Seite schließen | ||
Download als PDF | Als book on demand bei amazon bestellen |
"Wir haben keine Heimat mehr...."
Felix Mendelssohn Bartholdy oder eine
Geschichte kulturellen Antisemitismus im
Deutschland des 19. und 20. Jahrhunderts
Ein Essay von Rainer Hauptmann
Mit einem Vorwort von Herrn Dr. Gottfried Wagner
F�r Gundula, Sandra, Natalie, Uwe, Tina,
Daniel +, Georg, Petra, Paul
und mein liebes Mom,
Frau Anita Hauptmann, + 2008,
Felix Mendelssohn Bartholdy in der Jetzt-Zeit, die �causa Mendelssohn� � von der
Aktualit�t eines verdr�ngten Komponisten � Gedanken zu Rainer Hauptmanns Essay
�Wir haben keine Heimat mehr �� Felix Mendelssohn Bartholdy oder eine Geschichte
kulturellen Antisemitismus in Deutschland des 19.und 20.Jahrhunderts
Der Verbleib von Person und Werk Felix Mendelssohns ist im Bewusstsein des heutigen
Publikums eher fragw�rdig, denn man war, wie der hier vorgelegte Essay von Rainer
Hauptmann im Einzelnen darlegt, nach Kr�ften bem�ht ihn und seine Musik zu
verdr�ngen und zu verf�lschen.
Die �Causa Mendelssohn � war die Vernichtung Mendelssohns, die Verdr�ngung und
Zerst�rung des gesamten Oeuvres und Lebens eines einstmals angesehenen
Komponisten. Sie war ein Verbrechen kultureller Art und reiht sich nahtlos in allgemeine
antisemitische Bestrebungen und Geschehnisse ein, welche sich in letzter Konsequenz
bis zur Vollf�hrung des Holocaust entwickeln sollten. Wer sind die Schuldigen an
diesem Verbrechen, wer waren die T�ter? Und wo sind die Zeugen?
Die Zeugen werden hier der Reihe nach zu Worte kommen, einer nach dem Anderen.
Der Name Richard Wagner wird im Verlaufe dieses fiktiven Verfahrens genannt. Viele
fragen sich: Richard Wagner hat doch wundervolle Opern geschrieben und ist doch
somit eine S�ule des heutigen Musiklebens. Was hat Richard Wagner mit
Antisemitismus und Felix Mendelssohn zu tun? Wie sich im Verlaufe des fiktiven
Gerichtsverfahrens herausstellen wird, verk�rpert die Person Richard Wagners eine
Hauptrolle im Bestreben, Mendelssohn zu vernichten, ja, er muss dabei als ein
Hauptt�ter gelten.
Richard Wagner ist schuldig an einer Stigmatisierung der Person und des Angedenkens
Felix Mendelssohns, seine Schriften stellten eine Art f�hrend wirksame Sprachregelung
im negativen antisemitischen Umgang mit Mendelssohn dar, welche in ihrer
Verunglimpfung, aber auch in ihrer Mechanik, in ihrem Automatismus bis in unsere Zeit
wirksam bleibt. Richard Wagner war ein antisemitischer Titan, dessen Schriften in
Deutschland und in Gesamteuropa und weltweit exzeptionell gelesen wurden. Sein
musikalisches Werk ist in prominenter Art und Weise von antisemitischen, inhumanen
Gedanken und Empfindungen durchzogen. Ungebrochen widmet man ihm bis in unsere
Zeit weihevolle Festspiele, welche von der aktuellen politischen, gesellschaftlichen und
kulturellen Elite zur Selbsterh�hung rauschhaft frequentiert werden.
Welches Anrecht hat man sein Werk auf deutschen und europ�ischen B�hnen
bedenkenlos bis heute aufzuf�hren, besonders an der Bayreuther Wagner Kultst�tte?
Die Bayreuther Festspielb�hne m�sste Auff�hrungen der Mendelssohnschen Oratorien
und jene der Opern des, gleichfalls von Wagner bis ins Mark gesch�digten j�dischen
Komponisten Giacomo Meyerbeer, erfahren, somit eine Konfrontation von T�ter und
Opfer auf gleicher Augenh�he stattfinden. Ohne eine klare Absage von der
antisemitischen Aura stellen die Auff�hrungen unkommentierter Opern Wagner eine
Beleidigung jener Opfer dar, welche vom Wagnerschen Antisemitismus unmittelbar oder
im weiteren Verlaufe gesch�digt wurde.
Das offene Publikum wird im Verlaufe des fiktiven Verfahrens auf die Sch�nheit der
Mendelssohnschen Musik aufmerksam und die Anh�rung ideeller Zeugen bewirken die
Erkenntnis, dass Wagner Unrecht hatte in seiner Behauptung, die Musik Mendelssohns
habe keinen Wert , denn sie beweist, sagt uns damals wie heute das Gegenteil.
Ohne Mendelssohn ist die Musikgeschichte des 19.Jahrhunderts undenkbar. Der
vorgelegte Text in Form eines fiktiven Prozesses gegen Verunglimpfung des
Komponisten ist ein mutiges Engagement f�r Mendelssohn und andere Verfolgte.
Hauptmann zeigt leidenschaftlich den aktuellen Wert, die Zeitlosigkeit der Gef�hle und
Bewegungen dieser Musik f�r uns heute auf.
Er gibt so seine ehrliche Erkenntnis �ber die einzigartige musikgeschichtliche
Bedeutung Mendelssohn weiter. Ich w�nsche seinem Essay daher viele sensible Leser
und Leserinnen.
Gottfried Wagner, Cerro Maggiore, den 27.Juni 2012
Inhalt
Vorrede (S. 1)
1. Es w�re wirklich einmal eppes Rores, wenn aus einem Judensohne einK�nstler w�rde (S. 3)
2. Hei�t Du Mendelssohn, so bist Du eo ipso ein Jude (S. 7)
Intermezzo I: La� ihm auch den irdischen Lohn werden! (S. 16)
3. Der gr��te lebende Komponist (S. 17)
4. Antisemitismus (S. 19)
5. Das Judenthum in der Musik (S. 20)
6. Ein antisemitischer Eklektizist (S. 27)
7. Eine exzeptionell exclusive Menschen-Race (S. 29)
8. Von der Neudeutschen Schule (S. 33)
9. Von der musikalischen Wahrheit (S. 36)
10. Der letzte Deutsche (S. 43
11. Gl�cklicher Mensch! Dich erwartet wohl nur ein kurzes Ephemerenleben... (S. 49)
Intermezzo II: "Felix, thust du nichts?!" (S. 50)
12. Von der E-Musik und der U-Musik (S. 51)
13. Der sch�nste Zwischenfall der Deutschen Musik (S. 55)
14. Geschmacksgef�hrliche Lieder und Duette (S. 57)
15. Denkm�ler (S. 57)
16. Es singt ein Lied von Felix Mendelmaier... (S. 61)
17. Keine Kosten und M�hen wurden gescheut... (S. 61)
18. Eine Lanze f�r Felix Mendelssohn (S. 66)
19. Eine weiche, zur Sentimentalit�t neigende Natur (S. 67)
Intermezzo III: und dirigierte Wagners "Tannh�user"-Ouvert�re" im Gewandhaus (S. 69)
20. Nur in einem Abstand zu nennen (S. 71)
21. Wir k�nnen auf Objektivit�t nicht Verzicht leisten! (S. 73)
22. Eine grosse L�sung (S. 78)
23. Auch in der Musik hat der Jude nie Kulturwerte geschaffen (S. 88)
24. Alles, alles wurde dem Juden zugesprochen (S. 98)
Intermezzo IV: die "Hohe Schule" I: Kulturelle Neuordnung nicht nur f�rEuropa, sondern f�r die Welt (S. 102)
25. Das Lexikon der Juden in der Musik (S. 103)
26. und das Benehmen Mendelssohns, das er als Director angesehen werdenwolle (S. 105)
Intermezzo V: Juden bleiben Juden oder von den Ehetageb�chern des RobertSchumann (S. 106)
27. Denkmalspflege; nationalsozialistisch (S. 108)
28. Ein nordischer "Sommernachtstraum" (S. 113)
29. Von bajuwarischen "Sommernachtstr�umen" (S. 123)
Intermezzo VI: Die "Hohe Schule" II oder "Musik in Geschichte und Gegenwart" (S. 128)
30. Die zierlich-empfindsamen Lieder und Duette... (S. 134)
Intermezzo VII: Vom deutschen Hausbuche (S. 141)
31. Der Ausweg des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unm�ndigkeitoder vom Ende der "zeitlosen" Zeit (S. 142)
Intermezzo VIII: Es ist alles ganz eitel und ein Haschen nach Wind (S. 146)
32. Grenzen in der Bedeutung dieser Musik (S. 151)
33. Sein Platz nach Beethoven und Brahms ist ehrenvoll genug (S. 152)
34. Diese Musik wurde ermordet I (S. 153)
35. Das erreichbare H�chstma� an Gl�tte und Ausgeglichenheit... (S. 154)
36. Philosoph. Musici: vom Gewandhausdirecteur Moses Mendelssohn (S. 155)
37. Dass Mendelssohn Grenzen hat, sei unbestritten (S. 159)
38. Wie ist eine derartige Geringsch�tzung im Umgang mit einem dochbedeutenden Komponisten �berhaupt m�glich? (S. 160)
39./ 40. Diese Musik wurde ermordet II/ Die Mendelssohn-Falle (S. 163/165)
Vorrede
Als Felix Mendelssohn Bartholdy im November 1847 unerwartet starb, hielt das
�ffentliche Leben in den Musikst�dten Europas und der Neuen Welt ersch�ttert inne.
Der Tod eines grossen zeitgen�ssischen Meisters wurde als tragischer, unersetzlicher
Verlust empfunden. Nun ist das Lebensgef�hl der Menschen, welche vor mehr als 150
Jahren lebten, nicht per se auf die heutige Zeit zu �bertragen. Somit muss uns Musik,
welche die Empfindungen unserer Vorfahren aufs trefflichste reflektierte, nicht
zwangsl�ufig bewegen.
Andererseits erhebt sich die Frage: Auch Schubert, Beethoven, Mozart lebten vor 150 �
200 Jahren, und verliehen den Zeitl�uften in politischer, kultureller und emotionaler
Hinsicht musikalisch Ausdruck. Auch sie wurden von der �ffentlichkeit oder dem
unmittelbaren pers�nlichen Wirkungskreis als Herolde zeitnah humanen Empfindens
gew�rdigt. Das ist im Falle der letztgenannten auch so geblieben.
Im Falle Felix Mendelssohn Bartholdys hingegen muss pl�diert werden, muss im
Zweifelsfalle eine Verbindung der 40ziger Jahre des 19. Jahrhunderts zu unserer Zeit
und unserer Sichtweise nachtr�glich, quasi synthetisch wiederhergestellt werden. Allein,
die publizistische Darlegung der Gegenwartsrelevanz von Musik, der Musik Felix
Mendelssohns beispielsweise, ist wiederum ein schwieriges, m�glicherweise
vergebliches Gesch�ft. Das Pl�doyer sollte auf musikalischem Wege erfolgen.
Um aber zum Mindesten Nachweis zu f�hren, was einstmals unzweifelhaft bestanden,
allzu lange versch�ttet und nachhaltiger zur�ckzugewinnen w�re: die Einsch�tzung
Mendelssohns als bedeutenden Meisters der europ�ischen Musikgeschichte, m�gen
zu Beginn der Geisteswissenschaftler Hans Mayer und danach der Komponist Robert
Schumann zu Worte kommen:
�Mendelssohn hat in einem ganz ungew�hnlichen Sinne alle damals bekannten
Traditionen deutscher Musik verk�rpert und in sich zusammengefasst. Er hat sie durch
seine eigenen Sch�pfungen und Erkenntnisse erweitert und weitergereicht. (...) Man
kann die Behauptung wagen, da� durch Felix Mendelssohn, gerade in seinem Leipziger
Wirken, nicht nur die Strukturen unseres heutigen Musiklebens festgelegt wurden,
sondern da� es erst durch ihn (...) auch f�r uns heutige m�glich wurde, die Musik und
die musikalische Entwicklung als einen �berschaubaren historischen Prozess zu
interpretieren. Auch die Musikgeschichte ist nicht denkbar ohne Leipzig und Johann
Sebastian Bach, ohne Mendelssohn und Philipp Spitta". (Hans Mayer "Der Widerruf"
Frankfurt 1994)
Im Juni 1848 musste Franz Liszt im Salon des Hauses Schumann ein deutliches Wort
�ber sich ergehen lassen:
�Meyerbeer ist ein Wicht gegen Mendelssohn, letzterer ein K�nstler, der nicht nur in
Leipzig, sondern f�r die ganze Welt gewirkt hat. Herr, wer sind Sie, da� Sie �ber einen
Meister wie Mendelssohn so reden d�rfen!� (zitiert nach Walter Dahms, Robert
Schumann)
1
In einem Brief an den Weimarer Komponisten legt Schumann im darauf folgenden Jahre
beg�tigend nach:
�Und wahrlich, sie waren doch nicht so �bel, die in Leipzig beisammen waren �
Mendelssohn, Hiller, Bennett u. a. � mit den Parisern, Wienern, Berlinern, konnten wir
es ebenfalls auch aufnehmen.� (zitiert nach Walter Dahms, Robert Schumann)
Auch die letzten verbrieften Worte Robert Schumanns, aus Endenich an Clara gerichtet,
bevor er vollends in geistiger Umnachtung verharrte, galten dem toten Leipziger Meister:
"Die Zeichnung von Felix Mendelssohn hab ich beigelegt, dass Du sie doch ins Album
legtest. Ein unsch�tzbares Andenken! Leb wohl. Du Liebe! Dein Robert". (zitiert nach
Walter Dahms, Robert Schumann)
Sprachliche Pr�zision, Schlichtheit des Ausdrucks und feinsinniger Intellekt pr�gen die
Ausf�hrungen des Geisteswissenschaftlers; Engagement, ja Hingabe die Worte des
K�nstlers. Beide kommen jedoch zum gleichen Res�mee: Bekenntnis der origin�ren
Stellung Felix Mendelssohn Bartholdys innerhalb der Musik des 19. Jahrhunderts. Den
Musikfreunden unserer Zeit erscheint dieselbe ja sicher auch unzweifelhaft
festgeschrieben, in der eigentlichen musikalischen Wortmeldung aber ist sie abseits
weniger hochpopul�rer Zugst�cke des klassischen Repertoires bislang eher
schemenhaft wahrzunehmen.
Das literarische Engagement Schumanns, Mayers, Heinrich Eduard Jacobs, Georg
Kneplers, Karl-Heinz K�hlers, Eric Werners, Arnd Richters; das explizite Engagement
der Dirigenten Otto Klemperer, Kurt Masur, Peter G�lke u. a. galten auch der
R�ckbesinnung auf eine zentrale Epoche der b�rgerlichen Musikgeschichte: den Jahren
1835 � 47. In jenen Jahren wirkte Mendelssohn am Gewandhaus als Komponist und
Dirigent und reformierte die deutsche Musik nachhaltig.
Mendelssohn etablierte im Gewandhaus zu Leipzig die grosse Philharmonische
Gesellschaft, das eigenst�ndig zelebrierte symphonische Konzert, als wichtigste
Institution wachsenden b�rgerlichen Kulturbewusstseins. Dar�ber hinaus wirkte er
ma�geblich auf gesellschaftliche Akzeptanz des Orchestermusikers als Repr�sentanten
neuerstehenden philharmonischen Berufsstandes hin.
Er �ffnete das Gewandhaus, �sthetischer Vorbehalte eigenen musikalischen
Empfindens gegen�ber den Avantgardismen mancher Partitur ungeachtet, den
Komponisten Berlioz, Cherubini, Chopin, David, Gade, Hiller, Liszt, Moscheles, Rossini,
Schumann, Spohr, Wagner und sorgte somit durch Aufbau und Pflege zeitgen�ssischen
Repertoires f�r eingehendere Beachtung neuer Musik.
Das gewaltige Instrumental-und Sakralwerk des Komponisten und Thomaskantors
Johann Sebastian Bach galt Fachleuten im fr�hen 19. Jahrhundert als Studienobjekt
musikalischer Formvollendung, aber hoffnungslos antiquiert, "unmelodisch, berechnend,
trocken und unverst�ndlich im Publicum bekannt" (Ludwig Devrient, Meine
Erinnerungen an F. M. B. und seine Briefe an mich, Leipzig 1869); ja als unauff�hrbar.
2
Die Musik Bachs und anderer Meister der Barockzeit und Klassik wurde durch
Mendelssohns Initiative Aufsehen erregender Neueinstudierungen der
"Matth�uspassion" nach beinahe 100 Jahren des Vergessens und "Historischer
Konzerte" im Gewandhaus dem zeitgen�ssischen Musikleben nachdr�cklich ins
Bewusstsein gerufen.
Der zeitgen�ssische Musikbetrieb war vor Mendelssohns Wirken in Leipzig ja vorrangig
auf Pr�sentation von Neusch�pfungen interpretierender Komponisten ausgerichtet. Die
Wiederauff�hrungen der Bachschen "Matth�us-Passion" und die "Historischen
Konzerte" fungierten somit als Synonym historischen Gewissens, als Exempel
progressiven �bergangs zu "stetiger Produktion neuer und Reproduktion nicht mehr
"neuer" Musik" (fr. n. Mayer)
Felix Mendelssohn engagierte sich beharrlich f�r das Vorhaben, dem musikalischen
Nachwuchs �ber traditionelle Angebote von Singschulen und Ratsmusiken hinaus an
einer, den Instituten europ�ischer Musikzentren vergleichbaren Musikbildungsst�tte ein
umfassendes Studium zu erm�glichen. 1843 vermochte er es, unterst�tzt von
Musikverlegern, Gelehrten und Komponisten, in Leipzig das erste deutsche
Konservatorium im Hochschulrange ins Leben zu rufen. Pers�nlichkeiten der
Musikgeschichte -darunter die Komponisten Albeniz, Bruch, Delius, Eduard Grieg, Leos
Janacek, Svendsen und Miklos Rozsa -erwarben dort die Grundlagen sp�teren
Ruhms.
Diese Initiative der "Begr�ndung eines neuen (...) gemeinn�tzigen vaterl�ndischen
Institutes" (Testat Dr. Heinrich Bl�mners 1839) der Tonkunst lebt fort in der "Hochschule
f�r Musik und Theater Felix Mendelssohn Bartholdy" in Leipzig, welche weiterhin jungen
Menschen aller Nationalit�t zum Studium von Musik und darstellender Kunst in Theorie
und Praxis offen steht.
1. Es w�re wirklich einmal eppes Rores, wenn aus einem Judensohne ein K�nstlerw�rde
�Er ist zwar ein Judensohn, aber kein Jude. Der Vater hat mit bedeutender Aufopferung
seine S�hne nicht beschneiden lassen und erzieht sie, wie sich�s geh�rt; es w�re
wirklich einmal eppes Rores (etwas Rares), wenn aus einem Judensohne ein K�nstler
w�rde.� Mit solchen Worten irritierenden Wohlwollens bereitete der Berliner Komponist
Karl Friedrich Zelter den greisen Geheimen Rat Johann Wolfgang von Goethe in
Weimar in seinem Brief vom 26. Oktober 1821 auf den Besuch eines 12 j�hrigen
musikalischen Wunderkindes aus dem Hause Mendelssohn vor. Die rhetorisch mit allen
Attributen von Aussergew�hnlichkeit beladene, letztendlich aber ergebnislos
verbliebene Gleichung der Konstanten Jude, Taufe, Judensohn und K�nstler verr�t
nicht, ob es sich um den Ausdruck einer ehrlich empfundenen Hoffnung oder um
Anma�ung handelt.
Dessen ungeachtet erlag Zelter jedoch der Versuchung, mit der Feststellung vom
K�nstlertum aus j�dischem Hause als einer Causa von wahrhaft eppes rorer Art, die
j�dische Sprechweise dezidiert zu karikieren.
3
�Hepp-hepp-hepp! Judenjunge!� rief ein debiles preu�isches F�rstenkind den 10j�hrigen
Felix Mendelssohn und die 14j�hrige Fanny auf den Strassen Berlins an, bevor er ihm
ins Gesicht spie. �Hepp-Hepp! Judenjung! schrieen Stra�enkinder in dem K�stenort
Dobberan an der Ostsee den beiden entgegen, bevor sie sich aufs sie warfen.
Heldenhaft und gleichm�tig befreite er die Schwester aus der bedrohlichen Situation;
sicher geleitete er sie heim � erst dort trieben Zorn und Scham ihm die Tr�nen heraus.
Im Jahre 1812 erlie� K�nig Friedrich Wilhelm III. von Preussen auf Anraten des
Staatsministers Karl August von Hardenberg ein Emanzipationsgesetz. Es sollte Juden
die preussische Staatsb�rgerschaft gew�hren und den lediglich vereinzelt an
herausragende Pers�nlichkeiten �ffentlichen Lebens vergebenen w�rdelosen Status
der �Schutzjudenschaft� ersetzten.
�Gelingt es nicht, die Juden zur Taufe zu bewegen, dann bleibt nur eins: sie gewaltsam
auszurotten!� (zitiert nach Arndt Richter, Felix Mendelssohn) empfahl indessen der
Berliner Historiker und Historiograph des Preussischen Staates Friedrich R�hs im Jahre
1814. Er reflektiert so die wahrhaftig vorherrschende �ffentliche Meinung gegen�ber
gleichgestellten j�dischen B�rgern.
Auf volkst�mlicherer Ebene erregte zeitgleich die Auff�hrung der antisemitischen Posse
"Unser Verkehr" auf einer Berliner B�hne Aufsehen, welche die j�dische Lebensweise
zum Gesp�tt zu machen suchte. Die Posse agitierte somit gegen das Hardenbergsche
Unterfangen, Juden zu preu�ischen Staatsb�rgern zu machen. Autor war der Breslauer
Augenarzt Karl Sessa. Die Auff�hrungen von "Unser Verkehr" l�sten Unruhen unter den
Zuschauern aus; als der Berliner Kom�diant A. A. Ferdinand Wurm sich auf der B�hne
�ber die j�dischen Speisegesetze und den j�dischen Widerwillen Schweinefleisch
gegen�ber mokierte, wurde das Publikum gar handgreiflich gegen ihn. Flugbl�tter mit
Aufrufen wie "Dass du in "Unserm Verkehr" die Juden verspottest, die Ursach, sie
begreift sich so leicht: bist du selbst doch ein Schwein" straften Autor und Akteure ab.
Dennoch verfehlte die Popul�r-Kom�die nicht ihre Wirkung auf breitere Schichten
"gesunden Volksempfindens". In der Berliner Bev�lkerung wurde somit die Forderung
erhoben, j�dischen Freiwilligen im Preu�ischen Abwehrkampf gegen Napoleon k�nftig
den Erhalt des Eisernen Kreuzes zu verweigern und ihnen vielmehr ein gro�es
Geldst�ck an die Kopfbedeckung zu heften.
Nicht zuletzt die in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts dominante
romantische Bewegung, altdeutschen, ja mittelalterlich paraphrasierten sowie
christlichen Idealen huldigend, z�hlte zu den erkl�rten Gegnern staatsb�rgerlicher
Judenemanzipation. Ber�chtigt in diesem Zusammenhang waren �Christlich-Deutsche�,
oder �Christlich-Germanische-Tischgesellschaften�, welche die hochrangigen Literaten
Achim von Arnim und Clemens Brentano, sowie der Publizist Adam M�ller in Berlin
unterhielten.
4
W�hrend Rang und Namen gesellschaftlichen Lebens in Berlin, Pers�nlichkeiten wie
Carl von Clausewitz, Johann Gottlieb Fichte, Savigny, Heinrich von Kleist, der
preussische Staatsrat S�gemann, Karl Friedrich Zelter sowie die F�rsten von
Lichnowsky und Radziwill, den Salon des Hauses von Arnim/ Brentano regul�r
frequentierten, war Juden nebst Franzosen und Philistern die Teilnahme an den
"Tischgeselligkeiten" und "deutschen Fressgesellschaften" satzungsgem�� verwehrt....)
Die Romantiker lehnten jedwede Bestrebung zur Realisierung moderner �konomie strikt
ab und sahen die Juden als treibende Kraft derselben an. Daher standen letztere im
Zentrum �bler Satiren und �Judenscherze� der �Tischgesellschaften�. Bettina von Arnim
schliesslich wandte sich vom Treiben Ihres Bruders und Ehemannes angewidert ab.
Allein f�r den Zeitraum des Jahres 1815 bis 1850 lassen sich 2500 Manifeste, welche
die vermeintliche Judenfrage im F�r und Wieder thematisierten, nachweisen.
Letztere er�ffnen bereits den ganzen Katalog vertrauter antisemitischer Demagogie
des Kaiserreichs und des 20. Jahrhunderts. Das Spektrum reicht von der
Zwangsassimilierung durch christliche Taufe, der �Veredelung� und Bekehrung mithilfe
religi�s-moralischer Vereine, �ber Seuchen-und Ungeziefermetaphorik, Betrachtungen
hinsichtlich Sexualamputation, Ausweisung, Austreibung, Deportation nach Pal�stina bis
hin zu V�lkermordphantasien.
Der seinerzeit viel rezipierte nationalistische Publizist und Dichter Ernst Moritz Arndt,
der im 20. Jahrhundert vom rassebiologisch grundiertem Wahn des deutschen
Nationalsozialismus als dessen "Vordenker" gefeiert wurde, konstatierte im Jahre 1814,
das dass Volk der Deutschen es durch alle Zeiten vermocht habe, nicht zu
"verbastarde(n), keine Mischlinge geworden" zu sein. �ber Jahrtausende hinweg sei es
vielmehr auf seiner "Urerde" rassisch "rein" geblieben. Nunmehr allerdings, f�hrt Arndt
des weiteren aus, sei das "germanische Wesen im h�chsten Ma�e durch das
Voranr�cken der Franzosen und der Juden bedroht, welche letztere mit dem
Prosperieren von "Ungeziefer" zu vergleichen sei. �Verflucht aber seien die Humanit�t
und der Kosmopolitismus, womit ihr prahlet! Jener allweltliche Judensinn, den ihr uns
preist als den h�chsten Gipfel menschlicher Bildung." schliesst Arndt.
Der ber�hmte Zeitgenosse Freiherr vom Stein attestierte Arndt denn auch eine
"H�hnerhundnase zum Aufwittern des verschiedenen Blutes". Arndt forderte die
Unterbindung der Zuwanderung ausl�ndischer Juden mit allen Mitteln sowie die
Verwehrung des vollen B�rgerrechtes f�r die deutschen Juden und "getauften
Judengenossen�. Arndt pl�diert im Gegenzug vielmehr f�r das "Aufgehen"
alteingesessener deutscher Juden vermittels vollst�ndiger Aufgabe der j�dischen
Religion und Kultur und Amalgamierung mit der christlich-germanischen Umwelt. Das
Verschwinden des "verdorbenen und entarteten" j�dischen Idioms w�re, Arndt zufolge,
durch Konvertierung zum Christentum nach 3 Generationen somit m�glich.
Neben Friedrich R�hs trat auch der Heidelberger Philosoph und Professor Jacob
Friedrich Fries als Demagoge antisemitischer Vernichtungsphantasien hervor. In einem
1816 unter dem Titel: ��ber die Gef�hrdung des Wohlstandes und Charakters der
Deutschen durch die Juden� ver�ffentlichten Pamphlet erging sich Fries in
�bersteigerten Gewaltmetaphern. In einem 1816 unter dem Titel: ��ber die Gef�hrdung
des Wohlstandes und Charakters der Deutschen durch die Juden� ver�ffentlichten
Pamphlet erging sich Fries in �bersteigerten Gewaltmetaphern
5
Er und forderte: �Denkt nur an ihr Schicksal in Spanien, wie es dort allem Volke zur
Freude wurde, sie zu tausenden auf den Scheiterhaufen brennen zu sehen, wie sie dort
die Regierung (...) samt und sonders zum Lande hinausjagen musste. Fragt doch
einmal Mann vor Mann herum, ob nicht jeder Bauer, jeder B�rger sie als Volksverderber
und Brotdiebe hasst und verflucht�
Im Zenit fremdenfeindlich-menschenverachtender Ereiferungen aber stehen die
Gewaltpathologien des Radikaldemagogen Hartwig von Hundt-Radowsky: Im
"Judenspiegel -ein Schand-und Sittengem�lde alter und neuer Zeit" aus dem Jahre
1819 regte er u. a. dazu an, die deutschen Juden den Engl�ndern als Arbeitssklaven f�r
die indischen Kolonien anzudienen. Neben der Zwangsarbeit auf den weitl�ufigen
Pflanzungen, erb�te sich des weitern die Deportation in die Erzminen. Von Natur aus
�ber �ein herrliches Sp�rorgan f�r alle edeln Metalle und Steine� verf�gend, w�re eine
T�tigkeit dort, - sicherheitsverwahrt von �geheimen Polizeispionen" - gewinntr�chtig.
Die m�nnlichen Juden w�ren s�mtlich zu kastrieren, die Frauen hingegen in �gewisse
weibliche Erziehungsinstitutionen� genannte Bordelle zu verbringen um dort den
Machthabern gef�gig zu sein. Hundt-Radowsky stellt in Schriften wie dem
"Judenspiegel" oder der 1822/23 in der Schweiz erschienen "Judenschule" des weiteren
haneb�chen-menschenverachtende Behauptungen �ber das Wesen der j�dischen
"Rasse" auf:
"Der Teufel ist barmherziger als ein Jude". Von Geburt an eigen sei den Juden auch
"ihr specifischer Geruch, den sie sich durch ihre unnat�rlichen Laster, als ein Allen
gemeinschaftliches Erbgut, erworben haben." (...) "Eine...Ann�herung oder
Verschmelzung w�rde f�r jedes nichtj�dische Volk ein g�nzliches physisches und
sittliches Verderben zur Folge haben. (...) Was Grosses, Erhabenes und G�ttliches an
seinem (Jesu Christi) Leben und seinen Handlungen war, das k�nnen die Juden,
welche ihn verfolgten und kreuzigten, nicht f�r sich anf�hren."
Des Weiteren ergeht sich Hundt-Radowsky in Gewaltphantasien und -forderungen
hinsichtlich der vollst�ndigen Austreibung und Vernichtung des j�dischen Volkes. Seine
Schriften z�hlen somit zu den unmittelbaren Anf�ngen eines eliminatorischen
Antisemitismus und nehmen dabei die deutsche Rassenpolitik und Judenvernichtung im
20. Jahrhundert; die Geschehnisse des "III. Reiches" rhetorisch nahezu deckungsgleich
vorweg. Der Historiker Peter Fasel schreibt bzw. zitiert dazu in der Wochenzeitung "Die
Zeit" vom 22. Januar 2004" in seinem Aufsatz "Vordenker des Holocaust":
"Die Juden m�ssen, daran l�sst er keinen Zweifel, vollst�ndig eliminiert werden. (...)
Am besten w�re es jedoch, (anstelle eines Verkaufs an die Engl�nder, welche Hundt-
Radowsky wenig sp�ter als missliebige "wei�e Juden" brandmarken sollte, Anmk. d.
Verf.) man reinigte das Land ganz von dem Ungeziefer".
Die Juden sollten, das w�re Hund-Radovsky offenbar am liebsten gewesen, nach
Abhaltung eines Tribunals ("ein peinliches Gericht") umgebracht werden. Oder aber,
man verfrachte sie, vollst�ndig enteignet, auf t�rkisches Gebiet, wo sie in
unausweichlichen K�mpfen mit den Muslimen "vielleicht ganz (...) von der Erde vertilgt
w�rden", ohne dass man sich selber die Finger schmutzig machen m�sse!
Durch die in Aarau entstandene Theorie vom "Wei�en" Juden (im Gegensatz zum
"echten", "schwarzen" Juden, zu welchem Hundt-Radowsky auch die Zigeuner z�hlte,
also einem, Hundt-Radowsky und seiner deutschen Leserschaft missliebiger Europ�er,
Anm. d. Verf.) wird das antisemitische Wahnsystem komplett."
6
Hundt-Radowsky verneint in seinen Schriften vehement die M�glichkeit, die Juden
vermittels Taufe "verbessern" zu k�nnen. "Wer einen Juden tauft, der brennt der Sau
nur ein anderes Zeichen auf den Hintern" schreibt der Demagoge. Die j�dischen
"Sch�dlinge" blieben, Hundt-Radowsky zufolge, ihrem "zutiefst verderbten Charakter ewig
und unwandelbar gleich, was auch passiert, (...) bis sie endlich durch ein
furchtbares Erdbeben von unten auf ersch�ttert und verschlungen werden". " (zit. n.
Fasel
Der Judenspiegel wurde im Herbst des Jahres 1819 in Schwarzburg-Sonderhausen,
einem damaligen th�ringischen Kleinstaat, vom Verleger Bernhard Friedrich Voigt
herausgegeben. Anstelle des waren Namens Joachim Hartwig von Hundt-Radowsky
firmierte das Pseudonym Christian Schlagehart als Autor des Werkes. Das Buch erfuhr
innerhalb von 3 Wochen zwei Auflagen von insgesamt 10 000 Exemplaren.
Der "Judenspiegel" wurde in Bayern und Preussen mit der Begr�ndung einer St�rung
konfessionellen Friedens indiziert; Hundt-Radowsky sah sich als Volksverhetzer
polizeilicher Verfolgung ausgesetzt. In Baden-W�rttemberg hingegen stand die Presse-
und Meinungsfreiheit konstitutionell �ber dem Verfassungsrang konfessioneller
Unversehrtheit, so da� die Schriften Hundt-Radowskys dort weiterhin publiziert wurden
und wo der Judenspiegel in Reutlingen, Cannstadt und, gek�rzt, in Ulm Neuauflagen
erfuhr. Noch im Jahre 1848 erlebte das Pamphlet eine Wiederauflage unter dem Titel
"Die Naturgeschichte der Juden", welche in Wien herausgebracht wurde.
Die 3b�ndigen Folgeschriften "Die Judenschule oder gr�ndliche Anleitung, in kurzer
Zeit ein vollkommener schwarzer oder wei�er Jude zu werden", welche mit 1160 Seiten
zu den umfangreichsten antisemitischen Pamphleten �berhaupt z�hlt, erschien im Jahre
1822/23 in Aarau im Schweizer Exil Hundt-Radowskys. Auch dieses Werk erfuhr eine im
Jahre 1830 wiederum in Reutlingen herausgegebene Wiederauflage, welche unter dem
Titel "Die Juden wie sie waren, wie sie sind und wie sie seyn werden" erschien.
2. Hei�t Du Mendelssohn, so bist Du eo ipso ein Jude
Zahlreiche j�dische Familien in Deutschland konvertierten zu Beginn des 19.
Jahrhunderts zum Christentum. Sie folgten darin einer weithin verbreiteten Interpretation
von Lehren der Aufkl�rer Moses Mendelssohn und Gotthold Ephraim Lessing, religi�se
Fragen dem Prinzip der reinen Vernunft; die Orthodoxie der Vorstellung eines
konfessions�bergreifenden Deismus anheimzugeben und erkl�rten sich somit bereit, an
der bestehenden christlichen Mehrheitsgesellschaft teilzunehmen.
(Dieser zeitgen�ssischen Interpretation der Schriften Moses Mendelssohns entgegen,
weigerte sich der Philosoph entschieden, selbst zum Christentum zu konvertieren und
wandte sich �ffentlich gegen eine derartige Auslegung seiner Lehren, Anmk. d. Verf.)
Andere entschlossen sich zu diesem Schritt, um sich vor den bedrohlichen
Folgeerscheinungen eines National-Fanatismus, zu sch�tzen, den der Kantsch�ler
Johann Gottlieb Fichte ab etwa 1790 propagierte.
7
�Germanomanie�; eine Philosophie elaborierten Nationalbewusstseins. Diese griff, in
Ermangelung der Realit�t geeinter deutscher Nation auf Elemente wie �teutsches
Volkstum� und �germanisches Christentum� als alleing�ltige Fundamente imaginierten
deutschen Vaterlandes zur�ck. Die Hepp-Hepp-Unruhen, (nach der popul�ren
Strassen-und Gewaltparole "Hepp! Hepp!! Hepp!!! Aller Juden Tod und Verderben! Ihr
m�sst fliehen oder sterben!", Anmk. d. Verf.) welche im Jahre 1819, von der
fr�nkischen Residenzstadt W�rzburg ausgehend, in Deutschland und europ�ischen
Nachbarstaaten Gewaltakte gegen j�dische Ansiedlungen und B�rger bedingten,
nahmen zahlreiche j�dische Familienvorst�nde denn auch als eindringliche Warnung
auf.
�Man kann einer gedr�ckten, verfolgten Religion getreu bleiben; man kann sie seinen
Kindern als eine Anwartschaft auf ein sich das Leben hindurch verl�ngerndes Martyrium
aufzwingen -solange man sie f�r die Alleinseligmachende h�lt. Aber sowie man dies
nicht mehr glaubt, ist es eine Barbarei. -Ich w�rde rathen, da� Du den Namen
Mendelssohn Bartholdy zur Unterscheidung von den �brigen Mendelssohns annimmst.�
Die Worte Jacob Salomons, Felix Onkel v�terlicherseits, best�rkten die Eltern in dem
Schritt, ihre Kinder Fanny und Rebekka, Felix und Paul im Jahre 1816 protestantisch
taufen zu lassen. Lea und Abraham Mendelssohn folgten den Kindern erst im Jahre
1822 darin.
Im Jahre 1830 gemahnte der Vater, welcher sich hellsichtig gegen�ber eines
zunehmend judenfeindlichen gesellschaftlichen Klimas, nurmehr Abraham M. Bartholdy
nannte, eindringlichst:
�Du kannst und darfst nicht Felix Mendelssohn hei�en. Du musst Dich also Felix
Bartholdy nennen. Einen christlichen Mendelssohn gibt es so wenig wie einen j�dischen
Konfuzius. Hei�t Du Mendelssohn, so bist Du eo ipso ein Jude, und das taugt Dir nicht,
schon allein, weil es nicht wahr ist.�
Der bereits zu Ber�hmtheit gelangte Felix folgte dem Rat Abrahams dennoch nicht. Der
Sohn, dem Vater in allem �brigen ehrerbietig gehorsam, widersetze sich dies eine Mal.
Obgleich ein tiefgl�ubiger Protestant, war es ihm ausgeschlossen, die famili�re
Tradition und Identit�t zu negieren. Es kam schliesslich zu der �bereinkunft, k�nftig
beide Namen, parallel, gleichberechtigt einander gegen�berstehend; unverbunden zu
nennen. Als Synonym einerseits f�r das famili�re Erbe und den Schritt in die von
Abraham imaginierte Gewissheit potentieller bourgeoiser Geborgenheit andererseits. Im
�brigen hatten die gepflegte Diffamie Carl Friedrich Zelters, dass Hepp-Hepp-
Judenjung! -Geschrei, welches Felix und Fanny allenthalben entgegenschlug, also die
beharrliche Ansprache eines Stigmas j�discher Geburt Felix hinl�nglich bewiesen: die
b�rgerlich-christliche Gesellschaft des 19. Jahrhunderts beabsichtigte keineswegs,
Juden, ob getauft oder nicht, dauerhaft und gleichrangig in Ihre Reihen aufzunehmen.
Die falsche Schreibweise Felix Mendelssohn-Bartholdy bezeugt somit die
Ahnungslosigkeit oder gar Bedenkenlosigkeit bez�glich diffiziler j�disch-deutscher
Befindlichkeiten. Oder schlimmer noch: es verb�rgt das allgemein gepflogene
antisemitisch bedingte Bestreben, den Schritt der Mendelssohns in die protestantisch
gepr�gte B�rgerlichkeit nachhaltig zu negieren. Oder vielmehr, einen auch nicht durch
den Versuch der Namensangleichung �berbr�ckbaren Makel j�discher Geburt, die
Zugeh�rigkeit Mendelssohns zur j�dischen "Rasse" als untilgbares Stigma ein f�r
allemal festzuschreiben.
8
Dennoch bekannte sich Felix Mendelssohn Bartholdy uneingeschr�nkt zu den
kulturellen und historischen Traditionen, der anthropologischen Bewusstheit seines
deutschen Heimatlandes.
Abraham Mendelssohn lie� seine Kinder durchaus im Geiste kosmopolitischer Bildung
erziehen und gestattete dem musikalisch bewunderten J�ngling Felix ausgedehnte
Bildungsreisen durch die Kulturnationen Europas. Dieser ging, nachdem Cherubini am
Conservatoire de Paris die Begabung des Jungen gepr�ft und dem Vater die unbedingte
Bef�higung zu zuk�nftiger musikalischer Profession attestierte, daran, zu pr�fen, ob ihm
die europ�ischen Kulturzentren m�glicherweise ebenfalls eine musikalische Heimat zu
finden erm�glichten.
Das Ergebnis stand im Jahre 1832 endg�ltig fest. Noch aus Paris teilt er es zu
Jahresbeginn seinem Mentor Carl-Friedrich Zelter mit:
"Wenn ich...nur von den Hauptpuncten meiner Reise Ihnen h�tte schreiben wollen, so
h�tte ich es eigentlich aus Deutschland thun m�ssen. Denn wie ich jetzt nach alle den
Sch�nheiten, die ich in Italien und der Schweiz genossen hatte,...wieder nach
Deutschland kam, und namentlich bei der Reise �ber Stuttgart, Heidelberg, Frankfurt,
den Rhein herunter nach D�sseldorf, da merkte ich, da� ich ein Deutscher sey und in
Deutschland wohnen wolle...."
Einerseits beharrte er auf seinem j�dischen Geburtsnamen und der Bewusstheit seines
j�dischen Gro�vaters, andererseits aber registrierte er die allgemein um sich greifende
Verketzerung staatsb�rgerlicher Habilitation deutscher Juden wachsam.
Somit erf�llte ihn das Bekenntnis zu diesem seinem Heimatlande unausgesetzt mit
Bef�rchtungen. Und so schliesst besagtes Schreiben mit der Erw�gung, zuk�nftig ja
immer noch von den M�glichkeiten europ�ischer Musikzentren Gebrauch machen zu
k�nnen, wenn denn: �die Leute mich einmal in Deutschland nirgend mehr haben wollen,
dann bleibt mir die Fremde immer noch, wo es dem Fremden leichter wird, aber ich
hoffe, ich werde es nicht brauchen.�
Dieser Wunsch zumindest wurde Felix Mendelssohn in Persona erf�llt. Wie es mit der
Verankerung des Felix Mendelssohn Bartholdy in Heimat und Fremde insgesamt; der
Ein-oder Ausb�rgerung des �historischen Augenblicks� Felix Mendelssohn (Hans
Mayer) bestellt bliebe, an dieser Stelle zu res�mieren, hie�e vorzugreifen.
Bereits zu Lebzeiten fiel der Komponist und sp�tere Gewandhauskapellmeister Kritik
anheim, welche sich nicht an der musikalischen Leistung, sondern an der j�dischen
Abstammung Mendelssohns entz�ndete.
Als im Jahre 1833 nach dem Tode Carl Friedrich Zelters die Nachfolge in der Leitung
der Berliner Singakademie zur Wahl stand, votierten 152 Mitglieder f�r den musikalisch
als farblos �berlieferten Kandidaten Carl Friedrich Rungenhagen und 88 f�r den
Kandidaten Felix Mendelssohn. Obgleich dieser im Jahre 1829 die Akademie mit der
Wiederauff�hrung der Matth�uspassion zu einem Musikereignis h�chsten Ranges
f�hrte, erhoben sich innerhalb derselben Rumor wie: "...die Singakademie sei, durch
ihre fast ausschlie�liche Besch�ftigung mit geistlicher Musik, ein christliches Institut, es
sei darum unerh�rt, da� man ihr einen Judenjungen zum Director aufreden wolle".
(zitiert nach Eduard Devrient) "Sie wollten ihn halt nicht haben, den Judenjungen!"
konstatiert Hans Mayer im R�ckblick auf die Vorg�nge der Berliner Chorwahl und
Mendelssohns Demission vom Amte des Musikdirektors der Stadt D�sseldorf.
9
Das Votum gegen einen Chordirektor Felix Mendelssohn kann auch als gezielter, sublim
antisemitisch motivierter Affront gegen die Familie Mendelssohn interpretiert werden.
Diese war personell innerhalb des Chores zahlreich vertreten und trat dar�ber hinaus
als M�zen der Akademie auf; nach der Br�skierung Felix zogen sich die Mendelssohns
vollst�ndig von der Singakademie zur�ck.
Manfred Blumner, der Direktor sp�terer Jahre, f�hrt hingegen zur Rechtfertigung des
damaligen Wahlgeschehens heran: "...da� es vielen, namentlich �lteren Mitgliedern
Bedenken erregen musste, einem 23 j�hrigen J�nglinge an eine soviel pers�nliches
Ansehen erfordernde Stelle (...) zu berufen" und "ahnten doch viele noch nicht seine
ganze nachhaltige Gr��e und Bedeutung." (Berlin 1891) Auch von Intrigen, einer
"unappetitlichen Rolle" der "raffgierigen" Doris Zelter (die Tochter Carl-Friedrich Zelters)
und erheblichen Kabalen um die Direktionsnachfolge ist die Rede.
In R�ckerinnerung an die Tage sensationell wiedererweckter Matth�uspassion im
Fr�hjahr des Jahres 1829 berichtet Devrient weiter, das Felix n�chtens mitten auf dem
Opernplatz stehen bleibend, �berm�tig rief "da� es ein Kom�diant und ein Judenjunge
sein m�ssen, die den Leuten die gr��te christliche Musik wiederbringen!"
Es verweist auf die immens zutagetretende F�higkeit des J�nglings, sowohl die
unausgesetzt diffuse staatsb�rgerliche und soziale Situation als auch das vertraut-
inkriminierende �Judenjungen! Attribut zeitweilig ironisch zu kommentieren.
Die literarisch-politisch agierende "Jungdeutsche Bewegung" der 30ssiger und 40ziger
Jahre des 19. Jahrhunderts; dieser geh�rten u. a. die Literaten Heinrich Laube, Georg
B�chner, Karl Gutzkow, Theodor Mundt, Ludwig B�rne und Heinrich Heine an,
kultivierte neben liberalen, f�deralistischen und revolution�ren Forderungen auch
erhebliche antisemitische Ressentiments. So sahen sich studentische und publizistische
Aktivisten in den eigenen Reihen wie die Konvertiten Heinrich Heine und Ludwig B�rne
stetiger Diffamierung ausgesetzt; wurden beispielsweise als �jungpal�stinensich�
verh�hnt.
In den Jahren 1835 und 1841 wurde die Familie Mendelssohn zum unmittelbaren Objekt
antisemitisch intendierter Intrigen. Diese h�tten in der Folgewirkung beinahe zu
Handgreiflichkeiten Felix Mendelssohns gegen den nachrangigen, den Kreisen der
Zelter-Familie zugeh�rigen Publizisten Riemer, und somit zu einem Eklat gef�hrt.
Prof. Friedrich Wilhelm Riemer, ein Studienrat und Adept Johann Wolfgang von
Goethes ver�ffentlichte im Jahre 1841 Reminiszenzen an den Dichterf�rsten unter dem
Titel: �Mitteilungen �ber Goethe�. Als Herausgeber des Goetheschen Nachlasses
provozierte Riemer aber bereits im Jahre 1835 mit der indiskreten Publikation der
unzensierten, die Belange zahlreicher lebender Personen wie die Mendelssohns
nunmehr der �ffentlichkeit preisgebenden Korrespondenz des Goethe-Altersfreundes
Zelter.
Darunter befand sich auch jenes ber�chtigte, bereits Eingangs zitierte Schreiben vom
Judensohne und den K�nstlern. Fanny und Felix Mendelssohn brachen, quasi als sie
erfuhren, wie Zelter in Wahrheit �ber die Mendelssohns, die Juden oder beides im
Zusammenhang dachte, daraufhin auch in der Erinnerung mit dem einstmals verehrten
und geliebten Lehrer. Die innerfamili�re Erregung angesichts der Aff�re,
Beschuldigungen hinsichtlich semitischer Machenschaften, mit welchen Riemer das
Haus Mendelssohn �berzog, f�hrten m�glicherweise zum unerwarteten Tod Abraham
Mendelssohns durch einen Schlaganfall am 19. November 1835.
10
Doris Zelter, die einstmals unter der Protektion Abraham Mendelssohns stehende
Tochter C. F. Zelters, wurde als intrigant, altj�ngferlich und verbittert �berliefert. Als Co-
Initiatorin der Publikation des Goethe-Zelterschen Nachlasses, kommentierte sie den
Vorgang in einem an Riemer gerichteten Schreiben verst�ndnislos, aber mit abf�lligem
Unterton:
�Was nun die Pers�nlichkeit Zelters anbetrifft, so habe ich mir die ganze Synagoge auf
den Hals geladen, und ich glaube kaum, da� der alte Tempel das Klagegeschrei und
Gequatsche aush�lt (...) Mendelssohns benehmen sich wunderlich genug�
In seinen nunmehr im Jahre 1841 herausgegebenen �Mitteilungen �ber Goethe� nutzte
Riemer indes das potentielle �ffentliche Interesse am Sujet offenkundig zur Rhetorik in
eigener Sache sowie zu aggressiver antijudaischer Agitation. In Kapiteln wie jenem,
�Juden� �bertitelten, sind Ausf�lle gegen assimilierte ehemalige Juden wie Abraham,
Fanny und Felix Mendelssohn zu lesen:
"Das Prinzip, aus dem die ganze (j�dische) Nation hervorgegangen, aus dem sie
gehandelt hat...ist indelibel; man denke also nicht Mohren Wei� zu waschen, auch dank
der christlichen Taufe nicht, wie man etwa im Mittelalter den foetor judaicus (den
Judengestank) dadurch zu tilgen glaubte...�
Des Weiteren griff Riemer demonstrativ auch die Abraham-Mendelssohn-Aff�re des
Jahres 1835 wieder auf. Eingangs verh�hnte er das Angedenken des Verstorbenen mit
Phrasen, welche im Geiste dezidierter pers�nlicher Entw�rdigung auf den Assimilierten-
Status anspielten:
"M�ge indessen der gute Schwiegerpapa (d. i.: Abraham Mendelssohn) sich durch das,
was B�rne und Heine (sic!) �ber Goethe vor den Augen des ganzen Deutschlands
ausgegossen, zu seiner Satisfaktion mitger�cht, oder, wie man sagt, mitgerochen
haben!�
Schwerwiegender erwiesen sich die erneut vorgebrachten Vorw�rfe semitischer
Zensurbestrebungen seitens der Familie Mendelssohn. Riemer behauptete in den
�Mitteilungen� Abraham Mendelssohn habe ihn seinerzeit als Herausgeber der Zelter-
Goetheschen Korrespondenz vermittels anonymen Schreibens unter Druck setzen
wollen, unvorteilhafte �u�erungen des Dichterf�rsten �ber die k�nstlerischen
F�higkeiten Wilhelm Hensels; Fannys Br�utigam, zu unterschlagen.
Wie wir aus einem Schreiben des Komponisten vom 3. Juli 1841 an den Bruder Paul
Mendelssohn wissen, erregte sich Felix Mendelssohn �ber �eine so lieblose, mich
emp�rende Weise�, in welcher Riemer ��ber Vater gesp�ttelt und hergezogen� sei in
hohem Ma�e.
Er erwog allem Anschein nach ernstlich, dem Angedenken des Vaters durch einen
�ffentlichkeitswirksamen Ohrfeigenauftritt Riemer gegen�ber, Genugtuung zu
verschaffen. Der Vorsitzende des Aufsichtsrates der Gewandhauskonzerte, Conrad
Schleinitz, brachte den bereits zu hohem Ruhme und Ansehen gelangten Kapellmeister
seines Hauses aber �ernstlich und besorgt� von diesem Unterfangen ab.
11
Mendelssohn schrieb dem Bruder des Weiteren:
�Lies �brigens das ganze Capitel �Juden� aus, um den Mann geh�rig kennen zu lernen.
Ich weiss wohl, dass der selige Vater mirs zum Gesetz gemacht hat, in keiner Weise
von gedruckten Angriffen Notiz zu nehmen...aber dass einer den Namen unseres
verstorbenen Vaters und unserer Ahnen auf so elende Art missbraucht, da� kann und
darf ich nicht ungeahndet lassen.�
In einer Rezension der Ballade Ahasver des Dresdner Dramatikers Julius Mosen (dieser
hatte sich vor allem durch ein Rienzi-Drama namhaft gemacht, welches parallel zur 5aktigen
Erfolgsoper Richard Wagners entstand) aus dem Jahre 1838 dozierte Karl
Gutzkow u. a. �ber vermeintlich semitische Grundwesensz�ge der Titelfigur. Des
Weiteren sprach er sich vehement gegen Bestrebungen staatsb�rgerlicher Habilitation
von Juden aus:
�Ahasver ist der Jude in seinem nichtigen Materialismus (...), ist der Jude in alledem,
was ihn von dem Berufe, an der Geschichte teilzunehmen, ausgeschlossen hat, der
Jude gerade in seiner Missionsunf�higkeit. Er ist das Schlechte am Judentum, das
Lieblose, Parteiische, H�mische, Zersetzende, er ist gerade alles das, was noch immer
die Emanzipation am meisten verhindert.�
Im gleichen Zeitraum artikulierte sich erhebliches antisemitisches Ressentiment seitens
junghegelianischer Philosophen und Fr�hsozialisten. Letztere vor allem stellten die
Juden ins Zentrum radikal�konomischer Kapitalismuskritik und bezogen sich dabei auf
das tradierte Klischee des Schacherers. Wortf�hrer sozialistischen Antisemitismus
waren Bruno Bauer, Arnold Ruge und Karl Marx. In der Publikation Judenfrage stellt
Bruno Bauer im Jahre 1842 dem Programm staatsb�rgerlicher Habilitation die
Forderung entgegen, das die Juden sich vor dem Vollzug b�rgerlicher Emanzipation
erst zu �Menschen� zu emanzipieren, also ihr konfessionelles Bekenntnis aufzugeben
h�tten. Karl Marx paraphrasierte die Bauerschen Thesen im Herbst des Jahres 1843
bereits im Titel des Essays "Zur Judenfrage" und wiederholt darin sowohl die
einschl�gigen Stereotypen des berechnenden Finanz-und Machtjuden als auch die
fr�hsozialistische These der Emanzipation, der Erl�sung des Menschen aller
Konfessionen von der Macht und Faszination des Geldes. Marx schrieb also:
�Welches ist der weltliche Grund des Judentums: (...) der "Eigennutz". Welches ist der
weltliche Kultus des Juden ? Der "Schacher". (...) sein weltlicher Gott? Das "Geld". (...)
Die Emanzipation vom "Schacher "und vom "Geld", also vom praktischen, realen
Judentum w�re die Selbstemanzipation unserer Zeit. (...) Die "Judenemanzipation" in
ihrer letzten Bedeutung ist die Emanzipation des Menschen vom "Judentum".
Eine Gegnerschaft ganz eigener Art erwuchs den Mendelssohns indes in der Person
und Lehre des in jenen Tagen im Pariser Exil lebenden und wirkenden Dichters
Heinrich Heine. Jener, welcher bereits im Jahre 1825 vom Judentum zum Christentum
konvertiert war; sich somit das �Entr�ebilllet� zu der, den Juden seinerzeit
verschlossenen europ�ischen Kultur verschaffte hatte, bereute diesen Schritt ein Leben
lang, gab sich somit zwiesp�ltigen, zwischen Judentum und Christentum
widerstreitenden Empfindungen und allgemeinen Vorw�rfen hin.
12
Umso sch�rfer als er selbst unter diesem Zustande leiden sollte, beobachtete er von
Paris aus das Walten und Gebaren anderer Konvertiten wie Ludwig B�rne und Felix
Mendelssohn. Eifers�chtig gewahrte er die erkl�rte, ihm selbst verwehrte, vollg�ltige
Hingabe und Hinwendung Mendelssohns zum protestantischen Glauben. In einem Akt
von Selbsthass beargw�hnte Heine dabei eine, Mendelssohn unterstellte,
hyperkritische evangelische Christianisierung des Konvertiten, welche sich auch beredt
im Werk (Vertonung biblischer Texte und Psalmen) Ausdruck verschaffte.
In jener episch-satirischen Dichtung, welche Heine dem verlorenen, aus politischen
Gr�nden zwangsweise gemiedenen Vaterlande widmete und welche eben darum
�Deutschland � ein Winterm�rchen� hei�t, f�hrt Heine einen deftigen, sp�ttischen
Seitenhieb auf den gefeierten, zeitgen�ssischen Komponisten, Es hei�t also darum in
Caput XVI, Vers21-24: �
�Der Abraham hat mit Lea erzeugt; ein B�bchen, Felix hei�t er, er hatte es weit im
Christentum, Ist schon Kapellmeister...�
Im Jahre 1842 schreibt Heinrich Heine �ber Mendelssohn und beschw�rt einen Konflikt
heraus zwischen dem praktisch-musikalisch angewandten Christentum von Felix
Mendelssohn und jenes Giaccino Rossinis, welche sich doch bei einem Treffen in
Frankfurt am Main im Jahre 1836 pers�nlich, sehr gut verstanden hatten. Dabei
vergleicht Heine das in der �Stabat Mater� zum Ausdruck gebrachte Christentum
Rossinis als symbolisches, machtvolles Apeninnengebirge mit jenem in Mendelssohn
Oratorium �Paulus�, welches lediglich die Ausma�e eines k�mmerlichen H�gels bei
Berlin ann�hme.
Und so steht in der Pariser Zeitschrift �Lutetia�, erschienen in der Mitte des Monats
April 1842: (Erstver�ffentlichung in der Augsburger Allgemeinen Zeitung, in englisch
zitiert in dem und entnommen dem Aufsatz �1848, anti-Semitism, and the Mendelssohn
Reception� von Donald Mintz) anl�sslich einer religi�sen Prozession in dem Ort S�te
s�dlich von Montpellier:
Accordingly, the greatest artists in music as in painting have sought to decorate the
overhelming horrors of the Passion with as many flowers as possible and to ameliorate
the bloody seriousness with playfull tenderness � and this is what Rossini did, when he
composed his �Stabat Mater�. (...) I find the �Stabat � by Rossini more truly Christian
than �St. Paul�, the Oratorio by Felix Mendelssohn-Bartholdy that is praised by Rossinis
opponents as a model of Christianity. (...) I wish to civil about the christianity of the
aforementioned oratorio, because Felix Mendelssohn-Bartholdy is by birth a Jew. But I
cannot avoid indicating that at the age at wich Herr Mendelssohn adopted Christianity �
he was baptised in his thirteenth year � Rossini had already left it and had plunged into
the Secularity of the operatic world. (...) In the same series of concerts we heard the �St.
Paul� of Herr Felix Mendelssohn-Bartholdy, who by this propinquity drew our attention to
him and himself called forth the comparison with Rossini. In the view of the great public,
this comparison in no way come out to the advantage of our young countryman. It is as
if compared the Apennines with the Templower Hill in Berlin. (..)
Dabei behauptet Heine hartn�ckig, dass Felix Mendelssohn im 13. Lebensjahre
evangelisch getauft wurde. In Wahrheit fand die Taufe Felix Mendelssohns bereits im
Jahre 1816, also in einem Alter von 7 Jahren statt.
13
In der Zeitung �Lutetia�, im Anhang: Musikalische Saison von 1844 � Erster Bericht;
Paris, vom 25. April 1844 referiert Heine �ber Mendelssohns Stil und seine �sthetik,
spricht dem Komponisten aber die F�higkeit zu dramatischer Komposition und zu
musikalischer Ergriffenheit durch sein Wirken vollst�ndig ab. Dies Vorurteil sollte in
wenigen sp�teren Jahren wieder aufgegriffen und publiziert werden. Heinrich Heine
nimmt also eine Vorreiterfunktion der sp�ter um sich greifenden Mendelssohn-�chtung
an.
Es steht also in der �Lutetia, 1844�:
�Mendelssohn always offers us the occasion to consider the highest Problems of
aesthetics, that is, he always brings up the great question: What is the difference art and
falsehood? In the case of this master, we admire especially his great talent for forms, for
stylistics, his talent for making the most extraordinary his own, his charmingly beautiful
writing, his tenderly filing horns and his serious � I might almost say passionate �
indifference. If we look for a parallel phenomena in a sister art we shall find it in literature
and it is called Ludwig Tieck. This master too knew how to reproduce the most
advantageous qualities, whether in writing or declaiming, and he even understood how
to manufacture the naive; yet he never produced anything that moved the masses and
remained lively in their hearts. The more talented Mendelssohn would more likely
succeed in creating something lasting, but not on the territory where truth, in spite of his
most intense wishes never brought off a real dramatic contribution�.
In der Ausgabe der "Neuen Zeitung f�r Musik" ("NZfM") in Leipzig vom 1. M�rz 1846
agitierte die Meissner Schriftstellerin Louise Otto (1819-95) in einem Artikel namens
"Parteien -Cliquen" gegen den Gewandhausdirektor und Komponisten Felix
Mendelssohn. Ohne ihn namentlich zu nennen, stellte sie in anspielungsreicher
Beschreibung dessen umfangreiches lokales und �berregionales Musikengagement als
reaktion�re Egomanen-, Cliquen-und Adeptenwirtschaft dar. Obgleich sich Louise Otto
in der Attacke auf Felix Mendelssohn offenkundiger judenfeindlichen Attribute enthielt,
umriss sie beispielhaft einen zentralen Aspekt antisemitischen Demagogie. Es sollte
wenig sp�ter ganz unmittelbar zum Ausdruck kommen und bis in die rassenbiologisch
ausgepr�gte Rhetorik des Nationalsozialismus unver�ndert gebr�uchlich sein: der
vermeintliche Hang und die F�higkeit "des Juden", sich vermittels Cliquenwesens
Vorteile, Einfluss, Beherrschung und Vormacht gar in Kultur und Gesellschaft zu
verschaffen. In der "NZfM" behauptet Luise Otto also:
" (...) die einen halten eigensinnig fest an dem Bestehenden, und m�chten, da� immer
Alles so bliebe, wie es gerade ist -so stehen sie in der Mitte zwischen denen, welche
nur am Vergangenen sich erfreuen...und denen, welche das Dagewesene nur als
Grundlage wollen gelten lassen, darauf das Neue aufzubauen, dem die Zukunft geh�ren
soll. (...)
Da ist z. B. ein ber�hmter Componist, ein Kapellmeister, der organisiert sich aus den
Mitgliedern der Kapelle ein f�rmliches H�lfschor, um nicht nur seine Kompositionen,
sondern auch seinen Ruf und Namen hinausklingen zu lassen in alle Welt, und nur was
diesem Zwecke dient, darf von der Kapelle geschehen. (...)
Die j�ngeren Talente finden dann weder Anerkennung noch Ermunterung, es sei denn,
da� sie eifrige Bewunderer des Meisters sind und in seinen Fu�stapfen ihm nachtreten,
ohne sich je beikommen zu lassen, einen anderen Weg zu gehen (...)
14
Untergeordneten Talenten bleibt vielleicht...gar nichts anderes �brig, als irgend einer
solchen machthabenden Pers�nlichkeit sich zu unterwerfen und nach deren Gutd�nken
sich brauchen zu lassen. Solche und �hnliche Vereinigungen sind Cliquen und keine
Parteien. (...)
