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"Wir haben keine Heimat mehr...."

 

 

Felix Mendelssohn Bartholdy oder eine

Geschichte kulturellen Antisemitismus im

Deutschland des 19. und 20. Jahrhunderts

 

 

Ein Essay von Rainer Hauptmann

Mit einem Vorwort von Herrn Dr. Gottfried Wagner

 

 


 

F�r Gundula, Sandra, Natalie, Uwe, Tina,

Daniel +, Georg, Petra, Paul

und mein liebes Mom,

 

 

Frau Anita Hauptmann, + 2008,

 

 


 

Felix Mendelssohn Bartholdy in der Jetzt-Zeit, die �causa Mendelssohn� � von der

Aktualit�t eines verdr�ngten Komponisten � Gedanken zu Rainer Hauptmanns Essay

Wir haben keine Heimat mehr �� Felix Mendelssohn Bartholdy oder eine Geschichte

kulturellen Antisemitismus in Deutschland des 19.und 20.Jahrhunderts

 

Der Verbleib von Person und Werk Felix Mendelssohns ist im Bewusstsein des heutigen

Publikums eher fragw�rdig, denn man war, wie der hier vorgelegte Essay von Rainer

Hauptmann im Einzelnen darlegt, nach Kr�ften bem�ht ihn und seine Musik zu

verdr�ngen und zu verf�lschen.

 

Die �Causa Mendelssohn � war die Vernichtung Mendelssohns, die Verdr�ngung und

Zerst�rung des gesamten Oeuvres und Lebens eines einstmals angesehenen

Komponisten. Sie war ein Verbrechen kultureller Art und reiht sich nahtlos in allgemeine

antisemitische Bestrebungen und Geschehnisse ein, welche sich in letzter Konsequenz

bis zur Vollf�hrung des Holocaust entwickeln sollten. Wer sind die Schuldigen an

diesem Verbrechen, wer waren die T�ter? Und wo sind die Zeugen?

 

Die Zeugen werden hier der Reihe nach zu Worte kommen, einer nach dem Anderen.

 

Der Name Richard Wagner wird im Verlaufe dieses fiktiven Verfahrens genannt. Viele

fragen sich: Richard Wagner hat doch wundervolle Opern geschrieben und ist doch

somit eine S�ule des heutigen Musiklebens. Was hat Richard Wagner mit

Antisemitismus und Felix Mendelssohn zu tun? Wie sich im Verlaufe des fiktiven

Gerichtsverfahrens herausstellen wird, verk�rpert die Person Richard Wagners eine

Hauptrolle im Bestreben, Mendelssohn zu vernichten, ja, er muss dabei als ein

Hauptt�ter gelten.

 

Richard Wagner ist schuldig an einer Stigmatisierung der Person und des Angedenkens

Felix Mendelssohns, seine Schriften stellten eine Art f�hrend wirksame Sprachregelung

im negativen antisemitischen Umgang mit Mendelssohn dar, welche in ihrer

Verunglimpfung, aber auch in ihrer Mechanik, in ihrem Automatismus bis in unsere Zeit

wirksam bleibt. Richard Wagner war ein antisemitischer Titan, dessen Schriften in

Deutschland und in Gesamteuropa und weltweit exzeptionell gelesen wurden. Sein

musikalisches Werk ist in prominenter Art und Weise von antisemitischen, inhumanen

Gedanken und Empfindungen durchzogen. Ungebrochen widmet man ihm bis in unsere

Zeit weihevolle Festspiele, welche von der aktuellen politischen, gesellschaftlichen und

kulturellen Elite zur Selbsterh�hung rauschhaft frequentiert werden.

 

Welches Anrecht hat man sein Werk auf deutschen und europ�ischen B�hnen

bedenkenlos bis heute aufzuf�hren, besonders an der Bayreuther Wagner Kultst�tte?

Die Bayreuther Festspielb�hne m�sste Auff�hrungen der Mendelssohnschen Oratorien

und jene der Opern des, gleichfalls von Wagner bis ins Mark gesch�digten j�dischen

Komponisten Giacomo Meyerbeer, erfahren, somit eine Konfrontation von T�ter und

Opfer auf gleicher Augenh�he stattfinden. Ohne eine klare Absage von der

antisemitischen Aura stellen die Auff�hrungen unkommentierter Opern Wagner eine

Beleidigung jener Opfer dar, welche vom Wagnerschen Antisemitismus unmittelbar oder

im weiteren Verlaufe gesch�digt wurde.

Das offene Publikum wird im Verlaufe des fiktiven Verfahrens auf die Sch�nheit der

Mendelssohnschen Musik aufmerksam und die Anh�rung ideeller Zeugen bewirken die

Erkenntnis, dass Wagner Unrecht hatte in seiner Behauptung, die Musik Mendelssohns

habe keinen Wert , denn sie beweist, sagt uns damals wie heute das Gegenteil.

 


 

Ohne Mendelssohn ist die Musikgeschichte des 19.Jahrhunderts undenkbar. Der

vorgelegte Text in Form eines fiktiven Prozesses gegen Verunglimpfung des

Komponisten ist ein mutiges Engagement f�r Mendelssohn und andere Verfolgte.

Hauptmann zeigt leidenschaftlich den aktuellen Wert, die Zeitlosigkeit der Gef�hle und

Bewegungen dieser Musik f�r uns heute auf.

 

Er gibt so seine ehrliche Erkenntnis �ber die einzigartige musikgeschichtliche

Bedeutung Mendelssohn weiter. Ich w�nsche seinem Essay daher viele sensible Leser

und Leserinnen.

 

Gottfried Wagner, Cerro Maggiore, den 27.Juni 2012

 


 

Inhalt

 

 

Vorrede (S. 1)

 

1. Es w�re wirklich einmal eppes Rores, wenn aus einem Judensohne einK�nstler w�rde (S. 3)

 

2. Hei�t Du Mendelssohn, so bist Du eo ipso ein Jude (S. 7)

 

Intermezzo I: La� ihm auch den irdischen Lohn werden! (S. 16)

 

3. Der gr��te lebende Komponist (S. 17)

 

4. Antisemitismus (S. 19)

 

5. Das Judenthum in der Musik (S. 20)

 

6. Ein antisemitischer Eklektizist (S. 27)

 

7. Eine exzeptionell exclusive Menschen-Race (S. 29)

 

8. Von der Neudeutschen Schule (S. 33)

 

9. Von der musikalischen Wahrheit (S. 36)

 

10. Der letzte Deutsche (S. 43

 

11. Gl�cklicher Mensch! Dich erwartet wohl nur ein kurzes Ephemerenleben... (S. 49)

 

Intermezzo II: "Felix, thust du nichts?!" (S. 50)

 

12. Von der E-Musik und der U-Musik (S. 51)

 

13. Der sch�nste Zwischenfall der Deutschen Musik (S. 55)

 

14. Geschmacksgef�hrliche Lieder und Duette (S. 57)

 

15. Denkm�ler (S. 57)

 

16. Es singt ein Lied von Felix Mendelmaier... (S. 61)

 

17. Keine Kosten und M�hen wurden gescheut... (S. 61)

 

18. Eine Lanze f�r Felix Mendelssohn (S. 66)

 

19. Eine weiche, zur Sentimentalit�t neigende Natur (S. 67)

 

Intermezzo III: und dirigierte Wagners "Tannh�user"-Ouvert�re" im Gewandhaus (S. 69)

 

20. Nur in einem Abstand zu nennen (S. 71)

 

21. Wir k�nnen auf Objektivit�t nicht Verzicht leisten! (S. 73)

 

22. Eine grosse L�sung (S. 78)

 

23. Auch in der Musik hat der Jude nie Kulturwerte geschaffen (S. 88)

 

24. Alles, alles wurde dem Juden zugesprochen (S. 98)

 

Intermezzo IV: die "Hohe Schule" I: Kulturelle Neuordnung nicht nur f�rEuropa, sondern f�r die Welt (S. 102)

 

25. Das Lexikon der Juden in der Musik (S. 103)

 

26. und das Benehmen Mendelssohns, das er als Director angesehen werdenwolle (S. 105)

 

Intermezzo V: Juden bleiben Juden oder von den Ehetageb�chern des RobertSchumann (S. 106)

 

27. Denkmalspflege; nationalsozialistisch (S. 108)

 

28. Ein nordischer "Sommernachtstraum" (S. 113)

 

29. Von bajuwarischen "Sommernachtstr�umen" (S. 123)

 

Intermezzo VI: Die "Hohe Schule" II oder "Musik in Geschichte und Gegenwart" (S. 128)

 

30. Die zierlich-empfindsamen Lieder und Duette... (S. 134)

 

Intermezzo VII: Vom deutschen Hausbuche (S. 141)

 

31. Der Ausweg des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unm�ndigkeitoder vom Ende der "zeitlosen" Zeit (S. 142)

 

Intermezzo VIII: Es ist alles ganz eitel und ein Haschen nach Wind (S. 146)

 

32. Grenzen in der Bedeutung dieser Musik (S. 151)

 

33. Sein Platz nach Beethoven und Brahms ist ehrenvoll genug (S. 152)

 

34. Diese Musik wurde ermordet I (S. 153)

 

35. Das erreichbare H�chstma� an Gl�tte und Ausgeglichenheit... (S. 154)

 

36. Philosoph. Musici: vom Gewandhausdirecteur Moses Mendelssohn (S. 155)

 

37. Dass Mendelssohn Grenzen hat, sei unbestritten (S. 159)

 

38. Wie ist eine derartige Geringsch�tzung im Umgang mit einem dochbedeutenden Komponisten �berhaupt m�glich? (S. 160)

 

39./ 40. Diese Musik wurde ermordet II/ Die Mendelssohn-Falle (S. 163/165)

 


 

Vorrede

 

 

Als Felix Mendelssohn Bartholdy im November 1847 unerwartet starb, hielt das

�ffentliche Leben in den Musikst�dten Europas und der Neuen Welt ersch�ttert inne.

Der Tod eines grossen zeitgen�ssischen Meisters wurde als tragischer, unersetzlicher

Verlust empfunden. Nun ist das Lebensgef�hl der Menschen, welche vor mehr als 150

Jahren lebten, nicht per se auf die heutige Zeit zu �bertragen. Somit muss uns Musik,

welche die Empfindungen unserer Vorfahren aufs trefflichste reflektierte, nicht

zwangsl�ufig bewegen.

 

Andererseits erhebt sich die Frage: Auch Schubert, Beethoven, Mozart lebten vor 150 �

200 Jahren, und verliehen den Zeitl�uften in politischer, kultureller und emotionaler

Hinsicht musikalisch Ausdruck. Auch sie wurden von der �ffentlichkeit oder dem

unmittelbaren pers�nlichen Wirkungskreis als Herolde zeitnah humanen Empfindens

gew�rdigt. Das ist im Falle der letztgenannten auch so geblieben.

 

Im Falle Felix Mendelssohn Bartholdys hingegen muss pl�diert werden, muss im

Zweifelsfalle eine Verbindung der 40ziger Jahre des 19. Jahrhunderts zu unserer Zeit

und unserer Sichtweise nachtr�glich, quasi synthetisch wiederhergestellt werden. Allein,

die publizistische Darlegung der Gegenwartsrelevanz von Musik, der Musik Felix

Mendelssohns beispielsweise, ist wiederum ein schwieriges, m�glicherweise

vergebliches Gesch�ft. Das Pl�doyer sollte auf musikalischem Wege erfolgen.

 

Um aber zum Mindesten Nachweis zu f�hren, was einstmals unzweifelhaft bestanden,

allzu lange versch�ttet und nachhaltiger zur�ckzugewinnen w�re: die Einsch�tzung

Mendelssohns als bedeutenden Meisters der europ�ischen Musikgeschichte, m�gen

zu Beginn der Geisteswissenschaftler Hans Mayer und danach der Komponist Robert

Schumann zu Worte kommen:

 

�Mendelssohn hat in einem ganz ungew�hnlichen Sinne alle damals bekannten

Traditionen deutscher Musik verk�rpert und in sich zusammengefasst. Er hat sie durch

seine eigenen Sch�pfungen und Erkenntnisse erweitert und weitergereicht. (...) Man

kann die Behauptung wagen, da� durch Felix Mendelssohn, gerade in seinem Leipziger

Wirken, nicht nur die Strukturen unseres heutigen Musiklebens festgelegt wurden,

sondern da� es erst durch ihn (...) auch f�r uns heutige m�glich wurde, die Musik und

die musikalische Entwicklung als einen �berschaubaren historischen Prozess zu

interpretieren. Auch die Musikgeschichte ist nicht denkbar ohne Leipzig und Johann

Sebastian Bach, ohne Mendelssohn und Philipp Spitta". (Hans Mayer "Der Widerruf"

Frankfurt 1994)

 

Im Juni 1848 musste Franz Liszt im Salon des Hauses Schumann ein deutliches Wort

�ber sich ergehen lassen:

 

�Meyerbeer ist ein Wicht gegen Mendelssohn, letzterer ein K�nstler, der nicht nur in

Leipzig, sondern f�r die ganze Welt gewirkt hat. Herr, wer sind Sie, da� Sie �ber einen

Meister wie Mendelssohn so reden d�rfen!� (zitiert nach Walter Dahms, Robert

Schumann)

 

1

 

 


 

In einem Brief an den Weimarer Komponisten legt Schumann im darauf folgenden Jahre

beg�tigend nach:

 

�Und wahrlich, sie waren doch nicht so �bel, die in Leipzig beisammen waren �

Mendelssohn, Hiller, Bennett u. a. � mit den Parisern, Wienern, Berlinern, konnten wir

es ebenfalls auch aufnehmen.� (zitiert nach Walter Dahms, Robert Schumann)

 

Auch die letzten verbrieften Worte Robert Schumanns, aus Endenich an Clara gerichtet,

bevor er vollends in geistiger Umnachtung verharrte, galten dem toten Leipziger Meister:

 

"Die Zeichnung von Felix Mendelssohn hab ich beigelegt, dass Du sie doch ins Album

legtest. Ein unsch�tzbares Andenken! Leb wohl. Du Liebe! Dein Robert". (zitiert nach

Walter Dahms, Robert Schumann)

 

Sprachliche Pr�zision, Schlichtheit des Ausdrucks und feinsinniger Intellekt pr�gen die

Ausf�hrungen des Geisteswissenschaftlers; Engagement, ja Hingabe die Worte des

K�nstlers. Beide kommen jedoch zum gleichen Res�mee: Bekenntnis der origin�ren

Stellung Felix Mendelssohn Bartholdys innerhalb der Musik des 19. Jahrhunderts. Den

Musikfreunden unserer Zeit erscheint dieselbe ja sicher auch unzweifelhaft

festgeschrieben, in der eigentlichen musikalischen Wortmeldung aber ist sie abseits

weniger hochpopul�rer Zugst�cke des klassischen Repertoires bislang eher

schemenhaft wahrzunehmen.

 

Das literarische Engagement Schumanns, Mayers, Heinrich Eduard Jacobs, Georg

Kneplers, Karl-Heinz K�hlers, Eric Werners, Arnd Richters; das explizite Engagement

der Dirigenten Otto Klemperer, Kurt Masur, Peter G�lke u. a. galten auch der

R�ckbesinnung auf eine zentrale Epoche der b�rgerlichen Musikgeschichte: den Jahren

1835 � 47. In jenen Jahren wirkte Mendelssohn am Gewandhaus als Komponist und

Dirigent und reformierte die deutsche Musik nachhaltig.

 

Mendelssohn etablierte im Gewandhaus zu Leipzig die grosse Philharmonische

Gesellschaft, das eigenst�ndig zelebrierte symphonische Konzert, als wichtigste

Institution wachsenden b�rgerlichen Kulturbewusstseins. Dar�ber hinaus wirkte er

ma�geblich auf gesellschaftliche Akzeptanz des Orchestermusikers als Repr�sentanten

neuerstehenden philharmonischen Berufsstandes hin.

 

Er �ffnete das Gewandhaus, �sthetischer Vorbehalte eigenen musikalischen

Empfindens gegen�ber den Avantgardismen mancher Partitur ungeachtet, den

Komponisten Berlioz, Cherubini, Chopin, David, Gade, Hiller, Liszt, Moscheles, Rossini,

Schumann, Spohr, Wagner und sorgte somit durch Aufbau und Pflege zeitgen�ssischen

Repertoires f�r eingehendere Beachtung neuer Musik.

 

Das gewaltige Instrumental-und Sakralwerk des Komponisten und Thomaskantors

Johann Sebastian Bach galt Fachleuten im fr�hen 19. Jahrhundert als Studienobjekt

musikalischer Formvollendung, aber hoffnungslos antiquiert, "unmelodisch, berechnend,

trocken und unverst�ndlich im Publicum bekannt" (Ludwig Devrient, Meine

Erinnerungen an F. M. B. und seine Briefe an mich, Leipzig 1869); ja als unauff�hrbar.

 

2

 

 


 

Die Musik Bachs und anderer Meister der Barockzeit und Klassik wurde durch

Mendelssohns Initiative Aufsehen erregender Neueinstudierungen der

"Matth�uspassion" nach beinahe 100 Jahren des Vergessens und "Historischer

Konzerte" im Gewandhaus dem zeitgen�ssischen Musikleben nachdr�cklich ins

Bewusstsein gerufen.

 

Der zeitgen�ssische Musikbetrieb war vor Mendelssohns Wirken in Leipzig ja vorrangig

auf Pr�sentation von Neusch�pfungen interpretierender Komponisten ausgerichtet. Die

Wiederauff�hrungen der Bachschen "Matth�us-Passion" und die "Historischen

Konzerte" fungierten somit als Synonym historischen Gewissens, als Exempel

progressiven �bergangs zu "stetiger Produktion neuer und Reproduktion nicht mehr

"neuer" Musik" (fr. n. Mayer)

 

Felix Mendelssohn engagierte sich beharrlich f�r das Vorhaben, dem musikalischen

Nachwuchs �ber traditionelle Angebote von Singschulen und Ratsmusiken hinaus an

einer, den Instituten europ�ischer Musikzentren vergleichbaren Musikbildungsst�tte ein

umfassendes Studium zu erm�glichen. 1843 vermochte er es, unterst�tzt von

Musikverlegern, Gelehrten und Komponisten, in Leipzig das erste deutsche

Konservatorium im Hochschulrange ins Leben zu rufen. Pers�nlichkeiten der

Musikgeschichte -darunter die Komponisten Albeniz, Bruch, Delius, Eduard Grieg, Leos

Janacek, Svendsen und Miklos Rozsa -erwarben dort die Grundlagen sp�teren

Ruhms.

 

Diese Initiative der "Begr�ndung eines neuen (...) gemeinn�tzigen vaterl�ndischen

Institutes" (Testat Dr. Heinrich Bl�mners 1839) der Tonkunst lebt fort in der "Hochschule

f�r Musik und Theater Felix Mendelssohn Bartholdy" in Leipzig, welche weiterhin jungen

Menschen aller Nationalit�t zum Studium von Musik und darstellender Kunst in Theorie

und Praxis offen steht.

 

1. Es w�re wirklich einmal eppes Rores, wenn aus einem Judensohne ein K�nstlerw�rde

�Er ist zwar ein Judensohn, aber kein Jude. Der Vater hat mit bedeutender Aufopferung

seine S�hne nicht beschneiden lassen und erzieht sie, wie sich�s geh�rt; es w�re

wirklich einmal eppes Rores (etwas Rares), wenn aus einem Judensohne ein K�nstler

w�rde.� Mit solchen Worten irritierenden Wohlwollens bereitete der Berliner Komponist

Karl Friedrich Zelter den greisen Geheimen Rat Johann Wolfgang von Goethe in

Weimar in seinem Brief vom 26. Oktober 1821 auf den Besuch eines 12 j�hrigen

musikalischen Wunderkindes aus dem Hause Mendelssohn vor. Die rhetorisch mit allen

Attributen von Aussergew�hnlichkeit beladene, letztendlich aber ergebnislos

verbliebene Gleichung der Konstanten Jude, Taufe, Judensohn und K�nstler verr�t

nicht, ob es sich um den Ausdruck einer ehrlich empfundenen Hoffnung oder um

Anma�ung handelt.

 

Dessen ungeachtet erlag Zelter jedoch der Versuchung, mit der Feststellung vom

K�nstlertum aus j�dischem Hause als einer Causa von wahrhaft eppes rorer Art, die

j�dische Sprechweise dezidiert zu karikieren.

 

3

 

 


 

�Hepp-hepp-hepp! Judenjunge!� rief ein debiles preu�isches F�rstenkind den 10j�hrigen

Felix Mendelssohn und die 14j�hrige Fanny auf den Strassen Berlins an, bevor er ihm

ins Gesicht spie. �Hepp-Hepp! Judenjung! schrieen Stra�enkinder in dem K�stenort

Dobberan an der Ostsee den beiden entgegen, bevor sie sich aufs sie warfen.

Heldenhaft und gleichm�tig befreite er die Schwester aus der bedrohlichen Situation;

sicher geleitete er sie heim � erst dort trieben Zorn und Scham ihm die Tr�nen heraus.

 

Im Jahre 1812 erlie� K�nig Friedrich Wilhelm III. von Preussen auf Anraten des

Staatsministers Karl August von Hardenberg ein Emanzipationsgesetz. Es sollte Juden

die preussische Staatsb�rgerschaft gew�hren und den lediglich vereinzelt an

herausragende Pers�nlichkeiten �ffentlichen Lebens vergebenen w�rdelosen Status

der �Schutzjudenschaft� ersetzten.

 

�Gelingt es nicht, die Juden zur Taufe zu bewegen, dann bleibt nur eins: sie gewaltsam

auszurotten!� (zitiert nach Arndt Richter, Felix Mendelssohn) empfahl indessen der

Berliner Historiker und Historiograph des Preussischen Staates Friedrich R�hs im Jahre

1814. Er reflektiert so die wahrhaftig vorherrschende �ffentliche Meinung gegen�ber

gleichgestellten j�dischen B�rgern.

 

Auf volkst�mlicherer Ebene erregte zeitgleich die Auff�hrung der antisemitischen Posse

"Unser Verkehr" auf einer Berliner B�hne Aufsehen, welche die j�dische Lebensweise

zum Gesp�tt zu machen suchte. Die Posse agitierte somit gegen das Hardenbergsche

Unterfangen, Juden zu preu�ischen Staatsb�rgern zu machen. Autor war der Breslauer

Augenarzt Karl Sessa. Die Auff�hrungen von "Unser Verkehr" l�sten Unruhen unter den

Zuschauern aus; als der Berliner Kom�diant A. A. Ferdinand Wurm sich auf der B�hne

�ber die j�dischen Speisegesetze und den j�dischen Widerwillen Schweinefleisch

gegen�ber mokierte, wurde das Publikum gar handgreiflich gegen ihn. Flugbl�tter mit

Aufrufen wie "Dass du in "Unserm Verkehr" die Juden verspottest, die Ursach, sie

begreift sich so leicht: bist du selbst doch ein Schwein" straften Autor und Akteure ab.

 

Dennoch verfehlte die Popul�r-Kom�die nicht ihre Wirkung auf breitere Schichten

"gesunden Volksempfindens". In der Berliner Bev�lkerung wurde somit die Forderung

erhoben, j�dischen Freiwilligen im Preu�ischen Abwehrkampf gegen Napoleon k�nftig

den Erhalt des Eisernen Kreuzes zu verweigern und ihnen vielmehr ein gro�es

Geldst�ck an die Kopfbedeckung zu heften.

 

Nicht zuletzt die in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts dominante

romantische Bewegung, altdeutschen, ja mittelalterlich paraphrasierten sowie

christlichen Idealen huldigend, z�hlte zu den erkl�rten Gegnern staatsb�rgerlicher

Judenemanzipation. Ber�chtigt in diesem Zusammenhang waren �Christlich-Deutsche�,

oder �Christlich-Germanische-Tischgesellschaften�, welche die hochrangigen Literaten

Achim von Arnim und Clemens Brentano, sowie der Publizist Adam M�ller in Berlin

unterhielten.

 

4

 

 


 

W�hrend Rang und Namen gesellschaftlichen Lebens in Berlin, Pers�nlichkeiten wie

Carl von Clausewitz, Johann Gottlieb Fichte, Savigny, Heinrich von Kleist, der

preussische Staatsrat S�gemann, Karl Friedrich Zelter sowie die F�rsten von

Lichnowsky und Radziwill, den Salon des Hauses von Arnim/ Brentano regul�r

frequentierten, war Juden nebst Franzosen und Philistern die Teilnahme an den

"Tischgeselligkeiten" und "deutschen Fressgesellschaften" satzungsgem�� verwehrt....)

 

Die Romantiker lehnten jedwede Bestrebung zur Realisierung moderner �konomie strikt

ab und sahen die Juden als treibende Kraft derselben an. Daher standen letztere im

Zentrum �bler Satiren und �Judenscherze� der �Tischgesellschaften�. Bettina von Arnim

schliesslich wandte sich vom Treiben Ihres Bruders und Ehemannes angewidert ab.

 

Allein f�r den Zeitraum des Jahres 1815 bis 1850 lassen sich 2500 Manifeste, welche

die vermeintliche Judenfrage im F�r und Wieder thematisierten, nachweisen.

 

Letztere er�ffnen bereits den ganzen Katalog vertrauter antisemitischer Demagogie

des Kaiserreichs und des 20. Jahrhunderts. Das Spektrum reicht von der

Zwangsassimilierung durch christliche Taufe, der �Veredelung� und Bekehrung mithilfe

religi�s-moralischer Vereine, �ber Seuchen-und Ungeziefermetaphorik, Betrachtungen

hinsichtlich Sexualamputation, Ausweisung, Austreibung, Deportation nach Pal�stina bis

hin zu V�lkermordphantasien.

 

Der seinerzeit viel rezipierte nationalistische Publizist und Dichter Ernst Moritz Arndt,

der im 20. Jahrhundert vom rassebiologisch grundiertem Wahn des deutschen

Nationalsozialismus als dessen "Vordenker" gefeiert wurde, konstatierte im Jahre 1814,

das dass Volk der Deutschen es durch alle Zeiten vermocht habe, nicht zu

"verbastarde(n), keine Mischlinge geworden" zu sein. �ber Jahrtausende hinweg sei es

vielmehr auf seiner "Urerde" rassisch "rein" geblieben. Nunmehr allerdings, f�hrt Arndt

des weiteren aus, sei das "germanische Wesen im h�chsten Ma�e durch das

Voranr�cken der Franzosen und der Juden bedroht, welche letztere mit dem

Prosperieren von "Ungeziefer" zu vergleichen sei. �Verflucht aber seien die Humanit�t

und der Kosmopolitismus, womit ihr prahlet! Jener allweltliche Judensinn, den ihr uns

preist als den h�chsten Gipfel menschlicher Bildung." schliesst Arndt.

 

Der ber�hmte Zeitgenosse Freiherr vom Stein attestierte Arndt denn auch eine

"H�hnerhundnase zum Aufwittern des verschiedenen Blutes". Arndt forderte die

Unterbindung der Zuwanderung ausl�ndischer Juden mit allen Mitteln sowie die

Verwehrung des vollen B�rgerrechtes f�r die deutschen Juden und "getauften

Judengenossen�. Arndt pl�diert im Gegenzug vielmehr f�r das "Aufgehen"

alteingesessener deutscher Juden vermittels vollst�ndiger Aufgabe der j�dischen

Religion und Kultur und Amalgamierung mit der christlich-germanischen Umwelt. Das

Verschwinden des "verdorbenen und entarteten" j�dischen Idioms w�re, Arndt zufolge,

durch Konvertierung zum Christentum nach 3 Generationen somit m�glich.

 

Neben Friedrich R�hs trat auch der Heidelberger Philosoph und Professor Jacob

Friedrich Fries als Demagoge antisemitischer Vernichtungsphantasien hervor. In einem

1816 unter dem Titel: ��ber die Gef�hrdung des Wohlstandes und Charakters der

Deutschen durch die Juden� ver�ffentlichten Pamphlet erging sich Fries in

�bersteigerten Gewaltmetaphern. In einem 1816 unter dem Titel: ��ber die Gef�hrdung

des Wohlstandes und Charakters der Deutschen durch die Juden� ver�ffentlichten

Pamphlet erging sich Fries in �bersteigerten Gewaltmetaphern

 

5

 

 


 

Er und forderte: �Denkt nur an ihr Schicksal in Spanien, wie es dort allem Volke zur

Freude wurde, sie zu tausenden auf den Scheiterhaufen brennen zu sehen, wie sie dort

die Regierung (...) samt und sonders zum Lande hinausjagen musste. Fragt doch

einmal Mann vor Mann herum, ob nicht jeder Bauer, jeder B�rger sie als Volksverderber

und Brotdiebe hasst und verflucht�

 

Im Zenit fremdenfeindlich-menschenverachtender Ereiferungen aber stehen die

Gewaltpathologien des Radikaldemagogen Hartwig von Hundt-Radowsky: Im

"Judenspiegel -ein Schand-und Sittengem�lde alter und neuer Zeit" aus dem Jahre

1819 regte er u. a. dazu an, die deutschen Juden den Engl�ndern als Arbeitssklaven f�r

die indischen Kolonien anzudienen. Neben der Zwangsarbeit auf den weitl�ufigen

Pflanzungen, erb�te sich des weitern die Deportation in die Erzminen. Von Natur aus

�ber �ein herrliches Sp�rorgan f�r alle edeln Metalle und Steine� verf�gend, w�re eine

T�tigkeit dort, - sicherheitsverwahrt von �geheimen Polizeispionen" - gewinntr�chtig.

 

Die m�nnlichen Juden w�ren s�mtlich zu kastrieren, die Frauen hingegen in �gewisse

weibliche Erziehungsinstitutionen� genannte Bordelle zu verbringen um dort den

Machthabern gef�gig zu sein. Hundt-Radowsky stellt in Schriften wie dem

"Judenspiegel" oder der 1822/23 in der Schweiz erschienen "Judenschule" des weiteren

haneb�chen-menschenverachtende Behauptungen �ber das Wesen der j�dischen

"Rasse" auf:

 

"Der Teufel ist barmherziger als ein Jude". Von Geburt an eigen sei den Juden auch

"ihr specifischer Geruch, den sie sich durch ihre unnat�rlichen Laster, als ein Allen

gemeinschaftliches Erbgut, erworben haben." (...) "Eine...Ann�herung oder

Verschmelzung w�rde f�r jedes nichtj�dische Volk ein g�nzliches physisches und

sittliches Verderben zur Folge haben. (...) Was Grosses, Erhabenes und G�ttliches an

seinem (Jesu Christi) Leben und seinen Handlungen war, das k�nnen die Juden,

welche ihn verfolgten und kreuzigten, nicht f�r sich anf�hren."

 

Des Weiteren ergeht sich Hundt-Radowsky in Gewaltphantasien und -forderungen

hinsichtlich der vollst�ndigen Austreibung und Vernichtung des j�dischen Volkes. Seine

Schriften z�hlen somit zu den unmittelbaren Anf�ngen eines eliminatorischen

Antisemitismus und nehmen dabei die deutsche Rassenpolitik und Judenvernichtung im

 

20. Jahrhundert; die Geschehnisse des "III. Reiches" rhetorisch nahezu deckungsgleich

vorweg. Der Historiker Peter Fasel schreibt bzw. zitiert dazu in der Wochenzeitung "Die

Zeit" vom 22. Januar 2004" in seinem Aufsatz "Vordenker des Holocaust":

"Die Juden m�ssen, daran l�sst er keinen Zweifel, vollst�ndig eliminiert werden. (...)

Am besten w�re es jedoch, (anstelle eines Verkaufs an die Engl�nder, welche Hundt-

Radowsky wenig sp�ter als missliebige "wei�e Juden" brandmarken sollte, Anmk. d.

Verf.) man reinigte das Land ganz von dem Ungeziefer".

 

Die Juden sollten, das w�re Hund-Radovsky offenbar am liebsten gewesen, nach

Abhaltung eines Tribunals ("ein peinliches Gericht") umgebracht werden. Oder aber,

man verfrachte sie, vollst�ndig enteignet, auf t�rkisches Gebiet, wo sie in

unausweichlichen K�mpfen mit den Muslimen "vielleicht ganz (...) von der Erde vertilgt

w�rden", ohne dass man sich selber die Finger schmutzig machen m�sse!

 

Durch die in Aarau entstandene Theorie vom "Wei�en" Juden (im Gegensatz zum

"echten", "schwarzen" Juden, zu welchem Hundt-Radowsky auch die Zigeuner z�hlte,

also einem, Hundt-Radowsky und seiner deutschen Leserschaft missliebiger Europ�er,

Anm. d. Verf.) wird das antisemitische Wahnsystem komplett."

 

6

 

 


 

Hundt-Radowsky verneint in seinen Schriften vehement die M�glichkeit, die Juden

vermittels Taufe "verbessern" zu k�nnen. "Wer einen Juden tauft, der brennt der Sau

nur ein anderes Zeichen auf den Hintern" schreibt der Demagoge. Die j�dischen

"Sch�dlinge" blieben, Hundt-Radowsky zufolge, ihrem "zutiefst verderbten Charakter ewig

und unwandelbar gleich, was auch passiert, (...) bis sie endlich durch ein

furchtbares Erdbeben von unten auf ersch�ttert und verschlungen werden". " (zit. n.

Fasel

 

Der Judenspiegel wurde im Herbst des Jahres 1819 in Schwarzburg-Sonderhausen,

einem damaligen th�ringischen Kleinstaat, vom Verleger Bernhard Friedrich Voigt

herausgegeben. Anstelle des waren Namens Joachim Hartwig von Hundt-Radowsky

firmierte das Pseudonym Christian Schlagehart als Autor des Werkes. Das Buch erfuhr

innerhalb von 3 Wochen zwei Auflagen von insgesamt 10 000 Exemplaren.

 

Der "Judenspiegel" wurde in Bayern und Preussen mit der Begr�ndung einer St�rung

konfessionellen Friedens indiziert; Hundt-Radowsky sah sich als Volksverhetzer

polizeilicher Verfolgung ausgesetzt. In Baden-W�rttemberg hingegen stand die Presse-

und Meinungsfreiheit konstitutionell �ber dem Verfassungsrang konfessioneller

Unversehrtheit, so da� die Schriften Hundt-Radowskys dort weiterhin publiziert wurden

und wo der Judenspiegel in Reutlingen, Cannstadt und, gek�rzt, in Ulm Neuauflagen

erfuhr. Noch im Jahre 1848 erlebte das Pamphlet eine Wiederauflage unter dem Titel

"Die Naturgeschichte der Juden", welche in Wien herausgebracht wurde.

 

Die 3b�ndigen Folgeschriften "Die Judenschule oder gr�ndliche Anleitung, in kurzer

Zeit ein vollkommener schwarzer oder wei�er Jude zu werden", welche mit 1160 Seiten

zu den umfangreichsten antisemitischen Pamphleten �berhaupt z�hlt, erschien im Jahre

1822/23 in Aarau im Schweizer Exil Hundt-Radowskys. Auch dieses Werk erfuhr eine im

Jahre 1830 wiederum in Reutlingen herausgegebene Wiederauflage, welche unter dem

Titel "Die Juden wie sie waren, wie sie sind und wie sie seyn werden" erschien.

 

2. Hei�t Du Mendelssohn, so bist Du eo ipso ein Jude

Zahlreiche j�dische Familien in Deutschland konvertierten zu Beginn des 19.

Jahrhunderts zum Christentum. Sie folgten darin einer weithin verbreiteten Interpretation

von Lehren der Aufkl�rer Moses Mendelssohn und Gotthold Ephraim Lessing, religi�se

Fragen dem Prinzip der reinen Vernunft; die Orthodoxie der Vorstellung eines

konfessions�bergreifenden Deismus anheimzugeben und erkl�rten sich somit bereit, an

der bestehenden christlichen Mehrheitsgesellschaft teilzunehmen.

 

(Dieser zeitgen�ssischen Interpretation der Schriften Moses Mendelssohns entgegen,

weigerte sich der Philosoph entschieden, selbst zum Christentum zu konvertieren und

wandte sich �ffentlich gegen eine derartige Auslegung seiner Lehren, Anmk. d. Verf.)

 

Andere entschlossen sich zu diesem Schritt, um sich vor den bedrohlichen

Folgeerscheinungen eines National-Fanatismus, zu sch�tzen, den der Kantsch�ler

Johann Gottlieb Fichte ab etwa 1790 propagierte.

 

7

 

 


 

�Germanomanie�; eine Philosophie elaborierten Nationalbewusstseins. Diese griff, in

Ermangelung der Realit�t geeinter deutscher Nation auf Elemente wie �teutsches

Volkstum� und �germanisches Christentum� als alleing�ltige Fundamente imaginierten

deutschen Vaterlandes zur�ck. Die Hepp-Hepp-Unruhen, (nach der popul�ren

Strassen-und Gewaltparole "Hepp! Hepp!! Hepp!!! Aller Juden Tod und Verderben! Ihr

m�sst fliehen oder sterben!", Anmk. d. Verf.) welche im Jahre 1819, von der

fr�nkischen Residenzstadt W�rzburg ausgehend, in Deutschland und europ�ischen

Nachbarstaaten Gewaltakte gegen j�dische Ansiedlungen und B�rger bedingten,

nahmen zahlreiche j�dische Familienvorst�nde denn auch als eindringliche Warnung

auf.

 

�Man kann einer gedr�ckten, verfolgten Religion getreu bleiben; man kann sie seinen

Kindern als eine Anwartschaft auf ein sich das Leben hindurch verl�ngerndes Martyrium

aufzwingen -solange man sie f�r die Alleinseligmachende h�lt. Aber sowie man dies

nicht mehr glaubt, ist es eine Barbarei. -Ich w�rde rathen, da� Du den Namen

Mendelssohn Bartholdy zur Unterscheidung von den �brigen Mendelssohns annimmst.�

 

Die Worte Jacob Salomons, Felix Onkel v�terlicherseits, best�rkten die Eltern in dem

Schritt, ihre Kinder Fanny und Rebekka, Felix und Paul im Jahre 1816 protestantisch

taufen zu lassen. Lea und Abraham Mendelssohn folgten den Kindern erst im Jahre

1822 darin.

 

Im Jahre 1830 gemahnte der Vater, welcher sich hellsichtig gegen�ber eines

zunehmend judenfeindlichen gesellschaftlichen Klimas, nurmehr Abraham M. Bartholdy

nannte, eindringlichst:

 

�Du kannst und darfst nicht Felix Mendelssohn hei�en. Du musst Dich also Felix

Bartholdy nennen. Einen christlichen Mendelssohn gibt es so wenig wie einen j�dischen

Konfuzius. Hei�t Du Mendelssohn, so bist Du eo ipso ein Jude, und das taugt Dir nicht,

schon allein, weil es nicht wahr ist.�

 

Der bereits zu Ber�hmtheit gelangte Felix folgte dem Rat Abrahams dennoch nicht. Der

Sohn, dem Vater in allem �brigen ehrerbietig gehorsam, widersetze sich dies eine Mal.

 

Obgleich ein tiefgl�ubiger Protestant, war es ihm ausgeschlossen, die famili�re

Tradition und Identit�t zu negieren. Es kam schliesslich zu der �bereinkunft, k�nftig

beide Namen, parallel, gleichberechtigt einander gegen�berstehend; unverbunden zu

nennen. Als Synonym einerseits f�r das famili�re Erbe und den Schritt in die von

Abraham imaginierte Gewissheit potentieller bourgeoiser Geborgenheit andererseits. Im

�brigen hatten die gepflegte Diffamie Carl Friedrich Zelters, dass Hepp-Hepp-

Judenjung! -Geschrei, welches Felix und Fanny allenthalben entgegenschlug, also die

beharrliche Ansprache eines Stigmas j�discher Geburt Felix hinl�nglich bewiesen: die

b�rgerlich-christliche Gesellschaft des 19. Jahrhunderts beabsichtigte keineswegs,

Juden, ob getauft oder nicht, dauerhaft und gleichrangig in Ihre Reihen aufzunehmen.

 

Die falsche Schreibweise Felix Mendelssohn-Bartholdy bezeugt somit die

Ahnungslosigkeit oder gar Bedenkenlosigkeit bez�glich diffiziler j�disch-deutscher

Befindlichkeiten. Oder schlimmer noch: es verb�rgt das allgemein gepflogene

antisemitisch bedingte Bestreben, den Schritt der Mendelssohns in die protestantisch

gepr�gte B�rgerlichkeit nachhaltig zu negieren. Oder vielmehr, einen auch nicht durch

den Versuch der Namensangleichung �berbr�ckbaren Makel j�discher Geburt, die

Zugeh�rigkeit Mendelssohns zur j�dischen "Rasse" als untilgbares Stigma ein f�r

allemal festzuschreiben.

 

8

 

 


 

Dennoch bekannte sich Felix Mendelssohn Bartholdy uneingeschr�nkt zu den

kulturellen und historischen Traditionen, der anthropologischen Bewusstheit seines

deutschen Heimatlandes.

 

Abraham Mendelssohn lie� seine Kinder durchaus im Geiste kosmopolitischer Bildung

erziehen und gestattete dem musikalisch bewunderten J�ngling Felix ausgedehnte

Bildungsreisen durch die Kulturnationen Europas. Dieser ging, nachdem Cherubini am

Conservatoire de Paris die Begabung des Jungen gepr�ft und dem Vater die unbedingte

Bef�higung zu zuk�nftiger musikalischer Profession attestierte, daran, zu pr�fen, ob ihm

die europ�ischen Kulturzentren m�glicherweise ebenfalls eine musikalische Heimat zu

finden erm�glichten.

 

Das Ergebnis stand im Jahre 1832 endg�ltig fest. Noch aus Paris teilt er es zu

Jahresbeginn seinem Mentor Carl-Friedrich Zelter mit:

 

"Wenn ich...nur von den Hauptpuncten meiner Reise Ihnen h�tte schreiben wollen, so

h�tte ich es eigentlich aus Deutschland thun m�ssen. Denn wie ich jetzt nach alle den

Sch�nheiten, die ich in Italien und der Schweiz genossen hatte,...wieder nach

Deutschland kam, und namentlich bei der Reise �ber Stuttgart, Heidelberg, Frankfurt,

den Rhein herunter nach D�sseldorf, da merkte ich, da� ich ein Deutscher sey und in

Deutschland wohnen wolle...."

 

Einerseits beharrte er auf seinem j�dischen Geburtsnamen und der Bewusstheit seines

j�dischen Gro�vaters, andererseits aber registrierte er die allgemein um sich greifende

Verketzerung staatsb�rgerlicher Habilitation deutscher Juden wachsam.

 

Somit erf�llte ihn das Bekenntnis zu diesem seinem Heimatlande unausgesetzt mit

Bef�rchtungen. Und so schliesst besagtes Schreiben mit der Erw�gung, zuk�nftig ja

immer noch von den M�glichkeiten europ�ischer Musikzentren Gebrauch machen zu

k�nnen, wenn denn: �die Leute mich einmal in Deutschland nirgend mehr haben wollen,

dann bleibt mir die Fremde immer noch, wo es dem Fremden leichter wird, aber ich

hoffe, ich werde es nicht brauchen.�

 

Dieser Wunsch zumindest wurde Felix Mendelssohn in Persona erf�llt. Wie es mit der

Verankerung des Felix Mendelssohn Bartholdy in Heimat und Fremde insgesamt; der

Ein-oder Ausb�rgerung des �historischen Augenblicks� Felix Mendelssohn (Hans

Mayer) bestellt bliebe, an dieser Stelle zu res�mieren, hie�e vorzugreifen.

 

Bereits zu Lebzeiten fiel der Komponist und sp�tere Gewandhauskapellmeister Kritik

anheim, welche sich nicht an der musikalischen Leistung, sondern an der j�dischen

Abstammung Mendelssohns entz�ndete.

 

Als im Jahre 1833 nach dem Tode Carl Friedrich Zelters die Nachfolge in der Leitung

der Berliner Singakademie zur Wahl stand, votierten 152 Mitglieder f�r den musikalisch

als farblos �berlieferten Kandidaten Carl Friedrich Rungenhagen und 88 f�r den

Kandidaten Felix Mendelssohn. Obgleich dieser im Jahre 1829 die Akademie mit der

Wiederauff�hrung der Matth�uspassion zu einem Musikereignis h�chsten Ranges

f�hrte, erhoben sich innerhalb derselben Rumor wie: "...die Singakademie sei, durch

ihre fast ausschlie�liche Besch�ftigung mit geistlicher Musik, ein christliches Institut, es

sei darum unerh�rt, da� man ihr einen Judenjungen zum Director aufreden wolle".

(zitiert nach Eduard Devrient) "Sie wollten ihn halt nicht haben, den Judenjungen!"

konstatiert Hans Mayer im R�ckblick auf die Vorg�nge der Berliner Chorwahl und

Mendelssohns Demission vom Amte des Musikdirektors der Stadt D�sseldorf.

 

9

 

 


 

Das Votum gegen einen Chordirektor Felix Mendelssohn kann auch als gezielter, sublim

antisemitisch motivierter Affront gegen die Familie Mendelssohn interpretiert werden.

Diese war personell innerhalb des Chores zahlreich vertreten und trat dar�ber hinaus

als M�zen der Akademie auf; nach der Br�skierung Felix zogen sich die Mendelssohns

vollst�ndig von der Singakademie zur�ck.

 

Manfred Blumner, der Direktor sp�terer Jahre, f�hrt hingegen zur Rechtfertigung des

damaligen Wahlgeschehens heran: "...da� es vielen, namentlich �lteren Mitgliedern

Bedenken erregen musste, einem 23 j�hrigen J�nglinge an eine soviel pers�nliches

Ansehen erfordernde Stelle (...) zu berufen" und "ahnten doch viele noch nicht seine

ganze nachhaltige Gr��e und Bedeutung." (Berlin 1891) Auch von Intrigen, einer

"unappetitlichen Rolle" der "raffgierigen" Doris Zelter (die Tochter Carl-Friedrich Zelters)

und erheblichen Kabalen um die Direktionsnachfolge ist die Rede.

 

In R�ckerinnerung an die Tage sensationell wiedererweckter Matth�uspassion im

Fr�hjahr des Jahres 1829 berichtet Devrient weiter, das Felix n�chtens mitten auf dem

Opernplatz stehen bleibend, �berm�tig rief "da� es ein Kom�diant und ein Judenjunge

sein m�ssen, die den Leuten die gr��te christliche Musik wiederbringen!"

 

Es verweist auf die immens zutagetretende F�higkeit des J�nglings, sowohl die

unausgesetzt diffuse staatsb�rgerliche und soziale Situation als auch das vertraut-

inkriminierende �Judenjungen! Attribut zeitweilig ironisch zu kommentieren.

 

Die literarisch-politisch agierende "Jungdeutsche Bewegung" der 30ssiger und 40ziger

Jahre des 19. Jahrhunderts; dieser geh�rten u. a. die Literaten Heinrich Laube, Georg

B�chner, Karl Gutzkow, Theodor Mundt, Ludwig B�rne und Heinrich Heine an,

kultivierte neben liberalen, f�deralistischen und revolution�ren Forderungen auch

erhebliche antisemitische Ressentiments. So sahen sich studentische und publizistische

Aktivisten in den eigenen Reihen wie die Konvertiten Heinrich Heine und Ludwig B�rne

stetiger Diffamierung ausgesetzt; wurden beispielsweise als �jungpal�stinensich�

verh�hnt.

 

In den Jahren 1835 und 1841 wurde die Familie Mendelssohn zum unmittelbaren Objekt

antisemitisch intendierter Intrigen. Diese h�tten in der Folgewirkung beinahe zu

Handgreiflichkeiten Felix Mendelssohns gegen den nachrangigen, den Kreisen der

Zelter-Familie zugeh�rigen Publizisten Riemer, und somit zu einem Eklat gef�hrt.

 

Prof. Friedrich Wilhelm Riemer, ein Studienrat und Adept Johann Wolfgang von

Goethes ver�ffentlichte im Jahre 1841 Reminiszenzen an den Dichterf�rsten unter dem

Titel: �Mitteilungen �ber Goethe�. Als Herausgeber des Goetheschen Nachlasses

provozierte Riemer aber bereits im Jahre 1835 mit der indiskreten Publikation der

unzensierten, die Belange zahlreicher lebender Personen wie die Mendelssohns

nunmehr der �ffentlichkeit preisgebenden Korrespondenz des Goethe-Altersfreundes

Zelter.

 

Darunter befand sich auch jenes ber�chtigte, bereits Eingangs zitierte Schreiben vom

Judensohne und den K�nstlern. Fanny und Felix Mendelssohn brachen, quasi als sie

erfuhren, wie Zelter in Wahrheit �ber die Mendelssohns, die Juden oder beides im

Zusammenhang dachte, daraufhin auch in der Erinnerung mit dem einstmals verehrten

und geliebten Lehrer. Die innerfamili�re Erregung angesichts der Aff�re,

Beschuldigungen hinsichtlich semitischer Machenschaften, mit welchen Riemer das

Haus Mendelssohn �berzog, f�hrten m�glicherweise zum unerwarteten Tod Abraham

Mendelssohns durch einen Schlaganfall am 19. November 1835.

 

10

 

 


 

Doris Zelter, die einstmals unter der Protektion Abraham Mendelssohns stehende

Tochter C. F. Zelters, wurde als intrigant, altj�ngferlich und verbittert �berliefert. Als Co-

Initiatorin der Publikation des Goethe-Zelterschen Nachlasses, kommentierte sie den

Vorgang in einem an Riemer gerichteten Schreiben verst�ndnislos, aber mit abf�lligem

Unterton:

 

�Was nun die Pers�nlichkeit Zelters anbetrifft, so habe ich mir die ganze Synagoge auf

den Hals geladen, und ich glaube kaum, da� der alte Tempel das Klagegeschrei und

Gequatsche aush�lt (...) Mendelssohns benehmen sich wunderlich genug�

 

In seinen nunmehr im Jahre 1841 herausgegebenen �Mitteilungen �ber Goethe� nutzte

Riemer indes das potentielle �ffentliche Interesse am Sujet offenkundig zur Rhetorik in

eigener Sache sowie zu aggressiver antijudaischer Agitation. In Kapiteln wie jenem,

�Juden� �bertitelten, sind Ausf�lle gegen assimilierte ehemalige Juden wie Abraham,

Fanny und Felix Mendelssohn zu lesen:

 

"Das Prinzip, aus dem die ganze (j�dische) Nation hervorgegangen, aus dem sie

gehandelt hat...ist indelibel; man denke also nicht Mohren Wei� zu waschen, auch dank

der christlichen Taufe nicht, wie man etwa im Mittelalter den foetor judaicus (den

Judengestank) dadurch zu tilgen glaubte...�

 

Des Weiteren griff Riemer demonstrativ auch die Abraham-Mendelssohn-Aff�re des

Jahres 1835 wieder auf. Eingangs verh�hnte er das Angedenken des Verstorbenen mit

Phrasen, welche im Geiste dezidierter pers�nlicher Entw�rdigung auf den Assimilierten-

Status anspielten:

 

"M�ge indessen der gute Schwiegerpapa (d. i.: Abraham Mendelssohn) sich durch das,

was B�rne und Heine (sic!) �ber Goethe vor den Augen des ganzen Deutschlands

ausgegossen, zu seiner Satisfaktion mitger�cht, oder, wie man sagt, mitgerochen

haben!�

 

Schwerwiegender erwiesen sich die erneut vorgebrachten Vorw�rfe semitischer

Zensurbestrebungen seitens der Familie Mendelssohn. Riemer behauptete in den

�Mitteilungen� Abraham Mendelssohn habe ihn seinerzeit als Herausgeber der Zelter-

Goetheschen Korrespondenz vermittels anonymen Schreibens unter Druck setzen

wollen, unvorteilhafte �u�erungen des Dichterf�rsten �ber die k�nstlerischen

F�higkeiten Wilhelm Hensels; Fannys Br�utigam, zu unterschlagen.

 

Wie wir aus einem Schreiben des Komponisten vom 3. Juli 1841 an den Bruder Paul

Mendelssohn wissen, erregte sich Felix Mendelssohn �ber �eine so lieblose, mich

emp�rende Weise�, in welcher Riemer ��ber Vater gesp�ttelt und hergezogen� sei in

hohem Ma�e.

 

Er erwog allem Anschein nach ernstlich, dem Angedenken des Vaters durch einen

�ffentlichkeitswirksamen Ohrfeigenauftritt Riemer gegen�ber, Genugtuung zu

verschaffen. Der Vorsitzende des Aufsichtsrates der Gewandhauskonzerte, Conrad

Schleinitz, brachte den bereits zu hohem Ruhme und Ansehen gelangten Kapellmeister

seines Hauses aber �ernstlich und besorgt� von diesem Unterfangen ab.

 

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Mendelssohn schrieb dem Bruder des Weiteren:

 

�Lies �brigens das ganze Capitel �Juden� aus, um den Mann geh�rig kennen zu lernen.

Ich weiss wohl, dass der selige Vater mirs zum Gesetz gemacht hat, in keiner Weise

von gedruckten Angriffen Notiz zu nehmen...aber dass einer den Namen unseres

verstorbenen Vaters und unserer Ahnen auf so elende Art missbraucht, da� kann und

darf ich nicht ungeahndet lassen.�

 

In einer Rezension der Ballade Ahasver des Dresdner Dramatikers Julius Mosen (dieser

hatte sich vor allem durch ein Rienzi-Drama namhaft gemacht, welches parallel zur 5aktigen

Erfolgsoper Richard Wagners entstand) aus dem Jahre 1838 dozierte Karl

Gutzkow u. a. �ber vermeintlich semitische Grundwesensz�ge der Titelfigur. Des

Weiteren sprach er sich vehement gegen Bestrebungen staatsb�rgerlicher Habilitation

von Juden aus:

 

�Ahasver ist der Jude in seinem nichtigen Materialismus (...), ist der Jude in alledem,

was ihn von dem Berufe, an der Geschichte teilzunehmen, ausgeschlossen hat, der

Jude gerade in seiner Missionsunf�higkeit. Er ist das Schlechte am Judentum, das

Lieblose, Parteiische, H�mische, Zersetzende, er ist gerade alles das, was noch immer

die Emanzipation am meisten verhindert.�

 

Im gleichen Zeitraum artikulierte sich erhebliches antisemitisches Ressentiment seitens

junghegelianischer Philosophen und Fr�hsozialisten. Letztere vor allem stellten die

Juden ins Zentrum radikal�konomischer Kapitalismuskritik und bezogen sich dabei auf

das tradierte Klischee des Schacherers. Wortf�hrer sozialistischen Antisemitismus

waren Bruno Bauer, Arnold Ruge und Karl Marx. In der Publikation Judenfrage stellt

Bruno Bauer im Jahre 1842 dem Programm staatsb�rgerlicher Habilitation die

Forderung entgegen, das die Juden sich vor dem Vollzug b�rgerlicher Emanzipation

erst zu �Menschen� zu emanzipieren, also ihr konfessionelles Bekenntnis aufzugeben

h�tten. Karl Marx paraphrasierte die Bauerschen Thesen im Herbst des Jahres 1843

bereits im Titel des Essays "Zur Judenfrage" und wiederholt darin sowohl die

einschl�gigen Stereotypen des berechnenden Finanz-und Machtjuden als auch die

fr�hsozialistische These der Emanzipation, der Erl�sung des Menschen aller

Konfessionen von der Macht und Faszination des Geldes. Marx schrieb also:

 

�Welches ist der weltliche Grund des Judentums: (...) der "Eigennutz". Welches ist der

weltliche Kultus des Juden ? Der "Schacher". (...) sein weltlicher Gott? Das "Geld". (...)

Die Emanzipation vom "Schacher "und vom "Geld", also vom praktischen, realen

Judentum w�re die Selbstemanzipation unserer Zeit. (...) Die "Judenemanzipation" in

ihrer letzten Bedeutung ist die Emanzipation des Menschen vom "Judentum".

 

Eine Gegnerschaft ganz eigener Art erwuchs den Mendelssohns indes in der Person

und Lehre des in jenen Tagen im Pariser Exil lebenden und wirkenden Dichters

Heinrich Heine. Jener, welcher bereits im Jahre 1825 vom Judentum zum Christentum

konvertiert war; sich somit das �Entr�ebilllet� zu der, den Juden seinerzeit

verschlossenen europ�ischen Kultur verschaffte hatte, bereute diesen Schritt ein Leben

lang, gab sich somit zwiesp�ltigen, zwischen Judentum und Christentum

widerstreitenden Empfindungen und allgemeinen Vorw�rfen hin.

 

12

 

 


 

Umso sch�rfer als er selbst unter diesem Zustande leiden sollte, beobachtete er von

Paris aus das Walten und Gebaren anderer Konvertiten wie Ludwig B�rne und Felix

Mendelssohn. Eifers�chtig gewahrte er die erkl�rte, ihm selbst verwehrte, vollg�ltige

Hingabe und Hinwendung Mendelssohns zum protestantischen Glauben. In einem Akt

von Selbsthass beargw�hnte Heine dabei eine, Mendelssohn unterstellte,

hyperkritische evangelische Christianisierung des Konvertiten, welche sich auch beredt

im Werk (Vertonung biblischer Texte und Psalmen) Ausdruck verschaffte.

 

In jener episch-satirischen Dichtung, welche Heine dem verlorenen, aus politischen

Gr�nden zwangsweise gemiedenen Vaterlande widmete und welche eben darum

�Deutschland � ein Winterm�rchen� hei�t, f�hrt Heine einen deftigen, sp�ttischen

Seitenhieb auf den gefeierten, zeitgen�ssischen Komponisten, Es hei�t also darum in

Caput XVI, Vers21-24: �

 

�Der Abraham hat mit Lea erzeugt; ein B�bchen, Felix hei�t er, er hatte es weit im

Christentum, Ist schon Kapellmeister...�

 

Im Jahre 1842 schreibt Heinrich Heine �ber Mendelssohn und beschw�rt einen Konflikt

heraus zwischen dem praktisch-musikalisch angewandten Christentum von Felix

Mendelssohn und jenes Giaccino Rossinis, welche sich doch bei einem Treffen in

Frankfurt am Main im Jahre 1836 pers�nlich, sehr gut verstanden hatten. Dabei

vergleicht Heine das in der �Stabat Mater� zum Ausdruck gebrachte Christentum

Rossinis als symbolisches, machtvolles Apeninnengebirge mit jenem in Mendelssohn

Oratorium �Paulus�, welches lediglich die Ausma�e eines k�mmerlichen H�gels bei

Berlin ann�hme.

 

Und so steht in der Pariser Zeitschrift �Lutetia�, erschienen in der Mitte des Monats

April 1842: (Erstver�ffentlichung in der Augsburger Allgemeinen Zeitung, in englisch

zitiert in dem und entnommen dem Aufsatz �1848, anti-Semitism, and the Mendelssohn

Reception� von Donald Mintz) anl�sslich einer religi�sen Prozession in dem Ort S�te

s�dlich von Montpellier:

 

Accordingly, the greatest artists in music as in painting have sought to decorate the

overhelming horrors of the Passion with as many flowers as possible and to ameliorate

the bloody seriousness with playfull tenderness � and this is what Rossini did, when he

composed his �Stabat Mater�. (...) I find the �Stabat � by Rossini more truly Christian

than �St. Paul�, the Oratorio by Felix Mendelssohn-Bartholdy that is praised by Rossinis

opponents as a model of Christianity. (...) I wish to civil about the christianity of the

aforementioned oratorio, because Felix Mendelssohn-Bartholdy is by birth a Jew. But I

cannot avoid indicating that at the age at wich Herr Mendelssohn adopted Christianity �

he was baptised in his thirteenth year � Rossini had already left it and had plunged into

the Secularity of the operatic world. (...) In the same series of concerts we heard the �St.

Paul� of Herr Felix Mendelssohn-Bartholdy, who by this propinquity drew our attention to

him and himself called forth the comparison with Rossini. In the view of the great public,

this comparison in no way come out to the advantage of our young countryman. It is as

if compared the Apennines with the Templower Hill in Berlin. (..)

 

Dabei behauptet Heine hartn�ckig, dass Felix Mendelssohn im 13. Lebensjahre

evangelisch getauft wurde. In Wahrheit fand die Taufe Felix Mendelssohns bereits im

Jahre 1816, also in einem Alter von 7 Jahren statt.

 

13

 

 


 

In der Zeitung �Lutetia�, im Anhang: Musikalische Saison von 1844 � Erster Bericht;

Paris, vom 25. April 1844 referiert Heine �ber Mendelssohns Stil und seine �sthetik,

spricht dem Komponisten aber die F�higkeit zu dramatischer Komposition und zu

musikalischer Ergriffenheit durch sein Wirken vollst�ndig ab. Dies Vorurteil sollte in

wenigen sp�teren Jahren wieder aufgegriffen und publiziert werden. Heinrich Heine

nimmt also eine Vorreiterfunktion der sp�ter um sich greifenden Mendelssohn-�chtung

an.

 

Es steht also in der �Lutetia, 1844�:

 

�Mendelssohn always offers us the occasion to consider the highest Problems of

aesthetics, that is, he always brings up the great question: What is the difference art and

falsehood? In the case of this master, we admire especially his great talent for forms, for

stylistics, his talent for making the most extraordinary his own, his charmingly beautiful

writing, his tenderly filing horns and his serious � I might almost say passionate �

indifference. If we look for a parallel phenomena in a sister art we shall find it in literature

and it is called Ludwig Tieck. This master too knew how to reproduce the most

advantageous qualities, whether in writing or declaiming, and he even understood how

to manufacture the naive; yet he never produced anything that moved the masses and

remained lively in their hearts. The more talented Mendelssohn would more likely

succeed in creating something lasting, but not on the territory where truth, in spite of his

most intense wishes never brought off a real dramatic contribution�.

 

In der Ausgabe der "Neuen Zeitung f�r Musik" ("NZfM") in Leipzig vom 1. M�rz 1846

agitierte die Meissner Schriftstellerin Louise Otto (1819-95) in einem Artikel namens

"Parteien -Cliquen" gegen den Gewandhausdirektor und Komponisten Felix

Mendelssohn. Ohne ihn namentlich zu nennen, stellte sie in anspielungsreicher

Beschreibung dessen umfangreiches lokales und �berregionales Musikengagement als

reaktion�re Egomanen-, Cliquen-und Adeptenwirtschaft dar. Obgleich sich Louise Otto

in der Attacke auf Felix Mendelssohn offenkundiger judenfeindlichen Attribute enthielt,

umriss sie beispielhaft einen zentralen Aspekt antisemitischen Demagogie. Es sollte

wenig sp�ter ganz unmittelbar zum Ausdruck kommen und bis in die rassenbiologisch

ausgepr�gte Rhetorik des Nationalsozialismus unver�ndert gebr�uchlich sein: der

vermeintliche Hang und die F�higkeit "des Juden", sich vermittels Cliquenwesens

Vorteile, Einfluss, Beherrschung und Vormacht gar in Kultur und Gesellschaft zu

verschaffen. In der "NZfM" behauptet Luise Otto also:

 

" (...) die einen halten eigensinnig fest an dem Bestehenden, und m�chten, da� immer

Alles so bliebe, wie es gerade ist -so stehen sie in der Mitte zwischen denen, welche

nur am Vergangenen sich erfreuen...und denen, welche das Dagewesene nur als

Grundlage wollen gelten lassen, darauf das Neue aufzubauen, dem die Zukunft geh�ren

soll. (...)

 

Da ist z. B. ein ber�hmter Componist, ein Kapellmeister, der organisiert sich aus den

Mitgliedern der Kapelle ein f�rmliches H�lfschor, um nicht nur seine Kompositionen,

sondern auch seinen Ruf und Namen hinausklingen zu lassen in alle Welt, und nur was

diesem Zwecke dient, darf von der Kapelle geschehen. (...)

 

Die j�ngeren Talente finden dann weder Anerkennung noch Ermunterung, es sei denn,

da� sie eifrige Bewunderer des Meisters sind und in seinen Fu�stapfen ihm nachtreten,

ohne sich je beikommen zu lassen, einen anderen Weg zu gehen (...)

 

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Untergeordneten Talenten bleibt vielleicht...gar nichts anderes �brig, als irgend einer

solchen machthabenden Pers�nlichkeit sich zu unterwerfen und nach deren Gutd�nken

sich brauchen zu lassen. Solche und �hnliche Vereinigungen sind Cliquen und keine

Parteien. (...)

 

Der somit als eigens�chtig und reaktion�r dargestellten "Clique" stellt die Autorin in der

Folge die Idealvereinigung einer "Partei" hochherzig Gleichgesinnter gegen�ber. In

eindeutiger Bezugnahme auf Mendelssohns Bem�hungen um nachhaltigen R�ckgewinn

des Bachschen Werkes umrei�t sie vorab die Entwicklung eines zielstrebig gesch�rten

"Parteienstreites". Dieser sollte wenige Jahre darauf zum Ausbruch kommen und die

deutsche Musikwelt bis zum Ausbruch des 1. Weltkrieges bewegen. Wie sich noch zu

zeigen wird, hatte die "Neue Zeitung f�r Musik" im Benehmen eines ma�geblich t�tigen

publizistischen Aggressors an den k�nftigen Geschehnissen erheblich Anteil und

bereitete demselben in Pamphleten wie diesem offenkundig die ideologische Grundlage.

 

Luise Otto f�hrt also des Weiteren aus:

 

"Diejenigen, welche dem neueren Zeitbewusstsein huldigen, welche an den Fortschritt,

an die nothwendige Weiterbildung der Kunst glauben, welche nicht in die Redensart der

Kurzsichtigen einstimmen, als sei Alles, was zu erreichen m�glich ist, erreicht durch die

grossen Leistungen der alten Meister(...)�

 

Alle diejenigen sollten sich durch festeres Zusammenhalten mit den Gleichgesinnten

sich gewisserma�en als Fortschrittspartei organisieren, "um so leichter der ungleich

st�rkeren Schar derer entgegenzutreten, welche von keinem Vorw�rts etwas wissen

wollen (...) Diese Leute, welche nie von der Stelle wegzubringen sind, (...) halten (...),

weil sie an gar kein Weitergehen denken, also auch keine verschiedenen Wege

einschlagen k�nnen, weit einm�thiger zusammen, als die Freunde des Fortschritts, da

es viele Wege gibt, welche weiterf�hren".

 

Im November des Jahres 1846 unterstellte das "Leipziger Tagblatt" Mendelssohn als

Urauff�hrungsdirigenten von Robert Schumanns 2. Symphony in einer anonym

verfassten Rezension diffuse �mosaische� Interessen. Er habe im Verlaufe des

Premierenkonzertes -dem begeisterten Dr�ngen des Publikums nachgebend -seine

fulminante Interpretation der vorangestellten Rossini-Ouvert�re "Wilhelm-Tell"

demonstrativ wiederholt, bestrebt, die Urauff�hrung des Werkes eines deutschen

Komponisten zu diskreditieren.

 

Der Anwurf verleugnet gezielt 2 wesentliche Umst�nde: die g�ngige zeitgen�ssische

Konzertpraxis: d. h. Wiederholung von Darbietungen auf Akklamation hin; des weiteren

die freundschaftlich kollegiale Beziehung zwischen Schumann und Mendelssohn.

 

Wenige Abhandlungen Schumanns/ Mendelssohns erw�hnen diese anonym

ver�ffentlichte, mit antisemitischem Affekt aufgeladene Rezension im Leipziger

Tagblatt. Er findet sich mehr oder weniger ausf�hrlich dargestellt lediglich bei Eric

Werner, Walter Dahms und dem neuen Clara & Robert Schumann-Buch von Wolfgang

Held.

 

Die Zielgenauigkeit solcherart Infamie, beweist die heftige Erregtheit Mendelssohns in

Kenntnisnahme des Anwurfs. Er verweigerte inst�ndig die musikalische Leitung der B-

Premiere des Werkes und k�nftig jedweder Auff�hrung einer Schumann-Komposition.

 

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Nur dem g�tlichen Einwirken C�cile Mendelssohns und der als Gast im Hause

Mendelssohn weilenden Clara Schumann war es geschuldet, da� das B-Konzert am

16.11.1846 planm��ig durchgef�hrt wurde.

 

Genannter Anwurf bezeugt vielmehr nachhaltigen publizistischen Einfluss

Jungdeutscher Aktivisten im Vorfeld der Revolution von 1848. Studentische

M�nnerb�nde als ma�gebliche Tr�ger des Revolutionsgedanken, geschult an Fichte,

von Hetzschriften Constantin Frantz und des Turnvaters Friedrich Ludwig Jahn

angeleitet, formierten das Nationalideal zunehmend in fanatischer Abgrenzung allem

vermeintlich undeutschem Einfluss gegen�ber. Aber nicht die Pr�senz europ�ischer

Nachbarstaaten, des romanischen oder slawischen Kulturraums etwa stand im Zentrum

�germanomanischen� Eifers: er konzentrierte sich auf das vermeidlich Fremde im

eigenen Lande: den Juden.

 

Hochrangige Pers�nlichkeiten des �ffentliche Lebens � exemplarisch f�r das

Hardenbergsche Ideal vollendeter staatsb�rgerlicher Judenemanzipation stehend �

gezielt als �mosaisch� herabzusetzen, galt demnach als das nationale Gebot.

 

Im Todesjahr Felix Mendelssohns beschwor der Literat Heinrich Laube in einer von

Konkurrenzneid motivierten Polemik gegen Giacomo Meyerbeer und dessen

vermeintliche �Berliner Juden-und Cliquenwirtschaft� eine Gefahr kultureller

��berjudung� Deutschlands herauf. Im Vorwort der Erstauflage seines auf der B�hne

erfolglos gebliebenen Dramas "Struensee" argumentierte er folgenderma�en:

 

"Ein fremdes Element dringt neuerer Zeit �berall in unsere Bahnen, auch in die der

Literatur. Dies ist das j�dische Element. Ich nenne es mit Betonung ein fremdes; denn

die Juden sind eine von uns total verschiedene orientalische Nation heute noch, wie sie

es vor zweitausend Jahren waren (...). Ein solches Etwas des fremden Judentums liegt

hier vor und schiebt sich zudringlich in die deutsche literarische Welt, wie denn jeder

Schriftsteller (...) mit Leichtigkeit (...) nachweisen k�nnte und (...) nachweisen sollte,

da(�) der �berdrang des j�dischen Moments bedenklich wird f�r unsere nationalen

Eigenschaften. Dies Etwas ist hier eine bereits tief verzweigte Maxime des Berliner

Judentums (...) aus diesem Elemente des (...) Berliner Judentums im Besonderen

stammt die Taktik Herrn Meyerbeers.�

 

Die Parallelen zu der wenige Jahre sp�ter einsetzenden Debatte um eine

vermeintliche semitische Dominanz Mendelssohnscher und Meyerbeerscher

Kompositionen innerhalb der deutschen Musik sind un�bersehbar. Der Zeitgeist

zunehmender Propaganda nachhaltiger Entfernung �semitischer Elaborate� aus dem

kulturellen Kontext, der Bereinigung desselben vom Fremdelement wohnt den Worten

Laubes exemplarisch inne.

 

Intermezzo I: La� ihm auch den irdischen Lohn werden!

 

Wenige Stunden vor Mendelssohns Tod, schrieb Ignaz Moscheles am Morgen des 4.

November 1847 im Hause Mendelssohn folgende Zeilen und l�sst uns somit an einem

meditativen Moment intimster, gleichwohl vergeblicher Betrachtungen teilnehmen:

 

"Dir, o Sch�pfer, ist es bewusst, warum Du in dieser Seele des Gem�ts angeh�uft hast,

die die zarte H�lle seines K�rpers nur eine beschr�nkte Zeit zu tragen f�hig ist (...). Kann

unser Flehen nicht diesen Menschen uns erhalten? - Dein Werk ist vollbracht. (...)

 

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-Keiner ist Dir n�her gekommen als er, f�r dessen Dasein wir zittern. -La� ihm auch

den irdischen Lohn werden! La� ihn die Liebe zu seiner Lebensgef�hrtin, die

Entwicklung seiner Kinder, die Bande der Freundschaft, die Verehrung der Welt

genie�en!"

 

3. Der gr��te, lebende Komponist

Die New York Tribune vermeldete am 13. Dezember 1847 der musikinteressierten

�ffentlichkeit: "Am 4. November verschied Dr. Felix Mendelssohn Bartholdy � der

gr��te lebende Komponist � in seinem 38. Lebensjahr; (...) Dieser vorzeitige Tod, der

f�r die ganze musikalische Welt ein nicht wieder gut zu machender Verlust ist, wurde

durch eine Gehirnerkrankung verursacht und ohne Zweifel durch schwere geistige

Arbeit herbeigef�hrt. Seit 1835 lebte er in Leipzig, wo er (...) ein so lebhaftes und

vornehmes Verhalten in sich vereinigte, da� er die Herzen aller gewann... Wahrlich � in

ihm war ein hervorragender Geist...�

 

In jenen Zeiten war der Telegraph gerade erst erfunden, beschr�nkte sich dessen

Anwendung noch auf Kurzstreckenverbindungen von Landeshauptst�dten.

Interkontinentale Informationen konnten also ausschlie�lich auf dem Seewege

weitervermittelt werden; so nahm der Postweg London � Neu Delhi noch 30 Tage in

Anspruch. Somit zeugt die Ver�ffentlichung eines Nachrufes auf Felix Mendelssohn

Bartholdy in einem f�hrenden amerikanischen Presseorgan, nur 5 Wochen nach dessen

Tode ver�ffentlicht, von der grossen Wertsch�tzung des Genannten auch in den

St�dten der Neuen Welt.

 

Eigent�mlich im Vergleich dazu bzw. geradezu medioker nahmen sich die Umst�nde

aus, unter welchen die �Neue Zeitung f�r Musik� ihre Leserschaft vom Tode des

Komponisten in Kenntnis setzte. Im Jahre 1835 von der Davidsb�ndlerschaft Robert

Schumanns in Leipzig gegr�ndet, hatte sich diese �ber das Ausscheiden des Initiators

aus der Redaktion hinaus, zu einem f�hrenden Organ des deutschen Musiklebens

entwickelt.

 

Die �NZFM� erschien aktualit�tsnah etwa alle 4 Tage und wurde den deutschlandweit

zeichnenden Abonnenten �ber �rtliche Buchh�ndler zugestellt. Obwohl �rtlich

unmittelbar pr�sent, schwieg sich das Musikorgan �ber 2 Nummern � die Ausgaben Nr.

38 vom 8.11.1847 und 39 vom 11.11.1847 -hinweg �ber den Verlust eines

hochrangigen zeitgen�ssischen Tonsch�pfers aus. Erst 11 Tage sp�ter, nunmehr in der

Ausgabe Nr. 40 vom 15.11.1847 vermeldete die �NZFM� den Tod Mendelssohn

Bartholdys unter Vermischtes.

 

Der etwa 1-sp�ltige Artikel wird mit der lakonischen Verweis eingeleitet, da� ja: �der

grosse Verlust, den Leipzig und die Tonkunst der Gegenwart betroffen hat, (...) schon

allgemein bekannt geworden� sei. Ohne sich -in welcher Weise auch immer -�sthetisch

wertend auf das Lebenswerk des Verstorbenen einzulassen, ersch�pft sich die Meldung

in penibel vorgenommener Darstellung der Todesumst�nde und des

Leichenbeg�ngnisses. Offenkundig am Gegenstande desinteressiert klingt der Artikel

folgenderma�en aus: Was die Kunst an ihm verloren, das brauchen wir hier, die wir ihm

stets mit wahrhaftem Interesse gefolgt sind, nicht auseinanderzusetzen.�

 

Ernst Kossacks Nachruf auf Mendelssohn � erschienen in der Neuen Berliner

Musikzeitung 1/45 (1847) listet befremdlicherweise die "Sommernachtstraum -Musik",

die B�hnenmusik f�r Antigone, und die Oratorien Paulus und Elias als Mendelssohns

bedeutsamste Werke auf.

 

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Dese Listung als Vorrangigste Meisterwerke des Komponisten tr�gt der Bedeutung als

notwendige Gebrauchswerke jener tage Rechnung. Die beiden Schauspielmusiken

exklusive der "Sommernachtstraum"-Ouverture entstanden gar auf Bestellung also im

Auftrag des k�niglichen Preussischen Hofes. (Mendelssohns B�hnenmusiken und

Oratorien waren zu jener zeit bei B�hnen und den zahllosen Liebhaberch�ren der

Liedertafeln sehr begehrt. Das Publikum in der Mitte des 19. Jahrhunderts indes

betrachtete die Oper als h�chste musikalische Kunstform. Kossack bezieht sich auf jene

Tatsache, indem er bedauernd schreibt, dass Mendelssohn nur gerade an seinem

Lebensende in der �h�chsten Kunstform, der grossen tragischen Oper� begonnen habe

zu wirken.

 

In den Nummern 45, 47 und 49 des Bandes 27 der �Neuen Zeitschrift f�r Musik� aus

Leipzig vom Dezember des Jahres 1847 ver�bte Dr. Eduard Kr�ger einen

publizistischen Anschlag auf Mendelssohns Oratorium �Elias� (Der Herausgeber des

Organs, Franz Brendel sah sich dabei gen�tigt, anh�nglich sein bedauern dar�ber zum

Ausdruck zu bringen, dass jene Attacken so nahe am Tode des Komponisten gef�hrt

wurden.) Kr�ger setzt sich dabei verbissen mit der origin�r-kritisch einhergehenden

Spekulation dar�ber auseinander, dass das Libretto indifferent in der dramaturgischen

Entwicklung sei Des Weiteren gibt der Publizist seine Behauptung zu bedenken, dass

die musikalische Charakterisierung es nicht erm�gliche, zu erkennen, ob man jeweils

einem Engel, Propheten, K�nig, einer K�nigin, Witwe, einem Baals-Chor oder einem

Fischer Geh�r schenkt.

 

Wenige Monate nach Mendelssohns Tode bereits nahm die Wertsch�tzung des

Komponisten unter den musikalisch gebildeten B�rgern Leipzigs rapide ab, schwand der

�ffentliche Zuspruch an Darbietungen seiner Musik im Gewandhause nachweislich.

 

Am 3. Februar 1848, zur Wiederkehr von Mendelssohns 39. Geburtstage, fand

daselbst � nunmehr unter Gades Leitung -die Leipziger Erstauff�hrung von

Mendelssohns letztem grossen vollendeten Vokalwerk, des Oratoriums "Elias" statt. In

Birmingham erlebte das Werk am 26. August 1846 die Urauff�hrung unter begeisterter

Anteilnahme von 2000 Zuh�rern. Anders als in Ged�chtniskonzerten des Werkes,

welche dem Gewandhausmemorial zeitgleich unter w�rdigeren Bedingungen in Berlin

stattfanden, stie� das Werk in der s�chsischen Musikstadt auf vergleichsweise wenig

Interesse und Verst�ndnis. Die �rtliche Presse, ja bereits mehrfach im Benehmen

hervorgetreten, eine Abkehr �ffentlicher Wertsch�tzung Mendelssohns herbeizuf�hren,

nahm den Vorgang sogleich als Best�tigung einer publizistisch konstatierter

�bersch�tzung und folgerichtiger allgemeiner Abkehr des Publikums vom ehemaligen

musikalischen Idol auf. Mendelssohns Freund, Weggenosse und Nachfolger in

Konservatoriumsdiensten, der Komponist Ignaz Moscheles berichtet dar�ber:

 

"Das Konzert, zum Besten des Pensionsfonds gegeben, konnte sich

unbegreiflicherweise nur eines zwei Drittel gef�llten Saales r�hmen, die ehrfurchtsvolle

Stille, mit der das Werk aufgenommen wurde, lie� einige Bl�tter behaupten, das

Publikum sei nicht davon ergriffen gewesen. Die ganze Sache rief bei uns und einigen

Gleichgesinnten viel Entr�stung hervor".

 

Es ist schwer, die Ursachen des rapid vonstattengehenden, noch zu anderer

Gelegenheit ersichtlichen Desinteresses der Leipziger Bildungsb�rgerschaft zu

r�sonieren, ohne gleichsam in Spekulation zu verfallen. Immerhin erwies dieselbe dem

Verstorbenen gerade 3 Monate zuvor beim Hochamt und Leichenzug noch zu

tausenden posthume Reverenz.

 

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Hatte der zunehmend aggressive Stil, welchen die �NZFM� im Bestreben dezidierter

Propaganda musikalischer Avantgarde an den Tag legte, das unter den Musikfreunden

Leipzigs vorherrschende Klima mittlerweile vollst�ndig zugunsten aktueller deutscher

Komponisten wie Schumann, Liszt und Wagner beeinflusst?

 

Diese wirkten seinerzeit ja alle dominant in einem, von den Musikzentren Dresden,

Leipzig und Weimar gebildeten, s�chsischen Kulturgrossraum.

 

Angemerkt sei, da�, unausgesetzter pers�nlicher Bewunderung Mendelssohns durch

Schumann zum Trotze, in Mendelssohns letzten Lebensjahre die Beziehungen

zwischen den genannten, mehr noch: zwischen deren Anh�ngerschaften von

�Mendelssohnianern� und �Schumannianern� merklich abk�hlten. Irritationen unter den

�Schumannianern�, welche um die Urauff�hrung der 2 C-Dur Symphonie herum

entstanden, teilweise von der Presse gezielt lanciert wurde, konnten durch den Einsatz

Clara Schumanns und Cecile Mendelssohns ja noch bereinigt werden. Mendelssohn

wiederum erkl�rte ein halbes Jahr sp�ter unmissverst�ndlich im Freundeskreis, da� er,

verbittert �ber nicht n�her �berlieferte, unertr�gliche, abf�llige Bemerkungen des

Kollegen, mit Schumann und seiner Musik endg�ltig nichts mehr zu schaffen haben

w�nsche.

 

Hans von B�low, von ihm an anderer Stelle mehr, kam im Jahre 1851 in dem Essay

"Das musikalische Leipzig in seinem Verhalten zu Richard Wagner" im R�ckblick auf die

Wesensarten kulturellen Leipziger Lebens der sp�ten 40ziger Jahre denn auch zu

folgendem unr�hmlichen Ergebnis:

 

"Das musikalische Leipzig hatte sich indessen nach Mendelssohns Tode in

verschiedene Fraktionen gespalten. Schumann ward der Abgott der Einen und bestieg

den durch seines Vorg�ngers Tod erledigten Thron. Wir sind weit entfernt, dies nicht in

der Ordnung zu finden,; doch wurde diese Erhebung von einer mindestens sehr

�berfl�ssigen Herabsetzung der Verdienste Mendelssohns begleitet., welche dem

Leipziger Lokalpatriotismus , der wie schon den periodisch Abwesenden (wir erinnern

an Gade) , in noch h�herem Grade den auf immer Entfernten, den Todten, Unrecht

gibt."

 

Die im M�rz des Jahres 1848 ausbrechenden Revolutionsunruhen bedingten m�glicherweise

die Abkehr eines Gro�teils bildungsb�rgerlicher Bev�lkerungsschichten von

�berkommenem und deren Zuwendung zu radikalen Positionen auch in den K�nsten.

 

4. Antisemitismus

Die unmittelbaren Revolutionsjahre 1848/49 brachten erneut judenfeindliche Exzesse

hervor, welche von nahezu allen ins Revolutionsgeschehen eingebundenen

Gesellschaftsschichten ausgingen. So sind Pl�nderungen, Misshandlungen,

Enteignungen und Erpressungen aus den Deutschlanden Baden, Bayern, Hessen,

W�rttemberg, Schlesien und Westpreu�en sowie den St�dten Berlin, K�ln und Wien

dokumentiert.

 

Ungeachtet des jeweiligen Standpunktes, wurden die Juden als verantwortlich f�r den

Ausbruch der Unruhen, die gesellschaftlichen Umw�lzungen, das Gedeihen oder

Scheitern von Revolution und Demokratie betrachtet. Die Progressive beschuldigte die

Juden, als Gro�b�rger und Finanziers das Feudalsystem zu unterst�tzen oder als

Polizeiagenten und �spitzel einer Rothschildschen Weltverschw�rung zuzuarbeiten.

 

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Die Konservative wiederum sah die Revolution als Werk �rothe(r) j�dische(r) W�hlerei�

und der �Judenverschw�rung� an. Das Kleinb�rgertum und die Landst�nde sahen die

Juden hingegen als revolution�re F�rderer und Urheber, bestrebt, der gemeinhin

verha�ten staatsb�rgerlichen Judenemanzipation endg�ltig zum Durchbruch zu

verhelfen. Das publizistische Zentrum des revolution�ren Antisemitismus befand sich in

den St�dten Wien und Berlin. W�hrend die Agitatoren der in Berlin publizierten

judenfeindlichen Pamphlete einen vergleichsweise gem��igten Ton anschlugen, gaben

sich die Publizisten Wiens zunehmend einschl�gigen rhetorischen Vernichtungsorgien

hin.

 

Der Korrespondent Paul Eduard M�ller-Tellering gelobte in der Brosch�re: "Freiheit

und Juden", sich �wie jeder Volks-und Freiheitsmann� �ber die �Mittel� und den �Zweck

(...) Vernichtung des Judentums � in �sterreich (...) ohne Sch�deleinschlagen� zu

bedenken und gemahnte des revolution�ren Auftrags, das Deutschlands Freiheit nicht

nur den Sturz der 34 Throne�, sondern vielmehr die Beseitigung des Judentums

voraussetzte, denn: �die Tyrannei steckt im Gelde und das Geld geh�rt den Juden".

 

Flugbl�tter, wie jenes nachfolgend zitierte anonym publizierte oder letzteres von

�Schmidt� autorisierte, suchten im Wien des Jahres 1848 hingegen, unmittelbaren

�Volkszorn gegen die Juden� zu entfesseln. Der Anonymus prophezeite in "Die Juden,

wie sie waren, sind � und bleiben werden":

 

�Judenblut wird in Str�men flie�en� und verdeutlichte somit den potentiellen Opfern,

da� ihre Hoffnung hinsichtlich �v�lliger Gleichstellung der Confessionen� auf

�Jahrhunderte weit hinaus ger�ckt werden� w�rde.

