der Erforschung unserer Antipathie gegen jüdisches Wesen der Betrachtung darbot, (...) alle
Unfähigkeit desselben, außerhalb unsres Bodens stehend, dennoch auf diesem Boden mit uns verkehren (...) zu
wollen, steigern sich zu einem völlig tragischen Konflikt in der Natur, dem Leben und Kunstwirken des frühe
verschiedenen Felix Mendelssohn-Bartholdy.
Dieser hat uns gezeigt, dass ein Jude von reichster spezifischer Talentfülle sein, die feinste mannigfachste
Bildung, das gesteigertste (...) Ehrgefühl besitzen kann, ohne es (...) je ermöglichen zu können, auch nur ein
einziges Mal die tiefe, Herz und Seele ergreifende Wirkung auf uns hervorzubringen, welche wir (...) der Kunst
(...) fähig wissen, weil wir diese Wirkung zahllos oft empfunden haben, sobald ein Heros unserer Kunst
sozusagen nur den Mund auftat”.

„Freigedank“ führte die judenfeindliche Debatte dabei von einem allgemein gepflegten ethisch-kulturellen
Antisemitismus über zu einem Protorassimus, der die Juden erstmals rassenbiologisch einschätzte. Der Publizist
Johann Gottfried Lobe streicht das unter folgendem Aspekt heraus: „Dass die christliche Taufe dem Juden nichts
hilft, zeigt Freigedank ja dadurch, dass er Mendelssohn stets als einen Juden behandelt, der doch als Christ
geboren, getauft, erzogen und begraben worden ist.“

Des Weiteren legte „Freigedank“ eine folgenschwere Systematik negativer Schlagworte vor. Diese schlugen sich
vor allem in Begriffen wie perfektionistischer Glätte, Kälte seelenloser Formenhaftigkeit der vermeintlich in Kopie
von Stil und Kompositions-Mustern nationaler Vorbilder entstandenen Werke, in Vorwürfen mangelnder
emotionaler Tiefe aber auch jener behaupteten „übermäßig trivialer Sentimentalität“ Mendelssohn´scher Musik
nieder.

Was beabsichtigten die Initiatoren einer lancierten öffentlichen Semitismus-Debatte im Musikbereich?
Es war ihnen um eine Verschiebung der realen Machtverhältnisse im zeitgenössischen Musikbetrieb zu tun.
Musikalische Avantgardisten suchten quasi auf gewaltsamem Wege, mit publizistischen Mitteln, Einfluss
innerhalb der musikalischen Hemisphäre zu erlangen. Was die avantgardistisch-musikalische Wortmeldung allein
nicht bewirkte, sollte schleichende Erschütterung des Fundamentes bewirken, auf welchem das Ansehen der
Erfolgsmusiker Felix Mendelssohn Bartholdy und Giacomo Meyerbeer beruhte.

Der nächste, der entscheidende Schlag gegen Felix Mendelssohn Bartholdy erfolgte im Jahre 1869.

Dort gab sich der Komponist Richard Wagner öffentlich als Verfasser des in einer zweiten, überarbeiteten
Fassung publizierten "Judenthums in der Musik" zu erkennen. Die folgenschwere Zweitpublikation stand ganz am
Beginn einer aggressiven Antisemitismus-Welle, welche sich in den siebziger Jahren des neunzehnten
Jahrhunderts über Deutschland ergießen sollte; war Wagners eigener Einschätzung zufolge, möglicherweise gar
deren Auslöser. Wagner war nun nicht mehr der ziellose Emigrant, sondern war, vom Bayernkönig Ludwig II.
gefördert in München und Bayreuth zu einem Operngiganten gereift, der europäisch rezipiert, mächtig,
theoretisch einflussreich wurde. Neben der der Schöpfung der Opernwerke legte Wagner antisemitische Schriften
vor, welche eine Heilslehre einer Befreiung Deutschlands von den Juden durch deren Eliminierung, also eine
„Erlösung durch Vernichtung“ und die Realisierung eines von den Juden befreiten Christentums, die Verkündung
eines „arischen Christus“ propagierte.