Der somit als eigens�chtig und reaktion�r dargestellten "Clique" stellt die Autorin in der
Folge die Idealvereinigung einer "Partei" hochherzig Gleichgesinnter gegen�ber. In
eindeutiger Bezugnahme auf Mendelssohns Bem�hungen um nachhaltigen R�ckgewinn
des Bachschen Werkes umrei�t sie vorab die Entwicklung eines zielstrebig gesch�rten
"Parteienstreites". Dieser sollte wenige Jahre darauf zum Ausbruch kommen und die
deutsche Musikwelt bis zum Ausbruch des 1. Weltkrieges bewegen. Wie sich noch zu
zeigen wird, hatte die "Neue Zeitung f�r Musik" im Benehmen eines ma�geblich t�tigen
publizistischen Aggressors an den k�nftigen Geschehnissen erheblich Anteil und
bereitete demselben in Pamphleten wie diesem offenkundig die ideologische Grundlage.
Luise Otto f�hrt also des Weiteren aus:
"Diejenigen, welche dem neueren Zeitbewusstsein huldigen, welche an den Fortschritt,
an die nothwendige Weiterbildung der Kunst glauben, welche nicht in die Redensart der
Kurzsichtigen einstimmen, als sei Alles, was zu erreichen m�glich ist, erreicht durch die
grossen Leistungen der alten Meister(...)�
Alle diejenigen sollten sich durch festeres Zusammenhalten mit den Gleichgesinnten
sich gewisserma�en als Fortschrittspartei organisieren, "um so leichter der ungleich
st�rkeren Schar derer entgegenzutreten, welche von keinem Vorw�rts etwas wissen
wollen (...) Diese Leute, welche nie von der Stelle wegzubringen sind, (...) halten (...),
weil sie an gar kein Weitergehen denken, also auch keine verschiedenen Wege
einschlagen k�nnen, weit einm�thiger zusammen, als die Freunde des Fortschritts, da
es viele Wege gibt, welche weiterf�hren".
Im November des Jahres 1846 unterstellte das "Leipziger Tagblatt" Mendelssohn als
Urauff�hrungsdirigenten von Robert Schumanns 2. Symphony in einer anonym
verfassten Rezension diffuse �mosaische� Interessen. Er habe im Verlaufe des
Premierenkonzertes -dem begeisterten Dr�ngen des Publikums nachgebend -seine
fulminante Interpretation der vorangestellten Rossini-Ouvert�re "Wilhelm-Tell"
demonstrativ wiederholt, bestrebt, die Urauff�hrung des Werkes eines deutschen
Komponisten zu diskreditieren.
Der Anwurf verleugnet gezielt 2 wesentliche Umst�nde: die g�ngige zeitgen�ssische
Konzertpraxis: d. h. Wiederholung von Darbietungen auf Akklamation hin; des weiteren
die freundschaftlich kollegiale Beziehung zwischen Schumann und Mendelssohn.
Wenige Abhandlungen Schumanns/ Mendelssohns erw�hnen diese anonym
ver�ffentlichte, mit antisemitischem Affekt aufgeladene Rezension im Leipziger
Tagblatt. Er findet sich mehr oder weniger ausf�hrlich dargestellt lediglich bei Eric
Werner, Walter Dahms und dem neuen Clara & Robert Schumann-Buch von Wolfgang
Held.
Die Zielgenauigkeit solcherart Infamie, beweist die heftige Erregtheit Mendelssohns in
Kenntnisnahme des Anwurfs. Er verweigerte inst�ndig die musikalische Leitung der B-
Premiere des Werkes und k�nftig jedweder Auff�hrung einer Schumann-Komposition.
15
Nur dem g�tlichen Einwirken C�cile Mendelssohns und der als Gast im Hause
Mendelssohn weilenden Clara Schumann war es geschuldet, da� das B-Konzert am
16.11.1846 planm��ig durchgef�hrt wurde.
Genannter Anwurf bezeugt vielmehr nachhaltigen publizistischen Einfluss
Jungdeutscher Aktivisten im Vorfeld der Revolution von 1848. Studentische
M�nnerb�nde als ma�gebliche Tr�ger des Revolutionsgedanken, geschult an Fichte,
von Hetzschriften Constantin Frantz und des Turnvaters Friedrich Ludwig Jahn
angeleitet, formierten das Nationalideal zunehmend in fanatischer Abgrenzung allem
vermeintlich undeutschem Einfluss gegen�ber. Aber nicht die Pr�senz europ�ischer
Nachbarstaaten, des romanischen oder slawischen Kulturraums etwa stand im Zentrum
�germanomanischen� Eifers: er konzentrierte sich auf das vermeidlich Fremde im
eigenen Lande: den Juden.
Hochrangige Pers�nlichkeiten des �ffentliche Lebens � exemplarisch f�r das
Hardenbergsche Ideal vollendeter staatsb�rgerlicher Judenemanzipation stehend �
gezielt als �mosaisch� herabzusetzen, galt demnach als das nationale Gebot.
Im Todesjahr Felix Mendelssohns beschwor der Literat Heinrich Laube in einer von
Konkurrenzneid motivierten Polemik gegen Giacomo Meyerbeer und dessen
vermeintliche �Berliner Juden-und Cliquenwirtschaft� eine Gefahr kultureller
��berjudung� Deutschlands herauf. Im Vorwort der Erstauflage seines auf der B�hne
erfolglos gebliebenen Dramas "Struensee" argumentierte er folgenderma�en:
"Ein fremdes Element dringt neuerer Zeit �berall in unsere Bahnen, auch in die der
Literatur. Dies ist das j�dische Element. Ich nenne es mit Betonung ein fremdes; denn
die Juden sind eine von uns total verschiedene orientalische Nation heute noch, wie sie
es vor zweitausend Jahren waren (...). Ein solches Etwas des fremden Judentums liegt
hier vor und schiebt sich zudringlich in die deutsche literarische Welt, wie denn jeder
Schriftsteller (...) mit Leichtigkeit (...) nachweisen k�nnte und (...) nachweisen sollte,
da(�) der �berdrang des j�dischen Moments bedenklich wird f�r unsere nationalen
Eigenschaften. Dies Etwas ist hier eine bereits tief verzweigte Maxime des Berliner
Judentums (...) aus diesem Elemente des (...) Berliner Judentums im Besonderen
stammt die Taktik Herrn Meyerbeers.�
Die Parallelen zu der wenige Jahre sp�ter einsetzenden Debatte um eine
vermeintliche semitische Dominanz Mendelssohnscher und Meyerbeerscher
Kompositionen innerhalb der deutschen Musik sind un�bersehbar. Der Zeitgeist
zunehmender Propaganda nachhaltiger Entfernung �semitischer Elaborate� aus dem
kulturellen Kontext, der Bereinigung desselben vom Fremdelement wohnt den Worten
Laubes exemplarisch inne.
Intermezzo I: La� ihm auch den irdischen Lohn werden!
Wenige Stunden vor Mendelssohns Tod, schrieb Ignaz Moscheles am Morgen des 4.
November 1847 im Hause Mendelssohn folgende Zeilen und l�sst uns somit an einem
meditativen Moment intimster, gleichwohl vergeblicher Betrachtungen teilnehmen:
"Dir, o Sch�pfer, ist es bewusst, warum Du in dieser Seele des Gem�ts angeh�uft hast,
die die zarte H�lle seines K�rpers nur eine beschr�nkte Zeit zu tragen f�hig ist (...). Kann
unser Flehen nicht diesen Menschen uns erhalten? - Dein Werk ist vollbracht. (...)
16
-Keiner ist Dir n�her gekommen als er, f�r dessen Dasein wir zittern. -La� ihm auch
den irdischen Lohn werden! La� ihn die Liebe zu seiner Lebensgef�hrtin, die
Entwicklung seiner Kinder, die Bande der Freundschaft, die Verehrung der Welt
genie�en!"
3. Der gr��te, lebende Komponist
Die New York Tribune vermeldete am 13. Dezember 1847 der musikinteressierten
�ffentlichkeit: "Am 4. November verschied Dr. Felix Mendelssohn Bartholdy � der
gr��te lebende Komponist � in seinem 38. Lebensjahr; (...) Dieser vorzeitige Tod, der
f�r die ganze musikalische Welt ein nicht wieder gut zu machender Verlust ist, wurde
durch eine Gehirnerkrankung verursacht und ohne Zweifel durch schwere geistige
Arbeit herbeigef�hrt. Seit 1835 lebte er in Leipzig, wo er (...) ein so lebhaftes und
vornehmes Verhalten in sich vereinigte, da� er die Herzen aller gewann... Wahrlich � in
ihm war ein hervorragender Geist...�
In jenen Zeiten war der Telegraph gerade erst erfunden, beschr�nkte sich dessen
Anwendung noch auf Kurzstreckenverbindungen von Landeshauptst�dten.
Interkontinentale Informationen konnten also ausschlie�lich auf dem Seewege
weitervermittelt werden; so nahm der Postweg London � Neu Delhi noch 30 Tage in
Anspruch. Somit zeugt die Ver�ffentlichung eines Nachrufes auf Felix Mendelssohn
Bartholdy in einem f�hrenden amerikanischen Presseorgan, nur 5 Wochen nach dessen
Tode ver�ffentlicht, von der grossen Wertsch�tzung des Genannten auch in den
St�dten der Neuen Welt.
Eigent�mlich im Vergleich dazu bzw. geradezu medioker nahmen sich die Umst�nde
aus, unter welchen die �Neue Zeitung f�r Musik� ihre Leserschaft vom Tode des
Komponisten in Kenntnis setzte. Im Jahre 1835 von der Davidsb�ndlerschaft Robert
Schumanns in Leipzig gegr�ndet, hatte sich diese �ber das Ausscheiden des Initiators
aus der Redaktion hinaus, zu einem f�hrenden Organ des deutschen Musiklebens
entwickelt.
Die �NZFM� erschien aktualit�tsnah etwa alle 4 Tage und wurde den deutschlandweit
zeichnenden Abonnenten �ber �rtliche Buchh�ndler zugestellt. Obwohl �rtlich
unmittelbar pr�sent, schwieg sich das Musikorgan �ber 2 Nummern � die Ausgaben Nr.
38 vom 8.11.1847 und 39 vom 11.11.1847 -hinweg �ber den Verlust eines
hochrangigen zeitgen�ssischen Tonsch�pfers aus. Erst 11 Tage sp�ter, nunmehr in der
Ausgabe Nr. 40 vom 15.11.1847 vermeldete die �NZFM� den Tod Mendelssohn
Bartholdys unter Vermischtes.
Der etwa 1-sp�ltige Artikel wird mit der lakonischen Verweis eingeleitet, da� ja: �der
grosse Verlust, den Leipzig und die Tonkunst der Gegenwart betroffen hat, (...) schon
allgemein bekannt geworden� sei. Ohne sich -in welcher Weise auch immer -�sthetisch
wertend auf das Lebenswerk des Verstorbenen einzulassen, ersch�pft sich die Meldung
in penibel vorgenommener Darstellung der Todesumst�nde und des
Leichenbeg�ngnisses. Offenkundig am Gegenstande desinteressiert klingt der Artikel
folgenderma�en aus: Was die Kunst an ihm verloren, das brauchen wir hier, die wir ihm
stets mit wahrhaftem Interesse gefolgt sind, nicht auseinanderzusetzen.�
Ernst Kossacks Nachruf auf Mendelssohn � erschienen in der Neuen Berliner
Musikzeitung 1/45 (1847) listet befremdlicherweise die "Sommernachtstraum -Musik",
die B�hnenmusik f�r Antigone, und die Oratorien Paulus und Elias als Mendelssohns
bedeutsamste Werke auf.
17
Dese Listung als Vorrangigste Meisterwerke des Komponisten tr�gt der Bedeutung als
notwendige Gebrauchswerke jener tage Rechnung. Die beiden Schauspielmusiken
exklusive der "Sommernachtstraum"-Ouverture entstanden gar auf Bestellung also im
Auftrag des k�niglichen Preussischen Hofes. (Mendelssohns B�hnenmusiken und
Oratorien waren zu jener zeit bei B�hnen und den zahllosen Liebhaberch�ren der
Liedertafeln sehr begehrt. Das Publikum in der Mitte des 19. Jahrhunderts indes
betrachtete die Oper als h�chste musikalische Kunstform. Kossack bezieht sich auf jene
Tatsache, indem er bedauernd schreibt, dass Mendelssohn nur gerade an seinem
Lebensende in der �h�chsten Kunstform, der grossen tragischen Oper� begonnen habe
zu wirken.
In den Nummern 45, 47 und 49 des Bandes 27 der �Neuen Zeitschrift f�r Musik� aus
Leipzig vom Dezember des Jahres 1847 ver�bte Dr. Eduard Kr�ger einen
publizistischen Anschlag auf Mendelssohns Oratorium �Elias� (Der Herausgeber des
Organs, Franz Brendel sah sich dabei gen�tigt, anh�nglich sein bedauern dar�ber zum
Ausdruck zu bringen, dass jene Attacken so nahe am Tode des Komponisten gef�hrt
wurden.) Kr�ger setzt sich dabei verbissen mit der origin�r-kritisch einhergehenden
Spekulation dar�ber auseinander, dass das Libretto indifferent in der dramaturgischen
Entwicklung sei Des Weiteren gibt der Publizist seine Behauptung zu bedenken, dass
die musikalische Charakterisierung es nicht erm�gliche, zu erkennen, ob man jeweils
einem Engel, Propheten, K�nig, einer K�nigin, Witwe, einem Baals-Chor oder einem
Fischer Geh�r schenkt.
Wenige Monate nach Mendelssohns Tode bereits nahm die Wertsch�tzung des
Komponisten unter den musikalisch gebildeten B�rgern Leipzigs rapide ab, schwand der
�ffentliche Zuspruch an Darbietungen seiner Musik im Gewandhause nachweislich.
Am 3. Februar 1848, zur Wiederkehr von Mendelssohns 39. Geburtstage, fand
daselbst � nunmehr unter Gades Leitung -die Leipziger Erstauff�hrung von
Mendelssohns letztem grossen vollendeten Vokalwerk, des Oratoriums "Elias" statt. In
Birmingham erlebte das Werk am 26. August 1846 die Urauff�hrung unter begeisterter
Anteilnahme von 2000 Zuh�rern. Anders als in Ged�chtniskonzerten des Werkes,
welche dem Gewandhausmemorial zeitgleich unter w�rdigeren Bedingungen in Berlin
stattfanden, stie� das Werk in der s�chsischen Musikstadt auf vergleichsweise wenig
Interesse und Verst�ndnis. Die �rtliche Presse, ja bereits mehrfach im Benehmen
hervorgetreten, eine Abkehr �ffentlicher Wertsch�tzung Mendelssohns herbeizuf�hren,
nahm den Vorgang sogleich als Best�tigung einer publizistisch konstatierter
�bersch�tzung und folgerichtiger allgemeiner Abkehr des Publikums vom ehemaligen
musikalischen Idol auf. Mendelssohns Freund, Weggenosse und Nachfolger in
Konservatoriumsdiensten, der Komponist Ignaz Moscheles berichtet dar�ber:
"Das Konzert, zum Besten des Pensionsfonds gegeben, konnte sich
unbegreiflicherweise nur eines zwei Drittel gef�llten Saales r�hmen, die ehrfurchtsvolle
Stille, mit der das Werk aufgenommen wurde, lie� einige Bl�tter behaupten, das
Publikum sei nicht davon ergriffen gewesen. Die ganze Sache rief bei uns und einigen
Gleichgesinnten viel Entr�stung hervor".
Es ist schwer, die Ursachen des rapid vonstattengehenden, noch zu anderer
Gelegenheit ersichtlichen Desinteresses der Leipziger Bildungsb�rgerschaft zu
r�sonieren, ohne gleichsam in Spekulation zu verfallen. Immerhin erwies dieselbe dem
Verstorbenen gerade 3 Monate zuvor beim Hochamt und Leichenzug noch zu
tausenden posthume Reverenz.
18
Hatte der zunehmend aggressive Stil, welchen die �NZFM� im Bestreben dezidierter
Propaganda musikalischer Avantgarde an den Tag legte, das unter den Musikfreunden
Leipzigs vorherrschende Klima mittlerweile vollst�ndig zugunsten aktueller deutscher
Komponisten wie Schumann, Liszt und Wagner beeinflusst?
Diese wirkten seinerzeit ja alle dominant in einem, von den Musikzentren Dresden,
Leipzig und Weimar gebildeten, s�chsischen Kulturgrossraum.
Angemerkt sei, da�, unausgesetzter pers�nlicher Bewunderung Mendelssohns durch
Schumann zum Trotze, in Mendelssohns letzten Lebensjahre die Beziehungen
zwischen den genannten, mehr noch: zwischen deren Anh�ngerschaften von
�Mendelssohnianern� und �Schumannianern� merklich abk�hlten. Irritationen unter den
�Schumannianern�, welche um die Urauff�hrung der 2 C-Dur Symphonie herum
entstanden, teilweise von der Presse gezielt lanciert wurde, konnten durch den Einsatz
Clara Schumanns und Cecile Mendelssohns ja noch bereinigt werden. Mendelssohn
wiederum erkl�rte ein halbes Jahr sp�ter unmissverst�ndlich im Freundeskreis, da� er,
verbittert �ber nicht n�her �berlieferte, unertr�gliche, abf�llige Bemerkungen des
Kollegen, mit Schumann und seiner Musik endg�ltig nichts mehr zu schaffen haben
w�nsche.
Hans von B�low, von ihm an anderer Stelle mehr, kam im Jahre 1851 in dem Essay
"Das musikalische Leipzig in seinem Verhalten zu Richard Wagner" im R�ckblick auf die
Wesensarten kulturellen Leipziger Lebens der sp�ten 40ziger Jahre denn auch zu
folgendem unr�hmlichen Ergebnis:
"Das musikalische Leipzig hatte sich indessen nach Mendelssohns Tode in
verschiedene Fraktionen gespalten. Schumann ward der Abgott der Einen und bestieg
den durch seines Vorg�ngers Tod erledigten Thron. Wir sind weit entfernt, dies nicht in
der Ordnung zu finden,; doch wurde diese Erhebung von einer mindestens sehr
�berfl�ssigen Herabsetzung der Verdienste Mendelssohns begleitet., welche dem
Leipziger Lokalpatriotismus , der wie schon den periodisch Abwesenden (wir erinnern
an Gade) , in noch h�herem Grade den auf immer Entfernten, den Todten, Unrecht
gibt."
Die im M�rz des Jahres 1848 ausbrechenden Revolutionsunruhen bedingten m�glicherweise
die Abkehr eines Gro�teils bildungsb�rgerlicher Bev�lkerungsschichten von
�berkommenem und deren Zuwendung zu radikalen Positionen auch in den K�nsten.
4. Antisemitismus
Die unmittelbaren Revolutionsjahre 1848/49 brachten erneut judenfeindliche Exzesse
hervor, welche von nahezu allen ins Revolutionsgeschehen eingebundenen
Gesellschaftsschichten ausgingen. So sind Pl�nderungen, Misshandlungen,
Enteignungen und Erpressungen aus den Deutschlanden Baden, Bayern, Hessen,
W�rttemberg, Schlesien und Westpreu�en sowie den St�dten Berlin, K�ln und Wien
dokumentiert.
Ungeachtet des jeweiligen Standpunktes, wurden die Juden als verantwortlich f�r den
Ausbruch der Unruhen, die gesellschaftlichen Umw�lzungen, das Gedeihen oder
Scheitern von Revolution und Demokratie betrachtet. Die Progressive beschuldigte die
Juden, als Gro�b�rger und Finanziers das Feudalsystem zu unterst�tzen oder als
Polizeiagenten und �spitzel einer Rothschildschen Weltverschw�rung zuzuarbeiten.
19
Die Konservative wiederum sah die Revolution als Werk �rothe(r) j�dische(r) W�hlerei�
und der �Judenverschw�rung� an. Das Kleinb�rgertum und die Landst�nde sahen die
Juden hingegen als revolution�re F�rderer und Urheber, bestrebt, der gemeinhin
verha�ten staatsb�rgerlichen Judenemanzipation endg�ltig zum Durchbruch zu
verhelfen. Das publizistische Zentrum des revolution�ren Antisemitismus befand sich in
den St�dten Wien und Berlin. W�hrend die Agitatoren der in Berlin publizierten
judenfeindlichen Pamphlete einen vergleichsweise gem��igten Ton anschlugen, gaben
sich die Publizisten Wiens zunehmend einschl�gigen rhetorischen Vernichtungsorgien
hin.
Der Korrespondent Paul Eduard M�ller-Tellering gelobte in der Brosch�re: "Freiheit
und Juden", sich �wie jeder Volks-und Freiheitsmann� �ber die �Mittel� und den �Zweck
(...) Vernichtung des Judentums � in �sterreich (...) ohne Sch�deleinschlagen� zu
bedenken und gemahnte des revolution�ren Auftrags, das Deutschlands Freiheit nicht
nur den Sturz der 34 Throne�, sondern vielmehr die Beseitigung des Judentums
voraussetzte, denn: �die Tyrannei steckt im Gelde und das Geld geh�rt den Juden".
Flugbl�tter, wie jenes nachfolgend zitierte anonym publizierte oder letzteres von
�Schmidt� autorisierte, suchten im Wien des Jahres 1848 hingegen, unmittelbaren
�Volkszorn gegen die Juden� zu entfesseln. Der Anonymus prophezeite in "Die Juden,
wie sie waren, sind � und bleiben werden":
�Judenblut wird in Str�men flie�en� und verdeutlichte somit den potentiellen Opfern,
da� ihre Hoffnung hinsichtlich �v�lliger Gleichstellung der Confessionen� auf
�Jahrhunderte weit hinaus ger�ckt werden� w�rde.
�Schmidt� indessen verstieg sich in der �Bittschrift� unverhohlen zu
Genozidvorstellungen: "Wenn das Christenvolk kein Christenthum und kein Geld mehr
hat", und beides durch eure unabl�ssige Bem�hung so gekommen ist, dann, ihr Juden!
lasst euch eiserne Sch�del machen, mit den "beinernen" werdet ihr die Geschichte nicht
�berleben!�
Das erste demokratisch konstituierte Parlament Deutschlands, welches in den Jahren
1848/49 in der Paulskirche in Frankfurt am Main zusammentrat, sah erkl�rte
Antisemiten wie den fanatischen M�nnerb�ndler und Chauvinisten Friedrich Ludwig
Jahn in den Reihen der Abgeordneten.
5. Das Judenthum in der Musik
Im Januar 1850 erkannte auch die musikalische Rezension Mendelssohns erstmals
dezidiert auf einen vermeintlich semitischen Aspekt in dessen Musik. Dr. Eduard Kr�ger
bem�ngelte in der "Neuen Berliner Musikzeitung" (NBMZ) in seiner Beurteilung der
aktuell herausgegebenen Drei Psalmen Op. 78, Nr. 6 posthum �sangreiche(n)
Weiberstimmen" welche in Mendelssohns Vokalwerk "rabbinisch belehrend unisonieren"
bzw. eine "in allen M�schen Werken wie eine Phrase hindurchziehende stumpfe
Rhythmik, die unwiderstehlich an die Naivit�t rabbinischer Rezitation erinnert" (�NBMZ�
v. 2.1.1850). Der zeitgen�ssisch-musikalischen Resonanz der Psalmen und Oratorien
biblischen Charakters Mendelssohns ungeachtet, spricht Kr�ger des Weiteren dem
Komponisten die Berechtigung zu sakralem Schaffen generell ab. Die pauschale
Herabsetzung der Kirchenmusik Mendelssohns ging Meinungen zahlreicher
Musikpublizisten jener Tage konform.
20
Diese erregten sich u. a. bereits �ber die �Judaisierung� christlichen Kulturgutes oder die
Dreistigkeit der Autorisierung einer Reformationssymphony durch den Enkel des
urspr�nglich ja Mausche-ni Dessau gerufenen Moses Mendelssohn.
Am 5. Februar des gleichen Jahres erschien in der �NZfM� der erste Beitrag polemischer
Auseinandersetzungen um Werk und musikalische �sthetik des bedeutenden
zeitgen�ssischen Opernkomponisten Giacomo Meyerbeer. F�r die Artikel, insgesamt
den neuesten grossen B�hnenerfolg des Komponisten "Der Prophet" thematisierend,
zeichnete stets der Musiker und Publizist Theodor Uhlig verantwortlich.
Hervorstechendstes Merkmal der partiell in Rezensionsform vorgebrachten Pamphlete
ist eine Begrifflichkeit, welche wenig darauf den Basiswortschatz jener, das Werk Felix
Mendelssohns als spezifisch j�disch und somit pauschal wertloses Musikschaffen,
indizierenden Publizistik darstellte.
In dem genannten Beitrag "Der Prophet von Meyerbeer" verweist Uhlig in
mehrdeutigen Worten auf m�gliche Ursachen vermeintlicher rhythmischer und
harmonischer "Eigenth�mlichkeiten" in der Opernpartitur, deren "Ursache" er weder
offen zu legen noch anhand des vorgegebenen Material musikdramaturgisch zu
verdeutlichen bereit ist.
"(...) Der Marsch n�mlich, der sich sonst - wie sich von selbst versteht -in der sch�nsten
Symmetrie 4-und 2-tactiger Rhythmen fortbewegt, beginnt mit folgendem F�nfer: (es
folgt ein 5-taktiges Notenbeispiel vom Beginn des "Kr�nungsmarsches")
Der Demonstration eines Casus Lapsus folgt lediglich der Verweis auf eine kryptisch
anmutende Urs�chlichkeit absonderlicher Meyerbeerscher Tonsprache:
"Ohne sich in eigene Untersuchungen �ber eine Erscheinung einzulassen, die wie
jede andere Ungew�hnlichkeit bei Meyerbeer zuverl�ssig eine tiefe Bedeutung hat,
glaubte der Beurtheiler den Nachahmern des alleinseligmachenden Operncomponisten
das vorliegende rhythmische R�tsel mit der nahe liegenden Aufforderung zur L�sung
nicht vorenthalten zu d�rfen."
F�r sich genommen k�nnte das Beispiel als ironische Abstrafung angemuteter Wirrheit
im musikalischen Entwurf eines missliebigen Zeitgenossen gelten. Im Zusammenhang
mit den Folgeartikeln und �hnlichen, einmal mehr, einmal weniger zweideutig
vorgebrachten Charakterisierungen besehen, erschlie�t sich angesichts von Begriffen
wie "tiefer Bedeutung", "R�tsel" und "L�sung" die Perfidit�t sublim vorgenommener
antisemitisch-dramaturgischer Steigerung in der publizistischen Inszenierung eines
fatalen Niederganges der Musik j�discher Komponisten.
Im weiteren Verlaufe des Artikels verlagert sich das demonstrativ ge�u�erte Unbehagen
eines deutschen Rezensenten an der Musik Meyerbeers immer offenkundiger auf eine
Schiene amusikalischer Mediokrit�t. So mit dem omin�s vorgebrachten Hinweis auf eine
"nat�rliche Erkl�rung" des monierten Sachverhaltes.
Im weiteren Verlaufe dieser Serie von Polemiken gegen Meyerbeers �Le Prophete�
verdichtete Uhlig in der �NZFM� sein Ressentiment gegen das Werk auf ein als das
zentrale Problem anzusehende Argument von � Gesangsweisen.� welche �(...) einem
guten Christen im besten Falle gesucht, �bertrieben, unnat�rlich raffiniert erscheinen�
und erkannte auf eine �(...) mit solchen Mitteln betriebenen Propaganda des
hebr�ischen Kunstgeschmacks�.
21
Er pauschalisiert des Weiteren hinsichtlich � (...) der Musik vieler j�discher Komponisten�
welche �alle nichtj�dischen Musiker (...) mit Bezugnahme auf die allgemein bekannte
j�dische Sprechweise (...) als ein Gemauschele� empfinden.
Hans von B�low, in sp�teren Jahren ein Dirigent von Weltruf, begann den von
gravierenden Wechselwirkungen gezeichneten k�nstlerischen Lebensweg als
jugendlicher Musikrezensent Berliner und Leipziger Publikationen.
Nicht von ungef�hr sekundierte er im gleichen Monat in der Berliner �Abendpost,
democratische Zeitung� den Bestrebungen Kr�gers und Uhligs. Er �bertraf dieselben
noch in einem signifikanten Akt entschiedenen vorgenommener publizistischer
Demontage des Komponisten Felix Mendelssohn .
In der Besprechung der �Zweiten Symphonischen Soiree der k�nigl. Kapelle im Saale
der Singakademie� vom 23. Februar 1850 ist also anl�sslich einer Darbietung der ADur-
Symphony zu lesen:
�Man hat Mendelssohn in seinem Leben �bersch�tzt; keinem K�nstler ist je alles so
von Statten gegangen; keiner hat je bei seinen Lebzeiten so viel Zeichen der Verehrung
und des Enthusiasmusses von allen Seiten erhalten (...) und er hat seinen Namen
(Felix) im Superlativ getragen.
(...) Mendelssohn war kein Mann der Zukunft, er schuf f�r seine Zeit, f�r die Gegenwart;
(...) (er) hat nie dem herrschenden Modegeschmack Concessionen gemacht, er hat ihn
sogar gel�utert und erhoben.
Mendelssohn war aber kein Genie, sondern nur ein au�erordentliches Talent, dem
Geschick und scharfer, praktischer Verstand, welches beides den Leuten seines
Stammes in hohem Grade eigen ist, bedeutend zu H�lfe kamen. Der Unterschied
zwischen Talent und Genie liegt (...) darin, da� (...) Talent stets bei seinem Auftreten
mehr Beifall und wirkliche Sympathie antreffen (wird), als das Genie, das zuweilen
abst��t und befremdet. (...)
Daf�r ist aber dem Genie auch die Unsterblichkeit, d. h. die Popularit�t gewiss. Doch
diese Entwicklung w�rde uns zu weit f�hren, und wir wollen nur noch bemerken, da� die
genannte Symphonie von Mendelssohn (...) weniger Anklang im Publikum zu finden
vermochte, als wir ihr gew�nscht h�tten (...); im letzten Satze ist jenes neckische,
elfenhafte Element vorherrschend, in welchem die haupts�chlichste Originalit�t
Mendelssohns besteht."
Von B�low komprimiert somit zweifelsohne kursierende zeitgen�ssische Vorurteile
gegen Erfolgsautoren, Privilegierte und Erfolgsjuden erstmalig zu einem analytisch
pr�zise umrissenen Bild des zur Kunst letztlich unberufenen, sich die Kunst lediglich
vermittels diverser biographisch bedingter Privilegien anma�enden Compositeurs.
Er legt gleichsam in Teilen den Katalog einschl�giger, stereotyp referierter
Subjektivismen einer, in der Musikgeschichte wohl einzigartig bestehenden, rein
biografisch hergeleiteten, rhetorischen Zersetzung der Substanz und Intention von
Musik, der Musik Felix Mendelssohns vor. Weitere Publikationen, welche den Katalog
entwertender Mendelssohn-Invektiven abrundeten und vervollkommneten sollten
zeitnah folgen.
Da dieser Katalog sich �ber 150 Jahre hinweg bis in unsere Zeit hinein als wirksam
erweisen und in Publikationen j�ngeren, stellenweise j�ngsten Datums ihren
Niederschlag finden, seien hier die wesentlichen Stereotypen zusammengefasst:
22
Felix = Gl�ck; lebenslanger Erfolg, einziger Siegeszug, lebenslange Sorgenlosigkeit,
grosser Reichtum des Vaters, famili�re Geborgenheit, allseits geliebt, Jude, musikalisch
empfindungslos und artfremd, Gl�tte, K�lte, perfektionistische Formelhaftigkeit,
mangelnde Dramatik und Verweichlichung, Sentimentalit�t in der Musik.
Das die Polemik Uhligs in der �NZfM� gegen eine vermeintlich vorherrschende
�musikalische Judenschule� und �Judenmusik� von Anbeginn auch eine Relativierung
der Musik Felix Mendelssohns intendierte, offenbarte sich wenig sp�ter. Uhlig
konstatierte, das das semitisch-musikalische Idiom sich durchaus in unterschiedlicher
Intensit�t artikuliere, �je nachdem in dieser Musik hier der Charakter des Edlen, dort des
Gemeinen �berwiegt� oder �Eigent�mlichkeiten (...) der metrischen Gestaltung, (...) in
einzelnen melodischen Tonf�llen der musikalischen Phrase (...) hier nur ganz wenig,
dort ganz auffallend (...), bei Mendelssohn sehr gelind, bei Meyerbeer dagegen in
h�chster Sch�rfe, namentlich in seinen Hugenotten, nicht minder auch in seinem
Propheten� zum Tragen k�men.
Die Rezension schliesst mit dem Verweis: �...Ebenso wenig wie die Ihnen analogen
Sprechweisen (...) diese Tonweisen sch�n oder nur ertr�glich da finden zu k�nnen, wo
sie (...) ganz unmittelbar an das erinnern, was ich nicht anders, denn als �Judenschule�
zu bezeichnen weiss.�
Uhlig lie� es nicht dabei bewenden, Felix Mendelssohn lediglich im Anhang einer
Diffamierung Giacomo Meyerbeers pauschal herabzusetzen. In einer Rezension der im
Jahre 1843 in Berlin uraufgef�hrten �Sommernachtstraum�-Schauspielmusik stellt er
bereits die dramatische Wirksamkeit und musikalische Qualit�t des Werkes dezidiert in
Frage: �(Mendelssohn) mutet dem Zuh�rer nicht zu, aus einer Dichtung die
Hauptwesenheiten herauszulesen...Als Mendelssohn die �brige Musik zum
Sommernachtstraum noch nicht geschrieben hatte, wussten die kunstverst�ndigen
Leute blo� f�r das eine Tonbild der Ouvert�re die allerdings nahe liegende Erkl�rung
aufzufinden und gaben die Musik desselben f�r �Elfengefl�ster aus. Der Komponist hat
diese Annahme sp�ter sanktioniert, zugleich aber auch gezeigt, was alles er in diesem
Tonst�cke gewollt und � nicht gekonnt hat...� (Th. Uhlig, Musikalische Schriften,
Regensburg 1913; da der Autor bereits im Jahre 1853 im Alter von nur 30 Jahren an
einer Lungenentz�ndung verstarb, handelt es sich wahrscheinlich um eine
zeitgen�ssisch liegende Rezension der Schauspielmusik).
Die Autoren Dr. Eduard Kr�ger, Theodor Uhlig und Hans von B�low bet�tigten sich
neben der Erf�llung ihrer publizistischen Verpflichtungen in Berlin und Dresden in den
Jahren 1850ff auch ma�geblich als Polemiker in der �NzfM� in Leipzig. Sie zeigten sich
somit dem Umkreis der Weimarer Liszt-�Schule� und den daraus erwachsenden
Fanatismen zugeh�rig. Dies l�sst folgende Vermutung als legitim erscheinen: Die
Publikation aggressiv oder verhalten antisemitisch agitierender Texte, zum Auftakt einer
Pressekampagne gegen herausragende zeitgen�ssische Komponisten nahezu
zeitgleich in mehreren St�dten und Presseorganen erfolgend, war wom�glich das
Ergebnis einer konzertierten, auf Absprachen beruhenden Aktion.
Die Kampagne der �NZfM� gipfelte im September des Jahres 1850 schliesslich in der
Ver�ffentlichung eines halbwissenschaftlich aufbereiteten Aufsatzes, welcher die
bislang vereinzelt ausgestreuten Polemiken unter der Losung "Das Judenthum in der
Musik" zusammenfasste.
23
Der Name Karl Freigedank unterzeichnete diesen, der Name eines der damaligen�ffentlichkeit bislang v�llig unbekannten Autors freilich. Im Jahre 1869 sollte er sich als
Pseudonym eines aufstrebenden Musikers erweisen, welcher seinerzeit m�glichem
Imageverlust vorzubeugen beabsichtigte.
Das Pamphlet verbreitet u. a. folgende Thesen:
1. Alle Kunst hat ihre besten und st�rksten Wurzeln im Volkstum; die k�nstlerische
Leistung ist abh�ngig von der v�lkischen Verbundenheit des K�nstlers.
2. Im Bem�hen, sich in der harten, zischenden Sprechweise seines Volkes des Idioms
deutscher Sprache zu bedienen, k�nne der Jude als Fremder lediglich Absto�endes
und L�cherliches hervorbringen. Vollends unertr�glich sei der Versuch im
Gesangsvortrag deutscher Sprache durch einen Juden. Der Artikulation im Idiom der
Landessprache nicht bef�higt, habe sich der Jude somit der Frage zu stellen, ob er in
diesem Lande �berhaupt kunstberechtigt sei.
3. Der Jude sei von unangenehm fremdartiger Erscheinung und erf�lle daher den
Europ�er mit instinktivem Widerwillen gegen das j�dische Wesen. Daher habe sich der
Jude, als Individuum sowie allgemeinhin seiner Gattung nach, als Objekt k�nstlerischer
Darstellung in Malerei, der Musik und auf der B�hne von jeher als ungeeignet erwiesen.
Wer es aber innerhalb der deutschen Kunst niemals zu objektiver Relevanz gebracht
habe; also der k�nstlerischen Darstellung enthoben blieb, dem k�nne man
diesbez�glich auch keine subjektive Einbindung zugestehen; ist also zu kompetenter
k�nstlerischer Bet�tigung nicht bef�higt.
4. Der Jude suche sich vermittels Imitation in Kleidung, Bildung und Sprache der
abendl�ndischen Kultur zu amalgamieren. Der wahren Identit�t dennoch stets
eingedenk, sei er somit von der nationalen Beseligung des Gastlandes ausgeschlossen.
Daher seien ihm die Menschen des Gastlandes, auch im Versuch k�nstlerischer
Artikulation, emotional nicht erreichbar. Der R�ckschluss auf formal perfekte, aber von
seelischer K�lte erf�llte Kopien der Muster nationaler Vorbilder l�ge somit auf der Hand.
5. Der Jude habe niemals autonom Kunst betrieben, daher st�nde dem j�dischen
Tonsetzer einzig das Idiom synagogaler Vokalisen zu Gebote. Dies habe sich
urspr�nglichen Adels, Reinheit und Erhabenheit l�ngst enthoben und sei auf den
Zeitgenossen nurmehr in allerwiderw�rtigster Tr�bung �berkommen. Daher bediene
sich der Jude bevorzugt jener Elemente musikalischer Diaspora, welche er dem
vertrauten Synagogenton missverst�ndlich als verwandt erachte. Sich von jeher im
Oberfl�chenbereich abendl�ndischer Musik bewegend, zur Unkenntnis innerster
Beseligung des deutschen Kunstwesens nahezu verdammt, n�hme der Jude gewissegef�lligste �u�erlichkeiten der Musik als deren Wesen hin und versuche sich nunmehr
in vollendeter Kopie funkelnder �u�erlichkeiten des Originals. Die musikalischen
Reproduktionen aus der Hand des j�dischen Tonsetzers erschienen dem
abendl�ndischen H�rer zweifelsohne fremdartig, kalt, gleichg�ltig, unnat�rlich und
verdreht.
Der Autor belie� es nat�rlich nicht bei allgemeingefasster Darstellung des
heraufbeschworenen j�disch-musikalischen Dilemmas.
24
Er beflei�igt sich vielmehr, es am konkreten, fassbaren, nahe liegenden �Objekt� zu
veranschaulichen. Daher lesen wir am Ende des Traktates vom �Judenthum in der
Musik" eine Einsch�tzung von Person und Musik Felix Mendelssohns, welche sich als
folgenschwer herausstellen sollte.
Hier im Wortlaut: �An welcher Erscheinung wird uns dies alles klarer, ja an welcher
konnten wir es einzig fast inne werden, als an den Werken eines Musikers j�discher
Abkunft, der von der Natur mit einer spezifischen musikalischen Begabung ausgestattet
war, wie nur wenige Musiker (...) vor ihm? Alles, was sich bei der Erforschung unserer
Antipathie gegen j�disches Wesen der Betrachtung darbot, (...) alle Unf�higkeit
desselben, au�erhalb unsres Bodens stehend, dennoch auf diesem Boden mit uns
verkehren (...) zu wollen, steigern sich zu einem v�llig tragischen Konflikt in der Natur,
dem Leben und Kunstwirken des fr�he verschiedenen Felix Mendelssohn-Bartholdy.
Dieser hat uns gezeigt, da� ein Jude von reichster spezifischer Talentf�lle sein, die
feinste mannigfachste Bildung, das gesteigertste (...) Ehrgef�hl besitzen kann, ohne es
(...) je erm�glichen zu k�nnen, auch nur ein einziges Mal die tiefe, Herz und Seele
ergreifende Wirkung auf uns hervorzubringen, welche wir (...) der Kunst (...) f�hig
wissen, weil wir diese Wirkung zahllos oft empfunden haben, sobald ein Heros unserer
Kunst sozusagen nur den Mund auftat�.
Freigedank bem�ht sich, eine naturgegebene musikalische Apathie des Juden
Mendelssohn aus dessen Werken, genauer, deren spezifischen musikalischen Idioms
heraus zu pr�zisieren.
Er konstatiert daher gemeinverbindlich eine diffuse allgemeine Empfindung von
Oberfl�chlichkeit beim Anh�ren Mendelssohnscher, also dezidiert "j�discher" Werke und
sucht dabei den R�ckhalt analytischen Sachverstandes bei "Kritikern vom Fach", ohne
freilich solche konkreter benennen zu k�nnen:
"Kritikern von Fach, welche hier�ber zu gleichem Bewusstsein mit uns gelangt sein
sollten, m�ge es �berlassen sein, diese zweifellos gewisse Erscheinung aus den
Einzelheiten der Mendelssohnschen Kunstproduktion nachweislich zu best�tigen: uns
gen�ge es hier, zur Verdeutlichung unserer allgemeinen Empfindung uns zu
gegenw�rtigen, da� beim Anh�ren eines Tonst�ckes dieses Komponisten wir uns nur
dann gefesselt f�hlen konnten, wenn nichts anderes als unsre, mehr oder weniger nur
unterhaltungss�chtige Phantasie, durch Vorf�hrung, Reihung, und Verschlingung der
feinsten, gl�ttesten und kunstfertigsten Figuren, wie im wechselnden Farben-und
Formenreize des Kaleidoskopes, vorgef�hrt wurden , - nie aber da, wo diese Figuren die
Gestalt tiefer und markiger menschlicher Herzensempfindungen anzunehmen bestimmt
waren (...) F�r diesen letzteren Fall h�rte f�r Mendelssohn selbst alles formelle
Produktionsverm�gen auf, weshalb er denn namentlich da, wo er sich, wie im
Oratorium, zum Drama anl�sst, ganz offen nach jeder Einzelheit, welche diesem oder
jenem zum Stilmuster gew�hlten Vorg�nger als individuell charakteristisches Merkmal
besonders zu eigen war, greifen musste. Bei diesem Verfahren ist es noch
bezeichnend, dass der Komponist f�r seine ausdrucksunf�hige moderne Sprache
besonders unseren alten Meister Bach als nachzuahmendes Vorbild sich erw�hlte.�.
Nicht allein, da� Freigedank mit den Schlagworten "unterhaltungss�chtige Phantasie auf
Seiten des Publikums" sowie "Vorf�hrung, Reihung von feinsten, gl�ttesten und
kunstfertigsten Figuren zum Erlebnis eines Farb-und Formenreizes eines Kaleidoskops
vergleichbar"
25
die Musik Mendelssohns und anderer Komponisten j�discher Abstammung
unmissverst�ndlich zu Elaboraten kunstgewerblicher Manufaktur deklariert, ja dieselben
quasi dem Bereich der Jahrmarktsattraktionen zuordnet. Im Zusammenhang mit der im
allgemeintheoretischen Part des Traktates getroffenen, nachfolgend wiedergegebenen,
Charakterisierung allgemeinj�discher Kulturproduktion betrachtet, legte Freigedank
somit eine folgenschwere Systematik negativer Schlagworte vor. Diese schlugen sich
vor allem in Begriffen wie perfektionistischer Gl�tte, K�lte, seelenloser Formenhaftigkeit
der vermeintlich in Kopie von Stil und Kompositionsmustern nationaler Vorbilder
entstandenen Werke, mangelnder emotionaler Tiefe aber auch jenem �berm��ig
trivialer Sentimentalit�t mendelssohnscher Musik.
Diese sollte � wie sich noch erweisen wird -in schematischer und wortw�rtlicher
Repetition die publizistische Rezeption des Gesamtbildes mendelssohnscher Musik bis
in die achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts dominieren. Die entsprechenden
Invektive sind leicht erkenntlich: "Was so der Vornahme der Juden, Kunst zu machen,
entspricht, muss daher notwendig die Eigenschaft der K�lte, der Gleichg�ltigkeit, bis zur
Trivialit�t und L�cherlichkeit an sich haben".
Wulf Konold brachte das � kulturhistorisch wohl einzigartig dastehende � Ph�nomen
im Jahre 1984 mit der Einsch�tzung treffenst zu Punkte, da� die Rede vom Judenthum
in der Musik f�r einschl�gig gesinnte Musikpublizisten, �aber auch Autoren, die den
Verdacht jeglichen Antisemitismus zu Recht von sich gewiesen h�tten...eine Art
�Sprachregelung� hinsichtlich musikgeschichtlicher Mendelssohnrezeption vorgab
Als Resultat vorgeblich objektiv, detailliert vorgenommener analytischer Betrachtung der
semitischen Pers�nlichkeit und Musiksprache Mendelssohns referiert Freigedank seine
Erkenntnis auf vollst�ndige k�nstlerische Impotenz des Komponisten; genauer, auf
konstant bestehenden Grenzen �alle(n) formelle(n) Produktionsverm�gen(s)� im
Mendelssohnschen Oeuvre. Er trachtet, dem H�rer stets die Unf�higkeit des
Komponisten, literarisch-dramatischen Figuren �die Gestalt tiefer, menschlicher und
markiger menschlicher Herzensempfindungen� zu verleihen, �berdeutlich vor zu f�hren.
Freigedank definiert die, das Mendelssohnsche Werk pr�gende �ausdruckslose
moderne Sprache� demzufolge als Resultat und zugleich Vorbild eines �neu-j�dischen
Systems�. Dies sei, auf diese Eigenschaft (dramatischen Unverm�gens, Anmk. d. Verf.)
Mendelssohnscher Musik, wie zur Rechtfertigung dieser k�nstlerischen Verkommenheit
entworfen worden. Freigedank stellt die �ausdruckslose moderne Sprache�
Mendelssohns in unmittelbaren Bezug zum nurmehr historistisch zu rezipierenden
Formalismus des Bachschen Musikidioms. Dies m�sse zweifellos als �formell,
pedantisch� empfunden werden und sei nur durch das �bergro�e Genie Bachs �eben
erst zum Durchbruche� zu �rein menschlichem Ausdruck� hin gebracht worden.
�bergro�em musikalischen Genie also, welches einem Mendelssohn demzufolge
keinesfalls gegeben sei.
Die Konstatierung eines von Mendelssohn in den Bereich der deutschen Musik
implizierten und von seinen Nachfolgern perfektionierten �neu-j�dischen Systems�,
schliesst den Kreis zum ersten Teil Freigedankscher Allgemeinbetrachtung
�musikalischen Judentums.�
Dort war ja von verzerrter, oberfl�chlicher Wahrnehmung zeitgen�ssischen
Musikschaffens aufgrund fragmentarisch im Bewusstsein verbliebenen Idioms der
26
Synagogenmusik, von Resultaten j�dischen Komponierens, welche �fremdartig, kalt,
sonderlich, gleichg�ltig, unnat�rlich� erscheinen, die �Eigenschaft der K�lte,
Gleichg�ltigkeit� und �Trivialit�t� aufweisen w�rden, die Rede.
Im Zusammenhang betrachtet, bedeutet die Konstatierung des, auf vermeintlich
vorv�terlich �berlieferter semitischer Unkenntnis und Unf�higkeit zur Artikulation im
Idiom europ�ischer Musiktraditionen beruhenden �neu-j�dischen Systems� in der Musik
wohl schlichtweg folgendes:
Freigedank unterstellt Mendelssohn und seinen semitischen Mitstreitern Moscheles,
Joachim, David etc. die zielstrebige Zersetzung v�lkisch-kultureller Basis vermittels
�ausdruckslos�(er), also emotional kraftloser, musik-dramatisch uninspirierter �moderner
Sprache�. Also letztendlich den Versuch der, die Schw�chung der Lebenskraft des
deutschen Volkes bedingenden Verseuchung kulturellen Erbes mit dem semitischen
Bazillus substanzieller k�nstlerischer Impotenz.
6. Ein antisemitischer Eklektizist
Damit war das Thesenpapier eines auf der hochrangigen Ebene vermeintlicher
kulturwissenschaftlicher Erkenntnis rezipierten Antisemitismus gestellt.
Genauere Betrachtung freilich deckt auf, wie konstruiert sich der Thesengang
Freigedanks insgesamt darstellt. Wie stark er, en Detail besehen, auf mangelnde oder
verdr�ngte Sachkenntnis oder reine Spekulation verweisend, ex kathedra verk�ndeten,
aber unbelegten Behauptungen geschuldet ist.
Allein die Haupttheorie von der angeblich naturgegebenen Unf�higkeit des Juden zur
Kunst ist auch nach damaligem kulturwissenschaftlichen Kenntnisstand nicht haltbar.
Als Freigedank im Judentraktat dieselbe exponierte, fortentwickelte und ultimativ
festschrieb bewegte er sich vielmehr � ob in Kenntnis der Vorg�nger oder unbeeinflu�t,
sei dahingestellt � in der Tradition ber�chtigter antisemitischer Demagogen. So
behauptete der bereits genannte Hartwig von Hundt-Radowski im "Judenspiegel" aus
dem Jahre 1819 schlichtweg:
"Allein zu den sch�nen und bildenden K�nsten, welche den Geist veredeln und das
Auge erfreuen, hat kein Mauschel Talent....Selbst schaffen k�nnen die Juden, als
K�nstler vollends nichts, denn so stark auch ihre physische Zeugungskraft ist, so sehr
fehlt es ihnen an aller geistigen Sch�pfungskraft. Als Gott sein herrliches Bild, den
Menschen schuf, wollte der Teufel ein Epigramm darauf machen, und fabrizierte einen
Juden. Die Kinder Israel k�nnen nur nach�ffen und nachahmen, allein ihre
Nach�ffungen sind, gleich Ihnen, gemeine widerliche Karikaturen.�
Auch Karl-Friedrich Grattenauer, von ihm sei an anderer Stelle noch ausf�hrlicher die
Rede, erging sich bereits im Jahre 1803 in einer �Erkl�rung an das Publicum �ber meine
Schrift "Wider die Juden� in Betrachtungen hinsichtlich Judentum und Kunst: �
�Grattenauer schreibt also: �Sind sie nicht in der Regel so wenig Produzenten als
K�nstler, und pl�ndern sie dennoch nicht beide durch ihren Handel und Wucher?�
27
Der kirchliche Publizist und Verleger Johann Gottfried Herder schliesslich erkannte im
Jahre zuvor in dem Essay "Bekehrung der Juden" in der "Anthologie Adrastea", Bd. 4,
Leipzig 1802 auf eine Diskrepanz zwischen j�discher Existenz im Speziellen und
k�nstlerischer und �konomischer Produktivit�t im Allgemeinen:
Es hei�t bei Herder unter anderem: � �W�ren sie Seehelden, K�nstler, Landcolone; bei
den Reicht�mern, die sie besa�en...h�tten sie l�ngst etwas Au�erordentliches zu
Stande gebracht, in L�ndern und Zeiten, wo sie nichts hinderte, in jeder Kunst die
Ersten zu werden! Die Kunst, worin sie die Ersten wurden, zeigen sie fortw�hrend.�
Die pauschal ausgegebene Behauptung kreativen und besonders musikalischen
Mangels des Judentums aufgrund origin�r tonloser j�discher Sprechweise wiederum
findet sich bereits in Werken des 18. Jahrhunderts und Zeiten zuvor. Vor allem in einer
im Jahre 1788 von Johann Nikolaus Forkel in Leipzig herausgegebenen Allgemeinen
Musikgeschichte erlangte der Aspekt im Kapitel "Musik der (alttestamentarischen)
Hebr�er" umfassende, abwertende Er�rterung. Dennoch vergibt es sich der Autor
keineswegs, von der fr�hgeschichtlichen Mediokrit�t rituellen hebr�ischen Vokalisierens
zur ad�quat unbefriedigenden Situation unmittelbarer Gegenwart des Jahres 1788
�berzuleiten, wenn er schreibt:
�In den Synagogen selbst ist die heutige j�dische Musik nichts, als entweder ein
musikalisches Beten, welches in einerlei Ton entweder gleichsam gebrummt oder
gemurmelt wird, oder (wenn der Chor einf�llt) ein f�rchterliches Geschrei.
Wenn diese Art des Gesangs ein �berbleibsel aus alten Davidschen Zeiten ist, und sich
bis auf uns (...) fortgepflanzt hat, so muss es um die Musik der Hebr�er eine erb�rmliche
Sache gewesen sein".
Da Forkels Allgemeine Musikgeschichte musikalisch Professionellen auch in der ersten
H�lfte des 19. Jahrhunderts als Standardwerk galt, Riemanns Lexikon der Tonkunst und
der Enzyklop�die "Musik in Geschichte und Gegenwart" in unseren Tagen vergleichbar,
k�nnte es m�glicherweise, im Gegensatz zu den verstreut publizierten Schriften
politischer Antisemiten, der Recherche zum "Judenthum in der Musik" gedient haben.
Das von Herder, Grattenauer, Hundt-Radowsky und Karl Freigedank gleichlautend
gef�llte Urteil gr�ndet sich vornehmlich auf ein christlich-�berhebliches Unverm�gen,
sich mit der spezifischen Relation j�discher Konfession und Kultur in der Diaspora zu
den musischen K�nsten auseinanderzusetzen.
Oder besser gesagt: die Genannten �berheben sich, im vollen Bewusstsein, die
Traditionen j�discher Kultur nicht zu kennen und auch nicht zur Kenntnis nehmen zu
wollen, dennoch zu verallgemeinernder Abrede j�discher Kreativit�t. Die �berkommene
Relevanz j�discher Musik zu Konfession und Ritus, das auch im arabischen Raum
bestehende Verbot der Abbildung menschlichen Konterfeis, die grosse Tradition im
literarischen Bereich der Mythen und Sagen, deren erstes und nachhaltigstes Werk
sicher bereits in der Vorlage des alten Testamentes zu definieren w�re. All diese
anthropologischen Faktoren blieben der christlich-chauvinistisch vorgenommenen
Analyse der Frage, dass das Judentum in der Diaspora zeitweilig keine Kunstwerke im
strenggefassten abendl�ndischen Sinne hervorbrachte, schlichtweg au�en vor.
28
Im R�ckblick auf eine nunmehr 200j�hrige Geschichte demagogischen Publizierens
gegen das Judentum in Politik, Kultur und b�rgerlicher Gesellschaft offenbart sich eine
fatale Gepflogenheit, eine Tradition, welche allen diesen Demagogen gemeinsam ist,
deren Schrifttum wie ein Leitfaden durchzieht:
Vom Ressentiment gegen das j�disch-fremde angeleitet, �bernahmen die Autoren
pauschale diffamierende Res�mees von Vorg�ngerpublikationen, gaben
anthropologische Theorien und vermeintliche historische Fakten bereitwillig und
ungepr�ft wieder, wenn dieselben sich der eigenen inkriminierenden Sichtweise
einf�gten.
Wie wir noch sehen werden, gaben zahlreiche Musikkundler des Wilhelminismus und
des 20. Jahrhunderts die rhetorischen Negationen Mendelssohn Bartholdys Hugo
Riemanns u. a. in wortw�rtlicher Anlehnung wider, schrieben die Rassenfanatiker und
Kulturwissenschaftler des Nationalsozialismus satzweise aus Freigedanks Pamphlet ab.
Damit stellt sich auch die Frage, ob die selbsternannten Experten des Fachgebiets
kultureller Traditionen innerhalb des Judentums, die beurteilte Materie jemals
authentisch erfuhren. Ob Forkel und Freigedank beispielsweise im Verlaufe eines
Synagogenbesuches den rituellen Kantus eigenst�ndig erlebten oder sich
musiktheoretisch mit demselben auseinandersetzten. Die ersichtliche H�me
karikierender Darstellungen j�discher Sprache und Gesangs lassen eher auf lustvoll
transportierte und �berzeichnete Aversionen schlie�en, welche sich seit Beginn der
Neuzeit l�ngst im Bewusstsein deutscher Kultur und Lebensweise festgeschrieben
hatten.
Anbetrachts konkreter Vorleistungen Theodor Uhligs, Hans von B�lows und Dr. Kr�gers;
in Kenntnis r�ckw�rtigen Katalogs antisemitischer Rhetorik, welcher sich dem Zeitgeist
der Jahre 1848 � 50 andiente; l�sst sich nunmehr mit grosser Sicherheit annehmen:
Freigedank erwies sich auf dem Gebiete kulturanthropologischen Antisemitismus als
genau das, was er �dem Juden� auf dem Gebiete der Kunst und vor allem der Musik per
se vorwarf. Als Eklektizist!
Das Pamphlet vom �Judenthum in der Musik� animierte wiederum zu weiteren
einschl�gigen Polemiken und versch�rfter Propaganda von Kunst als nationaler Frage
und Ersatzreligion eines erstarkenden Ideals deutscher Vereinigung im Geiste Fichtes.
7. Eine exceptionell exclusive Menschen-Race
Dr. Kr�ger, der � aus dem Umfeld der �NZfM� in der �ra Robert Schumann
hervorgegangen -nunmehr als Pionier publizistisch-antisemitischer Analyse von
Mendelssohnscher Musik gelten muss, lie� Freigedanks "Judenthum" denn auch
"Gedankeng�nge �ber Judent�mliches" folgen. Er begr��te zu Anfang die
�wiedergewonnene Pre�freiheit, denn 1846-48 war es zwar sehr leicht, Schriften gegen
das Christentum (...) zu bringen, aber sehr schwer, ein offenes Wort �ber die Juden zu
sprechen.� Er beklagt des weiteren, da� das deutsche Volk �den Eindringlingen nicht
wehrt, (...) Tagesg�tzen bejubelt, die es selber verachtet (...) ihm (...) das Mark der
V�ter verloren gegangen, vor dem die moderne Windbeutelei nicht bestanden h�tte�.
(�NZfM� vom 1.10.1850)
29
Eduard Bernsdorf hingegen entlarvt am 15.10.1850 wiederum in der �NZFM� eklatante
Schw�chen in Freigedanks analytischer Beweisf�hrung und erhebt infolgedessen den
Vorwurf mangelnder anthropologischer Seriosit�t und der Demagogie.
�Der grosse Gelehrte Freigedank (...) spricht� (Mendelssohn) �in der Tat k�nstlerische
F�higkeit und Bildung nicht ab (...); aber die Wirkung, die unsere Kunstheroen auf ihn
hervorgebracht haben, hat er beim Anh�ren seiner Sachen nicht finden k�nnen (....) Wie
aber dieser Mangel an W�rme (...) mit seinem j�dischen Ursprunge im Zusammenhang
stehen soll, das hat uns der Verfasser durchaus nicht bewiesen. Er spricht...nicht �ber
den j�dischen Komponisten (...) bei ihm hat er nichts jargonierendes nachgewiesen, ihm
wirft er die Synagoge nicht vor, nur den Meister Bach...�
Schwerwiegender noch ist der am 25.1.1851 in der "Illustrierten Zeitung" (Leipzig)
erhobene Verweis des Musikers und Musiktheoretikers Johann Christian Lobe auf
einen wesentlichen protorassistischen Aspekt der in der �NZfM� begonnen Debatte:
�Da� die christliche Taufe dem Juden nichts hilft, zeigt Freigedank ja dadurch, da� er
Mendelssohn stets als einen Juden behandelt, der doch als Christ geboren, getauft,
erzogen und begraben worden ist.�
Judentum musste sich, Freigedank zufolge, demnach letztendlich durch andere
Aspekte als jenem �mosaischen" Bekenntnisses definieren. Durch die geburtsm�ssige
Zugeh�rigkeit zu einem fremden, nichteurop�ischen Volk oder vielmehr:
geburtsm�ssige Zugeh�rigkeit zu einer fremden, nichteurop�ischen Rasse!
Freigedank argumentiert dabei in der Tradition des Urhebers der im fr�hen 19.
Jahrhundert verk�ndeten Gewalt-und Vernichtungsmetaphorik, Karl Wilhelm Friedrich
Grattenauer.
Dieser publizierte bereits im Jahre 1791, also dem Beginn der germanomanischen
Kampagne Fichtes zeitlich konform gehend, Vertreibungsdemagogie in der Studie:
"�ber die physische und moralische Verfassung der heutigen Juden, Stimme eines
Kosmopoliten, Germanien 1791". (Das Buch wurde in Leipzig verlegt.) Im Jahre 1803
konstatierte er in der Schrift: "Wider die Juden. Ein Wort der Warnung an alle unsere
christlichen Mitb�rger" erstmalig: �Da� die Juden eine ganz besondere Menschen-Race
sind, kann von keinem Geschichtsforscher und Anthropologen bestritten werden.�
In unmittelbarer zeitlicher Nachbarschaft zum "Judenthum in der Musik" er�rterte ein A.
Escherich "Die Judenemancipationsfrage vom naturhistorischen Standpunkte aus"
besehen in der renommierten "Deutsche(n) Vierteljahresschrift", Heft 4 von Oktober des
Jahres 1848. Auch Escherich kommt darin zu dem Schlu�, da� �Die Juden...eine
exceptionelle Bev�lkerung (bilden) und zwar nicht als (...) Varit�t einer bestimmten
Race, sondern mit exceptionellen, exclusiven Eigenschaften unter allen Racen. Und
diese auszeichnenden Eigenschaften sind (...) constant durch alle Jahrhunderte und
Klimate, charakterisieren...Stamm und (...) Individuum, (...) erstrecken sich auf die
Naturgeschichte dieses Volkes, (...) seine k�rperliche Gestalt, seine Fruchtbarkeit, (...)
seine Lebensdauer, (...) seinen geistigen und moralischen Charakter.�
Des Weiteren stellt Escherich dann auch die Frage nach der k�nstlerischen Berufung
dieser "exceptionell exclusiven Race" im Allgemeinen und besonderen.
30
W�hrend die Juden �blicherweise als eifrige und geschickte Sammler und Eklektizisten
in Erscheinung tr�ten, welche sich des Fundus kulturellen Erbes des Abendlandes
zugunsten eigenen Elaborierens zielstrebig bedienten, sei Mendelssohn Bartholdy im
Besonderen als der bedeutendste Komponist des Jahrhunderts anzusehen. Allerdings
sei er als grosse Ausnahmeerscheinung aufzufassen, sein Wirken hinsichtlich
mosaischen Irrens in k�nstlerischen Gefilden vollkommen atypisch.
Die von Freigedank zum Ausdruck gebrachte protorassistische Tendenz war bis dato
gemeinhin ungebr�uchlich, die Pamphlete Grattenauers und Escherichs stellten
Ausnahmen in den von konfessionellen oder �konomischen Standpunkten dominierten
antisemitischen Publikationen dar. Lobe interpretierte daher die Metapher von der
�Erl�sung Ahasvers� durch �den Untergang� des "Juden" am Ende des Traktates "Das
Judenthum in der Musik" bereits ironisch als Aufforderung zum Judenmord:
�Also weg mit allen Juden. Wenn dann. (..) die Juden alle erschlagen vor uns liegen,
und wir �brig gebliebenen Christen als triumphierende M�rder mit blutigen F�usten
dastehen, dann sind wir wahrhafte Menschen und (...) �einig und untrennbar verbunden
� untereinander und mit den Juden.�
Im Juli 1851 res�miert der damalige Herausgeber der �NZfM�, Franz Brendel den
�wahren Sturm� in der zeitgen�ssischen Medienwelt, welchen die Ver�ffentlichung der
Freigedankschen Thesen in der hauseigenen Zeitschrift hervorgerufen habe.