 

�Schmidt� indessen verstieg sich in der �Bittschrift� unverhohlen zu

Genozidvorstellungen: "Wenn das Christenvolk kein Christenthum und kein Geld mehr

hat", und beides durch eure unabl�ssige Bem�hung so gekommen ist, dann, ihr Juden!

lasst euch eiserne Sch�del machen, mit den "beinernen" werdet ihr die Geschichte nicht

�berleben!�

 

Das erste demokratisch konstituierte Parlament Deutschlands, welches in den Jahren

1848/49 in der Paulskirche in Frankfurt am Main zusammentrat, sah erkl�rte

Antisemiten wie den fanatischen M�nnerb�ndler und Chauvinisten Friedrich Ludwig

Jahn in den Reihen der Abgeordneten.

 

5. Das Judenthum in der Musik

Im Januar 1850 erkannte auch die musikalische Rezension Mendelssohns erstmals

dezidiert auf einen vermeintlich semitischen Aspekt in dessen Musik. Dr. Eduard Kr�ger

bem�ngelte in der "Neuen Berliner Musikzeitung" (NBMZ) in seiner Beurteilung der

aktuell herausgegebenen Drei Psalmen Op. 78, Nr. 6 posthum �sangreiche(n)

Weiberstimmen" welche in Mendelssohns Vokalwerk "rabbinisch belehrend unisonieren"

bzw. eine "in allen M�schen Werken wie eine Phrase hindurchziehende stumpfe

Rhythmik, die unwiderstehlich an die Naivit�t rabbinischer Rezitation erinnert" (�NBMZ�

 

v. 2.1.1850). Der zeitgen�ssisch-musikalischen Resonanz der Psalmen und Oratorien

biblischen Charakters Mendelssohns ungeachtet, spricht Kr�ger des Weiteren dem

Komponisten die Berechtigung zu sakralem Schaffen generell ab. Die pauschale

Herabsetzung der Kirchenmusik Mendelssohns ging Meinungen zahlreicher

Musikpublizisten jener Tage konform.

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Diese erregten sich u. a. bereits �ber die �Judaisierung� christlichen Kulturgutes oder die

Dreistigkeit der Autorisierung einer Reformationssymphony durch den Enkel des

urspr�nglich ja Mausche-ni Dessau gerufenen Moses Mendelssohn.

 

Am 5. Februar des gleichen Jahres erschien in der �NZfM� der erste Beitrag polemischer

Auseinandersetzungen um Werk und musikalische �sthetik des bedeutenden

zeitgen�ssischen Opernkomponisten Giacomo Meyerbeer. F�r die Artikel, insgesamt

den neuesten grossen B�hnenerfolg des Komponisten "Der Prophet" thematisierend,

zeichnete stets der Musiker und Publizist Theodor Uhlig verantwortlich.

 

Hervorstechendstes Merkmal der partiell in Rezensionsform vorgebrachten Pamphlete

ist eine Begrifflichkeit, welche wenig darauf den Basiswortschatz jener, das Werk Felix

Mendelssohns als spezifisch j�disch und somit pauschal wertloses Musikschaffen,

indizierenden Publizistik darstellte.

 

In dem genannten Beitrag "Der Prophet von Meyerbeer" verweist Uhlig in

mehrdeutigen Worten auf m�gliche Ursachen vermeintlicher rhythmischer und

harmonischer "Eigenth�mlichkeiten" in der Opernpartitur, deren "Ursache" er weder

offen zu legen noch anhand des vorgegebenen Material musikdramaturgisch zu

verdeutlichen bereit ist.

 

"(...) Der Marsch n�mlich, der sich sonst - wie sich von selbst versteht -in der sch�nsten

Symmetrie 4-und 2-tactiger Rhythmen fortbewegt, beginnt mit folgendem F�nfer: (es

folgt ein 5-taktiges Notenbeispiel vom Beginn des "Kr�nungsmarsches")

 

Der Demonstration eines Casus Lapsus folgt lediglich der Verweis auf eine kryptisch

anmutende Urs�chlichkeit absonderlicher Meyerbeerscher Tonsprache:

 

"Ohne sich in eigene Untersuchungen �ber eine Erscheinung einzulassen, die wie

jede andere Ungew�hnlichkeit bei Meyerbeer zuverl�ssig eine tiefe Bedeutung hat,

glaubte der Beurtheiler den Nachahmern des alleinseligmachenden Operncomponisten

das vorliegende rhythmische R�tsel mit der nahe liegenden Aufforderung zur L�sung

nicht vorenthalten zu d�rfen."

 

F�r sich genommen k�nnte das Beispiel als ironische Abstrafung angemuteter Wirrheit

im musikalischen Entwurf eines missliebigen Zeitgenossen gelten. Im Zusammenhang

mit den Folgeartikeln und �hnlichen, einmal mehr, einmal weniger zweideutig

vorgebrachten Charakterisierungen besehen, erschlie�t sich angesichts von Begriffen

wie "tiefer Bedeutung", "R�tsel" und "L�sung" die Perfidit�t sublim vorgenommener

antisemitisch-dramaturgischer Steigerung in der publizistischen Inszenierung eines

fatalen Niederganges der Musik j�discher Komponisten.

 

Im weiteren Verlaufe des Artikels verlagert sich das demonstrativ ge�u�erte Unbehagen

eines deutschen Rezensenten an der Musik Meyerbeers immer offenkundiger auf eine

Schiene amusikalischer Mediokrit�t. So mit dem omin�s vorgebrachten Hinweis auf eine

"nat�rliche Erkl�rung" des monierten Sachverhaltes.

 

Im weiteren Verlaufe dieser Serie von Polemiken gegen Meyerbeers �Le Prophete�

verdichtete Uhlig in der �NZFM� sein Ressentiment gegen das Werk auf ein als das

zentrale Problem anzusehende Argument von � Gesangsweisen.� welche �(...) einem

guten Christen im besten Falle gesucht, �bertrieben, unnat�rlich raffiniert erscheinen�

und erkannte auf eine �(...) mit solchen Mitteln betriebenen Propaganda des

hebr�ischen Kunstgeschmacks�.

 

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Er pauschalisiert des Weiteren hinsichtlich � (...) der Musik vieler j�discher Komponisten�

welche �alle nichtj�dischen Musiker (...) mit Bezugnahme auf die allgemein bekannte

j�dische Sprechweise (...) als ein Gemauschele� empfinden.

 

Hans von B�low, in sp�teren Jahren ein Dirigent von Weltruf, begann den von

gravierenden Wechselwirkungen gezeichneten k�nstlerischen Lebensweg als

jugendlicher Musikrezensent Berliner und Leipziger Publikationen.

 

Nicht von ungef�hr sekundierte er im gleichen Monat in der Berliner �Abendpost,

democratische Zeitung� den Bestrebungen Kr�gers und Uhligs. Er �bertraf dieselben

noch in einem signifikanten Akt entschiedenen vorgenommener publizistischer

Demontage des Komponisten Felix Mendelssohn .

 

In der Besprechung der �Zweiten Symphonischen Soiree der k�nigl. Kapelle im Saale

der Singakademie� vom 23. Februar 1850 ist also anl�sslich einer Darbietung der ADur-

Symphony zu lesen:

 

�Man hat Mendelssohn in seinem Leben �bersch�tzt; keinem K�nstler ist je alles so

von Statten gegangen; keiner hat je bei seinen Lebzeiten so viel Zeichen der Verehrung

und des Enthusiasmusses von allen Seiten erhalten (...) und er hat seinen Namen

(Felix) im Superlativ getragen.

 

(...) Mendelssohn war kein Mann der Zukunft, er schuf f�r seine Zeit, f�r die Gegenwart;

(...) (er) hat nie dem herrschenden Modegeschmack Concessionen gemacht, er hat ihn

sogar gel�utert und erhoben.

 

Mendelssohn war aber kein Genie, sondern nur ein au�erordentliches Talent, dem

Geschick und scharfer, praktischer Verstand, welches beides den Leuten seines

Stammes in hohem Grade eigen ist, bedeutend zu H�lfe kamen. Der Unterschied

zwischen Talent und Genie liegt (...) darin, da� (...) Talent stets bei seinem Auftreten

mehr Beifall und wirkliche Sympathie antreffen (wird), als das Genie, das zuweilen

abst��t und befremdet. (...)

 

Daf�r ist aber dem Genie auch die Unsterblichkeit, d. h. die Popularit�t gewiss. Doch

diese Entwicklung w�rde uns zu weit f�hren, und wir wollen nur noch bemerken, da� die

genannte Symphonie von Mendelssohn (...) weniger Anklang im Publikum zu finden

vermochte, als wir ihr gew�nscht h�tten (...); im letzten Satze ist jenes neckische,

elfenhafte Element vorherrschend, in welchem die haupts�chlichste Originalit�t

Mendelssohns besteht."

 

Von B�low komprimiert somit zweifelsohne kursierende zeitgen�ssische Vorurteile

gegen Erfolgsautoren, Privilegierte und Erfolgsjuden erstmalig zu einem analytisch

pr�zise umrissenen Bild des zur Kunst letztlich unberufenen, sich die Kunst lediglich

vermittels diverser biographisch bedingter Privilegien anma�enden Compositeurs.

 

Er legt gleichsam in Teilen den Katalog einschl�giger, stereotyp referierter

Subjektivismen einer, in der Musikgeschichte wohl einzigartig bestehenden, rein

biografisch hergeleiteten, rhetorischen Zersetzung der Substanz und Intention von

Musik, der Musik Felix Mendelssohns vor. Weitere Publikationen, welche den Katalog

entwertender Mendelssohn-Invektiven abrundeten und vervollkommneten sollten

zeitnah folgen.

 

Da dieser Katalog sich �ber 150 Jahre hinweg bis in unsere Zeit hinein als wirksam

erweisen und in Publikationen j�ngeren, stellenweise j�ngsten Datums ihren

Niederschlag finden, seien hier die wesentlichen Stereotypen zusammengefasst:

 

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Felix = Gl�ck; lebenslanger Erfolg, einziger Siegeszug, lebenslange Sorgenlosigkeit,

grosser Reichtum des Vaters, famili�re Geborgenheit, allseits geliebt, Jude, musikalisch

empfindungslos und artfremd, Gl�tte, K�lte, perfektionistische Formelhaftigkeit,

mangelnde Dramatik und Verweichlichung, Sentimentalit�t in der Musik.

 

Das die Polemik Uhligs in der �NZfM� gegen eine vermeintlich vorherrschende

�musikalische Judenschule� und �Judenmusik� von Anbeginn auch eine Relativierung

der Musik Felix Mendelssohns intendierte, offenbarte sich wenig sp�ter. Uhlig

konstatierte, das das semitisch-musikalische Idiom sich durchaus in unterschiedlicher

Intensit�t artikuliere, �je nachdem in dieser Musik hier der Charakter des Edlen, dort des

Gemeinen �berwiegt� oder �Eigent�mlichkeiten (...) der metrischen Gestaltung, (...) in

einzelnen melodischen Tonf�llen der musikalischen Phrase (...) hier nur ganz wenig,

dort ganz auffallend (...), bei Mendelssohn sehr gelind, bei Meyerbeer dagegen in

h�chster Sch�rfe, namentlich in seinen Hugenotten, nicht minder auch in seinem

Propheten� zum Tragen k�men.

 

Die Rezension schliesst mit dem Verweis: �...Ebenso wenig wie die Ihnen analogen

Sprechweisen (...) diese Tonweisen sch�n oder nur ertr�glich da finden zu k�nnen, wo

sie (...) ganz unmittelbar an das erinnern, was ich nicht anders, denn als �Judenschule�

zu bezeichnen weiss.�

 

Uhlig lie� es nicht dabei bewenden, Felix Mendelssohn lediglich im Anhang einer

Diffamierung Giacomo Meyerbeers pauschal herabzusetzen. In einer Rezension der im

Jahre 1843 in Berlin uraufgef�hrten �Sommernachtstraum�-Schauspielmusik stellt er

bereits die dramatische Wirksamkeit und musikalische Qualit�t des Werkes dezidiert in

Frage: �(Mendelssohn) mutet dem Zuh�rer nicht zu, aus einer Dichtung die

Hauptwesenheiten herauszulesen...Als Mendelssohn die �brige Musik zum

Sommernachtstraum noch nicht geschrieben hatte, wussten die kunstverst�ndigen

Leute blo� f�r das eine Tonbild der Ouvert�re die allerdings nahe liegende Erkl�rung

aufzufinden und gaben die Musik desselben f�r �Elfengefl�ster aus. Der Komponist hat

diese Annahme sp�ter sanktioniert, zugleich aber auch gezeigt, was alles er in diesem

Tonst�cke gewollt und � nicht gekonnt hat...� (Th. Uhlig, Musikalische Schriften,

Regensburg 1913; da der Autor bereits im Jahre 1853 im Alter von nur 30 Jahren an

einer Lungenentz�ndung verstarb, handelt es sich wahrscheinlich um eine

zeitgen�ssisch liegende Rezension der Schauspielmusik).

 

Die Autoren Dr. Eduard Kr�ger, Theodor Uhlig und Hans von B�low bet�tigten sich

neben der Erf�llung ihrer publizistischen Verpflichtungen in Berlin und Dresden in den

Jahren 1850ff auch ma�geblich als Polemiker in der �NzfM� in Leipzig. Sie zeigten sich

somit dem Umkreis der Weimarer Liszt-�Schule� und den daraus erwachsenden

Fanatismen zugeh�rig. Dies l�sst folgende Vermutung als legitim erscheinen: Die

Publikation aggressiv oder verhalten antisemitisch agitierender Texte, zum Auftakt einer

Pressekampagne gegen herausragende zeitgen�ssische Komponisten nahezu

zeitgleich in mehreren St�dten und Presseorganen erfolgend, war wom�glich das

Ergebnis einer konzertierten, auf Absprachen beruhenden Aktion.

 

Die Kampagne der �NZfM� gipfelte im September des Jahres 1850 schliesslich in der

Ver�ffentlichung eines halbwissenschaftlich aufbereiteten Aufsatzes, welcher die

bislang vereinzelt ausgestreuten Polemiken unter der Losung "Das Judenthum in der

Musik" zusammenfasste.

 

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Der Name Karl Freigedank unterzeichnete diesen, der Name eines der damaligen�ffentlichkeit bislang v�llig unbekannten Autors freilich. Im Jahre 1869 sollte er sich als

Pseudonym eines aufstrebenden Musikers erweisen, welcher seinerzeit m�glichem

Imageverlust vorzubeugen beabsichtigte.

 

Das Pamphlet verbreitet u. a. folgende Thesen:

 

1. Alle Kunst hat ihre besten und st�rksten Wurzeln im Volkstum; die k�nstlerische

Leistung ist abh�ngig von der v�lkischen Verbundenheit des K�nstlers.

2. Im Bem�hen, sich in der harten, zischenden Sprechweise seines Volkes des Idioms

deutscher Sprache zu bedienen, k�nne der Jude als Fremder lediglich Absto�endes

und L�cherliches hervorbringen. Vollends unertr�glich sei der Versuch im

Gesangsvortrag deutscher Sprache durch einen Juden. Der Artikulation im Idiom der

Landessprache nicht bef�higt, habe sich der Jude somit der Frage zu stellen, ob er in

diesem Lande �berhaupt kunstberechtigt sei.

3. Der Jude sei von unangenehm fremdartiger Erscheinung und erf�lle daher den

Europ�er mit instinktivem Widerwillen gegen das j�dische Wesen. Daher habe sich der

Jude, als Individuum sowie allgemeinhin seiner Gattung nach, als Objekt k�nstlerischer

Darstellung in Malerei, der Musik und auf der B�hne von jeher als ungeeignet erwiesen.

Wer es aber innerhalb der deutschen Kunst niemals zu objektiver Relevanz gebracht

habe; also der k�nstlerischen Darstellung enthoben blieb, dem k�nne man

diesbez�glich auch keine subjektive Einbindung zugestehen; ist also zu kompetenter

k�nstlerischer Bet�tigung nicht bef�higt.

 

4. Der Jude suche sich vermittels Imitation in Kleidung, Bildung und Sprache der

abendl�ndischen Kultur zu amalgamieren. Der wahren Identit�t dennoch stets

eingedenk, sei er somit von der nationalen Beseligung des Gastlandes ausgeschlossen.

Daher seien ihm die Menschen des Gastlandes, auch im Versuch k�nstlerischer

Artikulation, emotional nicht erreichbar. Der R�ckschluss auf formal perfekte, aber von

seelischer K�lte erf�llte Kopien der Muster nationaler Vorbilder l�ge somit auf der Hand.

5. Der Jude habe niemals autonom Kunst betrieben, daher st�nde dem j�dischen

Tonsetzer einzig das Idiom synagogaler Vokalisen zu Gebote. Dies habe sich

urspr�nglichen Adels, Reinheit und Erhabenheit l�ngst enthoben und sei auf den

Zeitgenossen nurmehr in allerwiderw�rtigster Tr�bung �berkommen. Daher bediene

sich der Jude bevorzugt jener Elemente musikalischer Diaspora, welche er dem

vertrauten Synagogenton missverst�ndlich als verwandt erachte. Sich von jeher im

Oberfl�chenbereich abendl�ndischer Musik bewegend, zur Unkenntnis innerster

Beseligung des deutschen Kunstwesens nahezu verdammt, n�hme der Jude gewissegef�lligste �u�erlichkeiten der Musik als deren Wesen hin und versuche sich nunmehr

in vollendeter Kopie funkelnder �u�erlichkeiten des Originals. Die musikalischen

Reproduktionen aus der Hand des j�dischen Tonsetzers erschienen dem

abendl�ndischen H�rer zweifelsohne fremdartig, kalt, gleichg�ltig, unnat�rlich und

verdreht.

Der Autor belie� es nat�rlich nicht bei allgemeingefasster Darstellung des

heraufbeschworenen j�disch-musikalischen Dilemmas.

 

24

 

 


 

Er beflei�igt sich vielmehr, es am konkreten, fassbaren, nahe liegenden �Objekt� zu

veranschaulichen. Daher lesen wir am Ende des Traktates vom �Judenthum in der

Musik" eine Einsch�tzung von Person und Musik Felix Mendelssohns, welche sich als

folgenschwer herausstellen sollte.

 

Hier im Wortlaut: �An welcher Erscheinung wird uns dies alles klarer, ja an welcher

konnten wir es einzig fast inne werden, als an den Werken eines Musikers j�discher

Abkunft, der von der Natur mit einer spezifischen musikalischen Begabung ausgestattet

war, wie nur wenige Musiker (...) vor ihm? Alles, was sich bei der Erforschung unserer

Antipathie gegen j�disches Wesen der Betrachtung darbot, (...) alle Unf�higkeit

desselben, au�erhalb unsres Bodens stehend, dennoch auf diesem Boden mit uns

verkehren (...) zu wollen, steigern sich zu einem v�llig tragischen Konflikt in der Natur,

dem Leben und Kunstwirken des fr�he verschiedenen Felix Mendelssohn-Bartholdy.

 

Dieser hat uns gezeigt, da� ein Jude von reichster spezifischer Talentf�lle sein, die

feinste mannigfachste Bildung, das gesteigertste (...) Ehrgef�hl besitzen kann, ohne es

(...) je erm�glichen zu k�nnen, auch nur ein einziges Mal die tiefe, Herz und Seele

ergreifende Wirkung auf uns hervorzubringen, welche wir (...) der Kunst (...) f�hig

wissen, weil wir diese Wirkung zahllos oft empfunden haben, sobald ein Heros unserer

Kunst sozusagen nur den Mund auftat�.

 

Freigedank bem�ht sich, eine naturgegebene musikalische Apathie des Juden

Mendelssohn aus dessen Werken, genauer, deren spezifischen musikalischen Idioms

heraus zu pr�zisieren.

 

Er konstatiert daher gemeinverbindlich eine diffuse allgemeine Empfindung von

Oberfl�chlichkeit beim Anh�ren Mendelssohnscher, also dezidiert "j�discher" Werke und

sucht dabei den R�ckhalt analytischen Sachverstandes bei "Kritikern vom Fach", ohne

freilich solche konkreter benennen zu k�nnen:

 

"Kritikern von Fach, welche hier�ber zu gleichem Bewusstsein mit uns gelangt sein

sollten, m�ge es �berlassen sein, diese zweifellos gewisse Erscheinung aus den

Einzelheiten der Mendelssohnschen Kunstproduktion nachweislich zu best�tigen: uns

gen�ge es hier, zur Verdeutlichung unserer allgemeinen Empfindung uns zu

gegenw�rtigen, da� beim Anh�ren eines Tonst�ckes dieses Komponisten wir uns nur

dann gefesselt f�hlen konnten, wenn nichts anderes als unsre, mehr oder weniger nur

unterhaltungss�chtige Phantasie, durch Vorf�hrung, Reihung, und Verschlingung der

feinsten, gl�ttesten und kunstfertigsten Figuren, wie im wechselnden Farben-und

Formenreize des Kaleidoskopes, vorgef�hrt wurden , - nie aber da, wo diese Figuren die

Gestalt tiefer und markiger menschlicher Herzensempfindungen anzunehmen bestimmt

waren (...) F�r diesen letzteren Fall h�rte f�r Mendelssohn selbst alles formelle

Produktionsverm�gen auf, weshalb er denn namentlich da, wo er sich, wie im

Oratorium, zum Drama anl�sst, ganz offen nach jeder Einzelheit, welche diesem oder

jenem zum Stilmuster gew�hlten Vorg�nger als individuell charakteristisches Merkmal

besonders zu eigen war, greifen musste. Bei diesem Verfahren ist es noch

bezeichnend, dass der Komponist f�r seine ausdrucksunf�hige moderne Sprache

besonders unseren alten Meister Bach als nachzuahmendes Vorbild sich erw�hlte.�.

 

Nicht allein, da� Freigedank mit den Schlagworten "unterhaltungss�chtige Phantasie auf

Seiten des Publikums" sowie "Vorf�hrung, Reihung von feinsten, gl�ttesten und

kunstfertigsten Figuren zum Erlebnis eines Farb-und Formenreizes eines Kaleidoskops

vergleichbar"

 

25

 

 


 

die Musik Mendelssohns und anderer Komponisten j�discher Abstammung

unmissverst�ndlich zu Elaboraten kunstgewerblicher Manufaktur deklariert, ja dieselben

quasi dem Bereich der Jahrmarktsattraktionen zuordnet. Im Zusammenhang mit der im

allgemeintheoretischen Part des Traktates getroffenen, nachfolgend wiedergegebenen,

Charakterisierung allgemeinj�discher Kulturproduktion betrachtet, legte Freigedank

somit eine folgenschwere Systematik negativer Schlagworte vor. Diese schlugen sich

vor allem in Begriffen wie perfektionistischer Gl�tte, K�lte, seelenloser Formenhaftigkeit

der vermeintlich in Kopie von Stil und Kompositionsmustern nationaler Vorbilder

entstandenen Werke, mangelnder emotionaler Tiefe aber auch jenem �berm��ig

trivialer Sentimentalit�t mendelssohnscher Musik.

 

Diese sollte � wie sich noch erweisen wird -in schematischer und wortw�rtlicher

Repetition die publizistische Rezeption des Gesamtbildes mendelssohnscher Musik bis

in die achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts dominieren. Die entsprechenden

Invektive sind leicht erkenntlich: "Was so der Vornahme der Juden, Kunst zu machen,

entspricht, muss daher notwendig die Eigenschaft der K�lte, der Gleichg�ltigkeit, bis zur

Trivialit�t und L�cherlichkeit an sich haben".

 

Wulf Konold brachte das � kulturhistorisch wohl einzigartig dastehende � Ph�nomen

im Jahre 1984 mit der Einsch�tzung treffenst zu Punkte, da� die Rede vom Judenthum

in der Musik f�r einschl�gig gesinnte Musikpublizisten, �aber auch Autoren, die den

Verdacht jeglichen Antisemitismus zu Recht von sich gewiesen h�tten...eine Art

�Sprachregelung� hinsichtlich musikgeschichtlicher Mendelssohnrezeption vorgab

 

Als Resultat vorgeblich objektiv, detailliert vorgenommener analytischer Betrachtung der

semitischen Pers�nlichkeit und Musiksprache Mendelssohns referiert Freigedank seine

Erkenntnis auf vollst�ndige k�nstlerische Impotenz des Komponisten; genauer, auf

konstant bestehenden Grenzen �alle(n) formelle(n) Produktionsverm�gen(s)� im

Mendelssohnschen Oeuvre. Er trachtet, dem H�rer stets die Unf�higkeit des

Komponisten, literarisch-dramatischen Figuren �die Gestalt tiefer, menschlicher und

markiger menschlicher Herzensempfindungen� zu verleihen, �berdeutlich vor zu f�hren.

 

Freigedank definiert die, das Mendelssohnsche Werk pr�gende �ausdruckslose

moderne Sprache� demzufolge als Resultat und zugleich Vorbild eines �neu-j�dischen

Systems�. Dies sei, auf diese Eigenschaft (dramatischen Unverm�gens, Anmk. d. Verf.)

Mendelssohnscher Musik, wie zur Rechtfertigung dieser k�nstlerischen Verkommenheit

entworfen worden. Freigedank stellt die �ausdruckslose moderne Sprache�

Mendelssohns in unmittelbaren Bezug zum nurmehr historistisch zu rezipierenden

Formalismus des Bachschen Musikidioms. Dies m�sse zweifellos als �formell,

pedantisch� empfunden werden und sei nur durch das �bergro�e Genie Bachs �eben

erst zum Durchbruche� zu �rein menschlichem Ausdruck� hin gebracht worden.

�bergro�em musikalischen Genie also, welches einem Mendelssohn demzufolge

keinesfalls gegeben sei.

 

Die Konstatierung eines von Mendelssohn in den Bereich der deutschen Musik

implizierten und von seinen Nachfolgern perfektionierten �neu-j�dischen Systems�,

schliesst den Kreis zum ersten Teil Freigedankscher Allgemeinbetrachtung

�musikalischen Judentums.�

 

Dort war ja von verzerrter, oberfl�chlicher Wahrnehmung zeitgen�ssischen

Musikschaffens aufgrund fragmentarisch im Bewusstsein verbliebenen Idioms der

 

26

 

 


 

Synagogenmusik, von Resultaten j�dischen Komponierens, welche �fremdartig, kalt,

sonderlich, gleichg�ltig, unnat�rlich� erscheinen, die �Eigenschaft der K�lte,

Gleichg�ltigkeit� und �Trivialit�t� aufweisen w�rden, die Rede.

 

Im Zusammenhang betrachtet, bedeutet die Konstatierung des, auf vermeintlich

vorv�terlich �berlieferter semitischer Unkenntnis und Unf�higkeit zur Artikulation im

Idiom europ�ischer Musiktraditionen beruhenden �neu-j�dischen Systems� in der Musik

wohl schlichtweg folgendes:

 

Freigedank unterstellt Mendelssohn und seinen semitischen Mitstreitern Moscheles,

Joachim, David etc. die zielstrebige Zersetzung v�lkisch-kultureller Basis vermittels

�ausdruckslos�(er), also emotional kraftloser, musik-dramatisch uninspirierter �moderner

Sprache�. Also letztendlich den Versuch der, die Schw�chung der Lebenskraft des

deutschen Volkes bedingenden Verseuchung kulturellen Erbes mit dem semitischen

Bazillus substanzieller k�nstlerischer Impotenz.

 

6. Ein antisemitischer Eklektizist

Damit war das Thesenpapier eines auf der hochrangigen Ebene vermeintlicher

kulturwissenschaftlicher Erkenntnis rezipierten Antisemitismus gestellt.

 

Genauere Betrachtung freilich deckt auf, wie konstruiert sich der Thesengang

Freigedanks insgesamt darstellt. Wie stark er, en Detail besehen, auf mangelnde oder

verdr�ngte Sachkenntnis oder reine Spekulation verweisend, ex kathedra verk�ndeten,

aber unbelegten Behauptungen geschuldet ist.

 

Allein die Haupttheorie von der angeblich naturgegebenen Unf�higkeit des Juden zur

Kunst ist auch nach damaligem kulturwissenschaftlichen Kenntnisstand nicht haltbar.

Als Freigedank im Judentraktat dieselbe exponierte, fortentwickelte und ultimativ

festschrieb bewegte er sich vielmehr � ob in Kenntnis der Vorg�nger oder unbeeinflu�t,

sei dahingestellt � in der Tradition ber�chtigter antisemitischer Demagogen. So

behauptete der bereits genannte Hartwig von Hundt-Radowski im "Judenspiegel" aus

dem Jahre 1819 schlichtweg:

 

"Allein zu den sch�nen und bildenden K�nsten, welche den Geist veredeln und das

Auge erfreuen, hat kein Mauschel Talent....Selbst schaffen k�nnen die Juden, als

K�nstler vollends nichts, denn so stark auch ihre physische Zeugungskraft ist, so sehr

fehlt es ihnen an aller geistigen Sch�pfungskraft. Als Gott sein herrliches Bild, den

Menschen schuf, wollte der Teufel ein Epigramm darauf machen, und fabrizierte einen

Juden. Die Kinder Israel k�nnen nur nach�ffen und nachahmen, allein ihre

Nach�ffungen sind, gleich Ihnen, gemeine widerliche Karikaturen.�

 

Auch Karl-Friedrich Grattenauer, von ihm sei an anderer Stelle noch ausf�hrlicher die

Rede, erging sich bereits im Jahre 1803 in einer �Erkl�rung an das Publicum �ber meine

Schrift "Wider die Juden� in Betrachtungen hinsichtlich Judentum und Kunst: �

 

�Grattenauer schreibt also: �Sind sie nicht in der Regel so wenig Produzenten als

K�nstler, und pl�ndern sie dennoch nicht beide durch ihren Handel und Wucher?�

 

27

 

 


 

Der kirchliche Publizist und Verleger Johann Gottfried Herder schliesslich erkannte im

Jahre zuvor in dem Essay "Bekehrung der Juden" in der "Anthologie Adrastea", Bd. 4,

Leipzig 1802 auf eine Diskrepanz zwischen j�discher Existenz im Speziellen und

k�nstlerischer und �konomischer Produktivit�t im Allgemeinen:

 

Es hei�t bei Herder unter anderem: � �W�ren sie Seehelden, K�nstler, Landcolone; bei

den Reicht�mern, die sie besa�en...h�tten sie l�ngst etwas Au�erordentliches zu

Stande gebracht, in L�ndern und Zeiten, wo sie nichts hinderte, in jeder Kunst die

Ersten zu werden! Die Kunst, worin sie die Ersten wurden, zeigen sie fortw�hrend.�

 

Die pauschal ausgegebene Behauptung kreativen und besonders musikalischen

Mangels des Judentums aufgrund origin�r tonloser j�discher Sprechweise wiederum

findet sich bereits in Werken des 18. Jahrhunderts und Zeiten zuvor. Vor allem in einer

im Jahre 1788 von Johann Nikolaus Forkel in Leipzig herausgegebenen Allgemeinen

Musikgeschichte erlangte der Aspekt im Kapitel "Musik der (alttestamentarischen)

Hebr�er" umfassende, abwertende Er�rterung. Dennoch vergibt es sich der Autor

keineswegs, von der fr�hgeschichtlichen Mediokrit�t rituellen hebr�ischen Vokalisierens

zur ad�quat unbefriedigenden Situation unmittelbarer Gegenwart des Jahres 1788

�berzuleiten, wenn er schreibt:

 

�In den Synagogen selbst ist die heutige j�dische Musik nichts, als entweder ein

musikalisches Beten, welches in einerlei Ton entweder gleichsam gebrummt oder

gemurmelt wird, oder (wenn der Chor einf�llt) ein f�rchterliches Geschrei.

 

Wenn diese Art des Gesangs ein �berbleibsel aus alten Davidschen Zeiten ist, und sich

bis auf uns (...) fortgepflanzt hat, so muss es um die Musik der Hebr�er eine erb�rmliche

Sache gewesen sein".

 

Da Forkels Allgemeine Musikgeschichte musikalisch Professionellen auch in der ersten

H�lfte des 19. Jahrhunderts als Standardwerk galt, Riemanns Lexikon der Tonkunst und

der Enzyklop�die "Musik in Geschichte und Gegenwart" in unseren Tagen vergleichbar,

k�nnte es m�glicherweise, im Gegensatz zu den verstreut publizierten Schriften

politischer Antisemiten, der Recherche zum "Judenthum in der Musik" gedient haben.

 

Das von Herder, Grattenauer, Hundt-Radowsky und Karl Freigedank gleichlautend

gef�llte Urteil gr�ndet sich vornehmlich auf ein christlich-�berhebliches Unverm�gen,

sich mit der spezifischen Relation j�discher Konfession und Kultur in der Diaspora zu

den musischen K�nsten auseinanderzusetzen.

 

Oder besser gesagt: die Genannten �berheben sich, im vollen Bewusstsein, die

Traditionen j�discher Kultur nicht zu kennen und auch nicht zur Kenntnis nehmen zu

wollen, dennoch zu verallgemeinernder Abrede j�discher Kreativit�t. Die �berkommene

Relevanz j�discher Musik zu Konfession und Ritus, das auch im arabischen Raum

bestehende Verbot der Abbildung menschlichen Konterfeis, die grosse Tradition im

literarischen Bereich der Mythen und Sagen, deren erstes und nachhaltigstes Werk

sicher bereits in der Vorlage des alten Testamentes zu definieren w�re. All diese

anthropologischen Faktoren blieben der christlich-chauvinistisch vorgenommenen

Analyse der Frage, dass das Judentum in der Diaspora zeitweilig keine Kunstwerke im

strenggefassten abendl�ndischen Sinne hervorbrachte, schlichtweg au�en vor.

 

28

 

 


 

Im R�ckblick auf eine nunmehr 200j�hrige Geschichte demagogischen Publizierens

gegen das Judentum in Politik, Kultur und b�rgerlicher Gesellschaft offenbart sich eine

fatale Gepflogenheit, eine Tradition, welche allen diesen Demagogen gemeinsam ist,

deren Schrifttum wie ein Leitfaden durchzieht:

 

Vom Ressentiment gegen das j�disch-fremde angeleitet, �bernahmen die Autoren

pauschale diffamierende Res�mees von Vorg�ngerpublikationen, gaben

anthropologische Theorien und vermeintliche historische Fakten bereitwillig und

ungepr�ft wieder, wenn dieselben sich der eigenen inkriminierenden Sichtweise

einf�gten.

 

Wie wir noch sehen werden, gaben zahlreiche Musikkundler des Wilhelminismus und

des 20. Jahrhunderts die rhetorischen Negationen Mendelssohn Bartholdys Hugo

Riemanns u. a. in wortw�rtlicher Anlehnung wider, schrieben die Rassenfanatiker und

Kulturwissenschaftler des Nationalsozialismus satzweise aus Freigedanks Pamphlet ab.

 

Damit stellt sich auch die Frage, ob die selbsternannten Experten des Fachgebiets

kultureller Traditionen innerhalb des Judentums, die beurteilte Materie jemals

authentisch erfuhren. Ob Forkel und Freigedank beispielsweise im Verlaufe eines

Synagogenbesuches den rituellen Kantus eigenst�ndig erlebten oder sich

musiktheoretisch mit demselben auseinandersetzten. Die ersichtliche H�me

karikierender Darstellungen j�discher Sprache und Gesangs lassen eher auf lustvoll

transportierte und �berzeichnete Aversionen schlie�en, welche sich seit Beginn der

Neuzeit l�ngst im Bewusstsein deutscher Kultur und Lebensweise festgeschrieben

hatten.

 

Anbetrachts konkreter Vorleistungen Theodor Uhligs, Hans von B�lows und Dr. Kr�gers;

in Kenntnis r�ckw�rtigen Katalogs antisemitischer Rhetorik, welcher sich dem Zeitgeist

der Jahre 1848 � 50 andiente; l�sst sich nunmehr mit grosser Sicherheit annehmen:

Freigedank erwies sich auf dem Gebiete kulturanthropologischen Antisemitismus als

genau das, was er �dem Juden� auf dem Gebiete der Kunst und vor allem der Musik per

se vorwarf. Als Eklektizist!

 

Das Pamphlet vom �Judenthum in der Musik� animierte wiederum zu weiteren

einschl�gigen Polemiken und versch�rfter Propaganda von Kunst als nationaler Frage

und Ersatzreligion eines erstarkenden Ideals deutscher Vereinigung im Geiste Fichtes.

 

7. Eine exceptionell exclusive Menschen-Race

Dr. Kr�ger, der � aus dem Umfeld der �NZfM� in der �ra Robert Schumann

hervorgegangen -nunmehr als Pionier publizistisch-antisemitischer Analyse von

Mendelssohnscher Musik gelten muss, lie� Freigedanks "Judenthum" denn auch

"Gedankeng�nge �ber Judent�mliches" folgen. Er begr��te zu Anfang die

�wiedergewonnene Pre�freiheit, denn 1846-48 war es zwar sehr leicht, Schriften gegen

das Christentum (...) zu bringen, aber sehr schwer, ein offenes Wort �ber die Juden zu

sprechen.� Er beklagt des weiteren, da� das deutsche Volk �den Eindringlingen nicht

wehrt, (...) Tagesg�tzen bejubelt, die es selber verachtet (...) ihm (...) das Mark der

V�ter verloren gegangen, vor dem die moderne Windbeutelei nicht bestanden h�tte�.

(�NZfM� vom 1.10.1850)

 

29

 

 


 

Eduard Bernsdorf hingegen entlarvt am 15.10.1850 wiederum in der �NZFM� eklatante

Schw�chen in Freigedanks analytischer Beweisf�hrung und erhebt infolgedessen den

Vorwurf mangelnder anthropologischer Seriosit�t und der Demagogie.

 

�Der grosse Gelehrte Freigedank (...) spricht� (Mendelssohn) �in der Tat k�nstlerische

F�higkeit und Bildung nicht ab (...); aber die Wirkung, die unsere Kunstheroen auf ihn

hervorgebracht haben, hat er beim Anh�ren seiner Sachen nicht finden k�nnen (....) Wie

aber dieser Mangel an W�rme (...) mit seinem j�dischen Ursprunge im Zusammenhang

stehen soll, das hat uns der Verfasser durchaus nicht bewiesen. Er spricht...nicht �ber

den j�dischen Komponisten (...) bei ihm hat er nichts jargonierendes nachgewiesen, ihm

wirft er die Synagoge nicht vor, nur den Meister Bach...�

 

Schwerwiegender noch ist der am 25.1.1851 in der "Illustrierten Zeitung" (Leipzig)

erhobene Verweis des Musikers und Musiktheoretikers Johann Christian Lobe auf

einen wesentlichen protorassistischen Aspekt der in der �NZfM� begonnen Debatte:

 

�Da� die christliche Taufe dem Juden nichts hilft, zeigt Freigedank ja dadurch, da� er

Mendelssohn stets als einen Juden behandelt, der doch als Christ geboren, getauft,

erzogen und begraben worden ist.�

 

Judentum musste sich, Freigedank zufolge, demnach letztendlich durch andere

Aspekte als jenem �mosaischen" Bekenntnisses definieren. Durch die geburtsm�ssige

Zugeh�rigkeit zu einem fremden, nichteurop�ischen Volk oder vielmehr:

geburtsm�ssige Zugeh�rigkeit zu einer fremden, nichteurop�ischen Rasse!

 

Freigedank argumentiert dabei in der Tradition des Urhebers der im fr�hen 19.

Jahrhundert verk�ndeten Gewalt-und Vernichtungsmetaphorik, Karl Wilhelm Friedrich

Grattenauer.

 

Dieser publizierte bereits im Jahre 1791, also dem Beginn der germanomanischen

Kampagne Fichtes zeitlich konform gehend, Vertreibungsdemagogie in der Studie:

"�ber die physische und moralische Verfassung der heutigen Juden, Stimme eines

Kosmopoliten, Germanien 1791". (Das Buch wurde in Leipzig verlegt.) Im Jahre 1803

konstatierte er in der Schrift: "Wider die Juden. Ein Wort der Warnung an alle unsere

christlichen Mitb�rger" erstmalig: �Da� die Juden eine ganz besondere Menschen-Race

sind, kann von keinem Geschichtsforscher und Anthropologen bestritten werden.�

 

In unmittelbarer zeitlicher Nachbarschaft zum "Judenthum in der Musik" er�rterte ein A.

Escherich "Die Judenemancipationsfrage vom naturhistorischen Standpunkte aus"

besehen in der renommierten "Deutsche(n) Vierteljahresschrift", Heft 4 von Oktober des

Jahres 1848. Auch Escherich kommt darin zu dem Schlu�, da� �Die Juden...eine

exceptionelle Bev�lkerung (bilden) und zwar nicht als (...) Varit�t einer bestimmten

Race, sondern mit exceptionellen, exclusiven Eigenschaften unter allen Racen. Und

diese auszeichnenden Eigenschaften sind (...) constant durch alle Jahrhunderte und

Klimate, charakterisieren...Stamm und (...) Individuum, (...) erstrecken sich auf die

Naturgeschichte dieses Volkes, (...) seine k�rperliche Gestalt, seine Fruchtbarkeit, (...)

seine Lebensdauer, (...) seinen geistigen und moralischen Charakter.�

 

Des Weiteren stellt Escherich dann auch die Frage nach der k�nstlerischen Berufung

dieser "exceptionell exclusiven Race" im Allgemeinen und besonderen.

 

30

 

 


 

W�hrend die Juden �blicherweise als eifrige und geschickte Sammler und Eklektizisten

in Erscheinung tr�ten, welche sich des Fundus kulturellen Erbes des Abendlandes

zugunsten eigenen Elaborierens zielstrebig bedienten, sei Mendelssohn Bartholdy im

Besonderen als der bedeutendste Komponist des Jahrhunderts anzusehen. Allerdings

sei er als grosse Ausnahmeerscheinung aufzufassen, sein Wirken hinsichtlich

mosaischen Irrens in k�nstlerischen Gefilden vollkommen atypisch.

 

Die von Freigedank zum Ausdruck gebrachte protorassistische Tendenz war bis dato

gemeinhin ungebr�uchlich, die Pamphlete Grattenauers und Escherichs stellten

Ausnahmen in den von konfessionellen oder �konomischen Standpunkten dominierten

antisemitischen Publikationen dar. Lobe interpretierte daher die Metapher von der

�Erl�sung Ahasvers� durch �den Untergang� des "Juden" am Ende des Traktates "Das

Judenthum in der Musik" bereits ironisch als Aufforderung zum Judenmord:

 

�Also weg mit allen Juden. Wenn dann. (..) die Juden alle erschlagen vor uns liegen,

und wir �brig gebliebenen Christen als triumphierende M�rder mit blutigen F�usten

dastehen, dann sind wir wahrhafte Menschen und (...) �einig und untrennbar verbunden

 

� untereinander und mit den Juden.�

Im Juli 1851 res�miert der damalige Herausgeber der �NZfM�, Franz Brendel den

�wahren Sturm� in der zeitgen�ssischen Medienwelt, welchen die Ver�ffentlichung der

Freigedankschen Thesen in der hauseigenen Zeitschrift hervorgerufen habe.

 

Um den Ruf der �NZfM� scheinbar doch etwas besorgt, impliziert er der Publikation

nachtr�glich eine Relativierung bez�glich gebildeter und ungebildeter Juden; letztere vor

allem w�ren doch der Gegenstand Freigedankschen Theoretisierens gewesen. Im Text

des �musikalischen Judenthums� hingegen findet sich daf�r allerdings keinerlei

Anhaltspunkt, da ausschlie�lich �der Jude� veranschaulicht; von �den Juden�

gesprochen wird.

 

Obgleich sich die unmittelbaren publizistischen Reaktionen, welche das Pamphlet

hervorrief, Mitte des Jahres 1851 scheinbar legten, war die These gestreut. War die in

einer der renommiertesten Publikationen zeitgen�ssischen deutschen Kulturlebens

vertretene antisemitische Kulturtheorie nunmehr salonf�hig, unter gebildeten Kreisen

diskussionsw�rdig.

 

So erkennt beispielsweise Wilhelm von Lentz, Beethovenkapazi�t und Staatsrat des

russischen Zaren im Jahre 1852 auf ein �hebr�isches Element, das in den Gedanken

Mendelssohns erkennbar ist, (das) ihn hindern wird, die ganze Welt ohne Unterschied

von Zeit und Ort zu erobern.� Ferner r�cken erneut �die psalmodierenden Ges�nge der

Synagoge� als �Typus, der in der Musik Mendelssohns nachklingt, wie in seinem

Denken der j�dische Geist eine Rolle spielt� ins Zentrum von Betrachtungen. (v. Lentz,

Beethoven und seine 3 Stile, 1852, Kassel 1855).

 

Da der Traktat auch massiv kontroverse Reaktionen provozierte (vergl. Johann Christian

Lobe), verlegte sich die �NZfM� wieder vermehrt in die Unverbindlichkeit "objektiv"musikalisch

betriebener Agitation gegen den Opernf�rsten Giacomo Meyerbeer.

 

Nichts desto Trotz streute die Publikation auch in den Folgejahren unausgesetzt

Ressentiments gegen Felix Mendelssohn aus, so in den oftmals in lakonischen Tonfall

vorgenommenen Rezensionen der posthum ver�ffentlichten Werke.

 

31

 

 


 

Was beabsichtigten die Initiatoren einer lancierten �ffentlichen Semitismus-Debatte im

Musikbereich?

 

Es war ihnen um eine Verschiebung der realen Machtverh�ltnisse im

zeitgen�ssischen Musikbetrieb zu tun. Musikalische Avantgardisten suchten quasi auf

gewaltsamen Wege, mit publizistischen Mitteln, Einfluss innerhalb der musikalische

Hemisph�re zu erlangen. Was die avantgardistisch-musikalische Wortmeldung allein

nicht bewirkte, sollte schleichende Ersch�tterung des Fundamentes bewirken, auf

welchem das Ansehen der Erfolgsmusiker Felix Mendelssohn Bartholdy und Giacomo

Meyerbeer beruhten.

 

Die Synthetik in der Konzeption des, hinsichtlich Ursache und Wirkung vollendet

konstruierten, aber vor allem spekulativ untermauerten Medienunterfangens "Das

Judenthum in der Musik"; die Schizophrenie der auf Ebenen �ffentlicher und intimer

Subjektivit�t vielfach aufgespalteten Urheber l�sst ein Schreiben des hinter dem

Pseudonym Karl Freigedank verborgenen Komponisten Richard Wagner an Felix

Mendelssohn vom 6./7 .Juni des Jahres 1843 erkennen. Wagner versichert sich darin

dem Komponisten gegen�ber u. a. des Stolzes dar�ber: �...der gleichen Nation

anzugeh�ren, die Sie und Ihren Paulus hervorgebracht hat.�

 

Meyerbeer, musikalisch im fernen Paris residierend, war den nihilistischen

Bestrebungen nahezu entzogen.

 

In der zeitgen�ssischen Rezeption des vermeintlichen Antipoden im eigenen, deutschen

Bannkreis, schlug sich der publizistische Gewaltakt hingegen nachhaltig nieder.

Erheblich best�rkt durch ein diffuses Klima feudaler Restauration, postrevolution�r

germanomanischen Einheitsfanatismus und traditionell kultiviertem Antisemitismus einer

Generation opportunistisch-neokonservativer Leistungseliten aus dem Umfeld ehedem

jungdeutscher M�nnerb�nde. Das europ�ische Ausland kommentierte die den Ruf Felix

Mendelssohn Bartholdys besch�digenden publizistischen Invektive befremdet. So

res�miert der englische Kritiker Henry Fothergill Chorley im Jahre 1853 -also nur

sechs Jahre nach Mendelssohns Tod:

 

�Traurig, aber wahr ist's dennoch, da� seine Landsleute ihrer Reputation f�r Ehrlichkeit,

Treue und Verehrung von Genie und Tugend keine Ehre gemacht haben; denn in der

Zwischenzeit haben sie ihre Haltung (...) ge�ndert, einem Mann gegen�ber, den sie zu

seinen Lebzeiten geehrt und umschmeichelt hatten....�

 

Und Donald Tovey merkt in seinem ph�nomenalen, bedeutsamen Mendelssohn-Artikel

in der gewichtigen Enzyklopaedia Britannica, 1911 verfasst, trocken an:

 

And in the early Wagner-Liszt reign of terror his was the first reputation to be

assassinated. That of the too modest and gentle �Romantic� pioneer soon followed; but

as being more embarrassing to irreverence and conceit, it remains a subject of

controversy. Meanwhile, Mendelssohn�s reputation, except as the composer of a few

inexplicably beautiful and original orchestral pieces, has vanished.�

Sir Donald F Tovey ��Mendelssohn� the encyclopaedia britannica 11th edition

Cambridge 1911, XVIII.p 124

 

32

 

 


 

8. Von der Neudeutschen Schule

�Zum einen ist das Mendelssohn-Bild...gepr�gt durch eine Bewertung, deren Basis nicht

kompositionstechnische Einw�nde gegen seine Musik oder sich wandelnder

Geschmack ausmachen, sondern in der der musikalische Parteienstreit der zweiten

H�lfte des 19. Jahrhunderts mit mehr oder weniger verh�llt vorgetragenen

antisemitischen Vorurteilen vermengt ist.(...)

 

Eine Aufarbeitung der Mendelssohn Rezeption hat zugleich eine quasi aufkl�rerische

Aufgabe: zu zeigen, wie sehr sich (...), knapp vierzig Jahre nach dem Ende des Dritten

Reiches, in dem die schon zuvor betriebene Verteufelung Mendelssohns ihren

H�hepunkt fand, die Urteile auf sachfremde �Argumente� st�tzen� schreibt Wulf Konold

in seiner Studie "Felix Mendelssohn und seine Zeit" aus dem Jahre 1984.

 

Was hei�t das im Einzelnen:

Das Werk Mendelssohns verfiel einer eklatanten musikalischen Fehde, die sich ab 1850

zwischen "Neudeutschen Musikern" und "Traditionalisten" entwickelte. Die

"Neudeutschen Musiker", welche sich in Weimar um die Komponisten Franz Liszt und

Richard Wagner sammelten, forderten die Radikalit�t des musikalischen Ausdrucks

entgegen formalistisch akademischen Beschr�nkungen ein. Die "Traditionalisten" um

Robert Schumann und Johannes Brahms, propagierten hingegen die Bewahrung, aber

stetige Reformierung �berkommener musikalischer Formen von Symphonie, Quartett,

Oratorium etc.

 

Unter Federf�hrung des Musikkritikers und Redakteurs Franz Brendel -dieser

�bernahm im Jahre 1845 die Redaktion der renommierten "Neue Zeitung f�r Musik" von

Robert Schumann -zog ein chauvinistischer Geist in das bislang unabh�ngige Organ

imagin�rer Davidsb�ndler ein.

 

W�hrend sich Schumann als Musikpublizist auf die Er�rterung musiktheoretischer

Fakten beschr�nkte, ohne die �sthetische Reserviertheit gegen�ber Kompositionen der

"Neudeutschen" zu verhehlen und Mendelssohn es generell ablehnte, sich Presse

zunutze zu machen, �ffnete Brendel die Musikzeitung f�hrenden Polemikern wie Karl

Freigedank, Theodor Uhlig, Hans von B�low und Felix Draeseke.

 

In einem Editorial, zum Ende des Jahrgangs 1852 verfasst, verlieh Brendel dem Ziel,

welchem sich die "NZfM" f�rderhin g�nzlich widmen sollte, unmissverst�ndlich

Ausdruck: "Diese Bl�tter haben fortan die Aufgabe, die Umgestaltung, welche der Kunst

bevorsteht, nach allen Seiten entschieden zu vertreten.� (...)

 

Theodor Uhlig, geboren im Jahre 1821, wirkte urspr�nglich als Violinist im Dresdner

Hofopernorchester. Dort machte er die Bekanntschaft mit dem von Februar des Jahres

1844 � bis Mai 1849 als Dresdner Hofkapellmeister agierenden Richard Wagner,

dessen Intimus er vor allem in den Jahren nach 1849 wurde. In der Zeit des Schweizer

Exils des in die Dresdner Maiaufst�nde verwickelten Komponisten war Uhlig somit ein

wertvoller Kontaktmann Richard Wagners zu den Musikzentren Dresden, Leipzig und

Weimar. Da Uhlig fest in den Freundes-und Wirkungskreis des Hofoperndirigenten

Wagner eingebunden war, trat er ab 1849/ 50, neben Franz Liszt und Hans von B�low,

verst�rkt als Publizist und Propagandist Wagners und der "Neudeutschen" hervor.

 

33

 

 


 

Herausgeber Franz Brendel, geboren im Jahre 1811, gestorben im Jahre 1868, war von

Hause aus Philosoph und widmete sich erst ab 1840 musikalischen und

musiktheoretischen Fragen. Als nahezu fanatischer Verfechter der Prinzipien

musikalischer Fortentwicklung und Moderne, erhob er den obligaten Verzicht auf die

Errungenschaften der Barockzeit, der Klassik oder Romantik eines Mendelssohn oder

Schumann zum Dogma.

 

Er ernannte, der Funktion eines Chefideologen der Neudeutschen Schule

entsprechend, die �romantischen Realisten� (Robert Gutman) Franz Liszt, Hector Berlioz

und Richard Wagner zu deren Leitfiguren. Brendel �bertraf somit die progressiven

Forderungen Schumanns und der in den Jahren 1833 bis 1844 versammelten

"Davidsb�ndler" bei weitem. Diese agitierten seinerzeit vordringlich gegen die

Seichtigkeit musikalischer Tagesware und die Schludrigkeit eines Konzertbetriebes, der

vor allem planlos zusammen gestellte Potpourri-Konzerte nach dem Prinzip des PrimaVista-

Musizierens hervorbrachte. Die von Brendel 1859 im Verlaufe einer

Tonk�nstlerversammlung im Leipziger Sch�tzenhof initiierte Gr�ndung einer

"Neudeutsche Schule" verhalf dem Musiknihilismus schliesslich zu bedeutsamem

institutionellen Rang.

 

Im Jahre 1852 gab der Komponist Richard Wagner; somit eine Schl�sselfigur des

neudeutschen musikalischen Dogmas, die Denkschrift �Zum Vortrag Beethovens�

heraus, in welcher er Felix Mendelssohn, als Dirigenten besehen, jedwede innere

Anteilnahme bei der Interpretation Beethovenscher Kompositionen absprach.

 

Es hei�t dort: �Mendelssohns Ausf�hrung Beethovenscher Werke bezog sich stets auf

die nur rein musikalische Essenz derselben, nie aber auf deren dichterischen Gehalt,

den er gar nicht fassen konnte � sonst h�tte er ja auch selbst etwas ganz anderes

zutage bringen m�ssen. Mich hat Mendelssohns Direktion, trotz seiner grossen

technischen Feinheit, immer in der Hauptsache unbefriedigt gelassen, es war mir

immer, als ob er sich nicht getraute, das sagen zu lassen, was Beethoven sagen wollte,

weil er selbst mit sich nicht im reinen dar�ber war, ob da eigentlich etwas gesagt sei,

und was? So hielt er sich immer mit dem feinsten musikalischen Witze an den

Buchstaben, und glich darin unseren Philologen bei ihrer Auslegung der griechischen

Dichter, an denen diese immer nur den Buchstaben, die Partikeln, die Lesarten usw.

auszudeuten haben, nie aber dem Gehalt.�

 

Wagner sah sich selbst in �berh�hung der Tatsachen in der Rolle als Beethovens

einziger und wahrer Dirigent und Interpret und konnte somit einen j�disch-st�mmigen

Konkurrenten, gleichwohl jener ja nicht einmal mehr unter den Lebenden weilte, nicht

neben sich dulden. Er zerst�rte somit zielstrebig den herausragend Ruf den sich

Mendelssohn zu Lebzeiten als Leiter der Gewandhauskonzerte und Symphonischen

Interpreten erworben hatte auf rhetorischen und publizistischem Wege. Inhaltlich kn�pft

er dabei an die in �Das Judentum in der Musik� konstatierten Thesen von der

vermeintlichen Unm�ndigkeit der Juden, den wahrsten innersten Wert urdeutschen

Erbes, sei es als Autor, sei es als Interpret, zu erfassen an.

 

Was auch Wunder: bei Karl Freigedank und Richard Wagner handelte es sich doch

um ein und dieselbe Person. Erst sp�ter, erst im Jahre 1869 sollte Wagner den Mut

finden sich, als Autor jener umstrittenen Judenschrift �ffentlich zu zeigen.

 

Anfangs des Jahres 1852 �u�erte sich auch der Publizist G. A. Keferstein in der Neuen

Berliner Musikzeitung kontrovers in Sachen Mendelssohn-Rezeption.

 

34

 

 


 

Er bezog sich dabei unter anderem auf die Musik zu ��dipus in Kolonos�, die Rezitative

und Ch�re des unvollendeten Oratoriums �Christus� und das Finale der gleichsam

unvollendeten Oper �Loreley�. Keferstein blickt dabei auf sein zehn-bis zw�lfj�hrige

Bem�hen eines permanenten Verweises darauf zur�ck, das mendelssohn letztendlich

�berschatzt w�rde

 

Nichts desto Trotz gibt der Autor den Tatbestand zu Erkennen, dass �the excellent

services of a man, who in every thing in art that a fortunate talent can learn and achieve

through iron dilegence stands honorably beside the best of recent times (zitiert nach

Donald Mintz.) und n�hert sich damit dem Gesichtspunkte Heinrich Heines vom

elaboriert zu Werke gehenden und dadurch fruchttragenden Talente anstelle des

produktiven spontanen Genies, an, welchen dieser 1844 in der Zeitschrift Lutetia

niedergelegt hatte, an.

 

Keferstein verweist darin unter anderem auf den spekulativen Umstand, dass das

Libretto des Christus-Fragmentes elaboriert, ohne innere organischer Notwendigkeiten

zusammengestellt worden sei und damit jenem des Paulus gleiche. Schliesslich giebt

der Publizist immerhin zu bedenken, dass �a great deal can be learned from the study of

Mendelssohn�s works whatever posterity�s final Judgement would be. (Mintz)�

 

In den Jahren 1848 bis 1852 legt Brendel das Wollen und die Zielrichtung der, von der

Revolution des Jahres 1848 befl�gelten, neudeutschen Welle in mehreren Aufs�tzen,

welche in der Neuen Zeitung f�r Musik erschienen, fest Er bezieht sich darin explizit auf

die Notwendigkeit eines Nationalen-neudeutschen Erwachens der Musik und der

Komponisten und wendet sich erkl�rterma�en gegen �Kosmopolitische Deutschfranz�sisch-

italienische Komponisten wie Meyerbeer. Damit legt Brendel die Zielrichtung

der musikalischen Expression vor, welche die zweite H�lfte des Jahrhunderts

dominieren sollte.. �Tastes and interests had turned toward the issues of expression and

characterization as the second half of the century understood them. For these Tastes,

much of Mendelssohn�s Music was simply irrelevant. Despite the growth of the historical

repertory, this irrelevanz was fatal�. Mintz verweist dabei auf das beethovensche

Musikalische Erbe und stellt dabei fest, das jenes durch die jeweilige Re-Interepretation

und Neu-Interpretation sp�terer Generationen modern geblieben sei. Aber jene

Zeitgenossen Brendels standen vor der scheinbaren Unm�glichkeit, Musik zu

reinterpretieren, deren Ausdrucksformen obsolet geworden sei. So stellten die Zeit-und

Weggenossen Brendels die von mendelssohn oft gebrauchte Form des Chorals in der

Kirchenmusik vollst�ndig in Frage. Es waren die Zeiten um 1850 herum, in denen

Wagners Theorien, Schriften und Kompositionen erheblich an Einfluss gewannen. Es ist

ein Kuriosum der Geschichte, das Wagners Judentumpamphlet erst mit der um 1848

erk�mpften Pressefreiheit zu publizieren m�glich war. Mintz schliesst seine

Betrachtungen zu Mendelsohns Rezeptionsgeschichte mit der Feststellung, das

Mendelssohns oftmals in Formen und Genres gegossen war, in Musik, welche von der

musikalischen Revolution �berholt und erledigt worden w�re. Because this is so, the

Mendelssohn Reception mirrors the conflicts and trends at mid-Century: questions about

the future and utility of the established musical-genres to be sure , but also about the

nature and direction of religion and its role in life. And behind varying views about this

matter there are great complexes of social attitudes for which the religous arguments in

part a surrogate. To this mix we need to add German and general European anti-

Semitism, a sentiment that grew to a movement and culminated in the Holocaust.

 

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Mendelssohn�s reputation was tosses about by these currents and counter currents,

perhaps more than that of any of his significant contemporaries, and so it is not

surprising that his reputation declined so rapidly in the eyes of the advanced public soon

after his death.

 

1860 machte sich der Musikhistoriker August Wilhelm Ambros Gedanken um den

Zwiespalt zwischen aktuellem neudeutschen Fortschrittsstreben hin zum musikalischen

Drama auf der einen und einer Position konservativer Verharrung in den

mendelssohnschen Idealen der absolut verstandenen Tonkunst auf der anderen Seite.

 

Er fragt sich dabei also: �ob die Richtung Wagner-Liszt zu der Bedeutung gelangt

w�re und soviel Terrain gewonnen h�tte, als sie tats�chlich gewonnen hat, wenn nicht

Mendelssohn in der Bl�te seiner Kraft und seines Wirkens der Welt durch einen

pl�tzlichen Tod entrissen worden w�re. Mendelssohns Wirken, Streben und Schaffen

l�sst annehmen, dass er als ganz entschiedener Gegner aufgetreten w�re.�

 

9. Von der musikalischen Wahrheit

Der Musikwissenschaftler und Publizist Adolph Bernhard Marx wiederum agitierte im

Zeichen einer schwerlich zu fassenden musikalischen �Wahrheit� nachhaltig gegen

�Verweichlicher� der Musik, �Nachbildner� und � unwahre Komponisten�. Marx war seit

dem Jahre 1830 als Dozent f�r Musikgeschichte an der Universit�t Berlin und sp�ter als

Herausgeber der "Berliner Allgemeinen Musikalischen Zeitung" t�tig, in welcher Dr.

Eduard Kr�ger im Jahre 1850 die Kampagne dezidiert antisemitisch intendierter

Musikrezeption er�ffnete. Marx war einstmals ein enger Jugendfreund Felix

Mendelssohns mit eigener, aber gl�cklos verbleibender kompositorischer Ambition. Da

Marx sich dem Komponisten durch eine zunehmend abstrahierend musikphilosophische

anstelle einer angewandten Besch�ftigung mit der Tonkunst entfremdete; diesen des

Weiteren um Geld und musikalische Protektion bedr�ngte, zerbrach die Freundschaft im

Jahre 1839. Marx vernichtete daraufhin die gesamte in seinem Besitz befindliche

Mendelssohn-Korrespondenz. Inwiefern sich eine etwa 10 Jahre sp�ter massiv

bezogene Position des �nachkantischen �stheten� (Werner) gegen das Oeuvre Felix

Mendelssohns auch der entt�uschten Freundschaft verdankt, ist nicht gekl�rt.

 

In Publikationen wie "Die Musik des 19. Jahrhunderts", im Jahre 1855 in Leipzig

herausgegeben, stellte Marx Mendelssohn nun als Prototyp solcherart �Verweichlicher�

etc. der Musik heraus. In genannter Musikgeschichte konstatiert Marx u. a. das diesem:

�(...) die eigentliche Macht und H�he des Dramas nicht gegeben (...); ja, seinem fein

zur�ckhaltenden, mehr anempfindenden als urspr�nglich sch�pferischen Wesen im

Grunde widersprechend (war.)

 

Er f�hrt weiterhin aus, da� � �im wahren Gegensatze� zum Genie ein Talent wie

Mendelssohn �den (meist begl�cktern) Beruf (habe), auszubilden und nachzubilden,

auch einseitig zu verbessern und zu versch�nen oder annehmlicher zu machen, (also)

den d�monisch hochaufgerichteten Gedanken des Genius mit der Schw�che und Furcht

der Welt durch vermittelnde Zwischengestalten, die Nachbildungen sind,

auszugleichen.� . Folgerichtig re�ssiere Mendelssohn vornehmlich im "gl�cklichen

Salonwort" der "Lieder ohne Worte", in dem "ein m�dchenhafter Hang (...) jedes kleine

Gef�hlchen" musikalisch transponiere.

 

36

 

 


 

Auch hier wird ein sp�ter so folgewirksamer Titanen-& Heroenanspruch an Kunst

bedeutungsvoll vorformuliert. Freigedank spekulierte in seinen Ausf�hrungen

schlichtweg auf diesen Anspruch und Mendelssohns naturgegebene Unf�higkeit,

demselben gerecht werden zu k�nnen.

 

Marx indessen versucht, keineswegs frei von polemisierendem Tonfall, den seinerseits

vorgenommenen Abgleich von heroischem Anspruch und konkreter musikalischer

Wirklichkeit zu Mendelssohns Ungunsten, �sthetisch und psychologisch, also

wissenschaftlich methodisch nachzuweisen. Marx muss also als Autor einer

Mendelssohn-Demagogie von musikwissenschaftlich-sp�tromantischem Gesichtspunkte

aus gelten. Diese sollte sich sp�testens Mitte der 60ziger Jahre bis zur Unkenntlichkeit

der einzelnen Komponenten mit der dezidiert antisemitisch intendierten Mendelssohn-

Rezeption der Neudeutschen vermengen. Das der erste Protagonist letztgenannter

Argumentationsweise, Dr. Kr�ger, ein Autor der von Marx editierten Berliner

Allgemeinen musikalischen Zeitung war, ist dabei ein Detail von Interesse und

Pikanterie.

 

Des Weiteren gibt Marx den Stereotyp des schw�chlichen, feinnervigen, emotional

�berregbaren Musikers Mendelssohn vor, welchen zahllose Musikhistoriker und

Publizisten bis in die 80ziger Jahre des 20. Jahrhunderts als verfestigtes Klischee

kolportieren sollten.

 

Die Erkenntnis vom Drama, welches nicht in erster Linie f�r Mendelssohns Schaffen

pr�gend war, ist faktisch korrekt, verkennt aber vollst�ndig die Motivation dieser

Zur�ckhaltung dramatisch-musikalischen Affektes gegen�ber. W�hrend Marx die

Gr�nde in der vermeintlich schw�chlichen Auspr�gung des Charakters und der

Unf�higkeit dramatischen Empfindens sucht, stand Mendelssohn in Wahrheit der

dramatischen Ent�u�erung in der Kunst mit �sthetischem Vorbehalt gegen�ber.

 

Mendelssohn war durch die strenge, stetig zu Flei�, Pflichterf�llung, sittlicher

L�uterung und Contenance anhaltende Erziehung im Elternhause vollst�ndig vom

verinnerlichten und dem grossen Vorbilde Johann Wolfgang von Goethe vorgegebenen

humanistisch-klassizistischen Ideal menschlicher und gesellschaftlicher Erhebung durch

erhellendes, l�uterndes kulturelles Gut durchdrungen,

 

Dies lie� Mendelssohn die Komposition von Erregtheit, dramatischer Ent�u�erung,

romantischer Zerrissenheit, Nachtseiten der Seele und expliziter emotionaler Abgr�nde

letztendlich suspekt, m�glicherweise unanst�ndig erscheinen. Dramatik vollzieht sich in

Mendelssohns Kompositionen stets anschaulich, wenn das, ethischen Belangen

verpflichtete musikalische Sujet seinerseits einen dramatischen Verlauf nimmt, wie im

alttestamentarischen Epos "Elias" vorliegend.

 

Gleichsam regte das Erlebnis der Naturgewalten, geschichtlicher Orte und Augenblicke

wie im Falle Schottlands und der gleichnamigen Symphony; oder diese der Dichtung

und dem Volksm�rchen implizite Spannung, welcher wir beispielsweise die Ouvert�re

von der Sch�nen Melusine verdanken Mendelssohn zu hochrangiger dramatisch-

musikalischen �u�erungen an. Andererseits lie� Mendelssohn einer dramatischen

Entwicklung freien Lauf, wenn sich das musikalische Material absolut aufgefasster

Kompositionen in der Durchf�hrung zu h�chster formaler und emotionaler

Binnenspannung verdichtete.

 

37

 

 


 

Diese vollzieht sich dann allerdings aus Momenten h�chster geistiger und musikalischer

Konzentration und ist oftmals -vorausgesetzt, Meisterdirigenten und Pianisten

vermochten es, dem hohen musikalischen Gehalt Mendelssohnscher Werke vollends zu

entsprechen -daher in ihrer Spannung fast nicht ertr�glich.

 

Man mag diese humanistische Haltung zu Fragen der Musik und der Kunst , den ideal

verstandenen Anspruch �sthetischer Zucht und Selbstzucht teilen und kultivieren. Man

mag ihn subjektiv ablehnen und anderen Anspr�chen und Erfahrungen innerhalb der

vielf�ltigen M�glichkeiten musikalischer Artikulation nachgehen.

 

Mendelssohns Auffassung vom Ziel musikalischen Wirkens ist zweifellos genauso wenig

�wahr�, wie es die von den "Neudeutschen" erstrebte Symbiose von Musik und Drama

oder die spezielle absolute musikalische Wahrheit Bernhard Adolph Marx jemals war

und ist. Als intimer Jugendfreund noch aus den Tagen der bei Carl Friedrich Zelter

genossenen Singschule trug Marx mit dramaturgischem Rat ma�geblich zur Konzeption

der immerhin als genial apostrophierten "Sommernachtstraum-Ouvert�re bei. Im

Gegensatze zu manch nachgeborenem, inkognito urteilendem Kollegen, h�tte er

zumindest die authentischen Ursachen einer spezifisch Mendelssohnschen Verhaltung

gegen�ber einer Relation von Musik und Drama besser kennen m�ssen.

 

Eine bemerkenswerte Abhandlung der Problematik ad�quater Mendelssohn-

Nachbereitung vollzog die �Berliner Feuerspritze� im Jahre 1855 in ihrer Rezension vom

 

12. November einer Festauff�hrung des Oratoriums �Elias�, welche der Sternsche

Gesangverein Berlin Mendelssohn zum Gedenken ausrichtete. Hans von B�low

zeichnet daf�r wiederum als Verfasser. Kunstfertig entledigte er sich dabei einer

offenkundig ungeliebten Aufgabe in einzigartig gl�ckreichem Vollzug des Paradoxons

einer Quadratur des Kreises. Genauer: der repr�sentativen W�rdigung eines

Komponisten und seines Werkes zu akklamieren und des Weiteren den Anlass zur

Herabsetzung des musik�sthetischen Spektrums aus der Neudeutschen Sicht einer

Musikdramatiker -Partei desselben zu missbrauchen.

Von B�low Schreibt also:

"Die Tonkunst sollte ihren eigenen Festtagskalender haben. Die sch�ne und w�rdige

Feier. welche der Sternsche Gesangverein dem Ged�chtnisse Felix Mendelssohns und

sich selbst zu Ehren durch die Auff�hrung des "Elias" am 8. November veranstaltete,

erweckt den Wunsch, auch andere grosse Tondichter der Vergangenheit in �hnlicher

Weise gefeiert zu sehen. Merkw�rdig, dass sogar ein Institut, dem der genannte

Meister, oder vielmehr sehr bewusst absichtlich sich ferne hielt, dass das K�nigl.

Opernhaus durch eine Vorstellung des "Sommernachtstraumes" einer solennen

Anspielung ganz ausnahmsweise sich -unschuldig machte. Es war kein Zufall, dass

Felix Mendelssohn in seines Genius` Irrtum von diesem durch den Tod entrissen wurde,

als er dem - Irrtum der modernen "Oper" sich zuzuwenden begriffen war.

 

Was h�tte Mendelssohn, -von dessen specifisch musikalischer Begabung auch der

Gegner zugeben muss, dass er der n�chste ist nach Mozart, -in dem musikalischen

Drama Vollendeteres leisten k�nnen, als Mozart im "Don Juan" schon geleistet? Einem

solchen, immerhin nur genialen Reproduzieren w�rde aber eine �sthetisch-historische

Berechtigung im h�heren Sinne gefehlt haben".

 

38

 

 


 

Schlie�lich begibt sich von B�low gar in die Rolle des Propheten und verk�ndet dem

zeitgen�ssischen Auditorium in allwissender Vorausschau, das auch ein in den Jahren

gereifter Komponisten niemals substantielles, dem Anspruch neudeutschen

�Fortschrittsprinzips� gem��es , zu vollbringen f�hig gewesen w�re:

 

"Diese fl�chtige Andeutung soll nur der in der posthumen Verehrerschaft des grossen

Musikers ziemlich verbreiteten sentimentalen Ansicht entgegen, als ob Mendelssohn,

wenn ihn nicht ein fr�hes Ende erreicht, noch H�heres, Unverg�nglicheres geleistet

haben w�rde, als wir von ihm besitzen. Diese Ansicht steht auf einer Stufe mit der

bekannten Aufgabe, welche ein Pensionsvorsteher seinen Z�glingen stellte: "W�rde

Egmont Kl�rchen geheiratet haben, falls er nicht hingerichtet worden w�re?"

 

Wir glauben dem Genius weit freier und begeisterter zu huldigen, wenn wir

aussprechen: "Der Elias ist das den hohen Geist seines Sch�pfers am umfassendsten

und res�mierendsten darlegende Werk, in welchem er seine Mission erf�llt und

vollendet hat".

 

Zunehmende �ffentlichkeitswirksamkeit und Publikumserfolge der Werke

"neudeutscher" Tonsprache (vor allem der B�hnenwerke Richard Wagners und der

Oratorien und symphonische Rhapsodien Liszts) bewogen die Ideologen der

"Neudeutschen Schule", ihren Kreuzzug gegen alles dem Fortschrittsprinzip vermeintlich

im Wege stehende zu versch�rfen. Nachdem man Felix Mendelssohn als vormalige

Leitfigur bek�mpfter traditionalistischer �sthetik plangem�� �erledigt� hatte und

Meyerbeers B�hnenwerke sich bis auf weiteres resistent gegen das Unterfangen

rhetorischer Unterh�hlung erwies, r�ckten nun die �konservativen� Romantiker Robert

Schumann und Johannes Brahms ins Blickfeld neudeutschen Interesses. Mitte der

50ziger Jahre des 19. Jahrhunderts bem�hte man sich intensiv, Schumann der

Neudeutschen Idee einzuverleiben; ja ihn neben Opernreformer Richard Wagner

gleichsam zu einer neudeutschen Leitfigur des symphonischen Sektors aufzubauen.

 

Hans von B�low stellte Schumann im November 1853 noch ganz selbstverst�ndlich als

Repr�sentanten einer �neuen(n) romantischen Schule� Wagner und Berlioz gleich

(�NZfM� 11/12/1853), Franz Liszt propagierte von Weimar aus Schumanns

Vork�mpfertum �musikalischen Fortschritts�. Im Jahre 1860 richtete die Neudeutsche

Schule ein Schumann-Fest in Zwickau aus.

 

Clara Schumann, im Vernehmen, es mit einer Propagandaveranstaltung zu tun zu

haben, auf der das Angedenken Ihres Mannes zu ideologischen Zwecken missbraucht

w�rde, lehnte eine Teilnahme als Pianistin und Ehrengast ab.

 

�Ich kann doch nicht dahin gehen, um ein solches Fest mit den Menschen zu

begehen, die ich aus tiefster Seele (als Musiker) verachte�. Joseph Joachim best�rkte

sie in dem Entschluss, indem er ihr eindringlich m�gliche publizistische Folgewirkungen

einer Teilnahme der Witwe Schumanns vor Augen hielt. Er gemahnte, es k�nne im

Nachhinein als Beweis dessen herangef�hrt werden, �dass Schumann mit den neuesten

Fortschritten zur Unmusik gemeinsame Sache gemacht habe".

 

Nachdem Reflektionen der Neudeutschen auf Robert Schumann im Jahre 1860 im Eklat

endeten, schlug die publizistische Stimmung seitens der "Neudeutschen" schlagartig

um. F�hrende Repr�sentanten der Schule wie Hans von B�low und Felix Draeseke

bedachten das musikalische Angedenken Schumanns mit offenkundiger H�me.

 

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Es �berrascht wohl kaum noch, da� die biographische und musikalische Relevanz zu

Person und Werk Felix Mendelssohns als Leitfaden und Begr�ndung musikalischer

Mittelm��igkeit des Schumannschen Oeuvres herangef�hrt wurde. Bereits im Jahre

1856 schloss ein im Berliner Echo ver�ffentlichter Nachruf, da� mit dem Tode Robert

Schumanns ein �Ausl�ufer der Mendelssohnschen Richtung� zum Ende gelangt sei.

�Vorwiegend Eklektiker und scharf kritisch sichtender Verstandesmensch, konnte man

ihn (Schumann) mit Recht den musikalischen Lessing nennen.� res�miert der Nekrolog

des Weiteren.

 

Gefl�gelte Worte brachte die neudeutsche Publizistik in die Schumann-Rezeption ein.

So verdankt dieselbe Felix Draeseke jenes viel strapazierte Verdikt: �Schumann hat als

Genie angefangen und als Talent aufgeh�rt.� Hans von B�low wiederum pr�gte die

signifikante Metapher des Felixsch�lers Robert Schumann heraus und streicht somit

den von Felix Mendelssohn ausge�bten Einfluss vermeintlicher klassizistischer

Stagnation hervor, in dessen Leipziger Fangstricken sich Schumann zeitlebens

verfangen habe, schlimmer noch: welcher Schumann �verdorben� habe. B�low

konstatierte im Jahre 1860 also resignativ: �War der Mensch genial, bevor er bei Felix in

die Schule ging, Leipziger Kaufleute zu h�ten.

 

Des Weiteren gei�elte von B�low die �Schumannsche Intervallheulerei� als unertr�glich

und verk�ndete demonstrativ, jedwede �Halbdillettantenmusik lieber als eine

Schumannsche Symphonie (aufzuf�hren), deren blo�e Lekt�re ihm eine Tortur (sei)�.

B�low k�ndigte des weiteren einen grossen Schlag, die Ver�ffentlichung einer

Brosch�re an, welche die gegen Berlioz agitierende �Instrumentationsleere� der

verha�ten Schumannianer-Partei ins L�cherliche ziehen und daher �die Form einer

kleinen Handgranate� erhalten solle. Walter Dahms zufolge, lie� sich Hans von B�low,

seinem Vorbild Richard Wagner dabei nicht un�hnlich, von emotionalen Wallungen

oftmals zu Pauschalmeinungen hinreisend. Und nur so erkl�ren sich Aussagen und

Zeugnisse, welche sich in Bewunderung und Zuneigung einerseits, scharfer Ablehnung

und Diffamie andererseits zeitweilig vollst�ndig widersprechen. Was einmal in

Zynismus und H�me abgetan, findet zu anderer Gelegenheit wiederum zu Worten

warmherziger Verehrung. Neben den Faust und Genoveva�Kompositionen Robert

Schumanns, sowie dessen fr�hen Klavierwerken beispielsweise Musik und Wirken Felix

Mendelssohns!

 

Man kann sagen, da� sich im Falle Robert Schumanns eine rezeptionsgeschichtliche

Entwicklung anbahnte, welche derjenigen Felix Mendelssohns zeitweilig �hnelte.

 

Nicht in der gleichen Intensit�t und Nachhaltigkeit; da der entscheidende Aspekt

fremdenfeindlichen Ressentiments im Falle Schumanns nicht zur Verf�gung stand.

 

Dennoch pr�gten sich in jener Zeit Fehlrezeptionen seines Werkes heraus, welche

sich im musikalischen Bewusstsein und musikgeschichtlich allgemeing�ltig verfestigten

und noch heute um Schumanns Oeuvre herum irrlichtern. In der Hauptsache pr�gte

sich seinerzeit das unsinnige, spekulative Argument heraus, dieser �habe nicht

instrumentieren k�nnen�, die Symphonien �seien schlecht, intransparent und z�hlebig

instrumentiert�.

 

�berhaupt habe Schumann ja am origin�rsten f�rs Piano geschrieben, habe sich dem

symphonischen Satz vom Pianistischen her gen�hert und f�r die Symphonik kein

rechtes Empfinden aufgebracht.

 

Diese Stereotypisierungen fanden zu einiger musiktheoretischer Er�rterung, an

Versuchen, die Symphonien durch nachtr�gliche Retuschen (Mahler) zu �korrigieren�

 

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und somit f�r das Repertoire zu �retten�, fehlte es nicht. Angesichts synonymer Abfolge

rezeptionsgeschichtlicher, Parallelit�ten, von Intention und Argumentation, Ursache und

Wirkung traditionalistischer Musiker wie Mendelssohn und Schumann, stellt sich nun die

Frage, warum es das Werk des einen zu �retten� galt, w�hrend dasselbe des anderen

brachlag. Die Gr�nde daf�r d�rften wohl kaum im Bereich des Musikalischen zu suchen

sein!

 

Dennoch waren die Anh�nger traditionalistischer �sthetik den Umtrieben aggressiv

neudeutscher Rhetorik keineswegs g�nzlich r�ckhaltlos ausgesetzt. Neben den

genannten Schumannianern um Joseph Joachim, Clara Schumann und dem Publizisten

Herrmann Grimm verf�gten dieselben mit der von Mendelssohn ins Leben gerufenen

Musikakademie �ber einen gewichtigen, einflussreichen St�tzpunkt. Des Weiteren erbot

sich in der Person des berufenen zeitgen�ssischen Komponisten Johannes Brahms ein

respektabler Widerpart gegen den in den 7oziger und achtziger Jahren des 19.

Jahrhunderts erdr�ckend �berm�chtigen Schatten des neudeutschen Musikdramatikers

Richard Wagner, welcher mit dem brillanten Feuilletonisten Eduard Hanslick einen

einflu�reichen publizistischen Mitstreiter an seiner Seite hatte. Joseph Joachim hatte im

Herbst des Jahres 1857 brieflich mit dem ehemaligen musikalischen Weggef�hrten

Franz Liszt gebrochen und begr�ndete seine Weigerung, an einer Tonk�nstlerfeier zum

 

100. Geburtstag des Weimarer Gro�herzogs Carl August teilzunehmen

folgenderma�en:

"Die Beharrlichkeit Deiner zutrauensvollen G�te, mit der Du (...) Dich zu mir neigst,

um mich dem Verein der von Deiner Kraft bewegten Freunde angef�gt zu sehen, hat f�r

meinen bisherigen Mangel an Offenheit etwas besch�mendes. H�tte ich nicht dass

tr�stende Bewusstsein, dass dieser Mangel an Offenheit nicht Feigheit sei, und

vielmehr mit dem besten Gef�hl verwandt war, das (...) die tiefe Wahrheitsliebe und die

Tiefe Neigung zu Dir (...) ein Stachel f�r Dich zu werden (...) imstande sein k�nne. (...)

 

Ich bin Deiner Musik g�nzlich unzug�nglich; sie widerspricht allem, was mein

Fassungsverm�gen aus dem Geist unserer Grossen (...) als Nahrung sog.

 

W�re es denkbar, dass ich je dem entsagen m�sste (�) was ich als Musik empfinde,

Deine Kl�nge w�rden mir nichts von der ungeheuren, vernichtenden �de ausf�llen. Wie

sollt ich mich (...) da mit denen verbr�dert sehen -die die Verbreitung Deiner Werke mit

allen Mitteln zu ihrer Lebensaufgabe machen? (...)

 

Ich kann euch kein Helfer sein und darf Dir gegen�ber nicht l�nger den Anschein

haben, die Sache, die Du mit Deinen Sch�lern vertrittst, sei die meine. So muss ich

denn auch Deine liebe Aufforderung zur Teilnahme an den Festlichkeiten in Weimar

unbefolgt lassen: ich achte Deinen Charakter zu hoch, um als Heuchler (...) gegenw�rtig

zu sein."

 

Die Funktion des Konservatoriums als Reservoir des humanistisch inspirierten,

musikalisch absolut ausgepr�gten Kompositionsideals Mendelssohns erwies sich vor

allem in der zweiten H�lfte des 19. Jahrhunderts allerdings als eine zweischneidige.

 

Einer vielfach �berlieferten kulturgeschichtlichen Erfahrung entsprechend, wonach

Adepten kaum jemals die vom Initiator eines Reformwerks vorgegebenen

Idealvorstellungen auf gleicher H�he weiterzuf�hren in der Lage waren, agierten

demzufolge auch die Getreuen des ehemaligen Leipziger Generalmusikdirektors und

Hochschulleiters. Diese waren vor allem Ignaz Moscheles, Moritz Hauptmann,

Ferdinand David, Julius Rietz, und Niels W. Gade; letzterer ein zeitgen�ssisch

hochangesehener Komponist d�nischer Herkunft.

 

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Lassen wir noch einmal Hans von B�low als Zeitzeugen und Kommentator zu Worte

kommen:

 

"Eine andere Partei hielt dagegen treu an dem Todten fest, aus Piet�t, aus

pers�nlicher Freundschaft, aus musikalischer oder nationaler (d. h. semitischer,

Anmrkg. d. Verf.) Sympathie, und weihte nun den �berlebenden Quasisch�lern

(Nachbetern) Mendelssohns eine gr��ere Beachtung als fr�her. Dahin geh�rten

namentlich die Praktiken, denen an einem Nachfolger des Dirigenten Mendelssohn

gelegen war und die einen solchen in Rietz fanden..." (Zitiert aus dem Aufsatz "Das

musikalische Leipzig in seinem Verhalten zu Richard Wagner")

 

Als Vorst�nde des Konservatoriums trachteten die Genannten, den von Felix

Mendelssohn authentisch ausgepr�gten Istzustand ideal angeleiteten ambitionierten

Musizierens musterg�ltig festzuschreiben.

 

�Er hat mich an das ihm so liebe Institut berufen; ein Wirken daran mit ihm w�re mir eine

t�gliche Freude und Genugtuung gewesen, das Wirken daran ohne ihn bleibt mir Pflicht

und heiliges Verm�chtnis. Ich muss nun f�r uns beide arbeiten."