Die Saat, trefflichst gepflegt und gefördert auch durch das Wirken des Bayreuther Rassefanatikers Houston
Stewart Chamberlain und die chauvinistisch-antisemitischen Schmähungen der Bayreuther Blätter des Wagner-
Adepten Hans von Wolzogen, sollte in ungeahnter, ungeheurer Monumentalität Früchte tragen und somit alles
vernichten, was vom Mendelssohnschen Erbe noch bis dato übrig blieb. Adolf Hitler und sein Clan mediokrer
Vasallen bewährten sich als Wagners Vollstrecker und führten das betörte, willfährige deutsche Volk bis zur
Vernichtung.

Wagner forderte einstmals in den, in den Bayreuther Blättern veröffentlichten Regenerationsschriften, in Schriften
wie „Heldentum und Christentum“ oder „Erkenne dich selbst“ von 1881/82, der Lehre vom reinen, vom
Semitismus vollständig gereinigten deutschen Blute und der Ankunft des „arischen Christus“, welche von der
Musik der Oper Parsifal als perfidem, sinnenbetörenden Soundtrack sekundiert wurde, den Vollzug einer
„grossen Lösung“ des „Judenproblems“. Diese sei allein dem deutschen Volke als möglich zur Vollendung
zuerkannt; die Juden sollten brennen, wie Wagner es, den Tagebuchaufzeichnungen Cosima Wagners zufolge,
forderte. Die Adepten im Nationalsozialismus hatten Wagner verstanden, die Initiierung des Vollzugs der
Grossform von Wagners Willen überstieg an Grausamkeit und Leides alles den Menschen bis dahin Vorstellbare.

Das Werk Mendelssohns wurde daher vollständig von den Spielplänen eliminiert, Wagner hatte gesiegt und
Mendelssohn vollständig zum Verstummen gebracht; das Mendelssohn-Verbrechen hatte sich somit vollzogen.

Die Jahrzehnte, welche Hitlers Reich folgten, waren in der BRD von einem Klima konservativer Restauration
geprägt. Während jener die Reklamation und Revision des Mendelssohn-Verbrechens sich nur als hinderlich für
das schöne neue Wohlstandsfortkommen des Wirtschaftswundervolkes erwiesen hätte.

Die ehemaligen Musikdemagogen des “III. Reiches"; in der Adenauer-Zeit demokratisch zwangsgewendet,
ließen sich, gemildert, unterschwellig negativ, weiterhin in der gewohnten einschlägigen Weise – getreu der
Wagner´schen Sprachregelung von Mendelssohn´scher Glätte, Kälte und leeren Formenhaftigkeit – über
Mendelssohns wehrlose Musik aus.

Die Schäden, die das Mendelssohn-Verbrechen, dem Ansehen des Musikers und der Rezeption seiner Werke
auf dem Konzertpodium zugefügt hatte, sind nahezu irreversibel. Der Musiker, der in der in der Würdigung seiner
Genialität bis ins Mark geschädigt wurde, hat nicht mehr seine vollständige Größe zurückerlangt. Mendelssohn
verbleibt dem deutschen Konzertleben als ein Meister; treffender gesagt: ein Kleinmeister der zweiten Reihe,
dessen Musik auf dem Konzertpodium im Schatten der Heroen Beethoven, Brahms und Bruckner steht.

Es wäre notwendig, dass sich Stimmen erheben, welche sich massiv und nachhaltig zum Anwalt der
Mendelssohn‘schen Sache machen und zur Aufklärung des von Richard Wagner und seinem trübem Gefolge an
jenem Komponisten verübten Verbrechens beitragen würden. Doch Deutschland bleibt stumm, unfähig und
unwillig, das eigene schlechte Tun, das eigene Versagen zu reflektieren, sich dem begangenen Verbrechen
auszusetzen, den grossen musikalischen Sohn in seiner ganzen Genialität zu rehabilitieren. Das trägt massiv
zum endgültigen Verlust wertvollsten kulturellen Erbes bei.

Wer aber nun meint, dass die Beklagung des Mendelssohn-Verbrechens; jene Kultur- und Musikvernichtung im
Angesicht der massiv erfolgten Ermordung von leibhaftigen Menschen zweitrangig sei, dem sei ins Stammbuch
eingeschrieben: Zuerst brennen die Bücher und verstummen die Noten, dann die Menschen und am Ende
„schreien die Steine“.


Copyright 2013 bei Die Cavallerotti – das KulturNetzWerk e. V./ Rainer Hauptmann