Um den Ruf der �NZfM� scheinbar doch etwas besorgt, impliziert er der Publikation
nachtr�glich eine Relativierung bez�glich gebildeter und ungebildeter Juden; letztere vor
allem w�ren doch der Gegenstand Freigedankschen Theoretisierens gewesen. Im Text
des �musikalischen Judenthums� hingegen findet sich daf�r allerdings keinerlei
Anhaltspunkt, da ausschlie�lich �der Jude� veranschaulicht; von �den Juden�
gesprochen wird.
Obgleich sich die unmittelbaren publizistischen Reaktionen, welche das Pamphlet
hervorrief, Mitte des Jahres 1851 scheinbar legten, war die These gestreut. War die in
einer der renommiertesten Publikationen zeitgen�ssischen deutschen Kulturlebens
vertretene antisemitische Kulturtheorie nunmehr salonf�hig, unter gebildeten Kreisen
diskussionsw�rdig.
So erkennt beispielsweise Wilhelm von Lentz, Beethovenkapazi�t und Staatsrat des
russischen Zaren im Jahre 1852 auf ein �hebr�isches Element, das in den Gedanken
Mendelssohns erkennbar ist, (das) ihn hindern wird, die ganze Welt ohne Unterschied
von Zeit und Ort zu erobern.� Ferner r�cken erneut �die psalmodierenden Ges�nge der
Synagoge� als �Typus, der in der Musik Mendelssohns nachklingt, wie in seinem
Denken der j�dische Geist eine Rolle spielt� ins Zentrum von Betrachtungen. (v. Lentz,
Beethoven und seine 3 Stile, 1852, Kassel 1855).
Da der Traktat auch massiv kontroverse Reaktionen provozierte (vergl. Johann Christian
Lobe), verlegte sich die �NZfM� wieder vermehrt in die Unverbindlichkeit "objektiv"musikalisch
betriebener Agitation gegen den Opernf�rsten Giacomo Meyerbeer.
Nichts desto Trotz streute die Publikation auch in den Folgejahren unausgesetzt
Ressentiments gegen Felix Mendelssohn aus, so in den oftmals in lakonischen Tonfall
vorgenommenen Rezensionen der posthum ver�ffentlichten Werke.
31
Was beabsichtigten die Initiatoren einer lancierten �ffentlichen Semitismus-Debatte im
Musikbereich?
Es war ihnen um eine Verschiebung der realen Machtverh�ltnisse im
zeitgen�ssischen Musikbetrieb zu tun. Musikalische Avantgardisten suchten quasi auf
gewaltsamen Wege, mit publizistischen Mitteln, Einfluss innerhalb der musikalische
Hemisph�re zu erlangen. Was die avantgardistisch-musikalische Wortmeldung allein
nicht bewirkte, sollte schleichende Ersch�tterung des Fundamentes bewirken, auf
welchem das Ansehen der Erfolgsmusiker Felix Mendelssohn Bartholdy und Giacomo
Meyerbeer beruhten.
Die Synthetik in der Konzeption des, hinsichtlich Ursache und Wirkung vollendet
konstruierten, aber vor allem spekulativ untermauerten Medienunterfangens "Das
Judenthum in der Musik"; die Schizophrenie der auf Ebenen �ffentlicher und intimer
Subjektivit�t vielfach aufgespalteten Urheber l�sst ein Schreiben des hinter dem
Pseudonym Karl Freigedank verborgenen Komponisten Richard Wagner an Felix
Mendelssohn vom 6./7 .Juni des Jahres 1843 erkennen. Wagner versichert sich darin
dem Komponisten gegen�ber u. a. des Stolzes dar�ber: �...der gleichen Nation
anzugeh�ren, die Sie und Ihren Paulus hervorgebracht hat.�
Meyerbeer, musikalisch im fernen Paris residierend, war den nihilistischen
Bestrebungen nahezu entzogen.
In der zeitgen�ssischen Rezeption des vermeintlichen Antipoden im eigenen, deutschen
Bannkreis, schlug sich der publizistische Gewaltakt hingegen nachhaltig nieder.
Erheblich best�rkt durch ein diffuses Klima feudaler Restauration, postrevolution�r
germanomanischen Einheitsfanatismus und traditionell kultiviertem Antisemitismus einer
Generation opportunistisch-neokonservativer Leistungseliten aus dem Umfeld ehedem
jungdeutscher M�nnerb�nde. Das europ�ische Ausland kommentierte die den Ruf Felix
Mendelssohn Bartholdys besch�digenden publizistischen Invektive befremdet. So
res�miert der englische Kritiker Henry Fothergill Chorley im Jahre 1853 -also nur
sechs Jahre nach Mendelssohns Tod:
�Traurig, aber wahr ist's dennoch, da� seine Landsleute ihrer Reputation f�r Ehrlichkeit,
Treue und Verehrung von Genie und Tugend keine Ehre gemacht haben; denn in der
Zwischenzeit haben sie ihre Haltung (...) ge�ndert, einem Mann gegen�ber, den sie zu
seinen Lebzeiten geehrt und umschmeichelt hatten....�
Und Donald Tovey merkt in seinem ph�nomenalen, bedeutsamen Mendelssohn-Artikel
in der gewichtigen Enzyklopaedia Britannica, 1911 verfasst, trocken an:
And in the early Wagner-Liszt reign of terror his was the first reputation to be
assassinated. That of the too modest and gentle �Romantic� pioneer soon followed; but
as being more embarrassing to irreverence and conceit, it remains a subject of
controversy. Meanwhile, Mendelssohn�s reputation, except as the composer of a few
inexplicably beautiful and original orchestral pieces, has vanished.�
Sir Donald F Tovey ��Mendelssohn� the encyclopaedia britannica 11th edition
Cambridge 1911, XVIII.p 124
32
8. Von der Neudeutschen Schule
�Zum einen ist das Mendelssohn-Bild...gepr�gt durch eine Bewertung, deren Basis nicht
kompositionstechnische Einw�nde gegen seine Musik oder sich wandelnder
Geschmack ausmachen, sondern in der der musikalische Parteienstreit der zweiten
H�lfte des 19. Jahrhunderts mit mehr oder weniger verh�llt vorgetragenen
antisemitischen Vorurteilen vermengt ist.(...)
Eine Aufarbeitung der Mendelssohn Rezeption hat zugleich eine quasi aufkl�rerische
Aufgabe: zu zeigen, wie sehr sich (...), knapp vierzig Jahre nach dem Ende des Dritten
Reiches, in dem die schon zuvor betriebene Verteufelung Mendelssohns ihren
H�hepunkt fand, die Urteile auf sachfremde �Argumente� st�tzen� schreibt Wulf Konold
in seiner Studie "Felix Mendelssohn und seine Zeit" aus dem Jahre 1984.
Was hei�t das im Einzelnen:
Das Werk Mendelssohns verfiel einer eklatanten musikalischen Fehde, die sich ab 1850
zwischen "Neudeutschen Musikern" und "Traditionalisten" entwickelte. Die
"Neudeutschen Musiker", welche sich in Weimar um die Komponisten Franz Liszt und
Richard Wagner sammelten, forderten die Radikalit�t des musikalischen Ausdrucks
entgegen formalistisch akademischen Beschr�nkungen ein. Die "Traditionalisten" um
Robert Schumann und Johannes Brahms, propagierten hingegen die Bewahrung, aber
stetige Reformierung �berkommener musikalischer Formen von Symphonie, Quartett,
Oratorium etc.
Unter Federf�hrung des Musikkritikers und Redakteurs Franz Brendel -dieser
�bernahm im Jahre 1845 die Redaktion der renommierten "Neue Zeitung f�r Musik" von
Robert Schumann -zog ein chauvinistischer Geist in das bislang unabh�ngige Organ
imagin�rer Davidsb�ndler ein.
W�hrend sich Schumann als Musikpublizist auf die Er�rterung musiktheoretischer
Fakten beschr�nkte, ohne die �sthetische Reserviertheit gegen�ber Kompositionen der
"Neudeutschen" zu verhehlen und Mendelssohn es generell ablehnte, sich Presse
zunutze zu machen, �ffnete Brendel die Musikzeitung f�hrenden Polemikern wie Karl
Freigedank, Theodor Uhlig, Hans von B�low und Felix Draeseke.
In einem Editorial, zum Ende des Jahrgangs 1852 verfasst, verlieh Brendel dem Ziel,
welchem sich die "NZfM" f�rderhin g�nzlich widmen sollte, unmissverst�ndlich
Ausdruck: "Diese Bl�tter haben fortan die Aufgabe, die Umgestaltung, welche der Kunst
bevorsteht, nach allen Seiten entschieden zu vertreten.� (...)
Theodor Uhlig, geboren im Jahre 1821, wirkte urspr�nglich als Violinist im Dresdner
Hofopernorchester. Dort machte er die Bekanntschaft mit dem von Februar des Jahres
1844 � bis Mai 1849 als Dresdner Hofkapellmeister agierenden Richard Wagner,
dessen Intimus er vor allem in den Jahren nach 1849 wurde. In der Zeit des Schweizer
Exils des in die Dresdner Maiaufst�nde verwickelten Komponisten war Uhlig somit ein
wertvoller Kontaktmann Richard Wagners zu den Musikzentren Dresden, Leipzig und
Weimar. Da Uhlig fest in den Freundes-und Wirkungskreis des Hofoperndirigenten
Wagner eingebunden war, trat er ab 1849/ 50, neben Franz Liszt und Hans von B�low,
verst�rkt als Publizist und Propagandist Wagners und der "Neudeutschen" hervor.
33
Herausgeber Franz Brendel, geboren im Jahre 1811, gestorben im Jahre 1868, war von
Hause aus Philosoph und widmete sich erst ab 1840 musikalischen und
musiktheoretischen Fragen. Als nahezu fanatischer Verfechter der Prinzipien
musikalischer Fortentwicklung und Moderne, erhob er den obligaten Verzicht auf die
Errungenschaften der Barockzeit, der Klassik oder Romantik eines Mendelssohn oder
Schumann zum Dogma.
Er ernannte, der Funktion eines Chefideologen der Neudeutschen Schule
entsprechend, die �romantischen Realisten� (Robert Gutman) Franz Liszt, Hector Berlioz
und Richard Wagner zu deren Leitfiguren. Brendel �bertraf somit die progressiven
Forderungen Schumanns und der in den Jahren 1833 bis 1844 versammelten
"Davidsb�ndler" bei weitem. Diese agitierten seinerzeit vordringlich gegen die
Seichtigkeit musikalischer Tagesware und die Schludrigkeit eines Konzertbetriebes, der
vor allem planlos zusammen gestellte Potpourri-Konzerte nach dem Prinzip des PrimaVista-
Musizierens hervorbrachte. Die von Brendel 1859 im Verlaufe einer
Tonk�nstlerversammlung im Leipziger Sch�tzenhof initiierte Gr�ndung einer
"Neudeutsche Schule" verhalf dem Musiknihilismus schliesslich zu bedeutsamem
institutionellen Rang.
Im Jahre 1852 gab der Komponist Richard Wagner; somit eine Schl�sselfigur des
neudeutschen musikalischen Dogmas, die Denkschrift �Zum Vortrag Beethovens�
heraus, in welcher er Felix Mendelssohn, als Dirigenten besehen, jedwede innere
Anteilnahme bei der Interpretation Beethovenscher Kompositionen absprach.
Es hei�t dort: �Mendelssohns Ausf�hrung Beethovenscher Werke bezog sich stets auf
die nur rein musikalische Essenz derselben, nie aber auf deren dichterischen Gehalt,
den er gar nicht fassen konnte � sonst h�tte er ja auch selbst etwas ganz anderes
zutage bringen m�ssen. Mich hat Mendelssohns Direktion, trotz seiner grossen
technischen Feinheit, immer in der Hauptsache unbefriedigt gelassen, es war mir
immer, als ob er sich nicht getraute, das sagen zu lassen, was Beethoven sagen wollte,
weil er selbst mit sich nicht im reinen dar�ber war, ob da eigentlich etwas gesagt sei,
und was? So hielt er sich immer mit dem feinsten musikalischen Witze an den
Buchstaben, und glich darin unseren Philologen bei ihrer Auslegung der griechischen
Dichter, an denen diese immer nur den Buchstaben, die Partikeln, die Lesarten usw.
auszudeuten haben, nie aber dem Gehalt.�
Wagner sah sich selbst in �berh�hung der Tatsachen in der Rolle als Beethovens
einziger und wahrer Dirigent und Interpret und konnte somit einen j�disch-st�mmigen
Konkurrenten, gleichwohl jener ja nicht einmal mehr unter den Lebenden weilte, nicht
neben sich dulden. Er zerst�rte somit zielstrebig den herausragend Ruf den sich
Mendelssohn zu Lebzeiten als Leiter der Gewandhauskonzerte und Symphonischen
Interpreten erworben hatte auf rhetorischen und publizistischem Wege. Inhaltlich kn�pft
er dabei an die in �Das Judentum in der Musik� konstatierten Thesen von der
vermeintlichen Unm�ndigkeit der Juden, den wahrsten innersten Wert urdeutschen
Erbes, sei es als Autor, sei es als Interpret, zu erfassen an.
Was auch Wunder: bei Karl Freigedank und Richard Wagner handelte es sich doch
um ein und dieselbe Person. Erst sp�ter, erst im Jahre 1869 sollte Wagner den Mut
finden sich, als Autor jener umstrittenen Judenschrift �ffentlich zu zeigen.
Anfangs des Jahres 1852 �u�erte sich auch der Publizist G. A. Keferstein in der Neuen
Berliner Musikzeitung kontrovers in Sachen Mendelssohn-Rezeption.
34
Er bezog sich dabei unter anderem auf die Musik zu ��dipus in Kolonos�, die Rezitative
und Ch�re des unvollendeten Oratoriums �Christus� und das Finale der gleichsam
unvollendeten Oper �Loreley�. Keferstein blickt dabei auf sein zehn-bis zw�lfj�hrige
Bem�hen eines permanenten Verweises darauf zur�ck, das mendelssohn letztendlich
�berschatzt w�rde
Nichts desto Trotz gibt der Autor den Tatbestand zu Erkennen, dass �the excellent
services of a man, who in every thing in art that a fortunate talent can learn and achieve
through iron dilegence stands honorably beside the best of recent times (zitiert nach
Donald Mintz.) und n�hert sich damit dem Gesichtspunkte Heinrich Heines vom
elaboriert zu Werke gehenden und dadurch fruchttragenden Talente anstelle des
produktiven spontanen Genies, an, welchen dieser 1844 in der Zeitschrift Lutetia
niedergelegt hatte, an.
Keferstein verweist darin unter anderem auf den spekulativen Umstand, dass das
Libretto des Christus-Fragmentes elaboriert, ohne innere organischer Notwendigkeiten
zusammengestellt worden sei und damit jenem des Paulus gleiche. Schliesslich giebt
der Publizist immerhin zu bedenken, dass �a great deal can be learned from the study of
Mendelssohn�s works whatever posterity�s final Judgement would be. (Mintz)�
In den Jahren 1848 bis 1852 legt Brendel das Wollen und die Zielrichtung der, von der
Revolution des Jahres 1848 befl�gelten, neudeutschen Welle in mehreren Aufs�tzen,
welche in der Neuen Zeitung f�r Musik erschienen, fest Er bezieht sich darin explizit auf
die Notwendigkeit eines Nationalen-neudeutschen Erwachens der Musik und der
Komponisten und wendet sich erkl�rterma�en gegen �Kosmopolitische Deutschfranz�sisch-
italienische Komponisten wie Meyerbeer. Damit legt Brendel die Zielrichtung
der musikalischen Expression vor, welche die zweite H�lfte des Jahrhunderts
dominieren sollte.. �Tastes and interests had turned toward the issues of expression and
characterization as the second half of the century understood them. For these Tastes,
much of Mendelssohn�s Music was simply irrelevant. Despite the growth of the historical
repertory, this irrelevanz was fatal�. Mintz verweist dabei auf das beethovensche
Musikalische Erbe und stellt dabei fest, das jenes durch die jeweilige Re-Interepretation
und Neu-Interpretation sp�terer Generationen modern geblieben sei. Aber jene
Zeitgenossen Brendels standen vor der scheinbaren Unm�glichkeit, Musik zu
reinterpretieren, deren Ausdrucksformen obsolet geworden sei. So stellten die Zeit-und
Weggenossen Brendels die von mendelssohn oft gebrauchte Form des Chorals in der
Kirchenmusik vollst�ndig in Frage. Es waren die Zeiten um 1850 herum, in denen
Wagners Theorien, Schriften und Kompositionen erheblich an Einfluss gewannen. Es ist
ein Kuriosum der Geschichte, das Wagners Judentumpamphlet erst mit der um 1848
erk�mpften Pressefreiheit zu publizieren m�glich war. Mintz schliesst seine
Betrachtungen zu Mendelsohns Rezeptionsgeschichte mit der Feststellung, das
Mendelssohns oftmals in Formen und Genres gegossen war, in Musik, welche von der
musikalischen Revolution �berholt und erledigt worden w�re. Because this is so, the
Mendelssohn Reception mirrors the conflicts and trends at mid-Century: questions about
the future and utility of the established musical-genres to be sure , but also about the
nature and direction of religion and its role in life. And behind varying views about this
matter there are great complexes of social attitudes for which the religous arguments in
part a surrogate. To this mix we need to add German and general European anti-
Semitism, a sentiment that grew to a movement and culminated in the Holocaust.
35
Mendelssohn�s reputation was tosses about by these currents and counter currents,
perhaps more than that of any of his significant contemporaries, and so it is not
surprising that his reputation declined so rapidly in the eyes of the advanced public soon
after his death.
1860 machte sich der Musikhistoriker August Wilhelm Ambros Gedanken um den
Zwiespalt zwischen aktuellem neudeutschen Fortschrittsstreben hin zum musikalischen
Drama auf der einen und einer Position konservativer Verharrung in den
mendelssohnschen Idealen der absolut verstandenen Tonkunst auf der anderen Seite.
Er fragt sich dabei also: �ob die Richtung Wagner-Liszt zu der Bedeutung gelangt
w�re und soviel Terrain gewonnen h�tte, als sie tats�chlich gewonnen hat, wenn nicht
Mendelssohn in der Bl�te seiner Kraft und seines Wirkens der Welt durch einen
pl�tzlichen Tod entrissen worden w�re. Mendelssohns Wirken, Streben und Schaffen
l�sst annehmen, dass er als ganz entschiedener Gegner aufgetreten w�re.�
9. Von der musikalischen Wahrheit
Der Musikwissenschaftler und Publizist Adolph Bernhard Marx wiederum agitierte im
Zeichen einer schwerlich zu fassenden musikalischen �Wahrheit� nachhaltig gegen
�Verweichlicher� der Musik, �Nachbildner� und � unwahre Komponisten�. Marx war seit
dem Jahre 1830 als Dozent f�r Musikgeschichte an der Universit�t Berlin und sp�ter als
Herausgeber der "Berliner Allgemeinen Musikalischen Zeitung" t�tig, in welcher Dr.
Eduard Kr�ger im Jahre 1850 die Kampagne dezidiert antisemitisch intendierter
Musikrezeption er�ffnete. Marx war einstmals ein enger Jugendfreund Felix
Mendelssohns mit eigener, aber gl�cklos verbleibender kompositorischer Ambition. Da
Marx sich dem Komponisten durch eine zunehmend abstrahierend musikphilosophische
anstelle einer angewandten Besch�ftigung mit der Tonkunst entfremdete; diesen des
Weiteren um Geld und musikalische Protektion bedr�ngte, zerbrach die Freundschaft im
Jahre 1839. Marx vernichtete daraufhin die gesamte in seinem Besitz befindliche
Mendelssohn-Korrespondenz. Inwiefern sich eine etwa 10 Jahre sp�ter massiv
bezogene Position des �nachkantischen �stheten� (Werner) gegen das Oeuvre Felix
Mendelssohns auch der entt�uschten Freundschaft verdankt, ist nicht gekl�rt.
In Publikationen wie "Die Musik des 19. Jahrhunderts", im Jahre 1855 in Leipzig
herausgegeben, stellte Marx Mendelssohn nun als Prototyp solcherart �Verweichlicher�
etc. der Musik heraus. In genannter Musikgeschichte konstatiert Marx u. a. das diesem:
�(...) die eigentliche Macht und H�he des Dramas nicht gegeben (...); ja, seinem fein
zur�ckhaltenden, mehr anempfindenden als urspr�nglich sch�pferischen Wesen im
Grunde widersprechend (war.)
Er f�hrt weiterhin aus, da� � �im wahren Gegensatze� zum Genie ein Talent wie
Mendelssohn �den (meist begl�cktern) Beruf (habe), auszubilden und nachzubilden,
auch einseitig zu verbessern und zu versch�nen oder annehmlicher zu machen, (also)
den d�monisch hochaufgerichteten Gedanken des Genius mit der Schw�che und Furcht
der Welt durch vermittelnde Zwischengestalten, die Nachbildungen sind,
auszugleichen.� . Folgerichtig re�ssiere Mendelssohn vornehmlich im "gl�cklichen
Salonwort" der "Lieder ohne Worte", in dem "ein m�dchenhafter Hang (...) jedes kleine
Gef�hlchen" musikalisch transponiere.
36
Auch hier wird ein sp�ter so folgewirksamer Titanen-& Heroenanspruch an Kunst
bedeutungsvoll vorformuliert. Freigedank spekulierte in seinen Ausf�hrungen
schlichtweg auf diesen Anspruch und Mendelssohns naturgegebene Unf�higkeit,
demselben gerecht werden zu k�nnen.
Marx indessen versucht, keineswegs frei von polemisierendem Tonfall, den seinerseits
vorgenommenen Abgleich von heroischem Anspruch und konkreter musikalischer
Wirklichkeit zu Mendelssohns Ungunsten, �sthetisch und psychologisch, also
wissenschaftlich methodisch nachzuweisen. Marx muss also als Autor einer
Mendelssohn-Demagogie von musikwissenschaftlich-sp�tromantischem Gesichtspunkte
aus gelten. Diese sollte sich sp�testens Mitte der 60ziger Jahre bis zur Unkenntlichkeit
der einzelnen Komponenten mit der dezidiert antisemitisch intendierten Mendelssohn-
Rezeption der Neudeutschen vermengen. Das der erste Protagonist letztgenannter
Argumentationsweise, Dr. Kr�ger, ein Autor der von Marx editierten Berliner
Allgemeinen musikalischen Zeitung war, ist dabei ein Detail von Interesse und
Pikanterie.
Des Weiteren gibt Marx den Stereotyp des schw�chlichen, feinnervigen, emotional
�berregbaren Musikers Mendelssohn vor, welchen zahllose Musikhistoriker und
Publizisten bis in die 80ziger Jahre des 20. Jahrhunderts als verfestigtes Klischee
kolportieren sollten.
Die Erkenntnis vom Drama, welches nicht in erster Linie f�r Mendelssohns Schaffen
pr�gend war, ist faktisch korrekt, verkennt aber vollst�ndig die Motivation dieser
Zur�ckhaltung dramatisch-musikalischen Affektes gegen�ber. W�hrend Marx die
Gr�nde in der vermeintlich schw�chlichen Auspr�gung des Charakters und der
Unf�higkeit dramatischen Empfindens sucht, stand Mendelssohn in Wahrheit der
dramatischen Ent�u�erung in der Kunst mit �sthetischem Vorbehalt gegen�ber.
Mendelssohn war durch die strenge, stetig zu Flei�, Pflichterf�llung, sittlicher
L�uterung und Contenance anhaltende Erziehung im Elternhause vollst�ndig vom
verinnerlichten und dem grossen Vorbilde Johann Wolfgang von Goethe vorgegebenen
humanistisch-klassizistischen Ideal menschlicher und gesellschaftlicher Erhebung durch
erhellendes, l�uterndes kulturelles Gut durchdrungen,
Dies lie� Mendelssohn die Komposition von Erregtheit, dramatischer Ent�u�erung,
romantischer Zerrissenheit, Nachtseiten der Seele und expliziter emotionaler Abgr�nde
letztendlich suspekt, m�glicherweise unanst�ndig erscheinen. Dramatik vollzieht sich in
Mendelssohns Kompositionen stets anschaulich, wenn das, ethischen Belangen
verpflichtete musikalische Sujet seinerseits einen dramatischen Verlauf nimmt, wie im
alttestamentarischen Epos "Elias" vorliegend.
Gleichsam regte das Erlebnis der Naturgewalten, geschichtlicher Orte und Augenblicke
wie im Falle Schottlands und der gleichnamigen Symphony; oder diese der Dichtung
und dem Volksm�rchen implizite Spannung, welcher wir beispielsweise die Ouvert�re
von der Sch�nen Melusine verdanken Mendelssohn zu hochrangiger dramatisch-
musikalischen �u�erungen an. Andererseits lie� Mendelssohn einer dramatischen
Entwicklung freien Lauf, wenn sich das musikalische Material absolut aufgefasster
Kompositionen in der Durchf�hrung zu h�chster formaler und emotionaler
Binnenspannung verdichtete.
37
Diese vollzieht sich dann allerdings aus Momenten h�chster geistiger und musikalischer
Konzentration und ist oftmals -vorausgesetzt, Meisterdirigenten und Pianisten
vermochten es, dem hohen musikalischen Gehalt Mendelssohnscher Werke vollends zu
entsprechen -daher in ihrer Spannung fast nicht ertr�glich.
Man mag diese humanistische Haltung zu Fragen der Musik und der Kunst , den ideal
verstandenen Anspruch �sthetischer Zucht und Selbstzucht teilen und kultivieren. Man
mag ihn subjektiv ablehnen und anderen Anspr�chen und Erfahrungen innerhalb der
vielf�ltigen M�glichkeiten musikalischer Artikulation nachgehen.
Mendelssohns Auffassung vom Ziel musikalischen Wirkens ist zweifellos genauso wenig
�wahr�, wie es die von den "Neudeutschen" erstrebte Symbiose von Musik und Drama
oder die spezielle absolute musikalische Wahrheit Bernhard Adolph Marx jemals war
und ist. Als intimer Jugendfreund noch aus den Tagen der bei Carl Friedrich Zelter
genossenen Singschule trug Marx mit dramaturgischem Rat ma�geblich zur Konzeption
der immerhin als genial apostrophierten "Sommernachtstraum-Ouvert�re bei. Im
Gegensatze zu manch nachgeborenem, inkognito urteilendem Kollegen, h�tte er
zumindest die authentischen Ursachen einer spezifisch Mendelssohnschen Verhaltung
gegen�ber einer Relation von Musik und Drama besser kennen m�ssen.
Eine bemerkenswerte Abhandlung der Problematik ad�quater Mendelssohn-
Nachbereitung vollzog die �Berliner Feuerspritze� im Jahre 1855 in ihrer Rezension vom
12. November einer Festauff�hrung des Oratoriums �Elias�, welche der Sternsche
Gesangverein Berlin Mendelssohn zum Gedenken ausrichtete. Hans von B�low
zeichnet daf�r wiederum als Verfasser. Kunstfertig entledigte er sich dabei einer
offenkundig ungeliebten Aufgabe in einzigartig gl�ckreichem Vollzug des Paradoxons
einer Quadratur des Kreises. Genauer: der repr�sentativen W�rdigung eines
Komponisten und seines Werkes zu akklamieren und des Weiteren den Anlass zur
Herabsetzung des musik�sthetischen Spektrums aus der Neudeutschen Sicht einer
Musikdramatiker -Partei desselben zu missbrauchen.
Von B�low Schreibt also:
"Die Tonkunst sollte ihren eigenen Festtagskalender haben. Die sch�ne und w�rdige
Feier. welche der Sternsche Gesangverein dem Ged�chtnisse Felix Mendelssohns und
sich selbst zu Ehren durch die Auff�hrung des "Elias" am 8. November veranstaltete,
erweckt den Wunsch, auch andere grosse Tondichter der Vergangenheit in �hnlicher
Weise gefeiert zu sehen. Merkw�rdig, dass sogar ein Institut, dem der genannte
Meister, oder vielmehr sehr bewusst absichtlich sich ferne hielt, dass das K�nigl.
Opernhaus durch eine Vorstellung des "Sommernachtstraumes" einer solennen
Anspielung ganz ausnahmsweise sich -unschuldig machte. Es war kein Zufall, dass
Felix Mendelssohn in seines Genius` Irrtum von diesem durch den Tod entrissen wurde,
als er dem - Irrtum der modernen "Oper" sich zuzuwenden begriffen war.
Was h�tte Mendelssohn, -von dessen specifisch musikalischer Begabung auch der
Gegner zugeben muss, dass er der n�chste ist nach Mozart, -in dem musikalischen
Drama Vollendeteres leisten k�nnen, als Mozart im "Don Juan" schon geleistet? Einem
solchen, immerhin nur genialen Reproduzieren w�rde aber eine �sthetisch-historische
Berechtigung im h�heren Sinne gefehlt haben".
38
Schlie�lich begibt sich von B�low gar in die Rolle des Propheten und verk�ndet dem
zeitgen�ssischen Auditorium in allwissender Vorausschau, das auch ein in den Jahren
gereifter Komponisten niemals substantielles, dem Anspruch neudeutschen
�Fortschrittsprinzips� gem��es , zu vollbringen f�hig gewesen w�re:
"Diese fl�chtige Andeutung soll nur der in der posthumen Verehrerschaft des grossen
Musikers ziemlich verbreiteten sentimentalen Ansicht entgegen, als ob Mendelssohn,
wenn ihn nicht ein fr�hes Ende erreicht, noch H�heres, Unverg�nglicheres geleistet
haben w�rde, als wir von ihm besitzen. Diese Ansicht steht auf einer Stufe mit der
bekannten Aufgabe, welche ein Pensionsvorsteher seinen Z�glingen stellte: "W�rde
Egmont Kl�rchen geheiratet haben, falls er nicht hingerichtet worden w�re?"
Wir glauben dem Genius weit freier und begeisterter zu huldigen, wenn wir
aussprechen: "Der Elias ist das den hohen Geist seines Sch�pfers am umfassendsten
und res�mierendsten darlegende Werk, in welchem er seine Mission erf�llt und
vollendet hat".
Zunehmende �ffentlichkeitswirksamkeit und Publikumserfolge der Werke
"neudeutscher" Tonsprache (vor allem der B�hnenwerke Richard Wagners und der
Oratorien und symphonische Rhapsodien Liszts) bewogen die Ideologen der
"Neudeutschen Schule", ihren Kreuzzug gegen alles dem Fortschrittsprinzip vermeintlich
im Wege stehende zu versch�rfen. Nachdem man Felix Mendelssohn als vormalige
Leitfigur bek�mpfter traditionalistischer �sthetik plangem�� �erledigt� hatte und
Meyerbeers B�hnenwerke sich bis auf weiteres resistent gegen das Unterfangen
rhetorischer Unterh�hlung erwies, r�ckten nun die �konservativen� Romantiker Robert
Schumann und Johannes Brahms ins Blickfeld neudeutschen Interesses. Mitte der
50ziger Jahre des 19. Jahrhunderts bem�hte man sich intensiv, Schumann der
Neudeutschen Idee einzuverleiben; ja ihn neben Opernreformer Richard Wagner
gleichsam zu einer neudeutschen Leitfigur des symphonischen Sektors aufzubauen.
Hans von B�low stellte Schumann im November 1853 noch ganz selbstverst�ndlich als
Repr�sentanten einer �neuen(n) romantischen Schule� Wagner und Berlioz gleich
(�NZfM� 11/12/1853), Franz Liszt propagierte von Weimar aus Schumanns
Vork�mpfertum �musikalischen Fortschritts�. Im Jahre 1860 richtete die Neudeutsche
Schule ein Schumann-Fest in Zwickau aus.
Clara Schumann, im Vernehmen, es mit einer Propagandaveranstaltung zu tun zu
haben, auf der das Angedenken Ihres Mannes zu ideologischen Zwecken missbraucht
w�rde, lehnte eine Teilnahme als Pianistin und Ehrengast ab.
�Ich kann doch nicht dahin gehen, um ein solches Fest mit den Menschen zu
begehen, die ich aus tiefster Seele (als Musiker) verachte�. Joseph Joachim best�rkte
sie in dem Entschluss, indem er ihr eindringlich m�gliche publizistische Folgewirkungen
einer Teilnahme der Witwe Schumanns vor Augen hielt. Er gemahnte, es k�nne im
Nachhinein als Beweis dessen herangef�hrt werden, �dass Schumann mit den neuesten
Fortschritten zur Unmusik gemeinsame Sache gemacht habe".
Nachdem Reflektionen der Neudeutschen auf Robert Schumann im Jahre 1860 im Eklat
endeten, schlug die publizistische Stimmung seitens der "Neudeutschen" schlagartig
um. F�hrende Repr�sentanten der Schule wie Hans von B�low und Felix Draeseke
bedachten das musikalische Angedenken Schumanns mit offenkundiger H�me.
39
Es �berrascht wohl kaum noch, da� die biographische und musikalische Relevanz zu
Person und Werk Felix Mendelssohns als Leitfaden und Begr�ndung musikalischer
Mittelm��igkeit des Schumannschen Oeuvres herangef�hrt wurde. Bereits im Jahre
1856 schloss ein im Berliner Echo ver�ffentlichter Nachruf, da� mit dem Tode Robert
Schumanns ein �Ausl�ufer der Mendelssohnschen Richtung� zum Ende gelangt sei.
�Vorwiegend Eklektiker und scharf kritisch sichtender Verstandesmensch, konnte man
ihn (Schumann) mit Recht den musikalischen Lessing nennen.� res�miert der Nekrolog
des Weiteren.
Gefl�gelte Worte brachte die neudeutsche Publizistik in die Schumann-Rezeption ein.
So verdankt dieselbe Felix Draeseke jenes viel strapazierte Verdikt: �Schumann hat als
Genie angefangen und als Talent aufgeh�rt.� Hans von B�low wiederum pr�gte die
signifikante Metapher des Felixsch�lers Robert Schumann heraus und streicht somit
den von Felix Mendelssohn ausge�bten Einfluss vermeintlicher klassizistischer
Stagnation hervor, in dessen Leipziger Fangstricken sich Schumann zeitlebens
verfangen habe, schlimmer noch: welcher Schumann �verdorben� habe. B�low
konstatierte im Jahre 1860 also resignativ: �War der Mensch genial, bevor er bei Felix in
die Schule ging, Leipziger Kaufleute zu h�ten.
Des Weiteren gei�elte von B�low die �Schumannsche Intervallheulerei� als unertr�glich
und verk�ndete demonstrativ, jedwede �Halbdillettantenmusik lieber als eine
Schumannsche Symphonie (aufzuf�hren), deren blo�e Lekt�re ihm eine Tortur (sei)�.
B�low k�ndigte des weiteren einen grossen Schlag, die Ver�ffentlichung einer
Brosch�re an, welche die gegen Berlioz agitierende �Instrumentationsleere� der
verha�ten Schumannianer-Partei ins L�cherliche ziehen und daher �die Form einer
kleinen Handgranate� erhalten solle. Walter Dahms zufolge, lie� sich Hans von B�low,
seinem Vorbild Richard Wagner dabei nicht un�hnlich, von emotionalen Wallungen
oftmals zu Pauschalmeinungen hinreisend. Und nur so erkl�ren sich Aussagen und
Zeugnisse, welche sich in Bewunderung und Zuneigung einerseits, scharfer Ablehnung
und Diffamie andererseits zeitweilig vollst�ndig widersprechen. Was einmal in
Zynismus und H�me abgetan, findet zu anderer Gelegenheit wiederum zu Worten
warmherziger Verehrung. Neben den Faust und Genoveva�Kompositionen Robert
Schumanns, sowie dessen fr�hen Klavierwerken beispielsweise Musik und Wirken Felix
Mendelssohns!
Man kann sagen, da� sich im Falle Robert Schumanns eine rezeptionsgeschichtliche
Entwicklung anbahnte, welche derjenigen Felix Mendelssohns zeitweilig �hnelte.
Nicht in der gleichen Intensit�t und Nachhaltigkeit; da der entscheidende Aspekt
fremdenfeindlichen Ressentiments im Falle Schumanns nicht zur Verf�gung stand.
Dennoch pr�gten sich in jener Zeit Fehlrezeptionen seines Werkes heraus, welche
sich im musikalischen Bewusstsein und musikgeschichtlich allgemeing�ltig verfestigten
und noch heute um Schumanns Oeuvre herum irrlichtern. In der Hauptsache pr�gte
sich seinerzeit das unsinnige, spekulative Argument heraus, dieser �habe nicht
instrumentieren k�nnen�, die Symphonien �seien schlecht, intransparent und z�hlebig
instrumentiert�.
�berhaupt habe Schumann ja am origin�rsten f�rs Piano geschrieben, habe sich dem
symphonischen Satz vom Pianistischen her gen�hert und f�r die Symphonik kein
rechtes Empfinden aufgebracht.
Diese Stereotypisierungen fanden zu einiger musiktheoretischer Er�rterung, an
Versuchen, die Symphonien durch nachtr�gliche Retuschen (Mahler) zu �korrigieren�
40
und somit f�r das Repertoire zu �retten�, fehlte es nicht. Angesichts synonymer Abfolge
rezeptionsgeschichtlicher, Parallelit�ten, von Intention und Argumentation, Ursache und
Wirkung traditionalistischer Musiker wie Mendelssohn und Schumann, stellt sich nun die
Frage, warum es das Werk des einen zu �retten� galt, w�hrend dasselbe des anderen
brachlag. Die Gr�nde daf�r d�rften wohl kaum im Bereich des Musikalischen zu suchen
sein!
Dennoch waren die Anh�nger traditionalistischer �sthetik den Umtrieben aggressiv
neudeutscher Rhetorik keineswegs g�nzlich r�ckhaltlos ausgesetzt. Neben den
genannten Schumannianern um Joseph Joachim, Clara Schumann und dem Publizisten
Herrmann Grimm verf�gten dieselben mit der von Mendelssohn ins Leben gerufenen
Musikakademie �ber einen gewichtigen, einflussreichen St�tzpunkt. Des Weiteren erbot
sich in der Person des berufenen zeitgen�ssischen Komponisten Johannes Brahms ein
respektabler Widerpart gegen den in den 7oziger und achtziger Jahren des 19.
Jahrhunderts erdr�ckend �berm�chtigen Schatten des neudeutschen Musikdramatikers
Richard Wagner, welcher mit dem brillanten Feuilletonisten Eduard Hanslick einen
einflu�reichen publizistischen Mitstreiter an seiner Seite hatte. Joseph Joachim hatte im
Herbst des Jahres 1857 brieflich mit dem ehemaligen musikalischen Weggef�hrten
Franz Liszt gebrochen und begr�ndete seine Weigerung, an einer Tonk�nstlerfeier zum
100. Geburtstag des Weimarer Gro�herzogs Carl August teilzunehmen
folgenderma�en:
"Die Beharrlichkeit Deiner zutrauensvollen G�te, mit der Du (...) Dich zu mir neigst,
um mich dem Verein der von Deiner Kraft bewegten Freunde angef�gt zu sehen, hat f�r
meinen bisherigen Mangel an Offenheit etwas besch�mendes. H�tte ich nicht dass
tr�stende Bewusstsein, dass dieser Mangel an Offenheit nicht Feigheit sei, und
vielmehr mit dem besten Gef�hl verwandt war, das (...) die tiefe Wahrheitsliebe und die
Tiefe Neigung zu Dir (...) ein Stachel f�r Dich zu werden (...) imstande sein k�nne. (...)
Ich bin Deiner Musik g�nzlich unzug�nglich; sie widerspricht allem, was mein
Fassungsverm�gen aus dem Geist unserer Grossen (...) als Nahrung sog.
W�re es denkbar, dass ich je dem entsagen m�sste (�) was ich als Musik empfinde,
Deine Kl�nge w�rden mir nichts von der ungeheuren, vernichtenden �de ausf�llen. Wie
sollt ich mich (...) da mit denen verbr�dert sehen -die die Verbreitung Deiner Werke mit
allen Mitteln zu ihrer Lebensaufgabe machen? (...)
Ich kann euch kein Helfer sein und darf Dir gegen�ber nicht l�nger den Anschein
haben, die Sache, die Du mit Deinen Sch�lern vertrittst, sei die meine. So muss ich
denn auch Deine liebe Aufforderung zur Teilnahme an den Festlichkeiten in Weimar
unbefolgt lassen: ich achte Deinen Charakter zu hoch, um als Heuchler (...) gegenw�rtig
zu sein."
Die Funktion des Konservatoriums als Reservoir des humanistisch inspirierten,
musikalisch absolut ausgepr�gten Kompositionsideals Mendelssohns erwies sich vor
allem in der zweiten H�lfte des 19. Jahrhunderts allerdings als eine zweischneidige.
Einer vielfach �berlieferten kulturgeschichtlichen Erfahrung entsprechend, wonach
Adepten kaum jemals die vom Initiator eines Reformwerks vorgegebenen
Idealvorstellungen auf gleicher H�he weiterzuf�hren in der Lage waren, agierten
demzufolge auch die Getreuen des ehemaligen Leipziger Generalmusikdirektors und
Hochschulleiters. Diese waren vor allem Ignaz Moscheles, Moritz Hauptmann,
Ferdinand David, Julius Rietz, und Niels W. Gade; letzterer ein zeitgen�ssisch
hochangesehener Komponist d�nischer Herkunft.
41
Lassen wir noch einmal Hans von B�low als Zeitzeugen und Kommentator zu Worte
kommen:
"Eine andere Partei hielt dagegen treu an dem Todten fest, aus Piet�t, aus
pers�nlicher Freundschaft, aus musikalischer oder nationaler (d. h. semitischer,
Anmrkg. d. Verf.) Sympathie, und weihte nun den �berlebenden Quasisch�lern
(Nachbetern) Mendelssohns eine gr��ere Beachtung als fr�her. Dahin geh�rten
namentlich die Praktiken, denen an einem Nachfolger des Dirigenten Mendelssohn
gelegen war und die einen solchen in Rietz fanden..." (Zitiert aus dem Aufsatz "Das
musikalische Leipzig in seinem Verhalten zu Richard Wagner")
Als Vorst�nde des Konservatoriums trachteten die Genannten, den von Felix
Mendelssohn authentisch ausgepr�gten Istzustand ideal angeleiteten ambitionierten
Musizierens musterg�ltig festzuschreiben.
�Er hat mich an das ihm so liebe Institut berufen; ein Wirken daran mit ihm w�re mir eine
t�gliche Freude und Genugtuung gewesen, das Wirken daran ohne ihn bleibt mir Pflicht
und heiliges Verm�chtnis. Ich muss nun f�r uns beide arbeiten."
So beschied Ignaz Moscheles -im Oktober des Jahres 1846 von Felix Mendelssohn
ans Konservatorium berufen -seine Gattin Charlotte in ihren Erw�gungen einer
R�ckkehr nach England nach Mendelssohns unerwartetem Verscheiden. Treffender
lassen sich Vorstellungen und Geisteshaltung kaum zusammenfassen, mit welchen die
Nachla�verwalter vermeintlich Mendelssohnschen Gr�ndungs-und Arbeitsgedankens
am Leipziger Musikkonservatorium an diese Aufgabe herangingen.
Ausdr�cke wie "Pflicht" und "heiliges Verm�chtnis" legen den Verdacht auf ein gewisses
Ma� von Fundamentalismus, Dogmatik, �konservierende�, ein Ideal f�r alle Zeiten
festschreibende, formal in sich erstarrende Gralsh�terschaft bei der Bew�ltigung dieser
Aufgabe nahe. In diesem Bem�hen �bersahen die Repr�sentanten eines expliziten
Leipziger Konservatoriumsstils jedoch das Bestreben Mendelssohns, die propagierten
musikalischen Formvorgaben konzeptionell, harmonisch und klangsprachlich um eigene
Erfahrungen und Einsichten zu erweitern. Bereits in den 50ziger und 60ziger Jahren des
19. Jahrhunderts verfestigte sich, dem hohen Ruf und weitreichenden
kompositionstheoretischen Einfluss des Institutes zum Trotze dort ein Akademismus
substanzarmer unflexibler Musikkonservative. Im Sinne der charakteristischen Adorno-
Maxime: �Mendelssohn � gegen seine Liebhaber verteidigt!� bedingte diese Haltung die
fehlgeleitete Verm�chtnispflege eines Klischees, welches sich auf die zeitgen�ssische
Einsch�tzung der origin�ren musikalischen Kompetenz des Konservatoriumsgr�nders
im Nachhinein ungl�ckselig auswirken sollte.
Zum einen firmierte das im Akademismus verharrende Konservatorium zu Leipzig in
verallgemeinerter �ffentlicher Wahrnehmung als �Mendelssohn-Schule�, galten
Absolventen desselben � gleich dessen, ob es sich um heute m�glicherweise zu Recht
vernachl�ssigte Kompositeure wie Martin Blumner, Friedrich Kiel, Ludwig Meinhardus,
Karl Reinecke und Robert Volkmann Joachim oder wahrhaft inspirierte Tonsch�pfer wie
Max Bruch oder Edvard Grieg handelt - pauschal als �Mendelssohnianer� und Epigonen.
Des Weiteren unterfing sich das Konservatorium -vor allem unter der �gide des
Thomaskantors Moritz Hauptmann -in der musik�sthetischen Diskussion gegen die
Bestrebungen "neudeutscher" Avantgardisten zu polemisieren. Hauptmann trachtete
danach, Repr�sentanten Neudeutscher Musik dem Konservatoriumsbetrieb so weit als
m�glich fernzuhalten, um den bestehenden Ruf zentralen traditionalistischen
kompositionstheoretischen Lehrens in Deutschland und Europa keinesfalls zu
gef�hrden.
42
Dies gab selbstredend Anlas zu aggressiv vorgetragenen publizistischen Retouren
neudeutscher Ideologen auf das Konservatorium als �Mendelssohn-Schule�; lie� somit
den Konservatoriumsinitiator erneut zum Ziel rhetorischer Attacken werden.
Das Wort von den epigonalen �Mendelssohnianern� machte die Runde, der
nazarenisch-erbaulichen Kleinmeisterei postbachscher und -Mendelssonscher
Oratorien, der pianistischen Kleinwerke, welche bei Mendelssohn noch mit wahrer
poetischer Empfindung erf�llt, sich nunmehr in kitschigem Sentiment erg�ssen; die
Begriffe �Geschmacksgef�hrlichkeit des Mendelsohnschen Vorbildes� (Riemann) oder
der pianistischen �Salonmusik� kamen auf.
Dem spezifischen Unterfangen einer Konsolidierung des Mendelssohnschen Erbes
zumindest dienlicher erwies sich die publizistische T�tigkeit Hanslicks. In der Rezension
einer Veranstaltung der Wiener Singakademie in der Zeitungsrubrik "Aus dem
Konzertsaal" aus dem Jahre 1858 entlarvt er, neben einer erwartungsgem�� vom
traditionalistischen Standpunkt aus gef�hrten Suada gegen die Verrottung
musik�sthetischer Gepflogenheiten, hellsichtig die Intention des gegen Mendelssohn
betriebenen "neudeutschen" Nihilismus:
�Die Degradierung Mendelssohns zu einer �falschen Zwischenbildung� in der
Geschichte der Musik muss wohl die Ansicht in sich schlie�en, da� wir ohne diesen
Auswuchs viel weiter w�ren. Darauf ist zu erwidern, da� im Gegenteil in Mendelssohns
Erscheinen gerade zu dieser Zeit und in diesem Zusammenhang eine der weisesten
F�gungen der Kunstgeschichte liegt. Ohne seine Formsch�nheit, sein reines, klares
Gestalten w�re (...) die Verwilderung, die wir gegenw�rtig in der �Zukunftsmusik�
erleben, viel fr�her und ungleich verderblicher eingebrochen.�
Im Jahre 1869 gab sich der Komponist Richard Wagner �ffentlich als Verfasser einer
zweiten, �berarbeiteten Fassung des "Judenthums in der Musik" zu erkennen. Unter der
Protektion des Bayernk�nigs Ludwig II. hatte er mit den Urauff�hrungen von "Tristan
und Isolde" und den "Meistersingern" in M�nchen endg�ltig die Anerkennung eines
Opernreformers und Musikdramatikers gefunden. Mit der wachsenden Popularit�t
seines musikalischen Werkes nahm auch der Einfluss des Theoretikers Richard Wagner
auf das kulturelle und geistige Leben des sp�ten 19. Jahrhunderts zu. Somit griffen
auch dessen antisemitischen Ansichten um sich, welche er in weiteren versch�rft
argumentierenden Schriften erh�rtete.
10.Der letzte Deutsche
Jens Malte Fischer vertritt in seiner fulminant recherchierten und verfassten Schrift
�Richard Wagners �Das Judenthum in der Musik� (welcher die Fakten zur Gestaltung
aller dem Judenpamphlet gewidmeten Abschnitte hiesiger Ausf�hrungen entnommen
sind) die These, das erst die Zweitpublikation des Traktates �der eigentliche S�ndenfall�
des Wagnerschen Antisemitismus gewesen sei.
Im Gegensatz zu dem perfiden und feigen Versteckspiel des jungen mittellosen
exilierten, weithin verkannten Musikdramatikers um das Pseudonym �Karl Freigedank�
herum, unterzeichnete ein nunmehr erstarkter und breitgef�chert akzeptierter Richard
Wagner mit dem eigenen vollen Namen. Das Pamphlet erschien im M�rz 1869 als
Brosch�re im J. J. Weber Verlag in Leipzig. Wagner versah es mit einem kurzen
Vorwort und einer langen Erl�uterung im Nachsatz.
43
In den Jahren zwischen der gescheiterten Revolution von 1848 und den siebziger
Jahren des 19. Jahrhunderts hatte die allgemeindeutsche Judenemanzipation und
Konfessionsgleichstellung rasche Fortschritte gemacht. Wagner sah sich im Jahre 1869
mit einem Ausma� �drohenden� Einflusses von gleichgestellten Juden in der
Gesellschaft gegen�ber, welches seine wiedererstarkten antisemitischen Aggressionen
und Aversionen dem Judentum gegen�ber hervorrief.
Die Neupublikation von �Das Judenthum in der Musik� muss also als unmittelbare
Reaktion auf diesen Gleichstellungsschub im Jahre 1869 gesehen und verstanden
werden. Einen wesentlichen Einfluss auf die antisemitischen Eruptionen Wagners im
Jahre 1869 hatte der Aufsatz �Was ist deutsch?�, welcher dem Briefwechsel Wagners
mit K�nig Ludwig II. entnommen ist. Darin versuchte Wagner mit allen ihm zu Gebote
stehenden publizistischen Mitteln den K�nig (allerdings v�llig ergebnislos) f�r seine
antisemitische Einstellung zu gewinnen.
Noch im Jahre 1882, im Zuge von Querelen zwischen Wagner und Ludwig II. um die�berlassung der K�niglich M�nchnerschen Hofkapelle und deren j�dischen Leiters f�r
die Urauff�hrung von Parsifal in Bayreuth, schreibt Wagner an den K�nig prophetisch
vorausgreifend:
�Der ich mit mehreren dieser Leute freundlich mitleidsvoll und teilnehmend verkehrte,
konnte ich dies doch nur auf die Erkl�rung hin erm�glichen, dass ich die j�dische Race
f�r den geborenen Feind der reinen Menschheit und alles Edlen in ihr halte: dass
namentlich wir Deutschen an ihnen zu Grunde gehen werden, ist gewiss, und vielleicht
bin ich der letzte Deutsche , der sich gegen den bereits alles beherrschenden
Judaismus als k�nstlerischer Mensch aufrecht zu erhalten wusste�.
�berhaupt machte Richard Wagner anl�sslich des von ihm selbst und seiner
k�nstlerischen, finanziellen und politischen Ma�losigkeit verschuldeten Scheiterns
seiner M�nchner Pl�ne und den erneuten Gang ins Exil nahezu fiktiver �j�discher
Verschw�rer� in M�nchen verantwortlich.
Dies stachelte den in der zweiten H�lfte der 1860ziger Jahre angewachsenen Zorn
Wagners gegen�ber der insgesamt als feindlich imaginierten �j�dischen Race" auf,
welcher in der Aufsehen erregenden Neupublikation des �Judenthums in der Musik�
eben am Ende jener 1860ziger Jahre einm�ndete.
Die zersetzende, Wagners Text und Musik als Ingredienzien eines gewaltigen Bluffs
verortete Rezension der Urauff�hrung der �Meistersinger� in M�nchen durch den Kritiker
Eduard Hanslick lie� das Fass antisemitischer Aggression in Wagners Denke
sprichw�rtlich �berlaufen und gab somit einen letzten Anschub der Neuedition des
Judentraktates.
Der Wiener Rezensent Eduard Hanslick hatte sich von der anf�nglichen Bewunderung
des jungen Richard Wagner zum nunmehr sch�rfsten und gef�hrlichsten Gegner des
selbsternannten Musikdramatikers entwickelt. Die Tatsache, dass Hanslick Jude war,
stachelte Wagner zu besonderem Hass gegen�ber dem m�chtigen Rezensenten auf
und verleitete ihn dazu, diesen mit der Figur des Merkers (also Kritikers) Sixtus
Beckmesser in dem Personenstab der �Meistersinger� zu karikieren. (Die Figur sollte
anfangs sogar Hans Lick hei�en.)
Hanslick schrieb also: �Nicht die Sch�pfung eines echten Musikgenies haben wir
kennengelernt, sondern die Arbeit eines geistreichen Gr�blers , welcher -ein
schillerndes Amalgam von Halbpoet und Halbmusiker � sich nach der Spezialit�t seines
in der Hauptsache l�ckenhaften in Nebendingen blendenden Talentes ein neues
System geschaffen hat, ein System, das in seinen Grunds�tzen irrig, in seiner
konsequenten Durchf�hrung unsch�n und unmusikalisch ist�.
44
Hanslick legt dabei die beiden zentralen eklatanten Schw�chen im Getriebe von
Wagners gesamten musikdramatischen Wirken blo�. Die Tatsache das der �Halbpoet�
Wagner die Poesie stets nur zweckdienlich, anhand der Massvorgabe seines
dramatischen Anliegens betrieb, bedingt, das solche sklavisch linear aufgefasstes
Versgeschmeide sich niemals zu der Wirkm�chtigkeit eines unbedingten freien
Aufschwungs an einem entgrenzten, poetischen Horizont f�hig sein kann.
Des weiteren verdeutlicht Hanslick, dass der �Halbmusiker� Richard Wagner,
beschwert auch von seiner mangelhaften musikalischen Ausbildung, eine wiederum
nur der tonk�nstlerischen Entsprechung eines verbalen und dramaturgischen
Leitfadens, oder besser: eines Konstruktes dienende, ohne Ansehen harmonischer
Gesetzm��igkeiten und des formalen Gestaltungswillens, geschaffene lineare Musik
vorlegte, welche rein musikalisch besehen, schlichtweg nichts taugt.
In der Neupublikation ereiferte sich Wagner unter anderem �ber die Heimat-und
Musikstadt Leipzig und schm�ht dabei auch wieder das Andenken Mendelssohns,
welcher der Stadt eine �eigentliche musikalische Judentaufe� erteilt und jene dadurch
zur �Judenmusikweltstadt� gemacht habe. Ausf�lle wie jene gegen das �moderne
Israel�, den �Judenjargon�, das �Musikjudentum� und die �Musikjuden� folgten.
Wer sich angesichts dieser Schlagworte unwillk�rlich an die verb�rgte Hetzsprache
des Nazi-Regimes erinnert f�hlt, tut dies zu recht: so unglaublich vieles war schon
bereits von Wagner aus-und vorformuliert worden und brauchte nur aufgegriffen und
angewandt zu werden.
Zentraler Punkt des Schreibens ist die Suggestion einer abwegigen paranoid
empfundenen �j�dischen (Musik-) Weltverschw�rung gegen Person, Werk-und Ruhm
Richard Wagners�. (J. M. Fischer)
Was Wagner in Wahrheit selbst mit nachhaltigem Erfolg betrieb, die umfassende
Zerst�rung des Werkes und Ruhmes eines angesehenen Komponisten mit
publizistischen Mitteln, w�hnt er mit pathologischem Eifer, quasi wie ein Schattenboxer,
auch gegen sich selbst gerichtet.
Er schrieb also: �Denn �ber Eines bin ich mir klar: so wie der Einfluss, welchen die
Juden auf unser geistiges Leben gewonnen haben, und wie er sich in der Ablenkung
und F�lschung unserer h�chsten Kulturtendenzen kundgibt, nicht ein blo�er, etwa nur
physiologischer Zufall ist, so muss er also auch als unleugbar und entscheidend
anerkannt werden. Ob der Verfall unserer Kultur durch eine gewaltsame Auswerfung
des zersetzenden fremden Elementes aufgehalten werden k�nnte vermag ich nicht zu
beurteilen weil hierzu Kr�fte geh�ren m�ssten, deren Vorhandensein mir unbekannt ist.�
Wagner blickt also dabei prophetisch in die Zukunft und sieht dort Kr�fte
heraufd�mmern, welche er in seinen Schriften mit gewaltigen Worten wiederum selbst
heraufbeschworen hatte.
Wagners Person geriet denn in den sp�ten 1860ziger und in den 70ziger Jahren auch
zu einem Empf�nger von quasi umfassendem, unbedingtem, royalem Anspruch
zahlloser antisemitischer Denk-und Hetzschriften oder wurde, besser gesagt, dar�ber
hinaus gar zum geistigen F�hrer einer neuen antisemitisch-politischen Bewegung in
Deutschland.
Im Privatleben Wagners, welches sich so treffend in Cosimas Wagners Tageb�chern
�berlieferte, herrschte denn auch die Meinung vor, mit der Neupublikation des
45
Judentraktates den Anfang der Antisemitismusbewegung der 1870ziger Jahre gegeben
zu haben und so reflektierte Cosima Wagner im Tagebuch stolz und frohgemut: �Wir
lachen dar�ber, dass wirklich, wie es scheint, sein Aufsatz �ber die Juden den Anfang
dieses Kampfes gemacht hat�.
Jens-Malte Fischer fasst im Abschluss seines Kapitels �Die Wirkung der Brosch�re
von 1869� denn auch folgerichtig zusammen: �Er (Wagner) gab der zehn Jahre sp�ter
ausbrechenden massiven Antisemitismuswelle eine Art Anschubfinanzierung, und so ist
seine und Cosimas Befriedigung dar�ber, da� die Brosch�re den Anfang gemacht habe,
leider von der historischen Wahrheit nicht sehr weit entfernt.�
Und so schrieb Eduard D�hring im Jahre 1881 in seinem Pamphlet �Die Judenfrage als
Rassen-, Sitten-und Kulturfrage�, welches sich zu einem ma�geblichen Werk innerhalb
des deutschen Antisemitismus der Kaiserzeit entwickelte (in der 5.ten Auflage aus dem
Jahre 1901: (So) �soll ihm das Verdienst nicht bestritten werden, als selbstst�ndiger
Schriftsteller schon fr�h in die Judenfrage eingegriffen und einige mit der Kunst
zusammenh�ngende Eigenschaften sowie die geheime literarische Verfolgungssucht
der Juden zur Sprache gebracht zu haben�.
Das Fatale an der Neupublikation der Judenschriebs ist doch jenes: In einem Umfeld
des obskuren Publizierens antisemitischer Wirrk�pfe, welche die zeitgen�ssische
Intelligenz nicht akzeptierte oder ernst nahm, werden hier die antisemitischen Thesen
von einer gewichtigen, weithin ber�hmten Musikpers�nlichkeit deutschen ja
europ�ischen Ranges �ffentlich vertreten.
Der von Wagner und seinem Gefolge initiierte, von der Gr�ndung Wahnfrieds an bis
zum Untergang Bayreuths im Jahre 1945 bestehende Bayreuther Kreis, verbreitete
unausgesetzt �ber das Sprachrohr der Bayreuther Bl�tter die von Wagner und seinem
Ruhm so fatal geadelte, in den Rang eines deutschen und europ�ischen Diskurses
erhobene antisemitische Denke Wagners.
Jens Malte Fischer gemahnt in dem Kapitel �Die Nachwirkung� aus �Richard Wagners
Das Judentum in der Musik� eindringlich die Gef�hrlichkeit dieser zersetzenden, alle
Bindungen b�rgerlicher Ordnungen bis zum Ausflocken der einzelnen Bestandteile und
Gesetzm��igkeiten agierenden oder reagierenden Thesen.
Und somit ist eine allgemeine �meist ausgesprochene, gelegentlich auch
unausgesprochene Traditionslinie der Berufung auf Richard Wagner in allen Aspekten
der Judenfeindschaft vom Ende des 19. Jahrhunderts ungebrochen bis ins �Dritte Reich�
hinein feststellbar, und vor allem im Zusammenhang von Kunst und Kultur, speziell von
Musik� (Fischer).
Um 1870 herum trat auch der Leipziger Publizist August Rei�mann; ein ehemaliger
Konservatoriumssch�ler Felix Mendelssohns mit Schriften an die �ffentlichkeit. In
diesen vermochte er es kaum, das Werk dieses Komponisten im Stande gebotener
�sthetischer Eigenst�ndigkeit zu beurteilen. Vielmehr unterwarf er es erneut dem
alleinigen Ma�stab musikalischen Fortschritts. Es verdeutlicht sich erneut, wie dominant
sich dieses von der "Neudeutschen Schule" kultivierte Dogma in jenen Jahren
geb�rdete � wie sehr die sachlich �sthetische Analyse von Musik als eines Sprachrohrs
nur in eigener Sache damals verunm�glicht war.
Reissmanns Mendelssohn-Traktat ist allein durch sein Benehmen bemerkenswert, die
antisemitischen Theorien und speziell auf Mendelssohn gem�nzten abf�lligen Invektiven
46
einer angeblich oberfl�chlichen angekr�nkelten j�dischen Psyche sowie synthetischen
k�nstlerischen Empfindens aus Wagners "Judenthum" nahezu identisch in den
unverd�chtigeren Tonfall "objektiv" musikwissenschaftlichen Theoretisierens �bertragen
zu haben. Er gab somit einer Entwicklung eines Kataloges musikalisch absolut
vorgetragener, scheinbar von den offenkundigen antisemitischen Stossrichtung des
Wagnerschen Traktates g�nzlich befreiter, negativer Mendelssohn-Stereotypisierung
erheblich Vorschub.
Reissmann schreibt also:
"Mendelssohns ganze Erziehung hatte in ihm fr�h jenen genialen Sinn f�r
Formvollendung ausgebildet, der es im Grunde verhinderte, dass seine Individualit�t
sich wirklich selbstsch�pferisch und neu gestaltend vertiefte (...) Fr�h leitete ihn das
Bewusstsein von der idealsch�nen Form, in welche er seine Individualit�t zu ergie�en
strebte, diese aber war weder sehr tief noch �beraus reich ausgestattet (...) Mit
rastlosem Fleisse (...) hatte er sich die unumschr�nkte Herrschaft �ber alle Mittel der
musikalischen Darstellung angeeignet, aber er verwendet diese immer nur nach dem
durch seine Individualit�t beschr�nkten Ma�e (...) Er stellt seine leichter entz�ndbare
Phantasie, sein rascher und m�chtiger erregtes Interesse unter die Herrschaft fremder
Einfl�sse.
Bach und H�ndel, Mozart und Beethoven (...) gewinnen Anteil an seiner Innerlichkeit
aber nur so weit sie eben Raum darin finden, sodass diese selbst nicht gerade
gewaltiger und tiefer wird. (...) Mendelssohns Phantasie wird von der des Dichters nur
angeregt; der Meister empfindet die fremde Dichter-Individualit�t nur in dem
beschr�nkten Rahmen seiner eigenen und vermag sie daher auch nicht umzudichten
(...) Selbst jetzt, nachdem uns der ganze Mendelssohn bekannt ist, wird es nicht leicht,
in den Liedern op. 8 und 9 die besondere Weise seines Empfindens zu erkennen, weil
hier das Fremde und Angelernte �berwiegt. (..) Sie sind alle im Sinne und Geiste der
gr��ten Meister empfunden, aber der Ausdruck ist auf jenes Ma� zur�ckgef�hrt und
abgeschw�cht, das ihm f�r die ganz grosse Allgemeinheit Giltigkeit gibt und daher den
Liedern die weiteste Verbreitung sichert. Die Lyrik Mendelssohns wurde so (...) zur
Massenlyrik. (...)