 

So beschied Ignaz Moscheles -im Oktober des Jahres 1846 von Felix Mendelssohn

ans Konservatorium berufen -seine Gattin Charlotte in ihren Erw�gungen einer

R�ckkehr nach England nach Mendelssohns unerwartetem Verscheiden. Treffender

lassen sich Vorstellungen und Geisteshaltung kaum zusammenfassen, mit welchen die

Nachla�verwalter vermeintlich Mendelssohnschen Gr�ndungs-und Arbeitsgedankens

am Leipziger Musikkonservatorium an diese Aufgabe herangingen.

 

Ausdr�cke wie "Pflicht" und "heiliges Verm�chtnis" legen den Verdacht auf ein gewisses

Ma� von Fundamentalismus, Dogmatik, �konservierende�, ein Ideal f�r alle Zeiten

festschreibende, formal in sich erstarrende Gralsh�terschaft bei der Bew�ltigung dieser

Aufgabe nahe. In diesem Bem�hen �bersahen die Repr�sentanten eines expliziten

Leipziger Konservatoriumsstils jedoch das Bestreben Mendelssohns, die propagierten

musikalischen Formvorgaben konzeptionell, harmonisch und klangsprachlich um eigene

Erfahrungen und Einsichten zu erweitern. Bereits in den 50ziger und 60ziger Jahren des

 

19. Jahrhunderts verfestigte sich, dem hohen Ruf und weitreichenden

kompositionstheoretischen Einfluss des Institutes zum Trotze dort ein Akademismus

substanzarmer unflexibler Musikkonservative. Im Sinne der charakteristischen Adorno-

Maxime: �Mendelssohn � gegen seine Liebhaber verteidigt!� bedingte diese Haltung die

fehlgeleitete Verm�chtnispflege eines Klischees, welches sich auf die zeitgen�ssische

Einsch�tzung der origin�ren musikalischen Kompetenz des Konservatoriumsgr�nders

im Nachhinein ungl�ckselig auswirken sollte.

Zum einen firmierte das im Akademismus verharrende Konservatorium zu Leipzig in

verallgemeinerter �ffentlicher Wahrnehmung als �Mendelssohn-Schule�, galten

Absolventen desselben � gleich dessen, ob es sich um heute m�glicherweise zu Recht

vernachl�ssigte Kompositeure wie Martin Blumner, Friedrich Kiel, Ludwig Meinhardus,

Karl Reinecke und Robert Volkmann Joachim oder wahrhaft inspirierte Tonsch�pfer wie

Max Bruch oder Edvard Grieg handelt - pauschal als �Mendelssohnianer� und Epigonen.

 

Des Weiteren unterfing sich das Konservatorium -vor allem unter der �gide des

Thomaskantors Moritz Hauptmann -in der musik�sthetischen Diskussion gegen die

Bestrebungen "neudeutscher" Avantgardisten zu polemisieren. Hauptmann trachtete

danach, Repr�sentanten Neudeutscher Musik dem Konservatoriumsbetrieb so weit als

m�glich fernzuhalten, um den bestehenden Ruf zentralen traditionalistischen

kompositionstheoretischen Lehrens in Deutschland und Europa keinesfalls zu

gef�hrden.

 

42

 

 


 

Dies gab selbstredend Anlas zu aggressiv vorgetragenen publizistischen Retouren

neudeutscher Ideologen auf das Konservatorium als �Mendelssohn-Schule�; lie� somit

den Konservatoriumsinitiator erneut zum Ziel rhetorischer Attacken werden.

 

Das Wort von den epigonalen �Mendelssohnianern� machte die Runde, der

nazarenisch-erbaulichen Kleinmeisterei postbachscher und -Mendelssonscher

Oratorien, der pianistischen Kleinwerke, welche bei Mendelssohn noch mit wahrer

poetischer Empfindung erf�llt, sich nunmehr in kitschigem Sentiment erg�ssen; die

Begriffe �Geschmacksgef�hrlichkeit des Mendelsohnschen Vorbildes� (Riemann) oder

der pianistischen �Salonmusik� kamen auf.

 

Dem spezifischen Unterfangen einer Konsolidierung des Mendelssohnschen Erbes

zumindest dienlicher erwies sich die publizistische T�tigkeit Hanslicks. In der Rezension

einer Veranstaltung der Wiener Singakademie in der Zeitungsrubrik "Aus dem

Konzertsaal" aus dem Jahre 1858 entlarvt er, neben einer erwartungsgem�� vom

traditionalistischen Standpunkt aus gef�hrten Suada gegen die Verrottung

musik�sthetischer Gepflogenheiten, hellsichtig die Intention des gegen Mendelssohn

betriebenen "neudeutschen" Nihilismus:

 

�Die Degradierung Mendelssohns zu einer �falschen Zwischenbildung� in der

Geschichte der Musik muss wohl die Ansicht in sich schlie�en, da� wir ohne diesen

Auswuchs viel weiter w�ren. Darauf ist zu erwidern, da� im Gegenteil in Mendelssohns

Erscheinen gerade zu dieser Zeit und in diesem Zusammenhang eine der weisesten

F�gungen der Kunstgeschichte liegt. Ohne seine Formsch�nheit, sein reines, klares

Gestalten w�re (...) die Verwilderung, die wir gegenw�rtig in der �Zukunftsmusik�

erleben, viel fr�her und ungleich verderblicher eingebrochen.�

 

Im Jahre 1869 gab sich der Komponist Richard Wagner �ffentlich als Verfasser einer

zweiten, �berarbeiteten Fassung des "Judenthums in der Musik" zu erkennen. Unter der

Protektion des Bayernk�nigs Ludwig II. hatte er mit den Urauff�hrungen von "Tristan

und Isolde" und den "Meistersingern" in M�nchen endg�ltig die Anerkennung eines

Opernreformers und Musikdramatikers gefunden. Mit der wachsenden Popularit�t

seines musikalischen Werkes nahm auch der Einfluss des Theoretikers Richard Wagner

auf das kulturelle und geistige Leben des sp�ten 19. Jahrhunderts zu. Somit griffen

auch dessen antisemitischen Ansichten um sich, welche er in weiteren versch�rft

argumentierenden Schriften erh�rtete.

 

10.Der letzte Deutsche

 

Jens Malte Fischer vertritt in seiner fulminant recherchierten und verfassten Schrift

�Richard Wagners �Das Judenthum in der Musik� (welcher die Fakten zur Gestaltung

aller dem Judenpamphlet gewidmeten Abschnitte hiesiger Ausf�hrungen entnommen

sind) die These, das erst die Zweitpublikation des Traktates �der eigentliche S�ndenfall�

des Wagnerschen Antisemitismus gewesen sei.

 

Im Gegensatz zu dem perfiden und feigen Versteckspiel des jungen mittellosen

exilierten, weithin verkannten Musikdramatikers um das Pseudonym �Karl Freigedank�

herum, unterzeichnete ein nunmehr erstarkter und breitgef�chert akzeptierter Richard

Wagner mit dem eigenen vollen Namen. Das Pamphlet erschien im M�rz 1869 als

Brosch�re im J. J. Weber Verlag in Leipzig. Wagner versah es mit einem kurzen

Vorwort und einer langen Erl�uterung im Nachsatz.

 

43

 

 


 

In den Jahren zwischen der gescheiterten Revolution von 1848 und den siebziger

Jahren des 19. Jahrhunderts hatte die allgemeindeutsche Judenemanzipation und

Konfessionsgleichstellung rasche Fortschritte gemacht. Wagner sah sich im Jahre 1869

mit einem Ausma� �drohenden� Einflusses von gleichgestellten Juden in der

Gesellschaft gegen�ber, welches seine wiedererstarkten antisemitischen Aggressionen

und Aversionen dem Judentum gegen�ber hervorrief.

 

Die Neupublikation von �Das Judenthum in der Musik� muss also als unmittelbare

Reaktion auf diesen Gleichstellungsschub im Jahre 1869 gesehen und verstanden

werden. Einen wesentlichen Einfluss auf die antisemitischen Eruptionen Wagners im

Jahre 1869 hatte der Aufsatz �Was ist deutsch?�, welcher dem Briefwechsel Wagners

mit K�nig Ludwig II. entnommen ist. Darin versuchte Wagner mit allen ihm zu Gebote

stehenden publizistischen Mitteln den K�nig (allerdings v�llig ergebnislos) f�r seine

antisemitische Einstellung zu gewinnen.

 

Noch im Jahre 1882, im Zuge von Querelen zwischen Wagner und Ludwig II. um die�berlassung der K�niglich M�nchnerschen Hofkapelle und deren j�dischen Leiters f�r

die Urauff�hrung von Parsifal in Bayreuth, schreibt Wagner an den K�nig prophetisch

vorausgreifend:

 

�Der ich mit mehreren dieser Leute freundlich mitleidsvoll und teilnehmend verkehrte,

konnte ich dies doch nur auf die Erkl�rung hin erm�glichen, dass ich die j�dische Race

f�r den geborenen Feind der reinen Menschheit und alles Edlen in ihr halte: dass

namentlich wir Deutschen an ihnen zu Grunde gehen werden, ist gewiss, und vielleicht

bin ich der letzte Deutsche , der sich gegen den bereits alles beherrschenden

Judaismus als k�nstlerischer Mensch aufrecht zu erhalten wusste�.

 

�berhaupt machte Richard Wagner anl�sslich des von ihm selbst und seiner

k�nstlerischen, finanziellen und politischen Ma�losigkeit verschuldeten Scheiterns

seiner M�nchner Pl�ne und den erneuten Gang ins Exil nahezu fiktiver �j�discher

Verschw�rer� in M�nchen verantwortlich.

 

Dies stachelte den in der zweiten H�lfte der 1860ziger Jahre angewachsenen Zorn

Wagners gegen�ber der insgesamt als feindlich imaginierten �j�dischen Race" auf,

welcher in der Aufsehen erregenden Neupublikation des �Judenthums in der Musik�

eben am Ende jener 1860ziger Jahre einm�ndete.

 

Die zersetzende, Wagners Text und Musik als Ingredienzien eines gewaltigen Bluffs

verortete Rezension der Urauff�hrung der �Meistersinger� in M�nchen durch den Kritiker

Eduard Hanslick lie� das Fass antisemitischer Aggression in Wagners Denke

sprichw�rtlich �berlaufen und gab somit einen letzten Anschub der Neuedition des

Judentraktates.

 

Der Wiener Rezensent Eduard Hanslick hatte sich von der anf�nglichen Bewunderung

des jungen Richard Wagner zum nunmehr sch�rfsten und gef�hrlichsten Gegner des

selbsternannten Musikdramatikers entwickelt. Die Tatsache, dass Hanslick Jude war,

stachelte Wagner zu besonderem Hass gegen�ber dem m�chtigen Rezensenten auf

und verleitete ihn dazu, diesen mit der Figur des Merkers (also Kritikers) Sixtus

Beckmesser in dem Personenstab der �Meistersinger� zu karikieren. (Die Figur sollte

anfangs sogar Hans Lick hei�en.)

 

Hanslick schrieb also: �Nicht die Sch�pfung eines echten Musikgenies haben wir

kennengelernt, sondern die Arbeit eines geistreichen Gr�blers , welcher -ein

schillerndes Amalgam von Halbpoet und Halbmusiker � sich nach der Spezialit�t seines

in der Hauptsache l�ckenhaften in Nebendingen blendenden Talentes ein neues

System geschaffen hat, ein System, das in seinen Grunds�tzen irrig, in seiner

konsequenten Durchf�hrung unsch�n und unmusikalisch ist�.

 

44

 

 


 

Hanslick legt dabei die beiden zentralen eklatanten Schw�chen im Getriebe von

Wagners gesamten musikdramatischen Wirken blo�. Die Tatsache das der �Halbpoet�

Wagner die Poesie stets nur zweckdienlich, anhand der Massvorgabe seines

dramatischen Anliegens betrieb, bedingt, das solche sklavisch linear aufgefasstes

Versgeschmeide sich niemals zu der Wirkm�chtigkeit eines unbedingten freien

Aufschwungs an einem entgrenzten, poetischen Horizont f�hig sein kann.

 

Des weiteren verdeutlicht Hanslick, dass der �Halbmusiker� Richard Wagner,

beschwert auch von seiner mangelhaften musikalischen Ausbildung, eine wiederum

nur der tonk�nstlerischen Entsprechung eines verbalen und dramaturgischen

Leitfadens, oder besser: eines Konstruktes dienende, ohne Ansehen harmonischer

Gesetzm��igkeiten und des formalen Gestaltungswillens, geschaffene lineare Musik

vorlegte, welche rein musikalisch besehen, schlichtweg nichts taugt.

 

In der Neupublikation ereiferte sich Wagner unter anderem �ber die Heimat-und

Musikstadt Leipzig und schm�ht dabei auch wieder das Andenken Mendelssohns,

welcher der Stadt eine �eigentliche musikalische Judentaufe� erteilt und jene dadurch

zur �Judenmusikweltstadt� gemacht habe. Ausf�lle wie jene gegen das �moderne

Israel�, den �Judenjargon�, das �Musikjudentum� und die �Musikjuden� folgten.

 

Wer sich angesichts dieser Schlagworte unwillk�rlich an die verb�rgte Hetzsprache

des Nazi-Regimes erinnert f�hlt, tut dies zu recht: so unglaublich vieles war schon

bereits von Wagner aus-und vorformuliert worden und brauchte nur aufgegriffen und

angewandt zu werden.

 

Zentraler Punkt des Schreibens ist die Suggestion einer abwegigen paranoid

empfundenen �j�dischen (Musik-) Weltverschw�rung gegen Person, Werk-und Ruhm

Richard Wagners�. (J. M. Fischer)

 

Was Wagner in Wahrheit selbst mit nachhaltigem Erfolg betrieb, die umfassende

Zerst�rung des Werkes und Ruhmes eines angesehenen Komponisten mit

publizistischen Mitteln, w�hnt er mit pathologischem Eifer, quasi wie ein Schattenboxer,

auch gegen sich selbst gerichtet.

 

Er schrieb also: �Denn �ber Eines bin ich mir klar: so wie der Einfluss, welchen die

Juden auf unser geistiges Leben gewonnen haben, und wie er sich in der Ablenkung

und F�lschung unserer h�chsten Kulturtendenzen kundgibt, nicht ein blo�er, etwa nur

physiologischer Zufall ist, so muss er also auch als unleugbar und entscheidend

anerkannt werden. Ob der Verfall unserer Kultur durch eine gewaltsame Auswerfung

des zersetzenden fremden Elementes aufgehalten werden k�nnte vermag ich nicht zu

beurteilen weil hierzu Kr�fte geh�ren m�ssten, deren Vorhandensein mir unbekannt ist.�

 

Wagner blickt also dabei prophetisch in die Zukunft und sieht dort Kr�fte

heraufd�mmern, welche er in seinen Schriften mit gewaltigen Worten wiederum selbst

heraufbeschworen hatte.

 

Wagners Person geriet denn in den sp�ten 1860ziger und in den 70ziger Jahren auch

zu einem Empf�nger von quasi umfassendem, unbedingtem, royalem Anspruch

zahlloser antisemitischer Denk-und Hetzschriften oder wurde, besser gesagt, dar�ber

hinaus gar zum geistigen F�hrer einer neuen antisemitisch-politischen Bewegung in

Deutschland.

 

Im Privatleben Wagners, welches sich so treffend in Cosimas Wagners Tageb�chern

�berlieferte, herrschte denn auch die Meinung vor, mit der Neupublikation des

 

45

 

 


 

Judentraktates den Anfang der Antisemitismusbewegung der 1870ziger Jahre gegeben

zu haben und so reflektierte Cosima Wagner im Tagebuch stolz und frohgemut: �Wir

lachen dar�ber, dass wirklich, wie es scheint, sein Aufsatz �ber die Juden den Anfang

dieses Kampfes gemacht hat�.

 

Jens-Malte Fischer fasst im Abschluss seines Kapitels �Die Wirkung der Brosch�re

von 1869� denn auch folgerichtig zusammen: �Er (Wagner) gab der zehn Jahre sp�ter

ausbrechenden massiven Antisemitismuswelle eine Art Anschubfinanzierung, und so ist

seine und Cosimas Befriedigung dar�ber, da� die Brosch�re den Anfang gemacht habe,

leider von der historischen Wahrheit nicht sehr weit entfernt.�

 

Und so schrieb Eduard D�hring im Jahre 1881 in seinem Pamphlet �Die Judenfrage als

Rassen-, Sitten-und Kulturfrage�, welches sich zu einem ma�geblichen Werk innerhalb

des deutschen Antisemitismus der Kaiserzeit entwickelte (in der 5.ten Auflage aus dem

Jahre 1901: (So) �soll ihm das Verdienst nicht bestritten werden, als selbstst�ndiger

Schriftsteller schon fr�h in die Judenfrage eingegriffen und einige mit der Kunst

zusammenh�ngende Eigenschaften sowie die geheime literarische Verfolgungssucht

der Juden zur Sprache gebracht zu haben�.

 

Das Fatale an der Neupublikation der Judenschriebs ist doch jenes: In einem Umfeld

des obskuren Publizierens antisemitischer Wirrk�pfe, welche die zeitgen�ssische

Intelligenz nicht akzeptierte oder ernst nahm, werden hier die antisemitischen Thesen

von einer gewichtigen, weithin ber�hmten Musikpers�nlichkeit deutschen ja

europ�ischen Ranges �ffentlich vertreten.

 

Der von Wagner und seinem Gefolge initiierte, von der Gr�ndung Wahnfrieds an bis

zum Untergang Bayreuths im Jahre 1945 bestehende Bayreuther Kreis, verbreitete

unausgesetzt �ber das Sprachrohr der Bayreuther Bl�tter die von Wagner und seinem

Ruhm so fatal geadelte, in den Rang eines deutschen und europ�ischen Diskurses

erhobene antisemitische Denke Wagners.

 

Jens Malte Fischer gemahnt in dem Kapitel �Die Nachwirkung� aus �Richard Wagners

Das Judentum in der Musik� eindringlich die Gef�hrlichkeit dieser zersetzenden, alle

Bindungen b�rgerlicher Ordnungen bis zum Ausflocken der einzelnen Bestandteile und

Gesetzm��igkeiten agierenden oder reagierenden Thesen.

 

Und somit ist eine allgemeine �meist ausgesprochene, gelegentlich auch

unausgesprochene Traditionslinie der Berufung auf Richard Wagner in allen Aspekten

der Judenfeindschaft vom Ende des 19. Jahrhunderts ungebrochen bis ins �Dritte Reich�

hinein feststellbar, und vor allem im Zusammenhang von Kunst und Kultur, speziell von

Musik� (Fischer).

 

Um 1870 herum trat auch der Leipziger Publizist August Rei�mann; ein ehemaliger

Konservatoriumssch�ler Felix Mendelssohns mit Schriften an die �ffentlichkeit. In

diesen vermochte er es kaum, das Werk dieses Komponisten im Stande gebotener

�sthetischer Eigenst�ndigkeit zu beurteilen. Vielmehr unterwarf er es erneut dem

alleinigen Ma�stab musikalischen Fortschritts. Es verdeutlicht sich erneut, wie dominant

sich dieses von der "Neudeutschen Schule" kultivierte Dogma in jenen Jahren

geb�rdete � wie sehr die sachlich �sthetische Analyse von Musik als eines Sprachrohrs

nur in eigener Sache damals verunm�glicht war.

 

Reissmanns Mendelssohn-Traktat ist allein durch sein Benehmen bemerkenswert, die

antisemitischen Theorien und speziell auf Mendelssohn gem�nzten abf�lligen Invektiven

 

46

 

 


 

einer angeblich oberfl�chlichen angekr�nkelten j�dischen Psyche sowie synthetischen

k�nstlerischen Empfindens aus Wagners "Judenthum" nahezu identisch in den

unverd�chtigeren Tonfall "objektiv" musikwissenschaftlichen Theoretisierens �bertragen

zu haben. Er gab somit einer Entwicklung eines Kataloges musikalisch absolut

vorgetragener, scheinbar von den offenkundigen antisemitischen Stossrichtung des

Wagnerschen Traktates g�nzlich befreiter, negativer Mendelssohn-Stereotypisierung

erheblich Vorschub.

 

Reissmann schreibt also:

"Mendelssohns ganze Erziehung hatte in ihm fr�h jenen genialen Sinn f�r

Formvollendung ausgebildet, der es im Grunde verhinderte, dass seine Individualit�t

sich wirklich selbstsch�pferisch und neu gestaltend vertiefte (...) Fr�h leitete ihn das

Bewusstsein von der idealsch�nen Form, in welche er seine Individualit�t zu ergie�en

strebte, diese aber war weder sehr tief noch �beraus reich ausgestattet (...) Mit

rastlosem Fleisse (...) hatte er sich die unumschr�nkte Herrschaft �ber alle Mittel der

musikalischen Darstellung angeeignet, aber er verwendet diese immer nur nach dem

durch seine Individualit�t beschr�nkten Ma�e (...) Er stellt seine leichter entz�ndbare

Phantasie, sein rascher und m�chtiger erregtes Interesse unter die Herrschaft fremder

Einfl�sse.

 

Bach und H�ndel, Mozart und Beethoven (...) gewinnen Anteil an seiner Innerlichkeit

aber nur so weit sie eben Raum darin finden, sodass diese selbst nicht gerade

gewaltiger und tiefer wird. (...) Mendelssohns Phantasie wird von der des Dichters nur

angeregt; der Meister empfindet die fremde Dichter-Individualit�t nur in dem

beschr�nkten Rahmen seiner eigenen und vermag sie daher auch nicht umzudichten

(...) Selbst jetzt, nachdem uns der ganze Mendelssohn bekannt ist, wird es nicht leicht,

in den Liedern op. 8 und 9 die besondere Weise seines Empfindens zu erkennen, weil

hier das Fremde und Angelernte �berwiegt. (..) Sie sind alle im Sinne und Geiste der

gr��ten Meister empfunden, aber der Ausdruck ist auf jenes Ma� zur�ckgef�hrt und

abgeschw�cht, das ihm f�r die ganz grosse Allgemeinheit Giltigkeit gibt und daher den

Liedern die weiteste Verbreitung sichert. Die Lyrik Mendelssohns wurde so (...) zur

Massenlyrik. (...)

 

Mendelssohn f�hrte mit seinen "vierstimmigen Liedern im Freien zu singen" auch dem

Chorliede alle die in seiner Individualit�t abgekl�rten Elemente des Musikempfindens

seiner Zeit zu (...) Der vierstimmige Liedergesang stellt nirgends Anforderungen, die

au�erhalb der Individualit�t unsres Meisters liegen. Subjective Vertiefung wie die

Verdichtung zu grossen und weit angelegten Tonbildern sind dem Chorliede ebenso

fremd wie unserem Meister. Die besonderen Feinheiten des Empfindens finden nat�rlich

nur so weit Ber�cksichtigung als sie sich im Chorliede darstellen und dem

Gesamtempfinden vermitteln lassen -und hierin ganz besonders liegt Mendelssohns

un�bertroffene Meisterschaft. " ("Die drei grossen Meister der musikalischen Lyrik" in

"Die Tonhalle", Leipzig vom 9.11.1869)

 

In Er�rterungen der "Kunst-und Kulturgeschichtlichen Bedeutung" Mendelssohns

verweist Reissmann zwar auf den hohen Rang der "ewig g�ltigen Kunstwerke, welche"

Mendelssohn in "sch�pferischer Wirksamkeit f�r die gesamte Kulturentwicklung",

hervorgebracht habe, gibt aber des gleichen zu bedenken, da� man Innovation

vergleichbaren Ranges hinsichtlich "Weiterbildung der Kunst" und eines "neuen

Ton(es)...der zur Weiterverfolgung anregte" nicht zu erkennen verm�ge.

 

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Verbl�mt, in umsichtig, taktvoll erwogener Formulierung, wird hier der Einsch�tzung

Vorschub geleistet, das Mendelssohns Musik zwar unbestreitbar den Geschmack zeitgen�ssischer

H�rerschaft vollg�ltig befriedigte, H�rern k�nftiger Generationen aber wohl

kaum noch wesentliches zu sagen verm�chte.

 

Solch Ausma� nachhaltig um sich greifender Mendelssohn-Verfemung riefen Freunde

und Weggef�hrten wie den Komponisten und Dirigenten Ferdinand Hiller zur

Verteidigung von Namen und Rang Mendelssohns auf.

 

Hiller ver�ffentlichte im Jahre 1874 ein Gedenkb�ndchen, welches der �ffentlichkeit

"Briefe und Erinnerungen" zug�nglich machte. Im Vorwort machte Hiller aus dem Anlass

der Publikation keinen Hehl und schrieb daher:

 

"Verehrer Mendelssohns haben es mir vorgeworfen, nicht schon vor l�ngerer Zeit mit

Mitteilungen �ber ihn hervorgetreten zu sein. Vielfache Gr�nde hielten mich davon ab.

(...)

 

Jetzt aber trete ich um so freier mit diesen von dem Dahingeschiedenen so

liebenswerte Z�ge enthaltenen Bl�ttern hervor, als er, einer der sch�nsten und hellsten

Sterne am Himmelsgew�lbe deutscher Kunst, gerade in seinem Vaterlande, von dem

Unverstand, der Urtheilslosigkeit und dem Neide Angriffe erf�hrt, welche nur denen, von

welchem sie ausgehen, zur Unehre gereichen; denn der Glanz, in welchem sein Name

erstrahlt, zu verdunkeln wird ihnen nimmer gelingen. Das Gold widersteht dem Roste.

("Felix Mendelssohn-Bartholdy, Briefe und Erinnerungen, K�ln 1874)

 

In den 70ziger Jahren des 19 Jahrhunderts verfielen Rezensenten zunehmend darauf,

Mendelssohns Klavierwerke explizit in den Rang oberfl�chlich brillanten

Demonstrationsrepertoires pianistischer F�higkeiten von Nachwuchsk�nstlerinnen zu

erheben. So schrieb die "Tonhalle" im April des Jahres 1870:

 

"Fr�ulein Mehlig spielte die Pianopartie des sch�nen Es-Dur Trios, Phantasiest�cke von

Schumann, Pr�ludium und Fuge von Mendelssohn (...) Hier war ein gro�es Feld reicher

Kontraste! Schumanns tief innerliches Phantasiest�ck neben Mendelssohns ma�vollem

und glattem Pr�ludium".

 

Am 2.ten November hei�t es ebenda:

� Wenn wir in dem herrlichen Bachschen Pr�ludium und Fuge, (...) von den gro�artig

unruhigen Tonwellen und dem markigen Fugenthema fortgerissen wurden, so war auch

die Klangwirkung des Mendelssohnschen Adagios von dem weichesten Charakter

durchweht."

 

Am 7. Dezember schrieb die "Tonhalle" wiederum:

 

"Einen h�chst erfreulichen poetischen Reiz gew�hrten die Claviervortr�ge der

sechzehnj�hrigen Frl. Emma Brandes aus Schwerin. Wenn eine so jugendliche

Pers�nlichkeit sich an ein St�ck wagt, wie das G-Moll-Concert von Mendelssohn, (...) so

will das viel sagen. (...) Wir mussten uns bei dem Spiel der Frl. Brandes gestehen, was

zu ahnen noch kein K�nstler bei uns veranlasst hatte, da� das G-Moll-Concert dem

Ausf�hrenden, wenn er von musikalischer Intuition durchdrungen ist, bei dem Spielen

dieses scheinbar mehr f�r die gl�nzende Entwicklung wahrer Technik geschriebenen

St�ckes Gelegenheit giebt, alle Vorz�ge eines vortrefflichen Clavierspielers zu

offenbaren.

 

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Abschlie�end sei die Ausgabe vom 14.12.1870 zitiert:

 

"Die noch im kindlichen Alter stehende Pianistin Laura Kahrer, welche sich bereits in

mehreren bedeutenden St�dten mit Erfolg produziert hat, gab ein Concert, das in vieler

Beziehung Staunen zu erregen geeignet war. (...) Die Handgelenke (...) sind auffallend

elastisch und bef�higen zu erstaunlich leichtem und graci�sem Octavenstaccato und

�berhaupt leise �ber die Tasten hingehenden so genannten Mendelssohnschen

Clavierfiguren."

 

11. Gl�cklicher Mensch! Dich erwartet wohl nur ein kurzes Ephemeren-Leben!

"Gl�cklicher Mensch! Dich erwartet wohl nur ein kurzes Ephemeren-Leben, aber Liebe

Gl�ck und Kunst haben es aus Licht und W�rme Dir gewoben! Zieh hin und sinke, wenn

es sein muss, wie alles Sch�ne im Fr�hlinge dahin!"

 

Euphemistisch belegt Adele Schopenhauer die au�erordentlichen Wirkung, welche der

12-j�hrige Knabe Felix auf die Schwester des Philosophen und allgemein aus�bte.

 

Dar�ber hinaus nimmt sie prophetisch die Geschicke Felix Mendelssohns in

zwiefacher Hinsicht vorweg. Den Lebensweg des Komponisten zum einen; �u�erlich

wahrnehmbar scheinbar ein einziger H�henflug.

 

Zum zweiten: den stereotypen R�ckschluss von privilegierter Biographie auf die

musikalische Substanz von Kompositionen, welcher sich in zunehmend ver�u�erlichter

Betrachtung des Sujets durch Musikologen in der 2. H�lfte des 19. Jahrhunderts

herausbildete. Vom 3. Weg, dem inneren Weg des musikalischen Humanisten in eine

substantielle emotionale und musikalische Melancholie hinein, in die Gewissheit um das

Vergehen einer Epoche, welche entscheidende gesellschaftliche Ver�nderung durch

Kultur und Bildung f�r m�glich hielt; in die finale Gewissheit, versagt, das Hauptziel,

vermittels Musik die Menschen innerlich zur Vervollkommnung und Erkenntnis

anzuleiten, nicht erreicht zu haben, konnte Adele Schopenhauer nichts vorausahnen,

wollten besagte Musikologen nichts erahnen.

 

Sie �berlagern sich mit der sachfremden Argumentation einer Musikwissenschaft

sp�terer Zeiten, welche die idealisierte Gleichsetzung der Betrachtung von Werk und

Person eines Komponisten zum Dogma erhob.

 

Bedeutsame Musik: komponiert von einem Menschen, dem es, frei von materiellen

Sorgen, geliebt, k�nstlerisch von jeher gef�rdert und vorbehaltlos akzeptiert,

nachweislich immer wohl erging? Wie w�re das m�glich?

 

In einer �bersteigert-romantischen Vorstellung jener Jahre von Kunst als

entsagungsvoller Verpflichtung rang das wahre Genie -der Heros des Judenaufsatzes abseits

von Anerkennung oder Lebensgl�ck um meisterliche musikalische Wahrheit.

 

Erst sp�t oder niemals fand so das Werk bedeutender K�nstler zu Lebzeiten

Anerkennung. Das pers�nliche Leid des K�nstlers als zuverl�ssigster Indikator

k�nstlerischer Gr��e, dem Ma�stab einer beinahe mathematisch vorgenommenen

Relativierung unterworfen: Je mehr pers�nliches Leid, desto bedeutsamer das Werk.

 

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Wies nicht allein der Vorname Mendelssohns symboltr�chtig darauf hin, wie sehr sich

Gedanken an Genialit�t und Meisterschaft hinsichtlich seines Werkes ausschlossen:

"Felix" - "der Gl�ckliche"!

 

Intermezzo II: "Felix! Tust Du nichts?!"

 

rief Mutter Lea stets, wenn der Knabe sich ins Plaudern verstieg und er sich somit des

M��iggangs hingab. Auch der zum Manne herangereifte Felix Mendelssohn mochte

diesen zu unabl�ssigem Bildungsfleisse anspornenden Ruf innerlich noch oftmals

vernommen haben.

 

"Nun ist Gl�ckhaben noch kein pers�nliches Verdienst; entscheidend ist, wie einer sein

Gl�ck empf�ngt und verwaltet (...) Betrachten wir also die Lebensstationen dieses in der

Tat vom Gl�ck beg�nstigten K�nstlers, der (...) das ihm Zugefallene t�glich in harter

Arbeit bis zur Ersch�pfung sicherte, (...) der mit der B�rde "Gl�ck" in einem nur kurzen,

sich selbst verzehrenden Leben fertig werden musste." gibt Eduard Kle�mann in "Die

Mendelssohns -Bilder einer deutschen Familie" im Hinblick auf die tiefschichtiger

erkennbaren Aspekte eines Felix Mendelssohn Bartholdy zuerkannten �berma�es

gl�cklicher Lebensumst�nde zu bedenken.

 

Das stereotyp wiedergegebene Genrebild vollendeter Sorgenlosigkeit ignoriert

demzufolge das Desinteresse Mendelssohns an potentiellem gro�b�rgerlich-

materiellem M��iggang.

 

Allein die Leipziger Jahre zeigen Momente einer Schaffensverpflichtung auf, welche

nahezu etwas Getriebenes, Psychopathologisches in sich tragen. Die Vermutung, da�

die Ruhelosigkeit eines im innersten Wesen zutiefst unsicheren Menschen, die sich

auch in leichter Reizbarkeit, den verb�rgten raschen Dirigiertempi und der H�ufigkeit der

Tempovorgaben Presto, Molto vivace, Molto allegro con fuoco in den Kompositionen

�u�erte, zu �berarbeitung, Depression und vorzeitigem Tode des Komponisten

beitrugen, liegt nahe.

 

Das Klischee schmerzgeboren titanesker Kreativit�t des Genies, welchem ein in

pastoral-�therischer Idyllik dargestellter "Felixissimus" nicht zu gen�gen vermochte,

wurde von der Musikpublizistin La Mara in ihrer Darstellung von "Musikalischen

Studienk�pfen" trefflichst bedient. Auch hier firmiert nicht der wahre Name einer Autorin;

die eigentlich auf den Namen Marie Lipsius h�rte. Gleich zu Beginn ihrer Darstellung

hei�t es:

 

"Auf lichten H�hen wandelte er sorglos dahin, unangefochten von N�then und

Bedr�ngnissen des gemeinen Lebens, frei von Zwiespalt und Kampf, wie sie die

K�nstlerseele so h�ufig beschweren".

 

Als ob �sthetisches R�sonieren und kreatives Handeln den Anforderungen des

Kriegsfalles unterworfen sei, der K�nstler sich in Wahrheit also am Ma�stab

vaterl�ndischen Gemeindienstes als substantiell erzeigte, behauptet La Mara Lipsius in

wahrhaft martialischer Gestimmtheit:

 

"Ein Heldencharakter freilich wird nicht im Sonnenlichte gezeitigt, er bedarf der Schatten

und K�mpfe von grossen Schmerzen.

 

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So ist auch Mendelssohn kein Heldencharakter geworden, nicht das, was man einen

Heros der T�ne nennt. Ihm fehlt die genialische �berf�lle, die himmelanst�rmende

Kraft, die k�hne Urspr�nglichkeit, die jenen macht.

 

Nicht in die n�chtigen Tiefen innerlichen Ringens und K�mpfens ist er

hinabgestiegen, eine Welt in sich befriedeter Sch�nheit und wolkenloser Klarheit ist es,

darin seine Mu�e zu verweilen pflegt.

 

Aus solch Zerrbildnis heraus betrachtet, �berzogenen Anspr�chen an

Allgemeinverbindlichkeit kulturellen Wirkens sowie Vers�umnissen hinsichtlich

biographischer Wahrheitspflicht geschuldet, war wohl kaum noch angemessene

Darstellung des Oeuvres eines so beschriebenen Kompositeurs vorstellbar.

 

La Mara leistet viel eher einem verh�ngnisvollen Kulturdarwinismus vom Schlage

Wagners Vorschub, welcher die K�nste dem Gesetz des Pathos unterwarf. Das

Pathetische allein ist diesem zufolge gro� und wahr; nur der K�nstler, welcher des

Lebens M�hsal den Pathos abrang.

 

Das von La Mara vorgestellte Bild gemahnt an die symboltr�chtige Fabel von der Grille

und der Ameise. Letztere bem�ht sich im Verborgen und finsteren um

�berlebenswichtiges Gut, w�hrend die Grille sich Sommers t�ndelnd, musizierend im

fl�chtigen Beifalle sonnt und den Winter nicht zu �berstehen vermag.

 

12. Von der E-Musik und der U-Musik

Auch die Kluft zwischen den Ebenen Popul�rmusik und Hochkultur best�rkte eine

Musikwissenschaft, welche Werk-und Rezeptions�sthetik von Musik als selbstverst�ndliche

Einheit auffasste, in ihrem Vorbehalt, es letztendlich nicht mit einem E-

sondern mit einem U-Musiker zu tun zu haben. Die akademische Musikpflege durch

Musikologen, Rezensenten und professionelle Instrumentalisten begann das Bild

Mendelssohns als �Epigonen, faden �Klassizisten� und �schwindender Gr��e�

festzuschreiben. Die Pr�senz seiner Werke auf den Konzertpodien schwand.

Chorges�nge und Klavierkompositionen erfreuten sich in der Haus-und Volksmusik

hingegen ungebrochener Beliebtheit.

 

Nun offenbart sich darin eine aus allen kulturellen Traditionen vertraute Tendenz

intellektueller akademischer Erhabenheit, welche sich mit Heranbildung und dem

wachsenden gesellschaftlichen Einfluss bildungsb�rgerlicher Strukturen auspr�gte.

 

Es war im 18. und fr�hen 19. Jahrhundert weniger Ausnahme als Regel, da�

Kompositionen der bedeutendsten Tonsch�pfer Volkst�mlichkeit erlangten oder gar

gezielt f�r den popul�r-oder semipopul�rmusikalischen Bereich entstanden. Mozart

hatte keinerlei Schwierigkeiten, neben den ersch�tternden psychischen Vertiefungen

des "Requiem" und der Titusoper auch Vogelf�ngerarien f�r die Wiener Vorstadt zu

schreiben. Mozart-Kompositionen wie das nurmehr volksliedhaft rezipierte �Komm,

lieber Mai und mache....�, das ber�ckende �Rondo alla turca� f�r Klavier sowie die

Streicherserenade �Eine kleine Nachtmusik gingen ins b�rgerliche Popul�rmusikgut ein.

 

Auch das Schaffen Haydns (�Meine Mutter schickt mich her, ob der Kaffee...� nach der

Symphony Nr. 94 �Mit dem Paukenschlag� und jenes Beethovens ("F�r Elise") blieben

nicht ohne Einfluss darauf.

 

51

 

 


 

Melodien aus Carl Maria von Webers �Der Freisch�tz" wurden bereits Tage nach dem

�berw�ltigenden Premierenerfolg in den Strassen Berlins nachgesungen und �gepfiffen.

Lieder wie �Der Lindenbaum�, �Das Wandern ist des M�llers Lust� von Franz Schubert

oder �Guten Abend. Gute Nacht� von Johannes Brahms z�hlten im 19. und fr�hen 20.

Jahrhundert zum Volksliedgut. Die Musikforschung hantiert hier in der Abstrafung

popul�ren mendelssohnschen Volksgutes gegen�ber jenem von Mozart, Haydn oder

Brahms offenkundig mit zweierlei Ma�.

 

Der Vorwurf bezeichnender, exorbitanter Popularit�t einzelner Mendelssohn-

Kompositionen l�sst vielmehr Subjektivismus, Voreingenommenheit erkennen. So bleibt

nur noch eines von Interesse: wann der gemeinhin sanktionierte Bruch zwischen

popul�r-musikalischer und neuzeitlich professionell aufgefasster Musiktradition exakt

einsetzte; wen der akademische Bannstrahl traf, wen er verschonte. Eric Werner

definiert die Aufl�sung gemeinschaftlicher Verwurzelung von �Kunst� und

�Gebrauchsmusik� in der Tradition h�fischen Musizierens in der sich zunehmend

verb�rgerlichenden �gide Franz Schuberts, also den Zeiten des Metternichregimes in

den Jahren um 1820. Die Instrumentalmusik spaltete sich demzufolge in die nunmehr

unvereinbaren, autonom sich fortentwickelnden �Ebenen der �reinen� Kunst, die

klassisch-romantische Kammer-und Symphoniemusik sowie die Ebene des Popul�ren

jedweder Operetten-und Tanzmusik jener Zeit und der Salonmusik f�r Klavier, Harfe

oder das kleine Ensemble der Gartenrestaurants�

 

Die auf solch chronologischer, kulturgeschichtlicher Betrachtung beruhende Analyse

musste also res�mieren, das Mendelssohn als �seri�ser� Musiker den �Fehler� beging,

diverse, nurmehr �Kleinmeistern� zuerkannte, Popul�rmetiers wie romantische

M�nnerch�re, �Lieder, im Freien zu Singen�, Duette und Quartette, Klavierminiaturen

etc. weiterhin bedient zu haben. M�glicherweise mit dem Drang zu solchen Formen gar

seinen wahren k�nstlerischen Gehalt aufgedeckt zu haben. Aber auch dieser Weg f�hrt

in der Frage: definitive Einsch�tzung eines Komponisten aus seinem kleinteiligen

F�llwerk heraus keineswegs weiter. Andere Komponisten haben eine Unzahl von

Gelegenheitskompositionen geschrieben oder mit ihrem Werk dezidiert auf

Popul�rformen Bezug genommen, ohne im Ansehen im Mindesten Schaden genommen

zu haben.

 

Schubert, Schumann und Brahms haben gleichwohl Vokalduette und �Quartette und

M�nner-, Frauen-, Gemischtchors�tze a capella bzw. instrumental minimal begleitet

komponiert, Klavierpoesien sch�tzen wir vergleichbar bei Robert Schumann. Gerade

das Oeuvre Richard Wagners weist einen immensen Bestand von

Gelegenheitskompositionen, Repr�sentativ-Ch�ren und �M�rschen etc. auf; Werken,

welche dem musikalischen Niveau des eigentlichen Musikdramatikers in keiner Weise

entsprechen und demzufolge heute vergessen sind. Das kammermusikalisch als hoch

stehend eingestufte �Siegfried-Idyll� entstand nachweislich als improvisiert, im

Treppenhause dargebotenes Geburtstagsst�ndchen an Wagners Gattin Cosima.

 

�Sowohl der �Pilgerchor� und der �Einzug der G�ste auf Wartburg� aus der Oper

�Tannh�user�, als auch die Chorensembles des �Fliegenden Holl�nder�, die

Vasallench�re in �Lohengrin� orientierten sich unmittelbar am Vorbild Mendelssohnscher

M�nnerchortableaus; der von Mendelssohnscher Feiermusik inspirierte Brautchor im 3.

Akt Lohengrins z�hlt neben dem Hochzeitsmarsch aus der "Sommernachtstraum"-Musik

zum Archetyp romantischer Hochzeitspi�cen.

 

52

 

 


 

Des Weiteren geh�ren die �Holl�nder� und �Tannh�userch�re� zumindest noch heute

zum Kernrepertoire gr��erer Feuerwehr-, Polizei-und Volkschorvereinigungen. Welche

seri�se Musikrezeption s�he den Wert zahlreicher Opern vor allem der mittleren Periode

von Verdis Schaffen dadurch geschm�lert, da� sie sich exzessiv des hochpopul�ren

Idioms italienischer Banda-Musik bedienten. Der grosse Johann Strauss II hat kaum

anders als f�r popul�r-oder repr�sentativmusikalische Anl�sse geschrieben und geh�rt

selbstverst�ndlich zum Repertoire f�hrenden Symphonieorchester aller L�nder und

Kontinente. Die Beliebtheit der Mendelssohn-Ch�re: Oh, T�ler weit, oh H�hen...�, �Wer

hat Dich, Du sch�ner Wald...�, der Lieder: �Es ist bestimmt in Gottes Rath.�, �Auf Fl�geln

des Gesanges...�, des �Fr�hlingsliedes� und anderer nachtr�glich mit Texten

versehenen "Lieder ohne Worte" sowie des anr�hrend-�therischen Weihnachtsliedes

�Hark, the herald angels sings.� verliehen Mendelssohns Schaffen in den Augen der

Musikwissenschaft in steigendem Masse etwas anr�chiges.

 

Das Ph�nomen ist erneut dem Heroisierunggedanken von Kunst in der zweiten H�lfte

des 19. Jahrhunderts geschuldet. Musikern, die als "deutsch", als "Heros" gesch�tzt

wurden, die um ihr Werk "gerungen", "gelitten" hatten, gestand man den �reinen

Volkston� in den Popul�r�usserungen als wahre und authentische �u�erung

bedeutender Meister zu. Die Popul�rnummern derselben wurden quasi durch den

idealen Tiefgang reinen absoluten Schaffens kanonisiert. Wie wenig zuvor dargestellt,

stellte man Mendelssohns Musik seinerzeit in Gesamtheit als �fein-empfindsam,

�sentimental�, �weibisch�, �geschmacksgef�hrlich� und somit �j�disch� dar. Da dem

Konzertwerk Mendelssohn Bartholdys die genannten Attribute �Genios� etc.

weitestgehend abgesprochen wurde, mochte man die Popul�rwerke demzufolge f�r die

�belsten sentimentalsten Ausw�chse eines in sich fragw�rdigen, seichten Schaffens

nehmen.

 

Hellsichtig verwies der Musikpublizist Wilhelm Heinrich Riehl bereits im Jahre 1850 auf

jene Aspekte einer kultursoziologische Biographie Mendelssohns, welche dessen

postmortale Reputation durch �sachfremde� Er�rterung und R�ckschlag auf das

musikalische Resultat zu gef�hrden imstande waren.

 

Riehl ver�ffentlichte in diesem Jahre innerhalb seiner Anthologie von Musikalischen

Charakterk�pfen den Essay "Bach und Mendelssohn aus dem socialen

Gesichtspunkte", welcher sowohl als Nachruf auf Felix Mendelssohn als auch eine

W�rdigung des Thomaskantors Bach zu dessen 100. Todestag verfasst wurde. Riehl

z�hlte eingangs als Unbefangener wahrheitsgem�� die humanen und soziologischen

Vorz�ge des Tonsch�pfers Mendelssohn auf. Diese wurden sp�ter in den Werken

anderer Autoren, in vergleichbarer rhetorischer Konzentrierung oder besser;

�berspitzung vorgebracht und sollten der musikbiographisch stereotyp vorgebrachten

Entwertung, ja Karikierung des Vorbildes dienen. Mendelssohn war somit �ein vielseitig

gebildeter, gesellschaftlich gewandter, wohlhabender, fein gesitteter Mann, in fast ganz

Deutschland bekannt, in allen auserlesenen Zirkeln gesucht.�

 

Wenngleich Riehl auch die Darlegung, wie sich �j�delnde Schreibart� jener Tage

musikalisch darstellte, schuldig bleibt; umrei�t er doch schl�ssig die integrale Position

Mendelssohns innerhalb eines zunehmend von bildungsb�rgerlichen Idealen

ausgepr�gten und getragenen Musiklebens des fr�hen 19. Jahrhunderts.

 

53

 

 


 

Riehl schreibt also:

 

�Er war der erste Musiker, welcher so recht f�r die �feine� Gesellschaft � im guten Sinne

des Wortes musizierte. (...) So schrieb auch Mendelssohn im Geiste dieser gebildeten

Gesellschaft, die sich jetzt ausgleichend und vermittelnd �ber alle St�nde hinzieht (...)

 

Es war bei seinem Auftreten etwas ganz neues, einem modern eleganten Musiker zu

begegnen (...), der Lieder setzte, ohne sich die einf�ltigsten Texte zu w�hlen, der

Kammermusik schrieb, ohne langweilig, und Salonmusik, ohne frivol zu sein, einen

Tondichter j�discher Abstammung, der nicht j�delte, w�hrend fast alle christlichen

Lieblingskomponisten des Tages j�delten. (...) Keine andere Kunst hat einen Mann

aufzuweisen, der in seinem k�nstlerischen Schaffen so ganz inmitten des sozialen

Lebens unserer gebildeten Kreise gestanden h�tte und wiederum so von diesen

verstanden und gew�rdigt worden w�re wie Mendelssohn".

 

Die augenscheinliche Affinit�t Mendelssohns zu seiner bildungsb�rgerlich-

musikalischen Umgebung, erweist sich auch in der fruchtbaren T�tigkeit des sich

dezidiert als Humanisten und Citoyen verstehenden Komponisten in Leipzigs Klima

aufgekl�rten b�rgerlichen Selbstbewusstseins. Im Gegensatz dazu sollte das Modell

einer zentralen, k�niglich preu�ischen Musikdirektion in Berlin, welche Friedrich

Wilhelm IV. von Preussen dem Komponisten andiente, so gar nicht funktionieren. Nicht

allein daher, weil diese den aktuellen Entwicklungen im Kulturbetrieb nicht mehr

entsprach.

 

James Webster legte das primitiv konstruierte Schema, aufgrund dessen sich im sp�ten

 

19. sowie im 20. Jahrhundert in semantischer Deckungsgleichheit bildungsb�rgerliche

relevante Vorurteile gegen Felix Mendelssohn herleiteten, in einem pr�zise erstellten

Diagramm dar:

Vorstellungen, die zum "Problem Mendelssohn" beitragen:

 

Kultur und Ideologie; Herkunft bzw. Pers�nlichkeit

 

B�rgerlichkeit

 

Reichtum; beg�nstigter sozialer Status

 

Zugang zu bedeutenden musikalischen Pers�nlichkeiten

 

Harmonisches Leben, ohne Kampf und Leid

 

J�dische Abstammung

 

Wunderkind; Leichtigkeit beim Komponieren

 

Erfolg

Bem�hungen um Erfolg; Anpassung an die Zuh�rer

Ideologie der Bejahung; Aufrichtigkeit; christliche Fr�mmigkeit

 

 

Musikgeschichte

 

Klassizistisch im Stil bzw. in der Wahl der Gattungen

 

Gr�ndliche konservative Musikerziehung; Pflege alter Musik

 

Analyse (=�sthetik)

 

Thematische Konstruktion

 

Melodisch; gleichm��ig; korrekter, kunstvoller Satz

 

Mangel an Prozessualit�t bzw. Problematisierung, Pflege alter Musik

 

54

 

 


 

Rhythmus

 

Periodengebunden; einheitlich

 

Einf�rmig bzw. undynamisch

 

Form

traditionell; �bersichtlich

�berkommen; blo�es "Geh�use"; undramatisch; unklassisch

 

 

Kammermusik

Faktur zu orchestral (z. B. Tremolo)

Innenstimmen "zu viel", dem bescheidenen Inhalt bzw. Dynamik gem��

 

 

Folgerungen f�r die Beurteilung von Mendelssohns Musik

 

Oberfl�chlichkeit; konventionell; sentimental

 

Mangel an k�nstlerischer Authentizit�t (Gewicht, Ausdruck, Tiefe)

 

Mangel an historischer Authentizit�t (unzeitgem��; epigonal)

 

Naiv (im Schillerschen Sinne); Mangel an Besonnenheit

 

Gattungsunterschiede

Nur kleinere bzw. periphere Gattungen ganz erfolgreich;

"Elfenmusik, Scherzi, Programmouvert�ren, Lieder ohne Worte

"Zentrale" Gattungen nur bedingt erfolgreich: Sinfonie, Konzert, Kammermusik,

gr��ere Vokalwerke

 

 

"Weiblich" und/oder "j�disch" eingestuft

 

13. Der sch�nste Zwischenfall der deutschen Musik

Was mag in der Psyche derjenigen, welche dieses auf pseudorevolution�r genialisch

ausgepr�gter Kulturdoktrin beruhende Schema konzipierten sowie derer, welche es inallgemeiner �bereinkunft bereitwillig rezipierten, eigentlich vor sich gegangen sein?

 

Im Vorwurf mangelnder k�nstlerischer Substanz Mendelssohns, welche sich angeblich

vermittels Anbiederung an herrschende Gesellschaftsschichten und den

vorherrschenden Publikumsgeschmack zu kompensieren trachte, manifestierte sich vor

allem folgendes: ein Dilemma stetigen Missverh�ltnisses zwischen k�nstlerischem

Anspruch und dem Zustand b�rgerlichen Seins neudeutscher Musiker und deren

Umfeld.

 

Wie die Biographien f�hrender Repr�sentanten derselben zeigen, waren jene

materialistischer oder politischer Konformit�t keineswegs abhold (Wagner, Liszt). Waren

zu jener wahren H�he, welche man einem Mendelssohn � genanntem Schema folgend

 

� insistierend absprach, selbst nicht berufen. (Dr. Eduard Kr�ger, Dr. Franz Brendel,

Theodor Uhlig, Hans von B�low, Cosima Wagner).

Eine Systematik egozentrischer Schizophrenie deutet sich an: diejenigen, welche Kunst

in der Funktion unausgesetzten gesellschaftlichen Widerstandes begriffen, auf �sthe

 

 

55

 

 


 

tischen Fortschritt, politische Umw�lzung dr�ngten, zielten gleichzeitig aber auf

k�nstlerische Akzeptanz und Vormacht sowie stetige m�zenatische F�rderung durch

kulturbewegte Bourgeoisie und das Feudalsystem ab.

 

Mit der symboltr�chtig systematischen Anprangerung mendelssohnscher

Gesellschaftsrelevanz leisteten jene vor allem eines: die �ffentlichkeitswirksame

Aufarbeitung eines Problems �sthetischer und gesellschaftlicher Arriviertheit, welches

sie letztendlich nur mit sich selbst auszuhandeln hatten.

 

Der Dirigent Hans von B�low, einstmals ein Pionier gezielter Mendelssohn-und

Schumann-Attacke, wurde in dem Masse zum erkl�rten Propagandisten

Mendelssohnschen Orchesterwerkes (ab Mitte der 70ziger Jahre d. 19. Jhdts.), wie er

sich aus dem Schatten Wagners zu l�sen vermochte. Und so ist in den Frankfurter

Notizen des Klaviersch�lers Vianna Da Motte aus dem Fr�hjahr des Jahres 1887 ein so

viel milderes Mendelssohn-Wort von B�lows als jene in st�rmischer Jugendzeit

ge�u�erten verb�rgt:

 

"Ein Lied ohne Worte von Mendelssohn ist f�r mich ebenso klassisch, wie ein Gedicht

von Goethe".

 

Die Musikpublizistik jener Jahre, als Genre nicht eigentlich k�nstlerisch t�tig, war zu

dieser Zeit in einem existentiellen Dilemma expandierender musikalischer Expressivit�t

und strikter b�rgerlicher Konventionen befangen. Dem gro�b�rgerlichen H�rer

entsprechend war sie, angesichts des Ph�nomens Mendelssohn Bartholdy, mehr denn

je einer Situation signifikanter Schizophrenie unterworfen.

 

Elementen wie materieller Sicherheit, einer penibel nach St�nden und Schichten

separierenden Sozialordnung und gesellschaftlichen Zw�ngen ausgesetzt, erwartete der

gro�b�rgerliche Musikbetrieb vom K�nstler als pittoresk pr�sentiertem Enfant Terrible

in staunender, erschauernder Ergriffenheit genialische Extraordinarit�t und soziale

Nonkonformit�t. Folgerichtig ward dem �K�nstler� Mendelssohn also verargt, vermittels

gl�cklich gef�hrter Ehe, beschaulichem Hausstande und umfassender gesellschaftlicher

Integrit�t exakt die Dinge zu symbolisieren, welche in sonstigen Lebensbereichen als

Dogma b�rgerlicher Lebensf�hrung sanktioniert wurden.

 

Uneingestandenen, unartikulierten Anspr�chen geschuldeter Zwiesp�ltigkeit

unwillk�rlich hingegeben, war sich das bis zum Anbruch der "Informationsgesellschaft"

tonangebende Grossb�rgertum �ber seine Erwartungshaltung an den K�nstler und

Musiker aber scheinbar niemals g�nzlich im Klaren.

 

Den aktenkundigen Finanzschmarotzern, Sch�rzenj�gern und Umst�rzlern in

Pers�nlichkeiten wie Richard Wagner; eigenbr�tlerisch verschrobenen, bindungsunf�hig

lebenswandelnden Komponisten wie Beethoven, Schubert und Bruckner bis zum

heutigen Tage frenetisch ergeben, verwehrte das bourgeoise Publikum dem

Generalmusikdirektor K�nig Friedrich Wilhelms IV. von Preussen und des

Gewandhauses, Ehrendoktor der Universit�t Leipzig und Familienvater den Einzug in

den musikalischen Olymp. Desgleichen bescheidet es einer grossen deutschen Mimin

wie Elisabeth Flickenschild, welche sich auf Wohnungssuche befand, wie seinerzeit

jener Hamburger Honoratior und Hausbesitzer: An Kaspers vermieten wir nicht!

 

56

 

 


 

Im Jahre 1886 gab Friedrich Nietzsche in der Denkschrift: Jenseits von Gut und B�se

demzufolge ein folgenschwer-gefl�geltes Mendelssohn-Wort vor:

 

� Diese ganze Musik der Romantik war �berdies nicht vornehm genug, nicht Musik

genug, um auch anderswo Recht zu behalten als im Theater und vor der Menge; sie war

von vornherein Musik zweiten Ranges, die unter wahren Musikern wenig in Betracht

kam. Anders stand es mit Felix Mendelssohn, jenem halkyonischen Meister, der um

seiner leichteren, reineren, begl�ckteren Seele willen schnell verehrt und schnell

vergessen wurde: als der sch�nste Zwischenfall der deutschen Musik.�

 

Nietzsche f�hrt Mendelssohn dabei als Belastungszeugen gegen die Romantik Webers,

Spohrs, Marschners, Schumanns und Wagners heran, zeigt aber wahrhaftig, wie

nachhaltig sich das von �Neudeutschen� lancierte Bild des heiteren Sentimentalisten,

der nur die Aufgabe wahrnahm, die �berleitung vom Genie Mozarts und Beethovens

zum Genie Wagner herzustellen, damals bereits einpr�gte.

 

14. Geschmacksgef�hrliche Lieder und Duette

"Diese gewisse Weichheit bildet einen Grundzug von Mendelssohns Wesen, dem nur

das Grazi�se, Capricci�se und Brillante soweit den Widerpart halten, da� es nicht als

Weichlichkeit und Sentimentalit�t erscheint. (...) Im kleinen Rahmen (...) nicht nur mit

seinen "Liedern ohne Worte", sondern auch mit seinen Liedern, besonders aber den

Duetten (...) ist Mendelssohn unleugbar sogar geschmacksgef�hrlich geworden."

 

Als Herausgeber einer neben "Musik in Geschichte und Gegenwart" (MGG) bis zum

heutigen Tage f�hrenden Enzyklop�die des Musiklebens schreibt die Autorit�t Hugo

Riemann im Jahre 1901 eine Sichtweise voller Widerspr�che fest. Bez�glich des

Instrumentalwerkes beruft Riemann sich zwar auf Robert Schumanns Eloge vom

"Mozarts unseres Jahrhunderts", brandmarkt andererseits aber "Weichlichkeit und

Sentimentalit�t" der "im kleinen Rahmen" der Hausmusik verd�chtig erfolgreichen

musikalischen Aussage Mendelssohns, welchen Wagner in seinem zuvor als

"�berscharf" und "ungerecht" eingestuften Pamphlet dankenswerterweise Einhalt

geboten habe.

 

Dar�ber hinaus tr�gt Riemanns Beurteilung der Tendenz romantisierenden Musizierens

jener Tage "vermittels starker Verbreiterung der Tempi, agogischer Verz�gerungen in

den Kadenzen" (K.-H. K�hler) keinerlei Rechnung. Jene lie�en durch �berbetonung

chromatischer Stilistiken in Melodief�hrung und Harmonik die Musik Mendelssohns

fernab kompositorischer Absicht sentimentalisiert-persiflierend erklingen. Riemanns

Einsch�tzung pr�gte gleichsam als Kathederwort die Mendelssohn Rezeption innerhalb

der deutschen Musikwissenschaft f�r Jahrzehnte.

 

15. Denkm�ler

Im Jahre 1868 trat in Leipzig anl�sslich des 125 j�hrigen Bestehens der

Gewandhauskonzerte und der 25 j�hrigen Gr�ndungsfeier des Konservatoriums ein

Komitee f�r �die Errichtung eines dem Ged�chtnis Felix Mendelssohn Bartholdys

 

57

 

 


 

gewidmeten Denkmals� erstmalig zusammen. Es er�ffnete damit ein wenig r�hmliches

Kapitel in der Beziehung dieser hochrangigen Musikstadt zu ihrem entschiedensten

Mentor.

 

Da es sich um eine Privatinitiative Leipziger Honoratioren handelte, standen keine

�ffentlichen Mittel f�r Planung und Durchf�hrung des Projektes zur Verf�gung, dessen

Kosten auf 45000 Taler veranschlagt wurden. Der Vorstand des Komitees stellte daher

einen Finanzplan auf, welcher vorsah, die Summe u. a. durch die Ertr�ge lokal und

�berregional ergehender Spendenaufrufe sowie durch die Veranstaltung von

Benefizkonzerten und Verm�gensveranlagungen aufzubringen. Spendenaufrufe wie

jener wurden somit in der regionalen und �berregionalen Presse als repr�sentative

Annonce abgedruckt:

 

�Das Interesse f�r den Mann, dem die ganze musikalische Welt zu so gro�em Dank

verbunden ist, findet also seinen Mittelpunkt in dem Leipziger Leben des K�nstlers und

Menschen, dessen Bedeutung die Nachwelt durch ein dem Wirken desselben

angemessenes Denkmal zu w�rdigen die Pflicht hat.

 

Um diese l�ngst erkannte Ehrenschuld abzutragen, sind die Unterzeichneten zu einem

Verein zusammengetreten und fordern alle Freunde des Meisters auf, in

zweckdienlicher Weise die beabsichtigte Errichtung einen Felix Mendelssohn-Bartholdy-

Denkmals in Leipzig f�rdern zu helfen. Insbesondere werden Chor-Gesellschaften und

Gesangsvereine ersucht, zu dem angegebenen Zwecke Auff�hrungen zu veranstalten

und den Ertrag derselben an den unterzeichneten Verein einsenden zu wollen".

 

Die Finanzierung des Vorhabens vollzog sich schleppend; im Verlaufe eines 24 j�hrigen

Prozesses von der Stiftungsinitiative bis zur Denkmalseinweihung offenbarte sich ein

tr�bes b�rgerliches Klima, welches die einstmals liberale B�rgerstadt Leipzig

zunehmend pr�gte.

 

Am Ende dieses qu�lenden Vorgangs war deutlich, das der Zeitgeist die Verbundenheit

der lokalen B�rgergesellschaft einem wesentlichen Repr�sentanten gro�b�rgerlicher

Kultur gegen�ber aufgek�ndigt hatte und sich einer vom Komitee per Annonce

konstatierten �Ehrenschuld� nicht mehr bewusst war.

 

Im Jahre 1869 waren erst 1400 Taler eingegangen, welche sich kaum aus

B�rgerspenden zusammensetzten, vielmehr von der vereinsnah einzusch�tzenden

Konzertdirektion des Gewandhauses und Erl�sen eines Benefizkonzertes eingebracht

wurden.

 

Die vollst�ndige Abkehr des Leipziger Publikums vom Werke Mendelssohns in den

70ziger Jahren verdeutlicht kaum eine Begebenheit trefflicher als jene: Hans von B�low

absolvierte im Jahre 1872 als Pianist eine Tournee, welche von Berlin �ber Warschau,

Hamburg, Hannover und D�sseldorf bis nach Aachen zahlreiche deutsche St�dte

umfasste. In Berlin und Leipzig gab von B�low jeweils einen dem Klavierwerke Felix

Mendelssohns gewidmeten Konzertabend. Frithjof Haas schreibt dazu in seiner von

B�low-Biographie: "Zu seiner (von B�lows) grossen Entt�uschung hatte der Komponist

seit seinem Tod gerade in Leipzig, dem Ort seines Wirkens, an Beliebtheit verloren. In

der Presse war zu lesen, kein Pianist au�er von B�low k�nne es heute wagen, zwei

Stunden lang nur Mendelssohn zu spielen!"

 

58

 

 


 

Die darauf folgenden Jahre f�hrten zu keinem erh�hten Stiftungsaufkommen aus der

Stadt Leipzig selbst heraus, vielmehr engagierten sich Musikliebhaber aus ganz

Deutschland vermittels Personenspenden oder Benefizinitiativen. Sogar in den

Metropolen London und Paris wurden durch Benefizkonzerte Gelder zugunsten des

Denkmals eingeworben. Ein betr�blicher Aspekt am Rande der Konzertinitiativen

zugunsten eines Denkmals des Komponisten ist zweifellos, da� erst jene auch dessen

Musik wieder st�rker in den Vordergrund zu stellen vermochten.

 

Der Hausverlag Felix Mendelssohns, das renommierte Unternehmen Breitkopf & H�rtel

suchte im Jahre 1875 helfend einzugreifen und publizierte eine Sonderbeilage. Diese

wurde allen Neuauflagen der Kompositionen Mendelssohn beigef�gt und warben im

Namen des Komitees um Zuwendungen.

 

Im Jahre 1878 entspann sich ein Presseeklat in Leipzig um die Arbeit des Komitees und

brachte das lokale Spendenaufkommen vorerst vollends zum versiegen. Die Presse

thematisierte dabei u. a. den merkw�rdigen Umstand, dass die dem Komitee

verpflichteten Honoratioren zwar allenthalben um Gelder warben, selbst aber bisher

nichts dem Fond beigesteuert hatten.

 

Angesichts dessen nimmt es nicht verwunder, da� Felix Mendelssohn Bartholdy die

erste Gedenkst�tte denn auch anderw�rts errichtet wurde; es entstand bereits im Jahre

1860 in England, wo die B�rger der Stadt Snydenham ein Standbild des Komponisten

auf der Terrasse des dortigen Kristallpalastes errichteten.

 

Waren es Ende der 60ziger Jahre des 19 Jahrhunderts noch Gr�nde verminderter

Wahrnehmung des Komponisten aufgrund der von der Neudeutschen Schule

gesch�rten Querelen um dessen Musik, l�sst sich das Desinteresse der 70ziger und

80ziger Jahre eindeutig auf den unverhohlenen Judenhass zur�ckf�hren, welcher sich

der B�rgerschaft zunehmend bem�chtigte. Leipzig sollte sich in jenen Jahren zu einer

Hochburg geistigen Antisemitismus entwickeln, welcher sich von der diffus

protorassistischen Antipathie der Revolutionsjahre nunmehr zur Reinform erkl�rten

Rassenhasses der Gr�nderzeit auspr�gte. Publikationen, welche unter Antisemiten

reichsweit als Standardlekt�re galten, wurden in Leipzig konzipiert und verlegt.

 

Ines Reich hat mit ihrem Beitrag "In Stein und Bronze � Zur Geschichte des

Mendelssohn-Denkmals" zum 1. Leipziger Mendelssohn-Kolloquium von 1993 den

Gesamtvorgang Denkmal hervorragend dargestellt. Sie schreibt so u. a.:

 

�Die Gartenlaube�, ein Massenblatt kleinb�rgerlicher Belehrung und r�hrenden

Familiensentiments, wurde in Leipzig herausgegeben und bot der Leserschaft u. a. auch

eine Fortsetzungsserie antisemitischer Aufkl�rung. Diese legte dem Publikum

beispielsweise dar dass, "die soziale Frage (...) im wesentlichen eine Judenfrage (sei),

alles �brige ist Schwindel.� Theodor Fritsch, ein f�hrender Publizist und Ideologe des,

als alleinigen �Zweck seines Lebens� erachteten deutschen Antisemitismus, betrieb

von Leipzig aus die Gesch�fte des Hammer-Verlages. Publikationen waren u. a. �Der

falsche Gott�, "Das R�tsel des j�dischen Erfolges�, �Mein Streit mit dem Hause

Warburg�, Die S�nden der Grossfinanz�; "Anti-Rathenau�. Mit dem im Jahre 1887

herausgegebenen Antisemiten-Katechismus; welcher sp�ter zu einem Handbuch der

Judenfrage expandieren sollte, versorgte der Hammer-Verlag die antisemitische

Bewegung Deutschlands von der wilhelminischen �ra bis hin zum Anbruch des "III.

Reiches" mit oftmals von Fritsch in Personalunion von Autor und Verleger vorgelegten

Bekenntnis- und Glaubensschriften.

 

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Frau Reich f�hrt zum Beweis ihrer schl�ssig vertretenen Theorie dezidiert ausgepr�gten

Leipziger Lokalantisemitismus der 70ziger und 80ziger Jahre des 19. Jahrhunderts

Fakten heran, welche f�r sich sprechen: Andere Vorhaben, welche vergleichbar auf die

Spendenbereitschaft Leipziger B�rger reflektierten, kamen wesentlich z�giger voran. So

wurden im Jahre 1883 �recht hohe Summen� f�r die Errichtung eines Leibnitz-Denkmals

sowie einer Reformationsgedenkst�tte zum Gedenken an das Wirken Dr. Martin Luther

mit �verbl�ffender� Schnelligkeit zusammengetragen.

 

Ein weiterer charakteristischer Vorfall lie� dass das Benehmen der Leipziger

Bourgeoisie, sich vom Stande emanzipierten j�dischen Grossb�rgertums abzusetzen,

welchem ja auch die Familie Mendelssohn seit Jahrhundertbeginn angeh�rte,

demonstrativ erkennen.

 

Der in den Jahren 1882 � 1884 konzipierte und ausgef�hrte klassizistische

Repr�sentationsbau eines neuen "zweiten" Gewandhauses wurde durchaus auch als

Mittelpunkt gro�b�rgerlicher Selbstdarstellung im Allgemeinen wie individuellen

aufgefasst.

 

Er umfasste gesch�tzte Baukosten von 900 000 M und wurde nachhaltig von

Zuwendungen gro�b�rgerlicher Familien finanziert, welche f�r ein Denkmal

Mendelssohns kaum aufkamen. Dies geht aus damaligen Spendenverzeichnissen

eindeutig hervor.

 

Um das Denkmalsvorhaben angesichts des Klimas latenten Antisemitismus nicht

dauerhaft zu gef�hrden, suchte das Komitee, dem auch prominente j�dische

Pers�nlichkeiten aus dem unmittelbaren Freundeskreis Mendelssohns wie Ignaz

Moscheles und Ferdinand David sowie Salomon Jadasson angeh�rten, jedem Anschein

offizieller j�discher Partizipation vorzeitig zu wehren. Somit kam eine Zusammenarbeit

mit der renommierten Mendelssohn-Stiftung zur F�rderung begabter Pianisten und

Dirigenten, welche im Jahre 1863 von der J�dischen Gemeinde ins Leben gerufen

wurde und bis 1933 bestand, nicht zustande.

 

Im Jahre 1889 � nach nunmehr 20 Jahren � waren schliesslich 40000 Taler

zusammengetragen, welche zur endg�ltigen Durchf�hrung noch nicht ausreichten.

 

Das Komitee wandte sich mit der Bilanz an die �ffentlichkeit und beklagte dabei: "da�

die eingegangenen Beitr�ge ungef�hr �zur H�lfte� von ausw�rtigen Corporationen und

Privatpersonen eingesandt� worden seien. Die fehlenden 5000 Taler wurden schliesslich

von der Stadtverwaltung beigesteuert.

 

3 Jahre sp�ter, am 26. Mai 1892, wurde das Denkmal, gleichsam die Erinnerung an

einen ungeliebten �Judensohn� der Stadt, feierlich er�ffnet. Die Honoratioren stellten

sich ein und hielten der Pflicht, dem Dank und der Tugend emphatische Laudates,

welche hinsichtlich einer wahrhaft fatalen Sammlungshistorie von 40000 Taler keinen

besonderen Kommentar ben�tigen:

 

�Leipzig m�ge es � und sie wird es beh�ten in Best�tigung des Dankes, welchen unsere

Stadt Ihm schuldet, dessen Namen wir nennen in Liebe und Verehrung� (Leipziger

Tagblatt, Morgenausgabe, 27.5.1892) verk�ndete Otto G�nther, der Vorsitzende des

Komitees und damalige Direktor des Konservatoriums.

 

60

 

 


 

�Mit der Vollendung dieses Denkmals ist uns nun das dr�ckende Gef�hl vom Herzen

genommen, dass dem Manne, der uns so gro�es und Sch�nes gegeben hat, das

verdiente �u�ere Zeichen unverg�nglichen Dankes noch nicht gewidmet sei. Dieses

Gef�hl der Dankesschuld hat unsre Stadt auch als Gemeinwesen empfinden m�ssen

(...)

 

Die Stadt wird es sich deshalb auch, daran zweifle ich nicht, stets zur Ehrensache

machen, dieses Denkmal w�rdig zu erhalten, und ich nehme daher die mir

ausgesprochene �bergabe im Namen der Stadt und im ausdr�cklichen Auftrag des

Rates mit herzlichen Dank hiermit an...� (Otto Georgi; Reden und Ansprachen des

Oberb�rgermeisters...; Lpz. 1899) beschwor Oberb�rgermeister Georgi das

beiderseitige Verm�chtnis.

 

Im Inneren des Gewandhauses, welches bereits seit nahezu zehn Jahren errichtet

stand, ehrte man Mendelssohn musikalisch. Auf der Violine, mit einer Interpretation des

erhabenen Konzertes Op. 64 legte der einstige Weggef�hrte Joseph Joachim ein wohl

wahrhaftigeres Pl�doyer f�r den Mann des Tages ab.

 

Danach schwand das Denkmal aus dem Blickfeld allgemeiner �ffentlicher

Wahrnehmung. Zwei kriminelle Gewaltakte, welches zum einen in den 20ziger Jahren

und zum anderen im Jahre 1936 des vergangenen Jahrhunderts auf den Bestand

desselben abzielten, brachte es einzig nachhaltiger in Erinnerung.

 

16. Es singt ein Lied von Felix Mendelmaier...

Um 1879 herum pr�gte sich in den chauvinistischen Gesellschaften der bourgeoisen

Berliner Intelligenz die Moderne v�lkisch-rassistischen Antisemitismus endg�ltig heraus,

welche sich im 20. Jahrhundert schliesslich vermittels �Reichskristallnacht�, Deportation

und Genozid nachhaltig manifestieren sollte. Auch der neuzeitliche Begriff des

�Antisemitismus� definierte sich erst in der um den Berliner Geistlichen Wilhelm Marr

entstandenen Gesellschaft und fand somit 1879 Eingang in die Allgemeinsprache.

 

Ab ca. 1880 fanden anthropologisch-rassistische Theorien des Schriftstellers und

Diplomaten Joseph Arthur Graf Gobineau �ber den Bayreuther Kreis um Richard

Wagner und nach dessen Tode um Cosima Wagner, den Schwiegersohn Houston

Stewart Chamberlain sowie Wagner Biograph Carl Friedrich Glasenapp verst�rkt

Aufmerksamkeit in Deutschland. Gobineau hatte bereits in den Jahren 1853 -55 den 4b�ndigen

Essay "sur l`ineg�lit� des races humaines" herausgegeben, welcher die elit�re

Bevorrechtigung der �Arier�-Rasse und sozialdarwinistische Moralvorstellungen

konstatierte sowie die Vernichtung des �Weissrassigen� durch Blutvermengung

vermittels Geschlechtsverkehr mit �Fremdrassigen" prophezeite. Der Essay war in

Deutschland bereits ab dem Jahre 1856 in einer Bearbeitung durch den Philologen

August Friedrich Potts unter dem Titel "Die Ungleichheit menschlicher Rassen;

haupts�chl. vom sprachwissenschaftlichen Standpunkte, unter bes. Ber�cks. von d.

Grafen von Gobineau gleichnamigem Werke"; Lemgo 1856 ff. verf�gbar.

 

Der Rassenfanatiker Houston Stewart Chamberlain paraphrasierte Gobineaus Theorien

in zahlreichen Schriften. So bestritt er im Hauptwerk seiner Rassenveranschaulichungen

"Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts" vehement: �die Wahrscheinlichkeit das Jesus

(k)ein Jude war� und behauptete ferner �das er keinen Tropfen echt j�dischen Blutes in

 

61

 

 


 

den Adern hatte�; es k�me vielmehr der Gewissheit gleich �das Jesus Christus... der

j�dischen Rasse nicht angeh�rte, kann als sicher betrachtet werden. Jede weitere

Behauptung bedeutet eine willk�rliche Annahme,�

 

Jens-Malte Fischer erweitert die Sicht auf Chamberlain und seine diversen

antisemitischen Umtriebe in seiner Studie �ber Wagners �Das Judentum in der Musik�

folgenderma�en �Der Schwiegersohn Wagners, Houston Stewart Chamberlain, widmete

der Brosch�re (�Das Judentum in der Musik�; Anm. d. Verf.) in seinem Wagnerbuch, das

1895 erschien, hochtrabende Worte der Bewunderung:

 

Chamberlain schreibt also:

�Dagegen hat ein anderes Rassenthema Wagner von fr�h an viel besch�ftigt: der

demoralisierende Einfluss einer dieser wei�en Rassen auf die anderen, des Judentums

auf die nichtj�dischen V�lker. Wagners Judentum in der Musik erschien zuerst 1850 in

Brendels Neue Zeitschrift f�r Musik; sodann als selbstst�ndige Brosch�re und mit

ausf�hrlichen Vorrede versehen im Jahre 1869. Keine Schrift des Meisters ist vielleicht

 

� wenigstens dem Titel nach � so bekannt: der Ausdruck Verfasser des Judentums in

der Musik� ist eine der beliebtesten Umschreibungen f�r �Richard Wagner� (zitiert nach

der 3. Auflage bei Bruckmann 1904).

Dar�ber hinaus war Chamberlain ein f�hrendes, ma�gebliches Mitglied im Bayreuther

Kreis; eine Gruppe von Demagogen um Cosima und Winifred Wagner, welche sich

g�nzlich dem Erhalt der Reinrassigkeit von Wagners musikdramatischen und

antisemitischen Ideologien im Bannkreise Wahnfrieds widmete.

 

Weitere Publikationen Chamberlains sind:

 

Rasse und Nation / von H. St. Chamberlain M�nchen : Lehmanns, 1918

 

Rasse und Pers�nlichkeit : Aufs�tze / von Houston Stewart Chamberlain Aufs�tze

M�nchen : Bruckmann. - 200 S

 

Arische Weltanschauung / Houston Stewart Chamberlain. -4. Aufl. M�nchen :

Bruckmann, 1917. - 94 S.,

 

Dilettantismus -Rasse -Monotheismus -Rom : Vorwort zur 4. Auflage der Grundlagen

des 19. Jahrhunderts / Houston Stewart Chamberlain, M�nchen : Bruckmann 1899

 

Im Jahre 1880 initiierten der Gymnasiallehrer Bernhard F�rster und der Premierleutnant

Liebermann von Sonnenberg als Repr�sentanten der �deutsch-sozialen Partei� die

Verbreitung einer antisemitischen Petition an Reichskanzler Otto von Bismarck. Diese

beklagte die Sch�dlichkeit der j�dischen Rasse f�r die Wohlfahrt und Kultur des

deutschen Volkes und forderte die Eliminierung der Juden aus Staats-und Schuldienst,

Zensus der j�dischen Bev�lkerung und Einwanderungsbeschr�nkung. Sie wurde in

Berlin von 250 000 B�rgern unterzeichnet.

 

Im Jahre 1889 fand die neugotische Umgestaltung der Thomaskirche in Leipzig ihren

Abschluss. Im Zuge dessen waren farbige, Pers�nlichkeiten der Stadtgeschichte wie

Martin Luther, Johann Sebastian Bach und Gustav Adolph von Schweden zugeeignete

Memorialfenster ausgef�hrt worden. Auch der Bachrestaurator und

Gewandhauskapellmeister Mendelssohn sollte urspr�nglich gew�rdigt werden.

 

62

 

 


 

Doch bald erhob ein sog. �Deutscher Reformverein� seine Stimme so vehement gegen

das Vorhaben, �einen Juden in einer protestantischen Kirche ehren zu wollen�, das die

Realisierung des Mendelssohn-Fensters unterblieb. Erst das Jahr 1997 lie� das

Vorhaben, dank einer Schenkung der ehemaligen Thomassch�ler Wolfgang und Klaus

Jentzsch, Wirklichkeit werden.

 

In den 90ziger Jahren des 19. Jahrhunderts wurden auch vom Auslande her erhebliche

Ressentiments von prominenter Seite in die Mendelssohn-Rezeption eingebracht.

 

George Bernhard Shaw war nicht nur ein bedeutender Dramatiker des europ�ischen

Theaters; er hatte sich mit der Zeit auch zu einem r�ckhaltlosen Bewunderer des

Wagnerschen Musik-Dramas und Verfechter Wagnerscher Kathederlehren entwickelt

und erwies sich antisemitischen Tendenzen gegen�ber keineswegs verschlossen. Dem

grossen Vorbilde publizistisch entsprechend, bet�tigte sich auch Shaw als Autor

musikkritischer Rezensionen, welche unter dem Pseudonym �Corno di Bassetto�

herausgegeben wurden. Der bez�glich Mendelssohn-Rezeption gepflogene Ton war ein

herablassender, von jener Art bei�ender H�me, wie sie jedwedem Dilettantismus

viktorianischer Snobs in den B�hnenwerkens Shaws stets gewidmet ist.

 

Auch hier liegen die Gr�nde offensiver publizistischer Negierung von Mendelssohns

Ansehen im au�ermusikalischen, im Bereich gesellschaftskritischer Hinterfragung

repr�sentativen Viktorianismus, auf welchen Shaw das Wirken des Komponisten

nachhaltig zu reduzieren trachtete.

 

Im Juli 1894 erschien in den Vereinigten Staaten von Amerika � in New York � im �The

Centuary Illustrated Monthly Magazine� ein umfangreicher Aufsatz �ber Leben und

Wirken des gro�en Franz Schubert, den der gerade in Amerika weilende tschechische

Komponist Antonin Dvorak zusammen mit dem Publizisten Henry T. Finck geschrieben

hatte. Dvorak spart bei dem Bem�hen, Schuberts allgemeine und besondere

Verdienste um die Symphonie darzulegen, nicht mit einigen Seitenhieben gegen Felix

Mendelssohn. Dabei war der stets im Stande der pers�nlichen und musikalischen

Integrit�t weilende Dvorak sicherlich kein expliziter Mendelssohn-Gegner und dies

schon gar nicht aus Gr�nden von Antisemitismus. Ob Dvorak als Zeitgenosse und

Gefolgsmann von Johannes Brahms dem demagogischen Bestreben der Neudeutschen

Schule und denen Kampagne gegen Mendelssohn eher fern stand, ist fraglich. Dass er

sich dennoch negativ �ber Mendelssohn ge�u�ert hat, beweist nur mehr, dass er sich

auf der H�he der Zeit, auf der H�he einer allgemein gegen Felix Mendelssohn

gerichteten Geringsch�tzung bewegte.

 

Dvorak schreibt also:

�In seiner (Schuberts) Kammermusik wie in seinen Symphonien finden wir h�ufig

wundersch�ne Beispiele f�r polyphones Schreiben � siehe zum Beispiel die Andante

-S�tze des C-Dur-Quintetts und des D-Moll-Quartettes -,und obwohl seine Polyphonie

von der Bachs oder Beethovens verschieden ist, ist sie deshalb nicht weniger

bewunderungsw�rdig. Mendelssohn ist ohne Zweifel ein gr��erer Meister der

Polyphonie als Schubert, trotzdem ziehe ich Schuberts Kammermusik der Mendelssohn

vor.

 

Und dann wird Dvorak im Tonfall eindringlicher und aggressiver: �Auch von Schuberts

Symphonien bin ich ein enthusiastischer Bewunderer, so dass ich nicht z�gere, ihn

neben Beethoven zu stellen, weit �ber Mendelssohn (..) Mendelssohn besa� etwas von

 

63

 

 


 

Mozarts nat�rlichem Instinkt f�r Orchestrierung und von dessen Begabung f�r die Form,

aber vieles in seinem Werk hat sich als verg�nglich herausgestellt�. Dvorak war wohl

der Friedrich Nietzsche nahe stehenden Meinung, das Mendelssohn ein Zwischenfall,

ein bereits von der Zeit �berwundener Komponist war, dessen musikalische Mittel als

veraltet und �berholt einzusch�tzen seien.

 

Gleichsam in den 90ziger Jahren des vorvorigen Jahrhunderts zeichnet der

impressionistische Lyriker Detlev von Liliencron, vor �hnlichem Hintergrunde wie Shaw,

im Gedicht Reinigung die Karikatur eines Lieferanten sentimentaler Pi�cen

kleinb�rgerlich-bildungsbeflissener Zerstreuung j�dischen Namens, dessen Vorbild

damals wie heute leicht zu erkennen ist:

 

"Es singt ein Lied von Felix Mendelmaier,

der lange Leutnant mit dem Ordensb�ndel;

das alte Fr�ulein br�tet R�tseleier,

besorgt den Tee und duftet nach Lavendel.

(...)

Weh mir, wie langsam schwingt der Abendpendel!

Zu Ende. Gott sei dank: ich atme freier,

und bade mich daheim in Bach und H�ndel".

 

 

In seiner "Illustrierten Geschichte der Musik" aus dem Jahre 1903 dokumentiert der

Musikwissenschaftler Otto Keller folgerichtig die Geringsch�tzung jener Jahre

anschaulich:

 

�In den beiden Oratorien fehlt das Dramatische, das Leidenschaftliche, aber

Mendelssohn hatte nicht die Gabe, sich stark und unmittelbar auszusprechen. Und

trotzdem liegt in dieser Musik etwas Sonniges, das uns so angenehm ber�hrt, wie ein

sch�ner Sommertag, weil sie in ihrer Einfachheit befriedigt und gar keine

Leidenschaften ausl�st. Seine Kammermusik ist g�nzlich verschwunden, seine

Klavierwerke gehen auch nicht tief, seine Lieder ohne Worte haben eine �ra seichter

Salonmusik heraufbeschworen, die besser ungeschrieben geblieben w�re. Sein ganzer

Lebenslauf war sonnig vom Urbeginne, er hatte nie Sorgen kennengelernt wie Mozart,

man darf sich daher auch nicht wundern, da� die Sonnigkeit seines Lebens auch in den

Werken zum Ausdruck kam�.