Mendelssohn f�hrte mit seinen "vierstimmigen Liedern im Freien zu singen" auch dem
Chorliede alle die in seiner Individualit�t abgekl�rten Elemente des Musikempfindens
seiner Zeit zu (...) Der vierstimmige Liedergesang stellt nirgends Anforderungen, die
au�erhalb der Individualit�t unsres Meisters liegen. Subjective Vertiefung wie die
Verdichtung zu grossen und weit angelegten Tonbildern sind dem Chorliede ebenso
fremd wie unserem Meister. Die besonderen Feinheiten des Empfindens finden nat�rlich
nur so weit Ber�cksichtigung als sie sich im Chorliede darstellen und dem
Gesamtempfinden vermitteln lassen -und hierin ganz besonders liegt Mendelssohns
un�bertroffene Meisterschaft. " ("Die drei grossen Meister der musikalischen Lyrik" in
"Die Tonhalle", Leipzig vom 9.11.1869)
In Er�rterungen der "Kunst-und Kulturgeschichtlichen Bedeutung" Mendelssohns
verweist Reissmann zwar auf den hohen Rang der "ewig g�ltigen Kunstwerke, welche"
Mendelssohn in "sch�pferischer Wirksamkeit f�r die gesamte Kulturentwicklung",
hervorgebracht habe, gibt aber des gleichen zu bedenken, da� man Innovation
vergleichbaren Ranges hinsichtlich "Weiterbildung der Kunst" und eines "neuen
Ton(es)...der zur Weiterverfolgung anregte" nicht zu erkennen verm�ge.
47
Verbl�mt, in umsichtig, taktvoll erwogener Formulierung, wird hier der Einsch�tzung
Vorschub geleistet, das Mendelssohns Musik zwar unbestreitbar den Geschmack zeitgen�ssischer
H�rerschaft vollg�ltig befriedigte, H�rern k�nftiger Generationen aber wohl
kaum noch wesentliches zu sagen verm�chte.
Solch Ausma� nachhaltig um sich greifender Mendelssohn-Verfemung riefen Freunde
und Weggef�hrten wie den Komponisten und Dirigenten Ferdinand Hiller zur
Verteidigung von Namen und Rang Mendelssohns auf.
Hiller ver�ffentlichte im Jahre 1874 ein Gedenkb�ndchen, welches der �ffentlichkeit
"Briefe und Erinnerungen" zug�nglich machte. Im Vorwort machte Hiller aus dem Anlass
der Publikation keinen Hehl und schrieb daher:
"Verehrer Mendelssohns haben es mir vorgeworfen, nicht schon vor l�ngerer Zeit mit
Mitteilungen �ber ihn hervorgetreten zu sein. Vielfache Gr�nde hielten mich davon ab.
(...)
Jetzt aber trete ich um so freier mit diesen von dem Dahingeschiedenen so
liebenswerte Z�ge enthaltenen Bl�ttern hervor, als er, einer der sch�nsten und hellsten
Sterne am Himmelsgew�lbe deutscher Kunst, gerade in seinem Vaterlande, von dem
Unverstand, der Urtheilslosigkeit und dem Neide Angriffe erf�hrt, welche nur denen, von
welchem sie ausgehen, zur Unehre gereichen; denn der Glanz, in welchem sein Name
erstrahlt, zu verdunkeln wird ihnen nimmer gelingen. Das Gold widersteht dem Roste.
("Felix Mendelssohn-Bartholdy, Briefe und Erinnerungen, K�ln 1874)
In den 70ziger Jahren des 19 Jahrhunderts verfielen Rezensenten zunehmend darauf,
Mendelssohns Klavierwerke explizit in den Rang oberfl�chlich brillanten
Demonstrationsrepertoires pianistischer F�higkeiten von Nachwuchsk�nstlerinnen zu
erheben. So schrieb die "Tonhalle" im April des Jahres 1870:
"Fr�ulein Mehlig spielte die Pianopartie des sch�nen Es-Dur Trios, Phantasiest�cke von
Schumann, Pr�ludium und Fuge von Mendelssohn (...) Hier war ein gro�es Feld reicher
Kontraste! Schumanns tief innerliches Phantasiest�ck neben Mendelssohns ma�vollem
und glattem Pr�ludium".
Am 2.ten November hei�t es ebenda:
� Wenn wir in dem herrlichen Bachschen Pr�ludium und Fuge, (...) von den gro�artig
unruhigen Tonwellen und dem markigen Fugenthema fortgerissen wurden, so war auch
die Klangwirkung des Mendelssohnschen Adagios von dem weichesten Charakter
durchweht."
Am 7. Dezember schrieb die "Tonhalle" wiederum:
"Einen h�chst erfreulichen poetischen Reiz gew�hrten die Claviervortr�ge der
sechzehnj�hrigen Frl. Emma Brandes aus Schwerin. Wenn eine so jugendliche
Pers�nlichkeit sich an ein St�ck wagt, wie das G-Moll-Concert von Mendelssohn, (...) so
will das viel sagen. (...) Wir mussten uns bei dem Spiel der Frl. Brandes gestehen, was
zu ahnen noch kein K�nstler bei uns veranlasst hatte, da� das G-Moll-Concert dem
Ausf�hrenden, wenn er von musikalischer Intuition durchdrungen ist, bei dem Spielen
dieses scheinbar mehr f�r die gl�nzende Entwicklung wahrer Technik geschriebenen
St�ckes Gelegenheit giebt, alle Vorz�ge eines vortrefflichen Clavierspielers zu
offenbaren.
48
Abschlie�end sei die Ausgabe vom 14.12.1870 zitiert:
"Die noch im kindlichen Alter stehende Pianistin Laura Kahrer, welche sich bereits in
mehreren bedeutenden St�dten mit Erfolg produziert hat, gab ein Concert, das in vieler
Beziehung Staunen zu erregen geeignet war. (...) Die Handgelenke (...) sind auffallend
elastisch und bef�higen zu erstaunlich leichtem und graci�sem Octavenstaccato und
�berhaupt leise �ber die Tasten hingehenden so genannten Mendelssohnschen
Clavierfiguren."
11. Gl�cklicher Mensch! Dich erwartet wohl nur ein kurzes Ephemeren-Leben!
"Gl�cklicher Mensch! Dich erwartet wohl nur ein kurzes Ephemeren-Leben, aber Liebe
Gl�ck und Kunst haben es aus Licht und W�rme Dir gewoben! Zieh hin und sinke, wenn
es sein muss, wie alles Sch�ne im Fr�hlinge dahin!"
Euphemistisch belegt Adele Schopenhauer die au�erordentlichen Wirkung, welche der
12-j�hrige Knabe Felix auf die Schwester des Philosophen und allgemein aus�bte.
Dar�ber hinaus nimmt sie prophetisch die Geschicke Felix Mendelssohns in
zwiefacher Hinsicht vorweg. Den Lebensweg des Komponisten zum einen; �u�erlich
wahrnehmbar scheinbar ein einziger H�henflug.
Zum zweiten: den stereotypen R�ckschluss von privilegierter Biographie auf die
musikalische Substanz von Kompositionen, welcher sich in zunehmend ver�u�erlichter
Betrachtung des Sujets durch Musikologen in der 2. H�lfte des 19. Jahrhunderts
herausbildete. Vom 3. Weg, dem inneren Weg des musikalischen Humanisten in eine
substantielle emotionale und musikalische Melancholie hinein, in die Gewissheit um das
Vergehen einer Epoche, welche entscheidende gesellschaftliche Ver�nderung durch
Kultur und Bildung f�r m�glich hielt; in die finale Gewissheit, versagt, das Hauptziel,
vermittels Musik die Menschen innerlich zur Vervollkommnung und Erkenntnis
anzuleiten, nicht erreicht zu haben, konnte Adele Schopenhauer nichts vorausahnen,
wollten besagte Musikologen nichts erahnen.
Sie �berlagern sich mit der sachfremden Argumentation einer Musikwissenschaft
sp�terer Zeiten, welche die idealisierte Gleichsetzung der Betrachtung von Werk und
Person eines Komponisten zum Dogma erhob.
Bedeutsame Musik: komponiert von einem Menschen, dem es, frei von materiellen
Sorgen, geliebt, k�nstlerisch von jeher gef�rdert und vorbehaltlos akzeptiert,
nachweislich immer wohl erging? Wie w�re das m�glich?
In einer �bersteigert-romantischen Vorstellung jener Jahre von Kunst als
entsagungsvoller Verpflichtung rang das wahre Genie -der Heros des Judenaufsatzes abseits
von Anerkennung oder Lebensgl�ck um meisterliche musikalische Wahrheit.
Erst sp�t oder niemals fand so das Werk bedeutender K�nstler zu Lebzeiten
Anerkennung. Das pers�nliche Leid des K�nstlers als zuverl�ssigster Indikator
k�nstlerischer Gr��e, dem Ma�stab einer beinahe mathematisch vorgenommenen
Relativierung unterworfen: Je mehr pers�nliches Leid, desto bedeutsamer das Werk.
49
Wies nicht allein der Vorname Mendelssohns symboltr�chtig darauf hin, wie sehr sich
Gedanken an Genialit�t und Meisterschaft hinsichtlich seines Werkes ausschlossen:
"Felix" - "der Gl�ckliche"!
Intermezzo II: "Felix! Tust Du nichts?!"
rief Mutter Lea stets, wenn der Knabe sich ins Plaudern verstieg und er sich somit des
M��iggangs hingab. Auch der zum Manne herangereifte Felix Mendelssohn mochte
diesen zu unabl�ssigem Bildungsfleisse anspornenden Ruf innerlich noch oftmals
vernommen haben.
"Nun ist Gl�ckhaben noch kein pers�nliches Verdienst; entscheidend ist, wie einer sein
Gl�ck empf�ngt und verwaltet (...) Betrachten wir also die Lebensstationen dieses in der
Tat vom Gl�ck beg�nstigten K�nstlers, der (...) das ihm Zugefallene t�glich in harter
Arbeit bis zur Ersch�pfung sicherte, (...) der mit der B�rde "Gl�ck" in einem nur kurzen,
sich selbst verzehrenden Leben fertig werden musste." gibt Eduard Kle�mann in "Die
Mendelssohns -Bilder einer deutschen Familie" im Hinblick auf die tiefschichtiger
erkennbaren Aspekte eines Felix Mendelssohn Bartholdy zuerkannten �berma�es
gl�cklicher Lebensumst�nde zu bedenken.
Das stereotyp wiedergegebene Genrebild vollendeter Sorgenlosigkeit ignoriert
demzufolge das Desinteresse Mendelssohns an potentiellem gro�b�rgerlich-
materiellem M��iggang.
Allein die Leipziger Jahre zeigen Momente einer Schaffensverpflichtung auf, welche
nahezu etwas Getriebenes, Psychopathologisches in sich tragen. Die Vermutung, da�
die Ruhelosigkeit eines im innersten Wesen zutiefst unsicheren Menschen, die sich
auch in leichter Reizbarkeit, den verb�rgten raschen Dirigiertempi und der H�ufigkeit der
Tempovorgaben Presto, Molto vivace, Molto allegro con fuoco in den Kompositionen
�u�erte, zu �berarbeitung, Depression und vorzeitigem Tode des Komponisten
beitrugen, liegt nahe.
Das Klischee schmerzgeboren titanesker Kreativit�t des Genies, welchem ein in
pastoral-�therischer Idyllik dargestellter "Felixissimus" nicht zu gen�gen vermochte,
wurde von der Musikpublizistin La Mara in ihrer Darstellung von "Musikalischen
Studienk�pfen" trefflichst bedient. Auch hier firmiert nicht der wahre Name einer Autorin;
die eigentlich auf den Namen Marie Lipsius h�rte. Gleich zu Beginn ihrer Darstellung
hei�t es:
"Auf lichten H�hen wandelte er sorglos dahin, unangefochten von N�then und
Bedr�ngnissen des gemeinen Lebens, frei von Zwiespalt und Kampf, wie sie die
K�nstlerseele so h�ufig beschweren".
Als ob �sthetisches R�sonieren und kreatives Handeln den Anforderungen des
Kriegsfalles unterworfen sei, der K�nstler sich in Wahrheit also am Ma�stab
vaterl�ndischen Gemeindienstes als substantiell erzeigte, behauptet La Mara Lipsius in
wahrhaft martialischer Gestimmtheit:
"Ein Heldencharakter freilich wird nicht im Sonnenlichte gezeitigt, er bedarf der Schatten
und K�mpfe von grossen Schmerzen.
50
So ist auch Mendelssohn kein Heldencharakter geworden, nicht das, was man einen
Heros der T�ne nennt. Ihm fehlt die genialische �berf�lle, die himmelanst�rmende
Kraft, die k�hne Urspr�nglichkeit, die jenen macht.
Nicht in die n�chtigen Tiefen innerlichen Ringens und K�mpfens ist er
hinabgestiegen, eine Welt in sich befriedeter Sch�nheit und wolkenloser Klarheit ist es,
darin seine Mu�e zu verweilen pflegt.
Aus solch Zerrbildnis heraus betrachtet, �berzogenen Anspr�chen an
Allgemeinverbindlichkeit kulturellen Wirkens sowie Vers�umnissen hinsichtlich
biographischer Wahrheitspflicht geschuldet, war wohl kaum noch angemessene
Darstellung des Oeuvres eines so beschriebenen Kompositeurs vorstellbar.
La Mara leistet viel eher einem verh�ngnisvollen Kulturdarwinismus vom Schlage
Wagners Vorschub, welcher die K�nste dem Gesetz des Pathos unterwarf. Das
Pathetische allein ist diesem zufolge gro� und wahr; nur der K�nstler, welcher des
Lebens M�hsal den Pathos abrang.
Das von La Mara vorgestellte Bild gemahnt an die symboltr�chtige Fabel von der Grille
und der Ameise. Letztere bem�ht sich im Verborgen und finsteren um
�berlebenswichtiges Gut, w�hrend die Grille sich Sommers t�ndelnd, musizierend im
fl�chtigen Beifalle sonnt und den Winter nicht zu �berstehen vermag.
12. Von der E-Musik und der U-Musik
Auch die Kluft zwischen den Ebenen Popul�rmusik und Hochkultur best�rkte eine
Musikwissenschaft, welche Werk-und Rezeptions�sthetik von Musik als selbstverst�ndliche
Einheit auffasste, in ihrem Vorbehalt, es letztendlich nicht mit einem E-
sondern mit einem U-Musiker zu tun zu haben. Die akademische Musikpflege durch
Musikologen, Rezensenten und professionelle Instrumentalisten begann das Bild
Mendelssohns als �Epigonen, faden �Klassizisten� und �schwindender Gr��e�
festzuschreiben. Die Pr�senz seiner Werke auf den Konzertpodien schwand.
Chorges�nge und Klavierkompositionen erfreuten sich in der Haus-und Volksmusik
hingegen ungebrochener Beliebtheit.
Nun offenbart sich darin eine aus allen kulturellen Traditionen vertraute Tendenz
intellektueller akademischer Erhabenheit, welche sich mit Heranbildung und dem
wachsenden gesellschaftlichen Einfluss bildungsb�rgerlicher Strukturen auspr�gte.
Es war im 18. und fr�hen 19. Jahrhundert weniger Ausnahme als Regel, da�
Kompositionen der bedeutendsten Tonsch�pfer Volkst�mlichkeit erlangten oder gar
gezielt f�r den popul�r-oder semipopul�rmusikalischen Bereich entstanden. Mozart
hatte keinerlei Schwierigkeiten, neben den ersch�tternden psychischen Vertiefungen
des "Requiem" und der Titusoper auch Vogelf�ngerarien f�r die Wiener Vorstadt zu
schreiben. Mozart-Kompositionen wie das nurmehr volksliedhaft rezipierte �Komm,
lieber Mai und mache....�, das ber�ckende �Rondo alla turca� f�r Klavier sowie die
Streicherserenade �Eine kleine Nachtmusik gingen ins b�rgerliche Popul�rmusikgut ein.
Auch das Schaffen Haydns (�Meine Mutter schickt mich her, ob der Kaffee...� nach der
Symphony Nr. 94 �Mit dem Paukenschlag� und jenes Beethovens ("F�r Elise") blieben
nicht ohne Einfluss darauf.
51
Melodien aus Carl Maria von Webers �Der Freisch�tz" wurden bereits Tage nach dem
�berw�ltigenden Premierenerfolg in den Strassen Berlins nachgesungen und �gepfiffen.
Lieder wie �Der Lindenbaum�, �Das Wandern ist des M�llers Lust� von Franz Schubert
oder �Guten Abend. Gute Nacht� von Johannes Brahms z�hlten im 19. und fr�hen 20.
Jahrhundert zum Volksliedgut. Die Musikforschung hantiert hier in der Abstrafung
popul�ren mendelssohnschen Volksgutes gegen�ber jenem von Mozart, Haydn oder
Brahms offenkundig mit zweierlei Ma�.
Der Vorwurf bezeichnender, exorbitanter Popularit�t einzelner Mendelssohn-
Kompositionen l�sst vielmehr Subjektivismus, Voreingenommenheit erkennen. So bleibt
nur noch eines von Interesse: wann der gemeinhin sanktionierte Bruch zwischen
popul�r-musikalischer und neuzeitlich professionell aufgefasster Musiktradition exakt
einsetzte; wen der akademische Bannstrahl traf, wen er verschonte. Eric Werner
definiert die Aufl�sung gemeinschaftlicher Verwurzelung von �Kunst� und
�Gebrauchsmusik� in der Tradition h�fischen Musizierens in der sich zunehmend
verb�rgerlichenden �gide Franz Schuberts, also den Zeiten des Metternichregimes in
den Jahren um 1820. Die Instrumentalmusik spaltete sich demzufolge in die nunmehr
unvereinbaren, autonom sich fortentwickelnden �Ebenen der �reinen� Kunst, die
klassisch-romantische Kammer-und Symphoniemusik sowie die Ebene des Popul�ren
jedweder Operetten-und Tanzmusik jener Zeit und der Salonmusik f�r Klavier, Harfe
oder das kleine Ensemble der Gartenrestaurants�
Die auf solch chronologischer, kulturgeschichtlicher Betrachtung beruhende Analyse
musste also res�mieren, das Mendelssohn als �seri�ser� Musiker den �Fehler� beging,
diverse, nurmehr �Kleinmeistern� zuerkannte, Popul�rmetiers wie romantische
M�nnerch�re, �Lieder, im Freien zu Singen�, Duette und Quartette, Klavierminiaturen
etc. weiterhin bedient zu haben. M�glicherweise mit dem Drang zu solchen Formen gar
seinen wahren k�nstlerischen Gehalt aufgedeckt zu haben. Aber auch dieser Weg f�hrt
in der Frage: definitive Einsch�tzung eines Komponisten aus seinem kleinteiligen
F�llwerk heraus keineswegs weiter. Andere Komponisten haben eine Unzahl von
Gelegenheitskompositionen geschrieben oder mit ihrem Werk dezidiert auf
Popul�rformen Bezug genommen, ohne im Ansehen im Mindesten Schaden genommen
zu haben.
Schubert, Schumann und Brahms haben gleichwohl Vokalduette und �Quartette und
M�nner-, Frauen-, Gemischtchors�tze a capella bzw. instrumental minimal begleitet
komponiert, Klavierpoesien sch�tzen wir vergleichbar bei Robert Schumann. Gerade
das Oeuvre Richard Wagners weist einen immensen Bestand von
Gelegenheitskompositionen, Repr�sentativ-Ch�ren und �M�rschen etc. auf; Werken,
welche dem musikalischen Niveau des eigentlichen Musikdramatikers in keiner Weise
entsprechen und demzufolge heute vergessen sind. Das kammermusikalisch als hoch
stehend eingestufte �Siegfried-Idyll� entstand nachweislich als improvisiert, im
Treppenhause dargebotenes Geburtstagsst�ndchen an Wagners Gattin Cosima.
�Sowohl der �Pilgerchor� und der �Einzug der G�ste auf Wartburg� aus der Oper
�Tannh�user�, als auch die Chorensembles des �Fliegenden Holl�nder�, die
Vasallench�re in �Lohengrin� orientierten sich unmittelbar am Vorbild Mendelssohnscher
M�nnerchortableaus; der von Mendelssohnscher Feiermusik inspirierte Brautchor im 3.
Akt Lohengrins z�hlt neben dem Hochzeitsmarsch aus der "Sommernachtstraum"-Musik
zum Archetyp romantischer Hochzeitspi�cen.
52
Des Weiteren geh�ren die �Holl�nder� und �Tannh�userch�re� zumindest noch heute
zum Kernrepertoire gr��erer Feuerwehr-, Polizei-und Volkschorvereinigungen. Welche
seri�se Musikrezeption s�he den Wert zahlreicher Opern vor allem der mittleren Periode
von Verdis Schaffen dadurch geschm�lert, da� sie sich exzessiv des hochpopul�ren
Idioms italienischer Banda-Musik bedienten. Der grosse Johann Strauss II hat kaum
anders als f�r popul�r-oder repr�sentativmusikalische Anl�sse geschrieben und geh�rt
selbstverst�ndlich zum Repertoire f�hrenden Symphonieorchester aller L�nder und
Kontinente. Die Beliebtheit der Mendelssohn-Ch�re: Oh, T�ler weit, oh H�hen...�, �Wer
hat Dich, Du sch�ner Wald...�, der Lieder: �Es ist bestimmt in Gottes Rath.�, �Auf Fl�geln
des Gesanges...�, des �Fr�hlingsliedes� und anderer nachtr�glich mit Texten
versehenen "Lieder ohne Worte" sowie des anr�hrend-�therischen Weihnachtsliedes
�Hark, the herald angels sings.� verliehen Mendelssohns Schaffen in den Augen der
Musikwissenschaft in steigendem Masse etwas anr�chiges.
Das Ph�nomen ist erneut dem Heroisierunggedanken von Kunst in der zweiten H�lfte
des 19. Jahrhunderts geschuldet. Musikern, die als "deutsch", als "Heros" gesch�tzt
wurden, die um ihr Werk "gerungen", "gelitten" hatten, gestand man den �reinen
Volkston� in den Popul�r�usserungen als wahre und authentische �u�erung
bedeutender Meister zu. Die Popul�rnummern derselben wurden quasi durch den
idealen Tiefgang reinen absoluten Schaffens kanonisiert. Wie wenig zuvor dargestellt,
stellte man Mendelssohns Musik seinerzeit in Gesamtheit als �fein-empfindsam,
�sentimental�, �weibisch�, �geschmacksgef�hrlich� und somit �j�disch� dar. Da dem
Konzertwerk Mendelssohn Bartholdys die genannten Attribute �Genios� etc.
weitestgehend abgesprochen wurde, mochte man die Popul�rwerke demzufolge f�r die
�belsten sentimentalsten Ausw�chse eines in sich fragw�rdigen, seichten Schaffens
nehmen.
Hellsichtig verwies der Musikpublizist Wilhelm Heinrich Riehl bereits im Jahre 1850 auf
jene Aspekte einer kultursoziologische Biographie Mendelssohns, welche dessen
postmortale Reputation durch �sachfremde� Er�rterung und R�ckschlag auf das
musikalische Resultat zu gef�hrden imstande waren.
Riehl ver�ffentlichte in diesem Jahre innerhalb seiner Anthologie von Musikalischen
Charakterk�pfen den Essay "Bach und Mendelssohn aus dem socialen
Gesichtspunkte", welcher sowohl als Nachruf auf Felix Mendelssohn als auch eine
W�rdigung des Thomaskantors Bach zu dessen 100. Todestag verfasst wurde. Riehl
z�hlte eingangs als Unbefangener wahrheitsgem�� die humanen und soziologischen
Vorz�ge des Tonsch�pfers Mendelssohn auf. Diese wurden sp�ter in den Werken
anderer Autoren, in vergleichbarer rhetorischer Konzentrierung oder besser;
�berspitzung vorgebracht und sollten der musikbiographisch stereotyp vorgebrachten
Entwertung, ja Karikierung des Vorbildes dienen. Mendelssohn war somit �ein vielseitig
gebildeter, gesellschaftlich gewandter, wohlhabender, fein gesitteter Mann, in fast ganz
Deutschland bekannt, in allen auserlesenen Zirkeln gesucht.�
Wenngleich Riehl auch die Darlegung, wie sich �j�delnde Schreibart� jener Tage
musikalisch darstellte, schuldig bleibt; umrei�t er doch schl�ssig die integrale Position
Mendelssohns innerhalb eines zunehmend von bildungsb�rgerlichen Idealen
ausgepr�gten und getragenen Musiklebens des fr�hen 19. Jahrhunderts.
53
Riehl schreibt also:
�Er war der erste Musiker, welcher so recht f�r die �feine� Gesellschaft � im guten Sinne
des Wortes musizierte. (...) So schrieb auch Mendelssohn im Geiste dieser gebildeten
Gesellschaft, die sich jetzt ausgleichend und vermittelnd �ber alle St�nde hinzieht (...)
Es war bei seinem Auftreten etwas ganz neues, einem modern eleganten Musiker zu
begegnen (...), der Lieder setzte, ohne sich die einf�ltigsten Texte zu w�hlen, der
Kammermusik schrieb, ohne langweilig, und Salonmusik, ohne frivol zu sein, einen
Tondichter j�discher Abstammung, der nicht j�delte, w�hrend fast alle christlichen
Lieblingskomponisten des Tages j�delten. (...) Keine andere Kunst hat einen Mann
aufzuweisen, der in seinem k�nstlerischen Schaffen so ganz inmitten des sozialen
Lebens unserer gebildeten Kreise gestanden h�tte und wiederum so von diesen
verstanden und gew�rdigt worden w�re wie Mendelssohn".
Die augenscheinliche Affinit�t Mendelssohns zu seiner bildungsb�rgerlich-
musikalischen Umgebung, erweist sich auch in der fruchtbaren T�tigkeit des sich
dezidiert als Humanisten und Citoyen verstehenden Komponisten in Leipzigs Klima
aufgekl�rten b�rgerlichen Selbstbewusstseins. Im Gegensatz dazu sollte das Modell
einer zentralen, k�niglich preu�ischen Musikdirektion in Berlin, welche Friedrich
Wilhelm IV. von Preussen dem Komponisten andiente, so gar nicht funktionieren. Nicht
allein daher, weil diese den aktuellen Entwicklungen im Kulturbetrieb nicht mehr
entsprach.
James Webster legte das primitiv konstruierte Schema, aufgrund dessen sich im sp�ten
19. sowie im 20. Jahrhundert in semantischer Deckungsgleichheit bildungsb�rgerliche
relevante Vorurteile gegen Felix Mendelssohn herleiteten, in einem pr�zise erstellten
Diagramm dar:
Vorstellungen, die zum "Problem Mendelssohn" beitragen:
Kultur und Ideologie; Herkunft bzw. Pers�nlichkeit
B�rgerlichkeit
Reichtum; beg�nstigter sozialer Status
Zugang zu bedeutenden musikalischen Pers�nlichkeiten
Harmonisches Leben, ohne Kampf und Leid
J�dische Abstammung
Wunderkind; Leichtigkeit beim Komponieren
Erfolg
Bem�hungen um Erfolg; Anpassung an die Zuh�rer
Ideologie der Bejahung; Aufrichtigkeit; christliche Fr�mmigkeit
Musikgeschichte
Klassizistisch im Stil bzw. in der Wahl der Gattungen
Gr�ndliche konservative Musikerziehung; Pflege alter Musik
Analyse (=�sthetik)
Thematische Konstruktion
Melodisch; gleichm��ig; korrekter, kunstvoller Satz
Mangel an Prozessualit�t bzw. Problematisierung, Pflege alter Musik
54
Rhythmus
Periodengebunden; einheitlich
Einf�rmig bzw. undynamisch
Form
traditionell; �bersichtlich
�berkommen; blo�es "Geh�use"; undramatisch; unklassisch
Kammermusik
Faktur zu orchestral (z. B. Tremolo)
Innenstimmen "zu viel", dem bescheidenen Inhalt bzw. Dynamik gem��
Folgerungen f�r die Beurteilung von Mendelssohns Musik
Oberfl�chlichkeit; konventionell; sentimental
Mangel an k�nstlerischer Authentizit�t (Gewicht, Ausdruck, Tiefe)
Mangel an historischer Authentizit�t (unzeitgem��; epigonal)
Naiv (im Schillerschen Sinne); Mangel an Besonnenheit
Gattungsunterschiede
Nur kleinere bzw. periphere Gattungen ganz erfolgreich;
"Elfenmusik, Scherzi, Programmouvert�ren, Lieder ohne Worte
"Zentrale" Gattungen nur bedingt erfolgreich: Sinfonie, Konzert, Kammermusik,
gr��ere Vokalwerke
"Weiblich" und/oder "j�disch" eingestuft
13. Der sch�nste Zwischenfall der deutschen Musik
Was mag in der Psyche derjenigen, welche dieses auf pseudorevolution�r genialisch
ausgepr�gter Kulturdoktrin beruhende Schema konzipierten sowie derer, welche es inallgemeiner �bereinkunft bereitwillig rezipierten, eigentlich vor sich gegangen sein?
Im Vorwurf mangelnder k�nstlerischer Substanz Mendelssohns, welche sich angeblich
vermittels Anbiederung an herrschende Gesellschaftsschichten und den
vorherrschenden Publikumsgeschmack zu kompensieren trachte, manifestierte sich vor
allem folgendes: ein Dilemma stetigen Missverh�ltnisses zwischen k�nstlerischem
Anspruch und dem Zustand b�rgerlichen Seins neudeutscher Musiker und deren
Umfeld.
Wie die Biographien f�hrender Repr�sentanten derselben zeigen, waren jene
materialistischer oder politischer Konformit�t keineswegs abhold (Wagner, Liszt). Waren
zu jener wahren H�he, welche man einem Mendelssohn � genanntem Schema folgend
� insistierend absprach, selbst nicht berufen. (Dr. Eduard Kr�ger, Dr. Franz Brendel,
Theodor Uhlig, Hans von B�low, Cosima Wagner).
Eine Systematik egozentrischer Schizophrenie deutet sich an: diejenigen, welche Kunst
in der Funktion unausgesetzten gesellschaftlichen Widerstandes begriffen, auf �sthe
55
tischen Fortschritt, politische Umw�lzung dr�ngten, zielten gleichzeitig aber auf
k�nstlerische Akzeptanz und Vormacht sowie stetige m�zenatische F�rderung durch
kulturbewegte Bourgeoisie und das Feudalsystem ab.
Mit der symboltr�chtig systematischen Anprangerung mendelssohnscher
Gesellschaftsrelevanz leisteten jene vor allem eines: die �ffentlichkeitswirksame
Aufarbeitung eines Problems �sthetischer und gesellschaftlicher Arriviertheit, welches
sie letztendlich nur mit sich selbst auszuhandeln hatten.
Der Dirigent Hans von B�low, einstmals ein Pionier gezielter Mendelssohn-und
Schumann-Attacke, wurde in dem Masse zum erkl�rten Propagandisten
Mendelssohnschen Orchesterwerkes (ab Mitte der 70ziger Jahre d. 19. Jhdts.), wie er
sich aus dem Schatten Wagners zu l�sen vermochte. Und so ist in den Frankfurter
Notizen des Klaviersch�lers Vianna Da Motte aus dem Fr�hjahr des Jahres 1887 ein so
viel milderes Mendelssohn-Wort von B�lows als jene in st�rmischer Jugendzeit
ge�u�erten verb�rgt:
"Ein Lied ohne Worte von Mendelssohn ist f�r mich ebenso klassisch, wie ein Gedicht
von Goethe".
Die Musikpublizistik jener Jahre, als Genre nicht eigentlich k�nstlerisch t�tig, war zu
dieser Zeit in einem existentiellen Dilemma expandierender musikalischer Expressivit�t
und strikter b�rgerlicher Konventionen befangen. Dem gro�b�rgerlichen H�rer
entsprechend war sie, angesichts des Ph�nomens Mendelssohn Bartholdy, mehr denn
je einer Situation signifikanter Schizophrenie unterworfen.
Elementen wie materieller Sicherheit, einer penibel nach St�nden und Schichten
separierenden Sozialordnung und gesellschaftlichen Zw�ngen ausgesetzt, erwartete der
gro�b�rgerliche Musikbetrieb vom K�nstler als pittoresk pr�sentiertem Enfant Terrible
in staunender, erschauernder Ergriffenheit genialische Extraordinarit�t und soziale
Nonkonformit�t. Folgerichtig ward dem �K�nstler� Mendelssohn also verargt, vermittels
gl�cklich gef�hrter Ehe, beschaulichem Hausstande und umfassender gesellschaftlicher
Integrit�t exakt die Dinge zu symbolisieren, welche in sonstigen Lebensbereichen als
Dogma b�rgerlicher Lebensf�hrung sanktioniert wurden.
Uneingestandenen, unartikulierten Anspr�chen geschuldeter Zwiesp�ltigkeit
unwillk�rlich hingegeben, war sich das bis zum Anbruch der "Informationsgesellschaft"
tonangebende Grossb�rgertum �ber seine Erwartungshaltung an den K�nstler und
Musiker aber scheinbar niemals g�nzlich im Klaren.
Den aktenkundigen Finanzschmarotzern, Sch�rzenj�gern und Umst�rzlern in
Pers�nlichkeiten wie Richard Wagner; eigenbr�tlerisch verschrobenen, bindungsunf�hig
lebenswandelnden Komponisten wie Beethoven, Schubert und Bruckner bis zum
heutigen Tage frenetisch ergeben, verwehrte das bourgeoise Publikum dem
Generalmusikdirektor K�nig Friedrich Wilhelms IV. von Preussen und des
Gewandhauses, Ehrendoktor der Universit�t Leipzig und Familienvater den Einzug in
den musikalischen Olymp. Desgleichen bescheidet es einer grossen deutschen Mimin
wie Elisabeth Flickenschild, welche sich auf Wohnungssuche befand, wie seinerzeit
jener Hamburger Honoratior und Hausbesitzer: An Kaspers vermieten wir nicht!
56
Im Jahre 1886 gab Friedrich Nietzsche in der Denkschrift: Jenseits von Gut und B�se
demzufolge ein folgenschwer-gefl�geltes Mendelssohn-Wort vor:
� Diese ganze Musik der Romantik war �berdies nicht vornehm genug, nicht Musik
genug, um auch anderswo Recht zu behalten als im Theater und vor der Menge; sie war
von vornherein Musik zweiten Ranges, die unter wahren Musikern wenig in Betracht
kam. Anders stand es mit Felix Mendelssohn, jenem halkyonischen Meister, der um
seiner leichteren, reineren, begl�ckteren Seele willen schnell verehrt und schnell
vergessen wurde: als der sch�nste Zwischenfall der deutschen Musik.�
Nietzsche f�hrt Mendelssohn dabei als Belastungszeugen gegen die Romantik Webers,
Spohrs, Marschners, Schumanns und Wagners heran, zeigt aber wahrhaftig, wie
nachhaltig sich das von �Neudeutschen� lancierte Bild des heiteren Sentimentalisten,
der nur die Aufgabe wahrnahm, die �berleitung vom Genie Mozarts und Beethovens
zum Genie Wagner herzustellen, damals bereits einpr�gte.
14. Geschmacksgef�hrliche Lieder und Duette
"Diese gewisse Weichheit bildet einen Grundzug von Mendelssohns Wesen, dem nur
das Grazi�se, Capricci�se und Brillante soweit den Widerpart halten, da� es nicht als
Weichlichkeit und Sentimentalit�t erscheint. (...) Im kleinen Rahmen (...) nicht nur mit
seinen "Liedern ohne Worte", sondern auch mit seinen Liedern, besonders aber den
Duetten (...) ist Mendelssohn unleugbar sogar geschmacksgef�hrlich geworden."
Als Herausgeber einer neben "Musik in Geschichte und Gegenwart" (MGG) bis zum
heutigen Tage f�hrenden Enzyklop�die des Musiklebens schreibt die Autorit�t Hugo
Riemann im Jahre 1901 eine Sichtweise voller Widerspr�che fest. Bez�glich des
Instrumentalwerkes beruft Riemann sich zwar auf Robert Schumanns Eloge vom
"Mozarts unseres Jahrhunderts", brandmarkt andererseits aber "Weichlichkeit und
Sentimentalit�t" der "im kleinen Rahmen" der Hausmusik verd�chtig erfolgreichen
musikalischen Aussage Mendelssohns, welchen Wagner in seinem zuvor als
"�berscharf" und "ungerecht" eingestuften Pamphlet dankenswerterweise Einhalt
geboten habe.
Dar�ber hinaus tr�gt Riemanns Beurteilung der Tendenz romantisierenden Musizierens
jener Tage "vermittels starker Verbreiterung der Tempi, agogischer Verz�gerungen in
den Kadenzen" (K.-H. K�hler) keinerlei Rechnung. Jene lie�en durch �berbetonung
chromatischer Stilistiken in Melodief�hrung und Harmonik die Musik Mendelssohns
fernab kompositorischer Absicht sentimentalisiert-persiflierend erklingen. Riemanns
Einsch�tzung pr�gte gleichsam als Kathederwort die Mendelssohn Rezeption innerhalb
der deutschen Musikwissenschaft f�r Jahrzehnte.
15. Denkm�ler
Im Jahre 1868 trat in Leipzig anl�sslich des 125 j�hrigen Bestehens der
Gewandhauskonzerte und der 25 j�hrigen Gr�ndungsfeier des Konservatoriums ein
Komitee f�r �die Errichtung eines dem Ged�chtnis Felix Mendelssohn Bartholdys
57
gewidmeten Denkmals� erstmalig zusammen. Es er�ffnete damit ein wenig r�hmliches
Kapitel in der Beziehung dieser hochrangigen Musikstadt zu ihrem entschiedensten
Mentor.
Da es sich um eine Privatinitiative Leipziger Honoratioren handelte, standen keine
�ffentlichen Mittel f�r Planung und Durchf�hrung des Projektes zur Verf�gung, dessen
Kosten auf 45000 Taler veranschlagt wurden. Der Vorstand des Komitees stellte daher
einen Finanzplan auf, welcher vorsah, die Summe u. a. durch die Ertr�ge lokal und
�berregional ergehender Spendenaufrufe sowie durch die Veranstaltung von
Benefizkonzerten und Verm�gensveranlagungen aufzubringen. Spendenaufrufe wie
jener wurden somit in der regionalen und �berregionalen Presse als repr�sentative
Annonce abgedruckt:
�Das Interesse f�r den Mann, dem die ganze musikalische Welt zu so gro�em Dank
verbunden ist, findet also seinen Mittelpunkt in dem Leipziger Leben des K�nstlers und
Menschen, dessen Bedeutung die Nachwelt durch ein dem Wirken desselben
angemessenes Denkmal zu w�rdigen die Pflicht hat.
Um diese l�ngst erkannte Ehrenschuld abzutragen, sind die Unterzeichneten zu einem
Verein zusammengetreten und fordern alle Freunde des Meisters auf, in
zweckdienlicher Weise die beabsichtigte Errichtung einen Felix Mendelssohn-Bartholdy-
Denkmals in Leipzig f�rdern zu helfen. Insbesondere werden Chor-Gesellschaften und
Gesangsvereine ersucht, zu dem angegebenen Zwecke Auff�hrungen zu veranstalten
und den Ertrag derselben an den unterzeichneten Verein einsenden zu wollen".
Die Finanzierung des Vorhabens vollzog sich schleppend; im Verlaufe eines 24 j�hrigen
Prozesses von der Stiftungsinitiative bis zur Denkmalseinweihung offenbarte sich ein
tr�bes b�rgerliches Klima, welches die einstmals liberale B�rgerstadt Leipzig
zunehmend pr�gte.
Am Ende dieses qu�lenden Vorgangs war deutlich, das der Zeitgeist die Verbundenheit
der lokalen B�rgergesellschaft einem wesentlichen Repr�sentanten gro�b�rgerlicher
Kultur gegen�ber aufgek�ndigt hatte und sich einer vom Komitee per Annonce
konstatierten �Ehrenschuld� nicht mehr bewusst war.
Im Jahre 1869 waren erst 1400 Taler eingegangen, welche sich kaum aus
B�rgerspenden zusammensetzten, vielmehr von der vereinsnah einzusch�tzenden
Konzertdirektion des Gewandhauses und Erl�sen eines Benefizkonzertes eingebracht
wurden.
Die vollst�ndige Abkehr des Leipziger Publikums vom Werke Mendelssohns in den
70ziger Jahren verdeutlicht kaum eine Begebenheit trefflicher als jene: Hans von B�low
absolvierte im Jahre 1872 als Pianist eine Tournee, welche von Berlin �ber Warschau,
Hamburg, Hannover und D�sseldorf bis nach Aachen zahlreiche deutsche St�dte
umfasste. In Berlin und Leipzig gab von B�low jeweils einen dem Klavierwerke Felix
Mendelssohns gewidmeten Konzertabend. Frithjof Haas schreibt dazu in seiner von
B�low-Biographie: "Zu seiner (von B�lows) grossen Entt�uschung hatte der Komponist
seit seinem Tod gerade in Leipzig, dem Ort seines Wirkens, an Beliebtheit verloren. In
der Presse war zu lesen, kein Pianist au�er von B�low k�nne es heute wagen, zwei
Stunden lang nur Mendelssohn zu spielen!"
58
Die darauf folgenden Jahre f�hrten zu keinem erh�hten Stiftungsaufkommen aus der
Stadt Leipzig selbst heraus, vielmehr engagierten sich Musikliebhaber aus ganz
Deutschland vermittels Personenspenden oder Benefizinitiativen. Sogar in den
Metropolen London und Paris wurden durch Benefizkonzerte Gelder zugunsten des
Denkmals eingeworben. Ein betr�blicher Aspekt am Rande der Konzertinitiativen
zugunsten eines Denkmals des Komponisten ist zweifellos, da� erst jene auch dessen
Musik wieder st�rker in den Vordergrund zu stellen vermochten.
Der Hausverlag Felix Mendelssohns, das renommierte Unternehmen Breitkopf & H�rtel
suchte im Jahre 1875 helfend einzugreifen und publizierte eine Sonderbeilage. Diese
wurde allen Neuauflagen der Kompositionen Mendelssohn beigef�gt und warben im
Namen des Komitees um Zuwendungen.
Im Jahre 1878 entspann sich ein Presseeklat in Leipzig um die Arbeit des Komitees und
brachte das lokale Spendenaufkommen vorerst vollends zum versiegen. Die Presse
thematisierte dabei u. a. den merkw�rdigen Umstand, dass die dem Komitee
verpflichteten Honoratioren zwar allenthalben um Gelder warben, selbst aber bisher
nichts dem Fond beigesteuert hatten.
Angesichts dessen nimmt es nicht verwunder, da� Felix Mendelssohn Bartholdy die
erste Gedenkst�tte denn auch anderw�rts errichtet wurde; es entstand bereits im Jahre
1860 in England, wo die B�rger der Stadt Snydenham ein Standbild des Komponisten
auf der Terrasse des dortigen Kristallpalastes errichteten.
Waren es Ende der 60ziger Jahre des 19 Jahrhunderts noch Gr�nde verminderter
Wahrnehmung des Komponisten aufgrund der von der Neudeutschen Schule
gesch�rten Querelen um dessen Musik, l�sst sich das Desinteresse der 70ziger und
80ziger Jahre eindeutig auf den unverhohlenen Judenhass zur�ckf�hren, welcher sich
der B�rgerschaft zunehmend bem�chtigte. Leipzig sollte sich in jenen Jahren zu einer
Hochburg geistigen Antisemitismus entwickeln, welcher sich von der diffus
protorassistischen Antipathie der Revolutionsjahre nunmehr zur Reinform erkl�rten
Rassenhasses der Gr�nderzeit auspr�gte. Publikationen, welche unter Antisemiten
reichsweit als Standardlekt�re galten, wurden in Leipzig konzipiert und verlegt.
Ines Reich hat mit ihrem Beitrag "In Stein und Bronze � Zur Geschichte des
Mendelssohn-Denkmals" zum 1. Leipziger Mendelssohn-Kolloquium von 1993 den
Gesamtvorgang Denkmal hervorragend dargestellt. Sie schreibt so u. a.:
�Die Gartenlaube�, ein Massenblatt kleinb�rgerlicher Belehrung und r�hrenden
Familiensentiments, wurde in Leipzig herausgegeben und bot der Leserschaft u. a. auch
eine Fortsetzungsserie antisemitischer Aufkl�rung. Diese legte dem Publikum
beispielsweise dar dass, "die soziale Frage (...) im wesentlichen eine Judenfrage (sei),
alles �brige ist Schwindel.� Theodor Fritsch, ein f�hrender Publizist und Ideologe des,
als alleinigen �Zweck seines Lebens� erachteten deutschen Antisemitismus, betrieb
von Leipzig aus die Gesch�fte des Hammer-Verlages. Publikationen waren u. a. �Der
falsche Gott�, "Das R�tsel des j�dischen Erfolges�, �Mein Streit mit dem Hause
Warburg�, Die S�nden der Grossfinanz�; "Anti-Rathenau�. Mit dem im Jahre 1887
herausgegebenen Antisemiten-Katechismus; welcher sp�ter zu einem Handbuch der
Judenfrage expandieren sollte, versorgte der Hammer-Verlag die antisemitische
Bewegung Deutschlands von der wilhelminischen �ra bis hin zum Anbruch des "III.
Reiches" mit oftmals von Fritsch in Personalunion von Autor und Verleger vorgelegten
Bekenntnis- und Glaubensschriften.
59
Frau Reich f�hrt zum Beweis ihrer schl�ssig vertretenen Theorie dezidiert ausgepr�gten
Leipziger Lokalantisemitismus der 70ziger und 80ziger Jahre des 19. Jahrhunderts
Fakten heran, welche f�r sich sprechen: Andere Vorhaben, welche vergleichbar auf die
Spendenbereitschaft Leipziger B�rger reflektierten, kamen wesentlich z�giger voran. So
wurden im Jahre 1883 �recht hohe Summen� f�r die Errichtung eines Leibnitz-Denkmals
sowie einer Reformationsgedenkst�tte zum Gedenken an das Wirken Dr. Martin Luther
mit �verbl�ffender� Schnelligkeit zusammengetragen.
Ein weiterer charakteristischer Vorfall lie� dass das Benehmen der Leipziger
Bourgeoisie, sich vom Stande emanzipierten j�dischen Grossb�rgertums abzusetzen,
welchem ja auch die Familie Mendelssohn seit Jahrhundertbeginn angeh�rte,
demonstrativ erkennen.
Der in den Jahren 1882 � 1884 konzipierte und ausgef�hrte klassizistische
Repr�sentationsbau eines neuen "zweiten" Gewandhauses wurde durchaus auch als
Mittelpunkt gro�b�rgerlicher Selbstdarstellung im Allgemeinen wie individuellen
aufgefasst.
Er umfasste gesch�tzte Baukosten von 900 000 M und wurde nachhaltig von
Zuwendungen gro�b�rgerlicher Familien finanziert, welche f�r ein Denkmal
Mendelssohns kaum aufkamen. Dies geht aus damaligen Spendenverzeichnissen
eindeutig hervor.
Um das Denkmalsvorhaben angesichts des Klimas latenten Antisemitismus nicht
dauerhaft zu gef�hrden, suchte das Komitee, dem auch prominente j�dische
Pers�nlichkeiten aus dem unmittelbaren Freundeskreis Mendelssohns wie Ignaz
Moscheles und Ferdinand David sowie Salomon Jadasson angeh�rten, jedem Anschein
offizieller j�discher Partizipation vorzeitig zu wehren. Somit kam eine Zusammenarbeit
mit der renommierten Mendelssohn-Stiftung zur F�rderung begabter Pianisten und
Dirigenten, welche im Jahre 1863 von der J�dischen Gemeinde ins Leben gerufen
wurde und bis 1933 bestand, nicht zustande.
Im Jahre 1889 � nach nunmehr 20 Jahren � waren schliesslich 40000 Taler
zusammengetragen, welche zur endg�ltigen Durchf�hrung noch nicht ausreichten.
Das Komitee wandte sich mit der Bilanz an die �ffentlichkeit und beklagte dabei: "da�
die eingegangenen Beitr�ge ungef�hr �zur H�lfte� von ausw�rtigen Corporationen und
Privatpersonen eingesandt� worden seien. Die fehlenden 5000 Taler wurden schliesslich
von der Stadtverwaltung beigesteuert.
3 Jahre sp�ter, am 26. Mai 1892, wurde das Denkmal, gleichsam die Erinnerung an
einen ungeliebten �Judensohn� der Stadt, feierlich er�ffnet. Die Honoratioren stellten
sich ein und hielten der Pflicht, dem Dank und der Tugend emphatische Laudates,
welche hinsichtlich einer wahrhaft fatalen Sammlungshistorie von 40000 Taler keinen
besonderen Kommentar ben�tigen:
�Leipzig m�ge es � und sie wird es beh�ten in Best�tigung des Dankes, welchen unsere
Stadt Ihm schuldet, dessen Namen wir nennen in Liebe und Verehrung� (Leipziger
Tagblatt, Morgenausgabe, 27.5.1892) verk�ndete Otto G�nther, der Vorsitzende des
Komitees und damalige Direktor des Konservatoriums.
60
�Mit der Vollendung dieses Denkmals ist uns nun das dr�ckende Gef�hl vom Herzen
genommen, dass dem Manne, der uns so gro�es und Sch�nes gegeben hat, das
verdiente �u�ere Zeichen unverg�nglichen Dankes noch nicht gewidmet sei. Dieses
Gef�hl der Dankesschuld hat unsre Stadt auch als Gemeinwesen empfinden m�ssen
(...)
Die Stadt wird es sich deshalb auch, daran zweifle ich nicht, stets zur Ehrensache
machen, dieses Denkmal w�rdig zu erhalten, und ich nehme daher die mir
ausgesprochene �bergabe im Namen der Stadt und im ausdr�cklichen Auftrag des
Rates mit herzlichen Dank hiermit an...� (Otto Georgi; Reden und Ansprachen des
Oberb�rgermeisters...; Lpz. 1899) beschwor Oberb�rgermeister Georgi das
beiderseitige Verm�chtnis.
Im Inneren des Gewandhauses, welches bereits seit nahezu zehn Jahren errichtet
stand, ehrte man Mendelssohn musikalisch. Auf der Violine, mit einer Interpretation des
erhabenen Konzertes Op. 64 legte der einstige Weggef�hrte Joseph Joachim ein wohl
wahrhaftigeres Pl�doyer f�r den Mann des Tages ab.
Danach schwand das Denkmal aus dem Blickfeld allgemeiner �ffentlicher
Wahrnehmung. Zwei kriminelle Gewaltakte, welches zum einen in den 20ziger Jahren
und zum anderen im Jahre 1936 des vergangenen Jahrhunderts auf den Bestand
desselben abzielten, brachte es einzig nachhaltiger in Erinnerung.
16. Es singt ein Lied von Felix Mendelmaier...
Um 1879 herum pr�gte sich in den chauvinistischen Gesellschaften der bourgeoisen
Berliner Intelligenz die Moderne v�lkisch-rassistischen Antisemitismus endg�ltig heraus,
welche sich im 20. Jahrhundert schliesslich vermittels �Reichskristallnacht�, Deportation
und Genozid nachhaltig manifestieren sollte. Auch der neuzeitliche Begriff des
�Antisemitismus� definierte sich erst in der um den Berliner Geistlichen Wilhelm Marr
entstandenen Gesellschaft und fand somit 1879 Eingang in die Allgemeinsprache.
Ab ca. 1880 fanden anthropologisch-rassistische Theorien des Schriftstellers und
Diplomaten Joseph Arthur Graf Gobineau �ber den Bayreuther Kreis um Richard
Wagner und nach dessen Tode um Cosima Wagner, den Schwiegersohn Houston
Stewart Chamberlain sowie Wagner Biograph Carl Friedrich Glasenapp verst�rkt
Aufmerksamkeit in Deutschland. Gobineau hatte bereits in den Jahren 1853 -55 den 4b�ndigen
Essay "sur l`ineg�lit� des races humaines" herausgegeben, welcher die elit�re
Bevorrechtigung der �Arier�-Rasse und sozialdarwinistische Moralvorstellungen
konstatierte sowie die Vernichtung des �Weissrassigen� durch Blutvermengung
vermittels Geschlechtsverkehr mit �Fremdrassigen" prophezeite. Der Essay war in
Deutschland bereits ab dem Jahre 1856 in einer Bearbeitung durch den Philologen
August Friedrich Potts unter dem Titel "Die Ungleichheit menschlicher Rassen;
haupts�chl. vom sprachwissenschaftlichen Standpunkte, unter bes. Ber�cks. von d.
Grafen von Gobineau gleichnamigem Werke"; Lemgo 1856 ff. verf�gbar.
Der Rassenfanatiker Houston Stewart Chamberlain paraphrasierte Gobineaus Theorien
in zahlreichen Schriften. So bestritt er im Hauptwerk seiner Rassenveranschaulichungen
"Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts" vehement: �die Wahrscheinlichkeit das Jesus
(k)ein Jude war� und behauptete ferner �das er keinen Tropfen echt j�dischen Blutes in
61
den Adern hatte�; es k�me vielmehr der Gewissheit gleich �das Jesus Christus... der
j�dischen Rasse nicht angeh�rte, kann als sicher betrachtet werden. Jede weitere
Behauptung bedeutet eine willk�rliche Annahme,�
Jens-Malte Fischer erweitert die Sicht auf Chamberlain und seine diversen
antisemitischen Umtriebe in seiner Studie �ber Wagners �Das Judentum in der Musik�
folgenderma�en �Der Schwiegersohn Wagners, Houston Stewart Chamberlain, widmete
der Brosch�re (�Das Judentum in der Musik�; Anm. d. Verf.) in seinem Wagnerbuch, das
1895 erschien, hochtrabende Worte der Bewunderung:
Chamberlain schreibt also:
�Dagegen hat ein anderes Rassenthema Wagner von fr�h an viel besch�ftigt: der
demoralisierende Einfluss einer dieser wei�en Rassen auf die anderen, des Judentums
auf die nichtj�dischen V�lker. Wagners Judentum in der Musik erschien zuerst 1850 in
Brendels Neue Zeitschrift f�r Musik; sodann als selbstst�ndige Brosch�re und mit
ausf�hrlichen Vorrede versehen im Jahre 1869. Keine Schrift des Meisters ist vielleicht
� wenigstens dem Titel nach � so bekannt: der Ausdruck Verfasser des Judentums in
der Musik� ist eine der beliebtesten Umschreibungen f�r �Richard Wagner� (zitiert nach
der 3. Auflage bei Bruckmann 1904).
Dar�ber hinaus war Chamberlain ein f�hrendes, ma�gebliches Mitglied im Bayreuther
Kreis; eine Gruppe von Demagogen um Cosima und Winifred Wagner, welche sich
g�nzlich dem Erhalt der Reinrassigkeit von Wagners musikdramatischen und
antisemitischen Ideologien im Bannkreise Wahnfrieds widmete.
Weitere Publikationen Chamberlains sind:
Rasse und Nation / von H. St. Chamberlain M�nchen : Lehmanns, 1918
Rasse und Pers�nlichkeit : Aufs�tze / von Houston Stewart Chamberlain Aufs�tze
M�nchen : Bruckmann. - 200 S
Arische Weltanschauung / Houston Stewart Chamberlain. -4. Aufl. M�nchen :
Bruckmann, 1917. - 94 S.,
Dilettantismus -Rasse -Monotheismus -Rom : Vorwort zur 4. Auflage der Grundlagen
des 19. Jahrhunderts / Houston Stewart Chamberlain, M�nchen : Bruckmann 1899
Im Jahre 1880 initiierten der Gymnasiallehrer Bernhard F�rster und der Premierleutnant
Liebermann von Sonnenberg als Repr�sentanten der �deutsch-sozialen Partei� die
Verbreitung einer antisemitischen Petition an Reichskanzler Otto von Bismarck. Diese
beklagte die Sch�dlichkeit der j�dischen Rasse f�r die Wohlfahrt und Kultur des
deutschen Volkes und forderte die Eliminierung der Juden aus Staats-und Schuldienst,
Zensus der j�dischen Bev�lkerung und Einwanderungsbeschr�nkung. Sie wurde in
Berlin von 250 000 B�rgern unterzeichnet.
Im Jahre 1889 fand die neugotische Umgestaltung der Thomaskirche in Leipzig ihren
Abschluss. Im Zuge dessen waren farbige, Pers�nlichkeiten der Stadtgeschichte wie
Martin Luther, Johann Sebastian Bach und Gustav Adolph von Schweden zugeeignete
Memorialfenster ausgef�hrt worden. Auch der Bachrestaurator und
Gewandhauskapellmeister Mendelssohn sollte urspr�nglich gew�rdigt werden.
62
Doch bald erhob ein sog. �Deutscher Reformverein� seine Stimme so vehement gegen
das Vorhaben, �einen Juden in einer protestantischen Kirche ehren zu wollen�, das die
Realisierung des Mendelssohn-Fensters unterblieb. Erst das Jahr 1997 lie� das
Vorhaben, dank einer Schenkung der ehemaligen Thomassch�ler Wolfgang und Klaus
Jentzsch, Wirklichkeit werden.
In den 90ziger Jahren des 19. Jahrhunderts wurden auch vom Auslande her erhebliche
Ressentiments von prominenter Seite in die Mendelssohn-Rezeption eingebracht.
George Bernhard Shaw war nicht nur ein bedeutender Dramatiker des europ�ischen
Theaters; er hatte sich mit der Zeit auch zu einem r�ckhaltlosen Bewunderer des
Wagnerschen Musik-Dramas und Verfechter Wagnerscher Kathederlehren entwickelt
und erwies sich antisemitischen Tendenzen gegen�ber keineswegs verschlossen. Dem
grossen Vorbilde publizistisch entsprechend, bet�tigte sich auch Shaw als Autor
musikkritischer Rezensionen, welche unter dem Pseudonym �Corno di Bassetto�
herausgegeben wurden. Der bez�glich Mendelssohn-Rezeption gepflogene Ton war ein
herablassender, von jener Art bei�ender H�me, wie sie jedwedem Dilettantismus
viktorianischer Snobs in den B�hnenwerkens Shaws stets gewidmet ist.
Auch hier liegen die Gr�nde offensiver publizistischer Negierung von Mendelssohns
Ansehen im au�ermusikalischen, im Bereich gesellschaftskritischer Hinterfragung
repr�sentativen Viktorianismus, auf welchen Shaw das Wirken des Komponisten
nachhaltig zu reduzieren trachtete.
Im Juli 1894 erschien in den Vereinigten Staaten von Amerika � in New York � im �The
Centuary Illustrated Monthly Magazine� ein umfangreicher Aufsatz �ber Leben und
Wirken des gro�en Franz Schubert, den der gerade in Amerika weilende tschechische
Komponist Antonin Dvorak zusammen mit dem Publizisten Henry T. Finck geschrieben
hatte. Dvorak spart bei dem Bem�hen, Schuberts allgemeine und besondere
Verdienste um die Symphonie darzulegen, nicht mit einigen Seitenhieben gegen Felix
Mendelssohn. Dabei war der stets im Stande der pers�nlichen und musikalischen
Integrit�t weilende Dvorak sicherlich kein expliziter Mendelssohn-Gegner und dies
schon gar nicht aus Gr�nden von Antisemitismus. Ob Dvorak als Zeitgenosse und
Gefolgsmann von Johannes Brahms dem demagogischen Bestreben der Neudeutschen
Schule und denen Kampagne gegen Mendelssohn eher fern stand, ist fraglich. Dass er
sich dennoch negativ �ber Mendelssohn ge�u�ert hat, beweist nur mehr, dass er sich
auf der H�he der Zeit, auf der H�he einer allgemein gegen Felix Mendelssohn
gerichteten Geringsch�tzung bewegte.
Dvorak schreibt also:
�In seiner (Schuberts) Kammermusik wie in seinen Symphonien finden wir h�ufig
wundersch�ne Beispiele f�r polyphones Schreiben � siehe zum Beispiel die Andante
-S�tze des C-Dur-Quintetts und des D-Moll-Quartettes -,und obwohl seine Polyphonie
von der Bachs oder Beethovens verschieden ist, ist sie deshalb nicht weniger
bewunderungsw�rdig. Mendelssohn ist ohne Zweifel ein gr��erer Meister der
Polyphonie als Schubert, trotzdem ziehe ich Schuberts Kammermusik der Mendelssohn
vor.
Und dann wird Dvorak im Tonfall eindringlicher und aggressiver: �Auch von Schuberts
Symphonien bin ich ein enthusiastischer Bewunderer, so dass ich nicht z�gere, ihn
neben Beethoven zu stellen, weit �ber Mendelssohn (..) Mendelssohn besa� etwas von
63
Mozarts nat�rlichem Instinkt f�r Orchestrierung und von dessen Begabung f�r die Form,
aber vieles in seinem Werk hat sich als verg�nglich herausgestellt�. Dvorak war wohl
der Friedrich Nietzsche nahe stehenden Meinung, das Mendelssohn ein Zwischenfall,
ein bereits von der Zeit �berwundener Komponist war, dessen musikalische Mittel als
veraltet und �berholt einzusch�tzen seien.
Gleichsam in den 90ziger Jahren des vorvorigen Jahrhunderts zeichnet der
impressionistische Lyriker Detlev von Liliencron, vor �hnlichem Hintergrunde wie Shaw,
im Gedicht Reinigung die Karikatur eines Lieferanten sentimentaler Pi�cen
kleinb�rgerlich-bildungsbeflissener Zerstreuung j�dischen Namens, dessen Vorbild
damals wie heute leicht zu erkennen ist:
"Es singt ein Lied von Felix Mendelmaier,
der lange Leutnant mit dem Ordensb�ndel;
das alte Fr�ulein br�tet R�tseleier,
besorgt den Tee und duftet nach Lavendel.
(...)
Weh mir, wie langsam schwingt der Abendpendel!
Zu Ende. Gott sei dank: ich atme freier,
und bade mich daheim in Bach und H�ndel".
In seiner "Illustrierten Geschichte der Musik" aus dem Jahre 1903 dokumentiert der
Musikwissenschaftler Otto Keller folgerichtig die Geringsch�tzung jener Jahre
anschaulich:
�In den beiden Oratorien fehlt das Dramatische, das Leidenschaftliche, aber
Mendelssohn hatte nicht die Gabe, sich stark und unmittelbar auszusprechen. Und
trotzdem liegt in dieser Musik etwas Sonniges, das uns so angenehm ber�hrt, wie ein
sch�ner Sommertag, weil sie in ihrer Einfachheit befriedigt und gar keine
Leidenschaften ausl�st. Seine Kammermusik ist g�nzlich verschwunden, seine
Klavierwerke gehen auch nicht tief, seine Lieder ohne Worte haben eine �ra seichter
Salonmusik heraufbeschworen, die besser ungeschrieben geblieben w�re. Sein ganzer
Lebenslauf war sonnig vom Urbeginne, er hatte nie Sorgen kennengelernt wie Mozart,
man darf sich daher auch nicht wundern, da� die Sonnigkeit seines Lebens auch in den
Werken zum Ausdruck kam�.