 

17. Keine Kosten und M�hen wurden gescheut...

Im darauf folgenden Jahr legte die Muthsche Verlagshandlung in Stuttgart eine

Geschichte der Musik vor, die der Musikpublizist Dr. Karl Storck in

popul�rwissenschaftlichem, sp�rbar subjektivem Tonfall verfasst hatte. In der

repr�sentativen Ausstattung vermittels Jugendstilpr�gung des Einbandes und

graphisch-allegorischer Textillustration sowie hinsichtlich eines Textumfanges von �ber

800 Seiten ist er der Illustrierten Geschichte der Musik Otto Kellers vergleichbar. Dr.

Storck trat des Weiteren auch noch als Verfasser von Opernf�hrern hervor, welche bis

in die 40ziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts nachgedruckt wurden.

 

64

 

 


 

Storcks Referat �ber Leben und Musik Felix Mendelssohns setzt in der

Rezeptionsgeschichte inhaltlich keine neuen qualitativen Ma�st�be in negativer

Hinsicht; es wird lediglich der Katalog einschl�giger Stereotypen erneut repetiert.

 

Formell sprengt der entschieden polemische Tonfall Storcks allerdings den bis dahin

von einer um Seriosit�t bem�hten Musikpublizistik vorgegebenen Rahmen. In Zeiten

nationaler Erhebung 10 Jahre vor dem Ersten Grossen Kriege verf�llt Storck in eine

Sprechweise, deren Zielrichtung dezidierter Polarisierung sich erst in den Jahren ab

1933 vollendet herausbilden sollte. Des Weiteren stechen der Hang zu unausgesetzt

aufgestellter spekulativer Behauptung sowie gleicherma�en die Formulierung in der

negativen Superlative hervor.

 

Erw�gungen wie jener Abgleich der Elemente Felix Nomen est Omen, fr�her Tod und

die Prophezeiung eines unzweifelhaften, gegebenenfalls noch in den Reife-und

Altersjahren Mendelssohns, also noch zu Lebzeiten erfolgenden Niedergangs seines

Renommees f�hren Storcks Darlegungen schliesslich in die Bereiche des Zynismus.

 

All dies versetzt nicht allein Storcks publizistisches Wirken insgesamt in ein

fragw�rdiges Licht. Die unrezensierte Reflektion desselben in einem opulent

aufbereiteten bildungsb�rgerlichen Musik-Familienhausbuch vermittelt eindringlich den

Geist, welcher die Jahre vor dem 1. Weltkriege zu pr�gen schien. Ob Dr. Storck dabei

von subjektivem Widerwillen gegen Person und Tonsprache Mendelssohns oder

antisemitischer Ereiferung angeleitet wurde, muss dabei offen bleiben.

 

Hier nun Storcks Mendelssohn-Vortrag in Ausz�gen.

 

Zu Werdegang und Rezeption:

"Zum Kreis der Romantiker wird auch Felix Mendelssohn-Bartholdy gerechnet. Ich

m�chte da von einer Romantik aus Bildung sprechen. (...) Unsere deutsche

Kunstgeschichte wird �berhaupt unter ihren bekannten K�nstlern kaum noch einen

Mann nennen k�nnen, dessen Entwicklung so glatt verlief, so gar nichts von Kampf, von

problematischem zeigt, wie die seine. Das k�nnte ein Ideal sein, (...) wenn es nicht

leider Oberfl�chlichkeit bedeutete. Es werden immer wieder bei den ja recht selten

gewordenen Auff�hrungen Mendelssohnscher Werke Stimmen laut, die eine

Neubelebung seiner Kunst erhoffen. Im Ernst kann man daran kaum glauben, so leicht

begreiflich es auch ist, da� man (...) seine einfachen und auf das vornehme

Gesellschaftsleben abgestimmten Werke als Erholung empfinden kann. (...)

 

Zum Elternhause:

Felix Mendelssohn ist ein Enkel des j�dischen Reformators und Philosophen Moses

Mendelssohn (...). Es war schon dem Philosophen gelungen, aus der Armut zum

Reichtum zu gelangen, und unseres Felix Vater hatte den so vermehrt, da� er 1809 in

Berlin das noch heute bl�hende Bankgesch�ft gr�nden konnte. (...) Keine M�he, keine

Kosten wurden gescheut, jegliche Gabe, die sich bei dem Kinde zeigte, aufs sorgsamste

auszubilden(...)

 

Zum "Felixissimus":

Am 4. November 1847 erlag er einem Nervenschlag. Von k�nstlerischem Standpunkt

aus k�nnte man wohl sagen, da� auch in diesem fr�hen Tode sein Vornahme "Felix" die

gl�ckliche Bedeutung f�r sein Leben behielt. Denn es w�re Mendelssohn kaum erspart

geblieben, da� er seinen Ruhm wohl bald �berlebt gehabt h�tte. (...)

 

65

 

 


 

Zu Werk und Musik:

Mendelssohns gr��tes Verdienst liegt zweifellos in seiner Hebung des �ffentlichen

Konzertlebens; durch ihn sind die Werke der Klassiker in den Mittelpunkt desselben

ger�ckt worden. (...) Doch zeigt sich auch in dieser T�tigkeit die Schw�che

Mendelssohns, die freilich akademischen Naturen gar als Vorzug erscheinen mag.

Mendelssohn ist immer und �berall der wohlerzogene Sohn des wohlhabenden, auf den

�u�eren "Dekor" in jeglicher Lebenslage bedachten Hauses.

 

W�re nicht die gr�ndliche Bildung, man w�rde den Mangel jeder �bersch�umenden

Kraft, jedes pers�nlichen Hervortretens noch viel st�render empfinden. Denn dar�ber

muss man sich klar sein: Mendelssohns Ruhe und Abgekl�rtheit ist nicht die Ruhe nach

dem Sturm, sondern die eines Mannes, dem das �u�ere Leben jeden Kampf ersparte,

der auch innerlich niemals zum Ringen kam. (...) Sein Gef�hl f�r das Volkstum blieb

doch recht �u�erlich, was schon die Tatsache zeigt, da� Schumann in der schottischen

Symphonie die italienische vermuten konnte. Das Schaffen Mendelssohns ist doch im

Wesentlichen formal.

 

Der Inhalt (...) ist nirgends stark, aber es entsteht bei diesem gebildeten Mann doch

auch nie eine wirkliche Leere. Wie �u�erlich sein Verh�ltnis zur Form aber doch oft war,

zeigt die �bernahme des Erz�hlers und des Gemeindechorals aus der alten Passion ins

Oratorium (...) wogegen in der Musik zur "Antigone" und dem "�dipus" das

schw�chliche Philologentum, wie man es geradezu nennen k�nnte, gegen�ber dem

gewaltigen Empfindungsgehalt der Antike arg zur�ckbleibt.

 

Die um den 3. Februar des Jahres 1909 herum pflichtgem�� abgeleisteten

Ged�chtnisfeierlichkeiten zur hundertsten Wiederkehr seines Geburtstages erregtenangesichts dessen wiederum nur Befremden in der europ�ischen �ffentlichkeit. Ernest

Walker kommentiert im "Manchester Guardian" vom 3. Februar 1909:

 

�Mendelssohn, einer der ehrlichsten Menschen, h�tte es tausendmal vorgezogen, da�

sein Ruhm ungerechterweise untergegangen w�re, als da� er durch heuchlerische und

unwahre Mittel gerettet w�rde.�

 

18. Eine Lanze f�r Felix Mendelssohn

Die sp�ten 90ziger Jahre, die Jahrhundertwende, aber auch die Jahre bis in die

Weimarer Republik hinein, brachten nichtsdestotrotz vermehrt Pl�doyers namhafter

Pers�nlichkeiten kulturellen Lebens zugunsten Mendelssohns mit sich. So engagierten

sich die Komponisten Max Reger, Camille Saint-Saens, Ferruccio Busoni, und Alfredo

Casella, die Dichter Theodor Fontane und Romain Rolland, die Musiker Johannes

Brahms und Hans von B�low, der der Musikwissenschaftler und Intendant des

Wiesbadener Staatstheaters Paul Bekker, der Musikhistoriker Heinrich Schenker sowie

der erste, quellenkritisch herangehende, seri�se Biograph Mendelssohns Ernst Wolff f�r

die �sthetische Neubewertung eines "feinsinnige(n), gem�tswarme(n), grosse(n)

Meister(s)", der "fast vergessen, jedenfalls total untersch�tzt wurde und wird" (Reger).

 

Max Reger empfahl des weiteren �all den verwirrten (...) jungen �bermenschen, bei

denen Musik �berhaupt erst beim achten Horn, beim vierfachen Holz, bei

vierundsechzig Schlaginstrumenten (...) beginnt� eingehendere Besch�ftigung mit �der

Vollendung des klaviertechnischen Materials� und �der absolute(n) Beherrschung des

musikalisch-formellen Elements� (Wirth, Max Reger, Reinbek 1973) Mendelssohnscher

Kompositionen.

 

66

 

 


 

Der Musikpublizist Adolf Wei�mann befreite die musikalische Entwicklung Richard

Strauss und Max Regers aus dem �berm�chtigen Einflussbereich Wagners, in welchem

�ffentliche Wahrnehmung sie bislang ansiedelte und f�hrte den musikalischen Ursprung

derselben wieder st�rker den eigentlichen Vorbildern Felix Mendelssohn und Johannes

Brahms zu.

 

Paul Bekker wiederum erkannte Felix Mendelssohn den Rang eines selbst�ndigen

Nachfahren Beethovens zu.

 

Busoni ehrte Felix Mendelssohn nicht nur als �einzigen wahren Sch�ler Mozarts neben

Rossini und Cherubini�. Mit dem formal-komplex polyphonen Tondrama Dr. Faust hatte

Busoni ein epochales Werk fr�her Moderne unvollendet hinterlassen und sich parallel

dazu, gegen Ende seines Lebens, die �seichte Salonmusik� der "Lieder ohne Worte" zu

erneutem, intensivem Studium vorgelegt.

 

Die Jahre des 1. Weltkrieges; die Ern�chterung unabsehbar fortdauernden

Kriegsschreckens, brachten hingegen vermehrte Abkehr von allzu heroischsimplifizierenden

kulturellen Nationalismen in der Musik und auf der B�hne. Nicht von

ungef�hr reduzierte sich somit auch die Auff�hrungszahl des bislang stilistisch

dominierenden Wagner-Werkes erstmals auf einen Gleichstand innerhalb gewohnten

Mischrepertoires.

 

19. Eine weiche, zur Sentimentalit�t neigende Natur

Der Komponist und Musikpublizist Max Chop, seinerzeit als Liszt-Autorit�t gew�rdigt,

wurde Musikfreunden unserer Zeit haupts�chlich durch historische Ver�ffentlichungen

innerhalb der traditionsreichen Universal-Bibliothek des Hauses Reclam gel�ufig. In den

Jahren 1900 bis ca. 1920 legte er zahlreiche fundiert recherchierte Einzelstudien von

Standardwerken des Opernrepertoires und Komponistenbiographien vor. Ob ihm im

Zuge dessen auch die Erarbeitung eines Felix Mendelssohn-Portraits �bertragen wurde,

w�re noch herauszufinden, aber keineswegs zu hoffen.

 

Ein von Max Chop im Jahre 1916 erstver�ffentlichter F�hrer durch die Musikgeschichte

zumindest entwickelt bereits in der komprimierten Behandlung des Sujets einschl�gig-

perfide Dialektik von neuer unvermuteter Qualit�t.

 

Der Wagnerianer Chop sucht die Person, den Menschen Felix Mendelssohn

nachhaltig zu minimieren, um � quasi vermittels eines Ph�nomens umgekehrter

Relativierung � das Idol des Musikdramatikers daran ins unermessliche zu erheben.

 

Nach dem klug disponierten Verweis auf Parteienstreit und musikalisch indifferente

Diffamie greift Chop selbst sogleich zu der zuvor angeprangerten Methodik.

 

Origin�re Qualit�t entwickelt dabei eine Praxis inkriminierender Verf�lschung

biographischer Fakten, Verk�rzung und Umkehrung von Zusammenh�ngen, ja fiktiver

Behauptungen: musik-�wissenschaftlicher� Methoden also, welcher sich einzig der

Nationalsozialismus noch vergleichbar bedienen sollte.

 

Daher seien f�r diesmal den demagogischen Wendungen auch Verweise auf die

eigentliche biographische, musikhistorische Sachlage entgegengestellt.

 

67

 

 


 

Das von Chop nachfolgend imaginierte Zerrbild eines kleinlichen, eifers�chtigen, eitlen

Musikfunktion�rs, das beim zeitgen�ssischen Leser massiv hervorgerufene

Ressentiment gegen�ber der Person des Komponisten, negiert die im Anschluss

dargelegte verhaltene, um Differenzierung bem�hte, stellenweise bewundernde

Sichtweise auf dessen Musik denn auch erheblich.

 

�Die k�nstlerische Pers�nlichkeit (...) Felix Mendelssohns sachlich zu er�rtern, ist (...)

eine nicht eben leichte Aufgabe, weil der Streit der Parteien und Meinungen sch�rfer

denn je um die Werke und deren �sthetische Werte entbrannt ist�. (...) Ohne Frage hat

(...) die tendenzi�se Mache und Propaganda gewisser Kreise der ruhigen Abw�gung

viel geschadet (...), indem (das �sthetische Sentiment) Mendelssohn gegen die

neudeutsche Kunst ausspielte und seine Stellung Wagner gegen�ber ihm (...) zum

Vorwurf (machte). Gewiss: Mendelssohn liebte Wagner durchaus nicht, vielleicht, weil er

von der ersten Bekanntschaft (...) an, das ihn selbst in seiner Machtstellung

gef�hrdende, kunstrevolution�r gesonnene Genie erkannte.

 

Er dirigierte Wagners "Tannh�user"-Ouvert�re im Gewandhause als �warnendes

Beispiel� (...) und tr�stete den Komponisten des �Fliegenden Holl�nders� bei der

Dresdner Erstauff�hrung des Werkes durch den etwas schadenfrohen Zuspruch: Er

k�nne ganz zufrieden sein mit der Aufnahme, denn sie sei ja, alles in allem, kein

vollst�ndiges Fiasko gewesen".

 

(Mendelssohn wohnte der Berliner Premiere des �Holl�nders� im Januar 1844 bei und

�kam nach der Vorstellung auf die B�hne, umarmte mich und gratulierte mir sehr

herzlich.� Richard an Minna Wagner; 8.1.1844)

 

"Indessen lagen solche �u�erungen in einer menschlichen Schw�che begr�ndet, die

von jeher bei Musikern und Tondichtern fruchtbaren Boden gefunden hat. (...)

Mendelssohn (...) konnte es nicht verwinden, einen K�nstler neben sich zu sehen, der

die �ffentliche Aufmerksamkeit von ihm auf sich selbst ablenkte. Selbst f�r Robert

Schumann hatte er kaum ein freundliches Wort �brig,

 

(Urauff�hrung der 1. �Fr�hlings�-Symphony und der 2. �C-Dur�-Symphony Schumanns

durch Felix Mendelssohn im Gewandhaus)

 

Chopin besp�ttelte er als �Chopinetto� , Liszt war ihm g�nzlich unsympathisch und

Berlioz nannte er �eine vollst�ndige Karikatur ohne einen Funken von Talent�.

 

(Den Zeitgenossen Schumann, Wagner und Brahms vergleichbar sind �sthetische

Vorbehalte Mendelssohns gegen andere musikalische Auffassungen selbstverst�ndlich

schriftlich belegt; Chopin, Liszt und Berlioz waren in den Jahren 1840 und 1843 als

Interpreten eigenen Repertoires G�ste des Gewandhauses. Integrit�t, menschliches,

musikalisches sowie -im Falle des Gewandhausskandales um Franz Liszt nahezu

extraordin�r erwiesenes � organisatorisches Engagement des Gastgebers Felix

Mendelssohn sind jeweils in fundierteren Biographien und Autobiographien der

Genannten nachgewiesen.)

 

(...) Zwischen beiden (Wagner und Mendelssohn) bestand der (...) Unterschied, da� der

eine das (...) k�nstlerische Verm�chtnis eines Bach, H�ndel, Beethoven (...) sich zu

 

68

 

 


 

eigen gemacht hatte, ohne (...) Konsequenzen in einem dem Zeitgeiste angepassten

Sinne zu ziehen, w�hrend beim anderen sich aus dem v�lligen Aufgehen in den

genannten Meistern heilige Feuer entz�ndeten, deren leuchtender Schein schon damals

seine Reflexe weit voraus warf.

 

(Wagners Bekenntnis zum Werk Beethovens ist verb�rgt; eine Affinit�t zum

�akademisch� und �historisch� apostrophierten Werk Bachs und H�ndels bestand nicht.)

 

"Wohl die gr��ten Antipoden...� selbst in der �u�eren Gestaltung des Lebens, das dem

einen lachenden Sonnenschein und Anerkennung, dem anderen Kampf, Not und

Verkennung schickte! Mendelssohn eine weiche, zur Sentimentalit�t neigende Natur, Wagner

ein herber, kraftvoller, z�her, dem Explosiven zuneigender Charakter! (Max

Chop; F�hrer durch die Musikgeschichte, Berlin 1916, ebd. 1922)

 

Intermezzo III: und dirigierte Wagners "Tannh�user"-Ouvert�re im Gewandhause...

 

Verwirrung gibt es auch um die Auff�hrung der �Tannh�user"-Ouvert�re, welche am

12.2.1846 im Rahmen eines Sonderkonzertes zugunsten des Pensionsfonds des

Gewandhausorchesters als Werk zeitgen�ssisch-avantgardistischer Tonkunst

angesetzt und vom Publikum ausgezischt wurde. Es dirigierte Eric Werner und Stephan

Kohler zufolge nicht Mendelssohn, sondern Ferdinand Hiller.

 

Mendelssohn wirkte nachweislich als Pianist (Beethovens 32 Klaviervariationen in C-

Moll, Op. 36) an diesem Konzerte mit. Bedauerlicherweise verzichtete Werner auf einen

Verweis, woher er die Information eines Hillerschen Dirigates bezog und verwechselt

dar�ber hinaus Hiller m�glicherweise mit einem der anderen als Stellvertreter

Mendelssohns t�tigen Kapellmeister wie Gade.

 

Hiller dirigierte die Gewandhauskonzerte stellvertretend w�hrend des ersten Berliner

Engagements Mendelssohns, also von April des Jahres 1841 bis Oktober des Jahres

1842; nahm aber, nach vermeintlichem Zerw�rfnis mit Mendelssohn, im Jahre 1844 eine

Verpflichtung als Kapellmeister in Dresden an. M�glicherweise dirigierte Hiller bis zum

Tode Mendelssohns oder gar dar�ber hinaus also niemals mehr am Gewandhause. In

der Saison 1845/ 46 indessen teilte sich Niels W. Gade nachweislich mit Mendelssohn

in die Leitung des Leipziger Konzertwesens.

 

Da gemeinhin Felix Mendelssohn als Dirigent der verungl�ckten Leipziger Vorstellung

genannt und dar�ber hinaus auch das Datum diffus gehandhabt wird (so nennt Karl-

Heinz K�hler f�lschlicherweise M�rz 1845), liegt m�glicherweise der Lapsus einer

genuin aus der Wagner-Literatur hervor-und in die biographische Mendelssohn-

Rezeption �bergegangenen, allgemeinhin tradierten Gleichsetzung von Ort und Person

vor.

 

Wagner selbst hatte von dem Konzert lediglich nachtr�glich aus zweiter Hand erfahren.

In seiner nahezu 20 Jahre sp�ter verfassten Autobiographie �Mein Leben� gibt er

Mendelssohns Dirigat hingegen als Fakt wieder. Da Wagner in �Mein Leben�

zahlreichen Autographen der Jahre 1842-47 von seiner Hand (vor allem den an Felix

Mendelssohn gerichteten Briefen) offenkundig widerspricht, scheidet dieselbe als

seri�se Informationsquelle zu Leben und Werk Mendelssohns gr��tenteils aus.

 

69

 

 


 

Der sp�tere Dirigent Hans von B�low hingegen wohnte als Augenzeuge jenem Konzerte

bei und berichtete 5 Jahre sp�ter dar�ber in dem Essay "Das musikalische Leipzig und

sein Verh�ltnis zu Richard Wagner" aus dem Jahre 1851. Auch er nennt den Dirigenten

nicht namentlich.

 

"Um sich nicht dem Vorwurfe eines grundlosen Verdammungsurtheils, d. h.

grunds�tzlichen Ignorierens der Wagnerschen Musik auszusetzen, beschloss man

daher, die Ouvert�re zum Tannh�user, als ein gr��eres, abgeschlossenes Tonst�ck,

das in Dresden Furore gemacht, in einem Concerte zu Geh�r zu bringen.

 

Die Auff�hrung dieses sehr schwierigen, aber bei geh�rigem Fleisse und Sorgfalt im

Einstudieren auch h�chst dankbaren und unvergleichlich wirksamen Musikst�ckes, war

�ber alle Ma�en unerquicklich, eine Execution , im besonderen Wortsinne.

 

Es h�tte einer solchen (...) Verhunzung � nicht einmal bedurft, um die Composition

fallen zu lassen: die missmuthige Miene des Dirigenten autorisierte gewisserma�en

schon das Publikum zur Missfallensbezeugung. Mendelssohn hat durch jene herzlichen

Worte, welche er nach einer Auff�hrung des Tannh�user in Dresden mit sichtlicher

Ergriffenheit an Wagner richtete, sich vollkommen von diesem tr�ben Flecken gereinigt;

von Leipzig w�rden wir es aber recht taktvoll gehandelt wissen, wenn es Wagner eine

r�par�tion d�honneur (...) nicht l�nger schuldig bliebe".

 

Nicht allein jenes im Nachsatz vorgebrachtes Res�mee l�sst wenig auf eine

Interpretationsverantwortung des Gewandhausdirektors f�r jenen Konzertteil schlie�en;

vielmehr widersprechen die Verweise auf offenkundig ermangelnden �geh�rige(n)

Fleisse und Sorgfalt im Einstudieren� respektive �unerquickliche� Ausf�hrung eigentlich

allen �berlieferten musikalischen Prinzipien des Dirigenten Mendelssohn hinsichtlich

Sorgfalt in der Orchesterarbeit und unbedingter Auff�hrungsqualit�t.

 

Dar�ber hinaus verweisen auch die Originalrezensionen des Pensionsfondkonzertes in

den f�hrenden Leipziger Fachpublikationen und die im Jubil�umsalmanach des

Gewandhauses vom 1898 enthaltene Konzertchronik nicht auf ein Mendelssohndirigat

der Ouvert�re.

 

Die Rezensionen in der "Allgemeinen musikalischen Zeitung" aus Leipzig sowie in der

�NZfM� schweigen sich �ber den Abenddirigenten vollkommen aus.

 

Das liesse, Mendelssohn am Pult vorausgesetzt, in beiden F�llen erheblich verwundern.

In der "Allgemeinen musikalischen Zeitung" zeichnete der Lokal-Rezensent L. R. in den

letzten Arbeitsjahren Mendelssohns f�r die Berichterstattung der Gewandhauskonzerte

alleinverantwortlich. Er lie� es sich zur Gepflogenheit werden, das Dirigat Mendelssohns

jeweils nicht allein dezidiert zu kommentieren, sondern dessen Namen in der Rezension

gar kursiv hervorzuheben. Das Unterschlagen einer musikalischen Leitung durch

Mendelssohn fiele bei diesem Rezensenten also vollst�ndig aus dem Rahmen.

 

Einzig die Besprechung des ber�chtigten Novemberkonzertes gleichen Jahres, mit einer

missgl�ckten Urauff�hrung der C-Dur-Symphony Schumanns und darauf folgenden, auf

die Person Mendelssohns abzielenden �mosaischen� Unterstellungen der Presse,

schweigt sich �ber den Abenddirigenten aus.

 

70

 

 


 

Allerdings erfolgte zwischen den beiden Ereignissen ein Redaktionswechsel in der

"Allgemeinen musikalischen Zeitung", der Rezensent der Gewandhauskonzerte wurde

f�rderhin nicht mehr genannt und hatte m�glicherweise gleichsam gewechselt.

 

Interessanter in diesem Zusammenhang ist eher noch die Besprechung der gleichen

Veranstaltung durch die �NZFM�, welche Franz Brendel h�chstselbst vornahm. Auch

dieser l�sst den Dirigenten unerw�hnt. Nach allem, was bislang �ber die publizistische

Position Brendels im Leipziger Musikleben er�rtert wurde, l�sst sich kaum annehmen,

da� in einem renommierten "neudeutschen" Fachorgan die vermeintlich exemplarische

�Verhunzung� eines wesentlichen Meilensteines der �Neudeutschen Schule� durch den

f�hrenden Kopf der Leipziger �Traditionalisten� taktvoll unter den Tisch fallen gelassen

wurde.

 

W�hrend die genannte Orchesterchronik die detaillierten Konzertberichte oftmalig mit

der Verlautbarung: Mendelssohn dirigierte, Hiller dirigierte abschloss, wird auch dort

kein musikalischer Leiter besagten Pensionsfondkonzertes genannt. Dies legt die

Vermutung nahe, da� sich, da Mendelssohn und Gade (Viola-Partie im Quartett-Konzert

f�r 2 Violinen, Viola, Violoncello und Orchester von Ludwig Spohr) sich ja auch als

Instrumentalsolisten in das Konzert einbanden, beide m�glicherweise als A-oder B-

Dirigenten des Gewandhauses in die Veranstaltung teilten.

 

Publikumsverst�rung und Skandal rief die Auff�hrung der Ouvert�re in jenen Jahren

auch in anderen Musikst�dten Europas hervor.

 

Als Generalmusikdirektor Franz Lachner das Werk am 1. November des Jahres 1852 im

Rahmen eines Odeon-Konzertes erstmalig in M�nchen vorstellte, wurde es vom

Auditorium einhellig ausgezischt. Hans von B�low erhob die Stadt M�nchen in einer

umfassenden Kolumne polemischer Essays in der �NZfM� daraufhin eilfertig in den

hohen Rang einer Ordensburg musikalischer Reaktion und eines Zentrums der

�Opposition in S�ddeutschland� (�NZfM�, Nr. 22 � 26, 25.11. � 23.12.1853).

Auditoriumseklats infolge konzertanter und szenischer Darbietungen Wagnerschen

Werkes gab es auch in einem vom jungen Hans von B�low selbst geleiteten Konzert

("Tannh�user"-Ouvert�re), des gleichen in Wien (dito) und Luzern ("Der Fliegende

Holl�nder"). Eine im Jahre 1850 geplante Auff�hrung der "Tannh�user"-Ouvert�re in der

Union Musicale in Paris scheiterte bereits im Vorfeld am Desinteresse des Orchesters.

 

20. Nur in einem Abstand zu nennen

Wie weitgehend der Einfluss der Wagnerschen Musik-und Rassentheorien sich auf das

Denken und Empfinden der Deutschen jener Zeit auswirkte, wie bindend und

folgerichtig dieselben sich amalgamisch zum Seelenkit der Menschen verdichteten,

dass sogar j�dischst�mmige Komponisten die Wagnerschen Seeleninvektiven bewusst

verinnerlichten, beweist ein Brief Kurt Weills an seinen Bruder aus dem Jahre 1919: Er

bezweifelt darin in jugendlicher (und vielleicht auch in v�lkischer) Unsicherheit die

Eignung zum Komponisten.

 

�Ich war schon fast bei dem Entschluss angelangt, die Schreiberei aufzustecken und

mich nur auf die Kapellmeisterei zu werfen. Wir Juden sind nun einmal nicht produktiv,

 

71

 

 


 

und wenn wir es sind, wirken wir zersetzend und nicht aufbauend; und wenn die

Jugend in der Musik die Mahler-Sch�nberg-Richtung f�r aufbauend, f�r

Zukunftsbringend erkl�rt (ich tue es ja auch!) so besteht sie eben aus Juden, oder aus

j�delnden Christen. Niemals wird ein Jude ein Werk wie die Mondscheinsonate

schreiben k�nnen. Und die Verfolgung dieses Gedankenganges windet einem die Feder

aus der Hand.�

 

Als origin�rster Beitrag der Zwanziger und fr�hen Drei�iger Jahre zu stereotyper

Mendelssohn Negation in Schlagworten kann jenes des �Abstands� gelten, die zahlreich

publizierte Behauptung: nur in einigem Abstand zu anerkannten Meistern der

europ�ischen Musikgeschichte k�nne Mendelssohn ja rezipiert werden.

 

So hebt Prof. Dr. Ludwig Schiedermeyer in der Monographie �Die Deutsche Oper�

(Quelle & Mayer, Leipzig 1930) gleich zu Beginn einer vergleichenden Darstellung

Schuberts und Mendelssohns als Problemkindern deutschsprachigen Musiktheaters

divergierende Rezeptionsebenen als quasi selbstverst�ndlich und gottgegeben hervor:

 

"In einer gewissen �hnlichkeit mit Schubert hatten auch Felix Mendelssohn-Bartholdy,

der nur in einem Abstand von diesem genannt werden darf, immer wieder Opernpl�ne

besch�ftigt. (...) Das Missgeschick, das "Die Hochzeit des Camacho" trotz aller

Anerkennung der Mendelssohnschen Verwandtschaft bei der Erstauff�hrung im Berliner

Schauspielhause (1827) ereilte, entt�uschte den sensiblen, �berempfindlichen Jungen

so schwer, da� er fortan nicht mehr ohne Voreingenommenheit (...) der Oper

gegen�bertrat".

 

Auch im weiteren Verlaufe der Schiedermayerschen Nationaloperngeschichte wird

Mendelssohn als Ma�stab der Mittelm��igkeit angef�hrt, wenn es beispielsweise gilt,

Schw�chen in der Tonsprache des jungen Richard Strauss zu indizieren.�

 

"Mit der musikalischen Umwandlung, der "L�uterung" der Salome, gelangt nun der

T�ufer in den Vordergrund des Dramas, (...). Allein das Jochanaan-Drama setzt sich

nicht durch, da ihm musikalisch wohl gef�hlsselige, pastorale Melodien der

Mendelssohnschen Sph�re zugeleitet werden, aber jene Charakterisierung (...) eine(s)

Felsen (in) der Umgebung allgemeiner Verderbnis (vorenthalten bleibt)".

 

Die Suggestion der Zwangsl�ufigkeit, Naturbedingtheit einer niederen Positionierung

Felix Mendelssohns, welche die Wortmacht Schiedermayers unwillk�rlich hervorruft, ist

keineswegs als Marginalie oder Zufallsprodukt aufzufassen. Es bezeugt vielmehr die

komplexe Doppeldeutigkeit chauvinistischer Rhetorik in jener Zeit vor dem

Nationalsozialismus., auf welchen dieselbe bereits hinwies. Wenige Jahre sp�ter

mochte Dr. Ludwig Schiedermayer, Prof. der Musikwissenschaft an der Rheinischen

Friedrich-Wilhelm-Universit�t. Bonn �berzeugungen wie jene , eine Jude sei aus

rassischen, also biologischen Gr�nden �nat�rlich� weit unterhalb des Ariers anzusiedeln,

unumwundener zum Ausdruck gebracht haben. Beauftragt, gemeinsam mit den

Kapazit�ten Friedrich Blume, Gotthold Frotscher und Karl Hasse die Ausstellung

�Entartete Musik� im Mai des Jahres 1938 wissenschaftlich zu betreuen, hatte er ja

exakt zu diesem und anderen Aspekten einschl�gig Stellung zu nehmen.

 

72

 

 


 

21. Wir k�nnen auf Objektivit�t nicht Verzicht leisten!

In den 20ziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ver�ffentlichte der Musikpublizist

Walter Dahms bemerkenswerte Monographien �ber die Komponisten Franz Schubert,

Robert Schumann und Felix Mendelssohn. Diese erschienen in einer vom Verlag

Schuster & Loeffler in Berlin konzipierten �Sammlung� von �Meister-Biographien�

hochrangiger Komponisten. Co-Autor der Reihe war u. a. der namhafte zeitgen�ssische

Musikschriftsteller Julius Kapp. Die Popularit�t der Sammlung bezeugt allein schon der

Fakt reichhaltiger Verf�gbarkeit der B�nde im aktuellen Antiquariat.

 

Die Ver�ffentlichungen Walter Dahms zeichnen sich durch einen verbl�ffenden

Ansatz kompetenter, umfassender Darstellung des jeweiligen Sujets auf der Grundlage

pr�ziser Recherche aus.

 

Zeittypisch andererseits sind Einseitigkeit, mangelnde Objektivit�t in der Sichtweise

kontroverser, problematischer k�nstlerischer Standortbestimmungen des dargestellten

Komponisten. Die stilistische Einordnung des Schumannschen und Mendelssohnschen

Werkes erfolgt somit vornehmlich aus der nationalkonservativen Perspektive heraus.

 

Gleich zu Beginn der Mendelssohn-Monographie, im �Pr�ludium� sah sich der Autor

daher der obligaten Notwendigkeit einer �rassischen Einordnung� Mendelsohnschen

Oeuvres ausgesetzt. Karl-Heinz K�hler nannte es im Jahre 1972 zutreffend: �den

merkw�rdigen Versuch., auf antisemitisch-rassenbiologischer Grundlage von

Mendelssohns Werk zu retten, was zu retten ist� und verweist auf den nachhaltig

hervorgerufenen Eindruck "da� hier ein positives Pl�tzchen f�r Mendelssohn gesucht

wird.� Hauptinstrument des Konstruktes deutschnationaler Vereinnahmung der

Komponisten Mendelssohn (und Schumann) ist die gesuchte Absetzung dessen Werkes

von jenem Giacomo Meyerbeers; die Konstatierung, Mendelssohns Musik sei in

letztendlicher Betrachtung als �deutsch und rein�, das Werk Meyerbeers hingegen als

unverkennbar �j�disch� einzuordnen.

 

Dahms begibt sich somit voll Bedauerns in die Verpflichtung �nun von dem Judentum

Mendelssohns sprechen� zu m�ssen, �nicht, wie um etwas Unangenehmes oder

Peinliches, von dem doch nun einmal die Rede sein muss, m�glichst rasch zu erledigen,

sondern um von vornherein den richtigen Standpunkt in einer so wesentlichen Frage zu

gewinnen. (...) Wir wissen l�ngst, da� das J�dische keine Sache der Religion, sondern

der Rasse ist. Die Forscher auf beiden Seiten, der Juden und Nichtjuden (...) haben uns

genugsam belehrt (...) da� die Wahrheit in der Mitte liegt. Wir k�nnen auf Objektivit�t

nicht Verzicht leisten.

 

Deshalb d�rfen wir auch Richard Wagners Schrift �ber das Judentum in der Musik nicht

ohne Vorbehalt unterschreiben und unerw�hnt lassen. (...) Denn Wagner wusste

ebensogut wie wir, da� Mendelssohns Musik unbeschadet der W�rde der deutschen

Kunst und Kultur neben der seinen bestehen konnte (...). Denn Meyerbeers

musikalische Leichtfertigkeit und die Skrupellosigkeit seiner Mittel sind zu offensichtlich,

um geleugnet zu werden. (...) Mendelssohn dagegen ist der einzige grosse und ernste,

f�r alle Zeiten bleibende Meister, den die Juden der Musik geschenkt haben. Seine

Musik hat deutschen Charakter. Ihn aus der Reihe der �deutschen� Meister

auszuschlie�en, w�re eine Verblendung, die nur aus einer gr�ndlichen Verkennung des

vielseitigen Wesens des Deutschtums zu erkl�ren w�re.�

 

73

 

 


 

Nach einer durchaus zutreffenden Betrachtung und Herleitung der Mendelssohnschen

Entwicklung g�nzlich aus der musikalischen Tradition sowie dem romantischem Ideal

heraus, konzentriert sich Dahms schliesslich auf die diskreditierende Analyse eines

semitisch-idiomatischen Konterparts, dem Mendelssohn keinesfalls zuzuordnen sei.

 

�Finden wir etwa in seinem Schaffen die von Nietzsche gekennzeichneten

Eigenschaften der Semiten: �die furchtbare Wildheit, das Zerknirschte, Vernichtete, die

Freudenschauer, die Pl�tzlichkeit? (...) In seiner Stellung zur Romantik l�sst sich (...)

vielleicht ein Mangel an typisch deutschen Eigenschaften finden. (...) Wir sto�en noch

einmal auf Nietzsche, wie er von Mendelssohn spricht, �an dem sie die Kraft des

elementaren Ersch�tterns (beil�ufig gesagt)t: das Talent der Juden des alten

Testaments) vermissen (...) Einem Meyerbeer gegen�ber d�rfen wir, Wagner Folge

leistend, unserem Unwillen freien Lauf lassen.

 

Aber wir m�ssen uns h�ten, Erfahrungen, die wir in der Missgeburt der �gro�en� Oper

mit �j�dischen� Eigenschaften gemacht haben, (...) auf einen Meister wie Mendelssohn

zu �bertragen. (...)

 

Ein Meyerbeer und noch viel weniger sp�tere j�dische Komponisten (m�glicherweise

eine Anspielung auf Sch�nberg, Weill und Schreker, Anm. d. Verf.) d�rfen uns den Blick

f�r Mendelssohns Reinheit und Seelengr��e nicht tr�ben. Vorausgesetzt, da� wir

�berhaupt ein Interesse daran haben, das J�dische in der Musik besonders zu

untersuchen...wie es eben Wagner getan hat.�

 

Bemerkenswerterweise begibt sich Dahms im Versuch semtitisch-musikalischer Analyse

in eklatanten Widerspruch zur g�ngigen Sichtweise des �Judentums in der Musik� im 19.

und fr�hen 20. Jahrhundert. In Bezug auf Nietzsche stellt er �furchtbare Wildheit, das

Zerknirschte, Vernichtete, die Freudenschauer, die Pl�tzlichkeit� sowie �die Kraft

elementaren Ersch�tterns�, eines �Talentes des alten Testaments� als wesentlichstes

Merkmal des semitischen Idioms heraus. Wie im Vergangenen ausgiebig dargelegt,

hie� es doch, das die Kraft �zu ergreifen, ja zu ersch�ttern� sowie das �Dramatische,

das Leidenschaftliche�, also die Ekstase emotionaler H�hen und Tiefen der Musik

Mendelssohns haupts�chlich deswegen abgehe, weil �der Jude�, kosmopolitischer

Beseligung unzug�nglich, leidenschaftslos, im Synagogalidiom befangen komponiere

und die Vorbilder europ�ischer Musik daher glatt und kalt kopiere.

 

Nun argumentieren Nietzsche und Dahms, das dem �Deutschen� Felix Mendelssohn die

semitische Kraft, Emotion und Schroffheit vollst�ndig fehle, sein Werk daher von

�marmorner, kalter Sch�nheit� (Dahms) sei. Die von Nietzsche genannten

(alttestamentarischen) Idiome wiederum tr�fen sicher � unbesehen �bernommen � in

grossen Teilen auf die Wagnersche �Ring des Nibelungen�-Musik zu, nicht nur in jenen

Momenten potentieller semitischer Karikaturen in den Personen Mime, Alberich etc.

 

Somit h�tte der von Wagner dezidiert als Jude hervorgehobene "Deutsche" Felix

Mendelssohn unj�dische, der Vollender der Deutschen Oper wiederum �j�dische� Musik

geschrieben?

 

Da Walter Dahms mit dieser Sichtweise schwerlich eine Neuer�rterung des Problems

vermeintlicher musikalischer Idiome in Gang setzte, gibt er lediglich Zeugnis von der

 

74

 

 


 

Fragw�rdigkeit und Willk�r derartiger Zuordnungen. Oder besser davon; das sich

Wagner, Nietzsche, Dahms u. a. offensichtlich den �Deutschen� oder "Juden�

zurechtlegten, der ihren Zielen jeweils zuf�rderlichst war.

 

In den 20ziger Jahren trat auch der Komponist Hans Pfitzner mit antisemitischen

Schriften musikpublizistisch an die �ffentlichkeit. Pfitzner: ein in der damaligen

Musikwelt Deutschlands vereinsamt bestehender Komponist gro�er, bedeutsamer

Musik konservativer Pr�gung wie jener Monumentaloper �ber den Renaissance-

Komponisten Gian-Pierluigi da Palestrina; ein grandios gescheiterter , ja verkannter

deutscher Musiker jener Zeit. Im Jahre 1920 brachte er mit der Brosch�re �Die neue�sthetik der musikalischen Impotenz. Ein Verwesungssymptom� eine Denkschrift

heraus, welche im Sinne und Stile des Richard Wagner sich in das Wesen der

zeitgen�ssischen Kulturtheorien lautstark einbrachte. Pfitzner bezeichnet darin Wagners

�Das Judentum in der Musik� als eine �ernste, liebevolle und tapfere Schrift�.

 

Der Komponist kn�pft in seinem Pamphlet an die wagnerschen Antisemitismen an

und bringt jene erneut, als singul�r im deutschen Bl�tterwald dastehend, zu einer

weithin ausgreifenden Verbreitung und Fortwirkung.

 

Nach 1921 ver�ffentlichte Professor Dr. Eugen Schmitz die popul�rgeschichtlich

gehaltene �Illustrierte Musikgeschichte� des Komponisten, Kirchenmusikers und (von

1873 an) Dozenten am Dresdner Konservatorium Emil Naumann aus dem Jahre 1885 in

der sechsten Auflage. (Das Buch schweigt sich �ber die Drucklegung der aktuellen

Auflage aus, f�hrt aber neben dem Vorwort zur sechsten Auflage noch das mit dem

Jahre 1921 signierte Vorwort zur f�nften Auflage ins Feld.) Die Wiederver�ffentlichung

des von 1885 � 1928 bis in die neunte Auflage nachweisbar en Suite herausgegebenen

Standardwerkes zeigt auf, das sogar in den modernistisch gepr�gten zwanziger Jahren

in der Weimarer Republik die von dem Buch betriebene r�ckw�rtsgewandte

Mendelssohnverkleinerung der Hochzeit der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts

ungebrochen wiederaufgelegt und somit fortgeschrieben werden konnte. Wie gro� der

Bedarf an solch reaktion�rem Schrifttum in jenen Jahren gewesen sein muss, belegt

allein die Tatsache, dass das Buch von 1921 � 1928, also in weniger als zehn Jahren,

sage und schreibe viermal neu herausgebracht wurde.

 

Obgleich Naumann von 1842-1844 gar ein Sch�ler Mendelssohns u. a. am

Konservatorium in Leipzig war, f�llt in der Gestaltung der �Illustrierten Musikgeschichte�

bereits Eingangs in Sachen Mendelssohns bezeichnenderweise auf, dass unter den

Komponistenartikeln des Buches, welche Gluck, Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert,

Berlioz, Wagner, Brahms, Liszt und Richard Strauss, Bruckner und Hugo Wolff

gewidmet sind, dieser nicht mit einem eigenen Kapitel vertreten ist. Das Problem einer

wiederum tendenzi�s ausfallenden musikhistorischen Mendelssohn-Abwicklung findet,

gleichgesetzt der Darstellung von Leben und Werk diverser Kleinmeister wie Louis

Spohr, schliesslich haupts�chlich in dem Kapitel �Schubert und die Romantiker� statt.

 

Naumann bezeichnet Mendelsohns Werk als epigonal, bezogen auf das Schaffen von

Komponisten wie Carl Maria von Weber, Bach und H�ndel. Er spricht dabei der so

genannten �Elfenmusik� sowie den naturimpressionistischen M�nnerch�ren Mendelssohns

k�nstlerische Eigenst�ndigkeit zugunsten einer behaupteten, eindimensional

direkten Nachfolge von Vorbildern Carl Maria von Webers ab, und stempelt dar�ber

hinaus die Oratorien �Paulus� und �Elias� als Fr�chte angeblich direkten Epigonentums

Bachs (�Paulus�) und H�ndels (�Elias�) ab.

 

75

 

 


 

Immerhin gesteht Naumann Mendelssohn in Abrede eines wahrhaft markigen

deutschen K�nstlertums verniedlichend die origin�re Kreation orchestraler und

instrumentaler Capriccios, wie jenes �kleine, allerliebst f�r Pianoforte geschrieben

Rondo capriccioso� zu.

 

Naumann behauptet weiterhin, dass Mendelssohn gegen�ber �jenen Altmeistern (Bach

und H�ndel) an Gr��e der Empfindung und der Erhabenheit des Ausdrucks zur�ckstehe".

Nach einer Beschreibung sinfonischer und instrumental-kammermusikalischer

Ph�nomene in Mendelssohns Werk kommt Naumann schliesslich -wie k�nnte es auch

anders sein � auf die von Wagner gepr�gten Invektiven von Gef�lligkeit und Gl�tte in

Mendelssohns Schaffen als Repetition eines allzu gel�ufigen Totschlagargumentes zu

sprechen: Es hei�t dort genau: ...in manchen anderen seiner Instrumentalwerke aber,

namentlich in einem grossen Teil seiner Kammermusik tritt in bedenklicher Weise

�u�erlich gef�llige Formengl�tte an die Stelle des tieferen geistigen Gehalts�.

 

Des Weiteren lesen wir noch: �Als Liederkomponist ist Mendelssohn weniger

bedeutend; (...) seine Sololieder, die namentlich harmonisch sehr d�rftig sind, bedeuten

eher einen R�ckgang auf den Standpunkt Zelters�.

 

In den Er�rterungen der Musik des von Naumann als ein gescheiterter Kleinmeister arg

abgekanzelten Komponisten Robert Schumann schreibt der Autor in Bezug auf dessen

Streichquartette folgende Reprise des einschl�gig bekannten Mendelssohn

-Hauptvorurteils fest: �Von Schumanns Kammermusik verraten die drei Streichquartette

mit ihrer flie�enden und glatten Liebensw�rdigkeit am entschiedensten den Einfluss

Mendelssohns;...�

 

An anderer Stelle beschreibt Naumann ausgiebig die Verdienste Mendelssohns um die

post Bachsche und H�ndelsche Klavier-und Orgelmusik sowie die post Webersche

Chormusik. In einer Fu�note aber macht er all das zuvor lobenswert gesagte mit einem

Satz wieder zunichte: �In diese Renaissancebewegung (um das Chorlied) trat

Mendelssohn ein; freilich von dem klanglichen Ausdrucksreichtum des Tonsatzes der

Alten (Haydn, Mozart, Schubert, Weber) ist er noch weit entfernt; erst Brahms hat hier

die fr�heren Vorbilder wieder ann�hernd erreicht.�

 

Im weiteren Verlaufe des Buches holt Naumann, in Betrachtungen des Lebens und

Werkes des Komponisten und Musikp�dagogen Johann Joachim Raff, zum

Rundumschlag gegen Mendelssohns als glatt und gerundet diffamierte musikalische�sthetik aus. Er schreibt �ber Raffs anf�ngliche musikalische Orientierung an

Mendelssohn und seiner Schule, vor welcher akademischen Auspr�gung ihn der sp�ter

ausge�bte Einfluss Liszts und seiner �Neudeutschen� in Weimar augenscheinlich

�rettete�: �Veranlasste ihn das Mendelssohnsche Vorbild zu einem gewissen Kult des

formalistischen Elements, so verdankte er es wiederum den Jahren, die ihn den

geistigen Einwirkungen Liszts n�her brachten, dass ihm der Wert einer gegl�tteten,

abgerundeten Form nicht in dem Grade alles wurde, dass ihm dar�ber Leidenschaft,

Stimmung und Ausdruck nebens�chlich erschienen und ihn zum einseitigen

musikalischen Akademiker werden lie�en�.

 

Auch dem Dirigenten Felix Mendelsohn verweigert Naumann dessen kongeniale

Bedeutung f�r Werden und Bestehen dieser heutzutage so wichtigen musikalischen

Profession.

 

76

 

 


 

Mendelssohns musikalische Leitung der Gewandhauskonzerte kann mit Fug und Recht

als prototypisch f�r das Berufs-und Erscheinungsbild des modernen Dirigenten; ja des

eleganten Dirigierstars gar gelten.

 

War es in Leipzig vor Mendelssohns Zeiten �blich, dass nur Orchesterkonzerte mit

Vokalanteil von einem Taktschl�ger geleitet wurden, w�hrend das rein symphonische

Repertoire vom Konzertmeister am 1. Geigenpult dirigiert wurde, so �bernahm

Mendelssohn sowohl bei der Vokalmusik als auch bei der Symphonik von einer Position

vor dem Orchester gelegen die musikalische und interpretatorische Gesamtverantwortung.

 

 

Nichts davon findet sich bei Naumann. Er erw�hnt Mendelssohn lediglich in zwei

Aufz�hlungen dirigierender, als Vorl�ufer des modernen Dirigenten geltende

Komponisten (Lully, Jomelli, Spontini, Spohr, Mendelssohn) sowie (Johann Friedrich

Reichardt, Bernhard Anselm Weber, Spohr, C. M. v. Weber, Mendelssohn).

 

Den entscheidenden Verdienst an der Auspr�gung des Typus eines modernen

Dirigenten spricht Naumann in Verf�lschung der Tatsachen um Mendelssohns

bahnbrechende Verdienste auch auf diesem Gebiete � wie k�nnte das bei einem derart

parteilichen, einseitigen Text auch anders sein � ausschlie�lich den Vertretern der

zeitgen�ssischen musikalischen Moderne wie Berlioz und � nat�rlich � den

Neudeutschen Richard Wagner und Franz Liszt zu.

 

Im Jahre 1928 ver�ffentlichte ein Autor namens Anton Mayer in der Deutschen

Buchgemeinschaft GmbH, Berlin eine Geschichte der Musik. Diese war mit ca. 340

Seiten �berschaubar gehalten und zeichnet sich dadurch aus, Musik und Wirken Felix

Mendelssohns mit keinem Wort zu erw�hnen. Demgegen�ber wird dem Schaffen

Richard Wagners die Ehre einer nahezu eigenst�ndigen, umfassenden Abhandlung

�ber 30 Seiten hinweg einger�umt. Also nahezu ein Zehntel des Umfanges einer Schrift,

welche die Musikgeschichte von der griechischen Antike bis zur musikalischen Moderne

zur Darstellung zu bringen beabsichtigte.

 

In seiner im US-amerikanischen Exil vorgelegten Abhandlung "Gr��e in der Musik" legt

der bedeutende deutsche Musikwissenschaftler und Mozartbiograph Alfred Einstein vom

Status Quo der deutschen Mendelssohn-Rezeption in der ersten H�lfte des 20.

Jahrhunderts trefflich Zeugnis ab:

 

�Was ist mit der B�ste Mendelssohns? Es versteht sich wohl von selbst, da� wir uns

bem�hen m�ssen, ihm die richtige Stellung zuzuweisen: die �bersch�tzung zu

vermeiden, die ihm zu Lebzeiten (...) in Deutschland und England zuteil geworden ist,

die Untersch�tzung, deren Urheber oder Repr�sentant Wagner gewesen ist. Sie k�nnteheute zu einer neuen �bersch�tzung f�hren; aber sie w�re wohlt�tig, wenn sie zu einer

neuen Sch�tzung oder Wertung Mendelssohns f�hren w�rde, auf der Grundlage neuer

Kenntnis. Denn er ist heute einer der unbekanntesten Musiker der Vergangenheit. Man

kennt von ihm gerade das Unbedeutendste am besten, die St�cke, die von

mittelm��igen Musikern am meisten nachgeahmt worden sind, weil sie dem b�rgerlich-

romantischen Geist der Zeit am meisten entsprachen."

 

77

 

 


 

Angesichts einer niederschmetternden Realit�t nahezu vollendeter Mendelssohn-

Verdr�ngung und Verleugnung der zwanziger bis vierziger Jahre musste Einstein mit

dieser (dem Wirken Mendelssohns gegen�ber keineswegs unkritischen) Meinung somit

zwangsl�ufig ein einsamer Rufer in der W�ste bleiben -wenn er denn die M�glichkeit

gehabt h�tte, in Deutschland im Jahre 1941 vernommen zu werden.

 

Wie weiland Kurt Weill im Jahre 1919 machte sich im US-amerikanischen Exil Arnold

Sch�nberg im Jahre 1935 Gedanken bez�glich der Relevanz Wagnerschen Denkens

�ber die F�higkeit des Judentums zu Wort, Ton und Schrift. Er zementiert dadurch die

ungebrochen aktivierte, spezielle, fatale Fernwirkung von Wagners Judenmusikthesen

des Jahres 1869 im Denken exilierter Juden. Sch�nberg stellte also in einem, in Los

Angeles gehaltenen Vortrag, fest:

 

�Meine Damen und Herren, als wir jungen �sterreichisch-j�dischen K�nstler

heranwuchsen, litt unsere Selbstachtung stark unter dem Druck einiger Umst�nde (...)

man konnte kein echter Wagnerianer sein, wenn man kein Anh�nger seines

antisemitischen Aufsatzes �ber �Das Judentum in der Musik� war�.

 

Sch�nberg dokumentiert damit unmittelbar, was nur wenige in dieser Konsequenz

erkannten und aufzeigten: �Es gibt keine Wagnermusik, getrennt von den zersetzenden

Judenfeindlichen und menschenverachtenden Theorien, welche aus der Musik und

damit aus dem musikalischen Ausdruck so reichhaltig hervorgehen, welche die Musik

wiederum so eindeutig inspirierten�.

 

Sch�nberg setzt fort: �Und das ist nun der Punkt, an dem man den schrecklichen

Einfluss der Rassentheorie nicht auf die Arier, sondern auf die Juden erkennen kann.

 

Letztere, ihres rassischen Selbstbewusstseins beraubt, bezweifeln die sch�pferische

F�higkeit eher als die Arier. Sie waren bestenfalls vorsichtig und glaubten nur dann,

wenn sie von Ariern best�rkt wurden, wie im Falle Einsteins oder Kreislers�

 

Sch�nberg verdeutlicht, wie schwach, wie eingesch�chtert in ihrem Selbstglauben die

j�dischen Intellektuellen vor einem monumentalen, mentalen demagogischen,

chauvinistisch-rhetorischen Judenvernichtungswerk Wagners also verblieben. Man

musste jenen quasi auf die Schulter klopfen und ermunternd ihnen best�tigen: � Du

kannst doch auch etwas�. So wie freundlich gestimmte Erwachsene es gelegentlich mit

kleinen ver�ngstigten, verzagten Kindern tun. Wie zahlreich sind die Berichte von

j�dischen Wagnerianern, welche Wagners Schaffen gl�hend verehrten und welche in im

Bewusstsein der vermeintlich eigenen Winzigkeit vor diesem musikalisch

monumentalem, massiven Gebirge sich in gr��ter, bitterster Not selbst ent�u�erten:

�Ich bin ein Jude und ich liebe und verehre den Bayreuther Meister�.

 

Sch�nberg schlie�t seinen Text: �Aber im allgemeinen glaubten sie lieber an Arier,

sogar an mittelm��ige. Und leider f�hrte der Mangel an Selbstvertrauen oftmals zur

Verachtung j�dischen Tuns.�

 

22. Eine �grosse L�sung�

In der Aufkl�rungsschrift an die deutsche Nation "Erkenne Dich selbst", als erste

Ausf�hrung zur Schrift �Religion und Kunst� im Jahre 1881 als Bestandteil der

sogemnannten �Regenerationsschriften� in den Bayreuther Bl�ttern ver�ffentlicht,

gemahnte Richard Wagner erneut eindringlich des Juden als �plastischen D�mons des

Verfalles der Menschheit in triumphaler Sicherheit.�

 

78

 

 


 

Er geisselt darin des weiteren den Pluralismus eines Systems wiederstreitender

politischer Parteien als Verderber "�chten deutschen Instinkts" und heimlichen

Deckmantel prosperierenden j�dischen Lebens in Deutschland.

 

Er fordert die Deutschen daher auf, diesen Parteienstreit zu �berwinden und sich, "im

Erwachen zu (...) einfach-heiliger" (nationaler) "W�rde", vaterl�ndisch einm�tig

zusammenzuschliessen.

 

Abschliessend konstatiert er: "nur aber, wann der D�mon, der jene Rasenden im

Wahnsinne des Parteienkampfes um sich erh�lt, kein Wo und Wann zu seiner Bergung"

unter den Deutschen "mehr aufzufinden vermag, wird es auch keinen Juden mehr

geben". Den Deutschen k�nne somit "gerade aus der Veranlassung der gegenw�rtigen,

nur eben unter uns wiederum denkbaren" (antisemitischen) "Bewegung" eine "grosse

L�sung eher als jeder anderen Nation erm�glicht" sein, "sobald sie ohne Scheu, bis

aufs innerste Mark unseres Bestehens das Erkenne-Dich-selbst vollz�gen, vor der

letzten Erkenntnis nicht zur�ckwichen". Wagner gibt am Ende des Textes zu bedenken:

 

"Dass wir, dringen wir hiermit nur tief genug vor, nach der �berwindung aller falschen

Scham, die letzte Erkenntnies nicht zu scheuen haben w�rden, sollte mit dem

Voranstehenden, dem ahnungsvollen angedeutet sein".

 

Ob aus diesen bedachtsam verschl�sselt vorgelegten �u�erungen Phantasien von

gewaltsamer Deportation der Juden oder Genozidhandlungen sprechen, ist Gegenstand

germanistischer und musikgeschichtlicher Er�rterung. Da� Wagner im Gedanken eines

"Erwachen" Deutschlands im "Erkenne Dich selbst" die Ereignisse des Jahres 1933 Zerschlagung

des Parteienpluralismus sowie der parlamentarischen Demokratie und

triumphales Erstarken einer chauvinistisch-nationalen deutschen Erhebung ideologisch-

literarisch vorwegdenkt, geht aus der Lekt�re des Traktates eindeutig

hervor.

 

Adepten des Bayreuther Meisters wussten dessen Gedankeng�nge denn auch

zielgerecht zu entsprechen, der Nationalsozialismus des 20. Jahrhunderts schlie�lich

schwang sich zur "letzten Erkenntnis" empor und war zu der Realisierung einer "gro�en

L�sung" vermeintlicher Judenfrage auf politischem und kulturellem Gebiet bereit.

 

Am 3. April des Jahres 1929 hielt der Demagoge Adolf Hitler eine mehrst�ndige

Kampfrede im vollst�ndig �berf�llten Festsaal des M�nchner Hofbr�uhauses. Darin

richtete er sich gegen Pl�ne des Schauspieldirektors Max Reinhardts, an der

Veranstaltung M�nchner Sommerfestspiele mitzuwirken.

 

Hitler sprach also u. a.: �Es handelt sich also um den Versuch, uns j�dische Kunst

aufzuoktroyieren (...) dieser Kunstwille entstammt jenem Volk, das aus sich heraus

�berhaupt gar kein Kunstempfinden hat, das nicht, wie manche Mitglieder unseres

M�nchner Stadtrates meinen, besonders gro� ist im Kunstempfinden, sondern das

niemals �berhaupt eine eigene Kunst gehabt hat, das grunds�tzlich unproduktiv ist und

nur die Kunst anderer V�lker zu annektieren in der Lage war, zu allen Zeiten! (...)

 

Jedenfalls hat das Judentum an sich �berhaupt keinen ausgepr�gten Kunstwillen,

sondern das Judentum sieht in der Kunst genau das, was es in allem sieht, n�mlich eine

Gesch�ftsm�glichkeit. Es trennt sich von unserer Kunstauffassung meilenweit�.

 

Hitlers Rede reproduziert bis in kleinste Einzelheiten Wagners Kampfschrift �Das

Judentum in der Musik� und bezog sich, Jens-Malte Fischer zufolge, �berhaupt explizit

auf Richard Wagner.

 

79

 

 


 

�Anders liegen meines Erachtens die F�lle von Felix Mendelssohn und Joseph Joachim,

die man kaum fremdv�lkischen Musikgeschichten in dem Ma�e wie ihre vorgenannten

Rassengenossen zurechnen kann. Mendelssohns beste Werke (...) haben im

k�nstlerischen Weltbild deutscher Meister wie Schumann, Brahms, B�low, Bruch und

Reger ausdr�cklich eine Rolle gespielt, die zu den musikgeschichtlichen Tatsachen

jener Zeit geh�rt. (...)

 

Wenn also auch diese beiden seit 1933 praktisch f�r Deutschland ausfallen, so

jedenfalls mehr aus der staatspolitischen Notwendigkeit einer Gesamthaftung desJudentums f�r die versuchte �berfremdung deutscher Kultur, als wegen eines absoluten

Unwerts jener Werke und ihres praktisch-k�nstlerischen Bem�hens. (...) Niemand hat

ihn w�rmer bewundert als Schumann, Brahms, B�low und Reger � das sollte jenen zu

Denken geben, die einen M. heute wegen seiner Rasse glauben herabmindern zu

m�ssen. � (Hans-Joachim Moser 1938)

 

In den ersten Jahren des nationalsozialistischen Regimes war der Umgang der

Repr�sentanten deutschen Musikbetriebs mit dem als klassisch verstandenen Oeuvre

der nunmehr als j�disch apostrophierten Komponisten Felix Mendelssohn, Gustav

Mahler und Jacques Offenbach von Unsicherheit gepr�gt. Es lagen vielerorts noch

keine Erfahrungswerte vor, was weiterhin gestattet sei oder nachhaltig zu unterbinden

w�re. So war schwerlich einzusch�tzen, wie weit die Forderungen der Machthaber in

den Kontext traditionellen E-Musik-Repertoires einzugreifen beabsichtigten. Ob man

sich mit der Negation der Avantgarde und "Musikzersetzung" j�ngeren und j�ngsten

Datums befrieden, die rein von politischer Willk�r betriebene Konterbewegung vor dem

Reiche der Tonalit�t zum Stillstand kommen w�rde.

 

Der Musikwissenschaftler Hans-Joachim Moser, legte somit im Jahre 1938 eine "Kleine

deutsche Musikgeschichte" vor. Mit Worten wie den soeben zitierten, tastete er sich

vorsichtig in vermeintliche Terra incognita vor, an das "Problem Mendelssohn", wie man

es hier einmal zu Recht benennen k�nnte, heran. In zahlreichen F�llen blieben Schriften

wie diese, Auff�hrungen Mendelssohnscher Werke gar, ohne Folgen f�r Autoren und

Musiker. In anderen F�llen erfolgte die Reaktion rasch und unmissverst�ndlich, stellten

sich die Negativerfahrungswerte mit den Pr�missen v�lkischer Kulturpropaganda

postwendend ein.

 

So auch im Falle der "Kleinen deutschen Musikgeschichte" Mosers:

 

�Wer eine kleine Musikgeschichte schreibt, hat die Juden aus seinen Darlegungen

zwangsl�ufig auszuschalten.� beschied eine Rezension im �Westdeutschen Beobachter�

dem als �kulturpolitisch unzuverl�ssig� apostrophierten Verfasser Hans-Joachim Moser.

 

Moser hatte diesen Wink offensichtlich verstanden und beherzigt. Wenige Jahre sp�ter

trat er wiederum als Publizist von Schriften, welche sich mit rassebiologischen und

musikalischen Fragen auseinandersetzten sowie als Generalsekret�r der "Reichsstelle

f�r Musikbearbeitungen" in Erscheinung. Letzteres stand f�r eine Beh�rde, welche

Werken des Opern-, Operetten-und Chorrepertoires vermittels Umdichtung und

Bearbeitung von Text und Handlung v�lkischen, antisemitischen Charakter verlieh.

 

Andere aber sahen sich vom nunmehr vorherrschenden Ungeist sogleich zu deutlichem

Worte befl�gelt. So stellt Dr. Fritz Stege im Mai des Jahres 1933 in der �Zeitschrift f�r

 

80

 

 


 

Musik� Betrachtungen �ber die "Zukunftsaufgaben der Musikwissenschaft" an und

kommt dabei u. a. zu folgendem Ergebnis:

 

"Aber wie es einzelne Meister der Tonkunst gibt, die dem vollendetstem Rassentypus

entsprechen, so unterstehen auch ganze Perioden der Musikgeschichte besonderen

Rasseneinfl�ssen.

 

In geistvoller Weise hat Richard Eichenauer den Nachweis erbracht, wie sich der

nordische Geist der polyphonen Form bem�chtigte, w�hrend im Gregorianischen

Gesang orientalische Eigenheiten zum Ausdruck kommen. (...) Und nun werden wir vom

Rassenstandpunkt aus auch die verschiedenen Str�mungen unseres heutigen

Musiklebens viel besser verstehen und beurteilen. Der Einbruch vorderasiatischer

Rassenmerkmale in den Geist unserer Tonkunst hat zu einer Aufl�sung des

abendl�ndischen Harmoniegef�hls beigetragen."

 

Dr. Stege unterl�uft allerdings, vom Eifer der von rassebiologischer Lehren motivierten

Herabsetzung von Musik befl�gelt, ein eklatanter musikhistorischer Fehler. Er

behauptet, dass ein Komponist von vermeintlich vorderasiatischer Herkunft wie

Mendelssohn, als welchen das �III. Reich� diesen einzuordnen pflegte, die Aufl�sung

abendl�ndischen Harmoniegef�hls betrieben habe. Der sich selbst als Traditionalist

verstehende Mendelssohn habe also letztlich der Aufl�sung der Tonalit�t Vorschub

geleistet.

Es ist musikgeschichtliches Allgemeingut, dass die Harmonik und somit die Tonalit�t in

der deutschen Musik von der Oper "Tristan und Isolde" des "Vollariers" und pr�potenten

geistigen Dramaturgen des �III. Reiches�, Richard Wagner aufgebrochen und somit

infrage gestellt wurde.

 

Ein Weg, der in den Werken der Sp�tromantiker Gustav Mahler, Richard Strauss

sowie des fr�hen Sch�nbergs bis in die Atonalit�t und Zw�lftonmusik des 20.

Jahrhunderts hinein konsequent Fortsetzung fand. Der "Vorderasiate" und "Orientale"

Felix Mendelssohn hingegen tat (wie die infolgedessen agierenden Komponisten Robert

Schumann und Johannes Brahms auch) alles in seiner Macht stehende, um das

abendl�ndische Kulturerbe der Harmonielehre und Tonalit�t vor potentiellen

Zersetzungen zu sch�tzen und zu bewahren. Solcherart Irrt�mer also sind die Folgen,

wenn Rassenhass, Ideologie und Demagogie anstelle objektiver musikwissenschaftlicher

und musikhistorischer Darlegung und Beurteilung treten.

 

Im Jahre 1934 forderte der Dirigent und Fachgruppenleiter Musik des "Kampfbundes der

Deutschen Kultur" (�KfdK�) auf einer Landestagung der "Reichsmusikkammer" (�RMK�)

in Dresden die Anwesenden dazu auf, Mendelssohn als Vergangenheit, �berholte

Musikgeschichte zu betrachten und statt seiner k�nftig neue Komponisten aufzuf�hren.

 

Die Orientierungslosigkeit musikalisch t�tiger Entscheidungstr�ger, der Dirigenten,

Hochschuldirektoren, Chorleiter, Musikpublizisten etc. wurde erheblich gef�rdert durch

den Kompetenzwirrwarr und Machtk�mpfe, welchen sich die unterschiedlichen Partei-

und Regierungsorganisationen kulturellen Zuschnitts unausgesetzt hingaben.

 

Gerade in den ersten Jahren nationalsozialistischen Machtvollzugs rivalisierten

parteieigene Organisationen ohne Regierungsbeteiligung wie der �Kampfbund f�r

deutsche Kultur" (�KfdK�) des NS-Strategen Alfred Rosenberg mit Regimefunktion�ren

gesamtstaatlicher, regionaler oder lokaler Zust�ndigkeit um Majorit�tsfragen bez�glich

 

81

 

 


 

zuk�nftigen v�lkischen Kulturbetriebs. F�hrungskr�fte des Regimes wie Joseph

Goebbels indes waren bestrebt, die Kompetenzen durch die Einrichtung von Ministerien

wie jenes f�r �Volksaufkl�rung und Propaganda" vollst�ndig an sich zu rei�en. Als

Propagandaminister und Chef der "Reichskulturkammer" (�RKK�) betrieb Goebbels die

Einrichtung einer "Reichsmusikkammer" (�RMK�) innerhalb der �RKK�, welche alle

Fragen des Musiklebens in seinen pers�nlichen Entscheidungsbereich bringen sollte

und im November 1933 offiziell eingesetzt wurde.

 

Nach einem vergleichsweise kurzen und in jeder Hinsicht unr�hmlichen Interregnum des

Komponisten Richard Strauss als Pr�sidenten der �RMK�, stand ab Mitte 1935 mit Peter

Raabe ein Seniordirigent und Prof. Emeritus der �TU Aachen� und �berzeugter

Nationalsozialist der "Reichsmusikammer" vor. Da Goebbels Ende des Jahres 1936 die

Errichtung einer Musikabteilung des Propagandaministeriums verf�gte, als deren Leiter

der Dirigent Heinz Drewes fungierte, sah sich Raabe als Pr�sident der �RMK� mit einem

weiteren Generalbevollm�chtigten Musik im Weisungsbereich Minister Goebbels

konfrontiert. Drewes unterstand als Leiter der Musikabteilung ausschlie�lich der Person

des Ministers, war aber als Mitglied der �RMK� wiederum partiell den Anordnungen

Raabes als deren Vorstand unterworfen. Die Supervision des Bereiches Musik unterlag

daher in letzter Konsequenz dem Propagandaminister selbst.

 

Da aber die beiden Funktion�re die Richtlinienkompetenz ihrer Positionen

gr��tm�glich auszureizen trachteten und sich somit gegenseitig blockierten, liegt die

Neutralisierung und Ineffektivit�t der Beh�rde auf der Hand.

 

Dar�ber hinaus befehdeten sich die auf gleicher Partei-und Verwaltungsebene

angesiedelten NS-Funktion�re auch untereinander. Es verwundert daher nicht, das

neben Goebbels auch der Preussische Ministerpr�sident und Generalluftmarschall

Hermann G�ring als Generalintendant aller preu�ischen Theater kulturelle

Kompetenzen beanspruchte und auch der preussische Kultusminister und sp�tere

Reichsminister f�r Wissenschaft, Kunst und Volksbildung Bernhard Rust �ber erhebliche

Weisungsbefugnis im kulturellen Bereich verf�gte. Auf pers�nlichen Wunsch Adolf

Hitlers wurde im Jahre 1934 wiederum das Amt Rosenberg ins Leben gerufen, da Hitler

sich dem zunehmenden Machtbereich seines Propagandaministers gegen�ber

abzusichern trachtete.

 

Rosenberg, der Vork�mpfer des von Goebbels institutionell neutralisierten �KfdK�

erhielt somit als "Beauftragter des F�hrers f�r die �berwachung der gesamten geistigen

und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der �N.S.D.A.P." erneut Kompetenzen,

welche in der Folgewirkung auf die von Hitler angestrebte vollst�ndige ideologische

Nivellierung europ�ischen Kulturerbes der Bereiche Kunst und Wissenschaft abzielen

sollte. Da die genannten Einrichtungen mit unterschiedlichen Kompetenzen versehen

administrativ im gleichen Revier, dem Bereich Musik agierten, waren die Amtsleiter

jeweils in kleinlicher Eifers�chtelei auf Besitzstandswahrung und gesteigerte �ffentliche

Einflussnahme bedacht. Somit herrschte � den erkl�rten Zielen vollst�ndiger

ideologischer Kontrolle �ffentlichen Lebens g�nzlich zuwiderlaufend � stellenweise ein

Richtlinienwirrwarr vor, welches der einflussreiche Berliner Kritiker Hans Heinz

Stuckenschmidt nach dem Kriege als �ganz schwammig, im Grunde unverst�ndlich�

charakterisieren sollte.

 

Dass es somit in den ersten Jahren des Regimes noch zu vereinzelter Propagierung

Mendelssohnscher Musik kommen konnte, ist keinesfalls etwaigen anteilig-libertin�ren

Grundz�gen desselben geschuldet. Das Ph�nomen resultiert vielmehr aus einer,

letztendlich bis zum Untergang des �III. Reiches� vorherrschenden, Unf�higkeit der NS

 

 

82

 

 


 

Administration, die Durchsetzung ideologischer Pr�misse wirkungsvoll bis in alle

Teilbereiche allt�glichen Lebens durchzuf�hren. M�glicherweise spielten auch

strategische Erw�gungen, Vorbehalte, in das Bem�hen um eine nachhaltige

nationalsozialistische Revision des kulturellen Lebens in Deutschland hinein. "Darf bei

Veranstaltungen der N.S.D.A.P. nicht gesungen werden", hiess es bez�glich des

Mendelssohnschen Chorwerks zur�ckhaltend im Jahre 1934, als das Regimem�glicherweise noch auf �berzeugungsarbeit und Konsens bei den wertkonservativ-

bildungsb�rgerlich ausgepr�gten Bev�lkerungsschichten bedacht war.

 

�Eine grosse Zeit duldet keine Kompromisse. Wenn konfessionelle Kirchench�re das

nicht begreifen wollen und, wie k�rzlich in einer rheinischen Stadt geschehen, ihren

Mendelssohn einfach ohne Nennung des Namens in ein Konzert einschmuggeln, erhebt

sich die Frage nach der politischen Zuverl�ssigkeit solcher Dirigenten, denen dann das

letzte Hintert�rchen f�r ihre bewusste Sabotage der musikalischen

Reinigungsbestrebungen energisch zugeschlagen wird. Solche Handlungen, die sich

durch ihre Feigheit selbst richten, sind Ausnahmen, die wir nur registrieren, um zu

zeigen, da� das Fischen im Tr�ben stets den Dunkelmann trifft�, gab der

Hauptschriftleiter Musik F. W. Herzog im Jahre 1937 zu verstehen, als sich das Regime

bis in alle Lebensbereiche hinein verfestigte und qua Diktat �ber etwaige

bildungsb�rgerliche Ressentiments nunmehr g�nzlich hinwegsetzen konnte.

 

Im Jahre 1938 erinnert der Generalintendant von Weimar, Hans Severus Ziegler

anl�sslich jener ber�chtigten Ausstellung Entartete Musik, welche anl�sslich der

Reichsmusiktage in D�sseldorf realisiert wurde, daran , dass Wagner als Verfasser

�seinen lieben Deutschen vor nahezu drei Menschenaltern das Judentum in der Musik

einigerma�en deutlich dargestellt hat.� Er schreibt weiterhin: �Wenn Richard Wagner in

seiner Abhandlung �Das Judentum in der Musik� schon auf die Scharlatane und

seichten Nachahmer der j�dischen Musikproduktion seiner Zeit hinweist und nachweist

mit welcher Solidarit�t das Judentum alle deutsche Musik, deren Sch�pfer bek�mpft hat,

zu einer Zeit, da der j�dische Komponist aus guten Gr�nden immerhin noch ein

bestimmtes Stilniveau wahrte , so sollten wir Nachfahren Wagners erst recht gewitzt

sein, die viel plumperen Scharlatane der j�ngsten Vergangenheit zu entlarven, die

jahrzehntelang unser Opern-und Konzertwesen beherrscht haben.� Ziegler selbst

verdeutlicht dass die Nationalsozialisten sich in ihrem speziellen Kulturantisemitismus

unmittelbar auf die Lehren und Schriften Richard Wagners beriefen, dass sich dieselben

bis ins �III. Reich� ungebrochen fortsetzten und daselbst perfektionierten. Dies sei vor

allem jenen Alpha-Wagnerianern (wie weiland Wagner-Urenkelin Katharina Wagner es

in einem TV-Beitrag tat) ins Stammbuch geschrieben, welche eine spezifische

Verantwortlichkeit Wagners f�r Judenverfolgung und Holocaust so eilfertig und

rundheraus meinen ablehnen zu m�ssen.

 

Der Meininger Kapellmeister Gustav Adolf Schlemm wurde im Jahre 1933 seines

Postens enthoben, weil er eine Mendelssohn-Komposition, das Klavierkonzert Op. 25

ins Programm eines am 7. Februar im Landestheater gegebenen Jugendkonzertes

genommen hatte; sein Handeln vom Leiter des "Gaukulturamtes der N.S.D.A.P"., Hans

Severus Ziegler als Brunnenvergiftung deutscher Jugend gegei�elt. Der Frankfurter

Dirigent Joachim Martini verdeutlicht in seinem Beitrag zum 1. Leipziger Mendelssohn-

Kolloquium im Juni 1993 pr�zise die Perfidie, mythologische Sublimit�t und implizite

psychologische Nachhaltigkeit dieser Metapher: �B�sartig, denn das Bild suggeriert

 

83

 

 


 

nicht nur die seit Jahrhunderten zu Pogromen Anlass gebende Fantasie des Ritual-und

Massenmordes, sondern unterstellt gleichzeitig dem Komponisten die abgefeimte

Intention, die Jugend, die Bl�te, die Hoffnung der Nation mit seinem Pesthauch

korrumpieren zu wollen".

 

Der Doyen damaligen deutschen Dirigententums, Wilhelm Furtw�ngler, hielt in den

Jahren 1933 und 1934 in den Programmen der von ihm geleiteten Berliner

Philharmoniker noch an Mendelssohnschen Orchesterwerken fest. So ist vom Februar

des Jahres 1933 eine Auff�hrung der Schauspielmusik zum "Sommernachtstraum"

�berliefert.

 

Die im Jahre 1933 in der Leipziger Thomaskirche aufgef�hrte Sylvestermotette des

Thomanerchores brachte u. a. das Neujahrslied �Mit der Freude zieht der Schmerz� von

Felix Mendelssohn zu Geh�r, ohne das NS-Beh�rden dem Chor zu diesem Zeitpunkt

deswegen Schwierigkeiten bereitet h�tten.

 

Die Rezensentin Grete Altstadt Sch�tze bezeugt im gleichen Jahre im M�rzheft der

�Zeitschrift f�r Musik� eine zeitnahe Auff�hrung des Violinkonzertes Op. 64 in

Wiesbaden. Demonstrativ stellt sie sich dabei an die Seite des "aus innerstem Adel

musizierenden Prof. Georg Kulenkampff,...der bewies, dass man Mendelssohns

Violinkonzert in solch meisterlicher Aufmachung noch lieben k�nne".

 

Gleichsam in Wiesbaden kam es zu Beginn des Jahres 1934 zu erneuter Auff�hrung

des Violinkonzertes, ohne das die Ausf�hrenden vorab oder im Nachhinein mit

Repressalien konfrontiert wurden. Es spielte der junge Wolfgang Schneiderhan, am Pult

stand Carl Schuricht; beide nach dem Kriege, in den 50ziger und 60ziger Jahren

Kapazit�ten ihres Faches.

 

Anfang des Jahres 1935 stellte der Engl�nder Frederic Lamont in Berlin ein Programm

vor, das ausschlie�lich aus Werken Mendelssohns bestand.

 

Im Februar des gleichen Jahres brachte der Thomanerchor in Leipzig noch einmal den

Psalm 43 op. 78 Nr. 2 zu Geh�r, obgleich mit Karl Straube ein altverdientes

Parteimitglied (Parteieintritt i. J. 1926) die musikalische Leitung des Chores wahrnahm,

welcher im Jahre 1937 denn auch der HJ gleichgeschaltet wurde.

 

Wie stellt sich die publizistische Abhandlung des Sujets Mendelssohn, nunmehr dem

von den Machthabern propagierten "rassebiologischen" Aspekt unterworfen, in der

Fr�hzeit des Regimes dar?

 

Hans Mersmann vermengt in �Eine deutsche Musikgeschichte� zeitgeistgerecht die

�rassische� Belange des musikalischen Vorfalls Mendelssohn mit den tradierten

biographisch-musikalischen Stereotypen Familienclan, Reichtum, omnipotente

musikalische Protektion, Fr�hreife und �stagnation, formaltechnisch vollendeter

Leerlauf, Klein-(kunst)-meister etc. Wie zahlreiche Musikpublizisten paraphrasiert

Mersmann dabei Thesen aus Wagners Traktat. So spricht Mersmann Mendelssohn die

"stetige w�rmende Kraft" ab, welche Wagner zufolge nur in der Verwurzelung im

deutschen Volke re�ssieren k�nne, welche Mendelssohn als Jude ja von Grund auf

verwehrt sei. Die These von der "technischen Meisterschaft", welche "bisweilen schon

als Leerlauf" empfunden w�rde spielt wiederum auf Wagners Invektive der seelenlos,

technisch vollendeter K�lte in der Musik j�discher Komponisten.

 

84

 

 


 

So heisst es auf Seite 419 ff:

 

"...Der Enkel von Moses Mendelssohn...war Tr�ger einer...ausgepr�gt j�dischen

Familienkultur, in welcher die Musik von jeher eine Rolle spielte. (...) alle

Schwierigkeiten wurden aus dem Weg ger�umt. (...)

 

Und so erreichte er verh�ltnism��ig fr�h einen Grad von Vollendung, den eine sp�tere

Entwicklung nicht mehr �bertraf. Mehrere Vorzeichen treffen zusammen: Rasse,

sch�pferische Begabung, �berz�chtung und eine schon zur Dekadenz hin�berneigende

Familienkultur...: er beginnt mit genialem Schwung (...) und hat dann M�he, die immer

wieder hinabgleitende H�he zu halten. (...) Aber hinter dem Werke lebt nicht mehr die

stetige, w�rmende Kraft und seine vollendete technische Meisterschaft wirkt bisweilen

schon als Leerlauf. (...) Er ist der erste, dessen entscheidende �u�erungen in der

Kleinkunst liegen.

 

Der "Westdeutsche Beobachter" ver�ffentlichte am 10.3.1935 ein Traktat Dr. Karl

Grunskys; welcher sich, g�nzlich zeitgeistgerecht, "Gedanken �ber Mendelssohn" gemacht

hatte. Grunsky, ein vormals in Stuttgart ans�ssiger Musikschriftsteller und

Bruckner-Experte, war bereits in den ersten Jahren der Weimarer Republik als

Vork�mpfer einer "musikalische(n) Erneuerungsbewegung vor der deutschen

Revolution" mit der Publikation antisemitischer Musikrezensionen hervorgetreten. Mit

der Publikation von "Abwehrschriften", welcher der Komponist Hans Gansser in der

Septemberausgabe der "Zeitschrift f�r Musik" von 1935 "h�chst wertvoll und

aufschlu�reich" bezeichnete. So ver�ffentlichte Dr. Grunsky um 1920 herum eine

Studie, welche sich dem einschl�gig bew�hrten Thema "Richard Wagner und die Juden"

widmete und von Rezensent Gassner als "deutsche Tat von bemerkenswerter

Zivilcourage!" eingesch�tzt wurde.

 

Des Weiteren versuchte sich Dr. Grunsky bereits im Jahre der "Machtergreifung" in

der Rolle einer publizistischen Denunziation mi�liebiger Kollegen des akademischen

und aus�benden Musikbereichs.

 

In einer Schrift mit dem martialisch vorgepr�gten Titel "Der Kampf um deutsche

Musik. Der Aufschwung", erschienen im Jahre 1933 in Stuttgart, suchte Grunsky in

anma�end -subjektiver Schreibweise erfolglos Komponisten wie Hugo Herrmann und

Wolfgang Fortner, Funktion�re wie Prof. Fritz J�de und Prof. Leo Kestenberg sowie

auch den Dirigenten Wilhelm Furtw�ngler als wesenssynonym j�disch und

sozialdemokratisch, als unbelehrbare Propagandisten sozialistischen Musikgutes sowie

Marxisten zu diffamieren.

 

Kaum verwunderlich, da� Grunskys "Gedanken �ber Mendelssohn" somit nur von

brachial zu Werke gehender Subjektivit�t und Polemik sowie ungeschlachter Redeweise

gepr�gt sein konnten:

 

"Die "Lieder ohne Worte" (schon der Titelwitz verstimmt!) haben eine �berlange Zeit

hindurch den musikalischen Geschmack bestimmt, das heisst verderbt; denn was am

Klavier als am Tonwerkzeug des h�uslichen Alltags erklang, musste sich auf alle

anderen Neigungen auswirken (...) Die Wut musste einen packen, wenn diese

geschw�tzigen Auslassungen wegen besserer Verst�ndlichkeit hoch �ber Beethoven

emporger�ckt wurden. Und spielte die Tochter des Hauses mit einer Freundin gar

vierh�ndig, so mussten es Mendelssohns Sinfonien sein, weil sie so pl�tschrig

dahinflossen (....)

 

Damit, da� Mendelssohn als Ersatz f�r deutsche Meister in unser Musikleben

eindrang, sind wir an dem entscheidenden Punkte angelangt, der unser Verhalten

 

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k�nftig regelt; wir brauchen solchen Ersatz nicht mehr, weder im Konzertsaal noch im

Hause! Auch nicht in der Kirche! Als �bungsstoff kam Mendelssohn vielleicht in

Betracht, aber nie als gleichwertige Offenbarung (...)Nicht zu rechtfertigen ist also die�bersch�tzung, die unsere Musikwelt Mendelssohn auf jedem Gebiete zugestanden

hat.

 

In Kretschmars "F�hrer durch den Konzertsaal" sind Mendelssohns 5 Sinfonien

zusammen 11 Seiten gewidmet; 7 Sinfonien Bruckners, die vor 1890 entstanden waren,

werden auf wenig mehr als einer Seite erledigt, ein krasser Fall des Mi�verh�ltnisses

zwischen J�dischem und Arischem in einem deutschen Buche!"

 

Im Jahre 1935 legte Christa Maria Rock einen enzyklop�dischen Konstrukt vor, welcher

sich bereits im Titel �Judentum und Musik: mit dem ABC j�discher und nichtarischer

Musik� als Paraphrase der historischen Publikationen Wagners und Fritschs ausweist.

 

Als Co-Autor firmiert Hans Br�ckner; die Herausgeber verweisen auf die Auswertung

�authentischer Unterlagen.� Das Buch erreichte bis zum Ende der

nationalsozialistischen Diktatur eine Auflagenh�he von insgesamt etwa 200 000

Exemplaren. Tendenziell liegt es ganz auf der Linie jener zahlreichen, im Zeitraum von

1934 � 40 ver�ffentlichten einschl�gigen Publikationen hinsichtlich musikanthropologisch

bem�hter �Beweisf�hrung� einer "rassisch" bedingten arischen �berlegenheit

sowie der "semitischen" Bef�higung zur Unterwanderung gewachsener "v�lkischer"

Strukturen im musikalischen Bereich.

 

Rhetorisch indes vollends dilettantisch ausgef�hrt, trachtet es, dem Leser vermittels

dezidiert diffamierender Entstellung und Verzeichnung deutsch-j�discher Vergangenheit,

Pers�nlichkeiten wie Mendelssohn nachhaltig zu entfremden. Wie deutlich

ersichtlich, beruft Rock sich, im Tonfall der �bersteigerung und Nachereiferung

klassisch-subalternen Adeptentums verhaftet, auf den �berkommenen Schlagwort-

Katalog der Wagnerschen Argumentationskette: Mendelssohn = Jude = Eklektizist =

geschm�cklerisch, insubstantiell.

 

Aber auch die von B. A. Marx (Mendelssohn-Synonym: weibisch) und Theodor Uhlig

(Mendelssohn-Synonym: Schaffenwollen und Nicht-Schaffen-K�nnen) seinerzeit

ausgepr�gten Rezeptionsstereotypen finden in nahezu identischer Wiederholung

Anwendung.

 

�Felix Mendelssohn Bartholdy (...) war ein Vollblutjude und der Enkel des als Philosoph

gepriesenen Moses Mendelssohn. (...) Seine Frau war die Tochter eines evangelischen

Predigers aus Frankfurt (Main), Cecilie Jeanrenaud, zu deutsch: Johann Fuchs, der

vielleicht auch nicht so ganz rasserein war. Bei Mendelssohns Tod wurden die Zipfel

des Leichentuches von den echten Juden, seinen Freunden Ignaz Moscheles, David,

Moritz Hauptmann und Gade getragen.

 

(Den demagogischen Praktiken derartigen Schrifttums gem�� unterschl�gt Rock dabei

die Sargtr�ger Robert Schumann und Julius Rietz. Anderseits entgeht ihr der �Semite�

Ferdinand David. Gade und Hauptmann wiederum waren keineswegs j�discher

Abstammung. Anmerk. d. Verf.)

 

Mendelssohn ist der Begr�nder des Sammelsurium-Stils, der dann von den

nachfolgenden Juden noch weiter verw�ssert wurde. Er gefiel sich besonders in

 

86

 

 


 

Monster-Vorstellungen, ein typisch j�discher Geschmack, der dann auch von Mahler

besonders �bertrieben wurde. Mendelssohns Musik ist �berwiegend schw�rmerisch und

sentimental, fast weibisch. Sein Schaffen zeigt immer wieder die

Rasseneigent�mlichkeit, die gesuchte Anh�ufung aller denkbaren Instrumentaleffekte.

 

Immer zeigt sich in ihm der Konflikt des Schaffenwollens und Nicht-Schaffen-K�nnens.

Rein j�disch war auch seine Abneigung gegen Wagner und gegen Beethoven. (...) Ihm

fehlt Naturlaut. Er war nur ein Kolorist der Tonkunst".

 

Rock biegt sich dabei die musikgeschichtliche Sachlage, ganz dem propagandistischen

Zwecke des Buches unterworfen, mit Brachialgewalt zurecht und beflei�igt sich

stellenweise der reinen Unwahrheit . Mendelssohns Musik ist von der Stringenz und

Transparenz �berschaubarer Besetzungen bei der Vorgabe rascher Tempi gepr�gt.

 

"Monster Veranstaltungen" laufen dem musikalischen Idiom der Mendelsohnschen

Musik geradezu zuwider. Der Sittenstrenge humanistischen Komponierens verhaftet,

verwahrte sich Mendelssohn gegen�ber jedwedem illustrem musikalischen Affektes,

welcher ihm letztendlich (auch in den Werken andere Komponisten) als unseri�s

erscheinen mu�te. Eine Abneigung Mendelssohns Beethoven gegen�ber entspringt des

Weiteren der puren Erfindung Rocks. Beethovens Symphonien spielten eine

wesentliche Rolle in der Konzeption der Gewandhausprogramme Mendelssohns,

Beethovens Vorbild war in zahlreichen Kompositionen desselben lebendig.

 

Die Publikation Rocks und Br�ckners war in der Lesart und Recherche allerdings

derart schlampig verfertigt, da� das Autorenpaar eine Reihe von Prozessen auf sich

zog, angestrengt von Personen und Einrichtungen, welche sich durch eine irrt�mliche

Konstatierung j�discher Identit�t in diesem Buch in ihrem Ruf gesch�digt sahen.

 

Im Sommer des gleichen Jahres leitete Franz von Hoe�lin im Schlo�garten der

Hohenzollern in Breslau ein Serenadenkonzert, welches u. a. auch Scherzo und

Notturno aus der "Sommernachtstraum"-Musik zu Geh�r brachte. Die Presse

kommentierte diese Auff�hrung zweier Kompositionen eines zunehmend als Juden

verfemten Musikers dessen ungeachtet als "unverg�nglich sch�n".

 

Gleichsam im Sommer des Jahres 1935 trat die Frankfurter Museumsgesellschaft (eine

noch heute bestehende gro�b�rgerliche Konzertgesellschaft) in au�erordentlicher

Mitgliederversammlung mit dem Ziele zusammen, das Konzertprogramm der n�chsten

Saison festzulegen. Der Komponist Dr. phil. h.c. Alexander Friedrich Prinz von Hessen

riet der Versammlung dabei nachdr�cklich, "in Zukunft auch wieder dem Werk

Mendelssohns geb�hrende Beachtung zu schenken" (Prieberg), ohne sich mit dieser

Position bei der Museumsgesellschaft durchsetzen zu k�nnen.

 

Fred Prieberg, dessen, im einschl�gigen Themenbereich langj�hrig f�hrenden Studie

"Musik im NS-Staat" die Daten regimekontroverser Auff�hrungen von Mendelssohn-

Musik gr��tenteils entnommen wurde, listet des weiteren folgende Theaterauff�hrungen

des "Sommernachtstraums" mit der Mendelssohnschen Schauspielmusik auf: 1934 vom

Friedrich-Theater in einer im Dessauer Luisum veranstalteten Vorstellung; im April des

gleichen Jahres in Ulm, in den Ostertagen des Jahres 1935 in Meinigen.

 

87

 

 


 

Dem standen im gleichen Zeitraum aber bereits von der NS-Kulturpolitik initiierte

Surrogat-Untermalungen mit Grammophonplatten (so am Freilichttheater M�rkisches

Museum in Berlin), mit Instumentalmusik aus Purcells �The Fairy Queen� bei den

Heidelberger Schlossgastspielen des Jahres 1934, mit einer nicht n�her genannten

Barockmusik an der Naturb�hne in Thale/ Harz sowie eine von Erwin Baltzer mit

Ausschnitten von Carl Maria von Webers �Oberon� am Neuen Stadttheater Greifswald

zusammengestellte Kompilationsmusik. Die wahrscheinlich letzte Auff�hrung des

Schauspiels in der Vertonung Mendelssohns im Nationalsozialismus fand im Juni des

Jahres 1937 am Stadttheater Brandenburg/ Havel statt.

 

Auch im Verlagswesen konnte sich Mendelssohns Werk noch einige Jahre behaupten.

Die Verlage nutzten dabei offenkundig ein Schlupfloch innerhalb nationalsozialistischer

Verordnungen, welche ein Angebot von Musikmaterialien j�discher Komponisten f�reine bestimmte �bergangszeit scheinbar zu dulden gestatteten.

 

H�ren wir dazu Joseph Goebbels in einem Artikel der Zeitschrift f�r Musik aus

Regensburg vom 1. Januar 1936.

 

Er verf�gte darin: "da� wegen allenfallsiger Sch�digung der betreffenden Verlage und

aus der Erw�gung heraus, da� die Bekanntgabe von Werken j�discher Komponisten

weder deren Ankauf noch deren Auff�hrung zufolge haben wird, ein Verbot der

betreffenden Verlagsverzeichnisse nicht ausgesprochen wird. F�r die Zukunft jedoch hat

bei Neudruck von Katalogen selbstverst�ndlich jedwedes Anbieten von Werken nicht

erw�nschter Komponisten zu unterbleiben�.

 

So bot der Musikverlag Hampe weiterhin ein Posaunenchorarrangement des

Kriegsmarsches der Priester aus Mendelssohns Schauspielmusik zu Racines Drama

"Athalia" zur Auff�hrung an. Ein Katalog des namhaften Musikverlages Bote & Bock in

Berlin wiederum bot Musikalben an, welche Mendelssohnsche Kompositionen und jene

anderer j�discher Tonsetzer gar mit Werken nationalsozialistischer Komponisten wie

Georg Blumensaat, Johannes G�nther und Hans Miessner vereinten.

 

Im Jahre 1939 erklang Mendelssohn noch einmal an der Musikhochschule in Weimar.

Der Direktor des Instituts, Felix Oberborbeck, wurde daraufhin von seinem Posten

suspendiert �sterreichische NS-Funktion�re erschlossen ihm daraufhin einen neuen

Wirkungsbereich an der Musikhochschule in Graz.

 

23. Auch in der Musik hat der Jude nie Kulturwerte geschaffen

Die Reichsleitung der �N.S.D.A.P�. war von den Vorg�ngen um die dilettierenden

Publizisten Rock und Br�ckner hinreichend gewarnt; diese hatten betr�chtliche

Zahlungsbefehle hinsichtlich Schadensersatz gegen NS-treue Verlage mit sich gebracht

und diskreditierten das Unterfangen antisemitischer "S�uberung" der deutschen Kultur

in Gesamtheit im Vorfeld erheblich. Also beschloss die rangh�chste Ebene der NS-

Kulturpropaganda die Vorlage eines von offizieller Seite initiierten musikalischen

Judenkatechismus: des "Lexikon der Juden in der Musik"

 

In den Jahren 1934/35 erschien ein Hauptwerk aggressiven nationalsozialistischen

Rassenschrifttums unter dem Titel �Handbuch der Judenfrage�. Wie im Titel bereits

verdeutlicht, handelt es sich dabei um eine aktualisierte, dem NS-Gedankengut

spezifisch Rechnung tragende Bearbeitung des ber�chtigte "Handbuch der Judenfrage",

 

88

 

 


 

welches der Antisemit Theodor Friztsch bereits im Jahre 1887 erstver�ffentlichte. Da

das Handbuch der antisemitischen Breitenbewegung Deutschlands seit jeher als

Zentralorgan galt, hatte es bis zu diesem Zeitpunkt bereits zahlreiche Wiederauflagen

erfahren: Allein bis zum Jahre 1907, also f�r einen Zeitraum von nur 20 Jahren, werden

26 Auflagen genannt.

 

Ob bereits die Neupublikation des "Handbuch der Judenfrage" auf Initiative und

F�rderung der NS-Administration zur�ckging, ist nicht klar. Offiziellen Rang erhielt es

allerdings bereits dadurch, da� es in den Bestand s�mtlicher Bibliotheken in

Deutschland einzog.

 

Im "Handbuch der Judenfrage" von 1935 greift Hans Koeltzsch in einem Kapitel gleichen

Namens auch den Gedanken vom "Judentum in der Musik" erneut auf.

 

Im Verweis auf Aspekte wie: "Glanz und Glitter des Theaters" (ein Beitrag �ber

Giacomo Meyerbeer); "Frivolit�t, Zynismus und Erotik" (...�ber Jacques Offenbach);

"Operettenschmierer" (...�ber j�dische Operettenkomponisten); "Oberfl�chliches

Mitmachen jeder Stilsensation" (...�ber Kurt Weill) betreibt er darin detaillgenaue

Demontage j�discher Komponisten und deren Werke:

 

"Judentum in der Musik, das ist eine kurze, erschreckende und sehr vielf�ltige

Geschichte von Aufnahme fremden Gedankengutes, bar jeder urt�mlichen

Sch�pferkraft; von gr��eren j�dischen Meistern (Mendelssohn, Mahler) in schmerzlicher

Tragik empfunden, gegen die anzuk�mpfen vergeblich blieb. (...) Fassen wir zusammen:

auch in der Musik hat der Jude nie Kulturwerte geschaffen. (...) Darum kann es im

weiteren Felde des neuen deutschen Musiklebens keine �Politik der mittleren Linie�

mehr geben, keine Duldung, Verst�ndigung, keine Humanit�t; wir alle haben

vielmehr...die Pflicht, das Judentum in der Musik restlos auszuschalten�.

 

Der Autor dieser Zeilen re�ssierte nach 1945 als �namhafter Hamburger

Musikwissenschaftler� und Chefredakteur des 2. UKW-Programms des

Nordwestdeutschen Rundfunks Hamburg. Er ver�ffentlichte u.a. in den 60ziger Jahren

einen Standardopernf�hrer, der �ber Buchgemeinschaften verlegt, zahllosen

Haushalten zum Allgemeingut wurde und unentwegt vernichtende Urteile bez�glich

"Sommernachtstraum" und Meyerbeers gesamtes Opernschaffen verk�ndet.

 

Die von der nationalsozialistischen Propaganda synonym zu �j�disch� aufgewandten

Begriffe �Atonalit�t� und �Entartet� waren der Entw�hnung von den harmonisch-

melodischen Kompositionen des Sp�tklassizisten Mendelssohn wenig dienlich. Zwang

administrativer Verordnung trat an die Stelle propagandistischer Rhetorik. Musikvereine,

Orchester und Konservatorien lie�en vom Werke Mendelssohns ab und seine Musik

verstummte in Deutschland und Hitler-Europa f�r nahezu 12 Jahre.

 

Das im Jahre 1912 in der Berliner Staatsbibliothek zur Aufnahme und Exposition des

Nachlasses errichtete Mendelssohn-Zimmer wurde im Jahre 1933 umbenannt, die im

Jahre 1878 von den Erben und dem Preussischen Staat errichtete Mendelssohn-

Stiftung zur F�rderung begabter Studenten der F�cher Komposition, Dirigat und Klavier

1934 eingezogen.

 

Der umsichtigen Sorge des Musikwissenschaftlers und Musikfunktion�rs Prof. Georg

Sch�nemann als Direktor der Handschriftensammlung der Berliner Staatsbibliothek ist

 

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es einzig zu verdanken, da� der unmittelbare schriftliche und musikalische Nachlass

Felix Mendelssohns die Zeiten des �III. Reiches� und des II. Weltkrieges weitgehend

unbeschadet �berstand.

 

Auch die Musikstadt Leipzig hatte sich der Erinnerung an den bedeutenden einstigen

Mentor hiesigen Musiklebens rasch entledigt, eine Entwicklung, der mit der Vernichtung

des Mendelssohn-Denkmals vor dem Gewandhause �ffentlichkeitswirksam besiegelt

wurde.

 

Zum Beweis dessen ein Blick in zwei Publikationen des ma�geblich auf die Initiative

Felix Mendelssohns im Jahre 1843 gegr�ndeten und von diesem bis zum Todesjahre

1847 geleiteten Leipziger Konservatoriums.

 

Direktor Prof. Walther Davisson umri� in jenen Jahren in einem Editorial unter dem

Titel: "Das Landeskonservatorium" (ohne Datumsangabe) die Geschichte seines

Hauses folgenderma�en:

 

"Drei grosse Institute: Thomaskirche, Gewandhaus und Konservatorium haben den

Ruf Leipzigs als Musikstadt begr�ndet und tragen heute noch Leipzigs K�nstlernamen

in alle Welt. Das Landeskonservatorium nimmt unter ihnen als Musikbildungsst�tte eine

sehr wichtige Stellung ein. Es wurde am 2. April 1843 als erstes gro�es deutsches

Musikerziehungsinstitut mit der Bezeichnung "Konservatorium f�r Musik" er�ffnet und

unterstand der Aufsicht der Gewandhausdirektion. Unter den ersten Lehrern finden wir

Namen wie: Moritz Hauptmann, Dr. Robert Schumann, Christian August Pohlenz, Carl

Ferdinand Becher, Ernst Friedrich Richter und Nils W. Gade.

 

Das nachfolgend wiedergegebene (p�dogogische) Er�ffnungsprogramm, das in

seinen Hauptgedanken noch bis zum heutigen Tage G�ltigkeit hat, zeigt uns, da� schon

die Gr�nder der neuen Musikschule von der Notwendigkeit einer umfassenden

k�nstlerischen Ausbildung �berzeugt waren: Der zu erteilende Unterricht umfasst

folgende Gegenst�nde: Komposition, Violinspiel, Klavierspiel, Orgelspiel und Gesang.

(...) Als Bildungsmittel f�r die Z�glinge bieten sich ferner dar: der unentgeltliche Besuch

der in jedem Jahr stattfindenden Abonnemontskonzerte im Gewandhaus und der

diesf�lligen Proben sowie der Quartettunterhaltungen.

 

Auch der Besuch der vom Thomanerchor allw�chentlich aufgef�hrten

Kirchenmusiken und der Vorstellungen der st�dtischen Oper wird zur musikalischen

Fortbildung beitragen k�nnen".

 

Davisson streicht dabei in erheblichem Ma�e die auf Felix Mendelssohn Bartholdys

Wirken beruhende ungebrochene musikalische Tradition Leipzigs, die historische

Bedeutung des Konservatoriums, den Modellcharakter des im Jahre 1843 vorgelegten

Ausbildungskonzeptes heraus. Des weiteren scheute er keineswegs das umfangreiche,

anonyme wortw�rtliche Zitat aus dem Programm, welches der totgeschwiegene oder mit

der Chiffre "Gewandhausdirektion" verkleidete Direktor Felix Mendelssohn zur Er�ffnung

des Instituts verfasste.

 

Davisson geriet einige Zeit nach Vorlage des Artikels selbst in politische

Schwierigkeiten, da Zweifel an seiner "arischen" Herkunft aufkamen. Obgleich er die

Anfechtung der "Reinrassigkeit" stets durch die Pflege dezidiert v�lkischer Rhetorik zu

entkr�ften suchte, wurde er infolge des Verdachtes der Leitung des Konservatoriums

enthoben, das Institut einer kommissarischen Leitung anvertraut.

 

Getreu der Joseph Goebbels-Losung: "Judentum und deutsche Musik, das sind

Gegens�tze, die ihrer Natur nach in schroffstem Widerspruch zu einander stehen�

erging an die Musikwissenschaft der Auftrag, das Idiom deutscher Musik zu definieren.

 

90

 

 


 

Dies vermochte sie ebenso wenig auf der Basis empirisch gesicherter Erkenntnisse zu

leisten, wie Wagner seinerzeit ein vermeintlich semitisches Idiom von Gl�tte, K�lte,

seelenlos-perfektionistischer Eleganz im Werk Mendelssohns seri�s nachweisen

konnte.

 

Im Zuge dessen bem�hte sich beispielsweise der Musikwissenschaftler Robert

Pessenlehner "Vom Wesen der deutschen Musik" (Gustav Bosse Verlag, Regensburg,

1937) ultimative Kunde zu geben. Er stellt darin die Behauptung da� "die h�chste

Formvollendung in den Werken aller Zeiten und Epochen (...) nur in den Werken der

Deutschen Tonkunst" gleichsam als zentrale These, als Losung �ber die gesamte

Thematik auf. .

 

An zahlreichen Fallbeispielen sucht Pessenlehner, die vom Propagandaministerium

eingeforderte Beweisf�hrung einer spezifischen Vorrangstellung Deutscher Tonkunst im

Konzert der V�lker und Nationen vorzunehmen.

 

So beklagt er eine "allm�hliche Umwandlung des arischen Rhythmusgesetzes in ein

ausserarisches" als vormals sch�dlichen Prozess, zersetzend f�r die Deutsche

Tonkunst und stellt dieser Entwicklung einen Kanon unverbr�chlich-ewigg�ltiger

"Wesensmerkmale -Symbole der Deutschen Musik" entgegen. Als grundlegendes

"Wesensmerkmal", als "Symbol" hebt er beispielsweise die Synkope hervor.

 

Der Fall Mendelssohn, des "Kronzeuge(n) f�r die j�dische Musik, die erkenntlich ist

am Fehlen der deutschen Symbole, vor allem der Synkope", dessen Musik ja "jeglicher

Synkopen" ermangele, erledige sich im Benehmen, jener sei vorgeblich ein Deutscher

Komponist gewesen, somit ja von alleine.

 

Thesen wie jene, "innerhalb der deutschen Musikwelt" sei es das Ph�nomen der

Synkope, welches "ganz besonders arische und nichtarische Tonsetzer" unterscheide,

oder Betrachtungen wie "Deutsch sein heisst unklar scheinen" schlie�en sich an.

 

Die Subjektivit�t, der vordringlich im Obsessiven, Pathologischen wurzelnde Versuch

um die Definition eines einzigartigen Idioms deutscher Musik; das pers�nliche Scheitern

Pessenlehners an dieser Aufgabe, ja die Vergeblichkeit derselben, streicht jener selbst

unzweideutig hervor:

 

Die Erkl�rung der "Merkmale der Deutschen Musik" w�re letztendlich "nach dem

Stande der gegenw�rtigen Forschung auch nicht einzig und allein dem

Rassengrundsatz (zu) �bertragen (...) Gewi� ist die Scheidung zwischen arischer und

nichtarischer Rasse die Grundlage f�r die gesamte Abhandlung. Aber innerhalb der

arischen Rasse ergeben sich von der Musik her Abwandlungen, f�r deren Bestimmung

die bisherigen Ergebnisse der Rassenforschung nicht ausreichen."

 

Wolfgang Boettcher, dessen Funktion innerhalb der nationalsozialistischen Rezeption

Felix Mendelssohns noch ausf�hrlich zur Sprache kommen soll, hebt in einem im M�rz

des Jahres 1938 im Monatsheft "Die Musik" des Gustav Bosse Verlages Regensburg

erschienenen Essay denn auch die Fragw�rdigkeit des Pessenlehnerschen Versuches

unmissverst�ndlich hervor. Begreiflicherweise kapriziert sich der Habilitant Boettcher,

der nach 1945 eine ausgewiesene musikwissenschaftliche Karriere durchlief,

vorwiegend auf die Wahrung musikakademischer Belange:

 

"Wenn man Pessenlehners Buch zur Hand nimmt, stellen sich zun�chst Zweifel ein,

ob man es mit einer ernstgemeinten Darstellung zu tun hat oder ob sich der Verfasser

(...) in karnevalistischer ironisierender Form mit Fragen besch�ftigt, die nur von h�chster

fachlicher und weltanschaulicher Warte aus beantwortet werden k�nnen.

 

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Das Buch ist vom Verfasser ernst gemeint. Das geht nicht zuletzt aus der

Selbstsicherheit , mit der Pessenlehner (bis dato der deutschen Musikwelt ein

Unbekannter) sich selbst auf einem ganzseitigen Bilde -dem einzigen des 193 Seiten

starken Buches -darbietet. (�) Nach schweren Angriffen auf die deutsche Musikkultur

der Gegenwart (...) kommt bei Pessenlehner die deutsche Musikwissenschaft unters

Messer (...) Pessenlehner meint ironisch: "Die M�nner, die einst an der Zeitschrift der

Internationalen Musikgesellschaft mitschufen", behaupteten im Januar 1934, sie h�tten

"den Ruf", sich "zu neuer nationaler Einheit und Geschlossenheit zusammenzufinden,

wohl verstanden. Er entlarvt den "Ungeist", der die Deutsche Musikwissenschaft seit

ihrer Entstehung durchzieht" (...) W�hrend er dem Deutsche Musikgelehrten die Ehre

abschneidet, ber�hrt es peinlich, da� er den Juden Moritz Bauer ( + 1932, u.a. seit 1918

Professor & Universit�tsmusikdirektor in Frankfurt a. M., Widmungstr�ger der

Dissertation Pessenlehners) aus begreiflichen Motiven kein einziges Mal erw�hnt".

 

W�hrend zahlreiche Autoren in Kampfschriften das Ph�nomen einer vermeintlich

nachhaltig "durchrassten" Deutschen Tonkunst blo�zulegen trachteten, negierte eine

systemkonforme, �bergreifend agierende Musikwissenschaft das Lebenswerk Felix

Mendelssohns vollst�ndig.

 

�Es ist nicht Aufgabe einer deutschen Musikgeschichte, sich mit ihm und seinen

Ouvert�ren, Sinfonien und Oratorien, seinen Liedern und seiner Klaviermusik zu

befassen� (Josef M�ller-Blattau, Professor der MW in Frankfurt (1935) und Freiburg

(1937) in seiner "Geschichte der deutschen Musik", Berlin 1938) Sie gew�rtigte sich des

Weiteren des Problems: Ist das Judentum eines musikgeschichtlich unumg�nglich

aufzuf�hrenden Komponisten durch die Formulierung �der Jude Mendelssohn, der Jude

Mahler� oder durch Voranstellung eines Davidsterns oder in Klammern gesetzten J`s in

Text oder Register hervorzuheben?

 

Die Zerst�rung des klassizistischen Mendelssohn-Denkmals vor dem Gewandhause zu

Leipzig im November 1936 -von jener wird noch ausf�hrlicher die Rede sein -initiierte,

einer Initialz�ndung entsprechend, gleichsam eine Flut Deutscher Musikgeschichten,

welche das erkl�rte Bem�hen um rassemusikalische Deutungen und Verurteilungen

Felix Mendelssohns vorzunehmen trachteten. Es scheint fast -nun das Denkmal

gefallen und damit ein Damm gebrochen, welcher Verunsicherte und z�gernde bislang

in Bann hielt -, als ob sich ein Exorzismus, ein Massenph�nomen gleichsam entfesselte,

der deutschen Tonkunst den bislang arrivierten, verehrten Musikjuden ein f�r alle Mal

auszutreiben.

 

Im gleichen Jahre referierte der Komponist und Musikdozent Walter Trienes -er war

seit 1925 Mitarbeiter des Konservatoriums in Hagen -in der Septemberausgabe des

"Repetorium(s) der Musikgeschichte. Das Wichtigste aus der Musikgeschichte aller

Kulturv�lker in Frage und Antwort", welche in K�ln erschien, �ber das Thema "Die

Entwicklung des Judentums in der Musik seit der Emanzipation". Trienes konstruiert in

diesem Beitrag das Unternehmen eines j�dischen "Vormarschs...um die Herrschaft in

der Musik".

 

Das Oeuvre Mendelssohns immerhin war dem Autor dabei eine "siebende und

sichtende Pr�fung" wert, mit der Zielsetzung "welchen Wert wir den eigenen Leistungen

des Tonsetzers bei(zu)messen" f�rderhin imstande zu sein verm�gen".

 

Das Resultat entsprach vollst�ndig den Vorgaben der von den Machthabern

propagierten v�lkischen Ideologie: Musikalischen Charaktermangel und musikalisches

 

92

 

 


 

Unverm�gen attestierte Trienes dem Mendelssohnschen Schaffen und streicht erneut die

Musikwissenschaft des sp�ten 19. Jahrhunderts paraphrasierend -die fehlende

"Kraft, wirklich zu ersch�ttern" hervor. Auch die Analyse anderer Meister j�dischen

Glaubens oder j�discher Herkunft resultiert somit in Verurteilung und Diskreditierung

derselben. So repr�sentiere die Grand Opera Meyerbeers irreversibel nur "hohles

Pathos", habe Mahler sich in seinem Schaffen lediglich einer "stetigen Selbstt�uschung"

hingegeben, wenngleich Trienes der Person Mahlers mehr Charakterf�lle als jener

Mendelssohns zugesteht.

 

Trienes Darlegungen eines vermeintlichen Ph�nomens unausgesetzten Bem�hens um

feindliche �bernahme des europ�ischen Geisteserbes durch "das Judentum",

sekundiert von "Stimmungsmache" durch �j�dische Pressemagnaten� und eines

 

erfolgreichen "Geschichtsbetrugs", kulminieren schliesslich in der apokalyptisch

anmutenden Gewi�heit des vollendeten Triumphes dezidiert j�dischkulturpessimistischer

Strategien:

 

"Der Steilabhang f�hrte �ber die "Versachlichung" und Vern�chterung, �ber die

Ausmerzung der Werte des Charakters, der Kriegserkl�rung allem Gef�hlsm��igen, der

Objektivierung und Mechanisierung, �ber die Entfesselung von rhythmischen Orgien zu

dem absoluten Tiefstand ethischer Zersetzung...."

 

Trienes Argumentationsgang zufolge war es also Mendelssohn, welcher vermittels

"Versachlichung und Vern�chterung" (leere Formverbundenheit), "Ausmerzung der

Werte des Charakters" (an�mische Sch�ngeistigkeit), der "Kriegserkl�rung allem

Gef�hlsm��igen" (Aversion gegen�ber dem Affekthaften, innere K�lte) sowie

Objektivierung und Mechanisierung (Unterordnung des musikalischen Ideals unter

sachfremd philosophische; formelle Konventionalit�t) die deutsche Musik nachhaltig auf

den Weg zum "absoluten Tiefstand ethischer Zersetzung" brachte. Diesen sah Trienes

schliesslich im Werke Kurt Weills erreicht.

 

Nimmt man Trienes indes als Autor eines nationalsozialistisch-v�lkischen Traktates

wahr, verdeutlicht sich rasch die Affinit�t jener Mendelssohn-These zu den bekannten

Wagnerschen Stereotypen vom seelenfremden j�dischen Objektivierer und Kopisten

deutscher Kunst.

 

Gleichsam im Jahre 1936 befasste sich Richard Litterscheid in der M�rzausgabe der

"Musik" mit der Frage nach "spezifisch j�dischem Formwillen" oder dem "Sch�pfertum

aus zweiter Hand", dargestellt an den Beispielen Mendelssohn und Gustav Mahler.

 

"So gesehen besteht kein Zweifel, dass auch Mendelssohns Sch�pferkraft davor

versagt hat, ganz und gar in der gro�en deutschen Gef�hls-und Formsprache zu reden

(...) Seine Werke verm�gen trotz ihrer klassischen Haltung - an welchen Vorbildern auch

konnten Sie sich bilden! - vor einer strengen Pr�fung nicht zu bestehen

 

(...) Die Lieder ohne Worte, einst die bevorzugte Hausmusik gef�hlvoller

Backfische, besitzen des Unechten, Sentimentalen zuviel; sein sonst �ber alles gelobtes

Violinkonzert rutscht in den grossen Kantilenen immer wieder ins Gef�hlsselige aus;

seine "Sommernachtstraum"-Musik bleibt (...) ohne sch�pferische Sto�kraft in

musikalisches Neuland entworfen (...) in ihren Gef�hlswerten unecht. Man wende nicht

ein, da� es gleichzeitig auch deutsche "Sentimentaliker" gegeben habe. (...)

Mendelssohn (...) der nicht neben sie, sondern neben Schubert und Schumann gestellt

zu werden pflegt, muss und kann nur mit diesen deutschen Meistern verglichen

werden". Nach der Definierung Mendelssohns als "Sentimentaliker", wendet sich

Litterscheid

 

93

 

 


 

der vermeintlichen Ursache solch auff�lligen Sentiments zu, welche der Autor

zwangsl�ufig im Rassenproblem erkannte. Wenig verwunderlich, da� dabei auch wieder

Wagnersche Thesen paraphrasiert werden.

 

"Dann aber enth�llt sich die wahre Seele der Mendelssohnschen Musik, nicht als die

eines anderen Charakters, nein, eben als die einer anderen Rasse (...) Doch zu eigner

j�discher Musik drang Mendelssohn eben nicht vor und zur vollendeten Gestaltung im

Sinne des deutschen Gastvolkes aus dessen spezifischem Gef�hlsleben auch nicht. So

ist die Berechtigung gegeben, trotz der relativ gro�en Leistung dieses Mannes davon zu

sprechen, da� der Jude nicht eigensch�pferisch, jedenfalls nicht wie das deutsche

Genie (...) ist, und niemals sein kann".

 

Im Jahre 1937 er�rterte Richard Eichenauer in nationalsozialistischem Geiste

Sachgebiete wie "Musik und Rasse". Dieser Versuch akribisch vorgenommener

Definition eines Ph�nomens "musikalischen Judentums" auf der Grundlage

rassebiologischer Theorien, unterteilte j�dische Herkunft und Wesensart pauschal in 2

Kategorien: ein "vorderasiatisches" und ein "orientalisches" Judentum. In der

rassistischen Interpretation der jeweiligen Lebensumst�nde ordnete Eichenauer die

herausragenden Pers�nlichkeiten j�discher Herkunft in der Musikgeschichte einem der

genannten "St�mme" zu.

 

Person und Wirken Felix Mendelssohns hingegen ordnete der Autor gar beiden

genannten "St�mmen" zu. Den Schwerpunkt jener vermeintlich semitischen Kontur in

Person und Musik Mendelssohns, die Ursache der von Eichenauer erneut

paraphrasierten Wagnerschen Invektiven von "Gl�tte", "K�lte"; "Nachpr�gung" sowie

einer vorgeblich seichten Emotionalit�t Mendelssohnscher Kompositionen sah er aber in

der spezifischen Verwurzelung in der "vorderasiatischen" Wesensart.

 

"Felix Mendelssohn Bartholdy zeigt k�rperlich die Z�ge beider Hauptrassen des

Judentums, der vorderasiatischen und der orientalischen; dazu ist gerade bei ihm der

starke Umwelteinflu� h�chstgesteigerten deutschen Geisteslebens nicht zu vergessen.

 

Aus ihm sprechen lauter vorderasiatische Rassenz�ge: Gabe der Einf�hlung in

fremdes Seelenleben, der gef�lligen Ausnutzung bestehender Formen, ein gewisser

Mangel an jenem Schwergewicht, das f�r nordisches Empfinden zu einem "grossen"

Menschen geh�rt".

 

Der Musikforscher Ernst B�cken bekundete wiederum in "Die Musik der Nationen. Eine

Musikgeschichte", welche zeitgleich in Leipzig herausgegeben wurde, dass der "Grund

einer gewissen Eint�nigkeit" Mendelssohnscher Musik "in der oft leierig werdenden

Rhythmik (liegt), die schon H. von Waltershausen als ein f�hlbar durchschlagendes

rassisches Merkmal" derselben "angesprochen hat".

 

B�cken ver�ffentlichte im Nationalsozialismus des Weiteren ein W�rterbuch der Musik,

Leipzig 1940, eine "Musik des 19. Jahrhunderts", eine "Musik der Deutschen" K�ln

1941, welche unausgesetzt gegen avantgardistische Musik agitieren und, wenig

verwunderlich, von Thesen rassistisch-antisemitischer Pr�gung durchsetzt sind.

 

Im Jahre 1939 stellte Prof. Richard Blessinger -seit 1920 als Dozent an der M�nchner

Akademie f�r Tonkunst t�tig -in der Denkschrift "Judentum und Musik Ein Beitrag zur

Kultur-und Rassenpolitik" Felix Mendelssohn" explizit als Initiator einer

"Zerst�rungsarbeit des Judentums an unserer Musik" heraus. Vornehmlichstes Anliegen

des Pamphletes war es denn auch anhand "des Wirkens dreier j�discher Musiker (...)

bestimmte Etappen dieses Zerst�rungswerkes" zu veranschaulichen.

 

94

 

 


 

Blessinger behauptet infolgedessen, dass jene "drei M�nner" (...) welche "dabei

gleichzeitig in klarer Weise drei j�dische Typen darstellen, die an Gef�hrlichkeit

einander gleich, im Auftreten und in den Methoden sich deutlich voneinander

unterschieden. Mendelssohn, der das Zerst�rungswerk eingeleitet hat, erscheint als der

Typus des sogenannten Assimilationsjuden; Meyerbeer, der m�chtigste Mann der

zweiten Etappe, ist der skrupellose Gesch�ftsjude; Mahler, der Beherrscher des dritten

Stadiums, stellt den fanatischen Typus des ostdeutschen Rabbiner dar".

 

Dem bis in die Titelgebung des Pamphlets hinein offenkundig reflektierten Vorbilde

Wagner gem��, �bte Blessinger sich in der Konstruktion eines mit wissenschaftlicher

Akribie aufgef�hrten antisemitischen Argumentationsgeb�udes, welches er vermittels

historischen Querverweisen anthropologisch zu untermauern trachtete. So wird die Lyrik

des m�rkischen Dichters Theodor Fontane dazu mi�braucht, die Denunziation des

"Juden als Kulturparasiten" durch die Aussage einer unangezweifelten Autorit�t zu

sanktionieren.

 

Blessinger geht in der Recherche seines Konstruktes tief in die deutsche Geschichte

zur�ck. Die Aufhebung der j�dischen Ghettos habe somit die voranschreitende

Infiltrierung des europ�ischen Geisteserbes vermittels Taktik und Tarnung bedingt. Eine

ma�gebliche Funktion dabei erkannte Blessinger Mendelssohns Gro�vater, dem

Philosophen Moses Mendelssohn zu, dem es "in der Hauptsache zuzuschreiben (w�re),

da� die Juden, die unter rabbinischer F�hrung bisher geistig in ghettoartiger

Abgeschlossenheit gelebt hatten, nun aus dieser heraustraten und eine neue Taktik, die

der "Assimilation", der scheinbaren Angleichung an das Leben des Wirtsvolkes

anwendeten, um ihr erstrebtes Weltherrschaftsziel zu erreichen.�

 

Blessinger gei�elt dabei im Besonderen Moses Mendelssohns "vollst�ndige

Umwertung des Begriffes der Philosophie" in den "geistreichen Plauderton einer

"gebildeten Konversation", welche alleinig beabsichtige "immer recht zu behalten, auch

wenn der andere im recht ist".

 

Die Folgewirkungen dessen monierte Blessinger am Ph�nomen des j�dischen

Salons, einer vermeintlichen St�tte subversiver Kultivierung des Degenerierens von

K�rper und Geist: "Hier sehen wir ganz deutlich, worauf es den ,,H�uptern" ankam.: die

Menschen bei ihren schwachen Seiten zu packen, diese Schw�chen als etwas im

Grunde genommen geradezu Wertvolles hinzustellen und sie dadurch innerlich zu

spalten...Parasit�re Aneignung der Geschmackskultur durch die Juden" h�tten somit

wesentliche Bereiche gro�b�rgerlichen Lebens dahingehend "umgebogen", dass es

einer "wirklich deutschen Romantik" nunmehr unm�glich gewesen sei "echte

Tiefenwirkung" zu erreichen und "der Jude Mendelssohn" somit als "echtester

musikalischer K�nder (...) vielgepriesenen deutschen Gem�ts" wahrgenommen wurde.

 

Einem Umri� nationalsozialistischer Rezeption von Person und Musik Felix

Mendelssohn Bartholdys stellte Blessinger eine Analyse der "Machenschaften" durch

den Funktion�r Mendelssohn voran. Mit der Eloge vom "j�dischen Interesse", welches

Mendelssohn angeleitet habe, kn�pft er an das Verdikt des Leipziger Tagblattes von

den "mosaischen Interessen" im November 1846, in Zeiten des Vorm�rz an und

verdeutlicht somit die ungebrochene Tradition pathologisch �bersteigerter deutscher

Fremdenangst.

 

Mendelssohns Leistungen als Dirigent seien also "in �u�erlichkeiten" verblieben,

h�tten vielmehr "die tieferen Werte der Werke verschlechtert," Mendelssohns Musik

hingegen "formalen Schematismus, (...) Mangel an wirklicher Sch�pferkraft", Tonrede

"ohne wirklich etwas zu sagen" demonstriert. Dabei handele es sich "in der Hauptsache

 

95

 

 


 

(...) doch um eine �bertragung magischer Beschw�rungsformeln des Orients in unseren

Bereich, (...) einer Formel, die so unabl�ssig wiederholt wird, pr�gt sich dem H�rer

unausl�schlich ein, und will ihm nicht mehr aus dem Kopf gehen". Infolgedessen habe

"der Jude seinen Zweck erreicht,: seine Musik ergreift Besitz von den Menschen selbst

wider deren Willen".

 

Wieder einmal vertieft sich ein Demagoge hier so sehr in den Gegenstand seiner

Betrachtung, dass er den Bezug zur Basis objektiver Betrachtung desselben verlor und

sich Aussagen somit in Gegensatz zur Intention des Autors stellen.

 

Als Verweis darauf, dass die von Blessinger angef�hrten Mendelssohnschen

Verf�hrungstechniken wohl eher auf das Werk Richard Wagners zutr�fen, sei dessen

These folgende Einsch�tzung des Wagner-Biographen Robert Gutman

entgegengestellt:

 

"Wagner sprach vom "unvergleichlichen Zauber" seiner Werke -ihr st�rkster Zauber

war die Musik. Ein Prospero mit Buch und Zauber-Musik, der zu herrschen suchte �ber

eine Welt niederer Geister, benutzte er die Musik, um die Sinne zu unterwerfen, um ein

Publikum, dem er alle Frage abgenommen hatte, zu fesseln, zu knebeln, zu belehren.

 

Seine Musik zwang zum Glauben, ihre herrliche Instrumentierung geht -wie

Nietzsche bemerkte -aufs Nervensystem, sie hat die Kraft, das R�ckenmark zu

bezaubern und �berredet selbst noch die Eingeweide".

 

Auch Blessinger bem�ht sich um den Nachweis einer spezifisch rassischen

Beschaffenheit in der Musik j�discher Komponisten. Dabei paraphrasiert er implizit die

Theorien Wagners:

 

"Zwischen organischer Formgestaltung deutscher Art und j�discher Formkonstruktion

besteht ein un�berbr�ckbarer Gegensatz. Der sch�pferische deutsche Genius gestaltet

ein Kunstwerk als Kosmos, der eine lebendige Einheit bildet (...) und in dem jede

Einzelheit trotz ihrer eigenst�ndigen Bedeutung in das Ganze sich einordnet.

 

Der Jude aber, unsch�pferisch, wie er ist, vermag nie die Einheit des Ganzen auch

nur zu sehen., geschweige denn selbst zu gestalten.

 

F�r ihn l�st sich das Ganze in einer Unmenge selbstst�ndiger Einzelheiten auf, die

h�chstens durch k�nstliche Mittel, niemals aber organisch miteinander verbunden sind,

(...) es ist im Grunde dasselbe, ob die Urheber des Talmud das "Gesetz" in eine

un�bersehbare Menge von Einzelvorschriften aufteilen, ob ein Moses Mendelssohn den

geordneten Gang philosophischen Denkens durch geistreich sein sollende Einzels�tze

st�rt, oder ob ein Felix Mendelssohn rein verstandesm��ig aus dem Schaffensprinzip

deutscher Tonmeister ein totes Formschema mechanisch herausdestilliert.

 

Und wenn heute noch immer Musiker und Musikfreunde es bedauern, dass ihre

Lieblingskompositionen, die "Sommernachtstraum"-Ouvert�re, die Hebriden-Ouvert�re,

das Violinkonzert usw. aus den Programmen verschwunden sind, so ist dem zuerst

entgegenzuhalten, dass es unendlich viel bedauerlicher ist, da� hochbedeutende Werke

deutscher Komponisten, wie das Schumannsche Violinkonzert, uns durch j�dische

Machenschaften ganz verlorenzugehen drohten".

 

(Eine signifikante nationalsozialistische Fehlinterpretation musikhistorischer Fakten: das

Violinkonzert d-moll Schumanns war von Clara Schumann, auf Anraten des j�dischen

Violinvirtuosen Joseph Joachim, postum von einer Ver�ffentlichung zur�ckgehalten

worden, da beide die hohe Qualit�t Schumannschen Schaffens in diesem Falle nicht

 

96

 

 


 

mehr gegeben sahen. Das Werk erfuhr eine propagandistisch-sensationell aufbereitete

Urauff�hrung im deutschen Nationalsozialismus des Jahres 1937. Der aus rein

k�nstlerischen Erw�gungen heraus erteilte Rat des Robert und Clara Schumann-

Freundes Joachim wurde also, im Hinblick auf dessen j�dische Herkunft, als

einschl�giger Beweis jener genannten "j�dischen Machenschaften" zu Lasten eines

bedeutenden deutschen Meisterwerkes; eines dezidiert vorgetragenen Anschlages auf

den Bestand der nationalen Tonkunst im Sinne rassisch-nationalsozialistischer

Propaganda mi�deutet.)

 

Blessinger f�hrt fort:

 

"Und zum zweiten ist festzustellen, dass vor 1914 allgemein in Musikerkreisen die Musik

Mendelssohns nicht mehr ernstgenommen wurde, dass man mit einem

geringsch�tzigen Achselzucken �ber sie zur Tagesordnung �berzugehen pflegte, und

dass erst der unselige November 1918 diese Musik wieder in den Vordergrund stellte.

 

Mendelssohn war, abgesehen von den Liedern ohne Worte in den Musikmappen der

h�heren T�chter und von dem Chor Wer hat Dich, Du sch�ner Wald vor dem ersten

Weltkriege so gut wie vergessen.

 

Erst die Juden der Nachkriegszeit haben versucht, ihn endg�ltig unsterblich zu

machen. Machen wir uns ein f�r alle Ml von dieser j�dischen Suggestion los, dass der

Verzicht auf Mendelssohn eine Verarmung unserer Musik bedeute".

 

Walter Trienes, jener Komponist, welcher der nationalsozialistischen These einer

Verschw�rung des Weltjudentums zur Infiltration und Vorherrschaft in der deutschen

Musik bereits eigenst�ndig publizistisch Vorschub leistete, rezensierte am 30. Januar

1939 im �Westdeutschen Beobachter� eine Ver�ffentlichung Blessingers, welche im

Jahre 1938 unter dem Titel: "Mendelssohn, Meyerbeer und Mahler: drei Kapitel

Judentum in der Musik als Schl�ssel zu Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts" in Berlin

herausgegeben wurde.

 

Der Autor trachtete darin, die in "Musik und Rasse" erhobenen Theorien (Berlin 1938) in

der Folge detailliert darzulegen und zu erh�rten. Dem Geiste der eigenen Publikation

und der NS-Ideologie gem��, sekundiert Trienes dem Parteimitglied und "namhaften

M�nchner Wissenschaftler und P�dagogen" Blessinger bereitwillig. Das

Hauptaugenmerk seiner Betrachtungen richtet Trienes somit auf den Komplex jener

Verschw�rungstheorien, welche auf Tendenzen j�discher Beeinflussung, Beherrschung

und Machtvervollkommnung innerhalb der deutschen Tonkunst reflektieren. Sie lassen

sich in direkter Linie erneut auf das Motiv und die Argumentationsweise von Wagners

Traktat zur�ckf�hren.

 

Trienes schreibt also:

"In den drei Hauptvertretern des Judentums in der Musik erblickt der namhafte

M�nchner Wissenschaftler und P�dagoge Karl Blessinger den Schl�ssel zur

Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts. Vielleicht tut man den Juden zu viel Ehre an,

wenn man ihnen f�r diese erste Zeit bereits eine zentrale Stelle einr�umt, die sie (...) in

Deutschland nach dem Weltkriege mehr und mehr einnehmen konnten. Ohne Zweifel

war ihre musikalische Machtposition allerdings auch in der Romantik schon weit st�rker,

als es dem fl�chtigen Blick infolge der geschickten Verschleierungsk�nste ihrer wahren

Absichten zun�chst scheinen mag.

 

Der Verfasser enth�llt uns eine Reihe dieser Tarnungsman�ver und deckt die

 

97

 

 


 

heimlichen Regietricks des Erfolgs auf, die den j�dischen Komponisten den

entscheidenden Vorsprung vor den nichtj�dischen sicherten. Mendelssohn wird ihm f�r

diese Taktik zu einem wichtigen Pr�zedenzfall. Blessinger kommt in einem besonderen

Abschnitt auf die Legende von Mendelssohns vorgeblichen Verdiensten um das Werk

Bachs zur�ck. (...) Aufschlu�reich sind die Untersuchungen �ber seine Kompositionen,

�ber den Unterschied der Gef�hls�u�erungen deutschen und j�dischen Wesens in der

Musik, den un�berbr�ckbaren Gegensatz zwischen organischer Formgestaltung

deutscher Art und j�discher Formkonstruktion und nicht zuletzt die Herkunft seiner

besten melodischen Einf�lle."

 

24. Alles, alles wurde dem Juden zugesprochen

Der Generalsekret�r des Salzburger Mozarteums Erich Valentin ver�ffentlichte im Jahre

1940 ein Musiklesebuch mit dem Titel "Ewig klingende Weise. Von deutscher Musik"

(Regensburg). Der Verfasser l�sst darin den gebotenen Anspruch objektiv musikalischer

Betrachtungen vermissen und beflei�igt sich vielmehr einer subaltern anderen Autoren

nachempfundenen antisemitischen Attit�de. Er beklagt somit, der Jude habe den

schwer um den Erfolg arbeitenden Deutschen stets um die Fr�chte seiner Arbeit zu

berauben verstanden.

 

Daher habe auch der Komponist Felix Mendelssohn -"Der Fremdling" -, wie die

nachfolgend wiedergegebenen Ausf�hrungen Valentins denn auch �berschrieben sind,

mit leichter Hand lediglich geerntet, was Heroen der Deutschen Musik wie Bach oder

Mozart einst m�hsam ges�t:

 

"In der Maske des Bettlers war er gekommen. Nun betrat er geltungsheischend die

Stufen von Theater und Konzertsaal, um �ber sie zu den Stufen der Throne zu

gelangen. (...) Das Zepter der Musik ergriff einer, dem das K�mpfertum wie allen seines

Blutes, die nach ihm kamen, erspart blieb: Felix Mendelssohn Bartholdy, der

Bankierssohn, dem sich Ruhm, Gl�ck, Erfolg und Macht zuwandten. Alles, alles wurde

ihm zugesprochen, selbst das Verdienst der Erweckung Johann Sebastian Bachs. (...)

 

In mehr als einem Jahrtausend gewachsenes sollte in die H�nde des ungerufenen

Fremdlings gegeben werden. An die Wurzeln des kraftstrotzenden Baumes wurde die

Axt angelegt.(...) Judentum, hiess der Fremdling. (...) Weltb�rgertum und Judentum zwei

Namen f�r denselben Begriff -befleckten die Unantastbarkeit der ewig klingenden

Weise. Der Kampf der hundert Jahre nahm seinen Anfang."

 

Der Publizist Otto Schumann, (auf ihn soll aus gegebenem Anlass erst anl�sslich einer

seiner Nachkriegspublikationen detailliert eingegangen werden), ver�ffentlichte im

Nationalsozialismus u. a. eine "Geschichte der Deutschen Musik" (bibliographisches

Institut, Leipzig 1940) und "Meeres Opernbuch" (ebenda, 1935).

 

Die verfestigte v�lkische Gesinnung Schumanns offenbart sich bereits im Vorwort der

"Geschichte der Deutschen Musik":

 

"Musik gilt dem Verfasser nicht als "t�nend bewegte Form", sondern als t�nender

Ausdruck eines geistigen Leitbildes. Eine deutsche Musikgeschichte hat sich somit zu

besch�ftigen mit der Frage, in welcher Weise die deutsche Ton�bung im Laufe der

Jahrhunderte und Jahrtausende das geistige Leitbild der deutschen Volkheit verwirklicht

hat. Es muss also der Versuch gemacht werden, nicht nur die Form, sondern vor allem

auch den Inhalt musikalischer Sch�pfungen darzustellen.(...) Die Mittel dazu liefern uns

die neuzeitliche Ausdruckskunde und Rassenkunde. W�hrend nun der Verfasser das

Ausdruckskundliche (...) mit gebotener Behutsamkeit eingearbeitet hat, wurde im

geschichtlichen Ablauf gr��ter Nachdruck auf das rassische Grundwesen der deutschen

Ton�bung gelegt.

 

98

 

 


 

Die Besch�ftigung mit rassekundlichen Fragen ist (...) f�r den Verfasser zwangsl�ufig

aus der Besch�ftigung mit der Tonkunst hervorgegangen: als sich auf Fragen, warum

die Tonkunst bestimmter Zeitalter (...) so und nicht anders geartet sei (...) keine

befriedigende Antwort mehr einstellte, wurde die (...) Rassenkunde herangezogen (...)

Und wenn auch das vorliegende Buch keine Rassengeschichte der deutschen Musik ist,

(...) so ist es doch eine deutsche Musikgeschichte auf rassekundlicher Grundlage."

 

Obgleich der Autor eine "zwangsl�ufig" aus "der Besch�ftigung mit der Tonkunst"

hervorgegangene, ihm also vom Sujet schl�ssig vorgegebene Er�rterung amusikalisch

"rassekundlicher Fragen" beteuert, hat er in Wahrheit -neben Erich Valentin -erneut

ein Werk vorgelegt, welches die "rassekundliche" Belange bereitwillig �ber jene der

Musik stellte.

 

Dass das Sujet Mendelssohn unter diesen Voraussetzungen nurmehr in zersetzender

Weise zur Er�rterung kommen konnte, wenngleich es nicht totgeschwiegen wurde, wie

es im Opus M�ller-Blattaus geschah, verwundert kaum. Im Kapitel "Beginnender Einflu�

des Judentums" er�rtert Schumann zu Beginn den "Einbruch" des "Judenproblems in

die deutsche Musikgeschichte" in der " ersten H�lfte des 19. Jahrhunderts" im

Allgemeinen:

 

"Nach der sogenannten Judenbefreiung tauchten sogleich in vielen k�nstlerischen

(...) T�tigkeitsbereichen j�dische Menschen auf, denen es gelang, in erstaunlich kurzer

Zeit erheblichen Einflu� auf das deutsche Geistesleben zu gewinnen. Namen wie der

des Popularphilosophen Moses Mendelssohn, der Schriftsteller Heine und B�rne, von

Rahel Varnhagen und Henriette Herz, in deren "Salons" die geistige Welt Berlins sich

ein Stelldichein gab, kennzeichnen zur Gen�ge den Einbruch j�dischen Wesens in die

deutsche Welt."

 

Traditionsgem�� greift der Autor wiederum auf zentrales Wagnersches Gedankengut

zur�ck; der These vom Trieb j�disch-deutschen Amalgamierens.

 

Thesen wie jene hatten sich vermittels unausgesetzter unreflektierter

Paraphrasierung zu diesem Zeitpunkt offenkundig l�ngst zu Klischee und Stereotyp

vergr�bert. Dennoch erweist sich die grundlegende Bedeutung Wagnerschen Denkens,

die Rezeption und Folgewirkung seiner von rassebiologischen Obsessionen

durchpr�gten Kulturtheorien, gleichsam in Vorlage, Verk�ndigung und posthumer

Vollendung des Konzeptes eines deutschen Radikalantisemitismus an diesem Beispiel

eindeutig. Lesen wir zuerst den Adepten des Jahres 1940:

 

"Erleichtert wurde ihnen das durch die erstaunliche F�higkeit des Juden (...) sich

geschmeidig und schnell der besonderen Artung des Volkes anzupassen, bei dem er

lebt. Rechnet man dazu die formale Gewandtheit des Juden, seine oft verbl�ffend

wirkende zergliedernde (...zersetzende) Denkweise und die F�higkeit, nicht

zusammengeh�rendes zu einer Schein-Einheit zusammenzudenken, so begreift man,

warum der Einflu� j�dischen Wesens sich gerade w�hrend der Romantik, dem Zeitalter

rassischer Aufl�sung, so m�chtig durchsetzen konnte".

 

Und nun das Demagogenwort Freigedank/ Wagners aus dem Jahre 1850, welches

sowohl jene aktuell genannten, als auch im weiteren Verlaufe wiedergegebenen

Aussagen Schumanns bis ins kleinste Detail vorwegnimmt:

 

"Von nun an tritt also der "gebildete Jude" in unsrer Gesellschaft auf. (...) Der

gebildete Jude hat sich die undenklichste M�he gegeben, alle auff�lligen Merkmale

seiner niederen Glaubensgenossen von sich abzustreifen: in vielen F�llen hat er es

selbst f�r zweckm��ig gehalten, durch die christliche Taufe auf die Verwischung aller

Spuren seiner Abkunft hinzuwirken. (...) Von dieser Gemeinsamkeit der Natur, (...) dem

 

99

 

 


 

Zusammenhange mit seinem Stamme g�nzlich herausgerissen, konnte dem

vornehmeren Juden seine eigene erlernte und bezahlte Bildung nur als Luxus gelten .

(...) Ein Teil dieser Bildung waren nun aber auch unsre modernen K�nste geworden, (...)

namentlich diejenige (...), die sich am leichtesten eben erlernen l�sst, die "Musik" (...)

 

Was der gebildete Jude...auszusprechen hatte, wenn er k�nstlerisch sich kundgeben

wollte, konnte nat�rlich eben nur das Gleichg�ltige und Triviale sein (...), unwillk�rlich

horcht er auf unser Kunstwesen (...) nur ganz oberfl�chlich hin, (...) ihm wird daher die

gef�lligste �u�erlichkeit der Erscheinungen auf unsrem musikalischen Lebens-und

Kunstgebiete als deren Wesen gelten m�ssen. (...) So wirft der j�dische Musiker auch

die verschiedensten Formen und Stilarten aller Meister und Zeiten durcheinander. (...)

 

Die Zerflossenheit (...) unseres musikalischen Stiles ist durch Mendelssohns

Bem�hen, einen unklaren, fast nichtigen Inhalt so interessant und geistblendend wie

m�glich auszusprechen (...) auf die h�chste Spitze gesteigert worden." (...)

 

Es ist zwecklos, den Aufwand k�nstlerischer Mittel zu beschreiben, deren er

(Meyerbeer, Anm. d. V.) sich bediente,(...) genug, da� er es (...) vollkommen verstand,

zu t�uschen, (...) namentlich damit, da� er jenen (...) Jargon (...) als modern pikante

Aussprache aller Trivialit�ten aufheftete" (...)

 

So lange die musikalische Sonderkunst ein wirkliches organisches Lebensbed�rfnis

in sich hatte, bis auf die Zeiten Mozarts und Beethovens, fand sich nirgends ein

j�discher Komponist: unm�glich konnte ein diesem Lebensorganismus g�nzlich fremdes

Element an den Bildungen dieses Lebens teilnehmen. Erst wenn der innere Tod eines

K�rpers offenbar wird, gewinnen (...) ausserhalb liegende Elemente die Kraft sich seiner

zu bem�chtigen, (...) um ihn zu zersetzen; dann l�st sich...das Fleisch dieses K�rpers in

wimmelnde Viellebigkeit von W�rmern auf. (...) Der Geist (...) floh von diesem K�rper

hinweg zu ( ..) Verwandtem, und dieses ist nur das Leben selbst: nur im wirklichen

Leben k�nnen wir auch den Geist der Kunst wiederfinden, nicht bei Ihrer w�rmerzerfressenen

Leiche."

 

Von solcher Lehre durchdrungen wendet sich Schumann nunmehr Felix Mendelssohn

zu:

 

"Felix Mendelssohn...galt eine Zeitlang als "die" Leuchte romantischen Musikschaffens

in Deutschland. (...) Nun wird niemand das au�erordentliche K�nnen Mendelssohns

bezweifeln. (...) Aber dieses formsichere Bewegen, die glatte Problemlosigkeit, dieses

schmiegsame Anpassen an Deutsches erscheinen uns verderblicher als die

r�cksichtslose Selbstbehauptung des "atonalen Mi�t�ners" Arnold Sch�nberg, der ja

gleichfalls Jude ist. (...)

 

Wie immer war das s��e Gift gef�hrlicher als das bittere: Mendelssohns s��liche

Sch�nmusik schmeichelte sich (...) in Ohr und Herz, (...) und so liess man sich in einen

Dornr�schenschlaf singen und ist mancherorts (...) ein wenig ungehalten, da� der

weckende Prinz mit den Dornen und Spinnweben auch die R�slein zerhauen hat.

 

Die fast ein Jahrhundert w�hrende Mendelssohn-Schw�rmerei ist umso

unbegreiflicher, als zu allen Zeiten M�nner aufstanden, (...) denen seine Musik allzu

glatt erschien. (...) Der Fehler lag wohl darin, da� man sich mit der Feststellung des

"Allzu-Glatten" zufrieden gab, (...) nicht weiter forschte, welche R�ckschl�sse sich

daraus ziehen lassen. H�tte Mendelssohn eine Musik geschrieben, die seiner

rasseseelischen Beschaffenheit entsprach, dann k�nnte sich vielleicht das Judentum

eines grossen Komponisten r�hmen Da er aber solchen echten Stil nicht aufzubringen

vermochte, ersch�pfte er sich in Nachbildung deutscher Eigent�mlichkeiten. Diese

wiederum konnte er aus rassischen Ursachen nicht von innen erfassen. (...)

 

100

 

 


 

So erkl�rt sich das blo� Gef�llige seiner Musik, ihre flie�ende Gl�tte und mangelnde

Tiefenwurzelung (...) Mendelssohn erschaute die k�nstlerischen Fragen seiner Zeit mit

wachem Verstand und k�hlem Herzen; das konnte er, weil sie ihn als Fremdrassigen im

Grunde nicht bewegten. (...) Da sein Geschmack ohne Zweifel gel�utert war, gelangen

ihm Werke, deren glatte, gefeilte Au�enseite ihm zu Unrecht den Namen eines

deutschen Meisters eingetragen haben."

 

Werfen wir noch einen Seitenblick auf die Schumannsche Betrachtung der Komponisten

Giacomo Meyerbeer und Jacques Offenbach sowie auf dessen Bestreben, der

Wagnerschen Pr�misse vollg�ltig zu entsprechen:

 

"Als Gegenst�ck zu ihm schrieb der Jude Meyerbeer bald in deutschem, bald in

franz�sischem und bald in italienischem Stil, mischte auch wohl die drei Stilarten

durcheinander. (...) Wer (...) so haltlos auf die Ausdrucksweise verschiedener Nationen

schaut, ohne seinen eigenen, geschweige denn den Stil seiner Rasse zu finden, der

mag wohl vor�bergehend als theaterdonnernder Zeus angehimmelt werden (...)

 

Mendelssohns wohlerwogene Beschr�nkung auf das Nachempfinden und

Nachahmen eines volkischen (des deutschen) Stils hatte immerhin zur Folge, da� sein

Werk l�nger zu wirken vermochte. (...) Meyerbeers Verzettelung auf die Nachahmung

mehrerer Volksstile hat ihn schneller gerichtet. (...)

 

Der in Deutschland geborene Offenbach aber meisterte musikalisch den

franz�sischen Witz wie ein Pariser aus Paris. Wiederum also diese fast unheimliche

Einf�hlungsgabe des Juden bei gleichzeitiger Preisgabe jeglichen rassischen Eigenstils"

 

Am Ende des Kapitels steht Schumanns Bem�hen, den Volksgenossen in nahezu

beschw�rendem Tonfall darzulegen, warum eine Musik, die erkl�rterma�en "sch�n" ist,

keineswegs "sch�n" sein darf. Dabei setzt er wie etliche Vorl�ufer das Element

umfassend gepflogener Spekulation gegen die Anforderungen von Objektivit�t,

Stichhaltigkeit, wissenschaftlicher Erkenntnis.

 

Das vielschichtig konstruierte, sprachlich gedrechselt und gewundene Wagnersche

Thesengeb�ude erf�hrt durch die Ausf�hrungen des Adepten respektive die dabei

nahezu eins zu eins vorgenommene �bertragung einer musikalischen "Problemstellung"

in eine rein v�lkische denkbar gr��te Banalisierung in Form und Inhalt. Die Definition,

welche Art von Musik ein rassisch "echter" Stil Mendelssohns oder "rassischer Eigenstil"

m�glicherweise hervorgebracht h�tte, bleibt der Autor hingegen vollends schuldig.

 

"Ein rassisch gesundes und (...) rassebewusstes Volk w�rde Erscheinungen wie

Mendelssohn, Meyerbeer und Offenbach (...) ohne besondere Gefahren ertragen

k�nnen. (...) Aber das 19. Jahrhundert war eben ein Zeitalter rassischen Verfalls, in dem

die nat�rlichen Widerstandskr�fte erlahmten. (...) Die aus seiner Anpassungsf�higkeit

entspringende Begabung des Juden, beachtenswerte nachschaffende Leistungen

hervorzubringen, wurde (...) als Beweis f�r musikalische Kultur betrachtet. (...) Wohin

das gef�hrt hat, ist bekannt: das Judentum in Deutschland hat nicht eine einzige

musikalisch-sch�pferische Pers�nlichkeit hervorgebracht, wohl aber den "Betrieb" mit

Dirigenten, S�ngern und Spielern weitgehend beherrscht und entdeutscht.

 

Das muss gerade denjenigen vor Augen gehalten werden, die auch heute noch eine

Ehrenrettung Mendelssohns und seiner Musik versuchen. Nicht darauf allein kommt es

an, ob jemand die T�ne kunstvoll und liebensw�rdig zu setzen weiss (das verstand

Mendelssohn wirklich), sondern auf den Geist und die Haltung seines Werkes. Sie erst

machen das Wesen eines Kunstwerks aus. (...) Wollte ein deutscher, italienischer oder

franz�sischer Musiker von Rang hingehen und ausschlie�lich "im j�dischen Stil"

komponieren, so w�rde er sich bei seinen Volksgenossen l�cherlich und ver�chtlich

 

101

 

 


 

machen. Mit dem gleichen Recht betrachten wir den Juden, der sich in der Nachahmung

anderer ersch�pft, als l�cherlich, ver�chtlich - und gef�hrlich. Auch Mendelssohn."

 

Karl Blessingers "Judentum und Musik" erfuhr im Jahre 1944, in Zeiten kontinuierlich

erfolgenden milit�rischen R�ckschlags der Deutschen Wehrmacht auf nahezu allen

Kriegsschaupl�tzen und regul�ren Bombenterrors gegen Deutsche St�dte, eine

inhaltlich erweiterte Wiederauflage und erreichte somit eine Gesamtzahl von 24 000

Exemplaren. Das beweist, allen nach 1945 erfolgten Beteuerungen vermeintlich

kollektiver Unwissenheit von Rassenwahn und Pogrom zum Trotze, den auch gegen

Kriegsende anhaltenden Bedarf an ideologischem und "rassekundlichem" Schrifttum,

die unausgesetzte Aufnahmebereitschaft f�r einschl�gige Indoktrination.

 

Der Rezensent Erwin V�lsing hebt in der Zeitschrift "Musik im Kriege" denn auch

wohlwollend hervor, dass das "wohltuend klar und stets fesselnd geschriebene Buch (...)

neue wichtige Erkenntnisse und h�chst aufschlu�reiche Ergebnisse historischer

Forschung" vermittle. Blessingers Thesen konform streicht auch der Rezensent einen

lobbyistisch herbeigef�hrten, zersetzenden Einflu� des "j�dischen" Klassikers

Mendelssohn demagogisch hervor:

 

"Wie gef�hrlich die vom Judentum mit allen Mitteln einer gesch�ftst�chtigen Reklame

herbeigef�hrte angesehene Stellung Mendelssohns sich auswirken konnte, ist uns

heute eindeutig klar geworden. (...)

 

Hatte sich Mendelssohn als Kapellmeister fast st�ndig am Geist der Deutschen Musik

vergangen, (...) so war auch sein kompositorisches K�nnen von den Juden und einer

"kraftlos gewordenen deutschen B�rgerlichkeit" ma�los �bertrieben eingesch�tzt

worden".

 

Im gleichen Jahre des totalen Krieges 1944 ver�ffentlichte der als Musikreferent des

Stiftes St. Ingbert im Saarland t�tige Musikologe Albert Georg Niklaus die Studie "Liszt Schumann

-Mendelssohn" im Hahnefeld Verlag in Berlin, welcher auch Blessingers

"Judentum und Musik" herausbrachte. Da die Studie in der gleichen Edition

kulturtheoretischer Betrachtungen erschien wie Blessingers "Judentum", jenes inhaltlich

in Behandlung vermeintlicher semitischer Infiltration Robert Schumanns und

biedermeierlichen Musiklebens gar vertiefte, wurde sie der Leserschaft in einer Anzeige

mit folgenden Worten angek�ndigt:

 

�Niklaus zeigt treffend die j�dische Einflu�nahme auf das Deutsche Musikleben am

Beispiel der Geschichte der "Neudeutschen Schule" und des Liszt-Wagner-Kreises.

 

Dieses bewegte Kapitel deutscher Musikgeschichte ist ein weiterer Baustein zu der

von Blessinger begonnenen Forschungsarbeit zum Thema Judentum und Musik."

 

Intermezzo IV:

Die "Hohe Schule" I: kulturelle Neuordnung �

nicht nur f�r Europa, sondern f�r die Welt

 

 

Im Jahre 1940 wurde der konzeptionellen Grundstein zur Errichtung eines gigantischen

Projektes nationalsozialistischer Bildungspolitik gelegt, dessen Struktur und Systematik

unmittelbar auf �F�hrerbefehle� (�FB�) Adolf Hitlers zur�ckgingen. Mit der Umsetzung

war Rosenberg beauftragt, der sich seit dem Jahre 1937 mit Vorbereitungen des

Projektes getragen hatte

 

102

 

 


 

Die so genannte "Hohe Schule" sollte, Rosenberg zufolge, �die Spitze der gesamten

Erziehungsarbeit f�r die �NSDAP� (...) bilden, praktisch somit eine geistige Erziehungsund

Lenkungszentrale f�r das ganze Deutsche Volk" sein.

 

Neben der Errichtung einer Zentralbibliothek aller in Deutschland und Europa

konfiszierten Schriften �weltanschaulicher Gegner�, beinhaltete das Projekt vor allem die

Gr�ndung �bergeordneter Institute und Fachbereiche der parteikonformen

akademischen Elite. Die Niederlassungen der Institute sollten sich urspr�nglich �ber das

gesamte Reichsgebiet erstrecken. Aufgabe derselben war einzig die ideologischeKomprimierung und Transformation europ�ischen Wissens hin zur �berh�hung einer

rassisch-hybriden, alleing�ltigen sozialdarwinistisch-faschistischen �berzeugung und

Lehre. Die Bibliothek wurde zu Beginn des Jahres 1939 in Berlin gegr�ndet, das

Zentralinstitut sollte in einem monumentalen Neubau im Chiemgau angesiedelt werden;

des weiteren Fachbereiche und Dependancen in namhaften deutschen St�dten.

Wesentlichstes Anliegen der �F�hrerbefehle� war die Errichtung eines Institutes zur

Abhandlung der J�dischen Frage.

 

Es erstand im M�rz des Jahres 1941 als erste Fachschaft der Hohen Schule in der

Stadt Frankfurt am Main. Ein "F�hrerbefehl" vom 2. April wies Rosenberg zur

Ausweitung der hiesigen �Fachbibliothek der Judenfrage�, "errichtet �nicht nur f�r

Europa, sondern f�r die Welt�, an.

 

Dem Befehl zufolge, sei �das Material, (...) unerwartet viel Material", * welches der

Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (�ERR�) Juden und freikonfessionellen

Vereinigungen besiegter europ�ischer L�nder fortw�hrend raubte, �zu

Forschungszwecken�, hinsichtlich einer �weltanschaulichen, politischen und kulturellen

Neuordnung Europas nach Kriegsende� (�FB� v. 2.4.1940) s�mtlich der �Hohen Schule�

zuzuleiten. (zitiert nach de Vriess, dessen Buch "Sonderstab Musik" die Informationen

zur �Hohen Schule� entnommen sind)

 

Da die "Hohe Schule" hierarchisch in �Kerngebiete� (Biologie, Anthropologie,

Rassenlehre, indogermanische Geistesgeschichte, Erforschung der Judenfrage,

Theologie etc.) und �Randgebiete� (Philosophie, Bildende Kunst, Ostforschung,

Erziehungswissenschaft, Geschichte, Theater etc.) untergliedert wurde, kam es erst im

April des Jahres 1943 zur Institutionalisierung eines Fachbereiches der "Hohen

Schule" in der Kategorie 8 mit dem Titel " Schule Sachgebiet Musik." Die Niederlassung

erfolgte im Geb�ude der ehemaligen h�heren israelitischen Schule in Leipzig, die

Institutsleitung hatte Dr. Phil. Habel. Herbert Gerigk inne. In einem Schreiben an den

Magistrat Leipzigs berief sich Rosenberg dezidiert auf �den traditionsreichen Ruf,

gerade auf musikalischem Gebiete�.

 

Ein Ruf, der ja, wie man seinerzeit im Amte Rosenberg und in der Stadt Leipzig l�ngst

ignorierte oder verga�, in dezidierter Auspr�gung und Vollendung seinerzeit dem

Wirken Mendelssohn Bartholdys zu verdanken war.

 

25. Das Lexikon der Juden in der Musik

Im Jahre 1940 beauftragte die "Hohe Schule" in der Person des Amtsleiters Alfred

Rosenberg die "Hauptstelle Musik" der �DBFU� Alfreds Rosenbergs (�Dienststelle des

Beauftragten des F�hrers f�r die �berwachung der gesamten geistigen und

weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP�) mit der Realisierung eines

Buch- und Rassenprojektes; einer Enzyklop�die musikalischen Judentums.

 

103

 

 


 

Infolgedessen legte ein Team promovierter Musikwissenschaftler (Wolfgang Boetticher,

Dr. Marlise Hansemann, Dr. Herrmann Killer, Dr. Lily Vietig-Michaelis, Teophil Stengl)

noch im gleichen Jahre das "Lexikon der Juden in der Musik -Mit einem

Titelverzeichnis j�discher Werke" vor. Als Supervisor und Herausgeber fungierte der

Leiter der �Hauptstelle Musik� sowie des �Amtes Musik im Einsatzstab Reichsleiter

Rosenberg� (�ERR�) als auch des Sachbereichs Musik der sp�teren "Hohen Schule" in

Leipzig, Dr. Phil. Habil. Heinz Gerigk.

 

(Die Aktivit�ten und Wirkungsbereiche der genannten Institutionen lassen sich oftmals

kaum voneinander trennen, da es sich ja stets um den Arbeitsstab Gerigk handelte)

 

Die Publikation firmierte als Band 2 der �Ver�ffentlichungen des �Institutes der NSDAP

zur Erforschung der Judenfrage� (�IEJ�) in Frankfurt, dem erw�hnten Gr�ndungsinstitut

der �Hohen Schule�. Allein das von Gerigk verfasste Vorwort liest sich wie eine

Bekenntnisschrift pathologischen Rassenwahns. So war die �Reinigung unseres Kultur-

und (...) Musiklebens von allen j�dischen Elementen (nunmehr) erfolgt.�

 

Da �von unserer Seite ja nicht eine Verewigung der j�dischen Erzeugnisse geliefert

werden� sollte, verzichtet das Lexikon folgerichtig �auf Werkverzeichnisse und

ersch�pfende bibliographische Angaben". Da �die ber�hmtesten S�ngerinnen f�r die

j�dische Rasse� widerrechtlich beansprucht w�rden, lie�en �die Namens�nderungen

und die Gepflogenheiten vieler Juden, (...) die vorgeschriebene polizeiliche Meldepflicht

nicht zu vollziehen�, die Bem�hungen �zu �berpr�fen� bis �an die Schwelle der

Gegenwart (...) langwierig werden."

 

Das Lexikon listet in dem sich �ber 2 Seiten hin erstreckenden (selbstverst�ndlich mit

Bindestrich versehenen) "Felix Mendelssohn-Bartholdy"-Eintrag den einschl�gig

vertrauten, im Tonfall lediglich nochmals versch�rft vorgebrachten Katalog stereotyper

Mendelssohndiffamierungen auf. Ferner halten spezifisch neuwertige Absurdit�ten; pure

Behauptungen, Umkehrungen historisch verb�rgter Tatsachen aufgrund verf�lschter

authentischer Dokumente Einzug in denselben. Ohne das die Ausf�hrungen einem

einzelnen Mitarbeiter durch Namensnennung oder Sigle zuzuordnen w�re, ist im

einzelnen u. a. zu lesen, das Felix Mendelssohn �bekanntlich einer reichen j�dischen

Bankiersfamilie entstammte, (...) der �Mendelssohnkultus bereits zu Lebzeiten von einer

grossen Zahl von Rassegenossen entfacht wurde, (...) die Lieder ohne Worte (...) die

deutsche Romantik, die in ihren Anf�ngen eine starke Hinneigung zum Volkstum und

(...) deutscher Innerlichkeit gezeigt hatte (...) verw�ssert(en).� Der Beitrag zitiert

ausf�hrlich aus Wagners �Judenthum� und verweist auf die (verf�lschten)

Tagebuchaufzeichnungen Robert Schumanns, von denen anschlie�end noch die Rede

sein wird.

 

Bemerkenswert ist dar�ber hinaus ein Konstrukt, gebildet aus Originalzitaten Carl

Friedrich Zelters und geschichtsf�lschenden R�ckverweisen auf das Wirken der Berliner

Singakademie Zelters, welches Felix Mendelssohn jedweden Verdienst um die

seinerzeitigen Neubewertung der "Matth�us-Passion" abspricht.

 

Es heisst dort also:

"Da� der Verdienst dieser wegweisenden Bachauff�hrung M. geb�hre, der wohl als

einziger die wahre Gr�sse des Barockmeisters begriffen habe, ist eine Verf�lschung

geschichtlicher Tatsachen. (...)

 

 

104

 

 


 

Aus den Darstellungen Alfred Morgenroths und Georg Sch�nemanns geht einwandfrei

hervor, da� das Verdienst um das Zustandekommen dieser Auff�hrung fast

ausschlie�lich Karl Friedrich Zelter geb�hrt , der (...) die (...) Singakademie (...) zu einer

in ihrer Art damals einzig dastehenden St�tte der Bachpflege (gemacht hatte. So (...)

erhielt (...) Mendelssohn durch die Teilnahme an den Proben die entscheidenden

Anregungen. So konnte er ohne viel eigenes Zutun an die Auff�hrung der

Matth�uspassion gehen, zumal Zelter die hierzu erforderlichen Proben meist selbst

leitete und ausserdem seinem Sch�ler dirigiertechnische Anweisungen gab. Hier�ber

schrieb (Zelter) an Goethe 1829: "Felix hat die Musik unter mir einge�bt und wird sie

dirigieren, wozu ich ihm meinen Stuhl �berlasse".

 

Gerigk, dem es bereits vor seiner Ernennung zum NS-Funktion�r niemals gelang, eine

akademische Berufung zu erlangen, blieb � nachdem er sich als Dienststellenleiter des

 

III. Reiches exponiert hatte � eine akademische Karriere auch nach 1945 versagt.

Einer T�tigkeit als Musikfeuilletonist der �Dortmunder Ruhr Nachrichten� stand

indessen nichts entgegen. Auch nicht der Umstand, nunmehr Musik rezensieren zu

m�ssen, welche er wenig zuvor als �zersetzend�, �j�disch, �kulturbolschewistisch�

apostrophierte; ja beruflich mit Musikern zusammenzutreffen, welche er zuvor zur

�schnellsten Ausmerzung (...) aus unserem Kultur- und Geistesleben� freigegeben hatte.

 

26. ...das Benehmen Mendelssohns, da� er als Director angesehen werden wolle

Der junge Musikwissenschaftler Wolfgang Boetticher, der im Jahre 1941 an der

Universit�t Berlin mit einer Arbeit �ber Robert Schumann promovierte, bet�tigte sich in

den Jahren 1940 und 1942 als Herausgeber von Schumanns Tagebuchaufzeichnungen

und Briefen und Co-Autor des 1940 herausgegebenen "Lexikon der Juden in der Musik Mit

einem Titelverzeichnis j�discher Werke." Best�rkt von wohlwollenden Beurteilungen

seines Vorgesetzten in der "Hauptstelle Musik" der �DBF� Alfreds Rosenbergs, Heinz

Gerigk: war er "seit 1.12.1937 als Referent in der Hauptstelle Musik t�tig und (...) hat

sich in dieser Zeit stets als ein ausgezeichneter Sachkenner und als instinktsicherer

Nationalsozialist bew�hrt. (...) Wie mir berichtet worden ist, hat Boetticher den gesamten

Umkreis der Robert Schumann-Forschung unter Ber�cksichtigung unserer

weltanschaulichen Haltung durchgearbeitet, und ist (...) zu wertvollen Ergebnissen

gelangt, die das Schumann-Bild (...) neu gestalten." (29.3.1940; zit. nach de Vriess,

"Sonderstab Musik")

 

Was verhalf dem jungen Wissenschaftler zu diesen, von Gerigk so wohlwollend

hervorgehobenen, gleichsam unverhofft erbrachten "wertvollen Ergebnissen" und der

"Neugestaltung des Schumann-Bildes", welche zur Vervollkommnung der

"weltanschaulichen Haltung" des Nationalsozialismus so trefflich geeignet schienen?

 

Boetticher verf�lschte Schumanns Tagebucheintragungen, Erinnerungen und Briefe an

Felix Mendelssohn Bartholdy durch Hinzuf�gung oder Unterlassung einzelner Worte

oder S�tze und verlieh ihnen somit einen Tonfall antisemitisch-motivierten Vorbehaltes

Schumanns gegen den Freund und Musikerkollegen Felix Mendelssohn.

 

105

 

 


 

Zur Veranschaulichung dessen folgende Gegen�berstellung eines authentischen sowie

von Boetticher manipulierten Zitates. Robert Schumanns Autograph: "Seine

(Mendelssohns) Gedanken �b(er) das Conservatorium, da� er namentlich den Musikern

auch einen Verdienst zuweisen wollte", "Gr�ndung des Conservatoriums und sein

Benehmen dabei, da� er nie als Direktor angesehen werden wollte."

 

Von diesem Zitat verbleibt in der Publikation Boettichers von 1940/42: (...) "Gr�ndung

des Conservatoriums und sein Benehmen dabei, da� er (...) als Direktor angesehen

werden wolle."

 

Erst der R�ckgriff auf die im Jahre 1947 anl��lich des 100. Todestags Mendelssohns

vom Robert Schumann-Archiv in Zwickau zur Verf�gung gestellten Autographen

vermochte es, die von Gerigk, Boetticher und Dr. Lila Vietig-Michaelis lancierte

Erkenntnis nachhaltig aufzuheben:

 

"Auch Robert Schumann z�hlte keineswegs zu den bedingungslosen Bewunderern

(...), wie lange geglaubt wurde. Aus den (...) erstmalig ver�ffentlichten Notizen (...) und

Briefen geht deutlich hervor, da� Schumann von Anfang an der Erscheinung

Mendelssohns kritisch gegen�bergetreten ist". ("Lexikon der Juden in der Musik")

 

Boetticher diente dem Nationalsozialismus auch als Mitarbeiter des �Sonderstabs

Musik� des Amtes Rosenberg zu systematischer Erfassung und Konfiszierung der

kulturellen Hinterlassenschaften geflohener oder ermordeter Juden in besetzten

Gebieten und Mitglied der Waffen-SS. Dennoch machte er nach 1945 als

Musikwissenschaftler und Publizist hochrangig Karriere in den Positionen: Dozent,

Professor und Dekan der Universit�t G�ttingen (1955/57/72), Gastdozent an den

Universit�ten Cambridge und Oxford (1952-72), Kurator der Staatl. Hochschule f. Musik

Hannover (1958), Gastdozent an der Karls-Universit�t Prag (1963). Daneben erhielt er

die M�glichkeit u. a. zu folgenden Ver�ffentlichungen: Gesamtausgabe der Klavierwerke

Robert Schumanns/ Henle Verlag M�nchen, Essays, Zeitschriftenartikel, Beitr�ge in

Handb�chern und Enzyklop�dien, Nachrufe etc. Boetticher arbeitete nach seiner

Emeritierung weiterhin als Hochschullehrer und musikwissenschaftliche Kapazit�t an

der Universit�t G�ttingen, bis im Jahre 1999 wachsende Aufarbeitung seines Wirkens

im �III. Reich� auf internationaler Ebene die Suspendierung von aller Lehrt�tigkeit

erwirkte.

 

Intermezzo V:

Juden bleiben Juden. Oder: Von den Ehetageb�chern des Robert Schumann

 

 

Als Gl�cksfall anzusehen ist es angesichts jener Umtriebe, da� in den 40ziger Jahren

des 20. Jahrhunderts der Schumann-Forschung offensichtlich noch nicht alle schriftliche

Hinterlassenschaften des Musikerehepaares Clara und Robert Schumann zur Edition

und Auswertung zur Verf�gung standen.

 

Wie h�tten nationalsozialistische Funktion�re der Hauptstelle Musik wie Gerigk und

Boettcher triumphiert, wenn sie anl�sslich ihrer Publikationen, auf authentische,

unverf�lschte Aussagen Schumanns h�tten zur�ckgreifen k�nnen, welche den

Komponisten als offenkundigen Antisemiten und Mendelssohngegner zu bezeugen

geeignet w�ren.

 

106

 

 


 

Die Musik-und Frauenwissenschaftlerin Beatrix Borchard zitiert in ihrer im Jahre 1985

ver�ffentlichten Studie "Robert Schumann und Clara Wieck -Bedingungen

k�nstlerischer Arbeit in der ersten H�lfte des 19. Jahrhunderts" eine Passage aus den

Ehetageb�chern, welche bis dahin unver�ffentlicht geblieben war und ein zeitweiliges

tiefes Zerw�rfnis zwischen dem K�nstlerehepaar dokumentiert, in welches Felix

Mendelssohn mental einbezogen wurde:

 

"Clara sagte mir, da� ich gegen Mendelssohn ver�ndert schiene, gegen ihn als K�nstler

gewi� nicht -das wei�test Du -hab` ich doch seit vielen Jahren so viel zu seiner

Erhebung beigetragen, wie kaum ein Anderer. Indes -vergessen wir uns selbst nicht zu

sehr dabei. Juden bleiben Juden; erst setzen sie sich zehnmal, dann k�mmt der Christ.