17. Keine Kosten und M�hen wurden gescheut...
Im darauf folgenden Jahr legte die Muthsche Verlagshandlung in Stuttgart eine
Geschichte der Musik vor, die der Musikpublizist Dr. Karl Storck in
popul�rwissenschaftlichem, sp�rbar subjektivem Tonfall verfasst hatte. In der
repr�sentativen Ausstattung vermittels Jugendstilpr�gung des Einbandes und
graphisch-allegorischer Textillustration sowie hinsichtlich eines Textumfanges von �ber
800 Seiten ist er der Illustrierten Geschichte der Musik Otto Kellers vergleichbar. Dr.
Storck trat des Weiteren auch noch als Verfasser von Opernf�hrern hervor, welche bis
in die 40ziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts nachgedruckt wurden.
64
Storcks Referat �ber Leben und Musik Felix Mendelssohns setzt in der
Rezeptionsgeschichte inhaltlich keine neuen qualitativen Ma�st�be in negativer
Hinsicht; es wird lediglich der Katalog einschl�giger Stereotypen erneut repetiert.
Formell sprengt der entschieden polemische Tonfall Storcks allerdings den bis dahin
von einer um Seriosit�t bem�hten Musikpublizistik vorgegebenen Rahmen. In Zeiten
nationaler Erhebung 10 Jahre vor dem Ersten Grossen Kriege verf�llt Storck in eine
Sprechweise, deren Zielrichtung dezidierter Polarisierung sich erst in den Jahren ab
1933 vollendet herausbilden sollte. Des Weiteren stechen der Hang zu unausgesetzt
aufgestellter spekulativer Behauptung sowie gleicherma�en die Formulierung in der
negativen Superlative hervor.
Erw�gungen wie jener Abgleich der Elemente Felix Nomen est Omen, fr�her Tod und
die Prophezeiung eines unzweifelhaften, gegebenenfalls noch in den Reife-und
Altersjahren Mendelssohns, also noch zu Lebzeiten erfolgenden Niedergangs seines
Renommees f�hren Storcks Darlegungen schliesslich in die Bereiche des Zynismus.
All dies versetzt nicht allein Storcks publizistisches Wirken insgesamt in ein
fragw�rdiges Licht. Die unrezensierte Reflektion desselben in einem opulent
aufbereiteten bildungsb�rgerlichen Musik-Familienhausbuch vermittelt eindringlich den
Geist, welcher die Jahre vor dem 1. Weltkriege zu pr�gen schien. Ob Dr. Storck dabei
von subjektivem Widerwillen gegen Person und Tonsprache Mendelssohns oder
antisemitischer Ereiferung angeleitet wurde, muss dabei offen bleiben.
Hier nun Storcks Mendelssohn-Vortrag in Ausz�gen.
Zu Werdegang und Rezeption:
"Zum Kreis der Romantiker wird auch Felix Mendelssohn-Bartholdy gerechnet. Ich
m�chte da von einer Romantik aus Bildung sprechen. (...) Unsere deutsche
Kunstgeschichte wird �berhaupt unter ihren bekannten K�nstlern kaum noch einen
Mann nennen k�nnen, dessen Entwicklung so glatt verlief, so gar nichts von Kampf, von
problematischem zeigt, wie die seine. Das k�nnte ein Ideal sein, (...) wenn es nicht
leider Oberfl�chlichkeit bedeutete. Es werden immer wieder bei den ja recht selten
gewordenen Auff�hrungen Mendelssohnscher Werke Stimmen laut, die eine
Neubelebung seiner Kunst erhoffen. Im Ernst kann man daran kaum glauben, so leicht
begreiflich es auch ist, da� man (...) seine einfachen und auf das vornehme
Gesellschaftsleben abgestimmten Werke als Erholung empfinden kann. (...)
Zum Elternhause:
Felix Mendelssohn ist ein Enkel des j�dischen Reformators und Philosophen Moses
Mendelssohn (...). Es war schon dem Philosophen gelungen, aus der Armut zum
Reichtum zu gelangen, und unseres Felix Vater hatte den so vermehrt, da� er 1809 in
Berlin das noch heute bl�hende Bankgesch�ft gr�nden konnte. (...) Keine M�he, keine
Kosten wurden gescheut, jegliche Gabe, die sich bei dem Kinde zeigte, aufs sorgsamste
auszubilden(...)
Zum "Felixissimus":
Am 4. November 1847 erlag er einem Nervenschlag. Von k�nstlerischem Standpunkt
aus k�nnte man wohl sagen, da� auch in diesem fr�hen Tode sein Vornahme "Felix" die
gl�ckliche Bedeutung f�r sein Leben behielt. Denn es w�re Mendelssohn kaum erspart
geblieben, da� er seinen Ruhm wohl bald �berlebt gehabt h�tte. (...)
65
Zu Werk und Musik:
Mendelssohns gr��tes Verdienst liegt zweifellos in seiner Hebung des �ffentlichen
Konzertlebens; durch ihn sind die Werke der Klassiker in den Mittelpunkt desselben
ger�ckt worden. (...) Doch zeigt sich auch in dieser T�tigkeit die Schw�che
Mendelssohns, die freilich akademischen Naturen gar als Vorzug erscheinen mag.
Mendelssohn ist immer und �berall der wohlerzogene Sohn des wohlhabenden, auf den
�u�eren "Dekor" in jeglicher Lebenslage bedachten Hauses.
W�re nicht die gr�ndliche Bildung, man w�rde den Mangel jeder �bersch�umenden
Kraft, jedes pers�nlichen Hervortretens noch viel st�render empfinden. Denn dar�ber
muss man sich klar sein: Mendelssohns Ruhe und Abgekl�rtheit ist nicht die Ruhe nach
dem Sturm, sondern die eines Mannes, dem das �u�ere Leben jeden Kampf ersparte,
der auch innerlich niemals zum Ringen kam. (...) Sein Gef�hl f�r das Volkstum blieb
doch recht �u�erlich, was schon die Tatsache zeigt, da� Schumann in der schottischen
Symphonie die italienische vermuten konnte. Das Schaffen Mendelssohns ist doch im
Wesentlichen formal.
Der Inhalt (...) ist nirgends stark, aber es entsteht bei diesem gebildeten Mann doch
auch nie eine wirkliche Leere. Wie �u�erlich sein Verh�ltnis zur Form aber doch oft war,
zeigt die �bernahme des Erz�hlers und des Gemeindechorals aus der alten Passion ins
Oratorium (...) wogegen in der Musik zur "Antigone" und dem "�dipus" das
schw�chliche Philologentum, wie man es geradezu nennen k�nnte, gegen�ber dem
gewaltigen Empfindungsgehalt der Antike arg zur�ckbleibt.
Die um den 3. Februar des Jahres 1909 herum pflichtgem�� abgeleisteten
Ged�chtnisfeierlichkeiten zur hundertsten Wiederkehr seines Geburtstages erregtenangesichts dessen wiederum nur Befremden in der europ�ischen �ffentlichkeit. Ernest
Walker kommentiert im "Manchester Guardian" vom 3. Februar 1909:
�Mendelssohn, einer der ehrlichsten Menschen, h�tte es tausendmal vorgezogen, da�
sein Ruhm ungerechterweise untergegangen w�re, als da� er durch heuchlerische und
unwahre Mittel gerettet w�rde.�
18. Eine Lanze f�r Felix Mendelssohn
Die sp�ten 90ziger Jahre, die Jahrhundertwende, aber auch die Jahre bis in die
Weimarer Republik hinein, brachten nichtsdestotrotz vermehrt Pl�doyers namhafter
Pers�nlichkeiten kulturellen Lebens zugunsten Mendelssohns mit sich. So engagierten
sich die Komponisten Max Reger, Camille Saint-Saens, Ferruccio Busoni, und Alfredo
Casella, die Dichter Theodor Fontane und Romain Rolland, die Musiker Johannes
Brahms und Hans von B�low, der der Musikwissenschaftler und Intendant des
Wiesbadener Staatstheaters Paul Bekker, der Musikhistoriker Heinrich Schenker sowie
der erste, quellenkritisch herangehende, seri�se Biograph Mendelssohns Ernst Wolff f�r
die �sthetische Neubewertung eines "feinsinnige(n), gem�tswarme(n), grosse(n)
Meister(s)", der "fast vergessen, jedenfalls total untersch�tzt wurde und wird" (Reger).
Max Reger empfahl des weiteren �all den verwirrten (...) jungen �bermenschen, bei
denen Musik �berhaupt erst beim achten Horn, beim vierfachen Holz, bei
vierundsechzig Schlaginstrumenten (...) beginnt� eingehendere Besch�ftigung mit �der
Vollendung des klaviertechnischen Materials� und �der absolute(n) Beherrschung des
musikalisch-formellen Elements� (Wirth, Max Reger, Reinbek 1973) Mendelssohnscher
Kompositionen.
66
Der Musikpublizist Adolf Wei�mann befreite die musikalische Entwicklung Richard
Strauss und Max Regers aus dem �berm�chtigen Einflussbereich Wagners, in welchem
�ffentliche Wahrnehmung sie bislang ansiedelte und f�hrte den musikalischen Ursprung
derselben wieder st�rker den eigentlichen Vorbildern Felix Mendelssohn und Johannes
Brahms zu.
Paul Bekker wiederum erkannte Felix Mendelssohn den Rang eines selbst�ndigen
Nachfahren Beethovens zu.
Busoni ehrte Felix Mendelssohn nicht nur als �einzigen wahren Sch�ler Mozarts neben
Rossini und Cherubini�. Mit dem formal-komplex polyphonen Tondrama Dr. Faust hatte
Busoni ein epochales Werk fr�her Moderne unvollendet hinterlassen und sich parallel
dazu, gegen Ende seines Lebens, die �seichte Salonmusik� der "Lieder ohne Worte" zu
erneutem, intensivem Studium vorgelegt.
Die Jahre des 1. Weltkrieges; die Ern�chterung unabsehbar fortdauernden
Kriegsschreckens, brachten hingegen vermehrte Abkehr von allzu heroischsimplifizierenden
kulturellen Nationalismen in der Musik und auf der B�hne. Nicht von
ungef�hr reduzierte sich somit auch die Auff�hrungszahl des bislang stilistisch
dominierenden Wagner-Werkes erstmals auf einen Gleichstand innerhalb gewohnten
Mischrepertoires.
19. Eine weiche, zur Sentimentalit�t neigende Natur
Der Komponist und Musikpublizist Max Chop, seinerzeit als Liszt-Autorit�t gew�rdigt,
wurde Musikfreunden unserer Zeit haupts�chlich durch historische Ver�ffentlichungen
innerhalb der traditionsreichen Universal-Bibliothek des Hauses Reclam gel�ufig. In den
Jahren 1900 bis ca. 1920 legte er zahlreiche fundiert recherchierte Einzelstudien von
Standardwerken des Opernrepertoires und Komponistenbiographien vor. Ob ihm im
Zuge dessen auch die Erarbeitung eines Felix Mendelssohn-Portraits �bertragen wurde,
w�re noch herauszufinden, aber keineswegs zu hoffen.
Ein von Max Chop im Jahre 1916 erstver�ffentlichter F�hrer durch die Musikgeschichte
zumindest entwickelt bereits in der komprimierten Behandlung des Sujets einschl�gig-
perfide Dialektik von neuer unvermuteter Qualit�t.
Der Wagnerianer Chop sucht die Person, den Menschen Felix Mendelssohn
nachhaltig zu minimieren, um � quasi vermittels eines Ph�nomens umgekehrter
Relativierung � das Idol des Musikdramatikers daran ins unermessliche zu erheben.
Nach dem klug disponierten Verweis auf Parteienstreit und musikalisch indifferente
Diffamie greift Chop selbst sogleich zu der zuvor angeprangerten Methodik.
Origin�re Qualit�t entwickelt dabei eine Praxis inkriminierender Verf�lschung
biographischer Fakten, Verk�rzung und Umkehrung von Zusammenh�ngen, ja fiktiver
Behauptungen: musik-�wissenschaftlicher� Methoden also, welcher sich einzig der
Nationalsozialismus noch vergleichbar bedienen sollte.
Daher seien f�r diesmal den demagogischen Wendungen auch Verweise auf die
eigentliche biographische, musikhistorische Sachlage entgegengestellt.
67
Das von Chop nachfolgend imaginierte Zerrbild eines kleinlichen, eifers�chtigen, eitlen
Musikfunktion�rs, das beim zeitgen�ssischen Leser massiv hervorgerufene
Ressentiment gegen�ber der Person des Komponisten, negiert die im Anschluss
dargelegte verhaltene, um Differenzierung bem�hte, stellenweise bewundernde
Sichtweise auf dessen Musik denn auch erheblich.
�Die k�nstlerische Pers�nlichkeit (...) Felix Mendelssohns sachlich zu er�rtern, ist (...)
eine nicht eben leichte Aufgabe, weil der Streit der Parteien und Meinungen sch�rfer
denn je um die Werke und deren �sthetische Werte entbrannt ist�. (...) Ohne Frage hat
(...) die tendenzi�se Mache und Propaganda gewisser Kreise der ruhigen Abw�gung
viel geschadet (...), indem (das �sthetische Sentiment) Mendelssohn gegen die
neudeutsche Kunst ausspielte und seine Stellung Wagner gegen�ber ihm (...) zum
Vorwurf (machte). Gewiss: Mendelssohn liebte Wagner durchaus nicht, vielleicht, weil er
von der ersten Bekanntschaft (...) an, das ihn selbst in seiner Machtstellung
gef�hrdende, kunstrevolution�r gesonnene Genie erkannte.
Er dirigierte Wagners "Tannh�user"-Ouvert�re im Gewandhause als �warnendes
Beispiel� (...) und tr�stete den Komponisten des �Fliegenden Holl�nders� bei der
Dresdner Erstauff�hrung des Werkes durch den etwas schadenfrohen Zuspruch: Er
k�nne ganz zufrieden sein mit der Aufnahme, denn sie sei ja, alles in allem, kein
vollst�ndiges Fiasko gewesen".
(Mendelssohn wohnte der Berliner Premiere des �Holl�nders� im Januar 1844 bei und
�kam nach der Vorstellung auf die B�hne, umarmte mich und gratulierte mir sehr
herzlich.� Richard an Minna Wagner; 8.1.1844)
"Indessen lagen solche �u�erungen in einer menschlichen Schw�che begr�ndet, die
von jeher bei Musikern und Tondichtern fruchtbaren Boden gefunden hat. (...)
Mendelssohn (...) konnte es nicht verwinden, einen K�nstler neben sich zu sehen, der
die �ffentliche Aufmerksamkeit von ihm auf sich selbst ablenkte. Selbst f�r Robert
Schumann hatte er kaum ein freundliches Wort �brig,
(Urauff�hrung der 1. �Fr�hlings�-Symphony und der 2. �C-Dur�-Symphony Schumanns
durch Felix Mendelssohn im Gewandhaus)
Chopin besp�ttelte er als �Chopinetto� , Liszt war ihm g�nzlich unsympathisch und
Berlioz nannte er �eine vollst�ndige Karikatur ohne einen Funken von Talent�.
(Den Zeitgenossen Schumann, Wagner und Brahms vergleichbar sind �sthetische
Vorbehalte Mendelssohns gegen andere musikalische Auffassungen selbstverst�ndlich
schriftlich belegt; Chopin, Liszt und Berlioz waren in den Jahren 1840 und 1843 als
Interpreten eigenen Repertoires G�ste des Gewandhauses. Integrit�t, menschliches,
musikalisches sowie -im Falle des Gewandhausskandales um Franz Liszt nahezu
extraordin�r erwiesenes � organisatorisches Engagement des Gastgebers Felix
Mendelssohn sind jeweils in fundierteren Biographien und Autobiographien der
Genannten nachgewiesen.)
(...) Zwischen beiden (Wagner und Mendelssohn) bestand der (...) Unterschied, da� der
eine das (...) k�nstlerische Verm�chtnis eines Bach, H�ndel, Beethoven (...) sich zu
68
eigen gemacht hatte, ohne (...) Konsequenzen in einem dem Zeitgeiste angepassten
Sinne zu ziehen, w�hrend beim anderen sich aus dem v�lligen Aufgehen in den
genannten Meistern heilige Feuer entz�ndeten, deren leuchtender Schein schon damals
seine Reflexe weit voraus warf.
(Wagners Bekenntnis zum Werk Beethovens ist verb�rgt; eine Affinit�t zum
�akademisch� und �historisch� apostrophierten Werk Bachs und H�ndels bestand nicht.)
"Wohl die gr��ten Antipoden...� selbst in der �u�eren Gestaltung des Lebens, das dem
einen lachenden Sonnenschein und Anerkennung, dem anderen Kampf, Not und
Verkennung schickte! Mendelssohn eine weiche, zur Sentimentalit�t neigende Natur, Wagner
ein herber, kraftvoller, z�her, dem Explosiven zuneigender Charakter! (Max
Chop; F�hrer durch die Musikgeschichte, Berlin 1916, ebd. 1922)
Intermezzo III: und dirigierte Wagners "Tannh�user"-Ouvert�re im Gewandhause...
Verwirrung gibt es auch um die Auff�hrung der �Tannh�user"-Ouvert�re, welche am
12.2.1846 im Rahmen eines Sonderkonzertes zugunsten des Pensionsfonds des
Gewandhausorchesters als Werk zeitgen�ssisch-avantgardistischer Tonkunst
angesetzt und vom Publikum ausgezischt wurde. Es dirigierte Eric Werner und Stephan
Kohler zufolge nicht Mendelssohn, sondern Ferdinand Hiller.
Mendelssohn wirkte nachweislich als Pianist (Beethovens 32 Klaviervariationen in C-
Moll, Op. 36) an diesem Konzerte mit. Bedauerlicherweise verzichtete Werner auf einen
Verweis, woher er die Information eines Hillerschen Dirigates bezog und verwechselt
dar�ber hinaus Hiller m�glicherweise mit einem der anderen als Stellvertreter
Mendelssohns t�tigen Kapellmeister wie Gade.
Hiller dirigierte die Gewandhauskonzerte stellvertretend w�hrend des ersten Berliner
Engagements Mendelssohns, also von April des Jahres 1841 bis Oktober des Jahres
1842; nahm aber, nach vermeintlichem Zerw�rfnis mit Mendelssohn, im Jahre 1844 eine
Verpflichtung als Kapellmeister in Dresden an. M�glicherweise dirigierte Hiller bis zum
Tode Mendelssohns oder gar dar�ber hinaus also niemals mehr am Gewandhause. In
der Saison 1845/ 46 indessen teilte sich Niels W. Gade nachweislich mit Mendelssohn
in die Leitung des Leipziger Konzertwesens.
Da gemeinhin Felix Mendelssohn als Dirigent der verungl�ckten Leipziger Vorstellung
genannt und dar�ber hinaus auch das Datum diffus gehandhabt wird (so nennt Karl-
Heinz K�hler f�lschlicherweise M�rz 1845), liegt m�glicherweise der Lapsus einer
genuin aus der Wagner-Literatur hervor-und in die biographische Mendelssohn-
Rezeption �bergegangenen, allgemeinhin tradierten Gleichsetzung von Ort und Person
vor.
Wagner selbst hatte von dem Konzert lediglich nachtr�glich aus zweiter Hand erfahren.
In seiner nahezu 20 Jahre sp�ter verfassten Autobiographie �Mein Leben� gibt er
Mendelssohns Dirigat hingegen als Fakt wieder. Da Wagner in �Mein Leben�
zahlreichen Autographen der Jahre 1842-47 von seiner Hand (vor allem den an Felix
Mendelssohn gerichteten Briefen) offenkundig widerspricht, scheidet dieselbe als
seri�se Informationsquelle zu Leben und Werk Mendelssohns gr��tenteils aus.
69
Der sp�tere Dirigent Hans von B�low hingegen wohnte als Augenzeuge jenem Konzerte
bei und berichtete 5 Jahre sp�ter dar�ber in dem Essay "Das musikalische Leipzig und
sein Verh�ltnis zu Richard Wagner" aus dem Jahre 1851. Auch er nennt den Dirigenten
nicht namentlich.
"Um sich nicht dem Vorwurfe eines grundlosen Verdammungsurtheils, d. h.
grunds�tzlichen Ignorierens der Wagnerschen Musik auszusetzen, beschloss man
daher, die Ouvert�re zum Tannh�user, als ein gr��eres, abgeschlossenes Tonst�ck,
das in Dresden Furore gemacht, in einem Concerte zu Geh�r zu bringen.
Die Auff�hrung dieses sehr schwierigen, aber bei geh�rigem Fleisse und Sorgfalt im
Einstudieren auch h�chst dankbaren und unvergleichlich wirksamen Musikst�ckes, war
�ber alle Ma�en unerquicklich, eine Execution , im besonderen Wortsinne.
Es h�tte einer solchen (...) Verhunzung � nicht einmal bedurft, um die Composition
fallen zu lassen: die missmuthige Miene des Dirigenten autorisierte gewisserma�en
schon das Publikum zur Missfallensbezeugung. Mendelssohn hat durch jene herzlichen
Worte, welche er nach einer Auff�hrung des Tannh�user in Dresden mit sichtlicher
Ergriffenheit an Wagner richtete, sich vollkommen von diesem tr�ben Flecken gereinigt;
von Leipzig w�rden wir es aber recht taktvoll gehandelt wissen, wenn es Wagner eine
r�par�tion d�honneur (...) nicht l�nger schuldig bliebe".
Nicht allein jenes im Nachsatz vorgebrachtes Res�mee l�sst wenig auf eine
Interpretationsverantwortung des Gewandhausdirektors f�r jenen Konzertteil schlie�en;
vielmehr widersprechen die Verweise auf offenkundig ermangelnden �geh�rige(n)
Fleisse und Sorgfalt im Einstudieren� respektive �unerquickliche� Ausf�hrung eigentlich
allen �berlieferten musikalischen Prinzipien des Dirigenten Mendelssohn hinsichtlich
Sorgfalt in der Orchesterarbeit und unbedingter Auff�hrungsqualit�t.
Dar�ber hinaus verweisen auch die Originalrezensionen des Pensionsfondkonzertes in
den f�hrenden Leipziger Fachpublikationen und die im Jubil�umsalmanach des
Gewandhauses vom 1898 enthaltene Konzertchronik nicht auf ein Mendelssohndirigat
der Ouvert�re.
Die Rezensionen in der "Allgemeinen musikalischen Zeitung" aus Leipzig sowie in der
�NZfM� schweigen sich �ber den Abenddirigenten vollkommen aus.
Das liesse, Mendelssohn am Pult vorausgesetzt, in beiden F�llen erheblich verwundern.
In der "Allgemeinen musikalischen Zeitung" zeichnete der Lokal-Rezensent L. R. in den
letzten Arbeitsjahren Mendelssohns f�r die Berichterstattung der Gewandhauskonzerte
alleinverantwortlich. Er lie� es sich zur Gepflogenheit werden, das Dirigat Mendelssohns
jeweils nicht allein dezidiert zu kommentieren, sondern dessen Namen in der Rezension
gar kursiv hervorzuheben. Das Unterschlagen einer musikalischen Leitung durch
Mendelssohn fiele bei diesem Rezensenten also vollst�ndig aus dem Rahmen.
Einzig die Besprechung des ber�chtigten Novemberkonzertes gleichen Jahres, mit einer
missgl�ckten Urauff�hrung der C-Dur-Symphony Schumanns und darauf folgenden, auf
die Person Mendelssohns abzielenden �mosaischen� Unterstellungen der Presse,
schweigt sich �ber den Abenddirigenten aus.
70
Allerdings erfolgte zwischen den beiden Ereignissen ein Redaktionswechsel in der
"Allgemeinen musikalischen Zeitung", der Rezensent der Gewandhauskonzerte wurde
f�rderhin nicht mehr genannt und hatte m�glicherweise gleichsam gewechselt.
Interessanter in diesem Zusammenhang ist eher noch die Besprechung der gleichen
Veranstaltung durch die �NZFM�, welche Franz Brendel h�chstselbst vornahm. Auch
dieser l�sst den Dirigenten unerw�hnt. Nach allem, was bislang �ber die publizistische
Position Brendels im Leipziger Musikleben er�rtert wurde, l�sst sich kaum annehmen,
da� in einem renommierten "neudeutschen" Fachorgan die vermeintlich exemplarische
�Verhunzung� eines wesentlichen Meilensteines der �Neudeutschen Schule� durch den
f�hrenden Kopf der Leipziger �Traditionalisten� taktvoll unter den Tisch fallen gelassen
wurde.
W�hrend die genannte Orchesterchronik die detaillierten Konzertberichte oftmalig mit
der Verlautbarung: Mendelssohn dirigierte, Hiller dirigierte abschloss, wird auch dort
kein musikalischer Leiter besagten Pensionsfondkonzertes genannt. Dies legt die
Vermutung nahe, da� sich, da Mendelssohn und Gade (Viola-Partie im Quartett-Konzert
f�r 2 Violinen, Viola, Violoncello und Orchester von Ludwig Spohr) sich ja auch als
Instrumentalsolisten in das Konzert einbanden, beide m�glicherweise als A-oder B-
Dirigenten des Gewandhauses in die Veranstaltung teilten.
Publikumsverst�rung und Skandal rief die Auff�hrung der Ouvert�re in jenen Jahren
auch in anderen Musikst�dten Europas hervor.
Als Generalmusikdirektor Franz Lachner das Werk am 1. November des Jahres 1852 im
Rahmen eines Odeon-Konzertes erstmalig in M�nchen vorstellte, wurde es vom
Auditorium einhellig ausgezischt. Hans von B�low erhob die Stadt M�nchen in einer
umfassenden Kolumne polemischer Essays in der �NZfM� daraufhin eilfertig in den
hohen Rang einer Ordensburg musikalischer Reaktion und eines Zentrums der
�Opposition in S�ddeutschland� (�NZfM�, Nr. 22 � 26, 25.11. � 23.12.1853).
Auditoriumseklats infolge konzertanter und szenischer Darbietungen Wagnerschen
Werkes gab es auch in einem vom jungen Hans von B�low selbst geleiteten Konzert
("Tannh�user"-Ouvert�re), des gleichen in Wien (dito) und Luzern ("Der Fliegende
Holl�nder"). Eine im Jahre 1850 geplante Auff�hrung der "Tannh�user"-Ouvert�re in der
Union Musicale in Paris scheiterte bereits im Vorfeld am Desinteresse des Orchesters.
20. Nur in einem Abstand zu nennen
Wie weitgehend der Einfluss der Wagnerschen Musik-und Rassentheorien sich auf das
Denken und Empfinden der Deutschen jener Zeit auswirkte, wie bindend und
folgerichtig dieselben sich amalgamisch zum Seelenkit der Menschen verdichteten,
dass sogar j�dischst�mmige Komponisten die Wagnerschen Seeleninvektiven bewusst
verinnerlichten, beweist ein Brief Kurt Weills an seinen Bruder aus dem Jahre 1919: Er
bezweifelt darin in jugendlicher (und vielleicht auch in v�lkischer) Unsicherheit die
Eignung zum Komponisten.
�Ich war schon fast bei dem Entschluss angelangt, die Schreiberei aufzustecken und
mich nur auf die Kapellmeisterei zu werfen. Wir Juden sind nun einmal nicht produktiv,
71
und wenn wir es sind, wirken wir zersetzend und nicht aufbauend; und wenn die
Jugend in der Musik die Mahler-Sch�nberg-Richtung f�r aufbauend, f�r
Zukunftsbringend erkl�rt (ich tue es ja auch!) so besteht sie eben aus Juden, oder aus
j�delnden Christen. Niemals wird ein Jude ein Werk wie die Mondscheinsonate
schreiben k�nnen. Und die Verfolgung dieses Gedankenganges windet einem die Feder
aus der Hand.�
Als origin�rster Beitrag der Zwanziger und fr�hen Drei�iger Jahre zu stereotyper
Mendelssohn Negation in Schlagworten kann jenes des �Abstands� gelten, die zahlreich
publizierte Behauptung: nur in einigem Abstand zu anerkannten Meistern der
europ�ischen Musikgeschichte k�nne Mendelssohn ja rezipiert werden.
So hebt Prof. Dr. Ludwig Schiedermeyer in der Monographie �Die Deutsche Oper�
(Quelle & Mayer, Leipzig 1930) gleich zu Beginn einer vergleichenden Darstellung
Schuberts und Mendelssohns als Problemkindern deutschsprachigen Musiktheaters
divergierende Rezeptionsebenen als quasi selbstverst�ndlich und gottgegeben hervor:
"In einer gewissen �hnlichkeit mit Schubert hatten auch Felix Mendelssohn-Bartholdy,
der nur in einem Abstand von diesem genannt werden darf, immer wieder Opernpl�ne
besch�ftigt. (...) Das Missgeschick, das "Die Hochzeit des Camacho" trotz aller
Anerkennung der Mendelssohnschen Verwandtschaft bei der Erstauff�hrung im Berliner
Schauspielhause (1827) ereilte, entt�uschte den sensiblen, �berempfindlichen Jungen
so schwer, da� er fortan nicht mehr ohne Voreingenommenheit (...) der Oper
gegen�bertrat".
Auch im weiteren Verlaufe der Schiedermayerschen Nationaloperngeschichte wird
Mendelssohn als Ma�stab der Mittelm��igkeit angef�hrt, wenn es beispielsweise gilt,
Schw�chen in der Tonsprache des jungen Richard Strauss zu indizieren.�
"Mit der musikalischen Umwandlung, der "L�uterung" der Salome, gelangt nun der
T�ufer in den Vordergrund des Dramas, (...). Allein das Jochanaan-Drama setzt sich
nicht durch, da ihm musikalisch wohl gef�hlsselige, pastorale Melodien der
Mendelssohnschen Sph�re zugeleitet werden, aber jene Charakterisierung (...) eine(s)
Felsen (in) der Umgebung allgemeiner Verderbnis (vorenthalten bleibt)".
Die Suggestion der Zwangsl�ufigkeit, Naturbedingtheit einer niederen Positionierung
Felix Mendelssohns, welche die Wortmacht Schiedermayers unwillk�rlich hervorruft, ist
keineswegs als Marginalie oder Zufallsprodukt aufzufassen. Es bezeugt vielmehr die
komplexe Doppeldeutigkeit chauvinistischer Rhetorik in jener Zeit vor dem
Nationalsozialismus., auf welchen dieselbe bereits hinwies. Wenige Jahre sp�ter
mochte Dr. Ludwig Schiedermayer, Prof. der Musikwissenschaft an der Rheinischen
Friedrich-Wilhelm-Universit�t. Bonn �berzeugungen wie jene , eine Jude sei aus
rassischen, also biologischen Gr�nden �nat�rlich� weit unterhalb des Ariers anzusiedeln,
unumwundener zum Ausdruck gebracht haben. Beauftragt, gemeinsam mit den
Kapazit�ten Friedrich Blume, Gotthold Frotscher und Karl Hasse die Ausstellung
�Entartete Musik� im Mai des Jahres 1938 wissenschaftlich zu betreuen, hatte er ja
exakt zu diesem und anderen Aspekten einschl�gig Stellung zu nehmen.
72
21. Wir k�nnen auf Objektivit�t nicht Verzicht leisten!
In den 20ziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ver�ffentlichte der Musikpublizist
Walter Dahms bemerkenswerte Monographien �ber die Komponisten Franz Schubert,
Robert Schumann und Felix Mendelssohn. Diese erschienen in einer vom Verlag
Schuster & Loeffler in Berlin konzipierten �Sammlung� von �Meister-Biographien�
hochrangiger Komponisten. Co-Autor der Reihe war u. a. der namhafte zeitgen�ssische
Musikschriftsteller Julius Kapp. Die Popularit�t der Sammlung bezeugt allein schon der
Fakt reichhaltiger Verf�gbarkeit der B�nde im aktuellen Antiquariat.
Die Ver�ffentlichungen Walter Dahms zeichnen sich durch einen verbl�ffenden
Ansatz kompetenter, umfassender Darstellung des jeweiligen Sujets auf der Grundlage
pr�ziser Recherche aus.
Zeittypisch andererseits sind Einseitigkeit, mangelnde Objektivit�t in der Sichtweise
kontroverser, problematischer k�nstlerischer Standortbestimmungen des dargestellten
Komponisten. Die stilistische Einordnung des Schumannschen und Mendelssohnschen
Werkes erfolgt somit vornehmlich aus der nationalkonservativen Perspektive heraus.
Gleich zu Beginn der Mendelssohn-Monographie, im �Pr�ludium� sah sich der Autor
daher der obligaten Notwendigkeit einer �rassischen Einordnung� Mendelsohnschen
Oeuvres ausgesetzt. Karl-Heinz K�hler nannte es im Jahre 1972 zutreffend: �den
merkw�rdigen Versuch., auf antisemitisch-rassenbiologischer Grundlage von
Mendelssohns Werk zu retten, was zu retten ist� und verweist auf den nachhaltig
hervorgerufenen Eindruck "da� hier ein positives Pl�tzchen f�r Mendelssohn gesucht
wird.� Hauptinstrument des Konstruktes deutschnationaler Vereinnahmung der
Komponisten Mendelssohn (und Schumann) ist die gesuchte Absetzung dessen Werkes
von jenem Giacomo Meyerbeers; die Konstatierung, Mendelssohns Musik sei in
letztendlicher Betrachtung als �deutsch und rein�, das Werk Meyerbeers hingegen als
unverkennbar �j�disch� einzuordnen.
Dahms begibt sich somit voll Bedauerns in die Verpflichtung �nun von dem Judentum
Mendelssohns sprechen� zu m�ssen, �nicht, wie um etwas Unangenehmes oder
Peinliches, von dem doch nun einmal die Rede sein muss, m�glichst rasch zu erledigen,
sondern um von vornherein den richtigen Standpunkt in einer so wesentlichen Frage zu
gewinnen. (...) Wir wissen l�ngst, da� das J�dische keine Sache der Religion, sondern
der Rasse ist. Die Forscher auf beiden Seiten, der Juden und Nichtjuden (...) haben uns
genugsam belehrt (...) da� die Wahrheit in der Mitte liegt. Wir k�nnen auf Objektivit�t
nicht Verzicht leisten.
Deshalb d�rfen wir auch Richard Wagners Schrift �ber das Judentum in der Musik nicht
ohne Vorbehalt unterschreiben und unerw�hnt lassen. (...) Denn Wagner wusste
ebensogut wie wir, da� Mendelssohns Musik unbeschadet der W�rde der deutschen
Kunst und Kultur neben der seinen bestehen konnte (...). Denn Meyerbeers
musikalische Leichtfertigkeit und die Skrupellosigkeit seiner Mittel sind zu offensichtlich,
um geleugnet zu werden. (...) Mendelssohn dagegen ist der einzige grosse und ernste,
f�r alle Zeiten bleibende Meister, den die Juden der Musik geschenkt haben. Seine
Musik hat deutschen Charakter. Ihn aus der Reihe der �deutschen� Meister
auszuschlie�en, w�re eine Verblendung, die nur aus einer gr�ndlichen Verkennung des
vielseitigen Wesens des Deutschtums zu erkl�ren w�re.�
73
Nach einer durchaus zutreffenden Betrachtung und Herleitung der Mendelssohnschen
Entwicklung g�nzlich aus der musikalischen Tradition sowie dem romantischem Ideal
heraus, konzentriert sich Dahms schliesslich auf die diskreditierende Analyse eines
semitisch-idiomatischen Konterparts, dem Mendelssohn keinesfalls zuzuordnen sei.
�Finden wir etwa in seinem Schaffen die von Nietzsche gekennzeichneten
Eigenschaften der Semiten: �die furchtbare Wildheit, das Zerknirschte, Vernichtete, die
Freudenschauer, die Pl�tzlichkeit? (...) In seiner Stellung zur Romantik l�sst sich (...)
vielleicht ein Mangel an typisch deutschen Eigenschaften finden. (...) Wir sto�en noch
einmal auf Nietzsche, wie er von Mendelssohn spricht, �an dem sie die Kraft des
elementaren Ersch�tterns (beil�ufig gesagt)t: das Talent der Juden des alten
Testaments) vermissen (...) Einem Meyerbeer gegen�ber d�rfen wir, Wagner Folge
leistend, unserem Unwillen freien Lauf lassen.
Aber wir m�ssen uns h�ten, Erfahrungen, die wir in der Missgeburt der �gro�en� Oper
mit �j�dischen� Eigenschaften gemacht haben, (...) auf einen Meister wie Mendelssohn
zu �bertragen. (...)
Ein Meyerbeer und noch viel weniger sp�tere j�dische Komponisten (m�glicherweise
eine Anspielung auf Sch�nberg, Weill und Schreker, Anm. d. Verf.) d�rfen uns den Blick
f�r Mendelssohns Reinheit und Seelengr��e nicht tr�ben. Vorausgesetzt, da� wir
�berhaupt ein Interesse daran haben, das J�dische in der Musik besonders zu
untersuchen...wie es eben Wagner getan hat.�
Bemerkenswerterweise begibt sich Dahms im Versuch semtitisch-musikalischer Analyse
in eklatanten Widerspruch zur g�ngigen Sichtweise des �Judentums in der Musik� im 19.
und fr�hen 20. Jahrhundert. In Bezug auf Nietzsche stellt er �furchtbare Wildheit, das
Zerknirschte, Vernichtete, die Freudenschauer, die Pl�tzlichkeit� sowie �die Kraft
elementaren Ersch�tterns�, eines �Talentes des alten Testaments� als wesentlichstes
Merkmal des semitischen Idioms heraus. Wie im Vergangenen ausgiebig dargelegt,
hie� es doch, das die Kraft �zu ergreifen, ja zu ersch�ttern� sowie das �Dramatische,
das Leidenschaftliche�, also die Ekstase emotionaler H�hen und Tiefen der Musik
Mendelssohns haupts�chlich deswegen abgehe, weil �der Jude�, kosmopolitischer
Beseligung unzug�nglich, leidenschaftslos, im Synagogalidiom befangen komponiere
und die Vorbilder europ�ischer Musik daher glatt und kalt kopiere.
Nun argumentieren Nietzsche und Dahms, das dem �Deutschen� Felix Mendelssohn die
semitische Kraft, Emotion und Schroffheit vollst�ndig fehle, sein Werk daher von
�marmorner, kalter Sch�nheit� (Dahms) sei. Die von Nietzsche genannten
(alttestamentarischen) Idiome wiederum tr�fen sicher � unbesehen �bernommen � in
grossen Teilen auf die Wagnersche �Ring des Nibelungen�-Musik zu, nicht nur in jenen
Momenten potentieller semitischer Karikaturen in den Personen Mime, Alberich etc.
Somit h�tte der von Wagner dezidiert als Jude hervorgehobene "Deutsche" Felix
Mendelssohn unj�dische, der Vollender der Deutschen Oper wiederum �j�dische� Musik
geschrieben?
Da Walter Dahms mit dieser Sichtweise schwerlich eine Neuer�rterung des Problems
vermeintlicher musikalischer Idiome in Gang setzte, gibt er lediglich Zeugnis von der
74
Fragw�rdigkeit und Willk�r derartiger Zuordnungen. Oder besser davon; das sich
Wagner, Nietzsche, Dahms u. a. offensichtlich den �Deutschen� oder "Juden�
zurechtlegten, der ihren Zielen jeweils zuf�rderlichst war.
In den 20ziger Jahren trat auch der Komponist Hans Pfitzner mit antisemitischen
Schriften musikpublizistisch an die �ffentlichkeit. Pfitzner: ein in der damaligen
Musikwelt Deutschlands vereinsamt bestehender Komponist gro�er, bedeutsamer
Musik konservativer Pr�gung wie jener Monumentaloper �ber den Renaissance-
Komponisten Gian-Pierluigi da Palestrina; ein grandios gescheiterter , ja verkannter
deutscher Musiker jener Zeit. Im Jahre 1920 brachte er mit der Brosch�re �Die neue�sthetik der musikalischen Impotenz. Ein Verwesungssymptom� eine Denkschrift
heraus, welche im Sinne und Stile des Richard Wagner sich in das Wesen der
zeitgen�ssischen Kulturtheorien lautstark einbrachte. Pfitzner bezeichnet darin Wagners
�Das Judentum in der Musik� als eine �ernste, liebevolle und tapfere Schrift�.
Der Komponist kn�pft in seinem Pamphlet an die wagnerschen Antisemitismen an
und bringt jene erneut, als singul�r im deutschen Bl�tterwald dastehend, zu einer
weithin ausgreifenden Verbreitung und Fortwirkung.
Nach 1921 ver�ffentlichte Professor Dr. Eugen Schmitz die popul�rgeschichtlich
gehaltene �Illustrierte Musikgeschichte� des Komponisten, Kirchenmusikers und (von
1873 an) Dozenten am Dresdner Konservatorium Emil Naumann aus dem Jahre 1885 in
der sechsten Auflage. (Das Buch schweigt sich �ber die Drucklegung der aktuellen
Auflage aus, f�hrt aber neben dem Vorwort zur sechsten Auflage noch das mit dem
Jahre 1921 signierte Vorwort zur f�nften Auflage ins Feld.) Die Wiederver�ffentlichung
des von 1885 � 1928 bis in die neunte Auflage nachweisbar en Suite herausgegebenen
Standardwerkes zeigt auf, das sogar in den modernistisch gepr�gten zwanziger Jahren
in der Weimarer Republik die von dem Buch betriebene r�ckw�rtsgewandte
Mendelssohnverkleinerung der Hochzeit der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts
ungebrochen wiederaufgelegt und somit fortgeschrieben werden konnte. Wie gro� der
Bedarf an solch reaktion�rem Schrifttum in jenen Jahren gewesen sein muss, belegt
allein die Tatsache, dass das Buch von 1921 � 1928, also in weniger als zehn Jahren,
sage und schreibe viermal neu herausgebracht wurde.
Obgleich Naumann von 1842-1844 gar ein Sch�ler Mendelssohns u. a. am
Konservatorium in Leipzig war, f�llt in der Gestaltung der �Illustrierten Musikgeschichte�
bereits Eingangs in Sachen Mendelssohns bezeichnenderweise auf, dass unter den
Komponistenartikeln des Buches, welche Gluck, Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert,
Berlioz, Wagner, Brahms, Liszt und Richard Strauss, Bruckner und Hugo Wolff
gewidmet sind, dieser nicht mit einem eigenen Kapitel vertreten ist. Das Problem einer
wiederum tendenzi�s ausfallenden musikhistorischen Mendelssohn-Abwicklung findet,
gleichgesetzt der Darstellung von Leben und Werk diverser Kleinmeister wie Louis
Spohr, schliesslich haupts�chlich in dem Kapitel �Schubert und die Romantiker� statt.
Naumann bezeichnet Mendelsohns Werk als epigonal, bezogen auf das Schaffen von
Komponisten wie Carl Maria von Weber, Bach und H�ndel. Er spricht dabei der so
genannten �Elfenmusik� sowie den naturimpressionistischen M�nnerch�ren Mendelssohns
k�nstlerische Eigenst�ndigkeit zugunsten einer behaupteten, eindimensional
direkten Nachfolge von Vorbildern Carl Maria von Webers ab, und stempelt dar�ber
hinaus die Oratorien �Paulus� und �Elias� als Fr�chte angeblich direkten Epigonentums
Bachs (�Paulus�) und H�ndels (�Elias�) ab.
75
Immerhin gesteht Naumann Mendelssohn in Abrede eines wahrhaft markigen
deutschen K�nstlertums verniedlichend die origin�re Kreation orchestraler und
instrumentaler Capriccios, wie jenes �kleine, allerliebst f�r Pianoforte geschrieben
Rondo capriccioso� zu.
Naumann behauptet weiterhin, dass Mendelssohn gegen�ber �jenen Altmeistern (Bach
und H�ndel) an Gr��e der Empfindung und der Erhabenheit des Ausdrucks zur�ckstehe".
Nach einer Beschreibung sinfonischer und instrumental-kammermusikalischer
Ph�nomene in Mendelssohns Werk kommt Naumann schliesslich -wie k�nnte es auch
anders sein � auf die von Wagner gepr�gten Invektiven von Gef�lligkeit und Gl�tte in
Mendelssohns Schaffen als Repetition eines allzu gel�ufigen Totschlagargumentes zu
sprechen: Es hei�t dort genau: ...in manchen anderen seiner Instrumentalwerke aber,
namentlich in einem grossen Teil seiner Kammermusik tritt in bedenklicher Weise
�u�erlich gef�llige Formengl�tte an die Stelle des tieferen geistigen Gehalts�.
Des Weiteren lesen wir noch: �Als Liederkomponist ist Mendelssohn weniger
bedeutend; (...) seine Sololieder, die namentlich harmonisch sehr d�rftig sind, bedeuten
eher einen R�ckgang auf den Standpunkt Zelters�.
In den Er�rterungen der Musik des von Naumann als ein gescheiterter Kleinmeister arg
abgekanzelten Komponisten Robert Schumann schreibt der Autor in Bezug auf dessen
Streichquartette folgende Reprise des einschl�gig bekannten Mendelssohn
-Hauptvorurteils fest: �Von Schumanns Kammermusik verraten die drei Streichquartette
mit ihrer flie�enden und glatten Liebensw�rdigkeit am entschiedensten den Einfluss
Mendelssohns;...�
An anderer Stelle beschreibt Naumann ausgiebig die Verdienste Mendelssohns um die
post Bachsche und H�ndelsche Klavier-und Orgelmusik sowie die post Webersche
Chormusik. In einer Fu�note aber macht er all das zuvor lobenswert gesagte mit einem
Satz wieder zunichte: �In diese Renaissancebewegung (um das Chorlied) trat
Mendelssohn ein; freilich von dem klanglichen Ausdrucksreichtum des Tonsatzes der
Alten (Haydn, Mozart, Schubert, Weber) ist er noch weit entfernt; erst Brahms hat hier
die fr�heren Vorbilder wieder ann�hernd erreicht.�
Im weiteren Verlaufe des Buches holt Naumann, in Betrachtungen des Lebens und
Werkes des Komponisten und Musikp�dagogen Johann Joachim Raff, zum
Rundumschlag gegen Mendelssohns als glatt und gerundet diffamierte musikalische�sthetik aus. Er schreibt �ber Raffs anf�ngliche musikalische Orientierung an
Mendelssohn und seiner Schule, vor welcher akademischen Auspr�gung ihn der sp�ter
ausge�bte Einfluss Liszts und seiner �Neudeutschen� in Weimar augenscheinlich
�rettete�: �Veranlasste ihn das Mendelssohnsche Vorbild zu einem gewissen Kult des
formalistischen Elements, so verdankte er es wiederum den Jahren, die ihn den
geistigen Einwirkungen Liszts n�her brachten, dass ihm der Wert einer gegl�tteten,
abgerundeten Form nicht in dem Grade alles wurde, dass ihm dar�ber Leidenschaft,
Stimmung und Ausdruck nebens�chlich erschienen und ihn zum einseitigen
musikalischen Akademiker werden lie�en�.
Auch dem Dirigenten Felix Mendelsohn verweigert Naumann dessen kongeniale
Bedeutung f�r Werden und Bestehen dieser heutzutage so wichtigen musikalischen
Profession.
76
Mendelssohns musikalische Leitung der Gewandhauskonzerte kann mit Fug und Recht
als prototypisch f�r das Berufs-und Erscheinungsbild des modernen Dirigenten; ja des
eleganten Dirigierstars gar gelten.
War es in Leipzig vor Mendelssohns Zeiten �blich, dass nur Orchesterkonzerte mit
Vokalanteil von einem Taktschl�ger geleitet wurden, w�hrend das rein symphonische
Repertoire vom Konzertmeister am 1. Geigenpult dirigiert wurde, so �bernahm
Mendelssohn sowohl bei der Vokalmusik als auch bei der Symphonik von einer Position
vor dem Orchester gelegen die musikalische und interpretatorische Gesamtverantwortung.
Nichts davon findet sich bei Naumann. Er erw�hnt Mendelssohn lediglich in zwei
Aufz�hlungen dirigierender, als Vorl�ufer des modernen Dirigenten geltende
Komponisten (Lully, Jomelli, Spontini, Spohr, Mendelssohn) sowie (Johann Friedrich
Reichardt, Bernhard Anselm Weber, Spohr, C. M. v. Weber, Mendelssohn).
Den entscheidenden Verdienst an der Auspr�gung des Typus eines modernen
Dirigenten spricht Naumann in Verf�lschung der Tatsachen um Mendelssohns
bahnbrechende Verdienste auch auf diesem Gebiete � wie k�nnte das bei einem derart
parteilichen, einseitigen Text auch anders sein � ausschlie�lich den Vertretern der
zeitgen�ssischen musikalischen Moderne wie Berlioz und � nat�rlich � den
Neudeutschen Richard Wagner und Franz Liszt zu.
Im Jahre 1928 ver�ffentlichte ein Autor namens Anton Mayer in der Deutschen
Buchgemeinschaft GmbH, Berlin eine Geschichte der Musik. Diese war mit ca. 340
Seiten �berschaubar gehalten und zeichnet sich dadurch aus, Musik und Wirken Felix
Mendelssohns mit keinem Wort zu erw�hnen. Demgegen�ber wird dem Schaffen
Richard Wagners die Ehre einer nahezu eigenst�ndigen, umfassenden Abhandlung
�ber 30 Seiten hinweg einger�umt. Also nahezu ein Zehntel des Umfanges einer Schrift,
welche die Musikgeschichte von der griechischen Antike bis zur musikalischen Moderne
zur Darstellung zu bringen beabsichtigte.
In seiner im US-amerikanischen Exil vorgelegten Abhandlung "Gr��e in der Musik" legt
der bedeutende deutsche Musikwissenschaftler und Mozartbiograph Alfred Einstein vom
Status Quo der deutschen Mendelssohn-Rezeption in der ersten H�lfte des 20.
Jahrhunderts trefflich Zeugnis ab:
�Was ist mit der B�ste Mendelssohns? Es versteht sich wohl von selbst, da� wir uns
bem�hen m�ssen, ihm die richtige Stellung zuzuweisen: die �bersch�tzung zu
vermeiden, die ihm zu Lebzeiten (...) in Deutschland und England zuteil geworden ist,
die Untersch�tzung, deren Urheber oder Repr�sentant Wagner gewesen ist. Sie k�nnteheute zu einer neuen �bersch�tzung f�hren; aber sie w�re wohlt�tig, wenn sie zu einer
neuen Sch�tzung oder Wertung Mendelssohns f�hren w�rde, auf der Grundlage neuer
Kenntnis. Denn er ist heute einer der unbekanntesten Musiker der Vergangenheit. Man
kennt von ihm gerade das Unbedeutendste am besten, die St�cke, die von
mittelm��igen Musikern am meisten nachgeahmt worden sind, weil sie dem b�rgerlich-
romantischen Geist der Zeit am meisten entsprachen."
77
Angesichts einer niederschmetternden Realit�t nahezu vollendeter Mendelssohn-
Verdr�ngung und Verleugnung der zwanziger bis vierziger Jahre musste Einstein mit
dieser (dem Wirken Mendelssohns gegen�ber keineswegs unkritischen) Meinung somit
zwangsl�ufig ein einsamer Rufer in der W�ste bleiben -wenn er denn die M�glichkeit
gehabt h�tte, in Deutschland im Jahre 1941 vernommen zu werden.
Wie weiland Kurt Weill im Jahre 1919 machte sich im US-amerikanischen Exil Arnold
Sch�nberg im Jahre 1935 Gedanken bez�glich der Relevanz Wagnerschen Denkens
�ber die F�higkeit des Judentums zu Wort, Ton und Schrift. Er zementiert dadurch die
ungebrochen aktivierte, spezielle, fatale Fernwirkung von Wagners Judenmusikthesen
des Jahres 1869 im Denken exilierter Juden. Sch�nberg stellte also in einem, in Los
Angeles gehaltenen Vortrag, fest:
�Meine Damen und Herren, als wir jungen �sterreichisch-j�dischen K�nstler
heranwuchsen, litt unsere Selbstachtung stark unter dem Druck einiger Umst�nde (...)
man konnte kein echter Wagnerianer sein, wenn man kein Anh�nger seines
antisemitischen Aufsatzes �ber �Das Judentum in der Musik� war�.
Sch�nberg dokumentiert damit unmittelbar, was nur wenige in dieser Konsequenz
erkannten und aufzeigten: �Es gibt keine Wagnermusik, getrennt von den zersetzenden
Judenfeindlichen und menschenverachtenden Theorien, welche aus der Musik und
damit aus dem musikalischen Ausdruck so reichhaltig hervorgehen, welche die Musik
wiederum so eindeutig inspirierten�.
Sch�nberg setzt fort: �Und das ist nun der Punkt, an dem man den schrecklichen
Einfluss der Rassentheorie nicht auf die Arier, sondern auf die Juden erkennen kann.
Letztere, ihres rassischen Selbstbewusstseins beraubt, bezweifeln die sch�pferische
F�higkeit eher als die Arier. Sie waren bestenfalls vorsichtig und glaubten nur dann,
wenn sie von Ariern best�rkt wurden, wie im Falle Einsteins oder Kreislers�
Sch�nberg verdeutlicht, wie schwach, wie eingesch�chtert in ihrem Selbstglauben die
j�dischen Intellektuellen vor einem monumentalen, mentalen demagogischen,
chauvinistisch-rhetorischen Judenvernichtungswerk Wagners also verblieben. Man
musste jenen quasi auf die Schulter klopfen und ermunternd ihnen best�tigen: � Du
kannst doch auch etwas�. So wie freundlich gestimmte Erwachsene es gelegentlich mit
kleinen ver�ngstigten, verzagten Kindern tun. Wie zahlreich sind die Berichte von
j�dischen Wagnerianern, welche Wagners Schaffen gl�hend verehrten und welche in im
Bewusstsein der vermeintlich eigenen Winzigkeit vor diesem musikalisch
monumentalem, massiven Gebirge sich in gr��ter, bitterster Not selbst ent�u�erten:
�Ich bin ein Jude und ich liebe und verehre den Bayreuther Meister�.
Sch�nberg schlie�t seinen Text: �Aber im allgemeinen glaubten sie lieber an Arier,
sogar an mittelm��ige. Und leider f�hrte der Mangel an Selbstvertrauen oftmals zur
Verachtung j�dischen Tuns.�
22. Eine �grosse L�sung�
In der Aufkl�rungsschrift an die deutsche Nation "Erkenne Dich selbst", als erste
Ausf�hrung zur Schrift �Religion und Kunst� im Jahre 1881 als Bestandteil der
sogemnannten �Regenerationsschriften� in den Bayreuther Bl�ttern ver�ffentlicht,
gemahnte Richard Wagner erneut eindringlich des Juden als �plastischen D�mons des
Verfalles der Menschheit in triumphaler Sicherheit.�
78
Er geisselt darin des weiteren den Pluralismus eines Systems wiederstreitender
politischer Parteien als Verderber "�chten deutschen Instinkts" und heimlichen
Deckmantel prosperierenden j�dischen Lebens in Deutschland.
Er fordert die Deutschen daher auf, diesen Parteienstreit zu �berwinden und sich, "im
Erwachen zu (...) einfach-heiliger" (nationaler) "W�rde", vaterl�ndisch einm�tig
zusammenzuschliessen.
Abschliessend konstatiert er: "nur aber, wann der D�mon, der jene Rasenden im
Wahnsinne des Parteienkampfes um sich erh�lt, kein Wo und Wann zu seiner Bergung"
unter den Deutschen "mehr aufzufinden vermag, wird es auch keinen Juden mehr
geben". Den Deutschen k�nne somit "gerade aus der Veranlassung der gegenw�rtigen,
nur eben unter uns wiederum denkbaren" (antisemitischen) "Bewegung" eine "grosse
L�sung eher als jeder anderen Nation erm�glicht" sein, "sobald sie ohne Scheu, bis
aufs innerste Mark unseres Bestehens das Erkenne-Dich-selbst vollz�gen, vor der
letzten Erkenntnis nicht zur�ckwichen". Wagner gibt am Ende des Textes zu bedenken:
"Dass wir, dringen wir hiermit nur tief genug vor, nach der �berwindung aller falschen
Scham, die letzte Erkenntnies nicht zu scheuen haben w�rden, sollte mit dem
Voranstehenden, dem ahnungsvollen angedeutet sein".
Ob aus diesen bedachtsam verschl�sselt vorgelegten �u�erungen Phantasien von
gewaltsamer Deportation der Juden oder Genozidhandlungen sprechen, ist Gegenstand
germanistischer und musikgeschichtlicher Er�rterung. Da� Wagner im Gedanken eines
"Erwachen" Deutschlands im "Erkenne Dich selbst" die Ereignisse des Jahres 1933 Zerschlagung
des Parteienpluralismus sowie der parlamentarischen Demokratie und
triumphales Erstarken einer chauvinistisch-nationalen deutschen Erhebung ideologisch-
literarisch vorwegdenkt, geht aus der Lekt�re des Traktates eindeutig
hervor.
Adepten des Bayreuther Meisters wussten dessen Gedankeng�nge denn auch
zielgerecht zu entsprechen, der Nationalsozialismus des 20. Jahrhunderts schlie�lich
schwang sich zur "letzten Erkenntnis" empor und war zu der Realisierung einer "gro�en
L�sung" vermeintlicher Judenfrage auf politischem und kulturellem Gebiet bereit.
Am 3. April des Jahres 1929 hielt der Demagoge Adolf Hitler eine mehrst�ndige
Kampfrede im vollst�ndig �berf�llten Festsaal des M�nchner Hofbr�uhauses. Darin
richtete er sich gegen Pl�ne des Schauspieldirektors Max Reinhardts, an der
Veranstaltung M�nchner Sommerfestspiele mitzuwirken.
Hitler sprach also u. a.: �Es handelt sich also um den Versuch, uns j�dische Kunst
aufzuoktroyieren (...) dieser Kunstwille entstammt jenem Volk, das aus sich heraus
�berhaupt gar kein Kunstempfinden hat, das nicht, wie manche Mitglieder unseres
M�nchner Stadtrates meinen, besonders gro� ist im Kunstempfinden, sondern das
niemals �berhaupt eine eigene Kunst gehabt hat, das grunds�tzlich unproduktiv ist und
nur die Kunst anderer V�lker zu annektieren in der Lage war, zu allen Zeiten! (...)
Jedenfalls hat das Judentum an sich �berhaupt keinen ausgepr�gten Kunstwillen,
sondern das Judentum sieht in der Kunst genau das, was es in allem sieht, n�mlich eine
Gesch�ftsm�glichkeit. Es trennt sich von unserer Kunstauffassung meilenweit�.
Hitlers Rede reproduziert bis in kleinste Einzelheiten Wagners Kampfschrift �Das
Judentum in der Musik� und bezog sich, Jens-Malte Fischer zufolge, �berhaupt explizit
auf Richard Wagner.
79
�Anders liegen meines Erachtens die F�lle von Felix Mendelssohn und Joseph Joachim,
die man kaum fremdv�lkischen Musikgeschichten in dem Ma�e wie ihre vorgenannten
Rassengenossen zurechnen kann. Mendelssohns beste Werke (...) haben im
k�nstlerischen Weltbild deutscher Meister wie Schumann, Brahms, B�low, Bruch und
Reger ausdr�cklich eine Rolle gespielt, die zu den musikgeschichtlichen Tatsachen
jener Zeit geh�rt. (...)
Wenn also auch diese beiden seit 1933 praktisch f�r Deutschland ausfallen, so
jedenfalls mehr aus der staatspolitischen Notwendigkeit einer Gesamthaftung desJudentums f�r die versuchte �berfremdung deutscher Kultur, als wegen eines absoluten
Unwerts jener Werke und ihres praktisch-k�nstlerischen Bem�hens. (...) Niemand hat
ihn w�rmer bewundert als Schumann, Brahms, B�low und Reger � das sollte jenen zu
Denken geben, die einen M. heute wegen seiner Rasse glauben herabmindern zu
m�ssen. � (Hans-Joachim Moser 1938)
In den ersten Jahren des nationalsozialistischen Regimes war der Umgang der
Repr�sentanten deutschen Musikbetriebs mit dem als klassisch verstandenen Oeuvre
der nunmehr als j�disch apostrophierten Komponisten Felix Mendelssohn, Gustav
Mahler und Jacques Offenbach von Unsicherheit gepr�gt. Es lagen vielerorts noch
keine Erfahrungswerte vor, was weiterhin gestattet sei oder nachhaltig zu unterbinden
w�re. So war schwerlich einzusch�tzen, wie weit die Forderungen der Machthaber in
den Kontext traditionellen E-Musik-Repertoires einzugreifen beabsichtigten. Ob man
sich mit der Negation der Avantgarde und "Musikzersetzung" j�ngeren und j�ngsten
Datums befrieden, die rein von politischer Willk�r betriebene Konterbewegung vor dem
Reiche der Tonalit�t zum Stillstand kommen w�rde.
Der Musikwissenschaftler Hans-Joachim Moser, legte somit im Jahre 1938 eine "Kleine
deutsche Musikgeschichte" vor. Mit Worten wie den soeben zitierten, tastete er sich
vorsichtig in vermeintliche Terra incognita vor, an das "Problem Mendelssohn", wie man
es hier einmal zu Recht benennen k�nnte, heran. In zahlreichen F�llen blieben Schriften
wie diese, Auff�hrungen Mendelssohnscher Werke gar, ohne Folgen f�r Autoren und
Musiker. In anderen F�llen erfolgte die Reaktion rasch und unmissverst�ndlich, stellten
sich die Negativerfahrungswerte mit den Pr�missen v�lkischer Kulturpropaganda
postwendend ein.
So auch im Falle der "Kleinen deutschen Musikgeschichte" Mosers:
�Wer eine kleine Musikgeschichte schreibt, hat die Juden aus seinen Darlegungen
zwangsl�ufig auszuschalten.� beschied eine Rezension im �Westdeutschen Beobachter�
dem als �kulturpolitisch unzuverl�ssig� apostrophierten Verfasser Hans-Joachim Moser.
Moser hatte diesen Wink offensichtlich verstanden und beherzigt. Wenige Jahre sp�ter
trat er wiederum als Publizist von Schriften, welche sich mit rassebiologischen und
musikalischen Fragen auseinandersetzten sowie als Generalsekret�r der "Reichsstelle
f�r Musikbearbeitungen" in Erscheinung. Letzteres stand f�r eine Beh�rde, welche
Werken des Opern-, Operetten-und Chorrepertoires vermittels Umdichtung und
Bearbeitung von Text und Handlung v�lkischen, antisemitischen Charakter verlieh.
Andere aber sahen sich vom nunmehr vorherrschenden Ungeist sogleich zu deutlichem
Worte befl�gelt. So stellt Dr. Fritz Stege im Mai des Jahres 1933 in der �Zeitschrift f�r
80
Musik� Betrachtungen �ber die "Zukunftsaufgaben der Musikwissenschaft" an und
kommt dabei u. a. zu folgendem Ergebnis:
"Aber wie es einzelne Meister der Tonkunst gibt, die dem vollendetstem Rassentypus
entsprechen, so unterstehen auch ganze Perioden der Musikgeschichte besonderen
Rasseneinfl�ssen.
In geistvoller Weise hat Richard Eichenauer den Nachweis erbracht, wie sich der
nordische Geist der polyphonen Form bem�chtigte, w�hrend im Gregorianischen
Gesang orientalische Eigenheiten zum Ausdruck kommen. (...) Und nun werden wir vom
Rassenstandpunkt aus auch die verschiedenen Str�mungen unseres heutigen
Musiklebens viel besser verstehen und beurteilen. Der Einbruch vorderasiatischer
Rassenmerkmale in den Geist unserer Tonkunst hat zu einer Aufl�sung des
abendl�ndischen Harmoniegef�hls beigetragen."
Dr. Stege unterl�uft allerdings, vom Eifer der von rassebiologischer Lehren motivierten
Herabsetzung von Musik befl�gelt, ein eklatanter musikhistorischer Fehler. Er
behauptet, dass ein Komponist von vermeintlich vorderasiatischer Herkunft wie
Mendelssohn, als welchen das �III. Reich� diesen einzuordnen pflegte, die Aufl�sung
abendl�ndischen Harmoniegef�hls betrieben habe. Der sich selbst als Traditionalist
verstehende Mendelssohn habe also letztlich der Aufl�sung der Tonalit�t Vorschub
geleistet.