Die Steine, die wir zu ihrem Ruhmestempel mit aufgefahren, gebrauchen sie dann

gelegentlich, um auf uns damit zu werfen. Also nicht zuviel, ist meine Meinung. Wir

m�ssen auch f�r uns thun und arbeiten. Vor allem la� uns nur immer dem Sch�nen und

Wahren in der Kunst nahe kommen" (Robert Schumann, Ehetageb�cher, 8.-15.11.1840,

Autograph)

 

Vor welchem Hintergrund m�ssen diese besch�menden, unverhohlen die antisemitische

Vorurteile dieser Zeit reflektierenden �u�erungen rezipiert werden? Obgleich man

Robert Schumann als Herausgeber der �NZfM� stets einen latenten, auf Besprechungen

des Meyerbeerschen Opernschaffens abzielenden Verbalantisemitismus nachsagt,

lagen ihm radikalantisemitische Positionen -jenen der Jungdeutschen Bewegungvergleichbar -denkbar fern. �ber jeden Zweifel erhaben waren die privat und beruflich

gepflegten Beziehungen der Familie Schumann zu dem Komponisten, Musiker und

Musikfunktion�r Felix Mendelssohn, wie die in den Jahren 1835 -47 im Tonfall einer

nachgeradezu hymnischen Verehrung niedergeschriebenen Gedenknotizen Schumanns

eindeutig belegen. (Vergl. dazu Arnd Richter, Mendelssohn -Leben, Werke,

Dokumente, Piper -Schott 1994, s. 313-17) Die Behauptung, er, Robert Schumann,

habe als Autor und Herausgeber der �NZfM� ma�geblich zur Protektion des

Komponisten Mendelssohn beigetragen, kann als Zeichen der Selbst�bersch�tzung und

puren Wunschdenkens genommen werden, da Mendelssohn seit den Zeiten

wiedergewonnener Matth�us-Passion und D�sseldorfer Generalmusikdirektorats als

Komponist und Dirigent derer nicht mehr bedurfte.

 

Nun, die �u�erungen resultieren aus einer Situation vermeintlicher Zur�cksetzung,

welcher sich Schumann als mindererfolgreicher Komponist in den Jahren 1840ff

ausgesetzt sah. Voller Eifersucht sah er, dass die den Schumanns gewidmete

�ffentliche Aufmerksamkeit fast ausschlie�lich seiner Frau, der gefeierten Pianistin

Clara Schumann galten, w�hrend seine Kompositionen vor allem im kleinen Kreise von

Kennern und Liebhabern rezipiert wurden. Somit sind unausgesetzte Versuche

wissentlich oder unwillk�rlich begangener Herabminderung der Interpretin Clara

Schumann nachweisbar. Schumann widersetzte sich hartn�ckig allen Bestrebungen

Claras, �berregionale oder europ�ische Konzerteinladungen anzunehmen, stellte das

Metier des Komponierens dem des Konzertierens als erhaben gegen�ber, m�kelte

fortw�hrend an ihrer Spielweise und Interpretation herum. Legend�r die Bef�rchtung

des Komponisten, ob ihr Hausstand denn die Bereitstellung und professionelle

Bet�tigung zweier Fl�gel zu kompensieren in der Lage sei.

 

107

 

 


 

Clara Schumann indes war durch all diese innerfamilli�r ver�bten Widrigkeiten Mobbing

w�rde es im Sprachgebrauch unserer Tage heissen -zutiefst verunsichert

worden und nahm vom Gedanken �ffentlichen Konzertierens mehr und mehr Abstand.

 

Allein in der Person und Begegnung Mendelssohns fand sie Hilfestellung in dieser

ausweglosen Lage. Jener best�rkte sie in der Position einer musikalisch autonom

rezipierenden und handelnden Interpretin, leitete sie freundschaftlich auf ihrem Wege

zur�ck auf das lange gemiedene Podium des Gewandhauses und �berwand durch

pers�nliche F�rsprache stetig Schumanns Widerst�nde gegen das Projekt neuerlicher

Konzertreisen. Schumann sah durch das pers�nliche Verwenden Mendelssohns

offensichtlich das k�nstlerisch kurzzeitig in H�nden gehaltene Heft sich neuerdings

entgleiten. Er reagierte sich quasi durch genannten, auf Mendelssohn als

Hauptschuldigem an Claras neugewonnenen musikalischen Mute, abzielenden Anwurf

schriftlich ab. In jenem Affekt, welcher f�r Schumanns labilen Gem�tszustand vor allem

in sp�teren Jahren symptomatisch und ber�chtigt war.

 

In jenem Affekt, welcher auch f�r zahlreiche massive Verbalinjurien Wagners und von

B�lows unmittelbar verantwortlich zeichnete. W�hrend ersterer, durch Cosima Wagners

getreuliche Aufzeichnungen von "Tischgespr�chen" in der Verk�ndigung von

Gewaltrhetorik seine Verewigung erfuhr, sah sich jener ja gen�tigt, im Alter manches

vorher gesagtes zu relativieren oder gar zu konterkarieren.

 

Ein neues Feld wiederum er�ffnen die im Jahre 1847 get�tigten, abf�lligen,

unertr�glichen Bemerkungen Schumanns, welche man Mendelssohn offenkundig

zugetragen hatte und ihn zum endg�ltigen Bruch mit dem Kollegen veranla�ten. In

einem Brief an den Dichter und Freund Karl Klingemann beklagte sich Mendelssohn,

Schumann "habe sich sehr zweideutig gegen ihn benommen und ihm eine recht

h��liche Geschichte einger�hrt, die ihn in seinem Eintreten f�r Schumann sehr

abgek�hlt habe. Mehr wissen wir nicht" (Dahms, S. 94) Ob Schumann sich neuerdings

im Affekt zu radikalantisemitisch munitionierten Schm�hungen gegen den ungleich

erfolgreicheren Kollegen Mendelssohn hatte hinrei�en lassen und in seinem Wirken

von diesem nicht hinreichend gew�rdigt fand? Ob er sich vom beruflich �berlasteten und

in den letzten Lebensmonaten kr�ftem�ssig rapide abbauenden Mendelssohn

pers�nlich hintangesetzt f�hlte und im Kollegen- oder Freundeskreise dar�ber beklagte?

 

Ob er sich der musikalischen �ffentlichkeit gegen�ber mi�billigend �ber ein Werk aus

der letzten Schaffensperiode Mendelssohns ge�u�ert hatte? Was immer es konkret

gewesen sein mag, es w�re eine eigene Untersuchung wert.

 

27. Denkmalspflege; nationalsozialistisch

Ein in der Anonymit�t verbliebener Zeitzeuge gab im Nachhinein zu Protokoll, was

Leipziger B�rger explizit von einem Vorfall wahrnahmen, dessen Inszenierung sich

�insgeheim� abspielte, dessen Wirkung aber offenkundig wurde. Wann, in welchem

Zusammenhang, auf welcher Beh�rde der Bericht gegeben wurde, ist nicht angegeben.

Das Leipziger Stadtarchiv hat ihn in der Sammlung StV u R, Nr. 8617, Bl. 12 der

Nachwelt �berliefert.

 

108

 

 


 

�Am Morgen des 10. November raunte es in Leipzig einer dem anderen zu, die

Mendelssohn-Statue sei in der Nacht von ihrem Sockel gerissen und die allegorischen

 

Figuren losgewuchtet worden; der Granitsockel sei in St�cke zertr�mmert. Die ganze

Nacht h�tten die Pre�lufth�mmer gerattert und gedr�hnt, um den massiven Sockel samt

seinem Unterbau zu zerst�ckeln und die St�tte dem Erdboden gleichmachen zu

k�nnen. Man habe die Absicht gehabt, die Stelle als Blumenbeet anzulegen und Gras

�ber den Standort wachsen zu lassen, um jede Spur zu tilgen. Das Fundament habe

sich aber bis zur Morgend�mmerung nicht mehr herausstemmen lassen, so da� man

sich begn�gen musste, die Stelle mit Kleinsteinpflaster zu befestigen, das allerdings den

Standort nicht verheimlichen konnte."

 

Erste Stimmen seitens der NS-Administration, welche die Beseitigung des

Mendelssohn-Denkmals vor dem alten Gewandhause einforderten, erhoben sich im

Fr�hjahr 1936, also genau 3 Jahre nach der Machtergreifung.

 

So schrieb die Kreisleitung der �NSDAP� Leipzig in Person des Beauftragten Leiters des

Kulturamtes Eckert an den Oberb�rgermeister der Stadt Leipzig, Dr. Carl Friedrich

Goerdeler z. H. des Leiters des Kulturamtes, Stadtrat August Hauptmann am 8. Mai d.

 

J. 1936:

"Aufgrund verschiedener Beschwerden bei uns f�hle ich mich verpflichtet; sie darauf

hinzuweisen, dass das vor dem Gewandhaus aufgestellte Denkmal des VollblutjudenMendelssohn-Bartoldie �ffentliches �rgernis erregt. Die Leipziger Bev�lkerung, die zum

weitaus gr�sstenteil gut nationalsozialistisch denkt, ist der Auffassung, dass dieser Jude

in �Erz" besser in einem Museum aufzubewahren w�re: Ich bitte Sie als Beauftragten

Leiter des Kulturamtes beim Rat der Stadt Leipzig zu erwirken, dass dieses Denkmal

entfernt wird..."

 

Dies war der Auftakt einer Kampagne seitens Leipziger NS-Gremien, welche die

endg�ltige und kompromi�lose Beseitigung des "Juden" Felix Mendelssohn aus dem

Stadtbild zum Ziele hatte. Einmal mehr zeigt sich, wie sehr sich das Regime in allen

Lebensbereichen in diesen 3 Jahren bereits verfestigt hatte. Die Forderung nach

publicitytr�chtiger Entfernung eines Monumentes wie des Leipziger Mendelssohn-

Denkmals wagte das Regime zu Anfang nicht. Es beschr�nkte sich im Jahre 33ff vorerst

auf die Beseitigung der regimefeindlichsten Ehrentafeln, Strassennamen etc.

 

Noch hatte man beispielsweise auf die Reaktionen des Auslandes R�cksicht zu

nehmen. Nun, nach stetiger Verfestigung der Machtvollkommenheit der NS-

Administration, k�ndigte sich mit der Forderung nach Beseitigung des Mendelssohn-

Monumentes aber eine zweite radikalisierte Welle der Denkmalszerst�rung an. Diese

brachte deutschlandweit die Zerst�rung �ffentlicher Mahnmale und Gedenkst�tten an

Juden und Regimegegnern mit sich. Die Forderung nach Beseitigung des Mendelssohn-

Monumentes erhob und vollzog sich zeitlich analog der zunehmenden Verdr�ngung des

Mendelssohn-Werkes von Konzertpodien und aus den Hochschulen.

 

3 Wochen nach dem erw�hntem ersten Schreiben an Stadtrat August Hauptmann

verlangte der Kulturbeauftragter der Kreisleitung der �NSDAP� Eckert in einem weitern

Schreiben versch�rften Nachdrucks, unter Ank�ndigung des Hinzuzugs weiterer NS-

Stellen in Sachen Forderung nach Denkmalsentfernung. So schreibt er am 27. Mai 1936

also:

 

109

 

 


 

"Bei dieser Gelegenheit teile ich Ihnen mit, dass ich mich des Weiteren mit dem Kreis-

Propagandaleiter Pg. Kr�ger in Verbindung gesetzt habe, damit auch von dieser Seite

das Notwendige veranla�t werden kann."

 

Die Stadt Leipzig in der Person des Stadtrates August Hauptmann k�ndigte daraufhin

"eine sehr genaue Pr�fung der Angelegenheit" an.

 

In einer Sitzung des Stadtrates vom 19. Juni wurde schliesslich der Vorschlag

unterbreitet, das Mendelssohn-Denkmal abzutragen und an dessen Stelle die Statue

eines anderen "bedeutenden deutschen Musikers" (Sitzungsprotokoll) zu errichten. Das

Sitzungsprotokoll f�hrt des weiteren an:

 

"Oberb�rgermeister Dr. Goerdeler erkl�rt diesen Vorschlag f�r pr�fbar. Man werde im

Herbst in die Pr�fung eintreten. Dann m�sse aber auch das Mendelssohn-Denkmal auf

anst�ndige Weise beseitigt und anst�ndig untergebracht werden."

 

Dr. Goerdeler erwies sich als erkl�rter Gegner einer Kultursch�ndung durch Abri� des

Mendelssohn-Denkmals. Durch die Ank�ndigung eines l�ngerwierigen

Pr�fungsverfahrens seitens der Stadt Leipzig vermochte er es somit, etwas Zeit

gegen�ber den lokalen NS-Einrichtungen zu gewinnen. Zeit welche er ben�tigte, um

Verb�ndete auf h�herer Parteiebene in Berlin in Sachen Erhalt des Mendelssohn-

Denkmals zu gewinnen. Der NS-Beauftragte f�r �j�dische Kulturfragen�, Hinckel, sprang

Goerdeler schliesslich bei und teilte ihm mit: "er k�nne auch im Namen von Goebbels

und damit im Namen Hitlers sagen, dass das Denkmal stehen bleiben solle. Solche

Bilderst�rmerei w�rde nicht gew�nscht." (Aufzeichnung Goerdeler a. d. Nachlass)

 

Daraufhin erkl�rte Dr. Goerdeler im Namen der Stadt den Erhalt des Denkmals, sehr

zum �rger des nationalsozialistischen 2. B�rgermeisters Rudolf Haake; des

entschiedensten Goerdeler-Gegners und erkl�rten Mentors eines Denkmalabrisses.

 

Am 16. September d. J. 1936 erschien in der Leipziger Tageszeitung ein Pamphlet,

welches sich unter dem Titel "Um j�dische Musik und das Denkmal eines Juden"

�ffentlich f�r die Beseitigung des Denkmals einsetzte.

 

Es heisst darin u. a.:

 

"Bei uns aber, in der �ffentlichkeit, ist die Existenz des Denkmals eines Juden auf

die Dauer eine Unm�glichkeit. Dem d�rfen weder Gr�nde der Piet�t, noch rein

k�nstlerische Erw�gungen entgegenstehen. Solche Piet�t und solche Erw�gungen

geh�ren nicht mehr in unsere Zeit, die in ihren Entscheidungen ausschlie�lich den

Stimmen des Blutes und des v�lkischen Gewissens zu folgen hat".

 

Der Chefredakteur der Leipziger Tageszeitung rechtfertigte die Ver�ffentlichung des

Pamphlets in einem Schreiben vom 16. September 1936 an Dr. Goerdeler

folgenderma�en:

 

"Ich habe die Glosse erst nach langen und ernsten �berlegungen in die Zeitung

gebracht. Ich glaubte aber um die �ffentliche Diskussion dieser Frage nicht mehr

herumzukommen, nachdem ich (...) schon seit langem aus Kreisen der

Altparteigenossenschaft mit mehreren Zuschriften bedacht worden war. Nachdem mir

jetzt gedroht wurde, die Angelegenheit dem "St�rmer" zu �bergeben, der eine recht

sensationelle Sache daraus gemacht h�tte, zog ich es doch vor, die Sache in der

Tageszeitung zu behandeln.

 

110

 

 


 

Die Dinge liegen nicht einfach so, dass der einfache Mann es nicht begreift, wenn ihm

immer wieder gesagt wird, es bestehe kein Unterschied zwischen guten und schlechten,

wertvollen und minderwertigen Juden und er auf der anderen Seite sehen muss, dass

ein Denkmal stehen bleibt mit der Begr�ndung: Die Musik dieses Juden sei eine

wertvolle.

 

Wir m�ssen in diesen Dingen gerade im Hinblick auf den kleinen Mann konsequent

sein. Ich glaube, dass die vorgeschlagene L�sung, das Denkmal dem j�dischen

Kulturbund zur Verf�gung zu stellen, auch dem Ausland gegen�ber den Vorwurf

etwaiger Bilderst�rmerei abmildern wird."

 

Haake machte sich den �ffentlichen Druck, den die Behandlung der Forderung nach

Beseitigung des Mendelssohn-Denkmals in der Leipziger Presse nach sich zog,

zunutze. Er insistierte bei Goerdeler erneut auf eine Vernichtung desselben. So schrieb

er an Dr. Goerdeler im Jahre 1936 im R�ckblick auf die Ereignisse:

 

"Ich sah in dieser Anfrage nur ein Abschieben der Verantwortung auf die

Reichsregierung, weil Sie selbst aus ihrer inneren Einstellung zur Judenfrage heraus

diese Verantwortung nicht glaubten tragen zu k�nnen."

 

Haake entschlo� sich, nach dem letzten ablehnenden Entscheid Goerdelers zum

Thema der Denkmalsbeseitigung, zu eigenm�chtigen Handeln bei der n�chsten sich

bietenden Gelegenheit. Er schrieb wiederum im R�ckblick auf die Ereignisse: "...war ich

fest entschlossen, bei der n�chsten geeigneten Gelegenheit (...) zu handeln und die

Verantwortung zu �bernehmen. Mein Gewissen als Nationalsozialist liess in dieser

Frage keinen Kompromi� mehr zu."

 

Im November 1936 weilte das London Philharmonic Orchestra unter der Leitung des

ber�hmten englischen Dirigenten Dirigent Sir Thomas Beecham einige Tage in Leipzig,

um im dortigen Gewandhaus zu konzertieren. Beecham d�rfte der einzige Dirigent

internationalen Ranges gewesen sein, der mit dem NS-Musikbetrieb im Rahmen

aufwendiger Operngesamtaufnahmen wie jener reichsdeutschen "Zauberfl�ten"Produktion

kooperierte. M�glicherweise gab also eine ideologische Verbundenheit des

K�nstlers zu Positionen des Regimes beiderseits den Ausschlag zur Realisierung des

zu diesem Zeitpunkt bereits au�erordentlichen Gastspielvorhabens eines englischen

Klangk�rpers auf faschistischen Territorium. Strittig scheint zu sein, an welchem Tag

das Orchester im Gewandhaus vor das Leipziger Publikum trat, da diesbez�glich von

einander abweichende Aussagen vorliegen. Entscheidend hingegen ist, da� es im Zuge

des Leipzigbesuches des Orchesters zum Abbruch des Mendelssohn-Denkmals durch

die NS-Administration kam.

 

Der Zeitzeuge Kurt Sabatzky schilderte die Umst�nde des Besuches und der

Denkmalsvernichtung sp�ter folgenderma�en:

 

"Etwa 2-3 Jahre vor dem Krieg unternahm das Londoner Philharmonische Orchester

unter Leitung von Sir Thomas Beecham eine Kontinental-Konzertreise, die es auch nach

Leipzig f�hrte. Sir Thomas fragte vorher bei Goerdeler an, ob es wohl erw�nscht sei,

wenn er mit einer Abordnung seines Orchesters am Mendelssohn-Denkmal eines Kranz

niederlege. Im Hinblick darauf, da� Mendelssohn eine besondere Br�cke im Musikleben

von Leipzig nach London geschlagen habe.

 

111

 

 


 

Goerdeler erkl�rte darauf, da� er eine solche Ehrung begr�ssen w�rde.

Ungl�cklicherweise befand sich Goerdeler zurzeit des Konzertes, das einen grossen

Erfolg f�r die Londoner Philharmoniker darstellte, gerade auf Urlaub." (Meine

Erinnerungen an die Nationalsozialisten, Manuskript Nr. 3015 im Archiv von The Wiener

Library, London)

 

Als Beecham, Sabatzky zufolge, am darauf folgenden Morgen also von Mitgliedern des

Orchesters begleitet, vor dem Mendelssohn-Denkmal einen Kranz niederlegen wollte,

musste er feststellen, da� es verschwunden, genauer, auf Befehl Rudolf Haakes in der

Nacht abgetragen und im Keller eines �ffentlichen Geb�udes zerschlagen worden war.

Haake hatte somit, gemeinsam mit dem Ratsherren�ltesten Otto Wolf die Gunst der

Stunde, die Abwesenheit Dr. Goerdelers genutzt und n�chtlings zugeschlagen.

Hinsichtlich der Abwesenheit Dr. Goerdelers, welche das Denkmals Attentat, ver�bt

durch subalterne Magistratsmitglieder ja erst erm�glichte, irrt Sabatzky allerdings in der

Begr�ndung derselben: Dr. Goerdeler befand sich zu diesem Zeitpunkt keineswegs im

Urlaub; vielmehr kam er durch eine Reise nach Skandinavien diplomatischen

Verpflichtungen nach.

 

Schwerlich erstaunlich, da� eine Berichterstattung des Vorfalls in der damaligen

Presselandschaft nahezu ausblieb; das Ausland, genauer: das "Allgemeen

Handelsblad" in Amsterdam f�hrte es in einer Meldung vom 18.11.1936 u. a. auf eine

Anweisung Dr. Goerdelers an die Leipziger Lokalpresse zur�ck, den Vorfall in der

Berichterstattung zur�ckzuhalten.

 

Die Position Dr. Goerdelers war, angesichts offener Insubordination untergeordneter

Magistrats-und Parteigremien, welche ideologische Belange �ber die Richtlinienkompetenz

des Stadtoberhauptes erhoben, somit nahezu unhaltbar geworden. Nirgends fand

er R�ckhalt bei den Forderungen, die eigenm�chtige Untergrabung der

Richtlinienkompetenz des Oberb�rgermeisters durch untergeordnete oder externe

Gremien zu ahnden und das Mendelssohn-Denkmal auf Kosten der Partei

wiederherstellen zu lassen. Etwa 14 Tage nach Abbruch des Denkmals reichte Dr.

Goerdeler seinen R�cktritt vom Amte des Oberb�rgermeisters der Stadt Leipzig ein. Er

begr�ndete diesen Schritt mit der mangelnden Entschlossenheit des Magistrats und

�bergeordneter Beh�rden wie des s�chsischen Innenministeriums "den offenbaren

Ungehorsam meines Vertreters so zu ahnden, wie ich es verlangen musste, wenn

meine Autorit�t gewahrt werden sollte. Also hatte ich Folgerungen f�r meine Person zu

ziehen. Sie konnten nur in dem Antrag bestehen., mich aus meinem Amte zu

entlassen."

 

Im Jahre 1944 fa�te Dr. Carl Friedrich Goerdeler in einer Niederschrift im Gef�ngnis den

R�cktrittsentschluss r�ckblickend noch einmal folgenderma�en zusammen:

 

"Damals f�hrte ich den klaren Entschlu� aus, nicht die Verantwortung f�r eine

Kulturschandtat zu �bernehmen. Mendelssohns Lieder haben wir alle mit Entz�cken

geh�rt und zum Teil gesungen, ihn zu verleugnen w�re feige und l�cherlich gewesen.

 

Aber ich hoffte im Stillen, eines Tages wieder in reiner Luft dem Vaterlande dienen

zu k�nnen. Auch daf�r und f�r die Stellung des deutschen Volkes im Ausland wollte ich

meinen guten Namen wahren. Vor aller Welt hatte ich mit meinem Abschied gegen den

Sturz des Mendelssohn-Denkmals protestiert und so wurde dies auch �berall

aufgefa�t."

 

112

 

 


 

Dr., Carl Friedrich Goerdeler fiel 9 Jahre nach den Vorg�ngen der Denkmalssch�ndung

als f�hrender Widerst�ndler den Hinrichtungen, die dem 20. Juli 1944 folgten, zum

Opfer.

 

Der Dirigent Fritz Busch, der sich als Generalmusikdirektor des Dresdner Staatstheaters

der geforderten Entlassung j�discher K�nstler verweigerte und 1935 emigrierte,

kommentiert diesen Vorgang in seinen Lebenserinnerungen mit wenigen eindringlichen

Worten:

 

�In Vertretung Arthur Nikischs habe ich wiederholt im Gewandhaus dirigiert, an jener

klassischen St�tte edelster Musikpflege, auf die Deutschland stolz sein durfte, bis man

Felix Mendelssohns Denkmal und den Geist deutscher Kultur von dort entfernte�.

 

28. Ein nordischer Sommernachtstraum

Partiell erwies sich die befohlene Verneinung der Werke Mendelssohns als

unrealistisch, gemessen an den Bed�rfnissen allt�glichen kulturellen Lebens: Wie w�ren

die zahlreichen Gesangsvereinigungen des Landes der Pflege l�ngst ins

Allgemeinmusikgut eingegangener Chors�tze zu entheben gewesen? Nachhaltig aus

dem Geiste der hohen Romantik hervorgegangene Kanzonen, welche in formeller

Schlichtheit Eichendorff -Zeilen wie: �O T�ler weit, o H�hen, o sch�ner gr�ner Wald,

du meiner Lust und Wehen and�chtger Aufenthalt...� in vollkommener �bereinstimmung

von Wort und Musik interpretierten. Verboten als Entw�rfe eines �vorderasiatischorientalischen

Juden" (Eichenauer, Musik und Rasse, M�nchen 1937), wie die v�lkische

Rassenlehre Felix Mendelssohn einstufte.� ?

 

Der Nationalsozialismus f�gte sich der Verbundenheit der Liedertafel zu Mendelssohns

Chorwerk schliesslich und wies an: da� man den Vortrag dieser Sachen weiterhin

gestatte, allerdings h�tten die Ch�re zu verschweigen, wer sie komponiert hatte.

 

Das Theater sah sich durch das Verbot der romantischen B�hnenmusik zu

Shakespeares Kom�die "Ein Sommernachtstraum" erheblichen Problemen ausgesetzt.

 

Da jene im Bewusstsein des Publikums mit der Dichtung kongenial einherging und

der R�ckzug der Musik die Auff�hrungszahlen des Shakespeare-St�cks zeitweise

deutlich minimierte. So vermelden die Shakespeare-Jahrb�cher des Jahrgangs 1933

nur noch 11, des Jahres 1934 20, des Jahres 1935 wiederum 11, des Jahrgangs 1936

13, des Jahrgangs 1937 12, des Jahrgangs 1938 17, des Jahrgangs 1939 17 und des

Jahrgangs 1940 bereits 20 "Sommernachtstraum"-Produktionen an deutschen

Theatern. Auff�llig ist die gegen Ende der Drei�iger Jahre leicht ansteigende Anzahl

von Produktionen. Dies muss unmittelbar mit den nachfolgend detaillierter

beschriebenen Versuchen um Ersatzl�sungen f�r Mendelssohns verfemte Komposition

zusammenh�ngen. In den ersten Jahren des Regimes behalfen sich die Theater,

welche den R�ckgriff auf Mendelssohns Schauspielmusik nicht mehr wagten, oftmals

mit diversen Kompilationsmusiken, welche aus Barockmusikvorlagen oder romantischer

Klaviermusik zusammengestellt wurden.

 

Zwar hatte es bereits in den zwanziger Jahren einige, rein k�nstlerisch motivierte

Versuche gegeben, das Shakespeare St�ck in einem anderen musikdramaturgischen

Kontext als jenem Mendelssohns zu setzen.

 

113

 

 


 

Schauspielmusikkompositionen von August Halm und Alexander Laszlo, von dem

Dirigenten und Komponisten Bernhard Paumgartner im Jahre 1924 f�r Wien, von

Christian Lahusen im Jahre 1925 f�r Otto Falckenberg in M�nchen, und von Ernst

Krenek f�r den Dichter und Intendanten Hugo Hartung und die Heidelberger Festspiele

des Jahres 1926 erarbeitet, sind �berliefert. Aber diese Kompositionen m�ssen den

diversen Kulturfunktion�ren des NS-Regime entweder stilistisch oder hinsichtlich Person

und Abkunft der Komponisten mi�fallen haben. Oder wurden seinerzeit �ber ihren

lokalen Wirkungsbereich hinaus schlichtweg nicht wahrgenommen. Jedenfalls ist von

einem R�ckgriff auf diese Musiken anl�sslich von "Sommernachtstraum"-Auff�hrungen

des "III.-Reiches" nichts bekannt.

 

Bereits im Jahre 1934 wurden indes erste Versuche unternommen, die verfemte

Mendelssohn-Schauspielmusik durch Neukonzeptionen und Surrogate zu ersetzen.

 

Kam anl�sslich der "Sommernachtstraum"-Vorstellung der Naturb�hne M�rkisches

Museum vom 12. Juli 1934 die Begleitmusik noch von der Grammophonplatte - Titel und

Stil derselben wurden nicht �berliefert -; so wurde am 20. Juli 1934 bei den

Heidelberger Festspielen ein erster R�ckgriff auf Barockmusik von Henry Purcell

vorgenommen. Friedrich Baser forderte in einem Kommentar in der Zeitschrift "Signale

f�r die musikalische Welt" vom 5. September 1934 denn auch behende die zeitgerechte

Kreation eines "nordischen" Shakespeare-Stiles gegen die s�d�stliche"

("vorderasiatisch-orientalische"?!) Dominanz einer "semitischen" Felix Mendelssohn-

�sthetik aus der Romantik ein:

 

"Hier fiel der Musik die bedeutsamste Aufgabe zu, und schon die Wahl des

Komponisten musste nach neuen Gesichtspunkten vorgenommen werden. Galt es

doch, statt der sinnlich-pr�chtigen Musik s�d�stlicher Farbe, wie sie durch

Mendelssohns Komposition ein Jahrhundert lang restlos das Feld beherrscht hatte,

einen nordischen "Sommernachtstraum" erstehen zu lassen".

 

Ein fortw�hrender, auch �ber das Jahr 1934 hinaus bestehender, R�ckgriff auf

Kompilationen wurde dauerhaft als unbefriedigend empfunden. Somit suchten NS-

Organisationen wie das "Ministerium f�r Volksaufkl�rung und Propaganda" in Person

des Ministers Dr. Joseph Goebbels und der "Volkskulturbund Kraft durch Freude" in

Person des Reichsorganisationsleiters Dr. Robert Ley, Komponisten ersten und zweiten

Ranges zur einer definitiven Neukomposition des "Sommernachtstraums" anzuregen.

 

Der Komponist Edmund Nick war der erste, der im Zuge der eingeforderten

Neukomposition in arischem Auftrage Hand an das "Sommernachtstraum"-Sujet legte.

 

Nick verdingte sich dem Regime auch als "Bearbeiter" "rassisch" verfemter

Musikvorlagen; umgewandelt in "arisch" unbedenkliche Fassungen im Auftrage der

�Reichsstelle f�r Musikbearbeitungen� und ihres Leiters GMD Dr. Heinz . Da er, wie er

im Jahre 1964 in einem Brief an Fred Prieberg schilderte, im Zuge dessen offenkundig

"die Mendelssohn Musik sowie das "Elfenlied" von Hugo Wolf studiert hatte" konnte sein

Werk nur wenig befriedigen. Zahlreiche Theaterkritiker waren sich noch des

Mendelssohnschen Originals bewusst. Der Rezensent Fritz Stege gab in der Zeitschrift

Berliner Musik in der Oktoberausgabe des Jahres 1934, nach der Premiere von Nicks

Komposition, welche am 15. September des Jahres 1934 im Grossen Schauspielhaus in

Berlin �ber die B�hne ging, denn auch zu bedenken:

 

"Man mag gegen Mendelssohn auch berechtigte Bedenken vorzubringen haben, so

l�sst sich nicht leugnen, dass Mendelssohn den Zauber des Waldes in einer Weise

eingefangen hat, die im Stimmungsinhalt einmalig bleibt.

 

114

 

 


 

Von Mendelssohn h�tte Nick lernen k�nnen, wie man dem Wesen der dramatischen

Vorlage gerecht zu werden vermag, ohne sich auf die Abwege musikalischer

Geistreicheleien oder trivialer Salonmusik zu begeben. Ich m�chte es dahingestellt

lassen, wen von beiden der Vorwurf der Sentimentalit�t mit gr��erer Berechtigung trifft.

 

Wobei ausserdem noch festzustellen bleibt, dass Mendelssohns so genannte

"Sentimentalit�t" gar nicht in seinem Wesen, sondern nur in der F�lschung des

Auff�hrungsstils nachzuweisen ist. Nein: zum Sommernachtstraum geh�rt nun einmal

Mendelssohns Musik. Es gereicht keinem Bearbeiter zur Ehre, dieses k�nstlerische

Meisterwerk anzutasten."

 

Bemerkenswert an Steges Ausf�hrungen ist nicht allein ein gewisser publizistischer Mut

-wie eingangs dargelegt, war es angesichts indifferenter Richtlinienerfahrungen

zahlreicher Musiker und Publizisten in den ersten Jahren des Regimes allerdings noch

gefahrloser, f�r Mendelssohn einzutreten als in sp�terer Zeit. Mehr noch dessen klarer

Hinblick auf die Verf�lschung von Mendelssohns Werk durch eine, dem Musizieren in

breitem sp�tromantischen Stil verhafteten Idiom - ein Umstand, auf den allein Karl-Heinz

K�hler in sp�teren Jahren umfassend verwies.

 

Stege, ein erkl�rter Nationalsozialist, Verfechter der Rassenlehre, Parteimitglied und

�KfdK-Genosse�, versuchte sp�ter, nach Kriegsende, in �BRD�-Zeiten, sein Pl�doyer f�r

Mendelssohns "Sommernachtstraum"-Musik, also eine vergleichsweise harmlose

publizistische Aktion in Zeiten nationalsozialistischer Kompetenzwirren, als exorbitante

Heldentat zu deklarieren. So schrieb er am 7. Juni 1966 an Fred Prieberg:

 

"Vergessen ist, da� ich mehrfach Kopf und Kragen riskiert und mit einem Fu� im KZ

gestanden habe, als ich den Mut aufbrachte, 1934 �ffentlich f�r Mendelssohn

einzutreten (,..) .gegen den gesamten V�lkischen Beobachter ein

Ehrengerichtsverfahren einzuleiten usw. Und niemand wird je eine Ehrenrettung f�r

mich wagen:"

 

Immerhin wurde Fritz Stege in seinem Eintreten f�r Mendelssohns Musik, gegen Nicks

Surrogatkomposition des "Sommernachtstraum"-Sujets, von Rezensenten wie Karl

Heinz Ruppel unterst�tzt. Jener schrieb in seinem Artikel "Sommernachtstraum im

Herbst" im Hamburger Fremdenblatt vom 19. September 1934 u. a.:

 

"Die kongeniale Inspiriertheit der von Goethe so hochgesch�tzten

"Sommernachtstraum"-Musik des jungen Mendelssohn vermag Nick nicht zu ersetzen."

 

Ende September 1934 erfuhr der "Sommernachtstraum" Premiere im Stadttheater

Hagen, mit einem vom Solokorrepetitor Kurt Nichterlein vorgelegten Carl-Maria von

Weber-Arrangement.

 

Bemerkenswert dabei bleibt der erneute Versuch, stilistisch und dramaturgisch in der

von Mendelssohn musterg�ltig definierten Aura romantischen Waldeszaubers zu

verbleiben, ohne Mendelssohn spielen zu m�ssen.

 

Im Herbst des Jahres 1934 er�ffnete der Leiter der Musikabteilung der �NS-

Kulturgemeinde� (�NSKG�) und Reichsschriftleiter Friedrich W. Herzog eine erneute

Initiative seitens der NS-Machthaber, renommiertere Komponisten zur arisch-definitiven

Neukomposition des Sujets zu bewegen.

 

115

 

 


 

Das Ersuchen erging somit unter anderem an die Komponisten Werner Egk, Gottfried

M�ller, Hans Pfitzner, Rudolf Wagner-Reg�ny, Julius Weismann und Winfried Zillig.

 

Herzog sekundierte dem Ansinnen, eine Musik zu initiieren, welche Mendelssohns

Schauspielmusik endg�ltig verdr�ngen und ersetzen sollte, publizistisch in dem Aufsatz

"Eine neue Musik zum "Sommernachtstraum" vom 2. November 1934. Dabei offenbart

er unmittelbar den Zwiespalt eines v�lkisch bewegten traditionsbewu�ten deutschen

Bildungsb�rgers. Jener trug die Konventionen des deutschen Theaters und Musiklebens

und somit auch die Beziehung zum �berkommenen verehrten Shakespeareoeuvre "des

Juden" Felix Mendelssohn tief in sich und konnte, aller Versuche nationalsozialistischer

Autosuggestionen zum Trotze, schwerlich g�nzlich vom tradierten musikalischen Vorbild

loskommen:

 

"Wenn die NS-Kulturgemeinde (...) als ersten Kompositionsauftrag eine neue Musik

zu Shakespeares "Sommernachtstraum" bestellt, so will sie damit gleichzeitig einen

durch die nationalsozialistische Revolution herbeigef�hrten "Notstand" beseitigen. Denn

die Musik Mendelssohns ist im Dritten Reich mit den unumst��lich und kompromi�los

g�ltigen Gesetzen von Primat der Rasse und des Blutes nicht mehr zu verantworten.

Diese Musik ist genialisch, aber unbeschadet ihrer musikalischen Werte ist sie f�r eine

v�lkische Kulturbewegung untragbar."

 

Hans Pfitzner wies es vermittels knapper Mitteilung auf einer Postkarte zur�ck: "Es gibt

bereits eine hervorragende Musik zum "Sommernachtstraum!" und gab in sp�teren

Jahren seinem Biographen Ludwig Schrott zu Protokoll:

 

"Denken Sie, man ist an mich herangetreten und wollte, da� ich den

"Sommernachtstraum" neu komponieren solle, weil die j�dische Mendelssohn-Musik

nicht mehr tragbar sei. So etwas ist doch eine Gemeinheit! Ich habe diesen Burschen

aber heimgeleuchtet. Mendelssohns "Sommernachtstraum" habe ich erkl�rt, ist

schlechthin kongenial, eine Leistung, die der Schlegel-Tieckschen Shakespeare-

Eindeutschung gleichkommt. Ich w�re nie in der Lage, eine bessere Musik zum

"Sommernachtstraum" zu schreiben als Mendelssohn."

 

Gleichzeitig verwies Pfitzner auf den Umstand, allen sp�teren anders lautenden

rechtfertigenden Beteuerungen von "Sommernachtstraum"-Komponisten des III.

Reiches zum Trotze, das man einen entsprechenden Kompositionsauftrag

zur�ckweisen konnte, ohne Gefahr f�r Besitz, Leib und Leben zu laufen.

 

Werner Egk verwahrte sich somit des Kompositionsansinnens "mit einem gewissen

Vergn�gen mit dem Hinweis auf" (seine) "Bewunderung der musikalischen

Ausdrucksf�higkeit des jungen Mendelssohn, (...) was um diese Zeit ohne schlimme

Folgen wohl m�glich war."

(Brief an Fred Prieberg vom 6.7.1964)

 

Rudolf Wagner-R�genyi indes liess sich zur Komposition einer "Sommernachtstraum"Musik

verleiten. Wagner-R�genyi wird als Komponist heute nurmehr marginal

wahrgenommenen , machte aber nach dem Kriege in der DDR eine gewisse Karriere;

beispielsweise als Professor f�r Komposition in Ostberlin.

 

M�glicherweise haben einige Vorleistungen des Regimes den Ausschlag zu dieser

Entscheidung, den �Sommernachtstraum� �arisch� zu komponieren, gegeben.

 

So ist von Zusagen, die Rede, das Werk nach der Vollendung mit Garantiertheit im

�NSKG�-eigenen Musikverlag herauszubringen; des weiteren von der ersten

 

116

 

 


 

Ver�ffentlichung einer Wagner-R�genyi-Biographie mit dem Titel "Rudolf Wagner-

R�genyi. Bildnis eines Schaffenden", erschienen in der Musikalischen Schriftenreihe der

NS-Kulturgemeinde, mit welcher der Komponist gek�dert wurde. Auch war der Auftrag

mit einem Honorar von 2000 RM lukrativ dotiert.

 

Wagner-Regenyi versuchte nach 1945 die Willf�hrigkeit zu kaschieren, mit welcher er

mit dem Regime in der Person des musikalischen Leiters der �NSKG�, F. W. Herzog

kooperierte. So schrieb er u. a.:

 

Die "Sommernachtstraum"-Musik war ein (peinlicher) Auftrag (...) Zu Shakespeare ist

die Musik niemals gespielt worden." (Brief Wagner-Regenyis an Fred Prieberg vom

30.10.1963)

 

Wagner-Regenyis Bem�hungen um eine definitive musikalische Neufassung des Sujets

parallel, erging ein entsprechender Auftrag auch an den Komponisten Julius Weismann.

 

Beide Kompositionen erfuhren ihre konzertante Urauff�hrung in der zweiten H�lfte

des Jahres 1935 anl�sslich der �Reichstagung der Nationalsozialistischen

Kulturgemeinde� (�NSKG�) und ernteten nur verhaltene Zustimmung seitens des

Theaterbetriebes und der Presse. So schrieb der Rezensent W. Wesselhoeft in der

�K�lnischen Zeitung�, Abendblatt vom 7. Juni 1935 �ber Wagner-Reg�nyis

"Sommernachtstraum"-Opus:

 

"Seine Musik ist bewusst grob, holzschnittm�ssig, mit einfacher, dicker Linienf�hrung

und stark rhythmisch betont. Die zarten Farben, das Mondlicht, die Poesie fehlen; (...)

So bleibt das Werk im wesentlichen trocken und ohne Reiz."

 

Wesselhoefft fordert somit entschieden eine R�ckkehr des Theaters zur bew�hrt-

romantischen Auff�hrungstradition ein, freilich ohne den Namen Mendelssohn zu

erw�hnen. Dies beweist einmal mehr, wie tief das Verst�ndnis des

"Sommernachtstraum"-Stoffes in Deutschland von der musikalischen Auffassung Felix

Mendelssohns gepr�gt und verwurzelt war.

 

�hnlich erging es der Komposition Weismanns: Anl��lich ihrer B�hnenpremiere im

Stadttheater Freiburg vom 20. Oktober 1935 schrieb der Rezensent A. Weber am 11.

M�rz 1936 in erneutem R�ckverweis auf das �berm�chtig im Bewusstsein der

damaligen Zeit verankerte Mendelssohnsche Original:

 

"So hocherfreulich die Arbeit ist - und sie wird immer als wertvoller Beitrag zu diesem

Thema gewertet werden m�ssen -, so vermag sie doch nicht die Erinnerung an das

vollkommenere Vorbild zu verwischen."

 

Wagner-Regenyis "Sommernachtstraum"-Musik wurde am 1. Oktober 1935 im Theater

Harburg-Wilhelmsburg erstmalig im Zusammenhang mit einer B�hnenproduktion des

St�cks aufgef�hrt und ab dem Jahre 1938 u. a. von den Theatern in Gie�en, Gotha-

Sonderhausen und Oldenburg �bernommen. Es stimmt einfach nicht, dass dieselbe "zu

Shakespeare niemals gespielt wurde".

 

Weismanns Komposition entwickelte sich Fred Prieberg zufolge nahezu zum

Erfolgsst�ck und wurde von zahlreichen Theatern -so dem Stadttheater Hanau, dem

Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin und der Freilichtb�hne Birten bei Xanten nachgespielt.

 

 

117

 

 


 

Ungeachtet eines anf�nglich verhalten vorgebrachten Presseechos frohlockte die

�NSKG� angesichts des erfolgreich vollbrachten "Neuanfangs" b�hnenmusikalischer

"Sommernachtstraum"-Rezeption sowie des allgemeinen Durchbruchs, welche vor allem

die Weismann-Komposition noch in dem Jahre ihrer Urauff�hrung in die Theaterpraxis

erfuhr.

 

So schrieb Rudolf Sommer in dem Aufsatz "Aus der Musikarbeit der NS.Kulturgemeinde"

im "Deutschen Musikjahrbuch" des Jahres 1937:

 

"Diese beiden B�hnenmusiken sind geeignet, den Juden Mendelssohn abzul�sen."

 

F. W. Herzog versuchte nach Kr�ften, die von ihm in Auftrag gegebenen Kompositionen

Wagner-Regenyis und Weismanns bei weiteren B�hnen unterzubringen, in der

Hoffnung diese k�nnten sich als allgemeing�ltig im Theatergebrauch etablieren. Da sich

zahlreiche Theater Herzogs Bem�hungen entzogen und weiterhin auf L�sungen

setzten, welche auf Barockmusik, beispielsweise auf Werke Purcells zur�ckgriffen,

unterstellte er den Intendanten in versteckter Anspielung die Sabotage

nationalsozialistischer Erneuerungsbestrebungen. Quasi den konspirativen R�ckzug

auf das bew�hrt historische Terrain und dadurch m�glicherweise die heimliche

Solidarisierung mit dem kulturellen Erbe eines Felix Mendelssohn.

So schrieb Herzog in "Die windgesch�tzte Ecke" vom 6. M�rz 1937:

 

"Unser v�lkisches und sittliches Empfinden macht es uns (�) unm�glich, ein Werk

wie Shakespeares "Sommernachtstraum" mit j�discher Begleitmusik zu ertragen. (...)

Nun gibt es aber zahlreiche Theaterleiter, die aus Gr�nden, denen nachzugehen zu weit

f�hren w�rde, die neue Musik von vornherein ablehnen und sich lieber in die

windgesch�tzte Ecke der Vergangenheit zur�ckziehen. Der alte Engl�nder Purcell wird

pl�tzlich aus dem Historienschrein hervorgeholt und hergerichtet."

 

Nach dem Kriege versuchte auch der ehemalige �Reichsschriftleiter� F.W.Herzog,

zahllosen Repr�sentanten und Mitl�ufern des Regimes vergleichbar, sich vermittels

Behauptungen, Verdrehungen und Unterdr�ckung von Fakten der Verantwortung f�r

nationalsozialistisches Tun -in diesem Falle ein erkl�rtes Bem�hen um Ausmerzung

des "Juden" Mendelssohn aus dem Kontext deutschen Kulturlebens - zu entziehen.

 

So konstatiert er im R�ckblick auf die an Rudolf Wagner-R�genyi und Julius

Weissmann ergangenen Kompositionsauftr�ge in einem Schreiben an Fred Prieberg

vom 20. Dezember 1964:

 

"Ich kannte beide Komponisten seit Jahren und wu�te, da� sie gute Arbeit leisten

w�rden.

 

Nachdem Herzog einmal den Ansto� zur "arischen" Neuvertonung der Shakespeare-

Kom�die gegeben hatte, dr�ngten zahlreiche Theaterintendanten und Regisseure ihre

Hauskomponisten zu eigenen Neukompositionen. Das Ph�nomen gemahnt unmittelbar

an die Flut antisemitischer, mendelssohnver�chtlicher Musikpublizistik, welche nach der

Initialz�ndung des Leipziger Denkmalabbruchs im November 1936 so �berm��ig

einsetzte.

 

So schrieb der Komponist Alfred Irmler eine Schauspielmusik f�r das Deutsche

Nationaltheater Weimar, die Urauff�hrung erfolgte am 24. November 1935.

 

Der Komponist rechtfertigte sich im Jahre 1964 in einem Schreiben an Fred Prieberg

vom 4. Mai:

 

118

 

 


 

"Ob diese Musik nun mit oder ohne Auftrag geschrieben wurde, ist unwesentlich (...) Der

"Sommernachtstraum" reizt immer wieder die Komponisten, dazu die Musik zu

schreiben. (...) Das hindert mich nicht, die Sch�nheit der Mendelssohnschen

"Sommernachtstraum " Musik voll und ganz anzuerkennen. Ich bin 1935 als Dirigent der

Meininger Kapelle noch f�r sie eingetreten, trotz des Widerstandes der Parteistellen."

 

Am 9. Oktober 1935 erfuhr am Landestheater Coburg eine "Sommernachtstraum"-Musik

die Premiere, welche Werner Creutzburg, seinerzeit als Kapellmeister und

Schauspielmusiker am Theater Trier t�tig, geschrieben hatte.

 

Robert Tants, Direktor der Schauspielmusik am M�nchner Residenztheater,

komponierte das Sujet f�r eine dortige Hausproduktion, die Premiere erfolgte am 7. Juli

1936.

 

Die Waldb�hne Tannenkamp in Hannoversch-Gm�nden bem�hte Musiken f�r Streicher

von diversen nichtgenannten Komponisten des 16. Jahrhunderts und setzte dar�ber

hinaus Waldhornbl�ser ein. Die Premiere erfolgte am 13. August.

 

Hier nun eine Aufz�hlung weiterer Neukompositionen und deren Komponisten der Jahre

1936 ff; (Aufz�hlung nach Fred Prieberg):

 

Festspiele der Naturb�hne Luisenburg in Wunsiedel, Komponist Paul Oskar, Premiere

am 29. August; Schauspielhaus Hamburg, eine Reprise der Musik von Edmund Nick,

Premiere am 5. Dezember; Schauspielhaus Hannover; Komponist Siegbert Mees, die

Premiere erfolgte an Sylvester des Jahres 1936, die Produktion blieb �ber 2 Jahre Im

Spielplan; Schauspielhaus D�sseldorf, dort konfigurierte Heinz Vogt altenglische Musik,

die Premiere fand im Februar 1937 statt; Neues Theater Leipzig, dort bezog man sich

wiederum auf Purcells Musik zu "The Fairy Queen" und beauftrage den Musiker Hans

Stieber mit einer shakespearetauglichen Bearbeitung derselben; Premiere war am 26.

Februar 1937.

 

Zahlreiche Intendanten siedelten das Shakespeare-St�ck in den Jahren 1934 -37

dramaturgisch exemplarisch im Historizismus oder der Romantik an und verschlossen

sich neueren Sichtweisen hinsichtlich einer historisch wohl korrekteren,

volkst�mlicheren Deutung g�nzlich aus der R�pel-und Zotensprache bzw. einer Ebene

unausgesetzter, derber sexueller Anspielungen des Shakespearischen Originals heraus.

 

M�glicherweise verbarg sich dahinter tats�chlich der Versuch von

Theaterintendanten, sich den Zumutungen unausgesetzter Eingriffe von Parteiorganen

in die k�nstlerischen Belange und somit der notwendigen k�nstlerischen Freiheit des

Theater nahezu konspirativ zu entziehen, wie F. W. Herzog es seinerzeit vermutete.

 

Jener R�ckzug in eine von F. W. Herzog beargw�hnte "windgesch�tzte" Ecke also.

Die Musik Mendelssohns stand ihnen bei dem Bem�hen, dem St�ck die �berlieferte

romantische Aura deutscher Auff�hrungstradition zu bewahren, allerdings nicht mehr

zur Verf�gung.

 

Das Ersuchen der Intendanten an Musiker des �III. Reiches�, ein quasi

Mendelssohnsches Surrogat im romantischen Stil nachzuschaffen, verlief aber oftmals

gegen Ethos autonomen Komponierens jener Musikschaffenden. So blieb erneut nur

wieder der Ausweg der Bearbeitung von Vorlagen origin�rer, "rassisch unverd�chtiger"

Romantiker wie jene Carl-Maria von Webers.

 

119

 

 


 

So erinnerte sich der sp�ter auch als Filmkomponist hervorgetretene Bernhard Eichhorn

im Jahre 1967 Fred Prieberg gegen�ber eines seinerseits ergangenen

Kompositionsauftrages:

 

"Im Jahre 1937 wollte der damalige Intendant der s�chsischen Landesb�hne (�) auf

der Freilicht-Felsenb�hne bei Rathen (�) den "Sommernachtstraum" auff�hren. Da die

Mendelssohnsche Musik im tausendj�hrigen Reich verboten war, bat er mich, eine neue

romantische Musik dazu zu schreiben. Gut -man kann durchaus eine neue Musik

schreiben, die modern ist und dem eigentlichen -englischen Charakter dieses Werkes

in seiner naturhaften -stellenweise b�sen -Spukhaftigkeit dramaturgisch mehr

Rechnung tr�gt als eine romantische. Jedoch, man wollte durchaus eine "romantische".

Die Ehrfurcht vor der nun wirklich genialen Musik Mendelssohns verbot es mir, eine

eigene romantische Musik zu schreiben. Ich verfiel auf den Ausweg, aus (...)

Klavierkompositionen Carl Maria von Webers eine der Mendelssohnschen

einigerma�en ad�quate Musik zusammenzustellen, einzurichten und zu

instrumentieren."

 

Die Kompilationsmusik Eichhorns wurde in Rathen am 4. Juni 1937 uraufgef�hrt und

dort �ber mehrere Spielzeiten hinweg zu Shakespeares Kom�die gegeben.

 

Im Jahre 1939 wurde sie vom Komponisten f�r das Schauspielhaus Dresden

umgearbeitet und erklang dort erstmalig am 16. Februar. Auch an anderen B�hnen wie

jenen in Heidelberg (�Reichsfestspiele�, Premiere 12. Juli 1939), in Hamburg (26.

Oktober 1939) und Schneidem�hl (8. November) sollte Eichhorns Version von

"Sommernachtstraum"-Musik im Original oder in Neufassungen zum Einsatz kommen.

Eichhorn komponierte nach dem Krieg u. a. die Filmmusik zu Helmut K�utners

"Schinderhannes"-Melodram aus dem Jahre 1957.

 

Am 28. Dezember 1937 stellte das Kurm�rkische Landestheater Luckenwalde eine

"Sommernachtstraum"-Musik des Berliner Kapellmeisters Theo Knobel vor. Im Mai 1938

wiederum wurde von den St�dtischen B�hnen K�nigsberg eine Komposition des

dortigen Chordirektors Egon B�lsche vorgestellt, welche erneut versuchte, das Problem

vermittels ersatzweise erfolgenden R�ckgriffs auf romantische Instrumentalmusik zu

bew�ltigen. Jener hatte offenkundig "den guten Einfall gehabt, aus wenig bekannten

Werken Carl Maria von Webers einen Kranz herrlicher Melodiebl�ten zu winden und die

unsterbliche Dichtung damit zu schm�cken." Nat�rlich sei darin auch "die "blaue Blume"

der Romantik, haupts�chlich aus "Euryanthe" und "Oberon" bezogen" gewesen, wie der

Rezensent Hans Wyneken im Jahre 1938 "Aus den K�nigsberger Theatern" in der in

Berlin herausgegebenen Zeitschrift "Die Musikwoche" vom 11. Juni 1938 berichtete.

 

Das Theater Erfurt brachte im Jahres 1938 die "Sommernachtstraum"-Musik op. 14 von

Ernst Roter aus dem Jahre 1920 neu heraus und stellte sie anl�sslich der Premiere vom

 

6. April in Anwesenheit des Komponisten dem Publikum vor. Auch das Staatstheater

W�rttemberg griff noch im gleichen Jahre auf diese Version zur�ck.

Im Jahre 1938 machte sich gar ein Engl�nder daran -der junge Komponist Walter

Leigh -das Sujet f�r die Belange des nationalsozialistischen Kulturbetriebs tauglich

musikalisch aufzubereiten. Leigh komponierte eine dem Schulorchester der auf Schlo�

Bieberstein in der Rh�n residierenden Hermann-Lietz-Schule gewidmete Suite in

Sinfonietta-Besetzung. Das Orchester wurde schliesslich sogar eingeladen, die Suite

Leighs im Ausland, genauer: in mittel- und s�denglischen Internatsschulen aufzuf�hren.

Leigh fiel im Jahre 1942 in Nordafrika im Kampf gegen die Deutschen.

 

120

 

 


 

Damit wurde das Moment fortschreitender, zielstrebig vorgenommener Mendelssohn-

Entw�hnung erstmalig in die so wesentliche Ebene der Jugendmusikpflege

hineingetragen. Dem Regime war es offenkundig nicht nur darum zu tun, den "Juden"

Mendelssohn aus der Erinnerung �lterer Generationen von Kulturfreunden zu

verdr�ngen; auch eine Begegnung der Jugend mit ihm und seinem Werk sollte also

kategorisch vermieden werden. Leigh, der seine musikalische Ausbildung in

Deutschland absolvierte und an der Berliner Musikhochschule bei dem sp�ter

gewaltsam entfernten und in die Emigration getrieben Paul Hindemith studierte, machte

sich dadurch faktisch zum Helfershelfer der kulturpolitischen und propagandistischen

Ziele des Regimes.

 

Gleichsam im Bereich der NS-Jugendmusikpflege, also im Bem�hen um Unterbindung

jedweden Kontaktes der damaligen deutschen Jugend zum Werke des um die

Musikp�dagogik dieses Landes so verdienten Felix Mendelssohn Bartholdy, t�tig war

Hilmar H�ckner.

 

Er trug als Musikp�dagoge f�r die Pflege der Tonkunst an den Landschulheimen des

Kreises Fulda, darunter auch Schlo� Bieberstein, Verantwortung und gab somit im

Jahre 1938 eine Suite von 10 Tanzs�tzen heraus, welche er der "Fairy Queen"-Musik

Henry Purcells entnommen hatte. F. Mahling attestierte der Kompilation in "V�lkische

Musikerziehung", Berlin, Leipzig vom 6. Juni 1938 dass sie, " zwar eine ganz andere

Haltung zeigt, als die im 19. Jahrhundert so beliebte B�hnenmusik Mendelssohns, es

aber gerade deshalb wohl verdient der Vergessenheit entrissen und wieder praktisch

verwendet zu werden."

 

Es mutet nachgerade als musikhistorische Ironie an, dass man sich im Vollzuge von

Bestimmungen der NS-Kulturpolitik darum bem�hte; Komponisten und deren Musik der

Vergessenheit zu entrei�en, um einen anderen Komponisten willentlich der

vollst�ndigen Vergessenheit anheimgeben zu k�nnen.

 

Nun des weiteren eine Aufz�hlung von "Sommernachtstraum"-B�hnenproduktionen

sowie den dazugeh�rigen Schauspielmusikern aus dem Jahre 1938. Als Quelle dient

wieder Fred Prieberg.

 

Hannover, 1. Januar/ Siegbert Mees; Bonn, 4. Januar/ Robert Tants; Stendal, 9. Januar/

Heinz Joachim Fritzen; Erfurt, 6. April/ Ernst Roters; K�nigsberg, 14. Mai/ Kompilation

von Musik C. M. von Webers durch Egon B�lsche; Felsenb�hne Rathen, 4. Juni/ die

Kompilation von Musik C. M. von Webers durch Bernhard Eichhorn; Berlin-

Friedrichshagen, 17. Juni/ Leo Spies; Hungerturm-Festspiele Priebus, 18. Juni/ Helmut

Bernert; Baden-Baden, 7. Juli/ Edmund Nick; Marburg, 13. Juli/ Kompilationsmusik aus

der Symphony Nr. 9 in e-moll "Aus der neuen Welt" Antonin Dvoraks und Edvard Griegs

Norwegischem Tanz (Eselstanz); Koblenz, 16. September/ Leo Spies; Allenstein, 17.

September/ Leo Spies; Gie�en, 28. September/ Rudolf Wagner-Reg�nyi; Gotha-

Sondershausen, 3. Oktober/ Rudolf Wagner-Reg�nyi; Oldenburg, 21. Oktober/ Rudolf

Wagner-Reg�nyi; Stuttgart, 25. Dezember/ Ernst Roters; Deutsches Volkstheater Wien,

 

31. Dezember/ Ludwig Maurick.

Im Anschluss die Produktionsdaten der "Sommernachtstraum"-Inszenierungen des

Jahres 1939:

 

121

 

 


 

Prinzregenten-Theater M�nchen, 2. Januar/ Robert Tants; Linz, 14. Februar/ Robert

Tants; Dresden, 16. Februar/ C. M. von Weber-Kompilation durch Bernhard Eichhorn;

Essen, 28. Mai/ Winfried Zillig; Reichsfestspiele Heidelberg, 12. Juli/ Neufassung der C.

 

M. von Weber Kompilation von Bernhard Eichhorn; Elbing, 5. August/ kein Komponist,

Arrangeur genannt; Bremen; 6. September/ Theodor Holterdorf; Regensburg, 13.

September/ Paul-Oskar Nebelsiek; Burgtheater Wien, 20. September/ Franz Salmhofer;

M�nster, 26. September/ Wolfgang R��ler; Frankfurt am Main, 14. Oktober/ Carl Orff;

Hamburg, 26. Oktober/ C.M.von Weber Kompilation von Bernhard Eichhorn;

Schneidem�hl, 8. November/ C.M.von Weber Kompilation von Eichhorn; G�ttingen, 7.

Dezember/ Carl Orff; Weserm�nde, 25. September/ Theodor Holterdorf.

Von welcher Seite man es auch angehen mag; bleibt offen: war es k�nstlerische

Profilierungssucht und Karrierismus, v�lkisch-rassistische �berzeugungstat,

indifferentes Mitl�ufertum oder schlichtweg politisch-�sthetische Unbedarftheit als

Beweggrund?

 

Alle diese Komponisten, Arrangeure und Schauspielmusikdirektoren machten sich

schuldig. Schuldig des Tatbestandes, als willf�hrige Helfershelfer eines inhumanem,

m�rderischen, rassistischen Regimes zur Hand gewesen zu sein, um einem verbrieften

Kapitel deutscher Theatergeschichte, also deutscher Kulturgeschichte letztendlich den

Bezug auf ein zentral bedeutsames Werk des Komponisten Felix Mendelssohn

Bartholdy auszutreiben. Eine Schuld, welcher man sich, wie in so vielen Bereichen der

NS-T�terschaft unisono geschehenem, nach 1945 zumeist weder zu stellen, noch

einzugestehen und aufzuarbeiten bereit war. Auch dies mangelnde Schuldbekenntnis

hinsichtlich t�tiger Ausmerzung von lebendiger gewachsener kultureller Tradition ist ein

wesentlicher Aspekt der so lange Zeit nachgeradezu verhinderten, vermi�ten

ausgleichenden Rehabilitation des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy.

 

Fred Prieberg bringt dies Ph�nomen v�lkisch-kulturellen Exorzismus und die Schuld der

musikalischen Helfershelfer trefflich auf den Punkt, indem er zu dem Schlu� kommt,

"da� s�mtliche neuen "Sommernachtstraum"-Musiken zwischen 1933 und 1945 -so

viele wie nie zuvor oder danach in einem Jahrdutzend -nur eine einzige Aufgabe hatte:

Mendelssohn zu ersetzen. Wer auch immer in dieser Periode mit einer Partitur zu

Shakespeares Werk befa�t war, trug wissentlich und willentlich dazu bei, den "Juden"

Mendelssohn abzuschaffen. (...) Da� Musiker weithin den politischen Stellenwert ihrer

Beteiligung an der historischen Liquidierung Mendelssohns nicht begriffen, wofern sie

ihre Beteiligung sp�ter nicht �berhaupt bestritten, lehrt eine andere Episode vielleicht

noch eindringlicher"

 

Dennoch wurde keine der genannten Kompositionen theater�bergreifend als dauerhaft

befriedigend eingesch�tzt, wurden sie vielmehr als lokale Verlegenheitsl�sungen

angesehen. Keine derselben konnte den Rang einer spezifischen, "g�ltigen",

allgemeinverbindlichen Vertonung des Sujets einnehmen, so wie Mendelssohns

"Sommernachtstraum"-Musik bis zum Beginn des "III.-Reiches" ja empfunden wurde. So

war es �berdies auch eine offenkundige grosse Ausnahme hinsichtlich eines

musikalischen Gesamtwerkes, dessen Wertsch�tzung ja aus Gr�nden einer

umfassenden Nivellierung bereits vor 1933 erheblich im Schwinden begriffen war.

 

Der Rezensent Hans Wyneken erhob in der �Deutschen Musikwoche� VII vom 29. Juli

1939 im R�ckblick auf die �Heidelberger Reichsfestspiele� (dort spielte man ja die

Weber-Kompilation Eichhorns) denn auch die Frage nach einer definitiven

Neuvertonung des Sujets:

 

122

 

 


 

"Trotz alledem bleibt der Wunsch nach einer ganz neuen, auf eigenen F�ssen

stehenden Sommernachtstraum-Musik offen. Wer schreibt sie?"

 

29. Von bajuwarischen Sommernachtstr�umen

Neben Rudolf Wagner-Regenyi erbot sich mit Carl Orff der einzig prominente Komponist

den Machthabern zur Komposition des "Sommernachtstraumes"; ja der einzige, dessen

Prominenz eingeschr�nkt bis in unsere Tage andauert. Freilich nur aufgrund eines

einzigen Werkes, jener Cantiones profanes nach der alten Benediktbeurischen

Handschrift "Carmina Burana", deren ungemein erfolgreicher Premiere in Frankfurt am

Main im Jahre 1937 der Komponist einen kometenhaften Aufstieg verdankte.

 

Die Initiative zu einer weiteren "Sommernachtstraum"-Vertonung ging vom

Generalintendanten der Frankfurter B�hnen Hans Meissner aus. Er schlug dem

Frankfurter Oberb�rgermeister in einem Schreiben vom 2. April 1938 dabei auch

sogleich Carl Orff als Komponisten vor. Der Intendant, dessen Stellvertreter, SS-

Obersturmbannf�hrer Frank Bethge und der Frankfurter Oberb�rgermeister, Dr. Fritz

Krebs, welcher auch Kreisleiter der �NSDAP� Frankfurt und Pr�sidialratsmitglied der

�Reichsmusikkammer� war, stimmten vollkommen in der Ansicht �berein, dass diese

Komposition den Rang der Allgemeing�ltigkeit f�r alle deutschen Theater einnehmen

m�sse. Meissner schrieb als an Dr. Krebs:

 

"Die Auff�hrung von Shakespeares "Sommernachtstraum" scheitert immer wieder

daran, da� noch keine Musik geschaffen ist, die der k�nstlerischen H�he der Dichtung

ebenb�rtig ist. Ich m�chte vorschlagen, dem M�nchner Tondichter Carl Orff, der durch

die "Carmina Burana" die pers�nliche Eigenart seiner musikalischen Erfindungs-und

Gestaltungskraft unter Beweis gestellt hat, mit der Schaffung einer Musik zu

Shakespeares Dichtung zu beauftragen."

 

Die Selbstverst�ndlichkeit der Einklagung eines Vakuums, eines Mangels, der

Einforderung einer Komposition des Sujets -quasi so, als ob es eine Musik

Mendelssohns zu diesem Thema niemals gegeben h�tte -durch Meissner, beweist, wie

sehr sich auch dieser bedeutende Theatermann bereits korrumpiert hatte. Wie gro�

dessen willentliche und wissentliche Bereitschaft ausgepr�gt war, an einem Vorgang

teilzuhaben, den Fred Prieberg als "sch�pferische Verdr�ngung Mendelssohns"

bezeichnete.

 

Prieberg konstatierte also des Weiteren zu Recht: "Denn sch�pferische Verdr�ngung

Mendelssohns -und das ist mehr als blo�e Austreibung -geh�rte zu den zentralen

Zielen der NS-Musikpolitik. Ohne emsige Beihilfe durch Regisseure, Intendanten,

Komponisten und Kapellmeister w�re sie schon im Ansatz gescheitert, wogegen eben

erst diese t�tige Unterst�tzung suggerierte, der Zweck sei rechtens und daher eine

gleichsam historisch bedingte Erscheinung."

 

Die Idee Dr. Krebs, die Komposition in einem Wettbewerb hochrangiger Komponisten gedacht

war dabei an Orff, Herrmann Reuter und Werner Egk, wurde dabei von

Meissner als kontraproduktiv verworfen.

 

Carl Orff akzeptierte, in der Hoffnung auf dauerhafte Patronage seitens jener

hochrangigen Frankfurter �NSDAP�-Funktion�re, ein Honorar von 5000 RM und machte

sich an eine archaisch eingestimmte Vertonung des Sujets.

 

123

 

 


 

In einem Dankschreiben an Oberb�rgermeister Dr. Krebs vom 10. Juli 1938 best�tigte

er die Auftrags�bernahme:

 

"Sehr geehrter Herr Staatsrat! Ich empfing heute mit gro�er Freude die

Auftragserteilung zu einer Musik zu Shakespeares Sommernachtstraum durch Herrn

Generalintendanten Mei�ner, und ich danke Ihnen au�erordentlich f�r das wiederum

bewiesene Vertrauen. Ich freue mich sehr, die handschriftliche Partitur nach

Fertigstellung der Arbeit der Stadt Frankfurt am Main �bergeben zu k�nnen, denn ich

verdanke der Stadt und damit Ihnen, sehr verehrter Herr Oberb�rgermeister, eine

entscheidende k�nstlerische F�rderung und bin gl�cklich, da� ein weiteres Werk von

mir in Ihrem Theater zur Auff�hrung kommen soll.

 

Mit ergebenen Gr�ssen, Heil Hitler!"

 

Die Orffsche Komposition wurde nach ihrer, wahrscheinlich Mitte Oktober 1938 erfolgten

Premiere von der Presse nachgeradezu hymnisch aufgenommen. So schrieb der

Rezensent Walter Dirks in der "Neuen Musikzeitung" von November 1938 von der

Entt�uschung jener "die zu sehr an den durch Mendelssohn vorgepr�gten Vorstellungen

festhielten, vielleicht auch" (jener) "denen eine Musik von Shakespearescher seelischer

M�chtigkeit vorschwebte. Von solchen Anspr�chen mu� man absehen, wenn man

w�rdigen will, was Orff geleistet hat: eine f�r heute und viele Jahre g�ltige praktikable,

w�rdige und durchaus angemessene Musik dienender Haltung. Es ist Orff gegl�ckt, f�r

die mancherlei Situationen in den verschiedenen Sph�ren des zauberhaften Werkes (in

der h�fischen, der elfischen, der panischen, der R�pelsph�re) ungemein treffende

Formulierungen zu finden."

 

Fred Prieberg weist noch 9 weitere positiv ausgefallene Rezensionen in Zeitungen des

gesamten damaligen Reichsgebietes nach, ein Zeichen daf�r, dass die Urauff�hrung

des Orff-Werkes als ein Theaterereignis �berregionalen Ranges angesehen oder von

den NS-Institutionen Frankfurts zumindest reichsweit propagandistisch als solches

lanciert wurde.

 

Im Gegensatz zur Presse reagierten die Theater eher verhalten auf die Vorstellung einer

weiteren "Sommernachtstraum"-Partitur. So werden bei Fred Prieberg nurmehr 4

weitere B�hnen genannt, welche auf die Orffsche Komposition in der Originalgestalt

oder in einer Bearbeitung durch den Komponisten zur�ckgriffen: die Theater in

G�ttingen (Dezember 1943), in Karlsruhe (1940), Mainz (1943) und Leipzig (1944).

 

Der Komponist behauptete sp�ter, sich bereits 1917 und auch vor 1933 mit dem

"Sommernachtstraum"-Sujet auseinandergesetzt zu haben und suggerierte dadurch,

dass das Werk somit innerhalb seines Oeuvres quasi organisch herangereift sei. Dass

demselben kein nationalsozialistischer Hintergrund oder eine gezielte Mendelssohn-

Verdr�ngung gar, unterstellt werden k�nne.

 

Fakt ist, dass Orff das Werk in Zeiten des �III. Reiches� komponierte, vorstellte und

mehrfach umarbeitete, so liegen Fassungen aus den Jahren 1943 und 1944 vor.

 

125

 

 


 

Der Orffsche Sommernachtstraum wurde bereits im Jahre 1938 in dessen "Hausverlag"

 

B. Schotts S�hne in Mainz verlegt, welcher zur Urauff�hrung etwas voreilig bereits 300

Klavierausz�ge zur Ansicht in den Theatern und im Jahre 1944 weitere 400

Klavierausz�ge einer bearbeiteten Fassung vorlegte. Weitere Retuschen des Werkes

datieren aus dem Jahre 1952.

Und dies das Novum dieser Komposition aus einer langen Reihe von denselben

unseligen Anlasses (insgesamt 44 neue, ersetzende B�hnenmusiken hat Prieberg

recherchiert): es war die einzige, welche nach 1945, in der BRD noch und wieder

gespielt wurde. Dabei wirkten 2 Umst�nde zusammen. Ein namhafter, erfolgreicher

Komponist, welchem seine Verstrickungen in Ereignisse und Machenschaften der NS-

Zeit offenkundig nichts anzuhaben vermochte. Sowie dessen "gut eingef�hrte(r),

m�chtige(r), und seine Werbe-und Wirtschaftskraft nach dem Zusammenbruch des

Reiches erst recht aufbauenden Gro�-Verlegers" (Prieberg), welcher das Werk

zugkr�ftig an die deutschen B�hnen lancierte. Ungeachtet der Tatsache, das zur ersten

B�hnenproduktion nach dem Zusammenbruch der Hitler-Diktatur im Dezember 1945

wieder Felix Mendelssohn gegeben wurde.

 

Des Bem�hens um eine neue Einzigartigkeit der Orffschen "Sommernachtstraum"Musik

durch Frankfurter NS-Funktion�re zum Trotze entstanden auch nach

Fertigstellung derselben an deutschen B�hnen noch weitere Fassungen. So beauftragte

der legend�re Theatermann Dr. Saladin Schmitt im Fr�hjahr 1940 den

Hauskomponisten des Bochumer Schauspielhauses Emil Peters mit einer B�hnenmusik

zum "Sommernachtstraum", Sie wurde am 24. M�rz 1940 uraufgef�hrt. Der Komponist

lehnte eine vollst�ndige Neukomposition des Themas allerdings ab -aus

eigensch�pferischen Skrupeln gegen eine offenkundige Mendelssohn-Verdr�ngung

heraus? - und griff ein weiteres Mal auf Kompositionen Carl Maria von Webers zur�ck.

 

Der namhafte Regisseur Franz Stroux brachte das St�ck am 20. September 1939 am

Wiener Burgtheater mit der bereits genannten Musik Franz Salmhofers heraus. Am 18.

Januar 1940 erschien das Werk am Stadttheater Wilhelmshaven mit der gleichsam

bereits erw�hnten Musik Theodor Holterdorfs auf der B�hne; Bielefeld sah das gleiche

St�ck am 13. April 1940 mit der Musik von Adam Rauh. Am 30. April 1940 re�ssierte

eine Musik von Konrad Brenner am Theater Ulm; am 1. Mai jene von Franz Binder in

Karlsbad.

 

All diesen L�sungen zum Trotze konstatierte Rudolf Sonner in "Musikstadt Wien" vom 6.

M�rz 1939 anl�sslich einer Sylvestervorstellung des "Deutschen Volkstheaters" in Wien

weiterhin die dringliche Notwendigkeit neuer "Sommernachtstraum"-Kompositionen.

 

Dabei versuchte er nach Kr�ften das �berm�chtig pr�sente Vorbild Mendelssohns,

unter zeitgeistgerecht perfidem R�ckgriff auf ein Vokabular v�lkisch-rassistischer

Schm�hung und pure Behauptungen, nach Kr�ften zu demontieren:

 

"Die unwirklich-wirkliche Welt des "Sommernachtstraums", die Shakespeare in dieSch�nheit seiner Verse gebannt hat, der kraftvolle Humor, der �bermut und die zarte

Innigkeit, all das gibt einem echten Musiker Gelegenheit zu einer Begleitmusik, ja fordert

eine solche geradezu heraus. Gewisse Kr�fte trauern heute noch der

Sommernachtstraum-Musik des Juden Mendelssohn nach und tun so, als bedeute ein

Verzicht auf diese einen unwiederbringlichen Verlust.

 

126

 

 


 

Mendelssohn war ein Exponent des Judentums, und darum wurde seine Musik so

aufdringlich in den Vordergrund geschoben. Ihren Gehalten nach hat sie das gar nicht

verdient; denn schon die Ouvert�re ist ein billiges Potpourri gestohlener Themen von

Johann Rudolf Zumsteeg und C. M. von Weber, verkittet mit franz�sischer Ballettmusik.

Nichts von dieser mauschelnden Geschw�tzigkeit findet sich in der neuen

Sommernachtstraummusik von Ludwig Maurick."

 

Otto Falckenberg, der ber�hmte Intendant der M�nchner Kammerspiele schliesslich

verlagerte anl�sslich einer Neuinszenierung im Fr�hjahr 1941 die Problematik

beflissentlich von der unumg�nglich bestehenden Ebene kulturpolitischer Doktrinen auf

eine solche rein �sthetischer Argumentation. Er sprach Mendelssohns Musik

schlichtweg die Eignung einer B�hnenmusik zu Shakespeares Werk ab:

 

"Mendelssohn hat gar nicht versucht, eine wirkliche Traummusik zu schreiben. Seine

Musik ist thematisch klar durchgearbeitet und von einer Konsequenz, die der Logik oder

Unlogik des Traums nicht entspricht". (Der neue Sommernachtstraum, �M�nchner

Neueste Nachrichten� v. 16. M�rz 1941)

 

Dar�ber hinaus deklariert Falkenberg Mendelssohn als reinen Klassizisten und spricht

ihm somit die Teilhabe an der deutschen Romantik ab; ja unterstellt ihm gar, als

Romantiker und B�hnenkomponist eklatant versagt zu haben. Zur M�nchner

Neuinszenierung des Sommernachtstraumes erklang schliesslich eine Neukomposition

von Gerhard M�nch.

 

Das Jahr 1944 schliesslich brachte noch zwei weitere Kompositionen zu Shakespeares

St�ck hervor. Hilde Pfeiffer-D�rkorp arrangierte Musik des Rudolst�dter

Barockkomponisten Philipp Heinrich Erlebach zu einer Inszenierung des

Braunschweiger Staatstheaters im Park von Salve Hospes, welche am 16. Juli 1944 ihre

Premiere hatte.

 

Eine weitere Komposition von den H�nden Franz Anton Wolperts, eines Dozenten des

Mozarteums in Salzburg erfuhr kriegsbedingt nur noch eine konzertante Auff�hrung der

Ouvert�re am Mozarteum.

 

Dies stellt wohl den Endpunkt dar im Bestreben, ein unbestrittenes, tief im Denken und

Empfinden der Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts verankertes Meisterwerk

r�ckstandslos zu eliminieren. Es mitsamt dem Komponisten ein f�r allemal historisch zu

entsorgen. Nun, die Sommernachtstraum-Musik d�rfte weiterhin zu den bekanntesten

und beliebtesten Werken des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy z�hlen. Keine

der vom Regime anbefohlenen und eilfertig vollf�hrten Surrogatmusiken konnte sich

nach 1945 als ernsthafte Alternative b�hnenpraktisch behaupten.

 

Carl Orffs Komposition zumindest konnte sich, mit t�tiger Unterst�tzung eines

einflu�reichen Musikverlages in den Kulturbetrieb der BRD hin�berretten. Wurde von

diesem in einem demokratisch orientierten Staat mit einer Selbstverst�ndlichkeit als

hochrangiges Kulturgut verbreitet, als h�tte es das auftraggebende verbrecherische

Regime niemals gegeben. Als w�re sie niemals aus dem Bestreben der Beihilfe heraus,

Felix Mendelssohn Bartholdys Werk endg�ltig zu eliminieren entstanden.

 

127

 

 


 

Als h�tte Orff die blumig verklausulierte Auftragsbest�tigung niemals mit einem

schneidigen "Heil Hitler" unterzeichnet. Aber auch sie ist mittlerweile Vergangenheit,

musikalisch dahingeschieden, tot; Nebenerzeugnis eines bayerischen Kleinmeisters,

welcher lediglich mit einer spektakul�ren Komposition sowie in einem Schulwerk f�r

Kinder im Bewusstsein der Musikfreunde pr�sent ist. Rudolf Wagner-Reg�ny, dem

einzigen Komponisten neben Carl Orff mit einer gewissen Prominenz versehen, welcher

sich auf das nationalsozialistische Ansinnen einlie�, gelang mit seiner Komposition nicht

einmal der Sprung in die Nachkriegszeit. Der Musikverlag der �NS-Kulturgemeinde�,

welcher das Werk herausbrachte, fand mit dem Regime gemeinsam sein folgerichtiges

Ende und erfuhr nach dem Kriege keine Neugr�ndung.

 

In seinem Standardwerk "Musik im NS-Staat" schliesst Fred Prieberg das Felix

Mendelssohn gewidmete Kapitel denn auch mit der kurzen, betont n�chtern gehaltenen

Erkl�rung: �Die Sommernachtstraum-Musik indessen hat die F�hrer des

Nationalsozialismus und ihre Politik der sch�pferischen Liquidierung unbeschadet

�berstanden�.

 

Intermezzo VI: "Die hohe Schule" II oder "Musik in Geschichte und Gegenwart"

 

Prieberg irrte in diesem Punkt nachweislich. In der BRD herrschte ein uns�gliches

Klima z�gig vorgenommener Restauration vor. Jenes erschlo� einstigen,

nationalsozialistisch ausgepr�gten Eliten der Bereiche Politik, Milit�r, Rechtswesen,

Medizin, Kultur und akademische Bildung im Zeichen unbedingten f�rderalistischen

Wohlfahrtsbestrebens sowie der Anbiederung an die USA in steigendem Ma�e neue

Wirkungskreise. So gew�hrleisteten musikpublizistische Koryph�en, getreuliche Diener

oder Mitl�ufer des gefallenen Regimes, nicht zuletzt auch die ungebrochene Kontinuit�t

eines an�misch gezeichneten Mendelssohn-Bildes.

 

Dies Ph�nomen eingehender darzulegen, wollen wir uns an dieser Stelle ein

wesentliches Fundament, einen Bestandteil musikalisch-akademischen Lehrens in der

BRD nach 1945 auf seine Substanz, seine Verwurzelung zur�ck in Zeiten des NS-

Regimes hin betrachten.

 

Im Jahre 1949 ver�ffentlichte der B�renreiter-Verlag in Kassel den ersten Band einer

neuzeitlich-musikalischen Enzyklop�die, welche unter dem Titel "Musik in Geschichte

und Gegenwart" (�MGG�) re�ssierte. Als Herausgeber wirkte der hochangesehene

Freiburger Musikwissenschaftler Friedrich Blume. Die Edition war auf insgesamt 20

B�nde angelegt, deren Folgever�ffentlichungen sich bis in die sechziger Jahre

hinziehen sollten. Die Creme zeitgen�ssischer deutscher Musikwissenschaft wurde in

die Erarbeitung der Enzyklop�die eingebunden; ausgesuchte europ�ische und

amerikanische Musikologen sekundierend herangezogen. �MGG� z�hlte, als

Kompendium, verbindliche Quintessenz musikwissenschaftlichen Strebens mehrerer

Generationen verstanden, zum Grundbestand jedweder musikalischer Bildung und �

Lehre der �BRD� und war somit als Bestandteil jeder seri�s konzipierten Bibliothek

eingegliedert. Der Anteil, von der Edition B�renreiter zu erheben am Verdienst, ein

Bildungsgut von so zentraler Bedeutung, weit reichender Folgewirkung konzipiert und

realisiert zu haben, ist allerdings kein entscheidender.

 

128

 

 


 

"Musik in Geschichte und Gegenwart" wurde vielmehr als Projekt der "Hohen Schule"

innerhalb des Amtes Rosenberg in Auftrag gegeben, erste konzeptionelle Dispositionen

lassen sich bereits f�r August 1939 nachweisen. Als Projektleiter agierte der im

Zusammenhang mit dem �Lexikon der Juden in der Musik� bereits genannte Heinz

Gerigk; als Autoren wurden u. a. die Musikwissenschaftler Friedrich Blume, Wolfgang

Boetticher, Werner Danckert, Karl Gustav Fellerer, Prof. Rudolf Gerber, Ewald

Jammers, Prof. Hellmuth Osthoff, Erich Schenk, Heinrich Schole, Erich Schumann und

Rudolf Sonner verpflichtet. Alle hier genannten hatten sich zu diesem Zeitpunkt bereits

innerhalb musikanthropologischer oder kultur-rassetheoretischer Projekte des

Nationalsozialismus profiliert. Die Teilnahme einer von Gerigk herausdefinierten Elite

nationalsozialistisch-musikideologischer �berzeugung an einem von der Parteileitung

zum Renommier-Projekt erkl�rten enzyklop�dischen Vorhaben wurde von den

Sicherheitsdiensten dementsprechend abgesegnet.

 

Friedrich Blume, Ewald Jammers und Karl Gustav Fellerer waren des weiteren auch im

Rahmen des SS-Projektes Ahnenerbe t�tig. Blume betreute dar�ber hinaus auch eine

Publikationsreihe des Namens: �Schriften zur musikalischen Volks-und Rassenkunde�.

Karl Gustav Fellerer wiederum entlarvt sich in Briefdokumenten privater Natur als

schneidiger, nationalsozialistisch engagierter, akademischer Intrigant und Karrierist. So

verh�hnte er den mi�liebigen j�dischen Akademiker Fischer als �Schweizer Idioten�,

frohlockte im August 1939 wohl informiert (also exorbitant regimenah!), ein polnischer

Professor namens von Oulikovski mitsamt seinen Landsleuten bez�ge daf�r, das er

dem �Idioten� Fischer die Stange gehalten habe, "bald die entsprechende Abreibung�. Er

belobigte die Projektleitung Herbert Gerigks f�r MGG nach der Pr�misse des erprobten

�F�hrerprinzips� und insistierte auf die Definition �neue(r) Gesichtspunkte und

Nachschlagworte� zur Unterscheidung von �den �brigen, eingekalkten Lexika�, damit

�man (...) zum Stammhaften und Rassischen (...) (Sippe)� vorsto�en k�nne. Die Briefe

schlie�en erwartungsgem�� mit �Heil Hitler!�

 

Im Februar 1940 vermeldete Gerigk dem designierten Autor Prof. Rudolf Gerber (ein

�begeisterter Nationalsozialist�/ Eva Weissweiler) emphatisch, da� �der F�hrer befohlen�

habe, �da� auch in der Kriegszeit namentlich die Forschungsarbeit weitergef�hrt

werden� sollte und der Enzyklop�die daher derzeit �f�r die einzelnen Teilgebiete (...) aus

unserer Stichwortkartei die Listen der bisher erfa�ten Namen und Stichworte

zusammengestellt� w�rden und �insgesamt bereits (...) die Zahl von 20000

�berschritten� sei. Die wissenschaftliche Integrit�t der Projektverantwortlichen erscheint

nicht zuletzt dadurch zunehmend in Zweifel gezogen, da� jene besagten 20000 Namen

und Stichworten, zugrunde liegende Systematik vollst�ndig den Enzyklop�dien

Riemanns, H. J. Mosers sowie des im Jahre 1926 herausgegebenen �Neuen

Musiklexikons� des j�dischen Musikwissenschaftlers Alfred Einstein entlehnt worden

war. Ende des Jahres 1943 k�ndete der B�renreiter-Verlag, Kassel die absehbare

Publikation von �Musik in Geschichte und Gegenwart� an und nannte Friedrich Blume

nunmehr als Herausgeber. Die Kriegswirren des Jahres 1943, welche vermittels

unausgesetzter alliierter Bombenangriffe auf deutsche St�dte nunmehr zunehmend

auch deutsches Kerngebiet erreichten, bedingten die Auslagerung des Amtes Musik und

seiner Aktivit�ten in sichere Provinzst�dte. W�hrend Gerigk mit der Beh�rde nach

Schlesien abwanderte, wurde der Gesamtbestand bisheriger "MGG"-Recherche an die

 

129

 

 


 

Universit�t Kiel delegiert, welche sich kriegsbedingt mittlerweile zur Dependance der

"Hohen Schule" entwickelt hatte und mit Blume �ber eine renommierte, langj�hrig

verdiente akademische Kraft verf�gen konnte. Ob Blume von den Beh�rdenvorst�nden

Rosenberg oder Gerigk umst�ndehalber mit der Edition von �MGG� betraut wurde oder

ob es jenen m�glicherweise aus den H�nden geglitten war und sich Blume den zur

Fortsetzung der Erarbeitung der Enzyklop�die notwendigen Parteisegen anderweitig zu

verschaffen verstand, ist nicht mehr nachzuvollziehen. Rivalit�ten zwischen gem��igt

nationalsozialistisch infiltrierten Akademikern wie Friedrich Blume, Hans Joachim Moser

und Schole einerseits und erkl�rt-ideologischen �berzeugungst�tern wie Gerigk,

Boetticher, Fellerer, Gerber etc. sind aktenkundig; so wurde Blume beispielsweise Mitte

des Jahre 1940 das designierte Referat protestantischer Kirchenmusik in �MGG�

zugunsten Gerbers wieder entzogen.