Es ist musikgeschichtliches Allgemeingut, dass die Harmonik und somit die Tonalit�t in
der deutschen Musik von der Oper "Tristan und Isolde" des "Vollariers" und pr�potenten
geistigen Dramaturgen des �III. Reiches�, Richard Wagner aufgebrochen und somit
infrage gestellt wurde.
Ein Weg, der in den Werken der Sp�tromantiker Gustav Mahler, Richard Strauss
sowie des fr�hen Sch�nbergs bis in die Atonalit�t und Zw�lftonmusik des 20.
Jahrhunderts hinein konsequent Fortsetzung fand. Der "Vorderasiate" und "Orientale"
Felix Mendelssohn hingegen tat (wie die infolgedessen agierenden Komponisten Robert
Schumann und Johannes Brahms auch) alles in seiner Macht stehende, um das
abendl�ndische Kulturerbe der Harmonielehre und Tonalit�t vor potentiellen
Zersetzungen zu sch�tzen und zu bewahren. Solcherart Irrt�mer also sind die Folgen,
wenn Rassenhass, Ideologie und Demagogie anstelle objektiver musikwissenschaftlicher
und musikhistorischer Darlegung und Beurteilung treten.
Im Jahre 1934 forderte der Dirigent und Fachgruppenleiter Musik des "Kampfbundes der
Deutschen Kultur" (�KfdK�) auf einer Landestagung der "Reichsmusikkammer" (�RMK�)
in Dresden die Anwesenden dazu auf, Mendelssohn als Vergangenheit, �berholte
Musikgeschichte zu betrachten und statt seiner k�nftig neue Komponisten aufzuf�hren.
Die Orientierungslosigkeit musikalisch t�tiger Entscheidungstr�ger, der Dirigenten,
Hochschuldirektoren, Chorleiter, Musikpublizisten etc. wurde erheblich gef�rdert durch
den Kompetenzwirrwarr und Machtk�mpfe, welchen sich die unterschiedlichen Partei-
und Regierungsorganisationen kulturellen Zuschnitts unausgesetzt hingaben.
Gerade in den ersten Jahren nationalsozialistischen Machtvollzugs rivalisierten
parteieigene Organisationen ohne Regierungsbeteiligung wie der �Kampfbund f�r
deutsche Kultur" (�KfdK�) des NS-Strategen Alfred Rosenberg mit Regimefunktion�ren
gesamtstaatlicher, regionaler oder lokaler Zust�ndigkeit um Majorit�tsfragen bez�glich
81
zuk�nftigen v�lkischen Kulturbetriebs. F�hrungskr�fte des Regimes wie Joseph
Goebbels indes waren bestrebt, die Kompetenzen durch die Einrichtung von Ministerien
wie jenes f�r �Volksaufkl�rung und Propaganda" vollst�ndig an sich zu rei�en. Als
Propagandaminister und Chef der "Reichskulturkammer" (�RKK�) betrieb Goebbels die
Einrichtung einer "Reichsmusikkammer" (�RMK�) innerhalb der �RKK�, welche alle
Fragen des Musiklebens in seinen pers�nlichen Entscheidungsbereich bringen sollte
und im November 1933 offiziell eingesetzt wurde.
Nach einem vergleichsweise kurzen und in jeder Hinsicht unr�hmlichen Interregnum des
Komponisten Richard Strauss als Pr�sidenten der �RMK�, stand ab Mitte 1935 mit Peter
Raabe ein Seniordirigent und Prof. Emeritus der �TU Aachen� und �berzeugter
Nationalsozialist der "Reichsmusikammer" vor. Da Goebbels Ende des Jahres 1936 die
Errichtung einer Musikabteilung des Propagandaministeriums verf�gte, als deren Leiter
der Dirigent Heinz Drewes fungierte, sah sich Raabe als Pr�sident der �RMK� mit einem
weiteren Generalbevollm�chtigten Musik im Weisungsbereich Minister Goebbels
konfrontiert. Drewes unterstand als Leiter der Musikabteilung ausschlie�lich der Person
des Ministers, war aber als Mitglied der �RMK� wiederum partiell den Anordnungen
Raabes als deren Vorstand unterworfen. Die Supervision des Bereiches Musik unterlag
daher in letzter Konsequenz dem Propagandaminister selbst.
Da aber die beiden Funktion�re die Richtlinienkompetenz ihrer Positionen
gr��tm�glich auszureizen trachteten und sich somit gegenseitig blockierten, liegt die
Neutralisierung und Ineffektivit�t der Beh�rde auf der Hand.
Dar�ber hinaus befehdeten sich die auf gleicher Partei-und Verwaltungsebene
angesiedelten NS-Funktion�re auch untereinander. Es verwundert daher nicht, das
neben Goebbels auch der Preussische Ministerpr�sident und Generalluftmarschall
Hermann G�ring als Generalintendant aller preu�ischen Theater kulturelle
Kompetenzen beanspruchte und auch der preussische Kultusminister und sp�tere
Reichsminister f�r Wissenschaft, Kunst und Volksbildung Bernhard Rust �ber erhebliche
Weisungsbefugnis im kulturellen Bereich verf�gte. Auf pers�nlichen Wunsch Adolf
Hitlers wurde im Jahre 1934 wiederum das Amt Rosenberg ins Leben gerufen, da Hitler
sich dem zunehmenden Machtbereich seines Propagandaministers gegen�ber
abzusichern trachtete.
Rosenberg, der Vork�mpfer des von Goebbels institutionell neutralisierten �KfdK�
erhielt somit als "Beauftragter des F�hrers f�r die �berwachung der gesamten geistigen
und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der �N.S.D.A.P." erneut Kompetenzen,
welche in der Folgewirkung auf die von Hitler angestrebte vollst�ndige ideologische
Nivellierung europ�ischen Kulturerbes der Bereiche Kunst und Wissenschaft abzielen
sollte. Da die genannten Einrichtungen mit unterschiedlichen Kompetenzen versehen
administrativ im gleichen Revier, dem Bereich Musik agierten, waren die Amtsleiter
jeweils in kleinlicher Eifers�chtelei auf Besitzstandswahrung und gesteigerte �ffentliche
Einflussnahme bedacht. Somit herrschte � den erkl�rten Zielen vollst�ndiger
ideologischer Kontrolle �ffentlichen Lebens g�nzlich zuwiderlaufend � stellenweise ein
Richtlinienwirrwarr vor, welches der einflussreiche Berliner Kritiker Hans Heinz
Stuckenschmidt nach dem Kriege als �ganz schwammig, im Grunde unverst�ndlich�
charakterisieren sollte.
Dass es somit in den ersten Jahren des Regimes noch zu vereinzelter Propagierung
Mendelssohnscher Musik kommen konnte, ist keinesfalls etwaigen anteilig-libertin�ren
Grundz�gen desselben geschuldet. Das Ph�nomen resultiert vielmehr aus einer,
letztendlich bis zum Untergang des �III. Reiches� vorherrschenden, Unf�higkeit der NS
82
Administration, die Durchsetzung ideologischer Pr�misse wirkungsvoll bis in alle
Teilbereiche allt�glichen Lebens durchzuf�hren. M�glicherweise spielten auch
strategische Erw�gungen, Vorbehalte, in das Bem�hen um eine nachhaltige
nationalsozialistische Revision des kulturellen Lebens in Deutschland hinein. "Darf bei
Veranstaltungen der N.S.D.A.P. nicht gesungen werden", hiess es bez�glich des
Mendelssohnschen Chorwerks zur�ckhaltend im Jahre 1934, als das Regimem�glicherweise noch auf �berzeugungsarbeit und Konsens bei den wertkonservativ-
bildungsb�rgerlich ausgepr�gten Bev�lkerungsschichten bedacht war.
�Eine grosse Zeit duldet keine Kompromisse. Wenn konfessionelle Kirchench�re das
nicht begreifen wollen und, wie k�rzlich in einer rheinischen Stadt geschehen, ihren
Mendelssohn einfach ohne Nennung des Namens in ein Konzert einschmuggeln, erhebt
sich die Frage nach der politischen Zuverl�ssigkeit solcher Dirigenten, denen dann das
letzte Hintert�rchen f�r ihre bewusste Sabotage der musikalischen
Reinigungsbestrebungen energisch zugeschlagen wird. Solche Handlungen, die sich
durch ihre Feigheit selbst richten, sind Ausnahmen, die wir nur registrieren, um zu
zeigen, da� das Fischen im Tr�ben stets den Dunkelmann trifft�, gab der
Hauptschriftleiter Musik F. W. Herzog im Jahre 1937 zu verstehen, als sich das Regime
bis in alle Lebensbereiche hinein verfestigte und qua Diktat �ber etwaige
bildungsb�rgerliche Ressentiments nunmehr g�nzlich hinwegsetzen konnte.
Im Jahre 1938 erinnert der Generalintendant von Weimar, Hans Severus Ziegler
anl�sslich jener ber�chtigten Ausstellung Entartete Musik, welche anl�sslich der
Reichsmusiktage in D�sseldorf realisiert wurde, daran , dass Wagner als Verfasser
�seinen lieben Deutschen vor nahezu drei Menschenaltern das Judentum in der Musik
einigerma�en deutlich dargestellt hat.� Er schreibt weiterhin: �Wenn Richard Wagner in
seiner Abhandlung �Das Judentum in der Musik� schon auf die Scharlatane und
seichten Nachahmer der j�dischen Musikproduktion seiner Zeit hinweist und nachweist
mit welcher Solidarit�t das Judentum alle deutsche Musik, deren Sch�pfer bek�mpft hat,
zu einer Zeit, da der j�dische Komponist aus guten Gr�nden immerhin noch ein
bestimmtes Stilniveau wahrte , so sollten wir Nachfahren Wagners erst recht gewitzt
sein, die viel plumperen Scharlatane der j�ngsten Vergangenheit zu entlarven, die
jahrzehntelang unser Opern-und Konzertwesen beherrscht haben.� Ziegler selbst
verdeutlicht dass die Nationalsozialisten sich in ihrem speziellen Kulturantisemitismus
unmittelbar auf die Lehren und Schriften Richard Wagners beriefen, dass sich dieselben
bis ins �III. Reich� ungebrochen fortsetzten und daselbst perfektionierten. Dies sei vor
allem jenen Alpha-Wagnerianern (wie weiland Wagner-Urenkelin Katharina Wagner es
in einem TV-Beitrag tat) ins Stammbuch geschrieben, welche eine spezifische
Verantwortlichkeit Wagners f�r Judenverfolgung und Holocaust so eilfertig und
rundheraus meinen ablehnen zu m�ssen.
Der Meininger Kapellmeister Gustav Adolf Schlemm wurde im Jahre 1933 seines
Postens enthoben, weil er eine Mendelssohn-Komposition, das Klavierkonzert Op. 25
ins Programm eines am 7. Februar im Landestheater gegebenen Jugendkonzertes
genommen hatte; sein Handeln vom Leiter des "Gaukulturamtes der N.S.D.A.P"., Hans
Severus Ziegler als Brunnenvergiftung deutscher Jugend gegei�elt. Der Frankfurter
Dirigent Joachim Martini verdeutlicht in seinem Beitrag zum 1. Leipziger Mendelssohn-
Kolloquium im Juni 1993 pr�zise die Perfidie, mythologische Sublimit�t und implizite
psychologische Nachhaltigkeit dieser Metapher: �B�sartig, denn das Bild suggeriert
83
nicht nur die seit Jahrhunderten zu Pogromen Anlass gebende Fantasie des Ritual-und
Massenmordes, sondern unterstellt gleichzeitig dem Komponisten die abgefeimte
Intention, die Jugend, die Bl�te, die Hoffnung der Nation mit seinem Pesthauch
korrumpieren zu wollen".
Der Doyen damaligen deutschen Dirigententums, Wilhelm Furtw�ngler, hielt in den
Jahren 1933 und 1934 in den Programmen der von ihm geleiteten Berliner
Philharmoniker noch an Mendelssohnschen Orchesterwerken fest. So ist vom Februar
des Jahres 1933 eine Auff�hrung der Schauspielmusik zum "Sommernachtstraum"
�berliefert.
Die im Jahre 1933 in der Leipziger Thomaskirche aufgef�hrte Sylvestermotette des
Thomanerchores brachte u. a. das Neujahrslied �Mit der Freude zieht der Schmerz� von
Felix Mendelssohn zu Geh�r, ohne das NS-Beh�rden dem Chor zu diesem Zeitpunkt
deswegen Schwierigkeiten bereitet h�tten.
Die Rezensentin Grete Altstadt Sch�tze bezeugt im gleichen Jahre im M�rzheft der
�Zeitschrift f�r Musik� eine zeitnahe Auff�hrung des Violinkonzertes Op. 64 in
Wiesbaden. Demonstrativ stellt sie sich dabei an die Seite des "aus innerstem Adel
musizierenden Prof. Georg Kulenkampff,...der bewies, dass man Mendelssohns
Violinkonzert in solch meisterlicher Aufmachung noch lieben k�nne".
Gleichsam in Wiesbaden kam es zu Beginn des Jahres 1934 zu erneuter Auff�hrung
des Violinkonzertes, ohne das die Ausf�hrenden vorab oder im Nachhinein mit
Repressalien konfrontiert wurden. Es spielte der junge Wolfgang Schneiderhan, am Pult
stand Carl Schuricht; beide nach dem Kriege, in den 50ziger und 60ziger Jahren
Kapazit�ten ihres Faches.
Anfang des Jahres 1935 stellte der Engl�nder Frederic Lamont in Berlin ein Programm
vor, das ausschlie�lich aus Werken Mendelssohns bestand.
Im Februar des gleichen Jahres brachte der Thomanerchor in Leipzig noch einmal den
Psalm 43 op. 78 Nr. 2 zu Geh�r, obgleich mit Karl Straube ein altverdientes
Parteimitglied (Parteieintritt i. J. 1926) die musikalische Leitung des Chores wahrnahm,
welcher im Jahre 1937 denn auch der HJ gleichgeschaltet wurde.
Wie stellt sich die publizistische Abhandlung des Sujets Mendelssohn, nunmehr dem
von den Machthabern propagierten "rassebiologischen" Aspekt unterworfen, in der
Fr�hzeit des Regimes dar?
Hans Mersmann vermengt in �Eine deutsche Musikgeschichte� zeitgeistgerecht die
�rassische� Belange des musikalischen Vorfalls Mendelssohn mit den tradierten
biographisch-musikalischen Stereotypen Familienclan, Reichtum, omnipotente
musikalische Protektion, Fr�hreife und �stagnation, formaltechnisch vollendeter
Leerlauf, Klein-(kunst)-meister etc. Wie zahlreiche Musikpublizisten paraphrasiert
Mersmann dabei Thesen aus Wagners Traktat. So spricht Mersmann Mendelssohn die
"stetige w�rmende Kraft" ab, welche Wagner zufolge nur in der Verwurzelung im
deutschen Volke re�ssieren k�nne, welche Mendelssohn als Jude ja von Grund auf
verwehrt sei. Die These von der "technischen Meisterschaft", welche "bisweilen schon
als Leerlauf" empfunden w�rde spielt wiederum auf Wagners Invektive der seelenlos,
technisch vollendeter K�lte in der Musik j�discher Komponisten.
84
So heisst es auf Seite 419 ff:
"...Der Enkel von Moses Mendelssohn...war Tr�ger einer...ausgepr�gt j�dischen
Familienkultur, in welcher die Musik von jeher eine Rolle spielte. (...) alle
Schwierigkeiten wurden aus dem Weg ger�umt. (...)
Und so erreichte er verh�ltnism��ig fr�h einen Grad von Vollendung, den eine sp�tere
Entwicklung nicht mehr �bertraf. Mehrere Vorzeichen treffen zusammen: Rasse,
sch�pferische Begabung, �berz�chtung und eine schon zur Dekadenz hin�berneigende
Familienkultur...: er beginnt mit genialem Schwung (...) und hat dann M�he, die immer
wieder hinabgleitende H�he zu halten. (...) Aber hinter dem Werke lebt nicht mehr die
stetige, w�rmende Kraft und seine vollendete technische Meisterschaft wirkt bisweilen
schon als Leerlauf. (...) Er ist der erste, dessen entscheidende �u�erungen in der
Kleinkunst liegen.
Der "Westdeutsche Beobachter" ver�ffentlichte am 10.3.1935 ein Traktat Dr. Karl
Grunskys; welcher sich, g�nzlich zeitgeistgerecht, "Gedanken �ber Mendelssohn" gemacht
hatte. Grunsky, ein vormals in Stuttgart ans�ssiger Musikschriftsteller und
Bruckner-Experte, war bereits in den ersten Jahren der Weimarer Republik als
Vork�mpfer einer "musikalische(n) Erneuerungsbewegung vor der deutschen
Revolution" mit der Publikation antisemitischer Musikrezensionen hervorgetreten. Mit
der Publikation von "Abwehrschriften", welcher der Komponist Hans Gansser in der
Septemberausgabe der "Zeitschrift f�r Musik" von 1935 "h�chst wertvoll und
aufschlu�reich" bezeichnete. So ver�ffentlichte Dr. Grunsky um 1920 herum eine
Studie, welche sich dem einschl�gig bew�hrten Thema "Richard Wagner und die Juden"
widmete und von Rezensent Gassner als "deutsche Tat von bemerkenswerter
Zivilcourage!" eingesch�tzt wurde.
Des Weiteren versuchte sich Dr. Grunsky bereits im Jahre der "Machtergreifung" in
der Rolle einer publizistischen Denunziation mi�liebiger Kollegen des akademischen
und aus�benden Musikbereichs.
In einer Schrift mit dem martialisch vorgepr�gten Titel "Der Kampf um deutsche
Musik. Der Aufschwung", erschienen im Jahre 1933 in Stuttgart, suchte Grunsky in
anma�end -subjektiver Schreibweise erfolglos Komponisten wie Hugo Herrmann und
Wolfgang Fortner, Funktion�re wie Prof. Fritz J�de und Prof. Leo Kestenberg sowie
auch den Dirigenten Wilhelm Furtw�ngler als wesenssynonym j�disch und
sozialdemokratisch, als unbelehrbare Propagandisten sozialistischen Musikgutes sowie
Marxisten zu diffamieren.
Kaum verwunderlich, da� Grunskys "Gedanken �ber Mendelssohn" somit nur von
brachial zu Werke gehender Subjektivit�t und Polemik sowie ungeschlachter Redeweise
gepr�gt sein konnten:
"Die "Lieder ohne Worte" (schon der Titelwitz verstimmt!) haben eine �berlange Zeit
hindurch den musikalischen Geschmack bestimmt, das heisst verderbt; denn was am
Klavier als am Tonwerkzeug des h�uslichen Alltags erklang, musste sich auf alle
anderen Neigungen auswirken (...) Die Wut musste einen packen, wenn diese
geschw�tzigen Auslassungen wegen besserer Verst�ndlichkeit hoch �ber Beethoven
emporger�ckt wurden. Und spielte die Tochter des Hauses mit einer Freundin gar
vierh�ndig, so mussten es Mendelssohns Sinfonien sein, weil sie so pl�tschrig
dahinflossen (....)
Damit, da� Mendelssohn als Ersatz f�r deutsche Meister in unser Musikleben
eindrang, sind wir an dem entscheidenden Punkte angelangt, der unser Verhalten
85
k�nftig regelt; wir brauchen solchen Ersatz nicht mehr, weder im Konzertsaal noch im
Hause! Auch nicht in der Kirche! Als �bungsstoff kam Mendelssohn vielleicht in
Betracht, aber nie als gleichwertige Offenbarung (...)Nicht zu rechtfertigen ist also die�bersch�tzung, die unsere Musikwelt Mendelssohn auf jedem Gebiete zugestanden
hat.
In Kretschmars "F�hrer durch den Konzertsaal" sind Mendelssohns 5 Sinfonien
zusammen 11 Seiten gewidmet; 7 Sinfonien Bruckners, die vor 1890 entstanden waren,
werden auf wenig mehr als einer Seite erledigt, ein krasser Fall des Mi�verh�ltnisses
zwischen J�dischem und Arischem in einem deutschen Buche!"
Im Jahre 1935 legte Christa Maria Rock einen enzyklop�dischen Konstrukt vor, welcher
sich bereits im Titel �Judentum und Musik: mit dem ABC j�discher und nichtarischer
Musik� als Paraphrase der historischen Publikationen Wagners und Fritschs ausweist.
Als Co-Autor firmiert Hans Br�ckner; die Herausgeber verweisen auf die Auswertung
�authentischer Unterlagen.� Das Buch erreichte bis zum Ende der
nationalsozialistischen Diktatur eine Auflagenh�he von insgesamt etwa 200 000
Exemplaren. Tendenziell liegt es ganz auf der Linie jener zahlreichen, im Zeitraum von
1934 � 40 ver�ffentlichten einschl�gigen Publikationen hinsichtlich musikanthropologisch
bem�hter �Beweisf�hrung� einer "rassisch" bedingten arischen �berlegenheit
sowie der "semitischen" Bef�higung zur Unterwanderung gewachsener "v�lkischer"
Strukturen im musikalischen Bereich.
Rhetorisch indes vollends dilettantisch ausgef�hrt, trachtet es, dem Leser vermittels
dezidiert diffamierender Entstellung und Verzeichnung deutsch-j�discher Vergangenheit,
Pers�nlichkeiten wie Mendelssohn nachhaltig zu entfremden. Wie deutlich
ersichtlich, beruft Rock sich, im Tonfall der �bersteigerung und Nachereiferung
klassisch-subalternen Adeptentums verhaftet, auf den �berkommenen Schlagwort-
Katalog der Wagnerschen Argumentationskette: Mendelssohn = Jude = Eklektizist =
geschm�cklerisch, insubstantiell.
Aber auch die von B. A. Marx (Mendelssohn-Synonym: weibisch) und Theodor Uhlig
(Mendelssohn-Synonym: Schaffenwollen und Nicht-Schaffen-K�nnen) seinerzeit
ausgepr�gten Rezeptionsstereotypen finden in nahezu identischer Wiederholung
Anwendung.
�Felix Mendelssohn Bartholdy (...) war ein Vollblutjude und der Enkel des als Philosoph
gepriesenen Moses Mendelssohn. (...) Seine Frau war die Tochter eines evangelischen
Predigers aus Frankfurt (Main), Cecilie Jeanrenaud, zu deutsch: Johann Fuchs, der
vielleicht auch nicht so ganz rasserein war. Bei Mendelssohns Tod wurden die Zipfel
des Leichentuches von den echten Juden, seinen Freunden Ignaz Moscheles, David,
Moritz Hauptmann und Gade getragen.
(Den demagogischen Praktiken derartigen Schrifttums gem�� unterschl�gt Rock dabei
die Sargtr�ger Robert Schumann und Julius Rietz. Anderseits entgeht ihr der �Semite�
Ferdinand David. Gade und Hauptmann wiederum waren keineswegs j�discher
Abstammung. Anmerk. d. Verf.)
Mendelssohn ist der Begr�nder des Sammelsurium-Stils, der dann von den
nachfolgenden Juden noch weiter verw�ssert wurde. Er gefiel sich besonders in
86
Monster-Vorstellungen, ein typisch j�discher Geschmack, der dann auch von Mahler
besonders �bertrieben wurde. Mendelssohns Musik ist �berwiegend schw�rmerisch und
sentimental, fast weibisch. Sein Schaffen zeigt immer wieder die
Rasseneigent�mlichkeit, die gesuchte Anh�ufung aller denkbaren Instrumentaleffekte.
Immer zeigt sich in ihm der Konflikt des Schaffenwollens und Nicht-Schaffen-K�nnens.
Rein j�disch war auch seine Abneigung gegen Wagner und gegen Beethoven. (...) Ihm
fehlt Naturlaut. Er war nur ein Kolorist der Tonkunst".
Rock biegt sich dabei die musikgeschichtliche Sachlage, ganz dem propagandistischen
Zwecke des Buches unterworfen, mit Brachialgewalt zurecht und beflei�igt sich
stellenweise der reinen Unwahrheit . Mendelssohns Musik ist von der Stringenz und
Transparenz �berschaubarer Besetzungen bei der Vorgabe rascher Tempi gepr�gt.
"Monster Veranstaltungen" laufen dem musikalischen Idiom der Mendelsohnschen
Musik geradezu zuwider. Der Sittenstrenge humanistischen Komponierens verhaftet,
verwahrte sich Mendelssohn gegen�ber jedwedem illustrem musikalischen Affektes,
welcher ihm letztendlich (auch in den Werken andere Komponisten) als unseri�s
erscheinen mu�te. Eine Abneigung Mendelssohns Beethoven gegen�ber entspringt des
Weiteren der puren Erfindung Rocks. Beethovens Symphonien spielten eine
wesentliche Rolle in der Konzeption der Gewandhausprogramme Mendelssohns,
Beethovens Vorbild war in zahlreichen Kompositionen desselben lebendig.
Die Publikation Rocks und Br�ckners war in der Lesart und Recherche allerdings
derart schlampig verfertigt, da� das Autorenpaar eine Reihe von Prozessen auf sich
zog, angestrengt von Personen und Einrichtungen, welche sich durch eine irrt�mliche
Konstatierung j�discher Identit�t in diesem Buch in ihrem Ruf gesch�digt sahen.
Im Sommer des gleichen Jahres leitete Franz von Hoe�lin im Schlo�garten der
Hohenzollern in Breslau ein Serenadenkonzert, welches u. a. auch Scherzo und
Notturno aus der "Sommernachtstraum"-Musik zu Geh�r brachte. Die Presse
kommentierte diese Auff�hrung zweier Kompositionen eines zunehmend als Juden
verfemten Musikers dessen ungeachtet als "unverg�nglich sch�n".
Gleichsam im Sommer des Jahres 1935 trat die Frankfurter Museumsgesellschaft (eine
noch heute bestehende gro�b�rgerliche Konzertgesellschaft) in au�erordentlicher
Mitgliederversammlung mit dem Ziele zusammen, das Konzertprogramm der n�chsten
Saison festzulegen. Der Komponist Dr. phil. h.c. Alexander Friedrich Prinz von Hessen
riet der Versammlung dabei nachdr�cklich, "in Zukunft auch wieder dem Werk
Mendelssohns geb�hrende Beachtung zu schenken" (Prieberg), ohne sich mit dieser
Position bei der Museumsgesellschaft durchsetzen zu k�nnen.
Fred Prieberg, dessen, im einschl�gigen Themenbereich langj�hrig f�hrenden Studie
"Musik im NS-Staat" die Daten regimekontroverser Auff�hrungen von Mendelssohn-
Musik gr��tenteils entnommen wurde, listet des weiteren folgende Theaterauff�hrungen
des "Sommernachtstraums" mit der Mendelssohnschen Schauspielmusik auf: 1934 vom
Friedrich-Theater in einer im Dessauer Luisum veranstalteten Vorstellung; im April des
gleichen Jahres in Ulm, in den Ostertagen des Jahres 1935 in Meinigen.
87
Dem standen im gleichen Zeitraum aber bereits von der NS-Kulturpolitik initiierte
Surrogat-Untermalungen mit Grammophonplatten (so am Freilichttheater M�rkisches
Museum in Berlin), mit Instumentalmusik aus Purcells �The Fairy Queen� bei den
Heidelberger Schlossgastspielen des Jahres 1934, mit einer nicht n�her genannten
Barockmusik an der Naturb�hne in Thale/ Harz sowie eine von Erwin Baltzer mit
Ausschnitten von Carl Maria von Webers �Oberon� am Neuen Stadttheater Greifswald
zusammengestellte Kompilationsmusik. Die wahrscheinlich letzte Auff�hrung des
Schauspiels in der Vertonung Mendelssohns im Nationalsozialismus fand im Juni des
Jahres 1937 am Stadttheater Brandenburg/ Havel statt.
Auch im Verlagswesen konnte sich Mendelssohns Werk noch einige Jahre behaupten.
Die Verlage nutzten dabei offenkundig ein Schlupfloch innerhalb nationalsozialistischer
Verordnungen, welche ein Angebot von Musikmaterialien j�discher Komponisten f�reine bestimmte �bergangszeit scheinbar zu dulden gestatteten.
H�ren wir dazu Joseph Goebbels in einem Artikel der Zeitschrift f�r Musik aus
Regensburg vom 1. Januar 1936.
Er verf�gte darin: "da� wegen allenfallsiger Sch�digung der betreffenden Verlage und
aus der Erw�gung heraus, da� die Bekanntgabe von Werken j�discher Komponisten
weder deren Ankauf noch deren Auff�hrung zufolge haben wird, ein Verbot der
betreffenden Verlagsverzeichnisse nicht ausgesprochen wird. F�r die Zukunft jedoch hat
bei Neudruck von Katalogen selbstverst�ndlich jedwedes Anbieten von Werken nicht
erw�nschter Komponisten zu unterbleiben�.
So bot der Musikverlag Hampe weiterhin ein Posaunenchorarrangement des
Kriegsmarsches der Priester aus Mendelssohns Schauspielmusik zu Racines Drama
"Athalia" zur Auff�hrung an. Ein Katalog des namhaften Musikverlages Bote & Bock in
Berlin wiederum bot Musikalben an, welche Mendelssohnsche Kompositionen und jene
anderer j�discher Tonsetzer gar mit Werken nationalsozialistischer Komponisten wie
Georg Blumensaat, Johannes G�nther und Hans Miessner vereinten.
Im Jahre 1939 erklang Mendelssohn noch einmal an der Musikhochschule in Weimar.
Der Direktor des Instituts, Felix Oberborbeck, wurde daraufhin von seinem Posten
suspendiert �sterreichische NS-Funktion�re erschlossen ihm daraufhin einen neuen
Wirkungsbereich an der Musikhochschule in Graz.
23. Auch in der Musik hat der Jude nie Kulturwerte geschaffen
Die Reichsleitung der �N.S.D.A.P�. war von den Vorg�ngen um die dilettierenden
Publizisten Rock und Br�ckner hinreichend gewarnt; diese hatten betr�chtliche
Zahlungsbefehle hinsichtlich Schadensersatz gegen NS-treue Verlage mit sich gebracht
und diskreditierten das Unterfangen antisemitischer "S�uberung" der deutschen Kultur
in Gesamtheit im Vorfeld erheblich. Also beschloss die rangh�chste Ebene der NS-
Kulturpropaganda die Vorlage eines von offizieller Seite initiierten musikalischen
Judenkatechismus: des "Lexikon der Juden in der Musik"
In den Jahren 1934/35 erschien ein Hauptwerk aggressiven nationalsozialistischen
Rassenschrifttums unter dem Titel �Handbuch der Judenfrage�. Wie im Titel bereits
verdeutlicht, handelt es sich dabei um eine aktualisierte, dem NS-Gedankengut
spezifisch Rechnung tragende Bearbeitung des ber�chtigte "Handbuch der Judenfrage",
88
welches der Antisemit Theodor Friztsch bereits im Jahre 1887 erstver�ffentlichte. Da
das Handbuch der antisemitischen Breitenbewegung Deutschlands seit jeher als
Zentralorgan galt, hatte es bis zu diesem Zeitpunkt bereits zahlreiche Wiederauflagen
erfahren: Allein bis zum Jahre 1907, also f�r einen Zeitraum von nur 20 Jahren, werden
26 Auflagen genannt.
Ob bereits die Neupublikation des "Handbuch der Judenfrage" auf Initiative und
F�rderung der NS-Administration zur�ckging, ist nicht klar. Offiziellen Rang erhielt es
allerdings bereits dadurch, da� es in den Bestand s�mtlicher Bibliotheken in
Deutschland einzog.
Im "Handbuch der Judenfrage" von 1935 greift Hans Koeltzsch in einem Kapitel gleichen
Namens auch den Gedanken vom "Judentum in der Musik" erneut auf.
Im Verweis auf Aspekte wie: "Glanz und Glitter des Theaters" (ein Beitrag �ber
Giacomo Meyerbeer); "Frivolit�t, Zynismus und Erotik" (...�ber Jacques Offenbach);
"Operettenschmierer" (...�ber j�dische Operettenkomponisten); "Oberfl�chliches
Mitmachen jeder Stilsensation" (...�ber Kurt Weill) betreibt er darin detaillgenaue
Demontage j�discher Komponisten und deren Werke:
"Judentum in der Musik, das ist eine kurze, erschreckende und sehr vielf�ltige
Geschichte von Aufnahme fremden Gedankengutes, bar jeder urt�mlichen
Sch�pferkraft; von gr��eren j�dischen Meistern (Mendelssohn, Mahler) in schmerzlicher
Tragik empfunden, gegen die anzuk�mpfen vergeblich blieb. (...) Fassen wir zusammen:
auch in der Musik hat der Jude nie Kulturwerte geschaffen. (...) Darum kann es im
weiteren Felde des neuen deutschen Musiklebens keine �Politik der mittleren Linie�
mehr geben, keine Duldung, Verst�ndigung, keine Humanit�t; wir alle haben
vielmehr...die Pflicht, das Judentum in der Musik restlos auszuschalten�.
Der Autor dieser Zeilen re�ssierte nach 1945 als �namhafter Hamburger
Musikwissenschaftler� und Chefredakteur des 2. UKW-Programms des
Nordwestdeutschen Rundfunks Hamburg. Er ver�ffentlichte u.a. in den 60ziger Jahren
einen Standardopernf�hrer, der �ber Buchgemeinschaften verlegt, zahllosen
Haushalten zum Allgemeingut wurde und unentwegt vernichtende Urteile bez�glich
"Sommernachtstraum" und Meyerbeers gesamtes Opernschaffen verk�ndet.
Die von der nationalsozialistischen Propaganda synonym zu �j�disch� aufgewandten
Begriffe �Atonalit�t� und �Entartet� waren der Entw�hnung von den harmonisch-
melodischen Kompositionen des Sp�tklassizisten Mendelssohn wenig dienlich. Zwang
administrativer Verordnung trat an die Stelle propagandistischer Rhetorik. Musikvereine,
Orchester und Konservatorien lie�en vom Werke Mendelssohns ab und seine Musik
verstummte in Deutschland und Hitler-Europa f�r nahezu 12 Jahre.
Das im Jahre 1912 in der Berliner Staatsbibliothek zur Aufnahme und Exposition des
Nachlasses errichtete Mendelssohn-Zimmer wurde im Jahre 1933 umbenannt, die im
Jahre 1878 von den Erben und dem Preussischen Staat errichtete Mendelssohn-
Stiftung zur F�rderung begabter Studenten der F�cher Komposition, Dirigat und Klavier
1934 eingezogen.
Der umsichtigen Sorge des Musikwissenschaftlers und Musikfunktion�rs Prof. Georg
Sch�nemann als Direktor der Handschriftensammlung der Berliner Staatsbibliothek ist
89
es einzig zu verdanken, da� der unmittelbare schriftliche und musikalische Nachlass
Felix Mendelssohns die Zeiten des �III. Reiches� und des II. Weltkrieges weitgehend
unbeschadet �berstand.
Auch die Musikstadt Leipzig hatte sich der Erinnerung an den bedeutenden einstigen
Mentor hiesigen Musiklebens rasch entledigt, eine Entwicklung, der mit der Vernichtung
des Mendelssohn-Denkmals vor dem Gewandhause �ffentlichkeitswirksam besiegelt
wurde.
Zum Beweis dessen ein Blick in zwei Publikationen des ma�geblich auf die Initiative
Felix Mendelssohns im Jahre 1843 gegr�ndeten und von diesem bis zum Todesjahre
1847 geleiteten Leipziger Konservatoriums.
Direktor Prof. Walther Davisson umri� in jenen Jahren in einem Editorial unter dem
Titel: "Das Landeskonservatorium" (ohne Datumsangabe) die Geschichte seines
Hauses folgenderma�en:
"Drei grosse Institute: Thomaskirche, Gewandhaus und Konservatorium haben den
Ruf Leipzigs als Musikstadt begr�ndet und tragen heute noch Leipzigs K�nstlernamen
in alle Welt. Das Landeskonservatorium nimmt unter ihnen als Musikbildungsst�tte eine
sehr wichtige Stellung ein. Es wurde am 2. April 1843 als erstes gro�es deutsches
Musikerziehungsinstitut mit der Bezeichnung "Konservatorium f�r Musik" er�ffnet und
unterstand der Aufsicht der Gewandhausdirektion. Unter den ersten Lehrern finden wir
Namen wie: Moritz Hauptmann, Dr. Robert Schumann, Christian August Pohlenz, Carl
Ferdinand Becher, Ernst Friedrich Richter und Nils W. Gade.
Das nachfolgend wiedergegebene (p�dogogische) Er�ffnungsprogramm, das in
seinen Hauptgedanken noch bis zum heutigen Tage G�ltigkeit hat, zeigt uns, da� schon
die Gr�nder der neuen Musikschule von der Notwendigkeit einer umfassenden
k�nstlerischen Ausbildung �berzeugt waren: Der zu erteilende Unterricht umfasst
folgende Gegenst�nde: Komposition, Violinspiel, Klavierspiel, Orgelspiel und Gesang.
(...) Als Bildungsmittel f�r die Z�glinge bieten sich ferner dar: der unentgeltliche Besuch
der in jedem Jahr stattfindenden Abonnemontskonzerte im Gewandhaus und der
diesf�lligen Proben sowie der Quartettunterhaltungen.
Auch der Besuch der vom Thomanerchor allw�chentlich aufgef�hrten
Kirchenmusiken und der Vorstellungen der st�dtischen Oper wird zur musikalischen
Fortbildung beitragen k�nnen".
Davisson streicht dabei in erheblichem Ma�e die auf Felix Mendelssohn Bartholdys
Wirken beruhende ungebrochene musikalische Tradition Leipzigs, die historische
Bedeutung des Konservatoriums, den Modellcharakter des im Jahre 1843 vorgelegten
Ausbildungskonzeptes heraus. Des weiteren scheute er keineswegs das umfangreiche,
anonyme wortw�rtliche Zitat aus dem Programm, welches der totgeschwiegene oder mit
der Chiffre "Gewandhausdirektion" verkleidete Direktor Felix Mendelssohn zur Er�ffnung
des Instituts verfasste.
Davisson geriet einige Zeit nach Vorlage des Artikels selbst in politische
Schwierigkeiten, da Zweifel an seiner "arischen" Herkunft aufkamen. Obgleich er die
Anfechtung der "Reinrassigkeit" stets durch die Pflege dezidiert v�lkischer Rhetorik zu
entkr�ften suchte, wurde er infolge des Verdachtes der Leitung des Konservatoriums
enthoben, das Institut einer kommissarischen Leitung anvertraut.
Getreu der Joseph Goebbels-Losung: "Judentum und deutsche Musik, das sind
Gegens�tze, die ihrer Natur nach in schroffstem Widerspruch zu einander stehen�
erging an die Musikwissenschaft der Auftrag, das Idiom deutscher Musik zu definieren.
90
Dies vermochte sie ebenso wenig auf der Basis empirisch gesicherter Erkenntnisse zu
leisten, wie Wagner seinerzeit ein vermeintlich semitisches Idiom von Gl�tte, K�lte,
seelenlos-perfektionistischer Eleganz im Werk Mendelssohns seri�s nachweisen
konnte.
Im Zuge dessen bem�hte sich beispielsweise der Musikwissenschaftler Robert
Pessenlehner "Vom Wesen der deutschen Musik" (Gustav Bosse Verlag, Regensburg,
1937) ultimative Kunde zu geben. Er stellt darin die Behauptung da� "die h�chste
Formvollendung in den Werken aller Zeiten und Epochen (...) nur in den Werken der
Deutschen Tonkunst" gleichsam als zentrale These, als Losung �ber die gesamte
Thematik auf. .
An zahlreichen Fallbeispielen sucht Pessenlehner, die vom Propagandaministerium
eingeforderte Beweisf�hrung einer spezifischen Vorrangstellung Deutscher Tonkunst im
Konzert der V�lker und Nationen vorzunehmen.
So beklagt er eine "allm�hliche Umwandlung des arischen Rhythmusgesetzes in ein
ausserarisches" als vormals sch�dlichen Prozess, zersetzend f�r die Deutsche
Tonkunst und stellt dieser Entwicklung einen Kanon unverbr�chlich-ewigg�ltiger
"Wesensmerkmale -Symbole der Deutschen Musik" entgegen. Als grundlegendes
"Wesensmerkmal", als "Symbol" hebt er beispielsweise die Synkope hervor.
Der Fall Mendelssohn, des "Kronzeuge(n) f�r die j�dische Musik, die erkenntlich ist
am Fehlen der deutschen Symbole, vor allem der Synkope", dessen Musik ja "jeglicher
Synkopen" ermangele, erledige sich im Benehmen, jener sei vorgeblich ein Deutscher
Komponist gewesen, somit ja von alleine.
Thesen wie jene, "innerhalb der deutschen Musikwelt" sei es das Ph�nomen der
Synkope, welches "ganz besonders arische und nichtarische Tonsetzer" unterscheide,
oder Betrachtungen wie "Deutsch sein heisst unklar scheinen" schlie�en sich an.
Die Subjektivit�t, der vordringlich im Obsessiven, Pathologischen wurzelnde Versuch
um die Definition eines einzigartigen Idioms deutscher Musik; das pers�nliche Scheitern
Pessenlehners an dieser Aufgabe, ja die Vergeblichkeit derselben, streicht jener selbst
unzweideutig hervor:
Die Erkl�rung der "Merkmale der Deutschen Musik" w�re letztendlich "nach dem
Stande der gegenw�rtigen Forschung auch nicht einzig und allein dem
Rassengrundsatz (zu) �bertragen (...) Gewi� ist die Scheidung zwischen arischer und
nichtarischer Rasse die Grundlage f�r die gesamte Abhandlung. Aber innerhalb der
arischen Rasse ergeben sich von der Musik her Abwandlungen, f�r deren Bestimmung
die bisherigen Ergebnisse der Rassenforschung nicht ausreichen."
Wolfgang Boettcher, dessen Funktion innerhalb der nationalsozialistischen Rezeption
Felix Mendelssohns noch ausf�hrlich zur Sprache kommen soll, hebt in einem im M�rz
des Jahres 1938 im Monatsheft "Die Musik" des Gustav Bosse Verlages Regensburg
erschienenen Essay denn auch die Fragw�rdigkeit des Pessenlehnerschen Versuches
unmissverst�ndlich hervor. Begreiflicherweise kapriziert sich der Habilitant Boettcher,
der nach 1945 eine ausgewiesene musikwissenschaftliche Karriere durchlief,
vorwiegend auf die Wahrung musikakademischer Belange:
"Wenn man Pessenlehners Buch zur Hand nimmt, stellen sich zun�chst Zweifel ein,
ob man es mit einer ernstgemeinten Darstellung zu tun hat oder ob sich der Verfasser
(...) in karnevalistischer ironisierender Form mit Fragen besch�ftigt, die nur von h�chster
fachlicher und weltanschaulicher Warte aus beantwortet werden k�nnen.
91
Das Buch ist vom Verfasser ernst gemeint. Das geht nicht zuletzt aus der
Selbstsicherheit , mit der Pessenlehner (bis dato der deutschen Musikwelt ein
Unbekannter) sich selbst auf einem ganzseitigen Bilde -dem einzigen des 193 Seiten
starken Buches -darbietet. (�) Nach schweren Angriffen auf die deutsche Musikkultur
der Gegenwart (...) kommt bei Pessenlehner die deutsche Musikwissenschaft unters
Messer (...) Pessenlehner meint ironisch: "Die M�nner, die einst an der Zeitschrift der
Internationalen Musikgesellschaft mitschufen", behaupteten im Januar 1934, sie h�tten
"den Ruf", sich "zu neuer nationaler Einheit und Geschlossenheit zusammenzufinden,
wohl verstanden. Er entlarvt den "Ungeist", der die Deutsche Musikwissenschaft seit
ihrer Entstehung durchzieht" (...) W�hrend er dem Deutsche Musikgelehrten die Ehre
abschneidet, ber�hrt es peinlich, da� er den Juden Moritz Bauer ( + 1932, u.a. seit 1918
Professor & Universit�tsmusikdirektor in Frankfurt a. M., Widmungstr�ger der
Dissertation Pessenlehners) aus begreiflichen Motiven kein einziges Mal erw�hnt".
W�hrend zahlreiche Autoren in Kampfschriften das Ph�nomen einer vermeintlich
nachhaltig "durchrassten" Deutschen Tonkunst blo�zulegen trachteten, negierte eine
systemkonforme, �bergreifend agierende Musikwissenschaft das Lebenswerk Felix
Mendelssohns vollst�ndig.
�Es ist nicht Aufgabe einer deutschen Musikgeschichte, sich mit ihm und seinen
Ouvert�ren, Sinfonien und Oratorien, seinen Liedern und seiner Klaviermusik zu
befassen� (Josef M�ller-Blattau, Professor der MW in Frankfurt (1935) und Freiburg
(1937) in seiner "Geschichte der deutschen Musik", Berlin 1938) Sie gew�rtigte sich des
Weiteren des Problems: Ist das Judentum eines musikgeschichtlich unumg�nglich
aufzuf�hrenden Komponisten durch die Formulierung �der Jude Mendelssohn, der Jude
Mahler� oder durch Voranstellung eines Davidsterns oder in Klammern gesetzten J`s in
Text oder Register hervorzuheben?
Die Zerst�rung des klassizistischen Mendelssohn-Denkmals vor dem Gewandhause zu
Leipzig im November 1936 -von jener wird noch ausf�hrlicher die Rede sein -initiierte,
einer Initialz�ndung entsprechend, gleichsam eine Flut Deutscher Musikgeschichten,
welche das erkl�rte Bem�hen um rassemusikalische Deutungen und Verurteilungen
Felix Mendelssohns vorzunehmen trachteten. Es scheint fast -nun das Denkmal
gefallen und damit ein Damm gebrochen, welcher Verunsicherte und z�gernde bislang
in Bann hielt -, als ob sich ein Exorzismus, ein Massenph�nomen gleichsam entfesselte,
der deutschen Tonkunst den bislang arrivierten, verehrten Musikjuden ein f�r alle Mal
auszutreiben.
Im gleichen Jahre referierte der Komponist und Musikdozent Walter Trienes -er war
seit 1925 Mitarbeiter des Konservatoriums in Hagen -in der Septemberausgabe des
"Repetorium(s) der Musikgeschichte. Das Wichtigste aus der Musikgeschichte aller
Kulturv�lker in Frage und Antwort", welche in K�ln erschien, �ber das Thema "Die
Entwicklung des Judentums in der Musik seit der Emanzipation". Trienes konstruiert in
diesem Beitrag das Unternehmen eines j�dischen "Vormarschs...um die Herrschaft in
der Musik".
Das Oeuvre Mendelssohns immerhin war dem Autor dabei eine "siebende und
sichtende Pr�fung" wert, mit der Zielsetzung "welchen Wert wir den eigenen Leistungen
des Tonsetzers bei(zu)messen" f�rderhin imstande zu sein verm�gen".
Das Resultat entsprach vollst�ndig den Vorgaben der von den Machthabern
propagierten v�lkischen Ideologie: Musikalischen Charaktermangel und musikalisches
92
Unverm�gen attestierte Trienes dem Mendelssohnschen Schaffen und streicht erneut die
Musikwissenschaft des sp�ten 19. Jahrhunderts paraphrasierend -die fehlende
"Kraft, wirklich zu ersch�ttern" hervor. Auch die Analyse anderer Meister j�dischen
Glaubens oder j�discher Herkunft resultiert somit in Verurteilung und Diskreditierung
derselben. So repr�sentiere die Grand Opera Meyerbeers irreversibel nur "hohles
Pathos", habe Mahler sich in seinem Schaffen lediglich einer "stetigen Selbstt�uschung"
hingegeben, wenngleich Trienes der Person Mahlers mehr Charakterf�lle als jener
Mendelssohns zugesteht.
Trienes Darlegungen eines vermeintlichen Ph�nomens unausgesetzten Bem�hens um
feindliche �bernahme des europ�ischen Geisteserbes durch "das Judentum",
sekundiert von "Stimmungsmache" durch �j�dische Pressemagnaten� und eines
erfolgreichen "Geschichtsbetrugs", kulminieren schliesslich in der apokalyptisch
anmutenden Gewi�heit des vollendeten Triumphes dezidiert j�dischkulturpessimistischer
Strategien:
"Der Steilabhang f�hrte �ber die "Versachlichung" und Vern�chterung, �ber die
Ausmerzung der Werte des Charakters, der Kriegserkl�rung allem Gef�hlsm��igen, der
Objektivierung und Mechanisierung, �ber die Entfesselung von rhythmischen Orgien zu
dem absoluten Tiefstand ethischer Zersetzung...."
Trienes Argumentationsgang zufolge war es also Mendelssohn, welcher vermittels
"Versachlichung und Vern�chterung" (leere Formverbundenheit), "Ausmerzung der
Werte des Charakters" (an�mische Sch�ngeistigkeit), der "Kriegserkl�rung allem
Gef�hlsm��igen" (Aversion gegen�ber dem Affekthaften, innere K�lte) sowie
Objektivierung und Mechanisierung (Unterordnung des musikalischen Ideals unter
sachfremd philosophische; formelle Konventionalit�t) die deutsche Musik nachhaltig auf
den Weg zum "absoluten Tiefstand ethischer Zersetzung" brachte. Diesen sah Trienes
schliesslich im Werke Kurt Weills erreicht.
Nimmt man Trienes indes als Autor eines nationalsozialistisch-v�lkischen Traktates
wahr, verdeutlicht sich rasch die Affinit�t jener Mendelssohn-These zu den bekannten
Wagnerschen Stereotypen vom seelenfremden j�dischen Objektivierer und Kopisten
deutscher Kunst.
Gleichsam im Jahre 1936 befasste sich Richard Litterscheid in der M�rzausgabe der
"Musik" mit der Frage nach "spezifisch j�dischem Formwillen" oder dem "Sch�pfertum
aus zweiter Hand", dargestellt an den Beispielen Mendelssohn und Gustav Mahler.
"So gesehen besteht kein Zweifel, dass auch Mendelssohns Sch�pferkraft davor
versagt hat, ganz und gar in der gro�en deutschen Gef�hls-und Formsprache zu reden
(...) Seine Werke verm�gen trotz ihrer klassischen Haltung - an welchen Vorbildern auch
konnten Sie sich bilden! - vor einer strengen Pr�fung nicht zu bestehen
(...) Die Lieder ohne Worte, einst die bevorzugte Hausmusik gef�hlvoller
Backfische, besitzen des Unechten, Sentimentalen zuviel; sein sonst �ber alles gelobtes
Violinkonzert rutscht in den grossen Kantilenen immer wieder ins Gef�hlsselige aus;
seine "Sommernachtstraum"-Musik bleibt (...) ohne sch�pferische Sto�kraft in
musikalisches Neuland entworfen (...) in ihren Gef�hlswerten unecht. Man wende nicht
ein, da� es gleichzeitig auch deutsche "Sentimentaliker" gegeben habe. (...)
Mendelssohn (...) der nicht neben sie, sondern neben Schubert und Schumann gestellt
zu werden pflegt, muss und kann nur mit diesen deutschen Meistern verglichen
werden". Nach der Definierung Mendelssohns als "Sentimentaliker", wendet sich
Litterscheid
93
der vermeintlichen Ursache solch auff�lligen Sentiments zu, welche der Autor
zwangsl�ufig im Rassenproblem erkannte. Wenig verwunderlich, da� dabei auch wieder
Wagnersche Thesen paraphrasiert werden.
"Dann aber enth�llt sich die wahre Seele der Mendelssohnschen Musik, nicht als die
eines anderen Charakters, nein, eben als die einer anderen Rasse (...) Doch zu eigner
j�discher Musik drang Mendelssohn eben nicht vor und zur vollendeten Gestaltung im
Sinne des deutschen Gastvolkes aus dessen spezifischem Gef�hlsleben auch nicht. So
ist die Berechtigung gegeben, trotz der relativ gro�en Leistung dieses Mannes davon zu
sprechen, da� der Jude nicht eigensch�pferisch, jedenfalls nicht wie das deutsche
Genie (...) ist, und niemals sein kann".
Im Jahre 1937 er�rterte Richard Eichenauer in nationalsozialistischem Geiste
Sachgebiete wie "Musik und Rasse". Dieser Versuch akribisch vorgenommener
Definition eines Ph�nomens "musikalischen Judentums" auf der Grundlage
rassebiologischer Theorien, unterteilte j�dische Herkunft und Wesensart pauschal in 2
Kategorien: ein "vorderasiatisches" und ein "orientalisches" Judentum. In der
rassistischen Interpretation der jeweiligen Lebensumst�nde ordnete Eichenauer die
herausragenden Pers�nlichkeiten j�discher Herkunft in der Musikgeschichte einem der
genannten "St�mme" zu.
Person und Wirken Felix Mendelssohns hingegen ordnete der Autor gar beiden
genannten "St�mmen" zu. Den Schwerpunkt jener vermeintlich semitischen Kontur in
Person und Musik Mendelssohns, die Ursache der von Eichenauer erneut
paraphrasierten Wagnerschen Invektiven von "Gl�tte", "K�lte"; "Nachpr�gung" sowie
einer vorgeblich seichten Emotionalit�t Mendelssohnscher Kompositionen sah er aber in
der spezifischen Verwurzelung in der "vorderasiatischen" Wesensart.
"Felix Mendelssohn Bartholdy zeigt k�rperlich die Z�ge beider Hauptrassen des
Judentums, der vorderasiatischen und der orientalischen; dazu ist gerade bei ihm der
starke Umwelteinflu� h�chstgesteigerten deutschen Geisteslebens nicht zu vergessen.
Aus ihm sprechen lauter vorderasiatische Rassenz�ge: Gabe der Einf�hlung in
fremdes Seelenleben, der gef�lligen Ausnutzung bestehender Formen, ein gewisser
Mangel an jenem Schwergewicht, das f�r nordisches Empfinden zu einem "grossen"
Menschen geh�rt".
Der Musikforscher Ernst B�cken bekundete wiederum in "Die Musik der Nationen. Eine
Musikgeschichte", welche zeitgleich in Leipzig herausgegeben wurde, dass der "Grund
einer gewissen Eint�nigkeit" Mendelssohnscher Musik "in der oft leierig werdenden
Rhythmik (liegt), die schon H. von Waltershausen als ein f�hlbar durchschlagendes
rassisches Merkmal" derselben "angesprochen hat".
B�cken ver�ffentlichte im Nationalsozialismus des Weiteren ein W�rterbuch der Musik,
Leipzig 1940, eine "Musik des 19. Jahrhunderts", eine "Musik der Deutschen" K�ln
1941, welche unausgesetzt gegen avantgardistische Musik agitieren und, wenig
verwunderlich, von Thesen rassistisch-antisemitischer Pr�gung durchsetzt sind.
Im Jahre 1939 stellte Prof. Richard Blessinger -seit 1920 als Dozent an der M�nchner
Akademie f�r Tonkunst t�tig -in der Denkschrift "Judentum und Musik Ein Beitrag zur
Kultur-und Rassenpolitik" Felix Mendelssohn" explizit als Initiator einer
"Zerst�rungsarbeit des Judentums an unserer Musik" heraus. Vornehmlichstes Anliegen
des Pamphletes war es denn auch anhand "des Wirkens dreier j�discher Musiker (...)
bestimmte Etappen dieses Zerst�rungswerkes" zu veranschaulichen.
94
Blessinger behauptet infolgedessen, dass jene "drei M�nner" (...) welche "dabei
gleichzeitig in klarer Weise drei j�dische Typen darstellen, die an Gef�hrlichkeit
einander gleich, im Auftreten und in den Methoden sich deutlich voneinander
unterschieden. Mendelssohn, der das Zerst�rungswerk eingeleitet hat, erscheint als der
Typus des sogenannten Assimilationsjuden; Meyerbeer, der m�chtigste Mann der
zweiten Etappe, ist der skrupellose Gesch�ftsjude; Mahler, der Beherrscher des dritten
Stadiums, stellt den fanatischen Typus des ostdeutschen Rabbiner dar".
Dem bis in die Titelgebung des Pamphlets hinein offenkundig reflektierten Vorbilde
Wagner gem��, �bte Blessinger sich in der Konstruktion eines mit wissenschaftlicher
Akribie aufgef�hrten antisemitischen Argumentationsgeb�udes, welches er vermittels
historischen Querverweisen anthropologisch zu untermauern trachtete. So wird die Lyrik
des m�rkischen Dichters Theodor Fontane dazu mi�braucht, die Denunziation des
"Juden als Kulturparasiten" durch die Aussage einer unangezweifelten Autorit�t zu
sanktionieren.
Blessinger geht in der Recherche seines Konstruktes tief in die deutsche Geschichte
zur�ck. Die Aufhebung der j�dischen Ghettos habe somit die voranschreitende
Infiltrierung des europ�ischen Geisteserbes vermittels Taktik und Tarnung bedingt. Eine
ma�gebliche Funktion dabei erkannte Blessinger Mendelssohns Gro�vater, dem
Philosophen Moses Mendelssohn zu, dem es "in der Hauptsache zuzuschreiben (w�re),
da� die Juden, die unter rabbinischer F�hrung bisher geistig in ghettoartiger
Abgeschlossenheit gelebt hatten, nun aus dieser heraustraten und eine neue Taktik, die
der "Assimilation", der scheinbaren Angleichung an das Leben des Wirtsvolkes
anwendeten, um ihr erstrebtes Weltherrschaftsziel zu erreichen.�
Blessinger gei�elt dabei im Besonderen Moses Mendelssohns "vollst�ndige
Umwertung des Begriffes der Philosophie" in den "geistreichen Plauderton einer
"gebildeten Konversation", welche alleinig beabsichtige "immer recht zu behalten, auch
wenn der andere im recht ist".
Die Folgewirkungen dessen monierte Blessinger am Ph�nomen des j�dischen
Salons, einer vermeintlichen St�tte subversiver Kultivierung des Degenerierens von
K�rper und Geist: "Hier sehen wir ganz deutlich, worauf es den ,,H�uptern" ankam.: die
Menschen bei ihren schwachen Seiten zu packen, diese Schw�chen als etwas im
Grunde genommen geradezu Wertvolles hinzustellen und sie dadurch innerlich zu
spalten...Parasit�re Aneignung der Geschmackskultur durch die Juden" h�tten somit
wesentliche Bereiche gro�b�rgerlichen Lebens dahingehend "umgebogen", dass es
einer "wirklich deutschen Romantik" nunmehr unm�glich gewesen sei "echte
Tiefenwirkung" zu erreichen und "der Jude Mendelssohn" somit als "echtester
musikalischer K�nder (...) vielgepriesenen deutschen Gem�ts" wahrgenommen wurde.
Einem Umri� nationalsozialistischer Rezeption von Person und Musik Felix
Mendelssohn Bartholdys stellte Blessinger eine Analyse der "Machenschaften" durch
den Funktion�r Mendelssohn voran. Mit der Eloge vom "j�dischen Interesse", welches
Mendelssohn angeleitet habe, kn�pft er an das Verdikt des Leipziger Tagblattes von
den "mosaischen Interessen" im November 1846, in Zeiten des Vorm�rz an und
verdeutlicht somit die ungebrochene Tradition pathologisch �bersteigerter deutscher
Fremdenangst.
Mendelssohns Leistungen als Dirigent seien also "in �u�erlichkeiten" verblieben,
h�tten vielmehr "die tieferen Werte der Werke verschlechtert," Mendelssohns Musik
hingegen "formalen Schematismus, (...) Mangel an wirklicher Sch�pferkraft", Tonrede
"ohne wirklich etwas zu sagen" demonstriert. Dabei handele es sich "in der Hauptsache
95
(...) doch um eine �bertragung magischer Beschw�rungsformeln des Orients in unseren
Bereich, (...) einer Formel, die so unabl�ssig wiederholt wird, pr�gt sich dem H�rer
unausl�schlich ein, und will ihm nicht mehr aus dem Kopf gehen". Infolgedessen habe
"der Jude seinen Zweck erreicht,: seine Musik ergreift Besitz von den Menschen selbst
wider deren Willen".
Wieder einmal vertieft sich ein Demagoge hier so sehr in den Gegenstand seiner
Betrachtung, dass er den Bezug zur Basis objektiver Betrachtung desselben verlor und
sich Aussagen somit in Gegensatz zur Intention des Autors stellen.
Als Verweis darauf, dass die von Blessinger angef�hrten Mendelssohnschen
Verf�hrungstechniken wohl eher auf das Werk Richard Wagners zutr�fen, sei dessen
These folgende Einsch�tzung des Wagner-Biographen Robert Gutman
entgegengestellt:
"Wagner sprach vom "unvergleichlichen Zauber" seiner Werke -ihr st�rkster Zauber
war die Musik. Ein Prospero mit Buch und Zauber-Musik, der zu herrschen suchte �ber
eine Welt niederer Geister, benutzte er die Musik, um die Sinne zu unterwerfen, um ein
Publikum, dem er alle Frage abgenommen hatte, zu fesseln, zu knebeln, zu belehren.
Seine Musik zwang zum Glauben, ihre herrliche Instrumentierung geht -wie
Nietzsche bemerkte -aufs Nervensystem, sie hat die Kraft, das R�ckenmark zu
bezaubern und �berredet selbst noch die Eingeweide".
Auch Blessinger bem�ht sich um den Nachweis einer spezifisch rassischen
Beschaffenheit in der Musik j�discher Komponisten. Dabei paraphrasiert er implizit die
Theorien Wagners:
"Zwischen organischer Formgestaltung deutscher Art und j�discher Formkonstruktion
besteht ein un�berbr�ckbarer Gegensatz. Der sch�pferische deutsche Genius gestaltet
ein Kunstwerk als Kosmos, der eine lebendige Einheit bildet (...) und in dem jede
Einzelheit trotz ihrer eigenst�ndigen Bedeutung in das Ganze sich einordnet.
Der Jude aber, unsch�pferisch, wie er ist, vermag nie die Einheit des Ganzen auch
nur zu sehen., geschweige denn selbst zu gestalten.
F�r ihn l�st sich das Ganze in einer Unmenge selbstst�ndiger Einzelheiten auf, die
h�chstens durch k�nstliche Mittel, niemals aber organisch miteinander verbunden sind,
(...) es ist im Grunde dasselbe, ob die Urheber des Talmud das "Gesetz" in eine
un�bersehbare Menge von Einzelvorschriften aufteilen, ob ein Moses Mendelssohn den
geordneten Gang philosophischen Denkens durch geistreich sein sollende Einzels�tze
st�rt, oder ob ein Felix Mendelssohn rein verstandesm��ig aus dem Schaffensprinzip
deutscher Tonmeister ein totes Formschema mechanisch herausdestilliert.
Und wenn heute noch immer Musiker und Musikfreunde es bedauern, dass ihre
Lieblingskompositionen, die "Sommernachtstraum"-Ouvert�re, die Hebriden-Ouvert�re,
das Violinkonzert usw. aus den Programmen verschwunden sind, so ist dem zuerst
entgegenzuhalten, dass es unendlich viel bedauerlicher ist, da� hochbedeutende Werke
deutscher Komponisten, wie das Schumannsche Violinkonzert, uns durch j�dische
Machenschaften ganz verlorenzugehen drohten".
(Eine signifikante nationalsozialistische Fehlinterpretation musikhistorischer Fakten: das
Violinkonzert d-moll Schumanns war von Clara Schumann, auf Anraten des j�dischen
Violinvirtuosen Joseph Joachim, postum von einer Ver�ffentlichung zur�ckgehalten
worden, da beide die hohe Qualit�t Schumannschen Schaffens in diesem Falle nicht
96
mehr gegeben sahen. Das Werk erfuhr eine propagandistisch-sensationell aufbereitete
Urauff�hrung im deutschen Nationalsozialismus des Jahres 1937. Der aus rein
k�nstlerischen Erw�gungen heraus erteilte Rat des Robert und Clara Schumann-
Freundes Joachim wurde also, im Hinblick auf dessen j�dische Herkunft, als
einschl�giger Beweis jener genannten "j�dischen Machenschaften" zu Lasten eines
bedeutenden deutschen Meisterwerkes; eines dezidiert vorgetragenen Anschlages auf
den Bestand der nationalen Tonkunst im Sinne rassisch-nationalsozialistischer
Propaganda mi�deutet.)
Blessinger f�hrt fort:
"Und zum zweiten ist festzustellen, dass vor 1914 allgemein in Musikerkreisen die Musik
Mendelssohns nicht mehr ernstgenommen wurde, dass man mit einem
geringsch�tzigen Achselzucken �ber sie zur Tagesordnung �berzugehen pflegte, und
dass erst der unselige November 1918 diese Musik wieder in den Vordergrund stellte.
Mendelssohn war, abgesehen von den Liedern ohne Worte in den Musikmappen der
h�heren T�chter und von dem Chor Wer hat Dich, Du sch�ner Wald vor dem ersten
Weltkriege so gut wie vergessen.
Erst die Juden der Nachkriegszeit haben versucht, ihn endg�ltig unsterblich zu
machen. Machen wir uns ein f�r alle Ml von dieser j�dischen Suggestion los, dass der
Verzicht auf Mendelssohn eine Verarmung unserer Musik bedeute".
Walter Trienes, jener Komponist, welcher der nationalsozialistischen These einer
Verschw�rung des Weltjudentums zur Infiltration und Vorherrschaft in der deutschen
Musik bereits eigenst�ndig publizistisch Vorschub leistete, rezensierte am 30. Januar
1939 im �Westdeutschen Beobachter� eine Ver�ffentlichung Blessingers, welche im
Jahre 1938 unter dem Titel: "Mendelssohn, Meyerbeer und Mahler: drei Kapitel
Judentum in der Musik als Schl�ssel zu Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts" in Berlin
herausgegeben wurde.
Der Autor trachtete darin, die in "Musik und Rasse" erhobenen Theorien (Berlin 1938) in
der Folge detailliert darzulegen und zu erh�rten. Dem Geiste der eigenen Publikation
und der NS-Ideologie gem��, sekundiert Trienes dem Parteimitglied und "namhaften
M�nchner Wissenschaftler und P�dagogen" Blessinger bereitwillig. Das
Hauptaugenmerk seiner Betrachtungen richtet Trienes somit auf den Komplex jener
Verschw�rungstheorien, welche auf Tendenzen j�discher Beeinflussung, Beherrschung
und Machtvervollkommnung innerhalb der deutschen Tonkunst reflektieren. Sie lassen
sich in direkter Linie erneut auf das Motiv und die Argumentationsweise von Wagners
Traktat zur�ckf�hren.
Trienes schreibt also:
"In den drei Hauptvertretern des Judentums in der Musik erblickt der namhafte
M�nchner Wissenschaftler und P�dagoge Karl Blessinger den Schl�ssel zur
Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts. Vielleicht tut man den Juden zu viel Ehre an,
wenn man ihnen f�r diese erste Zeit bereits eine zentrale Stelle einr�umt, die sie (...) in
Deutschland nach dem Weltkriege mehr und mehr einnehmen konnten. Ohne Zweifel
war ihre musikalische Machtposition allerdings auch in der Romantik schon weit st�rker,
als es dem fl�chtigen Blick infolge der geschickten Verschleierungsk�nste ihrer wahren
Absichten zun�chst scheinen mag.
Der Verfasser enth�llt uns eine Reihe dieser Tarnungsman�ver und deckt die
97
heimlichen Regietricks des Erfolgs auf, die den j�dischen Komponisten den
entscheidenden Vorsprung vor den nichtj�dischen sicherten. Mendelssohn wird ihm f�r
diese Taktik zu einem wichtigen Pr�zedenzfall. Blessinger kommt in einem besonderen
Abschnitt auf die Legende von Mendelssohns vorgeblichen Verdiensten um das Werk
Bachs zur�ck. (...) Aufschlu�reich sind die Untersuchungen �ber seine Kompositionen,
�ber den Unterschied der Gef�hls�u�erungen deutschen und j�dischen Wesens in der
Musik, den un�berbr�ckbaren Gegensatz zwischen organischer Formgestaltung
deutscher Art und j�discher Formkonstruktion und nicht zuletzt die Herkunft seiner
besten melodischen Einf�lle."
24. Alles, alles wurde dem Juden zugesprochen
Der Generalsekret�r des Salzburger Mozarteums Erich Valentin ver�ffentlichte im Jahre
1940 ein Musiklesebuch mit dem Titel "Ewig klingende Weise. Von deutscher Musik"
(Regensburg). Der Verfasser l�sst darin den gebotenen Anspruch objektiv musikalischer
Betrachtungen vermissen und beflei�igt sich vielmehr einer subaltern anderen Autoren
nachempfundenen antisemitischen Attit�de. Er beklagt somit, der Jude habe den
schwer um den Erfolg arbeitenden Deutschen stets um die Fr�chte seiner Arbeit zu
berauben verstanden.
Daher habe auch der Komponist Felix Mendelssohn -"Der Fremdling" -, wie die
nachfolgend wiedergegebenen Ausf�hrungen Valentins denn auch �berschrieben sind,
mit leichter Hand lediglich geerntet, was Heroen der Deutschen Musik wie Bach oder
Mozart einst m�hsam ges�t:
"In der Maske des Bettlers war er gekommen. Nun betrat er geltungsheischend die
Stufen von Theater und Konzertsaal, um �ber sie zu den Stufen der Throne zu
gelangen. (...) Das Zepter der Musik ergriff einer, dem das K�mpfertum wie allen seines
Blutes, die nach ihm kamen, erspart blieb: Felix Mendelssohn Bartholdy, der
Bankierssohn, dem sich Ruhm, Gl�ck, Erfolg und Macht zuwandten. Alles, alles wurde
ihm zugesprochen, selbst das Verdienst der Erweckung Johann Sebastian Bachs. (...)
In mehr als einem Jahrtausend gewachsenes sollte in die H�nde des ungerufenen
Fremdlings gegeben werden. An die Wurzeln des kraftstrotzenden Baumes wurde die
Axt angelegt.(...) Judentum, hiess der Fremdling. (...) Weltb�rgertum und Judentum zwei
Namen f�r denselben Begriff -befleckten die Unantastbarkeit der ewig klingenden
Weise. Der Kampf der hundert Jahre nahm seinen Anfang."
Der Publizist Otto Schumann, (auf ihn soll aus gegebenem Anlass erst anl�sslich einer
seiner Nachkriegspublikationen detailliert eingegangen werden), ver�ffentlichte im
Nationalsozialismus u. a. eine "Geschichte der Deutschen Musik" (bibliographisches
Institut, Leipzig 1940) und "Meeres Opernbuch" (ebenda, 1935).
Die verfestigte v�lkische Gesinnung Schumanns offenbart sich bereits im Vorwort der
"Geschichte der Deutschen Musik":
"Musik gilt dem Verfasser nicht als "t�nend bewegte Form", sondern als t�nender
Ausdruck eines geistigen Leitbildes. Eine deutsche Musikgeschichte hat sich somit zu
besch�ftigen mit der Frage, in welcher Weise die deutsche Ton�bung im Laufe der
Jahrhunderte und Jahrtausende das geistige Leitbild der deutschen Volkheit verwirklicht
hat. Es muss also der Versuch gemacht werden, nicht nur die Form, sondern vor allem
auch den Inhalt musikalischer Sch�pfungen darzustellen.(...) Die Mittel dazu liefern uns
die neuzeitliche Ausdruckskunde und Rassenkunde. W�hrend nun der Verfasser das
Ausdruckskundliche (...) mit gebotener Behutsamkeit eingearbeitet hat, wurde im
geschichtlichen Ablauf gr��ter Nachdruck auf das rassische Grundwesen der deutschen
Ton�bung gelegt.
98
Die Besch�ftigung mit rassekundlichen Fragen ist (...) f�r den Verfasser zwangsl�ufig
aus der Besch�ftigung mit der Tonkunst hervorgegangen: als sich auf Fragen, warum
die Tonkunst bestimmter Zeitalter (...) so und nicht anders geartet sei (...) keine
befriedigende Antwort mehr einstellte, wurde die (...) Rassenkunde herangezogen (...)
Und wenn auch das vorliegende Buch keine Rassengeschichte der deutschen Musik ist,
(...) so ist es doch eine deutsche Musikgeschichte auf rassekundlicher Grundlage."
Obgleich der Autor eine "zwangsl�ufig" aus "der Besch�ftigung mit der Tonkunst"
hervorgegangene, ihm also vom Sujet schl�ssig vorgegebene Er�rterung amusikalisch
"rassekundlicher Fragen" beteuert, hat er in Wahrheit -neben Erich Valentin -erneut
ein Werk vorgelegt, welches die "rassekundliche" Belange bereitwillig �ber jene der
Musik stellte.
Dass das Sujet Mendelssohn unter diesen Voraussetzungen nurmehr in zersetzender
Weise zur Er�rterung kommen konnte, wenngleich es nicht totgeschwiegen wurde, wie
es im Opus M�ller-Blattaus geschah, verwundert kaum. Im Kapitel "Beginnender Einflu�
des Judentums" er�rtert Schumann zu Beginn den "Einbruch" des "Judenproblems in
die deutsche Musikgeschichte" in der " ersten H�lfte des 19. Jahrhunderts" im
Allgemeinen:
"Nach der sogenannten Judenbefreiung tauchten sogleich in vielen k�nstlerischen
(...) T�tigkeitsbereichen j�dische Menschen auf, denen es gelang, in erstaunlich kurzer
Zeit erheblichen Einflu� auf das deutsche Geistesleben zu gewinnen. Namen wie der
des Popularphilosophen Moses Mendelssohn, der Schriftsteller Heine und B�rne, von
Rahel Varnhagen und Henriette Herz, in deren "Salons" die geistige Welt Berlins sich
ein Stelldichein gab, kennzeichnen zur Gen�ge den Einbruch j�dischen Wesens in die
deutsche Welt."
Traditionsgem�� greift der Autor wiederum auf zentrales Wagnersches Gedankengut
zur�ck; der These vom Trieb j�disch-deutschen Amalgamierens.
Thesen wie jene hatten sich vermittels unausgesetzter unreflektierter
Paraphrasierung zu diesem Zeitpunkt offenkundig l�ngst zu Klischee und Stereotyp
vergr�bert. Dennoch erweist sich die grundlegende Bedeutung Wagnerschen Denkens,
die Rezeption und Folgewirkung seiner von rassebiologischen Obsessionen
durchpr�gten Kulturtheorien, gleichsam in Vorlage, Verk�ndigung und posthumer
Vollendung des Konzeptes eines deutschen Radikalantisemitismus an diesem Beispiel
eindeutig. Lesen wir zuerst den Adepten des Jahres 1940:
"Erleichtert wurde ihnen das durch die erstaunliche F�higkeit des Juden (...) sich
geschmeidig und schnell der besonderen Artung des Volkes anzupassen, bei dem er
lebt. Rechnet man dazu die formale Gewandtheit des Juden, seine oft verbl�ffend
wirkende zergliedernde (...zersetzende) Denkweise und die F�higkeit, nicht
zusammengeh�rendes zu einer Schein-Einheit zusammenzudenken, so begreift man,
warum der Einflu� j�dischen Wesens sich gerade w�hrend der Romantik, dem Zeitalter
rassischer Aufl�sung, so m�chtig durchsetzen konnte".
Und nun das Demagogenwort Freigedank/ Wagners aus dem Jahre 1850, welches
sowohl jene aktuell genannten, als auch im weiteren Verlaufe wiedergegebenen
Aussagen Schumanns bis ins kleinste Detail vorwegnimmt:
"Von nun an tritt also der "gebildete Jude" in unsrer Gesellschaft auf. (...) Der
gebildete Jude hat sich die undenklichste M�he gegeben, alle auff�lligen Merkmale
seiner niederen Glaubensgenossen von sich abzustreifen: in vielen F�llen hat er es
selbst f�r zweckm��ig gehalten, durch die christliche Taufe auf die Verwischung aller
Spuren seiner Abkunft hinzuwirken. (...) Von dieser Gemeinsamkeit der Natur, (...) dem
99
Zusammenhange mit seinem Stamme g�nzlich herausgerissen, konnte dem
vornehmeren Juden seine eigene erlernte und bezahlte Bildung nur als Luxus gelten .
(...) Ein Teil dieser Bildung waren nun aber auch unsre modernen K�nste geworden, (...)
namentlich diejenige (...), die sich am leichtesten eben erlernen l�sst, die "Musik" (...)
Was der gebildete Jude...auszusprechen hatte, wenn er k�nstlerisch sich kundgeben
wollte, konnte nat�rlich eben nur das Gleichg�ltige und Triviale sein (...), unwillk�rlich
horcht er auf unser Kunstwesen (...) nur ganz oberfl�chlich hin, (...) ihm wird daher die
gef�lligste �u�erlichkeit der Erscheinungen auf unsrem musikalischen Lebens-und
Kunstgebiete als deren Wesen gelten m�ssen. (...) So wirft der j�dische Musiker auch
die verschiedensten Formen und Stilarten aller Meister und Zeiten durcheinander. (...)
Die Zerflossenheit (...) unseres musikalischen Stiles ist durch Mendelssohns
Bem�hen, einen unklaren, fast nichtigen Inhalt so interessant und geistblendend wie
m�glich auszusprechen (...) auf die h�chste Spitze gesteigert worden." (...)
Es ist zwecklos, den Aufwand k�nstlerischer Mittel zu beschreiben, deren er
(Meyerbeer, Anm. d. V.) sich bediente,(...) genug, da� er es (...) vollkommen verstand,
zu t�uschen, (...) namentlich damit, da� er jenen (...) Jargon (...) als modern pikante
Aussprache aller Trivialit�ten aufheftete" (...)
So lange die musikalische Sonderkunst ein wirkliches organisches Lebensbed�rfnis
in sich hatte, bis auf die Zeiten Mozarts und Beethovens, fand sich nirgends ein
j�discher Komponist: unm�glich konnte ein diesem Lebensorganismus g�nzlich fremdes
Element an den Bildungen dieses Lebens teilnehmen. Erst wenn der innere Tod eines
K�rpers offenbar wird, gewinnen (...) ausserhalb liegende Elemente die Kraft sich seiner
zu bem�chtigen, (...) um ihn zu zersetzen; dann l�st sich...das Fleisch dieses K�rpers in
wimmelnde Viellebigkeit von W�rmern auf. (...) Der Geist (...) floh von diesem K�rper
hinweg zu ( ..) Verwandtem, und dieses ist nur das Leben selbst: nur im wirklichen
Leben k�nnen wir auch den Geist der Kunst wiederfinden, nicht bei Ihrer w�rmerzerfressenen
Leiche."
Von solcher Lehre durchdrungen wendet sich Schumann nunmehr Felix Mendelssohn
zu:
"Felix Mendelssohn...galt eine Zeitlang als "die" Leuchte romantischen Musikschaffens
in Deutschland. (...) Nun wird niemand das au�erordentliche K�nnen Mendelssohns
bezweifeln. (...) Aber dieses formsichere Bewegen, die glatte Problemlosigkeit, dieses
schmiegsame Anpassen an Deutsches erscheinen uns verderblicher als die
r�cksichtslose Selbstbehauptung des "atonalen Mi�t�ners" Arnold Sch�nberg, der ja
gleichfalls Jude ist. (...)
Wie immer war das s��e Gift gef�hrlicher als das bittere: Mendelssohns s��liche
Sch�nmusik schmeichelte sich (...) in Ohr und Herz, (...) und so liess man sich in einen
Dornr�schenschlaf singen und ist mancherorts (...) ein wenig ungehalten, da� der
weckende Prinz mit den Dornen und Spinnweben auch die R�slein zerhauen hat.
Die fast ein Jahrhundert w�hrende Mendelssohn-Schw�rmerei ist umso
unbegreiflicher, als zu allen Zeiten M�nner aufstanden, (...) denen seine Musik allzu
glatt erschien. (...) Der Fehler lag wohl darin, da� man sich mit der Feststellung des
"Allzu-Glatten" zufrieden gab, (...) nicht weiter forschte, welche R�ckschl�sse sich
daraus ziehen lassen. H�tte Mendelssohn eine Musik geschrieben, die seiner
rasseseelischen Beschaffenheit entsprach, dann k�nnte sich vielleicht das Judentum
eines grossen Komponisten r�hmen Da er aber solchen echten Stil nicht aufzubringen
vermochte, ersch�pfte er sich in Nachbildung deutscher Eigent�mlichkeiten. Diese
wiederum konnte er aus rassischen Ursachen nicht von innen erfassen. (...)
100
So erkl�rt sich das blo� Gef�llige seiner Musik, ihre flie�ende Gl�tte und mangelnde
Tiefenwurzelung (...) Mendelssohn erschaute die k�nstlerischen Fragen seiner Zeit mit
wachem Verstand und k�hlem Herzen; das konnte er, weil sie ihn als Fremdrassigen im
Grunde nicht bewegten. (...) Da sein Geschmack ohne Zweifel gel�utert war, gelangen
ihm Werke, deren glatte, gefeilte Au�enseite ihm zu Unrecht den Namen eines
deutschen Meisters eingetragen haben."
Werfen wir noch einen Seitenblick auf die Schumannsche Betrachtung der Komponisten
Giacomo Meyerbeer und Jacques Offenbach sowie auf dessen Bestreben, der
Wagnerschen Pr�misse vollg�ltig zu entsprechen:
"Als Gegenst�ck zu ihm schrieb der Jude Meyerbeer bald in deutschem, bald in
franz�sischem und bald in italienischem Stil, mischte auch wohl die drei Stilarten
durcheinander. (...) Wer (...) so haltlos auf die Ausdrucksweise verschiedener Nationen
schaut, ohne seinen eigenen, geschweige denn den Stil seiner Rasse zu finden, der
mag wohl vor�bergehend als theaterdonnernder Zeus angehimmelt werden (...)
Mendelssohns wohlerwogene Beschr�nkung auf das Nachempfinden und
Nachahmen eines volkischen (des deutschen) Stils hatte immerhin zur Folge, da� sein
Werk l�nger zu wirken vermochte. (...) Meyerbeers Verzettelung auf die Nachahmung
mehrerer Volksstile hat ihn schneller gerichtet. (...)
Der in Deutschland geborene Offenbach aber meisterte musikalisch den
franz�sischen Witz wie ein Pariser aus Paris. Wiederum also diese fast unheimliche
Einf�hlungsgabe des Juden bei gleichzeitiger Preisgabe jeglichen rassischen Eigenstils"
Am Ende des Kapitels steht Schumanns Bem�hen, den Volksgenossen in nahezu
beschw�rendem Tonfall darzulegen, warum eine Musik, die erkl�rterma�en "sch�n" ist,
keineswegs "sch�n" sein darf. Dabei setzt er wie etliche Vorl�ufer das Element
umfassend gepflogener Spekulation gegen die Anforderungen von Objektivit�t,
Stichhaltigkeit, wissenschaftlicher Erkenntnis.
Das vielschichtig konstruierte, sprachlich gedrechselt und gewundene Wagnersche
Thesengeb�ude erf�hrt durch die Ausf�hrungen des Adepten respektive die dabei
nahezu eins zu eins vorgenommene �bertragung einer musikalischen "Problemstellung"
in eine rein v�lkische denkbar gr��te Banalisierung in Form und Inhalt. Die Definition,
welche Art von Musik ein rassisch "echter" Stil Mendelssohns oder "rassischer Eigenstil"
m�glicherweise hervorgebracht h�tte, bleibt der Autor hingegen vollends schuldig.
"Ein rassisch gesundes und (...) rassebewusstes Volk w�rde Erscheinungen wie
Mendelssohn, Meyerbeer und Offenbach (...) ohne besondere Gefahren ertragen
k�nnen. (...) Aber das 19. Jahrhundert war eben ein Zeitalter rassischen Verfalls, in dem
die nat�rlichen Widerstandskr�fte erlahmten. (...) Die aus seiner Anpassungsf�higkeit
entspringende Begabung des Juden, beachtenswerte nachschaffende Leistungen
hervorzubringen, wurde (...) als Beweis f�r musikalische Kultur betrachtet. (...) Wohin
das gef�hrt hat, ist bekannt: das Judentum in Deutschland hat nicht eine einzige
musikalisch-sch�pferische Pers�nlichkeit hervorgebracht, wohl aber den "Betrieb" mit
Dirigenten, S�ngern und Spielern weitgehend beherrscht und entdeutscht.
Das muss gerade denjenigen vor Augen gehalten werden, die auch heute noch eine
Ehrenrettung Mendelssohns und seiner Musik versuchen. Nicht darauf allein kommt es
an, ob jemand die T�ne kunstvoll und liebensw�rdig zu setzen weiss (das verstand
Mendelssohn wirklich), sondern auf den Geist und die Haltung seines Werkes. Sie erst
machen das Wesen eines Kunstwerks aus. (...) Wollte ein deutscher, italienischer oder
franz�sischer Musiker von Rang hingehen und ausschlie�lich "im j�dischen Stil"
komponieren, so w�rde er sich bei seinen Volksgenossen l�cherlich und ver�chtlich
101
machen. Mit dem gleichen Recht betrachten wir den Juden, der sich in der Nachahmung
anderer ersch�pft, als l�cherlich, ver�chtlich - und gef�hrlich. Auch Mendelssohn."
Karl Blessingers "Judentum und Musik" erfuhr im Jahre 1944, in Zeiten kontinuierlich
erfolgenden milit�rischen R�ckschlags der Deutschen Wehrmacht auf nahezu allen
Kriegsschaupl�tzen und regul�ren Bombenterrors gegen Deutsche St�dte, eine
inhaltlich erweiterte Wiederauflage und erreichte somit eine Gesamtzahl von 24 000
Exemplaren. Das beweist, allen nach 1945 erfolgten Beteuerungen vermeintlich
kollektiver Unwissenheit von Rassenwahn und Pogrom zum Trotze, den auch gegen
Kriegsende anhaltenden Bedarf an ideologischem und "rassekundlichem" Schrifttum,
die unausgesetzte Aufnahmebereitschaft f�r einschl�gige Indoktrination.
Der Rezensent Erwin V�lsing hebt in der Zeitschrift "Musik im Kriege" denn auch
wohlwollend hervor, dass das "wohltuend klar und stets fesselnd geschriebene Buch (...)
neue wichtige Erkenntnisse und h�chst aufschlu�reiche Ergebnisse historischer
Forschung" vermittle. Blessingers Thesen konform streicht auch der Rezensent einen
lobbyistisch herbeigef�hrten, zersetzenden Einflu� des "j�dischen" Klassikers
Mendelssohn demagogisch hervor:
"Wie gef�hrlich die vom Judentum mit allen Mitteln einer gesch�ftst�chtigen Reklame
herbeigef�hrte angesehene Stellung Mendelssohns sich auswirken konnte, ist uns
heute eindeutig klar geworden. (...)
Hatte sich Mendelssohn als Kapellmeister fast st�ndig am Geist der Deutschen Musik
vergangen, (...) so war auch sein kompositorisches K�nnen von den Juden und einer
"kraftlos gewordenen deutschen B�rgerlichkeit" ma�los �bertrieben eingesch�tzt
worden".
Im gleichen Jahre des totalen Krieges 1944 ver�ffentlichte der als Musikreferent des
Stiftes St. Ingbert im Saarland t�tige Musikologe Albert Georg Niklaus die Studie "Liszt Schumann
-Mendelssohn" im Hahnefeld Verlag in Berlin, welcher auch Blessingers
"Judentum und Musik" herausbrachte. Da die Studie in der gleichen Edition
kulturtheoretischer Betrachtungen erschien wie Blessingers "Judentum", jenes inhaltlich
in Behandlung vermeintlicher semitischer Infiltration Robert Schumanns und
biedermeierlichen Musiklebens gar vertiefte, wurde sie der Leserschaft in einer Anzeige
mit folgenden Worten angek�ndigt:
�Niklaus zeigt treffend die j�dische Einflu�nahme auf das Deutsche Musikleben am
Beispiel der Geschichte der "Neudeutschen Schule" und des Liszt-Wagner-Kreises.
Dieses bewegte Kapitel deutscher Musikgeschichte ist ein weiterer Baustein zu der
von Blessinger begonnenen Forschungsarbeit zum Thema Judentum und Musik."
Intermezzo IV:
Die "Hohe Schule" I: kulturelle Neuordnung �
nicht nur f�r Europa, sondern f�r die Welt
Im Jahre 1940 wurde der konzeptionellen Grundstein zur Errichtung eines gigantischen
Projektes nationalsozialistischer Bildungspolitik gelegt, dessen Struktur und Systematik
unmittelbar auf �F�hrerbefehle� (�FB�) Adolf Hitlers zur�ckgingen. Mit der Umsetzung
war Rosenberg beauftragt, der sich seit dem Jahre 1937 mit Vorbereitungen des
Projektes getragen hatte
102
Die so genannte "Hohe Schule" sollte, Rosenberg zufolge, �die Spitze der gesamten
Erziehungsarbeit f�r die �NSDAP� (...) bilden, praktisch somit eine geistige Erziehungsund
Lenkungszentrale f�r das ganze Deutsche Volk" sein.
Neben der Errichtung einer Zentralbibliothek aller in Deutschland und Europa
konfiszierten Schriften �weltanschaulicher Gegner�, beinhaltete das Projekt vor allem die
Gr�ndung �bergeordneter Institute und Fachbereiche der parteikonformen
akademischen Elite. Die Niederlassungen der Institute sollten sich urspr�nglich �ber das
gesamte Reichsgebiet erstrecken. Aufgabe derselben war einzig die ideologischeKomprimierung und Transformation europ�ischen Wissens hin zur �berh�hung einer
rassisch-hybriden, alleing�ltigen sozialdarwinistisch-faschistischen �berzeugung und
Lehre. Die Bibliothek wurde zu Beginn des Jahres 1939 in Berlin gegr�ndet, das
Zentralinstitut sollte in einem monumentalen Neubau im Chiemgau angesiedelt werden;
des weiteren Fachbereiche und Dependancen in namhaften deutschen St�dten.
Wesentlichstes Anliegen der �F�hrerbefehle� war die Errichtung eines Institutes zur
Abhandlung der J�dischen Frage.
Es erstand im M�rz des Jahres 1941 als erste Fachschaft der Hohen Schule in der
Stadt Frankfurt am Main. Ein "F�hrerbefehl" vom 2. April wies Rosenberg zur
Ausweitung der hiesigen �Fachbibliothek der Judenfrage�, "errichtet �nicht nur f�r
Europa, sondern f�r die Welt�, an.
Dem Befehl zufolge, sei �das Material, (...) unerwartet viel Material", * welches der
Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (�ERR�) Juden und freikonfessionellen
Vereinigungen besiegter europ�ischer L�nder fortw�hrend raubte, �zu
Forschungszwecken�, hinsichtlich einer �weltanschaulichen, politischen und kulturellen
Neuordnung Europas nach Kriegsende� (�FB� v. 2.4.1940) s�mtlich der �Hohen Schule�
zuzuleiten. (zitiert nach de Vriess, dessen Buch "Sonderstab Musik" die Informationen
zur �Hohen Schule� entnommen sind)
Da die "Hohe Schule" hierarchisch in �Kerngebiete� (Biologie, Anthropologie,
Rassenlehre, indogermanische Geistesgeschichte, Erforschung der Judenfrage,
Theologie etc.) und �Randgebiete� (Philosophie, Bildende Kunst, Ostforschung,
Erziehungswissenschaft, Geschichte, Theater etc.) untergliedert wurde, kam es erst im
April des Jahres 1943 zur Institutionalisierung eines Fachbereiches der "Hohen
Schule" in der Kategorie 8 mit dem Titel " Schule Sachgebiet Musik." Die Niederlassung
erfolgte im Geb�ude der ehemaligen h�heren israelitischen Schule in Leipzig, die
Institutsleitung hatte Dr. Phil. Habel. Herbert Gerigk inne. In einem Schreiben an den
Magistrat Leipzigs berief sich Rosenberg dezidiert auf �den traditionsreichen Ruf,
gerade auf musikalischem Gebiete�.
Ein Ruf, der ja, wie man seinerzeit im Amte Rosenberg und in der Stadt Leipzig l�ngst
ignorierte oder verga�, in dezidierter Auspr�gung und Vollendung seinerzeit dem
Wirken Mendelssohn Bartholdys zu verdanken war.
25. Das Lexikon der Juden in der Musik
Im Jahre 1940 beauftragte die "Hohe Schule" in der Person des Amtsleiters Alfred
Rosenberg die "Hauptstelle Musik" der �DBFU� Alfreds Rosenbergs (�Dienststelle des
Beauftragten des F�hrers f�r die �berwachung der gesamten geistigen und
weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP�) mit der Realisierung eines
Buch- und Rassenprojektes; einer Enzyklop�die musikalischen Judentums.
103
Infolgedessen legte ein Team promovierter Musikwissenschaftler (Wolfgang Boetticher,
Dr. Marlise Hansemann, Dr. Herrmann Killer, Dr. Lily Vietig-Michaelis, Teophil Stengl)
noch im gleichen Jahre das "Lexikon der Juden in der Musik -Mit einem
Titelverzeichnis j�discher Werke" vor. Als Supervisor und Herausgeber fungierte der
Leiter der �Hauptstelle Musik� sowie des �Amtes Musik im Einsatzstab Reichsleiter
Rosenberg� (�ERR�) als auch des Sachbereichs Musik der sp�teren "Hohen Schule" in
Leipzig, Dr. Phil. Habil. Heinz Gerigk.
(Die Aktivit�ten und Wirkungsbereiche der genannten Institutionen lassen sich oftmals
kaum voneinander trennen, da es sich ja stets um den Arbeitsstab Gerigk handelte)
Die Publikation firmierte als Band 2 der �Ver�ffentlichungen des �Institutes der NSDAP
zur Erforschung der Judenfrage� (�IEJ�) in Frankfurt, dem erw�hnten Gr�ndungsinstitut
der �Hohen Schule�. Allein das von Gerigk verfasste Vorwort liest sich wie eine
Bekenntnisschrift pathologischen Rassenwahns. So war die �Reinigung unseres Kultur-
und (...) Musiklebens von allen j�dischen Elementen (nunmehr) erfolgt.�
Da �von unserer Seite ja nicht eine Verewigung der j�dischen Erzeugnisse geliefert
werden� sollte, verzichtet das Lexikon folgerichtig �auf Werkverzeichnisse und
ersch�pfende bibliographische Angaben". Da �die ber�hmtesten S�ngerinnen f�r die
j�dische Rasse� widerrechtlich beansprucht w�rden, lie�en �die Namens�nderungen
und die Gepflogenheiten vieler Juden, (...) die vorgeschriebene polizeiliche Meldepflicht
nicht zu vollziehen�, die Bem�hungen �zu �berpr�fen� bis �an die Schwelle der
Gegenwart (...) langwierig werden."
Das Lexikon listet in dem sich �ber 2 Seiten hin erstreckenden (selbstverst�ndlich mit
Bindestrich versehenen) "Felix Mendelssohn-Bartholdy"-Eintrag den einschl�gig
vertrauten, im Tonfall lediglich nochmals versch�rft vorgebrachten Katalog stereotyper
Mendelssohndiffamierungen auf. Ferner halten spezifisch neuwertige Absurdit�ten; pure
Behauptungen, Umkehrungen historisch verb�rgter Tatsachen aufgrund verf�lschter
authentischer Dokumente Einzug in denselben. Ohne das die Ausf�hrungen einem
einzelnen Mitarbeiter durch Namensnennung oder Sigle zuzuordnen w�re, ist im
einzelnen u. a. zu lesen, das Felix Mendelssohn �bekanntlich einer reichen j�dischen
Bankiersfamilie entstammte, (...) der �Mendelssohnkultus bereits zu Lebzeiten von einer
grossen Zahl von Rassegenossen entfacht wurde, (...) die Lieder ohne Worte (...) die
deutsche Romantik, die in ihren Anf�ngen eine starke Hinneigung zum Volkstum und
(...) deutscher Innerlichkeit gezeigt hatte (...) verw�ssert(en).� Der Beitrag zitiert
ausf�hrlich aus Wagners �Judenthum� und verweist auf die (verf�lschten)
Tagebuchaufzeichnungen Robert Schumanns, von denen anschlie�end noch die Rede
sein wird.
Bemerkenswert ist dar�ber hinaus ein Konstrukt, gebildet aus Originalzitaten Carl
Friedrich Zelters und geschichtsf�lschenden R�ckverweisen auf das Wirken der Berliner
Singakademie Zelters, welches Felix Mendelssohn jedweden Verdienst um die
seinerzeitigen Neubewertung der "Matth�us-Passion" abspricht.
Es heisst dort also:
"Da� der Verdienst dieser wegweisenden Bachauff�hrung M. geb�hre, der wohl als
einziger die wahre Gr�sse des Barockmeisters begriffen habe, ist eine Verf�lschung
geschichtlicher Tatsachen. (...)
104
Aus den Darstellungen Alfred Morgenroths und Georg Sch�nemanns geht einwandfrei
hervor, da� das Verdienst um das Zustandekommen dieser Auff�hrung fast
ausschlie�lich Karl Friedrich Zelter geb�hrt , der (...) die (...) Singakademie (...) zu einer
in ihrer Art damals einzig dastehenden St�tte der Bachpflege (gemacht hatte. So (...)
erhielt (...) Mendelssohn durch die Teilnahme an den Proben die entscheidenden
Anregungen. So konnte er ohne viel eigenes Zutun an die Auff�hrung der
Matth�uspassion gehen, zumal Zelter die hierzu erforderlichen Proben meist selbst
leitete und ausserdem seinem Sch�ler dirigiertechnische Anweisungen gab. Hier�ber
schrieb (Zelter) an Goethe 1829: "Felix hat die Musik unter mir einge�bt und wird sie
dirigieren, wozu ich ihm meinen Stuhl �berlasse".
Gerigk, dem es bereits vor seiner Ernennung zum NS-Funktion�r niemals gelang, eine
akademische Berufung zu erlangen, blieb � nachdem er sich als Dienststellenleiter des
III. Reiches exponiert hatte � eine akademische Karriere auch nach 1945 versagt.
Einer T�tigkeit als Musikfeuilletonist der �Dortmunder Ruhr Nachrichten� stand
indessen nichts entgegen. Auch nicht der Umstand, nunmehr Musik rezensieren zu
m�ssen, welche er wenig zuvor als �zersetzend�, �j�disch, �kulturbolschewistisch�
apostrophierte; ja beruflich mit Musikern zusammenzutreffen, welche er zuvor zur
�schnellsten Ausmerzung (...) aus unserem Kultur- und Geistesleben� freigegeben hatte.
26. ...das Benehmen Mendelssohns, da� er als Director angesehen werden wolle
Der junge Musikwissenschaftler Wolfgang Boetticher, der im Jahre 1941 an der
Universit�t Berlin mit einer Arbeit �ber Robert Schumann promovierte, bet�tigte sich in
den Jahren 1940 und 1942 als Herausgeber von Schumanns Tagebuchaufzeichnungen
und Briefen und Co-Autor des 1940 herausgegebenen "Lexikon der Juden in der Musik Mit
einem Titelverzeichnis j�discher Werke." Best�rkt von wohlwollenden Beurteilungen
seines Vorgesetzten in der "Hauptstelle Musik" der �DBF� Alfreds Rosenbergs, Heinz
Gerigk: war er "seit 1.12.1937 als Referent in der Hauptstelle Musik t�tig und (...) hat
sich in dieser Zeit stets als ein ausgezeichneter Sachkenner und als instinktsicherer
Nationalsozialist bew�hrt. (...) Wie mir berichtet worden ist, hat Boetticher den gesamten
Umkreis der Robert Schumann-Forschung unter Ber�cksichtigung unserer
weltanschaulichen Haltung durchgearbeitet, und ist (...) zu wertvollen Ergebnissen
gelangt, die das Schumann-Bild (...) neu gestalten." (29.3.1940; zit. nach de Vriess,
"Sonderstab Musik")
Was verhalf dem jungen Wissenschaftler zu diesen, von Gerigk so wohlwollend
hervorgehobenen, gleichsam unverhofft erbrachten "wertvollen Ergebnissen" und der
"Neugestaltung des Schumann-Bildes", welche zur Vervollkommnung der
"weltanschaulichen Haltung" des Nationalsozialismus so trefflich geeignet schienen?
Boetticher verf�lschte Schumanns Tagebucheintragungen, Erinnerungen und Briefe an
Felix Mendelssohn Bartholdy durch Hinzuf�gung oder Unterlassung einzelner Worte
oder S�tze und verlieh ihnen somit einen Tonfall antisemitisch-motivierten Vorbehaltes
Schumanns gegen den Freund und Musikerkollegen Felix Mendelssohn.
105
Zur Veranschaulichung dessen folgende Gegen�berstellung eines authentischen sowie
von Boetticher manipulierten Zitates. Robert Schumanns Autograph: "Seine
(Mendelssohns) Gedanken �b(er) das Conservatorium, da� er namentlich den Musikern
auch einen Verdienst zuweisen wollte", "Gr�ndung des Conservatoriums und sein
Benehmen dabei, da� er nie als Direktor angesehen werden wollte."
Von diesem Zitat verbleibt in der Publikation Boettichers von 1940/42: (...) "Gr�ndung
des Conservatoriums und sein Benehmen dabei, da� er (...) als Direktor angesehen
werden wolle."
Erst der R�ckgriff auf die im Jahre 1947 anl��lich des 100. Todestags Mendelssohns
vom Robert Schumann-Archiv in Zwickau zur Verf�gung gestellten Autographen
vermochte es, die von Gerigk, Boetticher und Dr. Lila Vietig-Michaelis lancierte
Erkenntnis nachhaltig aufzuheben:
"Auch Robert Schumann z�hlte keineswegs zu den bedingungslosen Bewunderern
(...), wie lange geglaubt wurde. Aus den (...) erstmalig ver�ffentlichten Notizen (...) und
Briefen geht deutlich hervor, da� Schumann von Anfang an der Erscheinung
Mendelssohns kritisch gegen�bergetreten ist". ("Lexikon der Juden in der Musik")
Boetticher diente dem Nationalsozialismus auch als Mitarbeiter des �Sonderstabs
Musik� des Amtes Rosenberg zu systematischer Erfassung und Konfiszierung der
kulturellen Hinterlassenschaften geflohener oder ermordeter Juden in besetzten
Gebieten und Mitglied der Waffen-SS. Dennoch machte er nach 1945 als
Musikwissenschaftler und Publizist hochrangig Karriere in den Positionen: Dozent,
Professor und Dekan der Universit�t G�ttingen (1955/57/72), Gastdozent an den
Universit�ten Cambridge und Oxford (1952-72), Kurator der Staatl. Hochschule f. Musik
Hannover (1958), Gastdozent an der Karls-Universit�t Prag (1963). Daneben erhielt er
die M�glichkeit u. a. zu folgenden Ver�ffentlichungen: Gesamtausgabe der Klavierwerke
Robert Schumanns/ Henle Verlag M�nchen, Essays, Zeitschriftenartikel, Beitr�ge in
Handb�chern und Enzyklop�dien, Nachrufe etc. Boetticher arbeitete nach seiner
Emeritierung weiterhin als Hochschullehrer und musikwissenschaftliche Kapazit�t an
der Universit�t G�ttingen, bis im Jahre 1999 wachsende Aufarbeitung seines Wirkens
im �III. Reich� auf internationaler Ebene die Suspendierung von aller Lehrt�tigkeit
erwirkte.
Intermezzo V:
Juden bleiben Juden. Oder: Von den Ehetageb�chern des Robert Schumann
Als Gl�cksfall anzusehen ist es angesichts jener Umtriebe, da� in den 40ziger Jahren
des 20. Jahrhunderts der Schumann-Forschung offensichtlich noch nicht alle schriftliche
Hinterlassenschaften des Musikerehepaares Clara und Robert Schumann zur Edition
und Auswertung zur Verf�gung standen.
Wie h�tten nationalsozialistische Funktion�re der Hauptstelle Musik wie Gerigk und
Boettcher triumphiert, wenn sie anl�sslich ihrer Publikationen, auf authentische,
unverf�lschte Aussagen Schumanns h�tten zur�ckgreifen k�nnen, welche den
Komponisten als offenkundigen Antisemiten und Mendelssohngegner zu bezeugen
geeignet w�ren.
106
Die Musik-und Frauenwissenschaftlerin Beatrix Borchard zitiert in ihrer im Jahre 1985
ver�ffentlichten Studie "Robert Schumann und Clara Wieck -Bedingungen
k�nstlerischer Arbeit in der ersten H�lfte des 19. Jahrhunderts" eine Passage aus den
Ehetageb�chern, welche bis dahin unver�ffentlicht geblieben war und ein zeitweiliges
tiefes Zerw�rfnis zwischen dem K�nstlerehepaar dokumentiert, in welches Felix
Mendelssohn mental einbezogen wurde:
"Clara sagte mir, da� ich gegen Mendelssohn ver�ndert schiene, gegen ihn als K�nstler
gewi� nicht -das wei�test Du -hab` ich doch seit vielen Jahren so viel zu seiner
Erhebung beigetragen, wie kaum ein Anderer. Indes -vergessen wir uns selbst nicht zu
sehr dabei. Juden bleiben Juden; erst setzen sie sich zehnmal, dann k�mmt der Christ.
Die Steine, die wir zu ihrem Ruhmestempel mit aufgefahren, gebrauchen sie dann
gelegentlich, um auf uns damit zu werfen. Also nicht zuviel, ist meine Meinung. Wir
m�ssen auch f�r uns thun und arbeiten. Vor allem la� uns nur immer dem Sch�nen und
Wahren in der Kunst nahe kommen" (Robert Schumann, Ehetageb�cher, 8.-15.11.1840,
Autograph)
Vor welchem Hintergrund m�ssen diese besch�menden, unverhohlen die antisemitische
Vorurteile dieser Zeit reflektierenden �u�erungen rezipiert werden? Obgleich man
Robert Schumann als Herausgeber der �NZfM� stets einen latenten, auf Besprechungen
des Meyerbeerschen Opernschaffens abzielenden Verbalantisemitismus nachsagt,
lagen ihm radikalantisemitische Positionen -jenen der Jungdeutschen Bewegungvergleichbar -denkbar fern. �ber jeden Zweifel erhaben waren die privat und beruflich
gepflegten Beziehungen der Familie Schumann zu dem Komponisten, Musiker und
Musikfunktion�r Felix Mendelssohn, wie die in den Jahren 1835 -47 im Tonfall einer
nachgeradezu hymnischen Verehrung niedergeschriebenen Gedenknotizen Schumanns
eindeutig belegen. (Vergl. dazu Arnd Richter, Mendelssohn -Leben, Werke,
Dokumente, Piper -Schott 1994, s. 313-17) Die Behauptung, er, Robert Schumann,
habe als Autor und Herausgeber der �NZfM� ma�geblich zur Protektion des
Komponisten Mendelssohn beigetragen, kann als Zeichen der Selbst�bersch�tzung und
puren Wunschdenkens genommen werden, da Mendelssohn seit den Zeiten
wiedergewonnener Matth�us-Passion und D�sseldorfer Generalmusikdirektorats als
Komponist und Dirigent derer nicht mehr bedurfte.
Nun, die �u�erungen resultieren aus einer Situation vermeintlicher Zur�cksetzung,
welcher sich Schumann als mindererfolgreicher Komponist in den Jahren 1840ff
ausgesetzt sah. Voller Eifersucht sah er, dass die den Schumanns gewidmete
�ffentliche Aufmerksamkeit fast ausschlie�lich seiner Frau, der gefeierten Pianistin
Clara Schumann galten, w�hrend seine Kompositionen vor allem im kleinen Kreise von
Kennern und Liebhabern rezipiert wurden. Somit sind unausgesetzte Versuche
wissentlich oder unwillk�rlich begangener Herabminderung der Interpretin Clara
Schumann nachweisbar. Schumann widersetzte sich hartn�ckig allen Bestrebungen
Claras, �berregionale oder europ�ische Konzerteinladungen anzunehmen, stellte das
Metier des Komponierens dem des Konzertierens als erhaben gegen�ber, m�kelte
fortw�hrend an ihrer Spielweise und Interpretation herum. Legend�r die Bef�rchtung
des Komponisten, ob ihr Hausstand denn die Bereitstellung und professionelle
Bet�tigung zweier Fl�gel zu kompensieren in der Lage sei.
107
Clara Schumann indes war durch all diese innerfamilli�r ver�bten Widrigkeiten Mobbing
w�rde es im Sprachgebrauch unserer Tage heissen -zutiefst verunsichert
worden und nahm vom Gedanken �ffentlichen Konzertierens mehr und mehr Abstand.
Allein in der Person und Begegnung Mendelssohns fand sie Hilfestellung in dieser
ausweglosen Lage. Jener best�rkte sie in der Position einer musikalisch autonom
rezipierenden und handelnden Interpretin, leitete sie freundschaftlich auf ihrem Wege
zur�ck auf das lange gemiedene Podium des Gewandhauses und �berwand durch
pers�nliche F�rsprache stetig Schumanns Widerst�nde gegen das Projekt neuerlicher
Konzertreisen. Schumann sah durch das pers�nliche Verwenden Mendelssohns
offensichtlich das k�nstlerisch kurzzeitig in H�nden gehaltene Heft sich neuerdings
entgleiten. Er reagierte sich quasi durch genannten, auf Mendelssohn als
Hauptschuldigem an Claras neugewonnenen musikalischen Mute, abzielenden Anwurf
schriftlich ab. In jenem Affekt, welcher f�r Schumanns labilen Gem�tszustand vor allem
in sp�teren Jahren symptomatisch und ber�chtigt war.
In jenem Affekt, welcher auch f�r zahlreiche massive Verbalinjurien Wagners und von
B�lows unmittelbar verantwortlich zeichnete. W�hrend ersterer, durch Cosima Wagners
getreuliche Aufzeichnungen von "Tischgespr�chen" in der Verk�ndigung von
Gewaltrhetorik seine Verewigung erfuhr, sah sich jener ja gen�tigt, im Alter manches
vorher gesagtes zu relativieren oder gar zu konterkarieren.
Ein neues Feld wiederum er�ffnen die im Jahre 1847 get�tigten, abf�lligen,
unertr�glichen Bemerkungen Schumanns, welche man Mendelssohn offenkundig
zugetragen hatte und ihn zum endg�ltigen Bruch mit dem Kollegen veranla�ten. In
einem Brief an den Dichter und Freund Karl Klingemann beklagte sich Mendelssohn,
Schumann "habe sich sehr zweideutig gegen ihn benommen und ihm eine recht
h��liche Geschichte einger�hrt, die ihn in seinem Eintreten f�r Schumann sehr
abgek�hlt habe. Mehr wissen wir nicht" (Dahms, S. 94) Ob Schumann sich neuerdings
im Affekt zu radikalantisemitisch munitionierten Schm�hungen gegen den ungleich
erfolgreicheren Kollegen Mendelssohn hatte hinrei�en lassen und in seinem Wirken
von diesem nicht hinreichend gew�rdigt fand? Ob er sich vom beruflich �berlasteten und
in den letzten Lebensmonaten kr�ftem�ssig rapide abbauenden Mendelssohn
pers�nlich hintangesetzt f�hlte und im Kollegen- oder Freundeskreise dar�ber beklagte?
Ob er sich der musikalischen �ffentlichkeit gegen�ber mi�billigend �ber ein Werk aus
der letzten Schaffensperiode Mendelssohns ge�u�ert hatte? Was immer es konkret
gewesen sein mag, es w�re eine eigene Untersuchung wert.
27. Denkmalspflege; nationalsozialistisch
Ein in der Anonymit�t verbliebener Zeitzeuge gab im Nachhinein zu Protokoll, was
Leipziger B�rger explizit von einem Vorfall wahrnahmen, dessen Inszenierung sich
�insgeheim� abspielte, dessen Wirkung aber offenkundig wurde. Wann, in welchem
Zusammenhang, auf welcher Beh�rde der Bericht gegeben wurde, ist nicht angegeben.
Das Leipziger Stadtarchiv hat ihn in der Sammlung StV u R, Nr. 8617, Bl. 12 der
Nachwelt �berliefert.
108
�Am Morgen des 10. November raunte es in Leipzig einer dem anderen zu, die
Mendelssohn-Statue sei in der Nacht von ihrem Sockel gerissen und die allegorischen
Figuren losgewuchtet worden; der Granitsockel sei in St�cke zertr�mmert. Die ganze
Nacht h�tten die Pre�lufth�mmer gerattert und gedr�hnt, um den massiven Sockel samt
seinem Unterbau zu zerst�ckeln und die St�tte dem Erdboden gleichmachen zu
k�nnen. Man habe die Absicht gehabt, die Stelle als Blumenbeet anzulegen und Gras
�ber den Standort wachsen zu lassen, um jede Spur zu tilgen. Das Fundament habe
sich aber bis zur Morgend�mmerung nicht mehr herausstemmen lassen, so da� man
sich begn�gen musste, die Stelle mit Kleinsteinpflaster zu befestigen, das allerdings den
Standort nicht verheimlichen konnte."
Erste Stimmen seitens der NS-Administration, welche die Beseitigung des
Mendelssohn-Denkmals vor dem alten Gewandhause einforderten, erhoben sich im
Fr�hjahr 1936, also genau 3 Jahre nach der Machtergreifung.
So schrieb die Kreisleitung der �NSDAP� Leipzig in Person des Beauftragten Leiters des
Kulturamtes Eckert an den Oberb�rgermeister der Stadt Leipzig, Dr. Carl Friedrich
Goerdeler z. H. des Leiters des Kulturamtes, Stadtrat August Hauptmann am 8. Mai d.
J. 1936:
"Aufgrund verschiedener Beschwerden bei uns f�hle ich mich verpflichtet; sie darauf
hinzuweisen, dass das vor dem Gewandhaus aufgestellte Denkmal des VollblutjudenMendelssohn-Bartoldie �ffentliches �rgernis erregt. Die Leipziger Bev�lkerung, die zum
weitaus gr�sstenteil gut nationalsozialistisch denkt, ist der Auffassung, dass dieser Jude
in �Erz" besser in einem Museum aufzubewahren w�re: Ich bitte Sie als Beauftragten
Leiter des Kulturamtes beim Rat der Stadt Leipzig zu erwirken, dass dieses Denkmal
entfernt wird..."
Dies war der Auftakt einer Kampagne seitens Leipziger NS-Gremien, welche die
endg�ltige und kompromi�lose Beseitigung des "Juden" Felix Mendelssohn aus dem
Stadtbild zum Ziele hatte. Einmal mehr zeigt sich, wie sehr sich das Regime in allen
Lebensbereichen in diesen 3 Jahren bereits verfestigt hatte. Die Forderung nach
publicitytr�chtiger Entfernung eines Monumentes wie des Leipziger Mendelssohn-
Denkmals wagte das Regime zu Anfang nicht. Es beschr�nkte sich im Jahre 33ff vorerst
auf die Beseitigung der regimefeindlichsten Ehrentafeln, Strassennamen etc.
Noch hatte man beispielsweise auf die Reaktionen des Auslandes R�cksicht zu
nehmen. Nun, nach stetiger Verfestigung der Machtvollkommenheit der NS-
Administration, k�ndigte sich mit der Forderung nach Beseitigung des Mendelssohn-
Monumentes aber eine zweite radikalisierte Welle der Denkmalszerst�rung an. Diese
brachte deutschlandweit die Zerst�rung �ffentlicher Mahnmale und Gedenkst�tten an
Juden und Regimegegnern mit sich. Die Forderung nach Beseitigung des Mendelssohn-
Monumentes erhob und vollzog sich zeitlich analog der zunehmenden Verdr�ngung des
Mendelssohn-Werkes von Konzertpodien und aus den Hochschulen.
3 Wochen nach dem erw�hntem ersten Schreiben an Stadtrat August Hauptmann
verlangte der Kulturbeauftragter der Kreisleitung der �NSDAP� Eckert in einem weitern
Schreiben versch�rften Nachdrucks, unter Ank�ndigung des Hinzuzugs weiterer NS-
Stellen in Sachen Forderung nach Denkmalsentfernung. So schreibt er am 27. Mai 1936
also:
109
"Bei dieser Gelegenheit teile ich Ihnen mit, dass ich mich des Weiteren mit dem Kreis-
Propagandaleiter Pg. Kr�ger in Verbindung gesetzt habe, damit auch von dieser Seite
das Notwendige veranla�t werden kann."
Die Stadt Leipzig in der Person des Stadtrates August Hauptmann k�ndigte daraufhin
"eine sehr genaue Pr�fung der Angelegenheit" an.
In einer Sitzung des Stadtrates vom 19. Juni wurde schliesslich der Vorschlag
unterbreitet, das Mendelssohn-Denkmal abzutragen und an dessen Stelle die Statue
eines anderen "bedeutenden deutschen Musikers" (Sitzungsprotokoll) zu errichten. Das
Sitzungsprotokoll f�hrt des weiteren an:
"Oberb�rgermeister Dr. Goerdeler erkl�rt diesen Vorschlag f�r pr�fbar. Man werde im
Herbst in die Pr�fung eintreten. Dann m�sse aber auch das Mendelssohn-Denkmal auf
anst�ndige Weise beseitigt und anst�ndig untergebracht werden."
Dr. Goerdeler erwies sich als erkl�rter Gegner einer Kultursch�ndung durch Abri� des
Mendelssohn-Denkmals. Durch die Ank�ndigung eines l�ngerwierigen
Pr�fungsverfahrens seitens der Stadt Leipzig vermochte er es somit, etwas Zeit
gegen�ber den lokalen NS-Einrichtungen zu gewinnen. Zeit welche er ben�tigte, um
Verb�ndete auf h�herer Parteiebene in Berlin in Sachen Erhalt des Mendelssohn-
Denkmals zu gewinnen. Der NS-Beauftragte f�r �j�dische Kulturfragen�, Hinckel, sprang
Goerdeler schliesslich bei und teilte ihm mit: "er k�nne auch im Namen von Goebbels
und damit im Namen Hitlers sagen, dass das Denkmal stehen bleiben solle. Solche
Bilderst�rmerei w�rde nicht gew�nscht." (Aufzeichnung Goerdeler a. d. Nachlass)
Daraufhin erkl�rte Dr. Goerdeler im Namen der Stadt den Erhalt des Denkmals, sehr
zum �rger des nationalsozialistischen 2. B�rgermeisters Rudolf Haake; des
entschiedensten Goerdeler-Gegners und erkl�rten Mentors eines Denkmalabrisses.
Am 16. September d. J. 1936 erschien in der Leipziger Tageszeitung ein Pamphlet,
welches sich unter dem Titel "Um j�dische Musik und das Denkmal eines Juden"
�ffentlich f�r die Beseitigung des Denkmals einsetzte.
Es heisst darin u. a.:
"Bei uns aber, in der �ffentlichkeit, ist die Existenz des Denkmals eines Juden auf
die Dauer eine Unm�glichkeit. Dem d�rfen weder Gr�nde der Piet�t, noch rein
k�nstlerische Erw�gungen entgegenstehen. Solche Piet�t und solche Erw�gungen
geh�ren nicht mehr in unsere Zeit, die in ihren Entscheidungen ausschlie�lich den
Stimmen des Blutes und des v�lkischen Gewissens zu folgen hat".
Der Chefredakteur der Leipziger Tageszeitung rechtfertigte die Ver�ffentlichung des
Pamphlets in einem Schreiben vom 16. September 1936 an Dr. Goerdeler
folgenderma�en:
"Ich habe die Glosse erst nach langen und ernsten �berlegungen in die Zeitung
gebracht. Ich glaubte aber um die �ffentliche Diskussion dieser Frage nicht mehr
herumzukommen, nachdem ich (...) schon seit langem aus Kreisen der
Altparteigenossenschaft mit mehreren Zuschriften bedacht worden war. Nachdem mir
jetzt gedroht wurde, die Angelegenheit dem "St�rmer" zu �bergeben, der eine recht
sensationelle Sache daraus gemacht h�tte, zog ich es doch vor, die Sache in der
Tageszeitung zu behandeln.
110
Die Dinge liegen nicht einfach so, dass der einfache Mann es nicht begreift, wenn ihm
immer wieder gesagt wird, es bestehe kein Unterschied zwischen guten und schlechten,
wertvollen und minderwertigen Juden und er auf der anderen Seite sehen muss, dass
ein Denkmal stehen bleibt mit der Begr�ndung: Die Musik dieses Juden sei eine
wertvolle.
Wir m�ssen in diesen Dingen gerade im Hinblick auf den kleinen Mann konsequent
sein. Ich glaube, dass die vorgeschlagene L�sung, das Denkmal dem j�dischen
Kulturbund zur Verf�gung zu stellen, auch dem Ausland gegen�ber den Vorwurf
etwaiger Bilderst�rmerei abmildern wird."
Haake machte sich den �ffentlichen Druck, den die Behandlung der Forderung nach
Beseitigung des Mendelssohn-Denkmals in der Leipziger Presse nach sich zog,
zunutze. Er insistierte bei Goerdeler erneut auf eine Vernichtung desselben. So schrieb
er an Dr. Goerdeler im Jahre 1936 im R�ckblick auf die Ereignisse:
"Ich sah in dieser Anfrage nur ein Abschieben der Verantwortung auf die
Reichsregierung, weil Sie selbst aus ihrer inneren Einstellung zur Judenfrage heraus
diese Verantwortung nicht glaubten tragen zu k�nnen."
Haake entschlo� sich, nach dem letzten ablehnenden Entscheid Goerdelers zum
Thema der Denkmalsbeseitigung, zu eigenm�chtigen Handeln bei der n�chsten sich
bietenden Gelegenheit. Er schrieb wiederum im R�ckblick auf die Ereignisse: "...war ich
fest entschlossen, bei der n�chsten geeigneten Gelegenheit (...) zu handeln und die
Verantwortung zu �bernehmen. Mein Gewissen als Nationalsozialist liess in dieser
Frage keinen Kompromi� mehr zu."
Im November 1936 weilte das London Philharmonic Orchestra unter der Leitung des
ber�hmten englischen Dirigenten Dirigent Sir Thomas Beecham einige Tage in Leipzig,
um im dortigen Gewandhaus zu konzertieren. Beecham d�rfte der einzige Dirigent
internationalen Ranges gewesen sein, der mit dem NS-Musikbetrieb im Rahmen
aufwendiger Operngesamtaufnahmen wie jener reichsdeutschen "Zauberfl�ten"Produktion
kooperierte. M�glicherweise gab also eine ideologische Verbundenheit des
K�nstlers zu Positionen des Regimes beiderseits den Ausschlag zur Realisierung des
zu diesem Zeitpunkt bereits au�erordentlichen Gastspielvorhabens eines englischen
Klangk�rpers auf faschistischen Territorium. Strittig scheint zu sein, an welchem Tag
das Orchester im Gewandhaus vor das Leipziger Publikum trat, da diesbez�glich von
einander abweichende Aussagen vorliegen. Entscheidend hingegen ist, da� es im Zuge
des Leipzigbesuches des Orchesters zum Abbruch des Mendelssohn-Denkmals durch
die NS-Administration kam.
Der Zeitzeuge Kurt Sabatzky schilderte die Umst�nde des Besuches und der
Denkmalsvernichtung sp�ter folgenderma�en:
"Etwa 2-3 Jahre vor dem Krieg unternahm das Londoner Philharmonische Orchester
unter Leitung von Sir Thomas Beecham eine Kontinental-Konzertreise, die es auch nach
Leipzig f�hrte. Sir Thomas fragte vorher bei Goerdeler an, ob es wohl erw�nscht sei,
wenn er mit einer Abordnung seines Orchesters am Mendelssohn-Denkmal eines Kranz
niederlege. Im Hinblick darauf, da� Mendelssohn eine besondere Br�cke im Musikleben
von Leipzig nach London geschlagen habe.
111
Goerdeler erkl�rte darauf, da� er eine solche Ehrung begr�ssen w�rde.
Ungl�cklicherweise befand sich Goerdeler zurzeit des Konzertes, das einen grossen
Erfolg f�r die Londoner Philharmoniker darstellte, gerade auf Urlaub." (Meine
Erinnerungen an die Nationalsozialisten, Manuskript Nr. 3015 im Archiv von The Wiener
Library, London)
Als Beecham, Sabatzky zufolge, am darauf folgenden Morgen also von Mitgliedern des
Orchesters begleitet, vor dem Mendelssohn-Denkmal einen Kranz niederlegen wollte,
musste er feststellen, da� es verschwunden, genauer, auf Befehl Rudolf Haakes in der
Nacht abgetragen und im Keller eines �ffentlichen Geb�udes zerschlagen worden war.
Haake hatte somit, gemeinsam mit dem Ratsherren�ltesten Otto Wolf die Gunst der
Stunde, die Abwesenheit Dr. Goerdelers genutzt und n�chtlings zugeschlagen.
Hinsichtlich der Abwesenheit Dr. Goerdelers, welche das Denkmals Attentat, ver�bt
durch subalterne Magistratsmitglieder ja erst erm�glichte, irrt Sabatzky allerdings in der
Begr�ndung derselben: Dr. Goerdeler befand sich zu diesem Zeitpunkt keineswegs im
Urlaub; vielmehr kam er durch eine Reise nach Skandinavien diplomatischen
Verpflichtungen nach.
Schwerlich erstaunlich, da� eine Berichterstattung des Vorfalls in der damaligen
Presselandschaft nahezu ausblieb; das Ausland, genauer: das "Allgemeen
Handelsblad" in Amsterdam f�hrte es in einer Meldung vom 18.11.1936 u. a. auf eine
Anweisung Dr. Goerdelers an die Leipziger Lokalpresse zur�ck, den Vorfall in der
Berichterstattung zur�ckzuhalten.
Die Position Dr. Goerdelers war, angesichts offener Insubordination untergeordneter
Magistrats-und Parteigremien, welche ideologische Belange �ber die Richtlinienkompetenz
des Stadtoberhauptes erhoben, somit nahezu unhaltbar geworden. Nirgends fand
er R�ckhalt bei den Forderungen, die eigenm�chtige Untergrabung der
Richtlinienkompetenz des Oberb�rgermeisters durch untergeordnete oder externe
Gremien zu ahnden und das Mendelssohn-Denkmal auf Kosten der Partei
wiederherstellen zu lassen. Etwa 14 Tage nach Abbruch des Denkmals reichte Dr.
Goerdeler seinen R�cktritt vom Amte des Oberb�rgermeisters der Stadt Leipzig ein. Er
begr�ndete diesen Schritt mit der mangelnden Entschlossenheit des Magistrats und
�bergeordneter Beh�rden wie des s�chsischen Innenministeriums "den offenbaren
Ungehorsam meines Vertreters so zu ahnden, wie ich es verlangen musste, wenn
meine Autorit�t gewahrt werden sollte. Also hatte ich Folgerungen f�r meine Person zu
ziehen. Sie konnten nur in dem Antrag bestehen., mich aus meinem Amte zu
entlassen."
Im Jahre 1944 fa�te Dr. Carl Friedrich Goerdeler in einer Niederschrift im Gef�ngnis den
R�cktrittsentschluss r�ckblickend noch einmal folgenderma�en zusammen:
"Damals f�hrte ich den klaren Entschlu� aus, nicht die Verantwortung f�r eine
Kulturschandtat zu �bernehmen. Mendelssohns Lieder haben wir alle mit Entz�cken
geh�rt und zum Teil gesungen, ihn zu verleugnen w�re feige und l�cherlich gewesen.