 

Das Gerigk sich noch im April des Jahres 1944 hartn�ckig um die Frontbefreiung

wesensverwandter nationalsozialistischer Wissenschaftler wie Fellerer, Gerber, Osthoff

und Boetticher bem�hte (alles Namen, welche im Zusammenhang mit dem

Enzyklop�die-Projekt schon genannt wurden), spricht allerdings in hohem Ma�e daf�r,

dass er jene zur Fortsetzung der Konzeption von �MGG� einzusetzen trachtete und

Blume in Kiel als neuer Herausgeber der Enzyklop�die somit auf strikte Anweisungen

des �Amtes Rosenberg� und Gerigks agierte. Im April des Jahres 1944 wurde das

Projekt �MGG� von hochrangigen Partei-und Regimebeh�rden denn auch kontrovers

er�rtert. So verwies die �NSDAP�-Verwaltung im M�nchner F�hrerbau in einem

Schreiben an das "Reichsministerium f�r Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung"

auf das Problem, �eine umfassende, mehrb�ndige Enzyklop�die (...) die gesamte Musik

aller L�nder und Zeiten umfasse (...) jetzt �berhaupt� anzuk�ndigen, da man �es f�r ein

eine Benachteiligung der bei der Wehrmacht befindlichen Fachvertreter und des

gesamten Nachwuchses� gleich dort befindlich hielte, �wenn f�r diese Standardwerke

die Daheimgebliebenen unter sich die Aufteilung vornehmen".

 

Die Anfrage, etwa ein Jahr vor dem Zusammenbruch des Regimes formuliert, spricht,

eindeutig oder indirekt zwei wesentliche Sachverhalte im Umfeld des Projektes an.

Zum einen verweist sie, ungewollt zwar, aber wahrhaft prophetisch, auf die zuk�nftige

Relevanz unbestreitbar nationalsozialistisch indoktrinierten musikwissenschaftlichen

Nachwuchses f�r die Jahre nach 1945.

 

Zum anderen spielt sie unverhohlen auf den Umstand an, das die Erarbeitung der

Enzyklop�die mittlerweile m�glicherweise einer verschworenen

musikwissenschaftlichen Clique nurmehr als Vorwand diente, der Front ferngehalten zu

werden und somit im Schutze des Projektes das Kriegsende abzuwarten. Prof. Gerber

gestand genau dies bereits in mehreren an Projektleiter Gerigk gerichteten Schreiben

des Jahres 1940 offen ein: Wunsch nach Teilhabe am Prestigeprojekt des Regimes,

welche ihm, dem Intellektuellen besser und n�tzlicher anstehe als das Waffenhandwerk,

indem sich ja verst�rkt die Primitivit�t und Einfalt zum Wohle des Deutschen Volkes

�ben k�nne. Im September 1944 bezeugte die Essener Allgemeine Zeitung

ungebrochen fortgef�hrte Aktivit�ten hinsichtlich �MGG� dadurch, das sie auf das

baldige Erscheinen eines herausragenden Projektes der �deutschen Musikforschung�,

genauer: die Ver�ffentlichung einer �umfassende(n), gro�z�gige(n) musikalische(n)

Enzyklop�die� hinwies, welche eine �Gemeinschaftsarbeit f�hrender deutscher

Musikforscher� darstelle und den Titel "Musik in Geschichte und Gegenwart" tragen

werde.

 

130

 

 


 

Wie eingangs erw�hnt , fand die Publikation des ersten Bandes von Musik in

Geschichte und Gegenwart im Jahre 1949 statt; als Herausgeber firmierte weiterhin

Friedrich Blume. Ma�geblich beteiligt an der Erarbeitung des ersten und weiterer B�nde

waren die ehemaligen Gerigk-Untergebenen Boetticher, Danckert, Fellerer, Gerber,

Jammers, Osthoff, Schenk. Eva Weissweiler schildert in ihrer engagiert und umfassend

vorgelegten Studie �ber �das Lexikon der Juden in der Musik� (inkl. Kompletten

Faksimile-Reprints desselben !) und das Amt Gerigk trefflich, wie die Mitarbeit der

genannten an der B�renreiter-Enzyklop�die konkret vonstatten gegangen sein mochte: �

Sie brauchten nur ihre Manuskripte aus der Schublade zu holen und die schlimmsten

nationalsozialistischen Formulierungen daraus zu streichen�.

 

Blume und die Edition B�renreiter als Verlag verwandten wenig Sorgfalt auf

humanistisch-anthropologische Bereinigung des Alt-Materials. Die mit der Edition

�bernommene Teilverantwortung f�r das bildungsspezifische Klima des neuen

F�deralismus muss ihnen vollkommen gleichg�ltig gewesen sein. Wie w�re es sonst zu

verstehen, das die genannten �f�hrenden Musikforscher� des ehemaligen Regimes die

autobiographischen Eintr�ge in MGG eigenh�ndig autorisieren und ihre Biographie

somit erstmalig manipulieren durften? Auch andere �internationale Musiklexika� (de

Vriess) griffen auf die F�higkeiten der ehemaligen Gerigk-Mitarbeiter zur�ck,

m�glicherweise get�uscht durch die neugewonnen-manipulierte biographisch-

akademische Integrit�t. Substantieller noch sollte sich auswirken, dass man

beispielsweise einem ausgewiesenen nationalsozialistischen �berzeugungst�ter wie

Boetticher das Referat �ber j�dische Musiker �berliess. Wie jenes �ber Joseph

Joachim, den Weggef�hrten Mendelssohn Bartholdys, Johannes Brahms und Clara

Schumanns. Der Band von Musik in Geschichte und Gegenwart, der auch Felix

Mendelssohn Bartholdy zur Veranschaulichung bringt, erschien editionsbedingt erst im

Jahre 1961.

 

Es referiert dort der �ber jeden Zweifel erhabene amerikanische Mendelssohn-Forscher

Eric Werner. Sein Text weist stellenweise eine Reserviertheit gegen�ber Leben und

Werk Felix Mendelssohns auf, die sich im sp�ter ver�ffentlichten, Mendelssohn

gewidmeten Hauptwerk Werners, so nicht findet.

 

Der Herausgeber von MGG, Friedrich Blume referierte, wie bereits erw�hnt, im August

des Jahres 1938 in der Zeitschrift "Musik" �ber die Fragestellung "Musik und Rasse Grundlagen

einer musikalischen Rasseforschung". Er attestierte sich in seinem im Jahre

1938 vorgelegten Lebenslauf u. a. auch die Erarbeitung von "musikalischer Volks-und

Rassenkunde und musikalische(r) Raumforschung" und nahm im �III. Reich� u. a.

folgende Positionen wahr:

 

1933 au�erordentlicher Professor an der Berliner Universit�t, 1934 Leitung des

"Musikwissenschaftlichen Institutes", 1935 Mitglied des "Staatlichen Institutes f�r

Deutsche Musikforschung", 1938 Ordinarius der Universit�t Kiel, 1939 Leitung des

"Institutes Erbe deutscher Musik" und Redaktion der Zeitschrift "Deutsche Musikkultur",

letztere beiden fester Bestandteil nationalsozialistisch-rassistischer Kulturpolitik.

 

Des weiteren bet�tigte er sich als Referent und Herausgeber einschl�gig belasteten und

belastenden Gedankengutes und Schriftentums.

 

131

 

 


 

Bei den ersten Reichsmusiktagen im Jahre 1938 referierte Friedrich Blume �ber das

Thema "Musik und Rasse -Grundlagen einer musikalischen Rasseforschung", welches

ja auch Grundlage jenes in der Zeitschrift "Musik" ver�ffentlichten Aufsatzes war. Im

gleichen Jahre gab er das Buch "Das Rasseproblem in der Musik" heraus. Es war dies

die erste Ausgabe der von Blume publizierten "Schriften zur musikalischen Volks-und

Rassenkunde"; noch drei B�nde sollten bis zum Jahre 1944 folgen.

 

In der ab 1994 herausgegebenen Neuausgabe von �MGG� bestreitet der B�renreiter-

Verlag und der Herausgeber Ludwig Finscher jedwede Verbindung der Erstausgabe von

der Enzyklop�die zum Nationalsozialismus und tut den Gedanken daran als Spekulation

Wilhelm de Vriess ab. So ist in dem biographischen Abri�, welchen die Enzyklop�die

dem Erstherausgeber Friedrich Blume widmet zu lesen: "Im Jahre 1943 begab Blume

auf Anregung des Gr�nders des B�renreiter-Verlages Karl V�tterle und zusammen mit

Hans Albrecht mit der Vorbereitung der Enzyklop�die "Die Musik in Geschichte und

Gegenwart�. Dass diese Arbeit irgend etwas mit Pl�nen und Materialsammlungen von

Herbert Gerigk f�r eine von diesem sp�testens seit 1939 geplante Enzyklop�die zu tun

gehabt haben k�nnte, wie de Vriess 1998, 108 -115 behauptet, ist pure Spekulation."

 

Das Buch von Eva Weissweiler, welches die Sachlage einer Initiierung von �MGG�

durch die "Hohe Schule" der NSDAP und Herbert Gerigk erh�rtet, war zu jenem

Zeitpunkt noch nicht erschienen. Die Erkl�rung in der Blume-Biographie der

Neuausgabe wiederum muss als pure Behauptung des Verlages, genauer, als

Schutzbehauptung angesehen werden.

 

In den Vorworten zu den verschiedenen Auflagen erkennt sich der B�renreiterverlag

wiederholt das alleinige Verdienst um Initiierung von �MGG� zu und verweist im �brigen

auf den Herausgeber Friedrich Blume. So schreibt Blume in seinem Vorwort des

abgeschlossenen 1. Bandes aus dem Jahre 1951/ Tb-Ausgabe 1989:

 

"Der Gedanke der Enzyklop�die ist bereits 1943 von dem B�renreiter-Verlag in Kassel

ausgegangen und ist seitdem in st�ndigem engem Gedankenaustausch zwischen ihm

und dem Herausgeber unter allm�hlicher Einbeziehung vieler Mitarbeiter und Helfer

entwickelt worden".

 

Ludwig Finscher wiederum schreibt im Vorwort des im Jahre 1994 erschienenen

Bandes der Neuausgabe von �MGG�: "Die Zeit, in der Karl V�tterle und Friedrich Blume,

der Musikverleger und der Musikwissenschaftler, die schon in den letzten Jahren des

zweiten Weltkrieges entwickelte Konzeption der MGG zu verwirklichen begannen, war

einzigartig (...)

Ungew�hnlich war, da� Friedrich Blume als der Spiritus Rector des Unternehmens eine

viel weiter reichende Konsequenz aus der Situation zog: Die Entwicklung nicht eines

Lexikons, sondern einer Enzyklop�die, wie es schon im Geleitwort zur ersten Lieferung

1949 hei�t."

 

2 Faktoren sind ma�geblich geeignet, die Behauptungen des B�renreiter-Verlages und

seiner Herausgeber, die Entwicklung der Enzyklop�die stehe jeder Verwurzelung im

Nationalsozialismus vollst�ndig fern, zu widerlegen.

 

132

 

 


 

Erinnern wir uns der Meldung in der "Essener Allgemeinen Zeitung" von September

1944 hinsichtlich baldigen Erscheinens eines herausragenden Projektes der �deutschen

Musikforschung�, genauer: die Ver�ffentlichung einer �umfassende(n), gro�z�gige(n)

musikalische(n) Enzyklop�die�, welche eine �Gemeinschaftsarbeit f�hrender deutscher

Musikforscher� darstelle und den Titel "Musik in Geschichte und Gegenwart" tragen

werde.

 

In dieser Meldung wird der au�erordentliche Rang, die Dramaturgie und der Umfang der

Enzyklop�die "Musik in Geschichte und Gegenwart" explizit vorweggenommen und

hervorgehoben. Nun, beide Instanzen, der Verleger Karl V�tterle und sein B�renreiter-

Verlag sowie der Musikwissenschaftler Friedrich Blume, verf�gten in den Kriegsjahren

1943 -45 wohl kaum �ber die Machtvollkommenheit, ein Unternehmen solchen

Ausma�es zu konzipieren und vorzubereiten. Es ist wenig glaubhaft, dass Blume als

Ordinarius der Universit�t Kiel, also von einer Provinzuniversit�t aus, obgleich er

Mitglied und Pr�sident div. musikwissenschaftlicher Gesellschaften war, autonom, fern

jeder Weisung und Kontrolle durch die Partei ein herausragendes Projekt der

"deutschen Musikforschung" zu initiieren imstande war. Eine "Gemeinschaftsarbeit

f�hrender deutscher Musikforscher" (Essener Allgemeine 1944) "unter ...Einbeziehung

vieler Mitarbeiter und Helfer" (Blume 1951) herzustellen. Des gleichen war ein kleiner

Musikverlag in Kassel dazu nicht in der Lage.

 

Wie wir gesehen haben, unterlagen f�hrende Wissenschaftler und ihre T�tigkeit der

Zustimmung und Aufsicht von Parteigremien, wurden Wissenschaftler, die an Projekten

teilnehmen sollten, von der Partei auf ihre ideologische Zuverl�ssigkeit hin

durchleuchtet.

 

Eva Weissweiler dokumentiert in "Ausgemerzt! Das Lexikon der Juden in der Musik"

treffend das Wesen der von der Partei ausge�bten Kontrolle �ber etwaige in

Kriegszeiten vollf�hrte wissenschaftliche Arbeit: "Von irgendeiner direkten oder

indirekten Form der Mitarbeit bei Forschungsunternehmen der NSDAP, SS oder "Hohen

Schule" war allerdings kaum ein namhafter deutscher Musikwissenschaftler

freizusprechen; denn der politische "Anschluss" an offiziell gebilligte

Publikationsprojekte dieser Art stellte (...) nahezu die einzige M�glichkeit dar, in

Kriegszeiten �berhaupt noch ver�ffentlichen zu k�nnen. Jeder Versuch eines

wissenschaftlichen "Alleingangs" (...) w�re von Gerigk und der "Parteiamtlichen

Pr�fungskommission zum Schutze des NS-Schrifttums gnadenlos unterdr�ckt worden".

Obschon Hitler und die Partei Forschungsvorhaben gerade in Kriegszeiten h�chste

Priorit�t einr�umten, wurde jeder Wissenschaftler, der nicht in derartige, von der Partei

initiierte oder genehmigte Vorhaben eingebunden war, in den letzten Kriegsjahren zum

Wehrdienst eingezogen. Im Jahre 1944 schliesslich kamen unter dem Zeichen des

"Totalen Krieges" nahezu alle kulturellen Aktivit�ten in Deutschland zum Erliegen,

stellten die Theater und Opernh�user ihren Spielbetrieb ein, insofern sie nicht bereits

zerst�rt waren, wurden die meisten wissenschaftlichen Vorhaben abgebrochen und die

Verlage geschlossen. F�r Projekte wie der Konzeption von �MGG� t�tige

Wissenschaftler wie Blume handelten in dieser Situation also unmittelbar auf Weisung,

also unter Aufsicht nationalsozialistischer Funktion�re. Dabei bem�ngelten

rivalisierende Parteigremien die Fragw�rdigkeit einer bevorzugten Projekt-Beteiligung

einzelner Forscher zuungunsten des gesamten sich an der Front befindlichen

Nachwuchses.

 

133

 

 


 

Gerigk musste somit um die Wehrdienst-Freistellung jedes einzelnen an der

Vorbereitung von �MGG� beteiligten Wissenschaftlers k�mpfen; wie bereits dargelegt,

baten einzelne Akademiker dringlich um Aufnahme in das Projekt, um dem Frontdienst

zu entgehen. Nein, weder Verleger Karl V�tterle noch der Ordinarius der Universit�t Kiel

besa�en in den letzten Kriegsjahren �ber genug Autorit�t und Einflu�, die deutsche

Musikwissenschaft gezielt in die konzertierte Aktion der Erarbeitung eines

monumentalen enzyklop�dischen Vorhabens hineinzuf�hren.

 

Ein weiteres Indiz daf�r, dass die Herausgeber von �MGG� lediglich ein Projekt der

"Hohen Schule" der �NSDAP� weitergef�hrt hatten und keinesfalls als Urheber der

Enzyklop�die gelten k�nnen, liefert Blume im Vorwort des 1. Bandes von 1949/51

selbst:

 

"Jedoch wurde das gerettete Karteimaterial im Musikwissenschaftlichen Institut der

Universit�t Kiel in der Stille weiter ausgebaut."

 

Damit bringt Blume die einstmals von Gerigk erstellte Systematik von 20 000

Stichworten sowie das daraufhin erstellte Karteikartensystem der �MGG�-Recherche ins

Spiel, welches im Jahre 1943 auf Anordnung Rosenbergs oder Gerigks an die

Universit�t Kiel ausgelagert wurde. Ungekl�rt bleibt lediglich, ob Blume offiziell von

Rosenberg oder Gerigk mit der Weiterf�hrung der Enzyklop�die beauftragt wurde oder

aber die Partei gegen Kriegsende die Kontrolle �ber das Projekt verlor, so dass er das

Material �bernehmen und "in der Stille" einer abgeschiedenen Provinzuniversit�t �ber

die Stunde 0 hinaus ausbauen konnte.

 

30. Die zierlich-empfindsamen Lieder und Duette...

Gleichsam im Jahre 1949 l�sst sich auch der in der Nazi-Zeit als ambivalent agierend

erinnerliche Hans-Joachim Moser wieder zum Thema Felix Mendelssohn vernehmen; in

seinem "Lehrbuch der Musikgeschichte" vertritt er folgende Einsch�tzung:

 

�Die zierlich-empfindsamen Lieder und Duette, die bald behende, bald etwas

sentimentale Kammermusik, die freundlichen Orgelsonaten verbla�ten vorzeitig infolge�ursacheloser Schwermut� und einer gewissen Gl�tte, die �berdruss erregte.�

 

Arnold Schering sekundiert Moser im gleichen Jahre im Bem�hen, alten Geist in

vermeintlich neuen Zeiten lebensf�hig zu halten. In den in Leipzig herausgegebenen

Betrachtungen "Vom musikalischen Kunstwerk" veredelt er die Vorstellung vom

k�nstlerischen Heros auf bezeichnende Weise.

 

In der Person des autonomen k�nstlerischen Genius Beethoven sucht er den Heros

demonstrativ von der kleinb�rgerlichen, vermittels sentimentaler Musikerromane und �

filme transportierten, Popularisierung einer Stereotype des armen musikalischen Poeten

unterm Dache, zu separieren. Schering nimmt dabei in Kauf, dass der im Jahre 1824

verstorbene Beethoven sich anachronistisch zu einer Problemstellung zu �u�ern hat,

welche sich nachweislich erst in der 2. H�lfte des 19. Jahrhunderts auspr�gte.

 

�Damals kam die Legende auf, ein grosser K�nstler � insbesondere ein Tonk�nstler �

m�sse jederzeit ein grosser Leidender am Leben gewesen sein. Wo, bei Gott, sollte

sonst die �berzeugende Macht seiner Sch�pfung herkommen?

 

134

 

 


 

Als klassisches Beispiel galt Beethoven. Kein anderer als dieser selbst, der m�nnlichste

unter den Klassikern, hat sich sch�rfer gegen diesen Aberglauben gewandt, in dem er

das Wort sprach:

 

�Die meisten Menschen sind ger�hrt �ber etwas Gutes, das sind aber keine

K�nstlernaturen. K�nstler sind feurig, aber sie weinen nicht � R�hrung pa�t nur f�r

Frauenzimmer; dem Manne muss Musik Feuer aus dem Geist schlagen.�

 

Also muss auch Ludwig van Beethoven als Zeuge der zu jener Zeit weit verbreiteten

Ansicht herhalten, dass die Poesie und der musikalische Humanismus eines Felix

Mendelssohn im Reich wahrhaft grosser Musik keinen Raum haben k�nne.

 

Demgegen�ber wurde im angloamerikanischen Sprachraum ein objektiverer Umgang

mit musikhistorischen und ��sthetischen Entwicklungen, also auch dem musikalischen

Erbe Felix Mendelssohns respektive seiner unangezweifelt bedeutsamen

musikgeschichtlichen Stellung praktiziert als im deutschsprachigen Raum nach dem

Kriege. Das beweisen zeitgen�ssische Musiklehrwerke der Exilanten Arnold Sch�nberg

und Paul Hindemith, die Studienbeispiele aus Mendelssohns Werken zur

Veranschaulichung von musikalischer Pr�zision und Formbeherrschung anf�hren.

 

Desgleichen gab die "Musical Times" im Leitartikel der Oktoberausgabe des Jahres

1947 (m�glicherweise im Vorgriff auf Mendelssohns 100. Todestag am 4.11. dieses

Jahres) zu Bedenken:

 

�Seitdem das handwerkliche K�nnen des Komponisten auf der Suche nach neuen

Wirkungen an einem Stagnationspunkt angelangt ist, wird die Eleganz der Technik und

Formgebung, f�r die Mendelssohn so charakteristisch ist, wieder bewundert, nicht ganz

neidlos. Er z�hlt nunmehr zu der erlesenen Schar jener Komponisten (Mozart und Ravel

geh�ren dazu), die genau wussten, wie viel Noten zu schreiben und wie sie anzuordnen

(sind)".

 

Im Jahre 1950 ver�ffentlichte der Publizist Friedrich Herzfeld (vor allem bekannt

geworden durch sein Dirigentenkompendium "Magie des Taktstocks") indes eine

volkst�mliche Musikgeschichte unter dem Titel "Du und die Musik -eine Einf�hrung f�r

alle Musikfreunde"; erschienen im Ullstein Verlag/ Frankfurt-Berlin. Auf den Seiten 226 29

nimmt er auch zu Person und Lebenswerk Felix Mendelssohns Stellung. Einmal

mehr werden tradierte abwertete Stereotypen von Milde, Sentimentalit�t,

Nachrangigkeit und Kleinmeisterei versammelt.

 

Herzfeld macht Mendelssohns gro�b�rgerliche Herkunft f�r die vermeintliche Schw�che

seiner Tonsprache verantwortlich und kommt nahezu zu dem Schlu�, dass

Mendelssohn in der Durchf�hrung seines musikalischen Lebensentwurfes letztendlich

gescheitert sei.

 

"Nach der Hochglut eines Erzromantikers wie Berlioz nimmt sich das Feuer deutscher

Romantiker wie des in Kassel wirkenden Geigenmeisters Louis Spohr oder eines Felix

Mendelssohn-Bartholdy" zahm aus. (...) Die milde Temperatur seiner (Mendelssohns)

Pers�nlichkeit suchte das Neue nicht auf so erregende Weise. Mendelssohn war ein

echter Vertreter des Grossb�rgertums, wie es sich in diesen politisch ruhigen Jahren

entwickelte. Im Hause seiner Eltern (�) in Berlin verkehrte alles, was Rang und Namen

hatte. Dieses B�rgertum neigte zur Weichheit bis zur Sentimentalit�t. Die Tr�nen allzu

reger Empfindung, die in den Versen von Heinrich Heine oft flie�en, begegnen uns bei

Mendelssohn wieder.

 

135

 

 


 

Um Gegenkr�fte zu entwickeln, versuchte er die kontrapunktische Kunst Bachs und

H�ndels zu erneuern. Es ist aber nicht alles zu allen Zeiten m�glich. Die Fugen

Mendelssohns sind von den alten Fugen himmelweit entfernt. Auch seine Oratorien

Elias und Paulus, die er nach Vorbildern H�ndels schrieb, haben vor dem Ansturm der

Zeit an Geltung verloren. (...)

 

Offenbar geh�rte Mendelssohn zu denen, die im kleinen am gr��ten sind. Seine

Lieder ohne Worte haben in der Hausmusik des neunzehnten Jahrhunderts

begreiflicherweise eine grosse Rolle gespielt. Es geh�rte in der Generation unserer

Gro�-und Urgro�eltern zur guten Bildung, sich von diesen einschmeichelnden Weisen

durch die Lagunen von Venedig f�hren zu lassen. (...)

 

Alle Anerkennung seiner Meisterschaft hat nicht verhindern k�nnen, dass sein Bild

mit den Jahrzehnten allm�hlich, aber unaufhaltsam verblasste."

 

Am Ende seiner Mendelssohn-Betrachtungen gereift der Verfasser erneut auf die

Metapher vom Heros in der Kunst zur�ck, der Mendelssohn Herzfeld zu Folge

m�glicherweise nicht gerecht worden sei. Obgleich Herzfeld diese Sichtweise auf

musikalisches Wirken durchaus als romantizistisches Relikt in Frage stellt, hindert es ihn

doch keineswegs daran, sich ihrer selbst in der Mendelssohn-Infragestellung indirekt zu

bedienen:

 

"Es war nicht nur Spott, wenn man behauptet, es sei ihm im Leben immer zu gut

gegangen. Dass das Genie darben m�sse, war auch eine romantische Vorstellung. F�r

die Eingebung von oben m�sse es durch Leid empf�nglich gemacht werden.

K�nstlerschaft war danach ein Ersatz f�r Lebensgl�ck. Zur Quelle der Kunst wurde das

Leid. Dass sich die Not niemals an Mendelssohns Fersen heftete, w�re danach die

Ursache f�r seine allzu grosse Gef�lligkeit und Untiefe."

 

Der M�nchner Merkur attestierte der Musikgeschichte u. a.: "Sie kann insbesondere

Laien und Jugendlichen empfohlen werden, da sie in warmherziger, leichtverst�ndlicher

Form (...) alles Wissenswerte von den Anf�ngen der Musik bis zur unmittelbaren

Gegenwart vermittelt."

 

Es stimmt im Nachhinein bedenklich, dass ein Buch, welches gerade Laien und

Jugendlichen zur Lekt�re anempfohlen wurde, auch nach dem Kriege einer

nachwachsenden Generation von Musikfreunden wiederum ein einschl�gig

klischeebeladenes, verzerrtes Mendelssohn-Bild vermittelte. "Du und die Musik" wurde

im Jahre 1962 im Deutschen B�cherbund, Stuttgart/ Hamburg wieder ver�ffentlicht.

 

Friedrich Herzfeld war in den Zeiten des III. Reiches als Musikpublizist und Rezensent

t�tig, u.a. f�r die "Allgemeine Musikzeitung", Leipzig und "Die Musik", Berlin. In der

Neuauflage des "Lexikon der Juden in der Musik" des Amtes Rosenberg wurde er dann

allerdings als "Mischling zweiten Grades eingestuft, dessen Schriften damit f�r die

Parteiarbeit entfallen" (Herbert Gerigk, �L. d. J. i. d. M�., Editorial).

 

Im Jahre 1950 wurde das im Jahre 1934 erschienene Atlantisbuch der Musik vom

Atlantis-Verlag in Z�rich neu ver�ffentlicht. Als Herausgeber wirkten Fred Hamel und

Martin H�rlimann. Somit ist die Gelegenheit gegeben, einmal die Mendelssohn-

Betrachtung vom Standpunkte eines deutschsprachigen Nachbarlandes, der Schweiz,

zu �berpr�fen.

 

136

 

 


 

Wieder einmal ist dort, wie sich zeigt, die Notwendigkeit zum Monumentalen,

Heroischen das Ma� aller musikalischen Dinge, dem ein Felix Mendelssohn auf Grund

allzu sorgenlosen Lebenswandels schicksalsbedingt nun einmal nicht habe entsprechen

k�nnen. Der Verfasser Fred Hamel macht dies denn auch f�r vermeintliche eklatante

M�ngel und Schw�chen sowie Epigonentum in Mendelssohns symphonischer Sprache

verantwortlich.

 

"Denn eines war dieser Kunst wie diesem Leben vorenthalten: die �u�eren

Reibungen und inneren Spannungen, die zum Monumentalen unerl��lich sind. Das

Schicksal, das diesen K�nstler der k�mpferischen Problematik enthob und ihm

zwischen Freiheitskriegen und M�rzrevolution symbolische Grenzen zog -dieses

Schicksal verwehrte ihm auch den eigentlich symphonischen Atem. So fehlt seinen

Sinfonien im grossen die stilgeschichtliche Bedeutung; sie folgen fremden Spuren "

Schottische" und "Italienische" dem klassischen Formideal, der "Lobgesang" der

Sinfoniekantate nach dem Muster von Beethovens "Neunter", die "Reformationssinfonie"

programmmusikalischen Einfl�ssen."

 

Was schreibt Walter Georgi im gleichen Werk �ber Mendelssohns Klaviermusik? Er

repetiert erneut Wagners Invektive vom Mangel an W�rme und Tiefe in der Musik eines

j�disch-st�mmigen Komponisten, verweist des weiteren auf das Stereotyp der

vermeintlichen Sentimentalit�t von Mendelssohns Musik.

 

"Sein Bestes gibt er in leicht und zierlich dahinhuschenden Sachen (Charakterst�ck

Nr. 7, Lied ohne Worte Nr. 47, Scherzo Werk 16/2, Rondo Capriccioso) Als

gewandtester Kontrapunktiker unter den Romantikern verf�gt er �ber einen vornehmen,

frei polyphonen Klaviersatz (...) Aber dieses Formgenie kann nicht dar�ber

hinwegt�uschen, dass ihm etwas Wichtiges fehlt: Tiefe und W�rme der Empfindung.

Mendelssohn vermag kein Adagio zu schreiben. Vieles von seiner Musik ist verbla�t.

Ihre weichliche Sentimentalit�t wirkt nicht immer erfreulich (...) Mendelssohns zwei

Konzerte und drei Konzertst�cke verschwinden immer mehr aus dem Konzertsaal"

 

Helmut Osthoff hingegen merkt �ber Mendelssohns Kompositionen f�r Streicher solo

an:

 

"Von Felix Mendelssohn besitzen wir eine Violinsonate und zwei (...) Sonaten f�r Cello

und Klavier. Die letzteren sind f�r beide Partner dankbar, rechnen aber ebenso wie die

Violinsonate nicht zu den erstrangigen Werken der Gattung. Ein grosser Wurf gelang

Mendelssohn dagegen mit seinem Violinkonzert in e-moll, op. 64 (1845). Wir verhehlen

uns heute nicht, dass Mendelssohns Konzert letztlich durch seine blendende �u�ere

Aufmachung besticht."

 

Auch hier gesteht der Verfasser Qualit�ten in Mendelssohns Musik nur vorbehaltlich zu;

geht seine Beschreibung der Werke stets mit abwertenden Urteilen einher. Ausdruck

pers�nlicher Vorbehalte des Autors oder Zeichen daf�r, wie tief die jahrzehntelang

gepflogene Dramaturgie der Mendelssohn-Negation Betrachtung und Urteil jener Zeit

doch gepr�gt hatte?

 

Martin H�rlimann beschw�rt in seinen Betrachtungen �ber den Dirigenten Mendelssohn

das Bild eines unverbindlichen urbanen (j�dischstammig konvertierten?) Gro�b�rgers

im Musikergewande herauf, ein Bild, das uns in den Darlegungen Walter Abendroths in

deutlich antisemitischer Zielrichtung entscheidend wiederbegegnen wird:

 

137

 

 


 

"In �hnlicher Weise, konservativ in seinen Kunstanschauungen, liebensw�rdig und in

vornehmer Zur�ckhaltung wirkte Mendelssohn von 1835 bis zu seinem Tode 1847 als

Dirigent des Gewandhaus-Orchesters in Leipzig"

 

In der Betrachtung der "Sommernachtstraum"-Musik pflegt auch Otto Riemer das

Stereotyp vermeintlicher Oberfl�chlichkeit von Mendelssohns Musik. Des Weiteren

verweist er auf die Neuvertonungen der 30ssiger und vierziger Jahre, ohne mit einem

einzigen Wort den Hintergrund eines Musiknotstandes durch das regimebedingte Verbot

der Mendelssohn-Komposition im "III.-Reich", ja die Beauftragung zur Schaffung von

Neukompositionen durch die Machthaber zu erw�hnen.

 

�Die au�erordentliche melodische Leichtigkeit, die Mendelssohn auszeichnete und

die ihm nicht immer zum Vorteil gereichte: hier in diesem m�rchenhaften Koboldspiel

gab sie die gl�cklichste Erg�nzung der Dichtung. In j�ngster Zeit haben auch Edm. Nick,

Julius Weissmann und Rudolf Wagner-R�genyi Kompositionen zu Shakespeares

"Sommernachtstraum" geschrieben."

 

Werfen wir nun wiederum einen Blick auf den zu jener Zeit in Westdeutschland

vorherrschenden Stand der Mendelssohn-Sicht:

 

�Doch f�r eine solche Aufgabe war Mendelssohn zu schwach. K�rperlich zart,

niemals vor wesentliche Entscheidungen gestellt, woher sollten ihm Tatkr�fte

zugewachsen sein, die nur in geistigem Ringen oder harten Auseinandersetzungen mit

dem Leben gedeihen. Mendelssohns Schaffen hat zu keiner Zeit Frucht getragen, es

war eine F�lle von Bl�ten, die bald welkten und nicht viel mehr zur�cklie�en, als einen

wehen Duft.�

 

Der Verfasser dieser Zeilen, die einen vermeintlichen Mangel Mendelssohnscher Musik

vor allem aus schwachem Erbgut heraus begr�nden, ist Otto Schumann. Sie wurden

seinem im Jahre 1951 erschienen Handbuch der Klaviermusik entnommen. Diese,

unterschwellig die rassebiologischen Thesen des III.-Reiches reflektierende Sichtweise,

verwundert wenig, wenn man sich folgendes vor Augen h�lt: Es handelt sich um den

gleichen Otto Schumann, welcher 11 Jahre zuvor in seiner "Geschichte der Deutschen

Musik" die Aufarbeitung der Musikgeschichte explizit den Aspekten des Rassenprinzips

unterwarf und somit schrieb:

 

"H�tte Mendelssohn eine Musik geschrieben, die seiner rasseseelischen Beschaffenheit

entsprach, dann k�nnte sich vielleicht das Judentum eines grossen Komponisten

r�hmen."

 

Im Jahre 1954 gab Schumann ein Handbuch der Orchestermusik heraus; erschienen im

Heinrichshofen Verlag, Wilhelmshaven.

 

In diesem nimmt Schumann noch eindeutiger Bezug auf seine T�tigkeit

ideologienahen, v�lkischen, von antisemitischen �berzeugungen gepr�gten

Publizierens in Zeiten des Nationalsozialismus. Schumann paraphrasiert darin Zeilen

und Sichtweisen aus der "Geschichte der Deutschen Musik" aus dem Jahre 1940

nahezu wortw�rtlich -ein Faktum, das einmal mehr veranschaulicht, wie nachhaltig

ideologische Positionen des N.S.-Faschismus in Kultur und Gesellschaft der BRD zu

verankern m�glich war.

 

Gleich zu Beginn der Mendelssohn-Darlegungen schreibt Schumann im Jahre 1954

also:

 

138

 

 


 

"Schon seit Jahrzehnten sind immer neue Stimmen laut geworden, die gegen eine�bersch�tzung Mendelssohns zu Felde zogen. Umstritten wurde -�brigens schon zu

Lebzeiten des Komponisten -der innere Gehalt seiner Tonsch�pfungen. Seine

ungew�hnliche Form und sein erstaunlicher Formensinn geben den Werken zumeist

eine Gl�tte, die unbehaglich wirkt."

 

Im unmittelbaren Vergleich dazu nun die Sichtweise des Jahres 1940:

 

"Die fast ein Jahrhundert w�hrende Mendelssohn-Schw�rmerei ist um so

unbegreiflicher, als zu allen Zeiten M�nner aufstanden (schon als Mendelssohn noch

lebte), denen seine Musik allzu glatt erschien, -ein Urteil, das auch die unentwegtesten

Mendelssohn-Verehrer nicht bestritten."

 

Auch die ferneren Darlegungen Schumanns aus dem Jahre 1954 lassen eine

Verwurzelung in v�lkischem Denken unausgesetzt sp�ren: Stellenweise beflei�igt

Schumann sich gar der Tatsachen-und Geschichtsf�lschung, indem er die von

Mendelssohn begr�ndete Tradition des Leipziger Konservatoriums unterschl�gt.

 

"Der Deutsche hat ein ganz besonderes Verh�ltnis zur Form: er wei� sie zu

sch�tzen; aber sie ergreift ihn nur dann, wenn sie sich darstellt als letztes Ergebnis

inneren Ringens. (...) Mag er sich zuweilen an ihr erg�tzen -zum tiefem Erlebnis wird

sie ihm nicht.

 

Mendelssohn aber ist der Meister der nur "sch�nen" Form. Seine melodische Erfindung,

sein thematischer Aufbau und die instrumentale Einkleidung sind untadelig, aber zu sehr

nach Ma� gefertigt. (...) Entsprechend seiner Formensprache hat Mendelssohn

instrumentiert: glatt, sorgsam get�nt, alle Ausbr�che werden vermieden -MUSSTEN

vermieden werden, weil in Mendelssohn kein vulkanisches Feuer brannte.

�berzeugender noch als die Meinung mag die Geschichte reden: Mendelssohns

Schaffen hat keine Nachfolger gefunden. Man hat ihm Einzelheiten abgelauscht, aber

die Gl�tte seines Musizierens hat sich niemand zu eigen gemacht (au�er den

Edelkitsch-Komponisten der "Salonst�cke")".

 

Was lesen wir zur "Italienischen" Symphony:

 

"1833 (...) wurde die "Italienische Sinfonie" aufgef�hrt. Auch sie geht auf Eindr�cke

einer Reise zur�ck. Sah der J�ngling in Schottland wenigstens noch etwas �hnliches

wie Konfliktstimmung, so fand er, wie es scheint, in Italien eine g�nzlich problemlose

Welt vor. Wirklich "Italienisches" t�nt nur im Schlu�satz auf (...) Aber weder das Allegro

vivace (...) noch die d-moll Ballade des Andante con moto haben etwas Italienisches,

und der dritte Satz. (...) mit seinem anmutigen L�ndler und den "romantischen"

Hornkl�ngen (...) weisen vollends auf Deutschland zur�ck".

 

Wie auch die Zeilen zur "Italienischen" Symphony" sind Schumanns Bemerkungen zu

den Konzerten f�r Klavier und Orchester vom Bem�hen gepr�gt, abf�lliges �ber die

genannten Werke vorzubringen:

 

"Bis in die allerj�ngste Vergangenheit reichen die Versuche, Mendelssohns

Klavierkonzerte neu zu beleben. Diese Versuche d�rften vergeblich sein. Von dem

zweiten Klavierkonzert r�ckte schon Schumann h�flich ab, und es ist doch wohl kein

Zufall, da� auch das erste Klavierkonzert (...), einst ein Schlager, der "auf keinem

Programm fehlen durfte", l�ngst Seltenheitswert bekommen hat. Mendelssohns Absicht

war es, dem hohlen Virtuosenkonzert seiner Zeit etwas technisch Einfacheres und

musikalisch Wertvolleres entgegenzusetzen.

 

139

 

 


 

Das ist ihm mit seinem ersten Konzert auch gelungen, (...) weil es dem Pianisten "in der

Hand liegt", ohne gro�en Virtuosenaufwand konzertm�ssige Wirkung hervorbringt (...)

Doch einmal hat die Romantik bald st�rkere Werke hervorgebracht, und zum anderen

haben wir heute Klavierkonzerte, deren Zielsetzung der Mendelssohnschen

gleichkommt, deren Geist uns aber n�her ist".

 

Einen bemerkenswerten Ausbruch aus der uniform tendenziellen Sichtweise, welche

Schumanns bisherige Darlegungen pr�gt, vollzieht sich allerdings in der Vorstellung des

Violinkonzertes. Schumann verf�llt in der Schilderung der musikalischen Vorz�ge

desselben phasenweise in einen geradezu hymnischen Tonfall, obgleich er im

Klaviermusikf�hrer ja unmissverst�ndlich konstatierte, dass " Mendelssohns Schaffen

zu keiner Zeit Frucht getragen" habe. Das Bem�hen um R�ckkehr in die bislang an den

Tag gelegte "Objektivit�t", also tendenziell abf�llige Einsch�tzung Mendelssohns, ist

denn auch immer wieder zu bemerken.

 

"Bedeutend und unverblasst steht dagegen das Violinkonzert vor uns. (...) Nach

Meinung des Verfassers reicht es fast in die N�he der drei grossen Geigenkonzerte von

Beethoven, Brahms und Tschaikowsky. Form, Erfindung und Gestaltung sind hier

Einheit geworden wie sonst in keinem anderen Werke Mendelssohns (...) Von erlesener

Sch�nheit und ergreifender Wirkung das (...) zweite Thema. (...) Die Durchf�hrung stellt

an den H�rer keine gro�en Anspr�che, weil ihre Gr��e in ihrer Einfachheit besteht. Vom

Prestoschlu� dieses Satzes leiten Halbtonschritte (...) in den zweiten Satz (...), ein Lied

ohne Worte von inniger S��e".

 

Ein kurzer Blick nur in das Handbuch der Chormusik und des Klavierliedes Otto

Schumanns, 1953 wiederum im Herrmann H�bner Verlag, Wilhelmshaven erschienen.

Die Er�ffnungszeile des Mendelssohneintrags f�hrt sogleich in den vertrauten Tonfall

des Jahres 1940 hinein, variiert erneut eine zentrale These Schumanns aus jener Zeit:

 

"Schon manche seiner Zeitgenossen empfanden Mendelssohns Intrumentalwerk als

zu glatt und poliert, vermi�ten in ihnen echte Auseinandersetzungen geistlicher und

musikalischer Art, wie man das bei deutscher Intrumentalmusik f�r selbstverst�ndlich

hielt. Da man derartige Anspr�che nur sehr schwer an schlichte Chorwerke stellen kann

und die zahlreichen Chorvereinigungen sich gern nach schlichten, dabei wohllautenden

Werken umtun, sind Mendelssohns geschmeidig geschriebene, gutklingende acappella-

Ch�re schnell volkst�mlich geworden"

 

In den Klavierliedkapiteln heisst es wiederum:

 

"Von Mendelssohns Klavier-Liedern ist man -nach der erstaunlichen Hochsch�tzung im

 

19. Jahrhundert -schon seit einem halben Jahrhundert abger�ckt; ja man k�nnte sagen,

die wachsende Scheu vor dem Klavierlied habe sich erstmals deutlich bei

Mendelssohns Liedern gezeigt. Das allzu Glatte, Gef�hlsselige dieser Weisen spricht

nicht mehr an. Rein kompositorisch bleibt ebenfalls vieles unbefriedigend. (...) So wie er

einige Hefte seiner Klavierst�cke "Lieder ohne Worte " nannte, k�nnte man seine

meisten Klavierlieder als "Klavierst�cke mit Worten" bezeichnen".

140

 

 


 

Intermezzo VII: Vom deutschen Hausbuche

 

 

Otto Schumann wurde im Jahre 1897 geboren. Er studierte Musikwissenschaft an den

Universit�ten Frankfurt am Main und Leipzig. Danach war er als Musikkritiker

�zahlreicher� Zeitungen und Publizist t�tig. Otto Schumann starb im Jahre 1981.

 

Die akademische Ausbildung in Zeiten der Republik, die Vielzahl daraufhin

erfolgender Ver�ffentlichen, die Kontinuit�t des Publizierens in Zeiten des

Nationalsozialismus und der �BRD�, versinnbildlichen somit den Lebensweg eines

unbeirrbar deutschen bildungsb�rgerlichen Intellektuellen oder vielmehr: eine klassische

deutsche Sachbuchkarriere des 20. Jahrhunderts.

 

Publikationen Otto Schumanns u. a.:

Meyers Opernbuch, Leipzig, 1938; Meyers Konzertf�hrer, Leipzig, 1938; Geschichte der

deutschen Musik, Leipzig, 1940; Albert Lortzing, 1801-1851, Leipzig, 1941,

Neupublikation Opernbuch, Berlin, 1948; Neupublikation Opernbuch, Wilhelmshaven,

1948; Orchesterbuch, Berlin, 1949; Die j�ngere Cambridger Liedersammlung, Torino,

1950; Schumanns Schauspielbuch, Wilhelmshaven, 1950, Wiederauflage

[Schauspielbuch], Wilhelmshaven, 1951; Schumanns Kammermusikbuch,

Wilhelmshaven, 1951; Klaviermusikbuch, Wilhelmshaven, 1952; Schumanns

Chormusik-und Klavierliedbuch, Wilhelmshaven, 1953; Neupublikation Opernbuch

,Wilhelmshaven, 1954; Neupublikation Handbuch der Orchestermusik, Wilhelmshaven,

1954, Kleine lateinische Formenlehre, Frankfurt am Main 1954, Das Manuskript,

Wilhelmshaven, 1954;

 

Wiederauflage Handbuch der Kammermusik, Wilhelmshaven, 1956; Neupublikation

Schauspielbuch, Stuttgart, 1958; Ich wei� mehr �ber die Operette und das Musical,

Wilhelmshaven, 1961; Wege zum Musikverst�ndnis, Olten 1963; Wiederauflage

Handbuch der Klaviermusik, Otto. Wilhelmshaven, 1969; Wiederauflage Handbuch der

Opern , Wilhelmshaven, 1972; Quellen und Forschungen zur Geschichte des Orgelbaus

im Herzogtum Schleswig vor 1800, M�nchen, 1973; Wiederauflage Das Manuskript,

Wilhelmshaven, 1977; Wiederauflage Handbuch der Klaviermusik, Wilhelmshaven,

1977; Neupublikation Opernf�hrer, Reinbek bei Hamburg, 1982; Neupublikation/ Imprint

Handbuch der Klaviermusik Schumann, M�nchen, 1982; Imprint bei Pawlak, Der gro�e

Konzertf�hrer Herrsching, 1982; Imprint bei Pawlak Der gro�e Schauspielf�hrer,

Herrsching 1983; Imprint bei Pawlak Der gro�e Opern-und Operettenf�hrer Herrsching,

1983; Handbuch der Kammermusik, Herrsching 1983; Neupublikation Das Manuskript

unter Grundlagen und Technik der Schreibkunst, Herrsching 1983; Wiederauflage

Imprint Der gro�e Schauspielf�hrer, Herrsching 1987; Wiederauflage Opernf�hrer,

Reinbek bei Hamburg, 1989; Grundlagen und Techniken der Schreibkunst, Hamburg,

1995; Der neue Literaturf�hrer, Weyarn, 1996.

 

Im Jahre 1955 legte der Musikjournalist und Autor Hans Schnoor ein musikalisches

Hausbuch mit dem Titel "Oper, Operette, Konzert" vor. Schnoor war in den Jahren 193345

als Musikkritiker t�tig, dessen Rezensionen mit der Regimeideologie konform gingen.

 

Prieberg attestiert auch dem Nachkriegswirken Schnoors "antisemitischen Unterton"

und "Vokabular des NS-Journalismus von ehedem". Dies geschah wohl zu recht, da

man Schnoor bereits im Jahre 1956 in einer Sendung des S�dwestfunks Baden Baden

nationalsozialistische Musikkritik" attestierte.

 

141

 

 


 

Schnoor f�hrte daher einen Prozess gegen den Sender, doch die Gerichte gaben dem

Ausdruck in einem mehrj�hrigen Verfahren als "Wahrnehmung berechtigter Interessen,

zumal sich die Absicht einer Beleidigung weder aus der Form noch aus den Umst�nden

ergibt" statt. Wie berechtigt die Attestierung "nationalsozialistischer Musikkritik" erfolgte,

zeigt auch die Tatsache, dass Schnoor in einem Buch �ber zeitgen�ssische Musik

unausgesetzt von "Negermusik" spricht, wenn es um den von ihm ungeliebten Jazz

geht.

 

Schnoor engagierte sich im �III.-Reich� des Weiteren in einer vom Amte Rosenberg ins

Leben gerufenen "Arbeitsgemeinschaft deutscher Musikkritiker". Dort war er nicht nur

als lokaler Funktion�r, als Leiter der Ortsgruppe Dresden, sondern auch als Organisator

und Referent von Vortragsabenden t�tig. Weitere Aktivit�ten Schnoors zu

"Reichszeiten" galten u. a. Artikeln wie jenem: Peinliche Ehrenrettung des "Riemann".

"Deutsche Juden im neuen Musiklexikon". Dresdner Anzeiger, Nr. 73, 15. M�rz 1939. In

besagter Publikation "Oper Operette Konzert" aus dem Jahre 1955, 29. Auflage 342

 

 

361. Tausend, Bertelsmann Lesering 1962) wird das Mendelssohn-Bild dann auch

erwartungsgem�� in jene bekannte Schieflage gebracht, ja vom Verfasser stellenweise

als g�nzlich verbla�t umrissen. In dem, den einzelnen Komponistenportraits

vorangestellten musikgeschichtlichen Umri� kommt das Wirken des Felix Mendelssohn

Bartholdy in den relevanten Kapiteln "Revolution und Romantik" bzw. "Str�mungen im

19. Jahrhundert" gar nicht erst zur Sprache.

"�ber Beethoven, Weber, Berlioz, Liszt hinaus, k�ndigt sich das Jahrhundert

Richard Wagners an, das seine sinfonische Aufl�sung nach 2 Richtungen sucht: in den

Werken von Bruckner und Brahms. Mit diesen Namen ist eigentlich alles bezeichnet,

was bis zu Wagners Tode (1883) sch�pferisch am werke bleibt, ohne unter den

Einfl�ssen des nihilistischen 19. Jahrhunderts zu verzagen"

 

In S�tzen wie jenen, verurteilt Schnoor das ausserhalb des Spektrums der genannten

Komponisten liegende zu musikgeschichtlicher Bedeutungslosigkeit. Wenig sp�ter

referiert Schnoor in sattsam vertrauter, entwertender, stereotypischer Weise �ber den

Komponisten Felix Mendelssohn und stellt des Weiteren das Ideal des humanistischen

Menschenbildes, welches dessen Musik pr�gt, in Frage:

 

"Mendelssohn war unbestritten die musikalische Autorit�t der Biedermeierzeit. (...) Das

konzertierende Virtuosentum zehrte von seinem au�erordentlich vielf�ltigen Schaffen

ebenso wie die Hausmusik und der Kantor auf dem Lande. Was Mendelssohn und die

Mendelssohnianer mit Ihrer zur Gl�tte und Unverbindlichkeit, tieferen und echteren

Konflikten ausweichenden Kunst boten, entsprach genau den Bed�rfnissen eines

selbstzufriedenen Publikums" (...) Erst Wagner und Brahms haben das Ideal des

"Mendelssohnschen Menschen" fragw�rdig gemacht, und in unserer Zeit zeugen meist

nur noch vergilbte Bl�tter vom geschichtlichen Dasein einer biedermeierlichen

Romantikertums, dessen liebenswerte Seiten bis heute nachwirken."

 

Weitere T�tigkeitsnachweise Hans Schnoors vor und w�hrend des Krieges waren u. a.

Musikredakteur der "Neueste(n) Nachrichten" im Jahre 1922, "Leipziger Tageblatt" in

den Jahren 1923 -25, "Dresdner Anzeiger" in den Jahren 1926 -45. Des Weiteren

ver�ffentlichte er in den sp�ten 30ssiger Jahren auch einen umfangreichen, 2-b�ndigen

F�hrer durch den Konzertsaal.

 

142

 

 


 

31. Der Ausweg des Menschen aus seiner selbstverschuldetenUnm�ndigkeit oder vom Ende der "zeitlosen" Zeit

In den 50ziger Jahren kehrten auch vermehrt Emigranten nach Deutschland zur�ck,

welche sich einem neuen und besseren Deutschland zur Verf�gung zu stellen sich

verpflichtet f�hlten. Gegen ein Konglomerat vorbelasteter Koryph�en der Bereiche

Musik, Literatur, Theater, Film und Akademie, welche sich in Zeiten des Regimes im

Stande von Funktion�ren oder Mitl�ufern graduierten und profilierten hatten die

Remigranten stets einen schweren Stand.

 

Die Namen derer, welche, ausgeschlossen aus den etablierten Kollegenzirkeln

verbleibend, k�nstlerisch und institutionell untergraben, gemobbt, in einem Klima

erstarkender politischer Konservative und Kalten Krieges publizistisch und

parlamentarisch angefeindet, aus Positionen geekelt wurden, sind Legion.

 

Das Schicksal des Film-und Theaterregisseurs William Dieterle sei stellvertretend f�r

andere genannt: Dieterle, seinerzeit ein hochprominenter, erfolgreicher

Hollywoodregisseur kehrte Mitte der 50ziger Jahre nach Deutschland zur�ck und

inszenierte im Schauspielhaus Frankfurt, am W�rttembergischen Staatstheater

Stuttgart, bei den Salzburger Festspielen, am Stadttheater Basel, am Schillertheater in

Berlin, am Schauspielhaus Essen, am Z�rcher Schauspielhaus sowie bei den Bad

Hersfelder Festspielen. Die wenigen Filme, welche er, nach gl�nzender Karriere in

Hollywood, in Europa realisierte, wurden von konservativ-reaktion�ren Kreisen in der

�BRD� als "deutschfeindliche" Machwerke eines nach Hollywood emigrierten

Vaterlandsverr�ters diffamiert oder erwiesen sich als Publikumsflop. Erfolgreicher war er

als Regisseur von Fernsehfilmen, welche oftmals als Aufzeichnung seiner

B�hneninszenierungen entstanden. Anfang der 60ziger Jahre �bernahm er erfolgreich

die Intendanz der Bad Hersfelder Festspiele. Wiederum nahmen konservativ-

restaurative Funktion�re und Medien Ansto� an seinem Wirken. Man ver�belte ihn u.a.

den von ihm initiierten Theateraustausch mit der �DDR� sowie die Bevorzugung junger

Schauspieler zu Lasten "grosser" Namen, welche sich aber zum Teil durch Karrieren in

der NS-Zeit diskreditiert hatten.

 

Schlie�lich wurde ihm sein Vertrag im Jahre 1965 nicht verl�ngert. Pl�ne, andere

B�hnen als Intendant zu �bernehmen sowie R�ckkehr-Bestrebungen nach Hollywood

zerschlugen sich. Ein Prozess gegen die Stadt Bad Hersfeld wegen ungerechtfertigter

K�ndigung seines Vertrages als Intendant wurde verloren. Die Medien begannen, ihn

und sein Wirken zunehmend zu ignorieren. Im Jahre 1966 �bernahm er das

Tourn�etheaterunternehmen "Der gr�ne Wagen", ein Schritt, der langfristig sehr an

seiner Gesundheit und seinen Finanzen zehren sollte. Dieterle Starb am 8. Dezember

1972 an einer Erk�ltungskrankheit nach dem er gegen das Interesse seiner Gesundheit

f�r einen erkrankten Schauspieler in einer Produktion des "gr�nen Wagens einsprang

und sich somit k�rperlich ruinierte. Sie Beisetzung erfolgte im engsten Freundes-und

Familienkreise auf dem Friedhof von Ottobrunn in der N�he von M�nchen.

 

Wie sollte der hochgebildete j�dische Musikpublizist Alfred Einstein da mit

nachdenklicheren T�nen bez�glich schwindender Mendelssohnrezeption in der BRD

gegenzuhalten verm�gen? Jener Musikwissenschaftler, dem wir u. a. eine seinerzeit

hoch renommierte Mozartbetrachtung verdanken, welcher zuerst nach England und

dann in die Vereinigten Staaten emigrierte und dort unausgesetzt publizistisch t�tig

blieb.

 

143

 

 


 

In "Die Musik der Romantik", erschienen in Wien im Jahre 1950, stellte er in verhalten-

analytischer Vorgehensweise die Spezifika und Elemente eindeutig heraus. Jene

Spezifika, welche die unausgesetzt humane Ansprache durch die Musik Mendelssohns

und somit den potentiellen Langzeitwert seines Wirkens bedingen. Es ist zugleich ein

demonstrativ vorgebrachtes Pl�doyer gegen die sonstig unausgesetzt repetierten

Stereotypen von Gl�tte, K�lte und rein formeller Perfektion. Es heisst darin:

 

"Die Ebenm��igkeit der Form seiner S�tze und seiner Zyklen ist nicht zu �bertreffen;

aber �ber allen seinen �u�erungen gl�nzt etwas subjektives, rein romantischer

Schimmer, im Gef�hlhaften � die Nachwelt nannte es Sentimentalit�t -, in einer

Mischung von Grazie und Humor, die, wenn ins Objektive gewendet oder gedeutet, als

die Elfenmusik seiner "Sommernachtstraum"-Ouvert�re erscheint, und schliesslich in

einer Leidenschaftlichkeit, die romantisch wirkt durch eine Art von Ziellosigkeit".

 

Und darin schliesslich findet sich der unverbildet h�rende Mensch unserer Zeit in der

Musik des Felix Mendelssohn wieder. Wie in dem Kapitel, welches sich dem einstigen

ephemerischen Gl�ckskinde widmete bereits erw�hnt, waren die Umst�nde wahrhaftig

materieller und k�nstlerischer Prosperit�t nur eine Folie �u�erlicher Wahrnehmung. Da

er, von den letzten beiden Lebensjahren einmal abgesehen, gesellschaftlich,

musikalisch und famili�r perfekt funktionierte, den Anspr�chen hundertprozentig

gen�gte, teilte sich die Verlorenheit, welcher sich Felix Mendelssohn dessen ungeachtet

mit jedem Lebensjahre zunehmend �berantwortet f�hlte, nur durch seine Musik mit. Er

vermochte die Zeit und damit die Zeitenwende nicht aufzuhalten. Aggressiver

Kapitalismus, Industrialisierung und maschinelle Rationalisierung, das Heranwachsen

molochartiger Gro�st�dte, politische Radikalisierung der gegeneinander agitierenden

revolution�ren Parteien und prosperierender Nationalismus brachte diese eindeutig mit

sich.

 

Die humanistischen Ideale der Aufkl�rung, oder besser gesagt, der aufgekl�rten

Bildungsb�rgerschaft, welche ihn zeitlebens pr�gten, denen er sich verpflichtete, die

Wertsch�tzung gesellschaftlichen und menschlichen Ausgleichs, intellektueller, sittlicher

und religi�ser Bildung, die Veredelung des Menschen durch die klassischen

k�nstlerischen Erfahrungswerte des Wahren, Sch�nen und Guten, verloren zunehmend

an Wert. Auch die Achtung vor der Kreatur und der in zahllosen Dichterworten so

eindringlich verherrlichten nat�rlichen Umgebung des Menschen schwand. Die

Menschen, die ihn pr�gten, die ihn auf seinem Lebensweg begleiteten, waren nahezu

alle dahingegangen: Zelter, sein bewunderter Lehrer, Goethe, der kindlich verehrte

Dichterf�rst und Mentor, die Eltern Abraham und Lea, zuletzt Fanny, die seelisch und

musikalisch kongenial pr�destinierte Schwester. Was sollte er in dieser neuen Zeit

verm�gen, was konnte sie ihm bringen, er ihr geben?

 

Das Zeitalter der "Zeitlosigkeit", von der Heinrich Eduard Jacob in seinem Buche "Felix

Mendelssohn Bartholdy und seine Zeit" spricht, war zu Lebzeiten Mendelssohns zu

Ende gegangen. Jenes Zeitalter bedingte einstmals die Abkehr von tagespolitischem

Rumor, vom den nationalistischen Exzessen der Burschenschaften, der Revolution, der

Reaktion und anderen Beunruhigungen in deutschen Landen, also den vielf�ltigen

oftmals kurzlebigen Vorf�llen von "Zeit" zugunsten der Bewahrung und

Vervollkommnung des "Zeitlosen". Das Leben und Werk Johann Wolfgang von Goethes

stand daf�r Pate und Modell. Im Todesjahre 1847 befand sich das Leben des Felix

Mendelssohn somit in einer substantiellen Krise. Briefe, welche in diesem Jahre verfa�t

wurden k�nden von tiefen Depressionen.

 

144

 

 


 

So schrieb Felix Mendelssohn im Sommer 1847: "Wenn Menschen kommen und

durcheinander sprechen, von allen Allt�glichkeiten und von Gott und der Welt, so wird

mir gleich so uns�glich traurig zumute, dass ich gar nicht weiss, wie ich�s aushalten

soll."

 

Nachfolgend bekundet er noch einmal dezidiert das Ende einer �ra; den Niedergang der

"Zeitlosigkeit" der klassizistisch-humanistischen Epoche: Ein gro�es Kapitel ist nun ebenaus, -und von dem n�chsten ist weder die �berschrift, noch das erste Wort bis jetzt da.

Aber Gott wird es schon recht machen; dass pa�t an den Anfang und den Schlu� von

allen Kapiteln."

 

Dem grossen Rembrandt in Carl Zuckmayers inspiriertem, feinf�hlig nachgestaltendem

gleichnamigen Historien-Script res�mierte Mendelssohn, wie auch jener, am Ende

seines Lebens das fatalistisch substantielle Predigerwort Salomons von der Eitelkeit,

M��igkeit allen menschlichen Tuns aus dem alten Testament. Es kommt nicht von

ungef�hr, das uns diese letzten Jahre die erhabensten, von h�chster melancholischer

Intensit�t erf�llten Werke des Komponisten beschieden. Dennoch blieb Felix

Mendelssohn Bartholdy dem neu anbrechenden Zeitalter die Antwort, was er diesem

spezifisch zu geben vermocht h�tte, letztendlich schuldig. Er hat diese Krise nicht

�berstanden und starb, bevor es ihn vollends zu erreichen vermochte. Und so schrieb

der Mendelssohn-Zeitgenosse Werner A. Lampadius zum Tode des Komponisten im

Nachruf so trefflich:

 

"Denn mit ihm ist f�r jetzt der letzte classische Geist aus Germaniens grosser

Bildungsepoche seiner irdischen Behausung entflohen.�

 

Welcher Mensch auch unserer Tage kennt es nicht, hat es nicht selbst schon einmal

erfahren: die Situation vollendeter Ausweglosigkeit, das Gef�hl, das Leben gleite ihm in

allen Bereichen unaufhaltsam aus den H�nden, den Zweifel am Sinn bisherigen Tuns

und k�nftigen Strebens, die von Einstein feinf�hlig bemerkte substantielle Ziellosigkeit?

 

Dies, das Ersp�ren, Erleiden, Durchleben; das solidarische Mitf�hlen und �berliefern

einer fragilen Conditio Humana in der Sprache der Musik wie auch das Bem�hen

"zeitloses" musikalisch exemplarisch festzuschreiben und somit den Mitmenschen f�r

alle Zeit erfahrbar zu machen, ist die Aktualit�t, der Jetztzeitwert, welcher der Musik

Felix Mendelssohns unausgesetzt inne wohnt. Dies also ist ihre Botschaft an uns und

Nachgeborene!

 

Ulrich Schreiber res�miert das "Schicksal des Komponisten Felix Mendelssohn

Bartholdy" in seiner Betrachtung "Die Unbequemheit eines romantischen Klassizisten"

aus dem Jahre 1972 auf dem Cover einer Aufnahme der "Schottischen Symphony" mit

dem Gewandhausorchester unter Kurt Masur (Eurodisc/ Bertelsmann Club Ed. 1972)

denn auch mit vergleichbarem Resultat. Resignierend verweist er auf den hohen

Symbolcharakter Mendelssohnschen Lebens und Wirkens f�r die Befindlichkeiten, das

Sein oder Nichtsein eines prosperierenden, den gesellschaftlichen, kulturellen und

historischen Konsens erstrebenden deutschen Vaterlandes. Somit verdeutlicht sich der

Status Quo Deutschlands im 19. und 20. Jahrhundert -am Vorbilde Felix Mendelssohn

gemessen -in nahezu erschreckendem Ausma�e. Ein Deutschland -geeint oder nicht das

den strebsamen Humanisten Felix Mendelssohn Bartholdy nicht zu ertragen f�hig

war, krankte an sich selbst und konnte somit keinen Bestand und keine Zukunft haben.

 

145

 

 


 

Eine Tatsache, welche die plangem�� vollf�hrte Vernichtung von Millionen

Menschenleben und die Verheerungen an nahezu allem architektonisch-historisch

gewachsenem Kulturerbe durch Bomben auf deutschem Boden, anschaulich

hervorheben.

 

(Es) "begann eigentlich erst nach seinem Tod ein spezifisch deutsches zu werden. (...)

Was diesem kurzen Menschenleben in der ersten H�lfte des 19. Jahrhunderts

widerfuhr, war die Konkretisierung der Popularphilosophie seines Gro�vaters Moses

Mendelssohn (...), Konkretisierung einer Lebensphilosophie, die -w�re sie nicht nur

Vorschu� bis zum Lebensende gewesen -die Zukunft Deutschlands �ber die zweite

H�lfte des vorigen Jahrhunderts bis zu unserer Zeit hin h�tte pr�gen k�nnen als eine

Synthese der Kantschen Aufkl�rungsphilosophie, als Ausweg des Menschen aus seiner

selbstverschuldeten Unm�ndigkeit. (...) Doch der Weg der Menschheit ist nicht jener der

Vernunft, nicht jener, der aus der Unm�ndigkeit herausf�hrt. Mendelssohn, der als

Siebenj�hriger protestantisch getauft wurde, hat vielleicht nur ein einziges Mal erfahren,

da� die deutsche Philosophie zwar f�r die Vernunft und gegen die Unm�ndigkeit focht,

da� sie aber kein Mittel besa�, einer Machtergreifung vorzubeugen, (...) als deren Folge

Vernunft und M�ndigkeit ihres universal-humanen Wirkungshorizontes beraubt und zum

reinen Verf�gungsobjekt einer sich rassisch auserkoren d�nkenden Schicht werden

wurde".

 

Nachfolgend verweist Schreiber auf jenes einschl�gige Zelterwort vom "Judensohne",

l�sst dabei aber die Anw�rfe auf den Strassen Berlins und Dobberans au�er Acht.

 

Der Zwiespalt, welcher sich -Zelters Worten zufolge -zwischen den Positionen

Deutscher und Jude, Jude und Taufe, Lehrer und Meistersch�ler unverkennbar auftat,

wird in der Biographie Mendelssohns allein dadurch offenbar, das jener sein

Deutschsein gerade in fr�her erw�hntem Schreiben an den Lehrer exemplarisch f�r sich

einforderte.

 

Schreiber kommt denn auch folgerichtig auf die vermeintliche Unvereinbarkeit all dieser

Begriffe und Daseinszust�nde zu sprechen:

 

"Dass dieser Ausspruch zu einem hoffnungslosen Stigma werden sollte, wissen erst die

weit nach Mendelssohn geborenen: dass die einen ihn als Juden reklamierten, wo doch

in seinem Werk sich nicht ein einziger Takt von Synagogenankl�ngen findet, und dass

die anderen ihn als Christen f�r sich forderten, wo er doch Zeit seines Lebens sich nur,

und um so st�rker, je weiter er auf seinen Reisen von der Heimat entfernt war, als

Deutscher f�hlte."

 

Intermezzo VIII: Es ist alles ganz eitel und ein Haschen nach Wind

 

Dies sind die Reden des Predigers des Sohnes

Davids, des K�nigs zu Jerusalem:

 

 

Es ist alles ganz eitel, sprach der Prediger, es ist alles ganz eitel.

Was hat der Mensch f�r Gewinn von all seiner M�he, die er hat unter der Sonne?

 

 

Ein Geschlecht vergeht, das andere kommt; die Erde bleibt aber ewiglich. Die Sonne

geht auf und geht unter und l�uft an ihrem Ort, dass sie wieder daselbst aufgehe.

 

 

146

 

 


 

Der Wind geht gen Mittag und kommt herum zur Mitternacht und wieder herum an den

Ort, da er anfing. Alle Wasser laufen ins Meer, doch wird das Wasser nicht voller;

 

 

an den Ort, da sie her flie�en, flie�en sie wieder hin.

 

 

Es sind alle Dinge so voll M�he, dass es niemand ausreden kann.

Das Auge sieht sich nimmer satt, und das Ohr h�rt sich nimmer satt.

 

 

Was ist�s, das geschehen ist? Eben das hernach geschehn wird.

Was ist�s, das man getan hat? Eben das, was man hernach wieder tun wird;

und geschieht nichts neues unter der Sonne.

 

 

Geschieht auch etwas, davon man sagen m�chte: Siehe, das ist neu?

Es ist zuvor auch schon geschehen in den langen Zeiten, die vor uns gewesen sind.

 

 

Man gedenkt nicht derer, die zuvor gewesen sind; also auch derer,

so hernach kommen, wird man nicht gedenken bei denen, die darnach sein werden.

 

 

Ich, der Prediger, war K�nig �ber Israel zu Jerusalem und richtete mein Herz,

zu suchen und zu forschen wei�lich alles, was man unter dem Himmel tut.

 

 

Solche unselige M�he hat Gott den Menschenkindern gegeben, dass sie

sich darin m�ssen qu�len. Ich sah an alles Tun, das unter der Sonne geschieht; und

siehe, es war alles eitel und haschen nach Wind. (...)

 

 

Und richtete auch mein Herz darauf, dass ich erkenne Weisheit und erkenne Tollheit

und Torheit. Ich ward aber gewahr, dass solches auch haschen nach Wind ist.

 

 

Denn wo viel Weisheit ist, da ist viel Gr�mens; und wer viel lernt, der muss viel leiden.

Ich sprach zu meinem Herzen: Wohlan, ich will wohl leben und gute Tage haben!

Aber siehe, das war auch eitel. (...)

 

 

Ich tat grosse Dinge: ich baute H�user, pflanzte Weinberge; (...) ich hatte

Knechte und M�gde und auch Gesinde, (...) ich hatte eine gr��ere Habe an

Rindern und Schafen denn alle, die vor mir in Jerusalem gewesen waren;

 

 

ich sammelte mir auch Silber und Gold und von den K�nigen und L�ndern einen Schatz

(...) und nahm zu �ber alle die vor mir zu Jerusalem gewesen waren (...)

 

 

und alles, was meine Augen w�nschten, dass liess ich ihnen und wehrte meinem

Herzen keine Freude, dass es fr�hlich war von all meiner Arbeit;

und das hielt ich f�r mein Teil von aller meiner Arbeit.

 

 

Da ich aber ansah alle meine Werke, die meine Hand getan hatte und die M�he, die ich

gehabt hatte, siehe, da war es alles eitel und haschen nach Wind

und kein Gewinn unter der Sonne.

 

 

Da wandte ich mich zu sehen die Weisheit und die Tollheit (...).

Da sah ich, dass die Weisheit die Tollheit �bertraf wie das Licht die Finsternis;

dass dem Weisen seine Augen im Haupt stehen, aber die Narren

in der Finsternis gehen; und merkte doch, dass es einem geht wie dem anderen.

 

 

147

 

 


 

Da dachte ich in meinem Herzen: Weil es denn mir geht wie dem Narren,

warum habe ich denn nach Weisheit getrachtet?

 

 

Da dachte ich in meinem Herzen, dass solches auch eitel sei.

Denn man gedenkt des Weisen nicht immerdar, ebenso wenig wie des Narren,

und die k�nftigen Tage vergessen alles; und wie der Narr stirbt, also auch der Weise.

 

 

Darum verdro� mich zu leben; denn es gefiel mir �bel,

was unter der Sonne geschieht, dass alles eitel ist und Haschen nach Wind.

 

 

Und mich verdro� alle meine Arbeit, die ich unter der Sonne hatte,

dass ich dieselbe einem Menschen lassen m�sste, der nach mir sein sollte.

 

 

Denn wer weiss, ob er weise oder toll sein wird? Und soll doch herrschen in aller

 

 

meiner Arbeit, die ich wei�lich getan habe unter der Sonne. Das ist auch eitel. (...)

 

 

Denn es muss ein Mensch, der seine Arbeit mit Weisheit, Vernunft

und Geschicklichkeit getan hat, sie einem andern zum Erbteil lassen,

der nicht daran gearbeitet hat. Das ist auch eitel und ein gro�es Ungl�ck.

 

 

Denn was kriegt der Mensch von aller seiner Arbeit

und M�he seines Herzens, die er hat unter der Sonne?

 

 

Denn alle seine Lebtage hat er Schmerzen mit Gr�men und Leid,

 

 

dass auch sein Herz des Nachts nicht ruht. Das ist auch eitel. (...)

 

 

Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vornehmen

unter dem Himmel hat seine Stunde.

 

 

Geboren werden und sterben, pflanzen und ausrotten, was gepflanzt ist,

w�rgen und heilen, brechen und bauen, weinen und lachen, klagen und tanzen,

 

 

Steine zerstreuen und Steine sammeln, herzen und ferne sein von Herzen, suchen und

verlieren, behalten und wegwerfen, zerrei�en und zun�hen,

 

 

schweigen und reden, lieben und hassen,

Streit und Friede hat seine Zeit.

 

 

Man arbeite, wie man will, so hat man keinen Gewinn davon. Ich sah die M�he,

die Gott den Menschen gegeben hat, dass sie darin geplagt werden,...

 

 

denn der Mensch kann doch nicht treffen das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch

Ende (...) Was geschieht, das ist zuvor geschehen, und was geschehen wird, ist auch

zuvor geschehen; und Gott sucht wieder auf, was vergangen ist. (...)

 

 

Ich sprach in meinem Herzen: Es geschieht wegen der Menschenkinder,

auf dass Gott sie pr�fe und sie sehen, dass sie an sich selbst sind wie das Vieh.

 

 

148

 

 


 

Denn es geht dem Menschen wie dem Vieh: wie dies stirbt, so stirbt er auch,

und haben alle einerlei Odem, und der Mensch hat nichts mehr als das Vieh;

denn es ist alles eitel.

 

 

Es f�hrt alles an einen Ort; es ist alles von Staub gemacht und wird wieder zu Staub.

Wer weiss, ob der Odem der Menschen aufw�rts fahre und der Odem des Viehs

unterw�rts unter die Erde fahre?

 

 

So sah ich denn, dass nichts besseres ist, als dass ein Mensch fr�hlich sei in seiner

Arbeit, denn das ist sein Teil. Denn wer will ihn dahin bringen, dass er sehe, was nach

ihm geschehen wird? (...)

 

 

Ich sah an Arbeit und Geschicklichkeit in allen Sachen; da neidet

einer den andern. Das ist auch eitel und haschen nach Wind. (...)

 

 

Ich wandte mich und sah die Eitelkeit unter der Sonne. Es ist ein

einzelner (...) und hat weder Kind noch Bruder; doch ist seines Arbeitens

kein Ende, und seine Augen werden Reichtums nicht satt.

 

 

Wem arbeite ich doch und breche meiner Seele ab? Das ist auch eitel und eine b�se

M�he. (...) Wo viel Tr�ume sind, da ist Eitelkeit und viel Worte; aber f�rchte du Gott. (...)

 

 

Wer Geld liebt, wird des Geldes nimmer satt; und wer Reichtum liebt,

wird keinen Nutzen davon haben. Das ist auch eitel. (...)

 

 

Denn der Reiche kommt um mit gro�em Jammer, (...) wie er nackt ist von

seiner Mutter Leibe gekommen, so f�hrt er wieder hin, wie er gekommen ist,

 

 

und nimmt nichts mit sich von seiner Arbeit in seiner Hand, wenn er hinf�hrt.

Das ist ein b�ses �bel, dass er hinf�hrt, wie er gekommen ist.

Was hilft�s ihm denn, dass er in den Wind gearbeitet hat? (...)

 

 

Einer, dem Gott Reichtum, G�ter und Ehre gegeben hat und mangelt ihm keins, das

sein Herz begehrt; und Gott gibt doch ihm nicht Macht, es zu genie�en, sondern ein

anderer verzehrt es; das ist eitel und ein b�ses �bel. (...)

 

 

Es ist besser, das gegenw�rtige Gut gebrauchen, denn nach anderem gedenken.

Das ist auch Eitelkeit und haschen nach Wind. (...)

 

 

Das habe ich alles gesehen, und richtete mein Herz auf alle Werke, die unter der Sonne

geschehn. Ein Mensch herrscht zuzeiten �ber den andern zu seinem Ungl�ck.

 

 

Und da sah ich Gottlose, die begraben wurden und zur Ruhe kamen;

aber es wandelten hinweg von heiliger St�tte und wurden vergessen

in der Stadt die, so recht getan hatten. Das ist auch eitel. (...)

 

 

Es ist eine Eitelkeit, die auf Erden geschieht: es sind Gerechte,

denen geht es, als h�tten sie Werke der Gottlosen - und sind Gottlose,

denen geht es, als h�tten sie Werke der Gerechten. Ich sprach: Das ist auch eitel. (...)

 

 

149

 

 


 

Fr�he s�e deinen Samen und lass deine Hand des Abends nicht ab; denn du wei�t

nicht, ob dies oder das geraten wird; und ob beides geriete, so w�re es desto besser.

 

 

Es ist das Licht s��, und den Augen lieblich, die Sonne zu sehen.

Wenn ein Mensch viele Jahre lebt, so sei er fr�hlich in ihnen allen und gedenke

der finstren Tage, dass ihrer viele sein werden, denn alles, was kommt, ist eitel.

 

 

So freue Dich, J�ngling, in deiner Jugend und lass dein Herz guter Dinge sein

in Deiner Jugend. Tue, was Dein Herz gel�stet und deinen Augen gef�llt (...)

 

 

La� die Traurigkeit aus deinem Herzen und tue das �bel

von deinem Leibe; denn Kindheit und Jugend sind eitel.

 

 

Gedenke an deinen Sch�pfer in deiner Jugend, ehe denn die b�sen Tage kommen

und die Jahre herzutreten, da du sagen wirst: sie gefallen mir nicht;

 

 

ehe denn die Sonne und das Licht, Mond und Sterne finster werden

und Wolken wieder kommen nach dem Regen; (...)

 

 

wenn man auch vor H�hen sich f�rchtet und sich scheut auf dem Wege;

wenn der Mandelbaum bl�ht, und die Heuschrecke beladen wird,

 

 

und alle Lust vergeht (denn der Mensch f�hrt hin (...) und die Klageleute gehen umher

auf der Gasse) (...) Denn der Staub muss wieder zu der Erde kommen, wie er gewesen

ist. Und der Geist wieder zu Gott, der ihn gegeben hat.

 

 

Es ist alles ganz eitel, sprach der Prediger, ganz eitel.

 

 

La�t uns die Hauptsumme aller Lehre h�ren: F�rchte Gott und halte seine Gebote; denn

das geh�rt allen Menschen zu.

 

Denn Gott wird alle Werke vor Gericht bringen, alles, was verborgen ist, es sei gut oder

b�se.

 

Die Lekt�re dieses hier in Ausz�gen wiedergegebenen, erhabenen alttestamentarischen

Textes verdeutlicht, wie folgerichtig Felix Mendelssohn Bartholdy denselben kurz vor

seinem Tode rezitierte. Reflektiert sich doch dessen gesamter Lebenswandel oder das

Spektrum seines Lebens bis hin zu der unmittelbaren seelischen Befindlichkeit der

letzten Monate in hoher Affinit�t in diesen Versen. Die Lekt�re l�sst uns auch

ma�geblich an der ethischen Pers�nlichkeit Mendelssohn teilhaben. Sie zeigt uns somit

auch den tiefgl�ubigen Menschen, welcher sein ganzes Leben dem Predigerworte

gem�� verbrachte.

 

Sich in ma�geblicher ethischer Selbstverpflichtung, bis hin zu �berlastung und

�berarbeitung in seiner musikalischen und somit humanistischen T�tigkeit, dabei

"fr�hlich war in seiner Arbeit" und somit der Aussendinge, der "Eitelkeiten" wenig

achtete.

 

Oh ja, Felix Mendelssohn Bartholdy hatte die Jahre der Jugend, stetigen musikalischen

Wirkens zum Trotze, wahrlich genossen, sich "ihrer erfreut" und "liess sein Herz guter

Dinge sein".

 

150

 

 


 

Ehe denn die "b�sen Jahre kamen", welche ihm nach und nach die Mitglieder seiner

Familie und andere geliebte Menschen vor der Zeit rauben sollten. "Eitel" erschienen am

Ende seines Lebens die Jahre jugendlicher Freuden und jene erfolgreichen,

musikerf�llten Mannestums.

 

Nichtig war ihm der Reichtum, den man ihm noch so h�ufig zum Vorwurf machen sollte.

Mendelssohn achtete des Geldes, der irdischen G�ter nicht und verwandte es stets zum

Wohle der Familie, der ihm unterstellten Musiker, der Musik und anderen wohlt�tigen

Zwecken. Konnte es doch vom Streben eines ethisch angeleiteten Herzens nach

menschlicher Vollendung nicht f�r einen Augenblick freikaufen; es lediglich auf dem

Wege der Vervollkommnung begleitend und unterst�tzend zur Geltung kommen.

 

Nichtig erschien ihm am Ende seines Lebens auch sein musikalisches Schaffen, sein

unaufh�rliches Bem�hen um das Wohl des deutschen Musiklebens, mit welchem er

einstmals glaubte, zur Versch�nerung der Welt, zur Verbesserung der Lebensumst�nde

auf ihr und in ihr beitragen zu k�nnen. Nichtig, "eitel", ein vergebliches "haschen nach

Wind" erschien ihm nunmehr das Streben um Vervollkommnung der musikalischen

Form und des musikalischen Ausdrucks, jenes Elementes also, das man sp�ter sooftmals in erkl�rter oder willf�hriger �chtung als "perfektionistische Gl�tte" seiner Musik

verunglimpfen sollte. H�tte er ahnen k�nnen, dass Wagner und Nationalsozialisten,

willf�hrige Musikwissenschaftler, Enzyklop�disten, Rezensenten und Adepten jedweder

Art es vermochten, die fatalistisch heraufbeschworene Nichtigkeit musikalischen

Mendelssohnschen Strebens nahezu dauerhaft zu bewahrheiten?

 

32. Grenzen in der Bedeutung dieser Musik

Gerhard von Westerman, als Musikfunktion�r und Autor in den Kultur-und

Propagandabetrieb des "III. Reiches" seinerzeit fest eingebunden, legte im Jahre 1956

einen Konzertf�hrer vor, welcher neben Hans Renners Standard-Ver�ffentlichung aus

dem Hause Reclam bis in die 70ziger Jahre hinein Allgemeinverbindlichkeit unter

Musikfreunden der �BRD� besa�. Von Westerman war in der NS-Zeit als Intendant der

Berliner Philharmoniker t�tig und geh�rte im Jahre 1942 neben den Komponisten

Werner Egk und Paul H�ffer, sowie Egon Kornrauth einer Kommission an, welche im

Auftrage des Propagandaministeriums �ber die publicitytr�chtige Verteilung finanzieller

Zuwendungen an zahlreiche prominente und nachgeordnete Komponisten zu befinden

hatte.

 

Er pr�sentiert in seinem Konzertf�hrer Beschreibungen folgender Werke Mendelssohns:

des "Violinkonzertes in E-moll" op. 64., des "Klavierkonzertes in G-moll" op. 26, der

"Italienischen" und "Schottischen Symphony", der Ouvert�ren "Hebriden", "Meeresstille

und Gl�ckliche Fahrt", "Das M�rchen von der sch�nen Melusine", und

"Sommernachtstraum"; sowie der Oratorien "Paulus" und "Elias" .

 

Dies stellt zugleich einen �berblick der Werkfolge, auf welche sich Felix Mendelssohns

umfangreiches Orchester-, Kammermusik und Vokalschaffen in Westdeutschland nach

1945 reduzierte, dar. Den Werkbetrachtungen gibt er einleitend Einsch�tzungen vorweg,

welche alle bislang dargelegten Traditionen und Stereotypen der Mendelssohn-

Rezeption innerhalb der Deutschen Musikwissenschaft der vergangenen 100 Jahre

bruchlos fortschreiben. Daneben stehen unumg�nglich vorzubringende Worten der

Relativierung unhaltbarer Positionen des 19. Jahrhunderts sowie der Anklage von Nazi-

Willk�r.

 

151

 

 


 

Es werden Einsch�tzungen vorgelegt, welche im Anspruche abschlie�enden

endg�ltigen Urteils die g�ltigen Invektiven der Mendelssohn-Verunglimpfung

zusammenfassen:

 

"Sein Leben war ein einziger Siegeslauf. Die gl�nzende musikalische Begabung, die

ihm (...) Erfolge �ber Erfolge eintrug, das Liebensw�rdige seiner Pers�nlichkeit, das ihm

aller Sympathien verschaffte, die finanzielle Unabh�ngigkeit durch den grossen

Reichtum seines Vaters (...) -alle diese Gl�cksumst�nde wirkten zusammen (...).

Gegen�ber dem unsteten St�rmer und Dr�nger Schumann (...) wirkte der �beraus

fr�hreife Mendelssohn ruhig und �berlegen in der klassischen Formbeherrschung. (...)

Man hat Mendelssohn daraufhin eine gewisse inhaltsleere Gl�tte vorgeworfen (...). Die

Wiederbegegnung mit seinen Werken nach dem sinnlosen Verbot in der

nationalsozialistischen Zeit zeigte dann deutlich die Grenzen in der Bedeutung dieser

Musik. (...) Seine Melodien verm�gen ebenso zu r�hren wie zu bezaubern, seine Musik

vermittelt Freude und Entz�cken, zu ergreifen oder gar zu ersch�ttern vermag sie

allerdings in den seltensten F�llen. In der kleinen Form, etwa in den reizenden Liedern

ohne Worte oder im virtuosen Stil (...) konnte Mendelssohn sein Bestes geben."

 

33. Sein Platz nach Beethoven und Brahms ist ehrenvoll genug

Im Jahre 1965 erschien das "Musiklexikon" der "Deutschen Buchgemeinschaft" als

Nachdruck eines vormals ver�ffentlichten Lexikons aus dem Hause Ullstein.

Herausgeber war Friedrich Herzfeld.

 

Das Ullstein/ �DBG�-Musiklexikon wurde, enzyklop�dischen Gepflogenheiten gem��,

von einem wissenschaftlichen Autorenteam erarbeitet, die Beitr�ge selbst verbleiben im

Gegensatz zu Kompendien, welche den Artikeln zumindest ein Sigle zugestehen vollends

in der Anonymit�t.

 

Erneut ist der Felix Mendelssohn Eintrag eines Lexikons insgesamt von

Geringsch�tzung des Sujets Mendelssohn gepr�gt. Er irritiert des weitern durch die

merkw�rdige Gepflogenheit, biographische Fakten weniger zu pr�zisieren, sondern

lediglich lakonisch anzudeuten, als ob es der genaueren Darlegung nicht wert w�re.

 

"F. M. trug seinen Vornamen Felix zu Recht, denn das Leben zeigte sich ihm von seiner

lichten Seite. Der Reichtum des Elternhauses erlaubte vielseitige Ausbildung.

Mendelssohn-Bartholdy wurde mit seiner Schwester Fanny im Klavierspiel unterrichtet.

(...)

 

1826, also mit 17 J.; komponierte M. die Ouvert�re zu Shakespeares

"Sommernachtstraum". Keines seiner sp�teren Werke konnte dieses geniale St�ck

�bertreffen. (...)

 

In solchen kleinen KlSt�cken (Klavierst�cken, Anm. d. Verf.) zeigte sich M. von der

besten Seite. Als Zeugnisse seiner sensitiven Romantik entz�cken sie durch

schmachtende Melodik und Formgl�tte. M.s Lieder ohne Worte waren daher f�r das

B�rgertum des 19. Jh. ideale HausMs. Gerade deshalb haben sie heute an Geltung

verloren. (...)

 

Eine Berufung als MusTheoretiker an die Berliner Univers. lehnte M. ab. Seiner

Bewerbung als Dirigent der Singakademie wurde nicht entsprochen. Daher trennte sich

 

M. von Berlin. (...)

152

 

 


 

M. offenbarte hier den Grundzug seines Tonschaffens: romantischen Ausdruck mit

klass. Form zu verbinden. Aus der Besch�ftigung mit Bach erwuchsen f�r M. freilich

auch Gefahren, denn sein Kontrapunkt geriet nur �u�erl. In gr��eren W. blieb ein

Zwiespalt zwischen Form und Inhalt (...)

Die OrgelW. verbla�ten schnell. (...)

 

Nach der "Sommernachtstraum-Ouvert�re" war M. nie wieder so gl�cklich in der them.

Erfindung wie bei seinem VlKonz.e moll opus 64. Sein Platz nach Beethoven und

Brahms ist ehrenvoll genug. Ein halbes J. nach dem Tod der geliebten Schwester starb

 

M. ohne ersichtliche Krankheit."

34. "Diese Musik wurde ermordet" I

"Das Problem Mendelssohn" war demzufolge ein im Jahre 1972 von der musikwissenschaftlichen

Autorit�t Carl Dahlhaus in Berlin veranstaltetes Symposium betitelt, das

sich, dem dramatischen Titel zuwiderlaufend, n�chterner Analyse dramaturgischer und

kompositionstechnischer Fragen von Mendelssohns Musik widmete. Das wahre

Problem Mendelssohn fasst Heinrich Eduard Jacob in seinem engagierten

Mendelssohn-Portrait "Felix Mendelssohn und seine Zeit" von 1958 denn auch

symboltr�chtig zusammen:

 

�Musik, wie sich erwiesen hat, ist durchaus nichts unsterbliches. Aber wie jedes

Zeitalter, dessen innerster Ausdruck sie ist, hat sie Anspruch auf einen nat�rlichen Tod.

Die Musik Felix Mendelssohns ist keines nat�rlichen Todes gestorben. Sie wurde

ermordet.�

 

Musikwissenschaftler in der sozialistischen Deutschen Demokratischen Republik und

den USA bem�hten sich ab Ende der 50ziger Jahre entschiedener um Relativierung und

grundlegende Neudefinierung eines vergangenheits-und gegenwartgerechten

Mendelssohn-Bildes. Die 2. Ausgabe der Zeitschrift "Musik und Gesellschaft" (DDR

1959) bezog sich in grossen Teilen auf den Anlass der Wiederkehr des 175.

Geburtstages des Komponisten.

 

Der Musikhistoriker Karl-Heinz K�hler, damals Leiter der Musikabteilung der "DeutschenStaatsbibliothek Berlin" (Ost), legte darin erstmals einen �berblick der Jugendwerke vor,

welche auch die handschriftlich �berlieferten, in der bisherigen Gesamtausgabe

ausgeklammerten Werke einbezog. Der Beitrag ging mit den Vorbereitungen der

"Leipziger Ausgabe der Werke F. M. B." einher, welche in den ersten B�nden

ausschlie�lich unver�ffentlichte Werke vorlegte und Mendelssohn somit in den Rang

anderer grosser Musiker erhob, die zeitgleich fundamentale, philologisch exakte

Gesamtausgaben erfuhren.

 

In einem anderen Beitrag setzte sich Georg Knepler eine auf Pr�missen

musikhistorischer Objektivit�t gr�ndende Gesamtw�rdigung des Lebens und Werkes

Mendelssohns zum Ziel, die auch das weit reichende Feld der Analyse von

Spezialfragen bez�glich Mendelssohns Wirken ansprach. Mit dem Essay unternahm

Knepler die Vorver�ffentlichung von Passagen seiner umfassenden Musikgeschichte

des 19. Jahrhunderts aus dem Jahre 1961, welche die dringlich gebotene Aufl�sung

 

153

 

 


 

einheitlich verstandener Betrachtung von musikalischer Werk-und Rezeptions�sthetik

des sp�ten 19. Jahrhunderts vornahm, die Riemanns Enzyklop�die so nachhaltig

pr�gte.

 

In den USA wirkten beispielsweise Eric Werner und Donald Mintz im Sinne einer

objektiven Neusicht auf das Oeuvre Mendelssohns. Neben zahlreichen Essays, welche

sich mit Spezialfragen des Sujets befa�ten, legte Werner im Jahre 1963 eine Biographie

des Komponisten vor, die Erkenntnisse aus bislang unver�ffentlichtem Briefmaterial

bezog und mittlerweile als Standardwerk eingesch�tzt wird.

 

In der bereits herangef�hrten Betrachtung Ulrich Schreibers von der "Unbequemheit

eines romantischen Klassizisten" nimmt der westdeutsche Autor auch eine

Bestandsaufnahme vom Tageswert Mendelssohnscher Musik in den 70zigerJahren vor.

Dabei kommt in behutsam allegorischer Verklausulierung auch die massive Pr�senz

ehedem nationalsozialistisch gepr�gter Funktion�re in allen Bereichen

bundesdeutschen Musiklebens zur Sprache.

 

"Sicherlich w�re es unsinnig, vom Deutschen Musikbetrieb eine Wiedergutmachung an

einem lange diffamierten Komponisten zu verlangen; denn dieser Musikbetrieb ist selbst

derart hoffnungslos stigmatisiert, dass von ihm keine Kl�rung seiner Zukunft �ber eine

Bew�ltigung der Vergangenheit zu erhoffen ist.

 

Denn eines steht fest: bis auf eine oder 2 Ouvert�ren, bis auf eine oder 2

Symphonien, bis auf das Violinkonzert schliesslich ist Mendelssohn heute tot. Seine

Chormusik, seine Streichquartette, seine Lieder ohne Worte, das alles ist vergessen,

weil niemand sich Gedanken dar�ber macht, dass in der Musik dieses klassischen

Romantikers geradezu paradigmatisch das zum Ausdruck kommt, was heute noch

unser Musikleben...ausmacht: eben die kanonischer Verbindung von Klassik und

Romantik."

 

35. Das erreichbare H�chstma� an Gl�tte und Ausgeglichenheit...

Im Nachbarstaat �sterreich wiederum ist die Tradition der Mendelssohn-Pflege unter

umgekehrtem Vorzeichen, also einschl�gigen �sthetischen Vorbehalten gegen seine

Musik auch in neuerer Zeit zumindest partiell nachweisbar. Der Verlag �Jugend und

Volk� (!) Wien beschied den im Verlagsnamen genannten Zielgruppen im Jahre 1970 im

�Symphoniekonzert � ein Stilf�hrer durch das Konzertrepertoire�, da�: �die

Vollkommene Beherrschung der kontrapunktischen Technik und sein spezieller Sinn f�r

das Verbindliche (...) ihn (Mendelssohn) zu einem symphonischen Stil (f�hrten), der das

erreichbare H�chstma� an Gl�tte und Ausgeglichenheit erzielte�

 

In der Betrachtung der 4. Symphony � die "Italienische" interpretiert der Autor Rudolf

Klein des Weiteren den Werkcharakter ausschlie�lich aus schriftlich niedergelegten

Impressionen heraus, welche das Land Italien beim Komponisten hinterlie�.

 

Klein behauptet, da� �f�r ihren (der 4. Symphony) Charakter (...) bezeichnend (ist), was

der Komponist �ber seine Empfindungen in Italien schrieb: �Ich habe mir den ganzen

ersten Eindruck von Italien wie einen Knalleffekt, schlagend, hinrei�end gedacht; -so ist

es mir bis jetzt nicht erschienen, aber von einer W�rme, Milde, Heiterkeit, von einem

�ber alles sich ausbreitenden Behagen und Frohsinn, da� es unbeschreiblich ist.�

 

154

 

 


 

Behagen und Frohsinn sprechen auch aus dem Werk, da� direktere Beziehungen zu

seinem Titel nur durch den letzten Satz schafft, einem Saltarello, in dessen Rhythmik

und Melodik die Tarantella des Italieners eingefangen scheint.�

 

Da diese, ohne jeden Hinweis auf Quelle und Datum herangef�hrte Konstatierung

impliziten Klischees bez�glich �W�rme, Milde und Heiterkeit� aus dem Munde des

Komponisten selbst in keinem erkennbaren Zusammenhang zur Komposition steht,

erscheint die Vorgehensweise Kleins, eine Werkinterpretation nicht aus der Analyse

konkret vorgelegter Musik, sondern aus autonomen biographischen Subjektivismen

herzuleiten, als fragw�rdig und tendenziell.

 

�bereinstimmung oder Abweichung der Mendelssohn-Rezeption �sterreichs bis zum

�Anschluss� im Jahre 1938 und nach dem Ende des nationalsozialistischen Regimes;

des Weiteren die Mendelssohn (und Meyerbeer)-Rezeption in der deutschsprachigen

Schweiz vollst�ndig nachzuvollziehen, dies Thema w�re wiederum einer eigenst�ndigen

Untersuchung wert.

 

36. Philosophische Musici: vom Gewandhausdirecteur Moses Mendelssohn

Der Komponist und Musikpublizist Walter Abendrot war in den Jahren des III. Reiches

aus einem Freundeskreis um den in nationalistisch-antisemitischer Zwiesp�ltigkeit

befangenen Komponisten Hans Pfitzner heraus als Agitator gegen �j�dische

Musikzersetzung� und neue Musik t�tig. Er verk�ndete nach 1945 u. a. als

Feuilletonchef der renommierten Wochenzeitung "Die Zeit", Gr�ndungsmitglied der

"Freien Akademie" in Hamburg und Autor weiterhin Lehrmeinungen latent

antisemitischen Charakters.

 

In einer Ende der sechziger Jahre erschienenen "Kurzen Geschichte der Musik"

zeichnet er so mit ausgesucht freundlichen, diffamierenden Worten das Portrait eines

charmanten, oberfl�chlichen j�dischen Dandys:

 

�Ein anderes Berliner Bankhaus bescherte der deutschen Musikromantik ihren

urbansten Vertreter: den liebensw�rdigen, eleganten, formgewandten und

lebenst�chtigen, heiter-gebildeten und j�nglinghaft-verschw�rmten Felix Mendelssohn-

Bartholdy.�

 

Wenige Zeilen sp�ter verl��t er die Ebene wohlwollenden Kulturplauderns zugunsten

deutlicher Worte:

 

�Es unterliegt keinem Zweifel, das (...) das Violinkonzert die Geiger immer anziehen

wird, von den Klavierkompositionen die Lieder ohne Worte beste Hausmusik sind, auch

in gewissen d�nnbl�tigen Nummern, die dann wieder durch ihre spielerische Leichtigkeit

entsch�digen. Die beiden Oratorien Paulus und Elias haben uns nicht mehr allzu viel zu

sagen, desgleichen die meiste Kammermusik, die Psalmen, Motetten, Lieder und jene

Art von M�nner-und gemischten Ch�ren, an denen sich biergem�tliche

Gesangsvereine jahrzehntelang nicht ers�ttigen konnten.�

 

Die "Kurze Geschichte der Musik" Walter Abendroths wurde im Jahre 1978 als

Taschenbuch neu verlegt. Sie war bis in unsere Tage hinein in der 4.

Taschenbuchauflage von 1994 (DTV/B�renreiter) �ber jede Buchhandlung problemlos

zu beziehen; und wirbt mit �dem Vergn�gen einer fast plaudernd vorgetragenen

Belehrung� f�r � oberfl�chlich Interessierte�.

 

155

 

 


 

Somit stellten diese nur 147 Seiten umfassende Musikgeschichte auch hinsichtlich ihres

attraktiven Taschenbuch-Preises sicherlich die ideale Erstlekt�re f�r junge

Musikliebhaber dar, der Fortbestand der Auffassung Mendelssohns als eines

�bersch�tzten Kleinmeisters war somit partiell gew�hrleistet. Der aktuelle

Internetbuchhandel h�lt das Buch indes in hohem Ma�e antiquarisch verf�gbar.

 

Auch Walter Abendroth liess sich in jenen unseligen Jahren der Hitler-Diktatur u. a. �ber

die Frage "Musik und Rasse" aus, herausgegeben in "Deutsches Volkstum" von 1937.

Ein weiteres Traktat liegt in "Opernideale der Rassen und V�lker" aus "Die Musik" vom

M�rz des Jahres 1936 vor.

 

Musikf�hrer aus dem Traditionshause Reclam transportierten die das Oeuvre

Mendelssohns entwertenden Stereotypen bis in die neunziger Jahre hinein. Sie halten,

der �berarbeitung j�ngster Zeit zum Trotz, Beurteilungen vom �Sinn f�r �sthetisch

�sch�ne� Wirkung�, vom �Stil (...) der klassisches Ebenma� der Form mit romantischer

Empfindsamkeit wohltuend verbindet� als �Stil des geringsten Widerstands�, wie Hans

Renner im dem in den 60ziger Jahren erschienen Orchestermusikf�hrer aus dem

Reclam-Verlag schreibt; also gel�ufige Entwertungen von Mendelssohns Schaffen, dem

erw�hnten Konzertf�hrer von Westermans gleich, �ber Bibliotheken weiterhin aufrecht.

 

Der Musikpublizist Hans Renner, Autor einer umfangreichen Musikgeschichte, welche u.

 

a. in den 90ziger Jahren �ber Buchgemeinschaften vertrieben wurde, war im III. Reich

im Rahmen der Organisation "Deutsche Arbeitsfront" (DAF) t�tig.

So geh�rte er im Jahre 1934 einem Gremium der DAF an, welches einen Musikpreis f�r

Kompositionen zu vergeben hatte, die den Ethos Deutscher Arbeit verherrlichten. Der

Preis von 500 RM erging an "Weckruf und Lob der Arbeit" von Karl Gerstenberg.

 

In seiner Geschichte der Musik", erstmals erschienen im Jahre 1965 und im Jahre 1991

unver�ndert vom Bertelsmann-Buchclubverlag nachgedruckt, pr�gt Renner das Bild

eines Kleinmeisters der Biedermeier-Zeit, welcher seine eng bemessenen Grenzen klar

erkannt und somit lediglich als "sch�nster Zwischenfall der deutschen Musik" zu gelten

habe. Die tendenzielle, von Antisemitismus und NS-Zeit beeinflu�te Sichtweise auf

Person und Werk Felix Mendelssohns in der Publizistik Hans Renners, belegt sich allein

schon durch die wahrheitswidrige Schreibweise des unverbundenen Doppelnamens als

Mendelssohn-Bartholdy. Renner verkennt dabei eklatant die tiefe Verwurzelung von

Mendelssohns unaffektiertem Komponieren in rein humanistischen, ethisch

empfundenen Idealen und sperrt ihn vielmehr in den engen K�fig der genannten

Grenzen einer hypersensiblen Unf�higkeit zu dramatischem Ausdruck. Obgleich Renner

selbst von einer Mendelssohn-Schule spricht, aus welcher Komponisten wie Hiller,

Volkmann, Kiel, Reinecke und Draeseke hervorgegangen sind, neigt er doch zum

Widerspr�chlichen. Ohne auf das Leipziger Konservatorium und dessen Mendelssohn-

Pflege in der Nachfolge des Komponisten oder die Affinit�t Mendelssohns zu

Schumanns und Brahms Schaffen, zu jenem Bruchs und Regers einzugehen, spricht

Renner dem "sch�nsten Zwischenfall der Musik" Mendelssohn des Weiteren jedwede

Stilpr�gung und musikalische Gefolgschaft rundweg ab.

 

Renner schreibt also:

�Felix Mendelssohn-Bartholdy, Romantiker mit biedermeierlichem Einschlag, war nach

der Ansicht seines Freundes Schumann "der hellste Musiker, der die Widerspr�che der

Zeit am klarsten durchschaute und zuerst vers�hnte." (...) Alles Extreme, �bersteigert

emotionale war ihm zuwider.

 

156

 

 


 

Die ungest�men Kraftausdr�cke in Beethovens "IX. Sinfonie" erschreckten ihn ebenso

wie das Zerrissene, Dunkle, Exzessive in manchen Werken Schumanns. Mit heiterer

Selbstironie meinte er einmal, er sei ein Philister gegen�ber Berlioz, denn nicht das

Grenzenlose, vielmehr das Umgrenzte, Einfache, Klare entspreche seiner Natur. Er

kannte seine Grenzen genau und er hielt sich in ihnen, das war seine St�rke. (...)

 

Mendelssohn blieb "der sch�ne Zwischenfall der deutschen Musik" (...) Zu einem

Ausgleich der in ihr wirkenden Gegenkr�fte kam es nicht. Jeder der "Grossen" ging

seinen eigenen Weg, um jeden bildete sich eine Schule von Mit und Nachl�ufern, keiner

vermochte wiederherzustellen, was verloren war: die Einheit der Anschauungen, der

Gesinnung, des Stils."

 

Noch in den achtziger und neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts reflektieren

�ber jeden Verdacht erhabene Kultur-und Medienbetriebe Geringsch�tzung und

Desinteresse des musikalischen Tagesgeschehens an Musik, Person und

Rezeptionsgeschichte Felix Mendelssohns. Lassen die Musikredakteure � geschult an

den im Verlaufe dieser Abhandlung genannten Enzyklop�dien und Handb�chern des

zwanzigsten Jahrhunderts � wiederum die stetig repetierten stereotypen Wendungen

anklingen.

 

So geschehen in einem im Jahre 1984 anl��lich des 175. Geburtstages Mendelssohns

am 4. Februar in der liberalen "Frankfurter Rundschau" ver�ffentlichten Gedenkbeitrags,

welcher vom �Mustersch�lerhaften der Formpr�gung� Mendelssohnscher

Kompositionen der �Sonatenform als Maske�, den �Gew�chshausblumen der

Klavierst�cke�, der �nazarenisch geleckten Verz�ckung der Oratorien� spricht. Ja, der

Artikel nimmt gar -zitiert nach Wulf Konold � -mit seiner Kritik an Mendelssohns

schnellen S�tzen, seinem Hinweis auf �nerv�se Ratlosigkeit� und �verdr�ngte

Lebensunruhe� unbewu�t unmittelbaren Bezug auf den rassisch begr�ndeten Aspekt

der �semitischen�, der �prickelnden Unruhe� in dem Juden-Aufsatz Wagners aus dem

Jahre 1850.

 

Im gleichen Jahre ging Gustav Stresemann -langj�hriger Intendant der Berliner

Philharmoniker zu Furtw�nglers und von Karajans Zeiten -daran, seine "Lanze f�r Felix

Mendelssohn" zu brechen.

 

Aber gleich zu Beginn seines durchaus engagiert erarbeiteten, etwa 250 Seiten

umfassenden Mendelssohn-Portraits, wird der Leser mit widerspr�chlichen Fragen und

Betrachtungen verwirrt.

 

So heisst es zu Anfang durchaus zutreffend:

 

�Mu� man sie brechen? Rennt man nicht offene T�ren ein? Leider nicht. So seltsam

es klingt, auch heute begegnet man manchen Mi�verst�ndnissen gegen�ber einem

Komponisten (...), der sich schwer einordnen l�sst, im Vergleich mit den ber�hmtesten

seiner Zeitgenossen den k�rzeren zu ziehen scheint und mit vielen seiner

bedeutendsten Werke nahezu ein Schattendasein f�hrt."

 

Wenige Zeilen sp�ter verst�rt Stresemann mit einer Missinterpretation, einer markanten

Negation der bislang dargelegten antisemitischen und musikgeschichtlichen Vorf�lle

und Traditionen der Mendelssohn-Rezeption. Als unmittelbarem Zeitzeugen der NS-

Diktatur und deren Eliminierung von Mendelssohn-Musik h�tten ihm, auch als

f�hrendem Vertreter des deutschen Musiklebens jener Zeit,

 

157

 

 


 

vor allem die Auswirkungen und Folgen des unmittelbaren Verbotes der NS-Zeit auf die

Mendelssohn-Rezeption nach dem Kriege wie auch jene der Fortschreibung braunen

Gedankengutes oder jener von Riemann u. a. autorisierten entwertenden Klischees von

Gl�tte, K�lte o. �. im akademischen und musikpublizistischen Bereich nach 1945

zwingend bewusst sein k�nnen und m�ssen:

 

"Aber schon bald begann sein Stern zu verblassen, die ihm zu Lebzeiten zuteil

gewordene Wertsch�tzung zu sinken. Es w�re durchaus verfehlt, hierf�r Richard

Wagners sp�tere Attacken oder Hitler mit seinem Verbot so genannter nichtarischer

Musik besonders verantwortlich zu machen. Denn auch nach deren Tode ist es zu einer

wahren Mendelssohn-Renaissance nicht gekommen. Aus Felix, dem Gl�ckskind, wurde

im Laufe der Jahrzehnte ein "Stiefkind", und diese Entwicklung hat sich bis in unsere

Tage fortgesetzt."

 

Im Abschluss des Vorwortes zu seinem Mendelssohn-Portrait stellt Stresemann den

Gegenstand desselben, also Leben und Werk des Komponisten, in hohem Masse in

Frage, reflektiert die bekannten Stereotypen Mendelssohnscher Entwertung. Die Lanze,

vorgeblich f�r Mendelssohn eingelegt, muss somit von Anbeginn an stumpf bleiben.

 

"Niemand bestreitet zwar die Bedeutung der Musik zum Sommernachtstraum oder des

nur selten zu h�renden "Oktetts", Werke, die Felix mit 17 oder 18 Jahren schrieb; auch

das Violinkonzert, sowie 2 seiner Symphonien finden allgemein Zustimmung. Aber

Mendelssohns Gesamterscheinung bleibt umstritten. Dies gilt f�r einen erheblichen Teil

seiner Kompositionen, die oft als glatt, oberfl�chlich, zu gef�llig bezeichnet werden, wie

auch f�r sein Leben, einmal der strahlenden, vom Gl�ck �berreich gesegneten Jugend,

die Leid nicht kannte, daher unf�hig, tiefere Werke zu erzeugen, dann von den

sp�teren, nicht selten ruhelosen Jahren mit ihrer vielgleisigen Betriebsamkeit, Folge fast

zu mannigfacher Gaben oder vielleicht auch des Wunsches, sie zur Schau zu stellen".

 

Im Jahre 1983 gab Joseph Wulf seine dankenswert umfassend erstellte Sammlung

aufschlu�reicher Dokumente aus dem "Kultur"-Betrieb des "III. Reiches heraus. Im

Vorwort des Bandes "Musik im III. Reich" - es diente auch als Grundlage zahlreicher hier

wiedergegebener Traktate des akademischen und musikalischen Nationalsozialismus fa�te

Wulf Ursprung und Entwicklung des musikalischen Chauvinismus, also auch die

Geschichte Mendelssohnscher Entwertung, in wenigen Zeilen hellsichtig zusammen:

 

�Mit seinen Ideen und vielen Schriften legte Richard Wagner den Grundstein f�r eine

verh�ngnisvolle Richtung in der deutschen Musikwelt, die in ihrer Entwicklung

fortlaufend bereichert, erg�nzt und endlich vervollkommnet wurde. Um diesen

Wachstumsproze� in seiner ganzen Eindeutigkeit unmissverst�ndlich zu erkennen,

braucht man nur den Wagner des 19. und den Hans Pfitzner des 20. Jahrhunderts zu

lesen. Wenn gewisse Wissenschaftler des Dritten Reichs Schiller als ersten

Nationalsozialisten bezeichnen, so kann man dar�ber wirklich nur l�cheln. Falls sich

jedoch diese Behauptung auf Wagner bezieht, besteht eine gewisse Berechtigung�.

 

Dem Buch "Musik im III. Reich" ist denn auch wahrhaft symboltr�chtig jene Metapher

Thomas Manns aus dem Jahre 1911 vorangestellt:

 

"Die Deutschen sollte man vor die Entscheidung stellen: Goethe oder Wagner. Beides

zusammen geht nicht. Aber ich f�rchte, sie w�rden Wagner sagen".

 

158

 

 


 

Im Jahre 1988 legte der russische Dirigent Semyon Bychkov auf dem Philips-Label eine

Schallplattenaufnahme der 3. und 4. Symphony Mendelssohns, der "Schottischen" und

"Italienischen" vor, welche er im Jahre 1986 mit dem London Philharmonic Orchestra

realisiert hatte. In einer Rezension reflektiert Werner Bollert in der Musikzeitschrift "Fono

Forum" vom Februar des Jahres 1988 in abf�lligem Tonfall anschaulich die Tatsache,

dass man Mendelssohns Hauptwerke keinesfalls als festen Bestandteil des

Kernrepertoires auf den Konzertpodien der Welt ansah und anzusehen habe. Best�tigt

er die durch eine uns�glich h�rdenreich, ja katastrophal verlaufene

Rezeptionsgeschichte gepr�gte Aussenseiterposition, die Mendelssohn im

Konzertrepertoire immer noch einnimmt.

 

Anschlie�end stellt Bollert gar den musikalischen Wert der "Schottischen", sicher eines

der hochrangigen Mendelssohnschen Meisterwerke, pauschal in Frage und stellt sich

dabei in den Gegensatz zum Dirigenten, welcher sich -Bollerts Worten zufolge -den

beiden Werken mit grosser Aufmerksamkeit und Hingabe widmete.

 

"Selbstverst�ndlich war und ist er (Bychkov) bestrebt, sein Repertoire zu erweitern und

die grossen Meister der Sinfonik in seine Programme miteinzubeziehen (...) Dem

Medium Schallplatte hat er sich ebenfalls nicht verschlossen; hier begann er

bezeichnenderweise mit der f�nften Sinfonie von Schostakowitsch, der er

Tschaikowskys "Nu�knacker" folgen liess. Die dritte Produktion (�) galt diesen beiden

Sch�pfungen Felix Mendelssohns. Ob Bychkov aber damit schon zum "harten Kern" der

klassisch-romantischen Sinfonik vorzusto�en vermochte (wie es die Plattenwerbung

formuliert), sei dahingestellt.

 

Gerade an diese Aufnahme hat Bychkov offenbar viel M�he gewandt; doch das

klingende Ergebnis ist nicht sehr zwingend ausgefallen. Bei der "Schottischen" liegt das

Problem zweifelsohne im Werk selbst, in der Konzeption der Ecks�tze (beispielsweise

will es nur selten gelingen, die A-Dur-Kr�nung des Finales, Allegro maestoso assai,

wirklich plausibel darzustellen)."

 

Eine im Jahre 1989 vom westdeutschen Fernsehen produzierte Dokumentation der

Geschichte des Leipziger Gewandhauses und seines Orchesters erw�hnt mehrfach den

Komponisten �Moses Mendelssohn Bartholdy� bzw. �Moses Mendelssohn�, welcher

seinerzeit dort als Dirigent t�tig war.

 

Im Jahre 1991 promovierte Hartmut Wecker mit einer Studie �ber den "Epigone(n) Ignaz

Br�ll". Nicht allein, da� Wecker darin eine Verharmlosung von Wagners Judenschrift in

der Thesenstellung und Folgewirkung vornimmt. Er behauptet darin, dass jene Schrift

"mit Recht "Das Epigonentum in der Musik" lauten" m�sse; ein "Faktum"...

(welches)...bislang unbeachtet geblieben" sei. Bedenklicher als dies stimmt noch das

abschlie�ende Urteil, welches Welcker �ber die jener Studie zugrunde liegende

Pers�nlichkeit Ignaz Br�ll f�llt: Br�ll sei ein Epigone gewesen, "weil er Jude war."

 

37. Dass Mendelssohn Grenzen hat, sei unbestritten

Im Jahre 1997 verweist Gerhard R. Koch im umfangreichen Gedenkartikel der

�Frankfurter Allgemeinen Zeitung� anl�sslich des 150. Todestages Mendelssohns am 4.

November dezidiert auf �Grenzen�, welche der Musik Mendelssohns �unbestritten�

gezogen seien. Koch paraphrasiert mit dem Satz "Dass Mendelssohn Grenzen hat, sei

unbestritten." unmittelbar eine zentrale Sentenz aus von Westermans ma�geblichen

Darlegungen aus dem Jahre 1956.

 

159

 

 


 

Dieser Gedenkbeitrag �Weltgeist, auf Fl�geln des Gesanges� Gerhard R. Kochs ist

einmal mehr einer spezifischen Dramaturgie musikgeschichtlicher Analyse unterworfen,

welche sich exklusiv in der Darstellung des musikalischen Ph�nomens Mendelssohn

findet und aus etlichen, vermeintlich objektiv vorgenommene Betrachtungen hervorgeht.

 

Nicht allein die Nachwirkungen fataler musikpublizistischer und �wissenschaftlicher

�berlieferungen; auch die suggestive, faszinierende Negativ-Aura, welche die

Rezeptionsgeschichte um das Ph�nomen Mendelssohn zu errichten verstand, fanden in

dieser Dramaturgie der Negation ihren Ausdruck. Auch die Dominanz sp�tromantisch-

subjektiven Musizierens das Ideal heroisch-monumentalen Tonfalls, welche das

Musikleben in Deutschland bis in die 60ziger Jahre hinein pr�gte, mag in diesem und in

anderen F�llen unwillk�rlich ihren Ausdruck gefunden haben. Das Muster ist wie folgt:

Umsichtig, sachkundig, �objektiv�, ausf�hrlich werden die spezifischen hohen Qualit�ten

des Idioms Mendelssohnscher Musik gew�rdigt; desgleichen Ungerechtigkeit, ja

Absurdit�t ideologisch besetzter Urteile und Stereotypen hervorgehoben. Doch im

wenigen bedeutsam formulierten Worten oder Zeilen wird dann zumeist aber eine

pauschale Zur�cksetzung des gesamten Sujets Mendelssohn vorgenommen. Lassen

Autoren wie Koch das im Verlaufe eines �usserst umfangreichen Beitrags bedachtsam

errichtete Geb�ude "objektiver" W�rdigung der belasteten Mendelssohn-Rezeption mit

einem Satz wieder in sich zusammenfallen. In den Grundz�gen geht es wiederum auf

das rhetorische und dramaturgische Vorbild zur�ck, welches Wagner einstmals

prototypisch vorgab.

 

Wir erinnern uns: Mendelssohn "hat uns gezeigt, da� ein Jude von reichster

spezifischer Talentf�lle sein, die feinste mannigfachste Bildung, das gesteigertste...

Ehrgef�hl besitzen kann, ohne es...je erm�glichen zu k�nnen, auch nur ein einziges Mal

die tiefe, Herz und Seele ergreifende Wirkung auf uns hervorzubringen, welche wir...der

Kunst...f�hig wissen, weil wir diese Wirkung zahllos oft empfunden haben, sobald ein

Heros unserer Kunst sozusagen nur den Mund auftat�.

 

Ph�nomene werden am Vorfall Mendelssohn in kritischer Distanziertheit konstatiert,

welche im Falle anderer bedeutsamer Komponisten kaum einer Silbe gew�rdigt w�rden.

 

�Grenzen, welche der Bedeutung dieser Musik unbestritten� gesetzt sind: Diese lie�en

sich wohl mit Leichtigkeit hinsichtlich der Musiksprache jedes Komponisten spezifisch

definieren. Doch nur in diesem speziellen Fall legen Publizisten wie Riemann, Keller,

Chop, Moser, von Westerman, Schweickart und Koch den eigent�mlichen Sonderfleiss

zu Tage, "Grenzen" in der Tonsprache eines bestimmten Komponisten, n�mlich Felix

Mendelssohn zu eruieren.

 

38. Wie ist eine derartige Geringsch�tzung im Umgang mit einem dochbedeutenden Komponisten �berhaupt m�glich?

Die Dramaturgie der M�nchner Philharmoniker konstatiert in den Ank�ndigungen eines

Konzertes in der Saison 2001/02, welches Mendelssohns bedeutendes Chorwerk "Elias"

vorstellte, leichtfertig, das �die alttestamentarischen und damit j�dischen Traditionen der

Bibellekt�re Felix Mendelssohn Bartholdy sozusagen �im Blut� lagen.� Dabei unterstellt

sie in uns�glicher Entlehnung fataler NS-Terminologien, dass Mendelssohn als Jude

quasi einem semitisch-biologischen Rasseprinzip unterworfen gewesen sei.

 

160

 

 


 

Im Jahre 2003 legte der Chamber Choir of Europe unter der Leitung des Dirigenten

Nicol Matt bei Brillant Classics in dankenswerter Initiative eine Gesamtaufnahme des

gesamten geistlichen Chorwerkes Felix Mendelssohns vor.

 

Zu Beginn seines engagiert erarbeiteten Mendelssohn-Artikels im Begleitbuch fasst

Christian Wildhagen die fatale Entwicklung der Mendelssohn-Entwertung noch einmal

pr�gnant zusammen und konstatiert demzufolge Mendelssohns fatale aktuelle

Positionierung im Musikleben als eines Komponisten quasi lediglich in der zweiten oder

gar erst dritten Reihe.

 

"Wenigen Komponisten hat die Nachwelt derart �bel mitgespielt wie Felix Mendelssohn

Bartholdy. (...) Obwohl er noch zu Lebzeiten als �berragender Vertreter der deutschen

Musik im fr�hen 19. Jahrhundert geehrt wurde, spielt sein Schaffen heute im Ganzen

nur mehr eine untergeordnete Rolle. W�ren nicht Geniestreiche wie die Ouvert�re zu

Shakespeares "Sommernachtstraum", die "Italienische" Symphonie oder das

Violinkonzert -man w�rde Mendelssohn wohl umgehend, Carl Loewe oder Heinrich

Marschner vergleichbar, zu den Komponisten der zweiten und dritten Reihe schlagen.

 

Schon seine einst viel gesungenen Lieder, aber auch die Klaviermusik und die

ehedem als stilbildend gesch�tzten Streichquartette sind �berwiegend an den Rand des

Repertoires ger�ckt, und man kann nicht umhin, diese Auslese als arg beschr�nkt zu

empfinden -namentlich im Vergleich mit Zeitgenossen wie Schumann oder Chopin,

deren Werk in weit reichhaltigeren Ausschnitten rezipiert wird. Noch �rger ist freilich ein

Bereich betroffen, der zweifelsohne zu den Schwerpunkten in Mendelssohns Oeuvre

z�hlt: die Chormusik. Hier hat sich die posthume Auswahl nahezu ausschlie�lich auf die

beiden grossen Oratorien "Paulus" und "Elias" und einige wenige Einzelst�cke verengt.

 

Die Gr�nde f�r diese Entwicklung sind vielf�ltig. Dass Mendelssohn heute kaum mehr

die Wertsch�tzung erf�hrt, die seiner herausgehobenen Stellung im europ�ischen

Kultur-und Geistesleben um 1840 entspr�che, mag zum einen, wie oft behauptet, noch

immer der Verfemung seiner Person und der �chtung seines Werks durch den

Nationalsozialismus geschuldet sein. Von dem totalen Auff�hrungsverbot w�hrend der

Zeit des "Dritten Reiches" hat sich sein Schaffen tats�chlich nie recht erholt;

entsprechend ist auch die Wahrnehmung seiner Biographie nach wie vor nicht frei von

Denkmustern, die sich mitunter gef�hrlich im Fahrwasser antisemitischer

Rezeptionsmuster bewegen. Richard Wagners fatales Pamphlet �ber "Das Judentum in

der Musik" hat hier schon 1850 die Stossrichtung vorgegeben, und so scheint es, als

habe sich der Nationalsozialismus lediglich auf perfide Weise zu Nutze gemacht, was an

mehr oder minder k�nstlerisch motivierten Einw�nden von jeher gegen Mendelssohn

vorgebracht worden ist. (...)

 

Dessen ungeachtet hatten bereits viele Zeitgenossen M�he, die Vorstellung vom wohl

beh�teten, mit der Leichtigkeit eines Mozart schaffenden Wunderkind, die Mendelssohn

so eindrucksvoll mit der "Sommernachtstraum"-Ouvert�re oder dem Streichoktett unter

Beweis gestellt hatte, in Einklang zu bringen mit dem bevorzugten K�nstlertypus der

aufkommenden Romantik, die in der Nachfolge Beethovens gerade das titanhafte

Ringen um jeden Ton und jede Phrase als wahre Gr�sse sch�tzte.

 

Mendelssohns religi�se Musik -und damit ein Gro�teil seines Chorwerks -hatte

�berdies lange vor 1933 unter dem Vorurteil zu leiden, ein zum Protestantismus

�bergetretener Jude k�nne keine ad�quate christliche Kirchenmusik verfassen. In

solchen Klischees, die leider in erheblichem Ausma� die Rezeptionsgeschichte sowohl

des 19. wie des 20. Jahrhunderts pr�gen,

 

161

 

 


 

spiegelt sich allenfalls an der Oberfl�che ein viel tiefer liegendes Problem: die

grunds�tzliche Ungewi�heit (...), welche Richtung die Musik nach dem Ende der

klassischen Epoche einschlagen werde..."

 

Werner Pfister rezensiert die Gesamtaufnahme der geistlichen Chorwerke

Mendelssohns unter Nicol Matt in der Oktoberausgabe der Zeitschrift "Fono Forum"

des Jahres 2003 auf der Seite 77.

 

Gleich zu Beginn der Rezension wirft Pfister eine zentrale, entscheidende Frage der

Mendelssohn-Rezeptionsgeschichte auf:

 

"Liest man sich in Eric Werners Mendelssohn-Biographie im Werkverzeichnis durch die

geistliche Chormusik, st��t man wiederholt auf den Hinweis "Manuskript". In der Tat

sind wesentliche Werke, darunter die grossen Choralkantaten, erst vor gut 20 Jahren

erstmals gedruckt worden. Wie ist eine derartige Geringsch�tzung im Umgang mit

einem doch bedeutenden Komponisten �berhaupt m�glich? Die Frage ist um so

brisanter, als es sich beim geistlichen Chorwerk Mendelssohns nicht gleichsam um

Nebenprodukte handelt, sondern mehrheitlich um ausgereifte grosse Kantaten, um

Hymnen und Psalmen; auch Magnificat, Gloria und Te Deum fehlen nicht. Ganze zehn

Compact Discs machen sie insgesamt aus -mithin wohl die umfangreichste Gattung

�berhaupt in Mendelssohns Schaffen".

 

Ja, wie war und ist die Geringsch�tzung eines bedeutenden Komponisten und

wesentlicher Teile seines Oeuvres �berhaupt m�glich gewesen? Dieser Frage

eingehender nachzusp�ren, war und ist eben auch zentrales und wesentliches

Bestreben und Ziel beim Verfassen dieser Abhandlung gewesen. Wie konnte es

geschehen, dass der Pamphlet gewordene K�nstlerneid eines musikalischen Rivalen

gleichsam zum Dogma ganzer Generationen von Musikliebhabern, -wissenschaftlern

und -publizisten wurde? Dass die M�r vom Heros in der Musik das Ansehen eines

feinsinnigen Humanisten auszul�schen verstand, der, dem Schaffen eines Mozart

vergleichbar, Werke von erhabener klassizistischer Klarheit, Hellsicht und Konzentration

zu schaffen verstand? Dass ein Publizist nach dem anderen manuskriptgewordene

Klischees und Stereotypen des Vorg�ngers transkribierte? Dass ein Volk in Gesamtheit

in den nationalen Gr��en-und Rassenwahn verfallen konnte und somit Leben und

Werk eines ganzen Volkes in Deutschland zu verfemen, aus Deutschland auszumerzen

trachtete? Wie war es m�glich, dass die Eliten des verbrecherischen Regimes mit dem

ethischen Wiederaufbau eines demokratischen Gemeinwesens betraut wurden und

somit Ungeist und Vorurteil in der Einsch�tzung eines einstmals von den Zeitgenossen

und hellsichtigen Repr�sentanten eines besseren Musiklebens als wahrhaft gro�

angesehenen Komponisten fortzuschreiben und fortzulehren vermochten? Dass die

Routine eines klassisch-romantisch dominierten Musikbetriebs sich bislang der Aufgabe

einer umfassend vorgenommenen Mendelssohn-Restaurierung auf den Konzertpodien

so hartn�ckig und desinteressiert zu entziehen vermag?

 

Ja, wie war und ist das alles im Bereich einer sich in Vergangenheit und Gegenwart als

aufgekl�rt gerierenden Kulturnation �berhaupt m�glich?

 

Im weiteren Verlauf der Rezension relativiert Pfister die Bedeutsamkeit seiner so zentral

gestellten Aussage, indem er Mendelssohn Schaffen in der Tradition von Publizisten wie

von Westerman einmal mehr als vordringlich gef�hlig und subjektivistisch bewertet.

 

162

 

 


 

Wieder haben wir es also hier mit der Einsch�tzung Mendelssohns als lyrisch

empfindsamem Kleinmeister zu tun, welcher zur Nachempfindung menschlichen Leides

nicht bef�higt somit wahrhaft grosse und bedeutungstiefe Musik nicht vorzulegen

verstand.

 

"Der formale Aufbau -Chornummern wechseln mit Soloarien -orientiert sich am

barocken Vorbild, doch die Mittel, mit denen musikalisch gebaut wird, sind romantische.

Stilistisch heisst das: Statt einer scharf-linearen barocken Kontrapunktik herrscht hier

eine lyrisch innige Empfindsamkeit, die zwar gro� und erhaben wirken kann, im

wesentlichen aber in den kleiner bemessenen Bereichen des subjektiven Gef�hls ihren

eigentlichen Ort hat."

 

Dem Dirigat Matts bescheidet Pfister des Weiteren, dass er "ersichtlich ein Gesp�r hat

f�r das, was diese Musik leidet und was sie eben nicht leidet..."

 

Konold gibt dem Musikleben angesichts solch getreulicher Kontinuit�t unausgesetzter

Mendelssohn-Infragestellung und -Reduktion den salomonisch anmutenden Rat mit auf

den Weg: �Man versteht Mendelssohns ausgepr�gte Abneigung gegen jede Art von

Musikpublizistik und man kann -ein Lessing-Wort paraphrasierend -nur w�nschen,

Mendelssohns Musik werde weniger beschrieben, aber mehr aufgef�hrt.�

 

39. "Diese Musik wurde ermordet" II

Auch ein Blick auf den musikalischen Tagesbetrieb verdeutlicht, dass die Konstatierung

vollg�ltiger Rehabilitierung der Werke Felix Mendelssohns nach 1945 vorschnell

erfolgte.

 

Das im Jahre 1988 von der Musikhandelverlagsgesellschaft Bonn vorgelegte Handbuch

des Musikalienhandels, ein Lehrbuch f�r angehende Musikalienh�ndler gibt unter der

Rubrik V auf der Seite 21 auch einen �berblick �ber die "Wichtigsten Werke der

Klassik".

 

Es handelt sich dabei wohl um ein Verzeichnis der im Noten-und Schallplattenhandel

am meisten verlangten Werke; 67 Kompositionen g�ngigsten Repertoires werden

genannt.

 

W�hrend Mozart beispielsweise mit 6, Beethoven mit 7, Schubert mit 6 und Chopin mit

immerhin 4 Kompositionen vertreten sind, ist Mendelssohn mit nur einem Werk

aufgelistet. Es handelt sich dabei aber nicht um die angeblich bei Musikanf�ngern so

beliebten, oftmals als "Finger�bungen" diffamierten "Lieder ohne Worte" sondern das

erhaben sch�ne Violinkonzert.

 

Nichts desto trotz ist die Verankerung Mendelssohns also im aktuellen Musikbetrieb analog

seiner Pr�senz auf den Konzertpodien -quasi auf ein einziges Werk

zur�ckgegangen.

 

Im Jahre 1995 ver�ffentlichte der s�ddeutsche Grossrezensent Joachim Kaiser im

Schneekluth Verlag M�nchen das Kompendium Kaisers Klassik, eine Umschau �ber

100 Meisterwerke der Musik, welcher aus einer w�chentlichen Zeitungskolumne

hervorging. Das Buch wurde im Jahre 2001 im btb-Verlag/ Goldmann als Taschenbuch

wiederver�ffentlicht.

 

163

 

 


 

Die Umschau bietet ein dem Handbuch des Musikalienhandels vergleichbares Bild.

Unter 100 Meisterwerken, welche Joachim Kaiser als ma�geblich vorstellt, firmiert

Mendelssohn wiederum nur mit einem Werk, dem Violinkonzert. Wenn man besieht,

dass es sich um nur ein Werk unter immerhin 100 handelt, bietet sich der Schnitt, die

Relation in Sachen Mendelssohn-Rezeption noch ung�nstiger, als es im Verh�ltnis 1:67

im Handbuch des Musikalienhandels der Fall ist.

 

Wie pr�sentieren sich andere Komponisten mit Werken unter den 100 ausgew�hlten?

Ludwig van Beethoven dominiert die Auswahl mit sage und schreibe 14

Werkbeschreibungen bei weitem, aber auch andere Komponisten schneiden weit

g�nstiger ab, als es Felix Mendelssohn mit dem 1 Werk tut. Johannes Brahms ist mit

einer Auswahl von 7 Werken vertreten, Frederic Chopin mit 5, Wolfgang Amadeus

Mozart mit 12, Franz Schubert mit 8, Robert Schumann mit 6 und Mendelssohn-Gegner

Richard Wagner mit immerhin 9 seiner 13 Opern.

 

Wenn auch dieser Werkkanon als subjektiv vorgenommene Auswahl eines einzelnen

Rezensenten gelten muss, wirft er doch ein bezeichnendes Licht auf die aktuelle Felix

Mendelssohn Rezeption. Pr�gt die Meinung eines ma�geblichen Rezensenten und

Publizisten als beachteten Multiplikators des deutschen Musiklebens doch ein

einschl�giges Bild eben jenes von Traditionen dominierten unflexiblen Musikbetriebes,

der Beethoven, Mozart und Brahms etc. demonstrativ auf den Schild hebt, einen Felix

Mendelssohn und sein Werk aber nahezu ausklammert. M�ssen die Leser jenes

Buches doch zu der Ansicht gelangen, dass ein Felix Mendelssohn im Schatten

�berm�chtig repr�senter Meister nahezu nichts wert ist.

 

Zum weiterem Beweise einer erneuerungsbed�rftigen Mendelssohn-Rezeption; einer

notwendigen Wiederbelebung seines musikalischen Renommees seien einige Zahlen

bez�glich klassisch-romantischer Komponisten wie Mendelssohn, Schumann und

Brahms genannt, welche vor allem die aktuelle Situation im Konzertleben

ber�cksichtigen:

 

Felix Mendelssohn und Johannes Brahms haben jeweils etwa 120 mit einer Opuszahl

im Werkverzeichnis aufgelistete Kompositionen hinterlassen. Robert Schumann ging mit

etwa 150 sogar dar�ber hinaus. Zuz�glich jeweils 30 von Brahms, 48 von Schumann

und immerhin 180 von Felix Mendelssohn Bartholdy nachgelassene Werke ohne

Opuszahl.

 

Ein Gesamtverzeichnis der Klassikaufnahmen der "Deutschen Grammophon-

Gesellschaft" von 1956 verweist in der Sache der erw�hnten Komponisten auf folgende

Eintr�ge: Johannes Brahms 45; Robert Schumann 22 Eintr�ge; Felix Mendelssohn 13

Eintr�ge. Was zeigt der Onlinekatalog des Jahres 2009?

Brahms 118 Eintr�ge; Schumann 71 Eintr�ge; Mendelssohn 38 Eintr�ge.

Und was zeigt der Onlinekatalog des Jahres 2012: Brahms 125 Eintr�ge; Schumann 81

Eintr�ge; Mendelssohn 44 Eintr�ge.

 

Der deutsche Konzertalmanach der Saison 2000/1 sowie jener der Saison 1992/93

vermittelt ein �hnliches Bild: Johannes Brahms 633 (636) Eintr�ge, sprich

Auff�hrungen; Robert Schumann 409 (462) Eintr�ge; Mendelssohn 358 (360)

Eintr�ge.

 

164

 

 


 

Nach einer Hausse Mendelssohnscher Kompositionen im Gedenkjahr 97 fortfolgend hat

sich die Auff�hrungsdichte der Saison 2000/1 also wieder auf die Ebene um 360 der

Saison 92/93 reduziert.

 

Des Weiteren seien noch folgende Zahlen zur Kenntnis gegeben: Giacomo Meyerbeer,

als Meister der Grand Oper�, �hnlich infamen Angriffen auf Werk und Person

ausgesetzt, war mit Opern wie "Robert le Diable", "Die Hugenotten", "Der Prophet" etc.

dennoch fester Repertoirebestandteil der Wilhelminischen �ra; in der Weimarer

Republik wurden dieselben rezeptionsgeschichtlich und auff�hrungspraktisch lebhaft

diskutiert. (59 Auff�hrungen von Meyerbeer-Opern in der Saison 1928/29.) Der

Nationalsozialismus schloss sein Werk sofort von der B�hne aus. Heute erleben wir

gelegentliche Auff�hrungen derselben als exotisch; feiern die szenische Realisierung

derselben als mutige Gro�tat.

 

Der Gesamtkatalog der "Deutschen Grammophon" von 1956 bietet daher folgende Zahl:

6 Eintr�ge; der "Konzert-Almanach" der Saison 2000/1: 7 Eintr�ge (1992/3: 4); der

Onlinekatalog der "Deutschen Grammophon" des Jahres 2012: keinen Eintrag!

 

40. Die Mendelssohn-Falle

Noch in j�ngerer und j�ngster Zeit st��t man auf die vertraute Geringsch�tzung, welche

dem Erbe Felix Mendelssohns partiell entgegengebracht wird. Nach wie vor sind es nur

wenige Werke Mendelssohns, welche das Standartprogramm des Komponisten auf

deutschen Podien ausmachen. Es handelt sich dabei um die Symphonien Nr. 3 �die

Schottische� und Nr. 4 �die Italienische", um die �Sommernachtstraum�-sowie die

�Hebriden�-Ouvert�ren, das Violinkonzert in E-moll, op. 64, das Oratorium �Elias�, die

"Variationes serioses" sowie das "Rondo cappricioso" op. 14 f�r Klavier Solo sowie

einige wenige Kammermusik und sp�rlich bemessene Ch�re und �Lieder mit oder ohne

Worte�. Der Rest des doch durchaus umfangreichen und bedeutenden Oeuvres ist �

Wagner sei�s gedankt -weiterhin zum Schweigen verurteilt. Wie sieht es auf dem

Phonomarkt insgesamt aus? Das Verh�ltnis von Aufnahmen einer der f�hrenden

Klassik-Labels, der Deutschen Grammophon, haben wir ja bereits besehen. Das

Verh�ltnis auf dem freien Markt erweist sich als noch aufschlussreicher im Bezug aufaktueller Mendelssohnscher Relevanz in der interessierten musikalischen �ffentlichkeit.

 

Das Internet-Versandhaus Amazon liefert da diesbez�glich einige interessante

Zahlen. Der am reichhaltigsten durch Aufnahmen geehrte grosse Meister ist

�berraschenderweise Mozart; Amazon listet 10561 Tontr�ger auf. Es folgt Beethoven

mit immerhin 8273 Aufnahmen. Brahms bringt es auf solide 5264 Eintr�ge. Schumann

f�llt mit 3458 Hits deutlich ab im Bezug auf das Oeuvre anderer Meister. Das

Schlusslicht bildet � wenig verwunderlich angesichts der in diesem Buche bisher

dargelegten Vorkommen und Prozesse � Felix Mendelssohn mit gerade einmal 2603

DVDs und CDs. Also nur ein reichliches F�nftel des von Mozart vorliegenden Kataloges

� obgleich beide Komponisten in jungen Jahren verstarben und gleichsam zahlreiche

Werke hinterlassen haben. Wo sind die Aufnahmen des Mendelssohn -Oeuvres durch

die grossen Meister der heutigen Musik-Szene. Die in Deutschland marktf�hrenden

Dirigenten Maris Jansson, Simon Rattle und Christian Thielemann f�hren so gut wie

keine Mendelssohn-CDs in ihrem vorliegenden Katalog geschweige dass die so

wichtigen Gesamtaufnahmen der mendelssohnschen Symphonien als Leuchtfeuer des

Repertoires in absehbarer Zeit durch die genanten Dirigenten zu erwarten w�ren.

 

165

 

 


 

In der Publizistik sieht es insgesamt genommen auch nicht besser aus. Das zeigen

deutlich die aktuellen Zahlen des Buchmarktes. Es gibt (wiederum bei Amazon

besehen) 1406 Druckwerke �ber Mozart, 1377 B�cher �ber Beethoven, 867 Werke �ber

Brahms, 969 Eintr�ge bei Schumann und nur 521 Druckwerke �ber Mendelssohn.

 

Die Fachpresse der Klassik-Szene zeigt sich uneinheitlich positioniert im Bem�hen,

Mendelssohn und seiner Leidensgeschichte gerecht zu werden. Gelungene

wohlwollende Berichte wechseln sich ab mit Ungeheuerlichkeiten alten Stiles. Auch

dabei zeigt sich die schon vorher angesprochene Konstante: Es geh�rt anscheinend

immer noch zum guten Ton in der Klassikszene, abf�llig �ber Felix Mendelssohn zu

reden. So als ob seine Geschichte, seine Labilit�t im Bezug zu anderen Komponisten

geradezu herausfordere, abf�llig �ber ihn zu sprechen und zu schreiben. So als ob

Mendelssohn der labile Pr�gelknabe der Musikgeschichte w�re, auf den alle einpr�geln,

als ob man dem bereits zu Boden gegangenen noch nachtreten w�rde. Die Faszination

des Opfers, das zu Aggressivit�ten herausfordert, m�chte ich hier die Mendelssohn-

Falle nennen. Die von Mendelssohn hinterbliebene, leidvollen Rezeptionsgeschichte

verleitet als Mendelsohn-Falle Publizisten offenkundig reihenweise dazu, im Dahin

-ziehen auf alten, gewohnten und ausgetretenen Pfaden wandelnd hineinzutappen.

 

W�hrend die Musikzeitschrift Fono Forum beispielsweise den Jubilaren des Jahres

2010/11 Robert Schumann, Frederic Chopin und Gustav Mahler heft�bergreifend ganze

Themen-Schwerpunkte widmete, (beispielsweise im Juniheft 2010 mit einem Robert

Schumann-Schwerpunkt) wurde der 200. Geburtstag Felix Mendelssohns im

Februarheft 2009 mit gerade einmal mit einem Interview mit dem Chorleiter und

Dirigenten Frieder Bernius und einem exakt 2 Seiten umfassenden Gedenkartikel des

Autors Giselher Schubert gew�rdigt. Nicht einmal in besagter Mendelssohn-

Jubil�umsausgabe vom Februar 2009 wurde dem Komponisten beispielsweise ein

Exemplar der stets sehr umfangreich ausfallenden Klassik-Kanon-Artikel zuerkannt.

 

Im Juniheft des Klassikmagazins Fono Forum des Jahres 2009 erschien unter dem Titel

�Schatzsuche� die Rezension einer Aufnahme von den �Lieder(n) ohne Worte� von Felix

Mendelssohn, welche von massiven, sattsam bekannten Vorurteilen gegen�ber

Komponist und Werk gepr�gt ist. Dem Interpreten Roberto Prosseda bescheinigt der

Rezensent Matthias Kornemann eingangs, sein Spiel sei partiell schwach, sei �ebendort

am schw�chsten, wo auch Mendelssohn schwach ist.� Kornemann konstatiert des

weiteren �unweigerlich hektisch aufgeplusterte Fortisssimo-Repetitionen in der

Begleitung� des Agitato D-Dur (op. 30/ 4), welches auf dem modernen Fl�gel nicht

befriedigend darzustellen sei. Die Abfolge des Werk-Zyklus �Lieder ohne Worte� sei

(auch in der Aufnahme durch Roberto Prosseda) gepr�gt von einer �auf die Dauer etwas

erm�dendem Konstellation von Einstimmigkeit auf sich oft sehr �hnelnden

Fundamenten� der einzelnen St�cke, welcher Prosseda immerhin �sublime Nuancen�

abgew�nne. Des weiteren liest es sich dort von jenen �die Liedeinfachheit

raffinierenden Momenten�, von �verborgener Mehrstimmigkeit�, von �zaghaften

polyphonen Ans�tzen�, einer �verborgenen Dreistimmigkeit� sowie von

�mikroskopischen Gesten�, welche wir �allerorten� f�nden. Die Aufgabe der

Gesamteinspielung der �Lieder ohne Worte� von Felix Mendelssohn stelle gar,

Kornemann zufolge eine �Fron� dar. Eine musikalische und pianistische �Bedeutung� der

als �kleine St�cke� bezeichneten �Lieder ohne Worte� spricht Kornemann denselben

rundweg ab. Die Rezension schliesst mit dem aufschlussreichen, bezeichnenden,

dr�gen Satze: �Prossedas Entdeckungen erg�nzen sich zwanglos zu facettenreichem

Schliff, und Mendelssohns Halbedelsteine gl�nzen wie selten zuvor�.

 

166

 

 


 

Was haben wir da im einzelnen jenem Artikel zu entnehmen? Das Unheil beginnt gleich

zu Anfang mit der Erkl�rung, dass Mendelssohn als Komponist, quasi von Hause aus

partiell �schwach� sei. Im weiteren Verlaufe des Artikels, im Schwerpunkt seiner

Argumentation� begegnen wir einem alten Bekannten der Mendelssohn-Negation,

n�mlich der per se vorgenommenen, perfiden Infragestellung von echter, wahrer

k�nstlerischen Gr�sse des Mendelssohnschen Schaffens. Was die eine Hand an

konstruktiven Substantiven gibt, nimmt die andere Adjektiv und destruktiv wieder zur�ck.

 

Es ist eben von nur einer �verborgenen� anstelle einer formvollendeten

Mehrstimmigkeit, �einer �zaghaften� anstelle einer k�hn zu werke gehender

Polyphonie die Rede. Der Beitrag vermittelt fortw�hrend den faden Beigeschmack, als

sei Mendelssohn in allen Bereichen seines k�nstlerischen Schaffens, genauer in seinen

�Lieder(n) ohne Worte� durch einen Mangel, ja einen Makel, von der wahrhaft

k�nstlerischen Gr�sse ferngehalten worden. Als habe dieser auf der ganzen Linie, bei

den verschiedensten kompositorischen Anforderungen letztendlich versagt. Der schale,

eine hohle Beg�tigung suggerierende, Nachsatz von den �Halbedelsteinen� der

Mendelssohnschen �Lieder ohne Worte� also, entspringt dem Bereiche der reinen

Demagogie.

 

Im November des Jahres 2010 stellte der Veranstalter �Seminare f�r klassische Musik�/

Dr. Schaub sein Programm von Wochenend-und Ferienseminaren mit dem

Schwerpunkt Klassische Musik des Jahres 2011 vor. In insgesamt 53 Veranstaltungen,

welche sich geradezu mit Gott und der Welt der klassischen Musik auseinandersetzen,

ist nicht eine einzige dem Komponisten Felix Mendelssohn gewidmet.

 

Dies entspringt sicherlich nicht dem b�sen Willen des Veranstalters � es zeigt vielmehr

auf, welch geringen Stellenwert Werk und Person Felix Mendelssohns, trotz aller

Jubeljahre, immer noch haben. Es ist zwar eine Veranstaltung vom Freitag, den 18.

Februar in Frankfurt am Main gelistet, welche sich mit der deutschen Romantik

besch�ftigt. Diese steht aber nicht einmal singul�r im Programm, sondern ist vielmehr

Teil einer Gruppe von Seminaren, welche vom Donnerstag, den 17. Februar bis

einschlie�lich Sonntag, den 20. Februar in Frankfurt am Main stattfanden und sich mit

verschiedenen nationalen Schulen der Tonkunst besch�ftigt.

 

Sicherlich kam das besagte Seminar , �Die deutsche Romantik� kaum darum herum,

sich auch mit dem Schaffen Felix Mendelssohns auseinanderzusetzen � aber das w�re,

angesichts der Gruppendidaktik der Veranstaltungsreihe, kaum als repr�sentativ f�r das

Leben und Werk des Komponisten zu werten.

 

Im Gedenkjahre 2009, im Gedenkmonat Februar, um den Gedenktermin von

Mendelssohns 200 Geburtstage herum; genauer: in dem Artikel: �Andacht bei den

Preu�en Italiens� � Leipziger Gewandhausorchester auf Tournee in Turin in der

�Leipziger Volkszeitung� vom Samstag, den 7. Februar entbl�det sich Feuilletonchef und

Klassikspezialist Peter Korfmacher nicht, auf fragw�rdige Weise mit den Terminologien

Leicht und Schwer zu jonglieren und dem Angedenken an den Komponisten dabei einen

�blen Tiefschlag zu versetzten. Er schreibt also: �Im Gegensatz zum Auftakt in der

Mail�nder Scala steht hier im l�ngst ausverkauften Saal nicht das Mendelssohn-

Geburtstagsprogramm auf dem Spielplan, sondern Beethovens zweite und Bruckners

Dritte. Ungleich schwererer Stoff also.� Und damit ist die Katze aus dem Sack. Wie in

Stein eingeschrieben, f�r die Ewigkeit in eherne Lettern in die K�pfe und Hirne

eingemeisselt ist und bleibt das von Richard Wagner in die Welt gesetzte Vorurteil.

Mendelssohns Musik ist also �leicht�.

 

167

 

 


 

Ungleich leichter also als Bruckner und Beethoven. Es wird nicht einmal nach einzelnen

Werken ausdifferenziert. Das Mendelssohn Programm insgesamt, also Mendelssohns

Musik ist, in pauschaler Einm�tigkeit abgekanzelt, �ungleich leichter�.

 

Seri�se, quasi unparteiische Klassikspezialisten, welche nicht vom eindimensional

sp�ten Erbe Wagnerschen Tuns und Denkens infiziert sind, vertreten hingegen die

Ansicht, dass �usserst pr�zise, �konomisch streng auf wesentliches musikalisches

Material bezogene. transparent gesetzte und subtil instrumentierte Werke wie jene

Mendelssohns, Mozarts oder Ravels besonders schwer zu realisieren sind respektive in

notwendiger pr�ziser rhythmischer Genauigkeit besonders hohe Anspr�che an die

Ausf�hrenden stellen.

 

In der Publikums-Postille der Phonoindustrie �CLASSaktuell� Nr. 4 2008 bespricht

Wolfgang Teubner die CD-Ausgabe der Klavierwerke Felix Mendelssohns der Profi

Edition G�nter H�nssler.

 

Obgleich der Autor sichtlich bem�ht war, darzulegen, warum Mendelssohns Klaviermusik

so wurde, wie sie ist und durchaus differenziert das seelische und musikalische

Auf und Ab des mendelssohnschen Lebensweges nachzuzeichnen, geht es auch

diesmal nicht ohne den nunmehr ber�chtigten Killersatz innerhalb eines Traktates ab,

der das vorher gesagte zum negativen hin relativiert.

 

So schreibt Teubner zuerst durchaus kommod, dass viel von Mendelssohns

Klavierwerken �von einer flie�enden Eleganz und pianistischer Brillanz� leben, dass sie

�eine bemerkenswerte Stellung zwischen Klassik und Romantik einnehmen, ja gar eine

�poetische Gef�hlstiefe und heitere Grazie zu gleichen Teilen� aufweise. Des Weiteren

w�re �Mendelssohns Grundhaltung f�r die Klaviermusik ein Sinn f�r einen nat�rlichen

Fluss der Gedanken.� Dazu k�men �leise Melancholie, Empfindungsausdruck und

Zur�ckhaltung, alles aber verbunden durch eine W�rme des Ausdruck�.

So Weit, so gut. Aber kaum ist das Geb�ude rezeptioneller Erw�gungen und

Verlautbarungen rund um Mendelssohns Oeuvre errichtet kommt der �Killersatz� der all

das vorig erbrachte Bem�hen unweigerlich zum Einsturz bringt: �Insofern hatten die

Kritiker recht: sonderlich tief lotend ist seine Klaviermusik nicht�. Rums: der Schlag sitzt.

Alles hin. Was bleibt einem dabei blo� noch zu sagen �brig: Alles und gar Nichts. Die

Sysiphusarbeit: unendliches, offenkundig g�nzlich sinnloses Unterfangen um die

Reputation eines musikalischen Humanisten und:... das Schweigen!

 

Im Jahre 2009 wurde Mendelssohns Jugend-Singspiel �Die Heimkehr aus der Fremde�

Op. 89 als CD der H�nssler Classik Edition herausgegeben. Die Ver�ffentlichung dieser

wenig verbreiteten Opern-Rarit�t ist also durchaus sehr verdienstvoll; die Besetzung der

Gesangspartien durchweg mit namhaften Interpreten wie Juliane Banse, Spopran, Iris

Vermillion, Alt und Christian Gerhaher, Bass sowie mit Helmut Rilling am Pult

hochkar�tig und dem Renommee des vergessenen Werke eines grossen deutschen

Komponisten durchaus angemessen. Die Freude, diese Rarit�t in H�nden zu halten, ist

anfangs also gross. Bis man beginnt, den von Thomas Krettenauer verfassten Begleit �

Text im Booklet zu lesen.

 

Gleich zu Beginn heisst es dort also: �Es war gewiss keine Sternstunde deutscher

Musiktheatergeschichte, als Felix Mendelssohn Bartholdys einaktiges Liederspiel

Heimkehr aus der Fremde op. 89 am 26. Dezember 1829 seine szenische

Erstauff�hrung im Gartensaal des mendelssohnschen Familiensitzes (Berlin,

Leipzigerstrasse 9) erlebte�.

 

168

 

 


 

Ja, Toll! Das ist genau dass, was ein Interessent zu Beginn einer Information �ber den

Gegenstand des Interesses lesen m�chte, genau dass, was man dazu also zu Wissen

braucht.

 

In dem der Wirkungsgeschichte des Werkes gewidmeten Kapitel am Ende des

Booklettextes kommt es zu weiteren M�keleien und Verf�nglichkeiten Krettenauers.

 

So sei es im Jahre 1829 �nicht mehr ganz zeitgem�ߓ gewesen, �ein Liederspiel zu

komponieren�. Dasselbe � eine Sch�pfung also aus Mendelssohns H�nden �wom�glich

auf einer grossen Opernb�hne zur Auff�hrung zu bringen�.

 

Nach einer Umschau �ber die Rezeption des Werkes bei und nach der Drucklegung

im Jahre 1851, angesichts welcher der Verfasser immerhin anmerkt, dass das

kompositorische Erbe Mendessohns �nach seinem Tod im November 1847 zunehmend

einer feindseligeren, stark antisemitisch gef�rbten Rezeption zum Opfer fiel�, heisst es

dann weiter in unausgesetzt ambivalenten Tonfall: �Vielerorts konnte sich das Werk

aber nur relativ kurzzeitig auf den Theaterspielpl�nen halten�(...) Bemerkenswert aber

ist, dass sich �Heimkehr aus der Fremde op. 89� nachweislich dort einen Stammplatz

sichern konnte, wof�r es urspr�nglich bestimmt war: auf vielen Laienb�hnen und bei

Privatauff�hrungen in Liebhaberkreisen, (...)�

 

Ab also, ein f�r alle Mal, mit der Mendelssohn-Oper � auf die Laienspielb�hne!. Als

gen�ge es vollauf, dieselbe anhand von �Privatauff�hrungen�, in �Liebhaberkreisen� gar

zu rezipieren. Als sei das der einzig zugeh�rige Platz eines nicht unwesentliches Teiles

des Mendelssohn-Oeuvres. Diese Empfehlungen zu Ende gedacht zufolge w�rde also

auf einen eklatanten Missgriff, der Produktionsgesellschaft H�nssler r�ckschliessen

lassen, welche das Werk mit bedeutenden S�ngerinnen und S�ngern der grossen Oper

besetzt hat , von einem Staatlichen Profi-Orchester hat musizieren und einem

renommierten Kapellmeister hat leiten lassen. Es ist nahezu unfassbar, wie

unausgegoren und leichtfertig im Falle Felix Mendesohns theoretisiert und

dramaturgisiert wird. Da es sich ja durchwegs um Neuland handelt, glauben solche

Koryph�en offenkundig, sie k�nnten sich dort unter dem Deckm�ntelchen der Pioniertat

alles erlauben. In der anma�enden Selbstvergewisserung, das das schon nicht

auffallen, es der Leser nicht bemerken werde.

 

Eine im Januar des Jahres 2012 fabrikneu erworbene Schubert-CD des Labels

�Concerto Royal� des �Royal Philharmonic Orchestra�, welche im Jahre 2001

herauskam befindet sich anstelle eines Booklets Werbung f�r weitere CD-

Ver�ffentlichungen des Labels. Es werden insgesamt 60 CD�s aufgelistet.

 

Auf Johann Sebastian Bach entfallen 7, auf Ludwig van Beethoven ebenfalls 7, auf

Brahms 3, auf Mozart 6, auf Schubert 3 und auf Peter Tschaikowski 4 CD-

Ver�ffentlichungen. Die Romantiker Robert Schumann und Felix Mendelssohn sind mit

nur jeweils einer CD aufgelistet.

 

Der renommierte hochrangige Musikwissenschaftler und Publizist Martin Geck ist

hinsichtlich �berkommenem latentem Antisemitismus wahrhaft �ber jeden Zweifel

erhaben. Dennoch tappt auch er, wie so zahllos andere, in seinen Schriften �ber Musik

in die von Tradition und Chauvinismus bereitgehaltene Mendelssohn Falle.

 

In seinem aufschlussreich gehaltvoll aufbereiteten Kompendium �Von Beethoven bis

Mahler � Leben und Werk der grossen Komponisten des 19. Jahrhunderts� befasst sich

Geck auch mit der Vita Felix Mendelssohns.

 

169

 

 


 

Diesen stellt er Franz Liszt beiseite � beide, Felix Mendelssohn und Franz Liszt, werden

von Geck als Au�enseiter und �Kosmopoliten� angesichts des deutschen Musiklebens

dargestellt Schon in der Einleitung des diesbez�glichen Kapitels 3 �Im Dienst der

Volksbildung: Franz Liszt und Felix Mendelssohn Bartholdy� verf�ngt sich Geck selbst

an einem der in diesem Buche von ihm selbst so zahlreich ausgelegten Stolpersteine; er

l�sst die Leserschaft an einer Information, einer Einsch�tzung latent oder offenkundig

fragw�rdigen Charakters innehalten � zwingt zum Wiederholen, zum Zweimall lesen, ja

zum Nachdenken. Vielleicht wollte der geehrte Autor ja genau das erreichen: zum

Nachdenken zu provozieren.

 

Martin Geck schreibt also:

�Liszt und Mendelssohn sind auf den ersten Blick ein ungleiches Paar: der eine

skandalumwitterter Allerweltskerl, der andere Musterknabe der Nation. (...) Man

untersch�tzt leicht, was beide speziell f�r das deutsche Musiklebern geleistet haben,

obwohl oder weil sie keine Deutschen im emphatischen Sinne waren und es an Totalit�t

weder des kompositorischen Ausdrucks noch der narzisstischen Ich-Bezogenheit mit

Schubert, Schumann, Brahms, Wagner oder Bruckner aufnehmen konnten.� Stopp,

Halt! - bereits an dieser Stelle endet die Lekt�re vorerst � zwingt sie zum innehalten, zur

R�ckschau.

 

Ja was?! -Mendelssohn war also, Martin Geck zufolge �kein Deutscher im

emphatischen Sinne�: Nun, Frage: Ist ein vom Judentum abstammender, in Deutschland

geborener, in deutschen Sinne (also in diesem falle protestantisch) erzogener und

aufgewachsener Mensch dennoch kein Deutscher, ganz gleich ob im emphatischen

oder nichtemphatischen Sinne?

 

Man w�rde Martin Geck unrecht tun, wen man angesichts dieser Darstellung die ganz

grosse Moralkeule des Faschismus, der Unterscheidung von �deutschem� und

�semitischem� Blute, also die Thesen rassenbiologisch aufbereiteter Unterscheidung

von �arischer� und �nichtarische�, also �semitischer�, Rasse zu schwingen.

 

Aber es ist zum Haare ausraufen: � warum bringen es die einschl�gigen Publizisten

einfach nicht fertig, einen in Deutschland geborenen, deutsch erzogenen und sich

erkl�rter Massen zum Deutschtum bekennenden K�nstler (siehe im Brief an Karl

Friedrich Zelter aus dem Jahre 1832 auf Seite 12) als vollwertiges Mitglied der

deutschen Gesellschaft anzuerkennen.

 

Bezieht sich der vom Martin Geck ge�u�erte diesbez�glich erhobene Zweifel nicht

vielmehr auf geistvoller als Chauvinistisch zu Werke gehende Kritiker wie Heinrich

Heine oder Hans Mayer?, Die Mendelsohn ja seinen erkl�rten und gelebten

Protestantismus einfach nicht abkauften?

 

Letztendlich muss jeder einzelne die Frage nach der deutschen Identit�t selber

beantworten � aber wenn man nun wie Martin Geck zu einer negierenden Auffassung in

dieser Frage gelangte, und man diese Auffassung auch noch publiziert, darf man sich

�ber Kritik, Bezweifelung und Verwunderung nicht beschweren.

 

Bleibt noch die Nachfrage, ob es Mendelssohn an einer Totalit�t des Komponierens, an

gesch�rftem kompositorischen Ausdruck, also an kompositorischen Profil mangelte?

 

170

 

 


 

Ob er genauso ego-autonom im Komponieren veranlagt war, wie die genannten

Kollegen? Ob es �berhaupt einen Sinn macht, bekannten und beliebten Komponisten

und K�nstlern eine jeweils �narzistische Ich-Bezogenheit� anzukreiden. Es muss in der

Beantwortung all dieser Thesenstellungen einmal mehr im Sinne des hochverehrten,

leider bereits verstorbenen Wulf Konold energisch darauf hingewiesen werden, dass

das allf�llige Gerede �ber Fragestellungen, wie jener nach einer �narzisstischen Ich-

Bezogenheit� von Komponisten nicht wirklich weiterbringt. Dass es letztendlich nicht

viel zum Ziel, sich einen Bekannten oder vergessenen Komponisten bewusst zu

machen und vor Augen zu f�hrten, beitr�gt; dass es vielmehr im Sinne einer

Bewusstmachung eines verdienten Musikers liegt, denselben schliesslich und endlich so

reichhaltig wie m�glich aufzuf�hren.

 

Immerhin bietet die Lekt�re von Gecks Buch eine sch�ne M�glichkeit, sich einmal

wieder statistisch Mendelssohns Stellung Im Musikbetrieb des Jahres 2000, als das

1993 in einer Erstfassung erschiene Buch wieder aufgelegt wurde, plastisch vor Augen

zu f�hren. Im Anhang findet sich ein Werkregister, das alle in dem Textk�rper

behandelten Kompositionen auflistet. Schauen wir uns einmal den Sachstand von

Komponisten an, welche alle im 19. Jahrhundert gelebt und komponiert haben

 

Brahms bringt es auf 33 Werkauflistungen, von Schumann werden gar 42 Werke im

Text behandelt, gleichfalls 42 Werke Schuberts werden besprochen, Beethoven erringt

die Krone mit 63 genannten Werken. Schauen wir uns nunmehr an, wie viele Werke

Mendelssohns im Register Erw�hnung finden. Sage und Schreibe nur 6 St�ck: das

�Streichquartett f-moll op. 80�, das �Klaviertrio d-moll op. 49�, die �Lieder ohne Worte�,

Die Oratorien "Paulus" und "Elias" und zuletzt schliesslich der ber�hmte �Gruss, Lied op.

19�. Also nicht gerade eine repr�sentative �bersicht �ber Mendelssohns Schaffen. Die

Symphonik kommt augenf�llig zu kurz angesichts der mehrheitlich genannten

Kammermusikwerke, es fehlen beispielsweise die �Schottische� und die �Italienische�

Symphony zuz�glich die �Sommernachtstraum�-Ouvert�re und das �Violinkonzert� als

absolutes Kern-Schaffen von Mendelssohn Oeuvre.

 

Noch mit einem weiteren Werk wendet sich Martin Geck dem Leben und Wirken Felix

Mendelssohns zu. Er verfasste die farbig illustrierte Neuausgabe des Felix Mendelssohn

-Beitrags zur bekannten und beliebten Reihe der rororo-Bildmonographien, welche im

Jahre 2009 das im Jahre 1974 erschienene, noch schwarz-weiss-illustrierte

Vorg�ngerexemplar von Hans Christoph Worbs abl�ste.

 

Wie in der Vorg�ngerschrift �Von Beethoven bis Mahler� verheddert sich Geck sogleich

in der Mendelsohn-Falle subtil-latenter Zur�cksetzung von Mendelssohns Ansehen

durch deutsche Publizisten. Geck hinterl�sst dabei wiederum etliche Stolpersteine

fragw�rdiger, zum innehalten und nachdenken verleitender Ansichten und

Suggestionen. Es w�rde den Rahmen der vorliegenden Schrift erheblich sprengen, alle

diese im Text verteilten Merk.-und Denkw�rdigkeiten aufzulisten und zu kommentieren,

aber die sch�nste, weitestausgreifende, effektivste Stilbl�te soll Ihnen nicht vorenthalten

werden. Im Kapitel �zwischen Leipzig und Berlin 1841-1844� �u�ert sich Geck in

despektierlichem, herablassenden Ton �ber Mendelssohns grandiose �Schottische�-

Symphony.

 

Es ist da von �einiger M�he� welche �dem Komponisten innerhalb �einer weit �ber

drei�ig Minuten dauernden, nach klassizistischem Vorbild geschaffenen Sinfonie�

angeblich bereitet war, die Rede. Von einer �kleinen, etwa zeitgleich mit Wagners

�Fliegendem Holl�nder� komponierte Sturmszene� sowie von einem �kleinen Hymnus�.

 

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Dann kommt Geck z�gig zur Sache: �Jedoch tut man Mendelssohn Bartholdys Sinfonien

kaum unrecht, wen man sie einem Mittelgebirge zurechnet, das sich zwischen den

Gipfelpaaren Beethoven/ Schubert auf der einen und Brahms/ Bruckner auf der anderen

Seite der Zeitachse des 19. Jahrhunderts abzeichnet�.

 

Noch plastischerer, anschaulicher l�sst sich eine Mendelssohn Erniedrigung unserer

Tage kaum darstellen. �Das Gerede vom Templower H�gel bei Berlin, welchen Heinrich

Heine als Ma�stab von Mendelssohns �Paulus" dem Apenninen von Rossinis "Stabat

Mater" entgegensetzt hat, kommt einem dabei in den Sinn. Das Ziel, Mendelssohn in

unseren Tagen wieder in den Rang zu erheben, welcher ihm von hause aus als

wahrhaft grossen und bedeutenden Komponisten des 19. Jahrhunderts geb�hrt, ist

somit unerreichbar. Eine vergebliche Liebesm�h, eine Sysiphusarbeit, solange

namhafte Publizisten wie Geck Mendelssohn in Stumpf und Stiel niederschreiben,

solange derartige demagogischer Unfug wie jener vom �Mittelgebirge der

Mendelsohnschen Symphonik das Publikum ungehindert, ungefiltert, quasi eins zu eins

erreichen kann.

 

Es ist richtig, dass Mendelssohn Symphonik sehr unterschiedlich ausgefallen ist, dass

sich die Werke in hohem Ma�e stilistisch voneinander unterscheiden. Der klassizistisch

ausgestalteten, orchestral ausgewogenen einhergehenden Jugendsymphony Nr. 1 folgt

eine symphonische Kantate, der �Lobgesang� welche einen Weg weist zu den sch�nen,

von Mendelssohn geschriebenen Psalmvertonungen. Es folgt die 3. Symphony, die

�Schottische�, welche klassisch romantisch erscheinend, gleichberechtigt, eine

Verbindung schafft von Beethoven in der Vergangenheit und Brahms in der Zukunft.

Von kammermusikalisch-feinsinniger, hell-erstrahlender Tonsprache gepr�gt erscheint

uns die 4., die� �italienische� Symphony und von �Sturm und Drang� beseelt ist die

F�nfte als protestantisch durchdrungene Bekenntnismusik. Die unterschiedliche

Vorgehensweise indes l�sst vermuten, dass Mendelssohn auf der Suche nach einer

eigenen -symphonischen Tonsprache und Form war und sich in verschiedenen

Stilistiken und thematischen Sujets ausprobierte. Wie die Lekt�re eines Otto-Klemperer-

Konzertmitschnitts vom Mai 1969 mit dem Symhonyorchester des Bairischen Rundfunks

im M�nchner Herkulessaal aufgenommen, belegt, zeigt die klassisch romantisch

gewichtete �Schottische� Symphony zumindest Mendelssohn auf der H�he der

Tonsprache Beethovens, Brahms oder Schuberts. Wie so manches Mal in der Kunst

oder in der Musik f�llig, l�sst sich nur erahnen was die unmittelbare Zukunft uns noch ,

von der klassisch -romantisch geformten Tonsprache der �Schottischen� und der fahlen

expressionistischen Zerrissenheit des Streichquartettes op. 80 als Zeugen eines sich

anbahnenden entwickelnden Sp�tstiles ausgehend betrachtet, an symphonischen

Meisterwerken geschenkt h�tte, wenn Mendelssohn nicht mit 38 Jahren gestorben

w�re.

 

Eine letzte Stilbl�te, welche uns das f�hrende deutsche Klassikmagazin Fonoforum

zulieferte, sei Ihnen am Schluss noch mit auf den Weg gegeben. In der April-Ausgabe

des Jahres 2012 ist, anl�sslich der Rezension einer Tschaikowsky und Mendelssohn

gewidmeten CD-Ver�ffentlichung des jungen taiwanesischen Geigers Ray Chen, in

lockerer Schreibe anmerkenswertes und belehrendes des Rezensenten Christoph

Vratz zu lesen.

 

Der erste Satz seiner Rezension beginnt gleich mit einem flapsig-stilistischen

Donnerschlag: �Eine Geiger-Karriere, wie gelackt�. Nach dem somit bereits beredt der

Tonfall der Rezension vorgegeben ist, gibt Vratz dem jungen Virtuosen vor allem den

Rat, die Karriere etwas langsamer, umsichtiger anzugehen.

 

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Dennoch ist Vratz auch voll des Lobes �ber die bereits ereichte K�nnerschaft Chens. Es

heisst also: �Chen kann berauschen, gl�nzen, faszinieren, staunen machen. Wie leicht

und souver�n er alles aus Kopf, Hand und Arm schleudert, etwa in der Kadenz des

Tschaikowski-Konzertes�.

 

Und dann ger�t Vratz in die sattsam vertraute, eingedenk der zahlreichen Vorg�nger

bereits ziemlich ausgetretene Mendelssohn Falle. In rasantem, beredten Tonfall kommt

er, quasi �ber Eck, angebraust: �Wie sicher er die Zuckert�pfe bei Mendelsohn umf�hrt,

um Klebrigkeiten zu vermeiden�. Bumms. Da liegt er...Verheddert sich in der

Mendelssohn-Falle, strauchelt und schl�gt der L�nge nach hin. Also: Felix....;

Mendelssohn..............Bartholdy?..........................

 

Der Rest ist Schweigen.

 

Copyright:

Rainer Hauptmann/ Die Cavallerotti -das

KulturNetzWerk e. V.

1997/2012

 

 

www.cavallerotti.de

 

 

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