Aber ich hoffte im Stillen, eines Tages wieder in reiner Luft dem Vaterlande dienen
zu k�nnen. Auch daf�r und f�r die Stellung des deutschen Volkes im Ausland wollte ich
meinen guten Namen wahren. Vor aller Welt hatte ich mit meinem Abschied gegen den
Sturz des Mendelssohn-Denkmals protestiert und so wurde dies auch �berall
aufgefa�t."
112
Dr., Carl Friedrich Goerdeler fiel 9 Jahre nach den Vorg�ngen der Denkmalssch�ndung
als f�hrender Widerst�ndler den Hinrichtungen, die dem 20. Juli 1944 folgten, zum
Opfer.
Der Dirigent Fritz Busch, der sich als Generalmusikdirektor des Dresdner Staatstheaters
der geforderten Entlassung j�discher K�nstler verweigerte und 1935 emigrierte,
kommentiert diesen Vorgang in seinen Lebenserinnerungen mit wenigen eindringlichen
Worten:
�In Vertretung Arthur Nikischs habe ich wiederholt im Gewandhaus dirigiert, an jener
klassischen St�tte edelster Musikpflege, auf die Deutschland stolz sein durfte, bis man
Felix Mendelssohns Denkmal und den Geist deutscher Kultur von dort entfernte�.
28. Ein nordischer Sommernachtstraum
Partiell erwies sich die befohlene Verneinung der Werke Mendelssohns als
unrealistisch, gemessen an den Bed�rfnissen allt�glichen kulturellen Lebens: Wie w�ren
die zahlreichen Gesangsvereinigungen des Landes der Pflege l�ngst ins
Allgemeinmusikgut eingegangener Chors�tze zu entheben gewesen? Nachhaltig aus
dem Geiste der hohen Romantik hervorgegangene Kanzonen, welche in formeller
Schlichtheit Eichendorff -Zeilen wie: �O T�ler weit, o H�hen, o sch�ner gr�ner Wald,
du meiner Lust und Wehen and�chtger Aufenthalt...� in vollkommener �bereinstimmung
von Wort und Musik interpretierten. Verboten als Entw�rfe eines �vorderasiatischorientalischen
Juden" (Eichenauer, Musik und Rasse, M�nchen 1937), wie die v�lkische
Rassenlehre Felix Mendelssohn einstufte.� ?
Der Nationalsozialismus f�gte sich der Verbundenheit der Liedertafel zu Mendelssohns
Chorwerk schliesslich und wies an: da� man den Vortrag dieser Sachen weiterhin
gestatte, allerdings h�tten die Ch�re zu verschweigen, wer sie komponiert hatte.
Das Theater sah sich durch das Verbot der romantischen B�hnenmusik zu
Shakespeares Kom�die "Ein Sommernachtstraum" erheblichen Problemen ausgesetzt.
Da jene im Bewusstsein des Publikums mit der Dichtung kongenial einherging und
der R�ckzug der Musik die Auff�hrungszahlen des Shakespeare-St�cks zeitweise
deutlich minimierte. So vermelden die Shakespeare-Jahrb�cher des Jahrgangs 1933
nur noch 11, des Jahres 1934 20, des Jahres 1935 wiederum 11, des Jahrgangs 1936
13, des Jahrgangs 1937 12, des Jahrgangs 1938 17, des Jahrgangs 1939 17 und des
Jahrgangs 1940 bereits 20 "Sommernachtstraum"-Produktionen an deutschen
Theatern. Auff�llig ist die gegen Ende der Drei�iger Jahre leicht ansteigende Anzahl
von Produktionen. Dies muss unmittelbar mit den nachfolgend detaillierter
beschriebenen Versuchen um Ersatzl�sungen f�r Mendelssohns verfemte Komposition
zusammenh�ngen. In den ersten Jahren des Regimes behalfen sich die Theater,
welche den R�ckgriff auf Mendelssohns Schauspielmusik nicht mehr wagten, oftmals
mit diversen Kompilationsmusiken, welche aus Barockmusikvorlagen oder romantischer
Klaviermusik zusammengestellt wurden.
Zwar hatte es bereits in den zwanziger Jahren einige, rein k�nstlerisch motivierte
Versuche gegeben, das Shakespeare St�ck in einem anderen musikdramaturgischen
Kontext als jenem Mendelssohns zu setzen.
113
Schauspielmusikkompositionen von August Halm und Alexander Laszlo, von dem
Dirigenten und Komponisten Bernhard Paumgartner im Jahre 1924 f�r Wien, von
Christian Lahusen im Jahre 1925 f�r Otto Falckenberg in M�nchen, und von Ernst
Krenek f�r den Dichter und Intendanten Hugo Hartung und die Heidelberger Festspiele
des Jahres 1926 erarbeitet, sind �berliefert. Aber diese Kompositionen m�ssen den
diversen Kulturfunktion�ren des NS-Regime entweder stilistisch oder hinsichtlich Person
und Abkunft der Komponisten mi�fallen haben. Oder wurden seinerzeit �ber ihren
lokalen Wirkungsbereich hinaus schlichtweg nicht wahrgenommen. Jedenfalls ist von
einem R�ckgriff auf diese Musiken anl�sslich von "Sommernachtstraum"-Auff�hrungen
des "III.-Reiches" nichts bekannt.
Bereits im Jahre 1934 wurden indes erste Versuche unternommen, die verfemte
Mendelssohn-Schauspielmusik durch Neukonzeptionen und Surrogate zu ersetzen.
Kam anl�sslich der "Sommernachtstraum"-Vorstellung der Naturb�hne M�rkisches
Museum vom 12. Juli 1934 die Begleitmusik noch von der Grammophonplatte - Titel und
Stil derselben wurden nicht �berliefert -; so wurde am 20. Juli 1934 bei den
Heidelberger Festspielen ein erster R�ckgriff auf Barockmusik von Henry Purcell
vorgenommen. Friedrich Baser forderte in einem Kommentar in der Zeitschrift "Signale
f�r die musikalische Welt" vom 5. September 1934 denn auch behende die zeitgerechte
Kreation eines "nordischen" Shakespeare-Stiles gegen die s�d�stliche"
("vorderasiatisch-orientalische"?!) Dominanz einer "semitischen" Felix Mendelssohn-
�sthetik aus der Romantik ein:
"Hier fiel der Musik die bedeutsamste Aufgabe zu, und schon die Wahl des
Komponisten musste nach neuen Gesichtspunkten vorgenommen werden. Galt es
doch, statt der sinnlich-pr�chtigen Musik s�d�stlicher Farbe, wie sie durch
Mendelssohns Komposition ein Jahrhundert lang restlos das Feld beherrscht hatte,
einen nordischen "Sommernachtstraum" erstehen zu lassen".
Ein fortw�hrender, auch �ber das Jahr 1934 hinaus bestehender, R�ckgriff auf
Kompilationen wurde dauerhaft als unbefriedigend empfunden. Somit suchten NS-
Organisationen wie das "Ministerium f�r Volksaufkl�rung und Propaganda" in Person
des Ministers Dr. Joseph Goebbels und der "Volkskulturbund Kraft durch Freude" in
Person des Reichsorganisationsleiters Dr. Robert Ley, Komponisten ersten und zweiten
Ranges zur einer definitiven Neukomposition des "Sommernachtstraums" anzuregen.
Der Komponist Edmund Nick war der erste, der im Zuge der eingeforderten
Neukomposition in arischem Auftrage Hand an das "Sommernachtstraum"-Sujet legte.
Nick verdingte sich dem Regime auch als "Bearbeiter" "rassisch" verfemter
Musikvorlagen; umgewandelt in "arisch" unbedenkliche Fassungen im Auftrage der
�Reichsstelle f�r Musikbearbeitungen� und ihres Leiters GMD Dr. Heinz . Da er, wie er
im Jahre 1964 in einem Brief an Fred Prieberg schilderte, im Zuge dessen offenkundig
"die Mendelssohn Musik sowie das "Elfenlied" von Hugo Wolf studiert hatte" konnte sein
Werk nur wenig befriedigen. Zahlreiche Theaterkritiker waren sich noch des
Mendelssohnschen Originals bewusst. Der Rezensent Fritz Stege gab in der Zeitschrift
Berliner Musik in der Oktoberausgabe des Jahres 1934, nach der Premiere von Nicks
Komposition, welche am 15. September des Jahres 1934 im Grossen Schauspielhaus in
Berlin �ber die B�hne ging, denn auch zu bedenken:
"Man mag gegen Mendelssohn auch berechtigte Bedenken vorzubringen haben, so
l�sst sich nicht leugnen, dass Mendelssohn den Zauber des Waldes in einer Weise
eingefangen hat, die im Stimmungsinhalt einmalig bleibt.
114
Von Mendelssohn h�tte Nick lernen k�nnen, wie man dem Wesen der dramatischen
Vorlage gerecht zu werden vermag, ohne sich auf die Abwege musikalischer
Geistreicheleien oder trivialer Salonmusik zu begeben. Ich m�chte es dahingestellt
lassen, wen von beiden der Vorwurf der Sentimentalit�t mit gr��erer Berechtigung trifft.
Wobei ausserdem noch festzustellen bleibt, dass Mendelssohns so genannte
"Sentimentalit�t" gar nicht in seinem Wesen, sondern nur in der F�lschung des
Auff�hrungsstils nachzuweisen ist. Nein: zum Sommernachtstraum geh�rt nun einmal
Mendelssohns Musik. Es gereicht keinem Bearbeiter zur Ehre, dieses k�nstlerische
Meisterwerk anzutasten."
Bemerkenswert an Steges Ausf�hrungen ist nicht allein ein gewisser publizistischer Mut
-wie eingangs dargelegt, war es angesichts indifferenter Richtlinienerfahrungen
zahlreicher Musiker und Publizisten in den ersten Jahren des Regimes allerdings noch
gefahrloser, f�r Mendelssohn einzutreten als in sp�terer Zeit. Mehr noch dessen klarer
Hinblick auf die Verf�lschung von Mendelssohns Werk durch eine, dem Musizieren in
breitem sp�tromantischen Stil verhafteten Idiom - ein Umstand, auf den allein Karl-Heinz
K�hler in sp�teren Jahren umfassend verwies.
Stege, ein erkl�rter Nationalsozialist, Verfechter der Rassenlehre, Parteimitglied und
�KfdK-Genosse�, versuchte sp�ter, nach Kriegsende, in �BRD�-Zeiten, sein Pl�doyer f�r
Mendelssohns "Sommernachtstraum"-Musik, also eine vergleichsweise harmlose
publizistische Aktion in Zeiten nationalsozialistischer Kompetenzwirren, als exorbitante
Heldentat zu deklarieren. So schrieb er am 7. Juni 1966 an Fred Prieberg:
"Vergessen ist, da� ich mehrfach Kopf und Kragen riskiert und mit einem Fu� im KZ
gestanden habe, als ich den Mut aufbrachte, 1934 �ffentlich f�r Mendelssohn
einzutreten (,..) .gegen den gesamten V�lkischen Beobachter ein
Ehrengerichtsverfahren einzuleiten usw. Und niemand wird je eine Ehrenrettung f�r
mich wagen:"
Immerhin wurde Fritz Stege in seinem Eintreten f�r Mendelssohns Musik, gegen Nicks
Surrogatkomposition des "Sommernachtstraum"-Sujets, von Rezensenten wie Karl
Heinz Ruppel unterst�tzt. Jener schrieb in seinem Artikel "Sommernachtstraum im
Herbst" im Hamburger Fremdenblatt vom 19. September 1934 u. a.:
"Die kongeniale Inspiriertheit der von Goethe so hochgesch�tzten
"Sommernachtstraum"-Musik des jungen Mendelssohn vermag Nick nicht zu ersetzen."
Ende September 1934 erfuhr der "Sommernachtstraum" Premiere im Stadttheater
Hagen, mit einem vom Solokorrepetitor Kurt Nichterlein vorgelegten Carl-Maria von
Weber-Arrangement.
Bemerkenswert dabei bleibt der erneute Versuch, stilistisch und dramaturgisch in der
von Mendelssohn musterg�ltig definierten Aura romantischen Waldeszaubers zu
verbleiben, ohne Mendelssohn spielen zu m�ssen.
Im Herbst des Jahres 1934 er�ffnete der Leiter der Musikabteilung der �NS-
Kulturgemeinde� (�NSKG�) und Reichsschriftleiter Friedrich W. Herzog eine erneute
Initiative seitens der NS-Machthaber, renommiertere Komponisten zur arisch-definitiven
Neukomposition des Sujets zu bewegen.
115
Das Ersuchen erging somit unter anderem an die Komponisten Werner Egk, Gottfried
M�ller, Hans Pfitzner, Rudolf Wagner-Reg�ny, Julius Weismann und Winfried Zillig.
Herzog sekundierte dem Ansinnen, eine Musik zu initiieren, welche Mendelssohns
Schauspielmusik endg�ltig verdr�ngen und ersetzen sollte, publizistisch in dem Aufsatz
"Eine neue Musik zum "Sommernachtstraum" vom 2. November 1934. Dabei offenbart
er unmittelbar den Zwiespalt eines v�lkisch bewegten traditionsbewu�ten deutschen
Bildungsb�rgers. Jener trug die Konventionen des deutschen Theaters und Musiklebens
und somit auch die Beziehung zum �berkommenen verehrten Shakespeareoeuvre "des
Juden" Felix Mendelssohn tief in sich und konnte, aller Versuche nationalsozialistischer
Autosuggestionen zum Trotze, schwerlich g�nzlich vom tradierten musikalischen Vorbild
loskommen:
"Wenn die NS-Kulturgemeinde (...) als ersten Kompositionsauftrag eine neue Musik
zu Shakespeares "Sommernachtstraum" bestellt, so will sie damit gleichzeitig einen
durch die nationalsozialistische Revolution herbeigef�hrten "Notstand" beseitigen. Denn
die Musik Mendelssohns ist im Dritten Reich mit den unumst��lich und kompromi�los
g�ltigen Gesetzen von Primat der Rasse und des Blutes nicht mehr zu verantworten.
Diese Musik ist genialisch, aber unbeschadet ihrer musikalischen Werte ist sie f�r eine
v�lkische Kulturbewegung untragbar."
Hans Pfitzner wies es vermittels knapper Mitteilung auf einer Postkarte zur�ck: "Es gibt
bereits eine hervorragende Musik zum "Sommernachtstraum!" und gab in sp�teren
Jahren seinem Biographen Ludwig Schrott zu Protokoll:
"Denken Sie, man ist an mich herangetreten und wollte, da� ich den
"Sommernachtstraum" neu komponieren solle, weil die j�dische Mendelssohn-Musik
nicht mehr tragbar sei. So etwas ist doch eine Gemeinheit! Ich habe diesen Burschen
aber heimgeleuchtet. Mendelssohns "Sommernachtstraum" habe ich erkl�rt, ist
schlechthin kongenial, eine Leistung, die der Schlegel-Tieckschen Shakespeare-
Eindeutschung gleichkommt. Ich w�re nie in der Lage, eine bessere Musik zum
"Sommernachtstraum" zu schreiben als Mendelssohn."
Gleichzeitig verwies Pfitzner auf den Umstand, allen sp�teren anders lautenden
rechtfertigenden Beteuerungen von "Sommernachtstraum"-Komponisten des III.
Reiches zum Trotze, das man einen entsprechenden Kompositionsauftrag
zur�ckweisen konnte, ohne Gefahr f�r Besitz, Leib und Leben zu laufen.
Werner Egk verwahrte sich somit des Kompositionsansinnens "mit einem gewissen
Vergn�gen mit dem Hinweis auf" (seine) "Bewunderung der musikalischen
Ausdrucksf�higkeit des jungen Mendelssohn, (...) was um diese Zeit ohne schlimme
Folgen wohl m�glich war."
(Brief an Fred Prieberg vom 6.7.1964)
Rudolf Wagner-R�genyi indes liess sich zur Komposition einer "Sommernachtstraum"Musik
verleiten. Wagner-R�genyi wird als Komponist heute nurmehr marginal
wahrgenommenen , machte aber nach dem Kriege in der DDR eine gewisse Karriere;
beispielsweise als Professor f�r Komposition in Ostberlin.
M�glicherweise haben einige Vorleistungen des Regimes den Ausschlag zu dieser
Entscheidung, den �Sommernachtstraum� �arisch� zu komponieren, gegeben.
So ist von Zusagen, die Rede, das Werk nach der Vollendung mit Garantiertheit im
�NSKG�-eigenen Musikverlag herauszubringen; des weiteren von der ersten
116
Ver�ffentlichung einer Wagner-R�genyi-Biographie mit dem Titel "Rudolf Wagner-
R�genyi. Bildnis eines Schaffenden", erschienen in der Musikalischen Schriftenreihe der
NS-Kulturgemeinde, mit welcher der Komponist gek�dert wurde. Auch war der Auftrag
mit einem Honorar von 2000 RM lukrativ dotiert.
Wagner-Regenyi versuchte nach 1945 die Willf�hrigkeit zu kaschieren, mit welcher er
mit dem Regime in der Person des musikalischen Leiters der �NSKG�, F. W. Herzog
kooperierte. So schrieb er u. a.:
Die "Sommernachtstraum"-Musik war ein (peinlicher) Auftrag (...) Zu Shakespeare ist
die Musik niemals gespielt worden." (Brief Wagner-Regenyis an Fred Prieberg vom
30.10.1963)
Wagner-Regenyis Bem�hungen um eine definitive musikalische Neufassung des Sujets
parallel, erging ein entsprechender Auftrag auch an den Komponisten Julius Weismann.
Beide Kompositionen erfuhren ihre konzertante Urauff�hrung in der zweiten H�lfte
des Jahres 1935 anl�sslich der �Reichstagung der Nationalsozialistischen
Kulturgemeinde� (�NSKG�) und ernteten nur verhaltene Zustimmung seitens des
Theaterbetriebes und der Presse. So schrieb der Rezensent W. Wesselhoeft in der
�K�lnischen Zeitung�, Abendblatt vom 7. Juni 1935 �ber Wagner-Reg�nyis
"Sommernachtstraum"-Opus:
"Seine Musik ist bewusst grob, holzschnittm�ssig, mit einfacher, dicker Linienf�hrung
und stark rhythmisch betont. Die zarten Farben, das Mondlicht, die Poesie fehlen; (...)
So bleibt das Werk im wesentlichen trocken und ohne Reiz."
Wesselhoefft fordert somit entschieden eine R�ckkehr des Theaters zur bew�hrt-
romantischen Auff�hrungstradition ein, freilich ohne den Namen Mendelssohn zu
erw�hnen. Dies beweist einmal mehr, wie tief das Verst�ndnis des
"Sommernachtstraum"-Stoffes in Deutschland von der musikalischen Auffassung Felix
Mendelssohns gepr�gt und verwurzelt war.
�hnlich erging es der Komposition Weismanns: Anl��lich ihrer B�hnenpremiere im
Stadttheater Freiburg vom 20. Oktober 1935 schrieb der Rezensent A. Weber am 11.
M�rz 1936 in erneutem R�ckverweis auf das �berm�chtig im Bewusstsein der
damaligen Zeit verankerte Mendelssohnsche Original:
"So hocherfreulich die Arbeit ist - und sie wird immer als wertvoller Beitrag zu diesem
Thema gewertet werden m�ssen -, so vermag sie doch nicht die Erinnerung an das
vollkommenere Vorbild zu verwischen."
Wagner-Regenyis "Sommernachtstraum"-Musik wurde am 1. Oktober 1935 im Theater
Harburg-Wilhelmsburg erstmalig im Zusammenhang mit einer B�hnenproduktion des
St�cks aufgef�hrt und ab dem Jahre 1938 u. a. von den Theatern in Gie�en, Gotha-
Sonderhausen und Oldenburg �bernommen. Es stimmt einfach nicht, dass dieselbe "zu
Shakespeare niemals gespielt wurde".
Weismanns Komposition entwickelte sich Fred Prieberg zufolge nahezu zum
Erfolgsst�ck und wurde von zahlreichen Theatern -so dem Stadttheater Hanau, dem
Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin und der Freilichtb�hne Birten bei Xanten nachgespielt.
117
Ungeachtet eines anf�nglich verhalten vorgebrachten Presseechos frohlockte die
�NSKG� angesichts des erfolgreich vollbrachten "Neuanfangs" b�hnenmusikalischer
"Sommernachtstraum"-Rezeption sowie des allgemeinen Durchbruchs, welche vor allem
die Weismann-Komposition noch in dem Jahre ihrer Urauff�hrung in die Theaterpraxis
erfuhr.
So schrieb Rudolf Sommer in dem Aufsatz "Aus der Musikarbeit der NS.Kulturgemeinde"
im "Deutschen Musikjahrbuch" des Jahres 1937:
"Diese beiden B�hnenmusiken sind geeignet, den Juden Mendelssohn abzul�sen."
F. W. Herzog versuchte nach Kr�ften, die von ihm in Auftrag gegebenen Kompositionen
Wagner-Regenyis und Weismanns bei weiteren B�hnen unterzubringen, in der
Hoffnung diese k�nnten sich als allgemeing�ltig im Theatergebrauch etablieren. Da sich
zahlreiche Theater Herzogs Bem�hungen entzogen und weiterhin auf L�sungen
setzten, welche auf Barockmusik, beispielsweise auf Werke Purcells zur�ckgriffen,
unterstellte er den Intendanten in versteckter Anspielung die Sabotage
nationalsozialistischer Erneuerungsbestrebungen. Quasi den konspirativen R�ckzug
auf das bew�hrt historische Terrain und dadurch m�glicherweise die heimliche
Solidarisierung mit dem kulturellen Erbe eines Felix Mendelssohn.
So schrieb Herzog in "Die windgesch�tzte Ecke" vom 6. M�rz 1937:
"Unser v�lkisches und sittliches Empfinden macht es uns (�) unm�glich, ein Werk
wie Shakespeares "Sommernachtstraum" mit j�discher Begleitmusik zu ertragen. (...)
Nun gibt es aber zahlreiche Theaterleiter, die aus Gr�nden, denen nachzugehen zu weit
f�hren w�rde, die neue Musik von vornherein ablehnen und sich lieber in die
windgesch�tzte Ecke der Vergangenheit zur�ckziehen. Der alte Engl�nder Purcell wird
pl�tzlich aus dem Historienschrein hervorgeholt und hergerichtet."
Nach dem Kriege versuchte auch der ehemalige �Reichsschriftleiter� F.W.Herzog,
zahllosen Repr�sentanten und Mitl�ufern des Regimes vergleichbar, sich vermittels
Behauptungen, Verdrehungen und Unterdr�ckung von Fakten der Verantwortung f�r
nationalsozialistisches Tun -in diesem Falle ein erkl�rtes Bem�hen um Ausmerzung
des "Juden" Mendelssohn aus dem Kontext deutschen Kulturlebens - zu entziehen.
So konstatiert er im R�ckblick auf die an Rudolf Wagner-R�genyi und Julius
Weissmann ergangenen Kompositionsauftr�ge in einem Schreiben an Fred Prieberg
vom 20. Dezember 1964:
"Ich kannte beide Komponisten seit Jahren und wu�te, da� sie gute Arbeit leisten
w�rden.
Nachdem Herzog einmal den Ansto� zur "arischen" Neuvertonung der Shakespeare-
Kom�die gegeben hatte, dr�ngten zahlreiche Theaterintendanten und Regisseure ihre
Hauskomponisten zu eigenen Neukompositionen. Das Ph�nomen gemahnt unmittelbar
an die Flut antisemitischer, mendelssohnver�chtlicher Musikpublizistik, welche nach der
Initialz�ndung des Leipziger Denkmalabbruchs im November 1936 so �berm��ig
einsetzte.
So schrieb der Komponist Alfred Irmler eine Schauspielmusik f�r das Deutsche
Nationaltheater Weimar, die Urauff�hrung erfolgte am 24. November 1935.
Der Komponist rechtfertigte sich im Jahre 1964 in einem Schreiben an Fred Prieberg
vom 4. Mai:
118
"Ob diese Musik nun mit oder ohne Auftrag geschrieben wurde, ist unwesentlich (...) Der
"Sommernachtstraum" reizt immer wieder die Komponisten, dazu die Musik zu
schreiben. (...) Das hindert mich nicht, die Sch�nheit der Mendelssohnschen
"Sommernachtstraum " Musik voll und ganz anzuerkennen. Ich bin 1935 als Dirigent der
Meininger Kapelle noch f�r sie eingetreten, trotz des Widerstandes der Parteistellen."
Am 9. Oktober 1935 erfuhr am Landestheater Coburg eine "Sommernachtstraum"-Musik
die Premiere, welche Werner Creutzburg, seinerzeit als Kapellmeister und
Schauspielmusiker am Theater Trier t�tig, geschrieben hatte.
Robert Tants, Direktor der Schauspielmusik am M�nchner Residenztheater,
komponierte das Sujet f�r eine dortige Hausproduktion, die Premiere erfolgte am 7. Juli
1936.
Die Waldb�hne Tannenkamp in Hannoversch-Gm�nden bem�hte Musiken f�r Streicher
von diversen nichtgenannten Komponisten des 16. Jahrhunderts und setzte dar�ber
hinaus Waldhornbl�ser ein. Die Premiere erfolgte am 13. August.
Hier nun eine Aufz�hlung weiterer Neukompositionen und deren Komponisten der Jahre
1936 ff; (Aufz�hlung nach Fred Prieberg):
Festspiele der Naturb�hne Luisenburg in Wunsiedel, Komponist Paul Oskar, Premiere
am 29. August; Schauspielhaus Hamburg, eine Reprise der Musik von Edmund Nick,
Premiere am 5. Dezember; Schauspielhaus Hannover; Komponist Siegbert Mees, die
Premiere erfolgte an Sylvester des Jahres 1936, die Produktion blieb �ber 2 Jahre Im
Spielplan; Schauspielhaus D�sseldorf, dort konfigurierte Heinz Vogt altenglische Musik,
die Premiere fand im Februar 1937 statt; Neues Theater Leipzig, dort bezog man sich
wiederum auf Purcells Musik zu "The Fairy Queen" und beauftrage den Musiker Hans
Stieber mit einer shakespearetauglichen Bearbeitung derselben; Premiere war am 26.
Februar 1937.
Zahlreiche Intendanten siedelten das Shakespeare-St�ck in den Jahren 1934 -37
dramaturgisch exemplarisch im Historizismus oder der Romantik an und verschlossen
sich neueren Sichtweisen hinsichtlich einer historisch wohl korrekteren,
volkst�mlicheren Deutung g�nzlich aus der R�pel-und Zotensprache bzw. einer Ebene
unausgesetzter, derber sexueller Anspielungen des Shakespearischen Originals heraus.
M�glicherweise verbarg sich dahinter tats�chlich der Versuch von
Theaterintendanten, sich den Zumutungen unausgesetzter Eingriffe von Parteiorganen
in die k�nstlerischen Belange und somit der notwendigen k�nstlerischen Freiheit des
Theater nahezu konspirativ zu entziehen, wie F. W. Herzog es seinerzeit vermutete.
Jener R�ckzug in eine von F. W. Herzog beargw�hnte "windgesch�tzte" Ecke also.
Die Musik Mendelssohns stand ihnen bei dem Bem�hen, dem St�ck die �berlieferte
romantische Aura deutscher Auff�hrungstradition zu bewahren, allerdings nicht mehr
zur Verf�gung.
Das Ersuchen der Intendanten an Musiker des �III. Reiches�, ein quasi
Mendelssohnsches Surrogat im romantischen Stil nachzuschaffen, verlief aber oftmals
gegen Ethos autonomen Komponierens jener Musikschaffenden. So blieb erneut nur
wieder der Ausweg der Bearbeitung von Vorlagen origin�rer, "rassisch unverd�chtiger"
Romantiker wie jene Carl-Maria von Webers.
119
So erinnerte sich der sp�ter auch als Filmkomponist hervorgetretene Bernhard Eichhorn
im Jahre 1967 Fred Prieberg gegen�ber eines seinerseits ergangenen
Kompositionsauftrages:
"Im Jahre 1937 wollte der damalige Intendant der s�chsischen Landesb�hne (�) auf
der Freilicht-Felsenb�hne bei Rathen (�) den "Sommernachtstraum" auff�hren. Da die
Mendelssohnsche Musik im tausendj�hrigen Reich verboten war, bat er mich, eine neue
romantische Musik dazu zu schreiben. Gut -man kann durchaus eine neue Musik
schreiben, die modern ist und dem eigentlichen -englischen Charakter dieses Werkes
in seiner naturhaften -stellenweise b�sen -Spukhaftigkeit dramaturgisch mehr
Rechnung tr�gt als eine romantische. Jedoch, man wollte durchaus eine "romantische".
Die Ehrfurcht vor der nun wirklich genialen Musik Mendelssohns verbot es mir, eine
eigene romantische Musik zu schreiben. Ich verfiel auf den Ausweg, aus (...)
Klavierkompositionen Carl Maria von Webers eine der Mendelssohnschen
einigerma�en ad�quate Musik zusammenzustellen, einzurichten und zu
instrumentieren."
Die Kompilationsmusik Eichhorns wurde in Rathen am 4. Juni 1937 uraufgef�hrt und
dort �ber mehrere Spielzeiten hinweg zu Shakespeares Kom�die gegeben.
Im Jahre 1939 wurde sie vom Komponisten f�r das Schauspielhaus Dresden
umgearbeitet und erklang dort erstmalig am 16. Februar. Auch an anderen B�hnen wie
jenen in Heidelberg (�Reichsfestspiele�, Premiere 12. Juli 1939), in Hamburg (26.
Oktober 1939) und Schneidem�hl (8. November) sollte Eichhorns Version von
"Sommernachtstraum"-Musik im Original oder in Neufassungen zum Einsatz kommen.
Eichhorn komponierte nach dem Krieg u. a. die Filmmusik zu Helmut K�utners
"Schinderhannes"-Melodram aus dem Jahre 1957.
Am 28. Dezember 1937 stellte das Kurm�rkische Landestheater Luckenwalde eine
"Sommernachtstraum"-Musik des Berliner Kapellmeisters Theo Knobel vor. Im Mai 1938
wiederum wurde von den St�dtischen B�hnen K�nigsberg eine Komposition des
dortigen Chordirektors Egon B�lsche vorgestellt, welche erneut versuchte, das Problem
vermittels ersatzweise erfolgenden R�ckgriffs auf romantische Instrumentalmusik zu
bew�ltigen. Jener hatte offenkundig "den guten Einfall gehabt, aus wenig bekannten
Werken Carl Maria von Webers einen Kranz herrlicher Melodiebl�ten zu winden und die
unsterbliche Dichtung damit zu schm�cken." Nat�rlich sei darin auch "die "blaue Blume"
der Romantik, haupts�chlich aus "Euryanthe" und "Oberon" bezogen" gewesen, wie der
Rezensent Hans Wyneken im Jahre 1938 "Aus den K�nigsberger Theatern" in der in
Berlin herausgegebenen Zeitschrift "Die Musikwoche" vom 11. Juni 1938 berichtete.
Das Theater Erfurt brachte im Jahres 1938 die "Sommernachtstraum"-Musik op. 14 von
Ernst Roter aus dem Jahre 1920 neu heraus und stellte sie anl�sslich der Premiere vom
6. April in Anwesenheit des Komponisten dem Publikum vor. Auch das Staatstheater
W�rttemberg griff noch im gleichen Jahre auf diese Version zur�ck.
Im Jahre 1938 machte sich gar ein Engl�nder daran -der junge Komponist Walter
Leigh -das Sujet f�r die Belange des nationalsozialistischen Kulturbetriebs tauglich
musikalisch aufzubereiten. Leigh komponierte eine dem Schulorchester der auf Schlo�
Bieberstein in der Rh�n residierenden Hermann-Lietz-Schule gewidmete Suite in
Sinfonietta-Besetzung. Das Orchester wurde schliesslich sogar eingeladen, die Suite
Leighs im Ausland, genauer: in mittel- und s�denglischen Internatsschulen aufzuf�hren.
Leigh fiel im Jahre 1942 in Nordafrika im Kampf gegen die Deutschen.
120
Damit wurde das Moment fortschreitender, zielstrebig vorgenommener Mendelssohn-
Entw�hnung erstmalig in die so wesentliche Ebene der Jugendmusikpflege
hineingetragen. Dem Regime war es offenkundig nicht nur darum zu tun, den "Juden"
Mendelssohn aus der Erinnerung �lterer Generationen von Kulturfreunden zu
verdr�ngen; auch eine Begegnung der Jugend mit ihm und seinem Werk sollte also
kategorisch vermieden werden. Leigh, der seine musikalische Ausbildung in
Deutschland absolvierte und an der Berliner Musikhochschule bei dem sp�ter
gewaltsam entfernten und in die Emigration getrieben Paul Hindemith studierte, machte
sich dadurch faktisch zum Helfershelfer der kulturpolitischen und propagandistischen
Ziele des Regimes.
Gleichsam im Bereich der NS-Jugendmusikpflege, also im Bem�hen um Unterbindung
jedweden Kontaktes der damaligen deutschen Jugend zum Werke des um die
Musikp�dagogik dieses Landes so verdienten Felix Mendelssohn Bartholdy, t�tig war
Hilmar H�ckner.
Er trug als Musikp�dagoge f�r die Pflege der Tonkunst an den Landschulheimen des
Kreises Fulda, darunter auch Schlo� Bieberstein, Verantwortung und gab somit im
Jahre 1938 eine Suite von 10 Tanzs�tzen heraus, welche er der "Fairy Queen"-Musik
Henry Purcells entnommen hatte. F. Mahling attestierte der Kompilation in "V�lkische
Musikerziehung", Berlin, Leipzig vom 6. Juni 1938 dass sie, " zwar eine ganz andere
Haltung zeigt, als die im 19. Jahrhundert so beliebte B�hnenmusik Mendelssohns, es
aber gerade deshalb wohl verdient der Vergessenheit entrissen und wieder praktisch
verwendet zu werden."
Es mutet nachgerade als musikhistorische Ironie an, dass man sich im Vollzuge von
Bestimmungen der NS-Kulturpolitik darum bem�hte; Komponisten und deren Musik der
Vergessenheit zu entrei�en, um einen anderen Komponisten willentlich der
vollst�ndigen Vergessenheit anheimgeben zu k�nnen.
Nun des weiteren eine Aufz�hlung von "Sommernachtstraum"-B�hnenproduktionen
sowie den dazugeh�rigen Schauspielmusikern aus dem Jahre 1938. Als Quelle dient
wieder Fred Prieberg.
Hannover, 1. Januar/ Siegbert Mees; Bonn, 4. Januar/ Robert Tants; Stendal, 9. Januar/
Heinz Joachim Fritzen; Erfurt, 6. April/ Ernst Roters; K�nigsberg, 14. Mai/ Kompilation
von Musik C. M. von Webers durch Egon B�lsche; Felsenb�hne Rathen, 4. Juni/ die
Kompilation von Musik C. M. von Webers durch Bernhard Eichhorn; Berlin-
Friedrichshagen, 17. Juni/ Leo Spies; Hungerturm-Festspiele Priebus, 18. Juni/ Helmut
Bernert; Baden-Baden, 7. Juli/ Edmund Nick; Marburg, 13. Juli/ Kompilationsmusik aus
der Symphony Nr. 9 in e-moll "Aus der neuen Welt" Antonin Dvoraks und Edvard Griegs
Norwegischem Tanz (Eselstanz); Koblenz, 16. September/ Leo Spies; Allenstein, 17.
September/ Leo Spies; Gie�en, 28. September/ Rudolf Wagner-Reg�nyi; Gotha-
Sondershausen, 3. Oktober/ Rudolf Wagner-Reg�nyi; Oldenburg, 21. Oktober/ Rudolf
Wagner-Reg�nyi; Stuttgart, 25. Dezember/ Ernst Roters; Deutsches Volkstheater Wien,
31. Dezember/ Ludwig Maurick.
Im Anschluss die Produktionsdaten der "Sommernachtstraum"-Inszenierungen des
Jahres 1939:
121
Prinzregenten-Theater M�nchen, 2. Januar/ Robert Tants; Linz, 14. Februar/ Robert
Tants; Dresden, 16. Februar/ C. M. von Weber-Kompilation durch Bernhard Eichhorn;
Essen, 28. Mai/ Winfried Zillig; Reichsfestspiele Heidelberg, 12. Juli/ Neufassung der C.
M. von Weber Kompilation von Bernhard Eichhorn; Elbing, 5. August/ kein Komponist,
Arrangeur genannt; Bremen; 6. September/ Theodor Holterdorf; Regensburg, 13.
September/ Paul-Oskar Nebelsiek; Burgtheater Wien, 20. September/ Franz Salmhofer;
M�nster, 26. September/ Wolfgang R��ler; Frankfurt am Main, 14. Oktober/ Carl Orff;
Hamburg, 26. Oktober/ C.M.von Weber Kompilation von Bernhard Eichhorn;
Schneidem�hl, 8. November/ C.M.von Weber Kompilation von Eichhorn; G�ttingen, 7.
Dezember/ Carl Orff; Weserm�nde, 25. September/ Theodor Holterdorf.
Von welcher Seite man es auch angehen mag; bleibt offen: war es k�nstlerische
Profilierungssucht und Karrierismus, v�lkisch-rassistische �berzeugungstat,
indifferentes Mitl�ufertum oder schlichtweg politisch-�sthetische Unbedarftheit als
Beweggrund?
Alle diese Komponisten, Arrangeure und Schauspielmusikdirektoren machten sich
schuldig. Schuldig des Tatbestandes, als willf�hrige Helfershelfer eines inhumanem,
m�rderischen, rassistischen Regimes zur Hand gewesen zu sein, um einem verbrieften
Kapitel deutscher Theatergeschichte, also deutscher Kulturgeschichte letztendlich den
Bezug auf ein zentral bedeutsames Werk des Komponisten Felix Mendelssohn
Bartholdy auszutreiben. Eine Schuld, welcher man sich, wie in so vielen Bereichen der
NS-T�terschaft unisono geschehenem, nach 1945 zumeist weder zu stellen, noch
einzugestehen und aufzuarbeiten bereit war. Auch dies mangelnde Schuldbekenntnis
hinsichtlich t�tiger Ausmerzung von lebendiger gewachsener kultureller Tradition ist ein
wesentlicher Aspekt der so lange Zeit nachgeradezu verhinderten, vermi�ten
ausgleichenden Rehabilitation des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy.
Fred Prieberg bringt dies Ph�nomen v�lkisch-kulturellen Exorzismus und die Schuld der
musikalischen Helfershelfer trefflich auf den Punkt, indem er zu dem Schlu� kommt,
"da� s�mtliche neuen "Sommernachtstraum"-Musiken zwischen 1933 und 1945 -so
viele wie nie zuvor oder danach in einem Jahrdutzend -nur eine einzige Aufgabe hatte:
Mendelssohn zu ersetzen. Wer auch immer in dieser Periode mit einer Partitur zu
Shakespeares Werk befa�t war, trug wissentlich und willentlich dazu bei, den "Juden"
Mendelssohn abzuschaffen. (...) Da� Musiker weithin den politischen Stellenwert ihrer
Beteiligung an der historischen Liquidierung Mendelssohns nicht begriffen, wofern sie
ihre Beteiligung sp�ter nicht �berhaupt bestritten, lehrt eine andere Episode vielleicht
noch eindringlicher"
Dennoch wurde keine der genannten Kompositionen theater�bergreifend als dauerhaft
befriedigend eingesch�tzt, wurden sie vielmehr als lokale Verlegenheitsl�sungen
angesehen. Keine derselben konnte den Rang einer spezifischen, "g�ltigen",
allgemeinverbindlichen Vertonung des Sujets einnehmen, so wie Mendelssohns
"Sommernachtstraum"-Musik bis zum Beginn des "III.-Reiches" ja empfunden wurde. So
war es �berdies auch eine offenkundige grosse Ausnahme hinsichtlich eines
musikalischen Gesamtwerkes, dessen Wertsch�tzung ja aus Gr�nden einer
umfassenden Nivellierung bereits vor 1933 erheblich im Schwinden begriffen war.
Der Rezensent Hans Wyneken erhob in der �Deutschen Musikwoche� VII vom 29. Juli
1939 im R�ckblick auf die �Heidelberger Reichsfestspiele� (dort spielte man ja die
Weber-Kompilation Eichhorns) denn auch die Frage nach einer definitiven
Neuvertonung des Sujets:
122
"Trotz alledem bleibt der Wunsch nach einer ganz neuen, auf eigenen F�ssen
stehenden Sommernachtstraum-Musik offen. Wer schreibt sie?"
29. Von bajuwarischen Sommernachtstr�umen
Neben Rudolf Wagner-Regenyi erbot sich mit Carl Orff der einzig prominente Komponist
den Machthabern zur Komposition des "Sommernachtstraumes"; ja der einzige, dessen
Prominenz eingeschr�nkt bis in unsere Tage andauert. Freilich nur aufgrund eines
einzigen Werkes, jener Cantiones profanes nach der alten Benediktbeurischen
Handschrift "Carmina Burana", deren ungemein erfolgreicher Premiere in Frankfurt am
Main im Jahre 1937 der Komponist einen kometenhaften Aufstieg verdankte.
Die Initiative zu einer weiteren "Sommernachtstraum"-Vertonung ging vom
Generalintendanten der Frankfurter B�hnen Hans Meissner aus. Er schlug dem
Frankfurter Oberb�rgermeister in einem Schreiben vom 2. April 1938 dabei auch
sogleich Carl Orff als Komponisten vor. Der Intendant, dessen Stellvertreter, SS-
Obersturmbannf�hrer Frank Bethge und der Frankfurter Oberb�rgermeister, Dr. Fritz
Krebs, welcher auch Kreisleiter der �NSDAP� Frankfurt und Pr�sidialratsmitglied der
�Reichsmusikkammer� war, stimmten vollkommen in der Ansicht �berein, dass diese
Komposition den Rang der Allgemeing�ltigkeit f�r alle deutschen Theater einnehmen
m�sse. Meissner schrieb als an Dr. Krebs:
"Die Auff�hrung von Shakespeares "Sommernachtstraum" scheitert immer wieder
daran, da� noch keine Musik geschaffen ist, die der k�nstlerischen H�he der Dichtung
ebenb�rtig ist. Ich m�chte vorschlagen, dem M�nchner Tondichter Carl Orff, der durch
die "Carmina Burana" die pers�nliche Eigenart seiner musikalischen Erfindungs-und
Gestaltungskraft unter Beweis gestellt hat, mit der Schaffung einer Musik zu
Shakespeares Dichtung zu beauftragen."
Die Selbstverst�ndlichkeit der Einklagung eines Vakuums, eines Mangels, der
Einforderung einer Komposition des Sujets -quasi so, als ob es eine Musik
Mendelssohns zu diesem Thema niemals gegeben h�tte -durch Meissner, beweist, wie
sehr sich auch dieser bedeutende Theatermann bereits korrumpiert hatte. Wie gro�
dessen willentliche und wissentliche Bereitschaft ausgepr�gt war, an einem Vorgang
teilzuhaben, den Fred Prieberg als "sch�pferische Verdr�ngung Mendelssohns"
bezeichnete.
Prieberg konstatierte also des Weiteren zu Recht: "Denn sch�pferische Verdr�ngung
Mendelssohns -und das ist mehr als blo�e Austreibung -geh�rte zu den zentralen
Zielen der NS-Musikpolitik. Ohne emsige Beihilfe durch Regisseure, Intendanten,
Komponisten und Kapellmeister w�re sie schon im Ansatz gescheitert, wogegen eben
erst diese t�tige Unterst�tzung suggerierte, der Zweck sei rechtens und daher eine
gleichsam historisch bedingte Erscheinung."
Die Idee Dr. Krebs, die Komposition in einem Wettbewerb hochrangiger Komponisten gedacht
war dabei an Orff, Herrmann Reuter und Werner Egk, wurde dabei von
Meissner als kontraproduktiv verworfen.
Carl Orff akzeptierte, in der Hoffnung auf dauerhafte Patronage seitens jener
hochrangigen Frankfurter �NSDAP�-Funktion�re, ein Honorar von 5000 RM und machte
sich an eine archaisch eingestimmte Vertonung des Sujets.
123
In einem Dankschreiben an Oberb�rgermeister Dr. Krebs vom 10. Juli 1938 best�tigte
er die Auftrags�bernahme:
"Sehr geehrter Herr Staatsrat! Ich empfing heute mit gro�er Freude die
Auftragserteilung zu einer Musik zu Shakespeares Sommernachtstraum durch Herrn
Generalintendanten Mei�ner, und ich danke Ihnen au�erordentlich f�r das wiederum
bewiesene Vertrauen. Ich freue mich sehr, die handschriftliche Partitur nach
Fertigstellung der Arbeit der Stadt Frankfurt am Main �bergeben zu k�nnen, denn ich
verdanke der Stadt und damit Ihnen, sehr verehrter Herr Oberb�rgermeister, eine
entscheidende k�nstlerische F�rderung und bin gl�cklich, da� ein weiteres Werk von
mir in Ihrem Theater zur Auff�hrung kommen soll.
Mit ergebenen Gr�ssen, Heil Hitler!"
Die Orffsche Komposition wurde nach ihrer, wahrscheinlich Mitte Oktober 1938 erfolgten
Premiere von der Presse nachgeradezu hymnisch aufgenommen. So schrieb der
Rezensent Walter Dirks in der "Neuen Musikzeitung" von November 1938 von der
Entt�uschung jener "die zu sehr an den durch Mendelssohn vorgepr�gten Vorstellungen
festhielten, vielleicht auch" (jener) "denen eine Musik von Shakespearescher seelischer
M�chtigkeit vorschwebte. Von solchen Anspr�chen mu� man absehen, wenn man
w�rdigen will, was Orff geleistet hat: eine f�r heute und viele Jahre g�ltige praktikable,
w�rdige und durchaus angemessene Musik dienender Haltung. Es ist Orff gegl�ckt, f�r
die mancherlei Situationen in den verschiedenen Sph�ren des zauberhaften Werkes (in
der h�fischen, der elfischen, der panischen, der R�pelsph�re) ungemein treffende
Formulierungen zu finden."
Fred Prieberg weist noch 9 weitere positiv ausgefallene Rezensionen in Zeitungen des
gesamten damaligen Reichsgebietes nach, ein Zeichen daf�r, dass die Urauff�hrung
des Orff-Werkes als ein Theaterereignis �berregionalen Ranges angesehen oder von
den NS-Institutionen Frankfurts zumindest reichsweit propagandistisch als solches
lanciert wurde.
Im Gegensatz zur Presse reagierten die Theater eher verhalten auf die Vorstellung einer
weiteren "Sommernachtstraum"-Partitur. So werden bei Fred Prieberg nurmehr 4
weitere B�hnen genannt, welche auf die Orffsche Komposition in der Originalgestalt
oder in einer Bearbeitung durch den Komponisten zur�ckgriffen: die Theater in
G�ttingen (Dezember 1943), in Karlsruhe (1940), Mainz (1943) und Leipzig (1944).
Der Komponist behauptete sp�ter, sich bereits 1917 und auch vor 1933 mit dem
"Sommernachtstraum"-Sujet auseinandergesetzt zu haben und suggerierte dadurch,
dass das Werk somit innerhalb seines Oeuvres quasi organisch herangereift sei. Dass
demselben kein nationalsozialistischer Hintergrund oder eine gezielte Mendelssohn-
Verdr�ngung gar, unterstellt werden k�nne.
Fakt ist, dass Orff das Werk in Zeiten des �III. Reiches� komponierte, vorstellte und
mehrfach umarbeitete, so liegen Fassungen aus den Jahren 1943 und 1944 vor.
125
Der Orffsche Sommernachtstraum wurde bereits im Jahre 1938 in dessen "Hausverlag"
B. Schotts S�hne in Mainz verlegt, welcher zur Urauff�hrung etwas voreilig bereits 300
Klavierausz�ge zur Ansicht in den Theatern und im Jahre 1944 weitere 400
Klavierausz�ge einer bearbeiteten Fassung vorlegte. Weitere Retuschen des Werkes
datieren aus dem Jahre 1952.
Und dies das Novum dieser Komposition aus einer langen Reihe von denselben
unseligen Anlasses (insgesamt 44 neue, ersetzende B�hnenmusiken hat Prieberg
recherchiert): es war die einzige, welche nach 1945, in der BRD noch und wieder
gespielt wurde. Dabei wirkten 2 Umst�nde zusammen. Ein namhafter, erfolgreicher
Komponist, welchem seine Verstrickungen in Ereignisse und Machenschaften der NS-
Zeit offenkundig nichts anzuhaben vermochte. Sowie dessen "gut eingef�hrte(r),
m�chtige(r), und seine Werbe-und Wirtschaftskraft nach dem Zusammenbruch des
Reiches erst recht aufbauenden Gro�-Verlegers" (Prieberg), welcher das Werk
zugkr�ftig an die deutschen B�hnen lancierte. Ungeachtet der Tatsache, das zur ersten
B�hnenproduktion nach dem Zusammenbruch der Hitler-Diktatur im Dezember 1945
wieder Felix Mendelssohn gegeben wurde.
Des Bem�hens um eine neue Einzigartigkeit der Orffschen "Sommernachtstraum"Musik
durch Frankfurter NS-Funktion�re zum Trotze entstanden auch nach
Fertigstellung derselben an deutschen B�hnen noch weitere Fassungen. So beauftragte
der legend�re Theatermann Dr. Saladin Schmitt im Fr�hjahr 1940 den
Hauskomponisten des Bochumer Schauspielhauses Emil Peters mit einer B�hnenmusik
zum "Sommernachtstraum", Sie wurde am 24. M�rz 1940 uraufgef�hrt. Der Komponist
lehnte eine vollst�ndige Neukomposition des Themas allerdings ab -aus
eigensch�pferischen Skrupeln gegen eine offenkundige Mendelssohn-Verdr�ngung
heraus? - und griff ein weiteres Mal auf Kompositionen Carl Maria von Webers zur�ck.
Der namhafte Regisseur Franz Stroux brachte das St�ck am 20. September 1939 am
Wiener Burgtheater mit der bereits genannten Musik Franz Salmhofers heraus. Am 18.
Januar 1940 erschien das Werk am Stadttheater Wilhelmshaven mit der gleichsam
bereits erw�hnten Musik Theodor Holterdorfs auf der B�hne; Bielefeld sah das gleiche
St�ck am 13. April 1940 mit der Musik von Adam Rauh. Am 30. April 1940 re�ssierte
eine Musik von Konrad Brenner am Theater Ulm; am 1. Mai jene von Franz Binder in
Karlsbad.
All diesen L�sungen zum Trotze konstatierte Rudolf Sonner in "Musikstadt Wien" vom 6.
M�rz 1939 anl�sslich einer Sylvestervorstellung des "Deutschen Volkstheaters" in Wien
weiterhin die dringliche Notwendigkeit neuer "Sommernachtstraum"-Kompositionen.
Dabei versuchte er nach Kr�ften das �berm�chtig pr�sente Vorbild Mendelssohns,
unter zeitgeistgerecht perfidem R�ckgriff auf ein Vokabular v�lkisch-rassistischer
Schm�hung und pure Behauptungen, nach Kr�ften zu demontieren:
"Die unwirklich-wirkliche Welt des "Sommernachtstraums", die Shakespeare in dieSch�nheit seiner Verse gebannt hat, der kraftvolle Humor, der �bermut und die zarte
Innigkeit, all das gibt einem echten Musiker Gelegenheit zu einer Begleitmusik, ja fordert
eine solche geradezu heraus. Gewisse Kr�fte trauern heute noch der
Sommernachtstraum-Musik des Juden Mendelssohn nach und tun so, als bedeute ein
Verzicht auf diese einen unwiederbringlichen Verlust.
126
Mendelssohn war ein Exponent des Judentums, und darum wurde seine Musik so
aufdringlich in den Vordergrund geschoben. Ihren Gehalten nach hat sie das gar nicht
verdient; denn schon die Ouvert�re ist ein billiges Potpourri gestohlener Themen von
Johann Rudolf Zumsteeg und C. M. von Weber, verkittet mit franz�sischer Ballettmusik.
Nichts von dieser mauschelnden Geschw�tzigkeit findet sich in der neuen
Sommernachtstraummusik von Ludwig Maurick."
Otto Falckenberg, der ber�hmte Intendant der M�nchner Kammerspiele schliesslich
verlagerte anl�sslich einer Neuinszenierung im Fr�hjahr 1941 die Problematik
beflissentlich von der unumg�nglich bestehenden Ebene kulturpolitischer Doktrinen auf
eine solche rein �sthetischer Argumentation. Er sprach Mendelssohns Musik
schlichtweg die Eignung einer B�hnenmusik zu Shakespeares Werk ab:
"Mendelssohn hat gar nicht versucht, eine wirkliche Traummusik zu schreiben. Seine
Musik ist thematisch klar durchgearbeitet und von einer Konsequenz, die der Logik oder
Unlogik des Traums nicht entspricht". (Der neue Sommernachtstraum, �M�nchner
Neueste Nachrichten� v. 16. M�rz 1941)
Dar�ber hinaus deklariert Falkenberg Mendelssohn als reinen Klassizisten und spricht
ihm somit die Teilhabe an der deutschen Romantik ab; ja unterstellt ihm gar, als
Romantiker und B�hnenkomponist eklatant versagt zu haben. Zur M�nchner
Neuinszenierung des Sommernachtstraumes erklang schliesslich eine Neukomposition
von Gerhard M�nch.
Das Jahr 1944 schliesslich brachte noch zwei weitere Kompositionen zu Shakespeares
St�ck hervor. Hilde Pfeiffer-D�rkorp arrangierte Musik des Rudolst�dter
Barockkomponisten Philipp Heinrich Erlebach zu einer Inszenierung des
Braunschweiger Staatstheaters im Park von Salve Hospes, welche am 16. Juli 1944 ihre
Premiere hatte.
Eine weitere Komposition von den H�nden Franz Anton Wolperts, eines Dozenten des
Mozarteums in Salzburg erfuhr kriegsbedingt nur noch eine konzertante Auff�hrung der
Ouvert�re am Mozarteum.
Dies stellt wohl den Endpunkt dar im Bestreben, ein unbestrittenes, tief im Denken und
Empfinden der Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts verankertes Meisterwerk
r�ckstandslos zu eliminieren. Es mitsamt dem Komponisten ein f�r allemal historisch zu
entsorgen. Nun, die Sommernachtstraum-Musik d�rfte weiterhin zu den bekanntesten
und beliebtesten Werken des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy z�hlen. Keine
der vom Regime anbefohlenen und eilfertig vollf�hrten Surrogatmusiken konnte sich
nach 1945 als ernsthafte Alternative b�hnenpraktisch behaupten.
Carl Orffs Komposition zumindest konnte sich, mit t�tiger Unterst�tzung eines
einflu�reichen Musikverlages in den Kulturbetrieb der BRD hin�berretten. Wurde von
diesem in einem demokratisch orientierten Staat mit einer Selbstverst�ndlichkeit als
hochrangiges Kulturgut verbreitet, als h�tte es das auftraggebende verbrecherische
Regime niemals gegeben. Als w�re sie niemals aus dem Bestreben der Beihilfe heraus,
Felix Mendelssohn Bartholdys Werk endg�ltig zu eliminieren entstanden.
127
Als h�tte Orff die blumig verklausulierte Auftragsbest�tigung niemals mit einem
schneidigen "Heil Hitler" unterzeichnet. Aber auch sie ist mittlerweile Vergangenheit,
musikalisch dahingeschieden, tot; Nebenerzeugnis eines bayerischen Kleinmeisters,
welcher lediglich mit einer spektakul�ren Komposition sowie in einem Schulwerk f�r
Kinder im Bewusstsein der Musikfreunde pr�sent ist. Rudolf Wagner-Reg�ny, dem
einzigen Komponisten neben Carl Orff mit einer gewissen Prominenz versehen, welcher
sich auf das nationalsozialistische Ansinnen einlie�, gelang mit seiner Komposition nicht
einmal der Sprung in die Nachkriegszeit. Der Musikverlag der �NS-Kulturgemeinde�,
welcher das Werk herausbrachte, fand mit dem Regime gemeinsam sein folgerichtiges
Ende und erfuhr nach dem Kriege keine Neugr�ndung.
In seinem Standardwerk "Musik im NS-Staat" schliesst Fred Prieberg das Felix
Mendelssohn gewidmete Kapitel denn auch mit der kurzen, betont n�chtern gehaltenen
Erkl�rung: �Die Sommernachtstraum-Musik indessen hat die F�hrer des
Nationalsozialismus und ihre Politik der sch�pferischen Liquidierung unbeschadet
�berstanden�.
Intermezzo VI: "Die hohe Schule" II oder "Musik in Geschichte und Gegenwart"
Prieberg irrte in diesem Punkt nachweislich. In der BRD herrschte ein uns�gliches
Klima z�gig vorgenommener Restauration vor. Jenes erschlo� einstigen,
nationalsozialistisch ausgepr�gten Eliten der Bereiche Politik, Milit�r, Rechtswesen,
Medizin, Kultur und akademische Bildung im Zeichen unbedingten f�rderalistischen
Wohlfahrtsbestrebens sowie der Anbiederung an die USA in steigendem Ma�e neue
Wirkungskreise. So gew�hrleisteten musikpublizistische Koryph�en, getreuliche Diener
oder Mitl�ufer des gefallenen Regimes, nicht zuletzt auch die ungebrochene Kontinuit�t
eines an�misch gezeichneten Mendelssohn-Bildes.
Dies Ph�nomen eingehender darzulegen, wollen wir uns an dieser Stelle ein
wesentliches Fundament, einen Bestandteil musikalisch-akademischen Lehrens in der
BRD nach 1945 auf seine Substanz, seine Verwurzelung zur�ck in Zeiten des NS-
Regimes hin betrachten.
Im Jahre 1949 ver�ffentlichte der B�renreiter-Verlag in Kassel den ersten Band einer
neuzeitlich-musikalischen Enzyklop�die, welche unter dem Titel "Musik in Geschichte
und Gegenwart" (�MGG�) re�ssierte. Als Herausgeber wirkte der hochangesehene
Freiburger Musikwissenschaftler Friedrich Blume. Die Edition war auf insgesamt 20
B�nde angelegt, deren Folgever�ffentlichungen sich bis in die sechziger Jahre
hinziehen sollten. Die Creme zeitgen�ssischer deutscher Musikwissenschaft wurde in
die Erarbeitung der Enzyklop�die eingebunden; ausgesuchte europ�ische und
amerikanische Musikologen sekundierend herangezogen. �MGG� z�hlte, als
Kompendium, verbindliche Quintessenz musikwissenschaftlichen Strebens mehrerer
Generationen verstanden, zum Grundbestand jedweder musikalischer Bildung und �
Lehre der �BRD� und war somit als Bestandteil jeder seri�s konzipierten Bibliothek
eingegliedert. Der Anteil, von der Edition B�renreiter zu erheben am Verdienst, ein
Bildungsgut von so zentraler Bedeutung, weit reichender Folgewirkung konzipiert und
realisiert zu haben, ist allerdings kein entscheidender.
128
"Musik in Geschichte und Gegenwart" wurde vielmehr als Projekt der "Hohen Schule"
innerhalb des Amtes Rosenberg in Auftrag gegeben, erste konzeptionelle Dispositionen
lassen sich bereits f�r August 1939 nachweisen. Als Projektleiter agierte der im
Zusammenhang mit dem �Lexikon der Juden in der Musik� bereits genannte Heinz
Gerigk; als Autoren wurden u. a. die Musikwissenschaftler Friedrich Blume, Wolfgang
Boetticher, Werner Danckert, Karl Gustav Fellerer, Prof. Rudolf Gerber, Ewald
Jammers, Prof. Hellmuth Osthoff, Erich Schenk, Heinrich Schole, Erich Schumann und
Rudolf Sonner verpflichtet. Alle hier genannten hatten sich zu diesem Zeitpunkt bereits
innerhalb musikanthropologischer oder kultur-rassetheoretischer Projekte des
Nationalsozialismus profiliert. Die Teilnahme einer von Gerigk herausdefinierten Elite
nationalsozialistisch-musikideologischer �berzeugung an einem von der Parteileitung
zum Renommier-Projekt erkl�rten enzyklop�dischen Vorhaben wurde von den
Sicherheitsdiensten dementsprechend abgesegnet.
Friedrich Blume, Ewald Jammers und Karl Gustav Fellerer waren des weiteren auch im
Rahmen des SS-Projektes Ahnenerbe t�tig. Blume betreute dar�ber hinaus auch eine
Publikationsreihe des Namens: �Schriften zur musikalischen Volks-und Rassenkunde�.
Karl Gustav Fellerer wiederum entlarvt sich in Briefdokumenten privater Natur als
schneidiger, nationalsozialistisch engagierter, akademischer Intrigant und Karrierist. So
verh�hnte er den mi�liebigen j�dischen Akademiker Fischer als �Schweizer Idioten�,
frohlockte im August 1939 wohl informiert (also exorbitant regimenah!), ein polnischer
Professor namens von Oulikovski mitsamt seinen Landsleuten bez�ge daf�r, das er
dem �Idioten� Fischer die Stange gehalten habe, "bald die entsprechende Abreibung�. Er
belobigte die Projektleitung Herbert Gerigks f�r MGG nach der Pr�misse des erprobten
�F�hrerprinzips� und insistierte auf die Definition �neue(r) Gesichtspunkte und
Nachschlagworte� zur Unterscheidung von �den �brigen, eingekalkten Lexika�, damit
�man (...) zum Stammhaften und Rassischen (...) (Sippe)� vorsto�en k�nne. Die Briefe
schlie�en erwartungsgem�� mit �Heil Hitler!�
Im Februar 1940 vermeldete Gerigk dem designierten Autor Prof. Rudolf Gerber (ein
�begeisterter Nationalsozialist�/ Eva Weissweiler) emphatisch, da� �der F�hrer befohlen�
habe, �da� auch in der Kriegszeit namentlich die Forschungsarbeit weitergef�hrt
werden� sollte und der Enzyklop�die daher derzeit �f�r die einzelnen Teilgebiete (...) aus
unserer Stichwortkartei die Listen der bisher erfa�ten Namen und Stichworte
zusammengestellt� w�rden und �insgesamt bereits (...) die Zahl von 20000
�berschritten� sei. Die wissenschaftliche Integrit�t der Projektverantwortlichen erscheint
nicht zuletzt dadurch zunehmend in Zweifel gezogen, da� jene besagten 20000 Namen
und Stichworten, zugrunde liegende Systematik vollst�ndig den Enzyklop�dien
Riemanns, H. J. Mosers sowie des im Jahre 1926 herausgegebenen �Neuen
Musiklexikons� des j�dischen Musikwissenschaftlers Alfred Einstein entlehnt worden
war. Ende des Jahres 1943 k�ndete der B�renreiter-Verlag, Kassel die absehbare
Publikation von �Musik in Geschichte und Gegenwart� an und nannte Friedrich Blume
nunmehr als Herausgeber. Die Kriegswirren des Jahres 1943, welche vermittels
unausgesetzter alliierter Bombenangriffe auf deutsche St�dte nunmehr zunehmend
auch deutsches Kerngebiet erreichten, bedingten die Auslagerung des Amtes Musik und
seiner Aktivit�ten in sichere Provinzst�dte. W�hrend Gerigk mit der Beh�rde nach
Schlesien abwanderte, wurde der Gesamtbestand bisheriger "MGG"-Recherche an die
129
Universit�t Kiel delegiert, welche sich kriegsbedingt mittlerweile zur Dependance der
"Hohen Schule" entwickelt hatte und mit Blume �ber eine renommierte, langj�hrig
verdiente akademische Kraft verf�gen konnte. Ob Blume von den Beh�rdenvorst�nden
Rosenberg oder Gerigk umst�ndehalber mit der Edition von �MGG� betraut wurde oder
ob es jenen m�glicherweise aus den H�nden geglitten war und sich Blume den zur
Fortsetzung der Erarbeitung der Enzyklop�die notwendigen Parteisegen anderweitig zu
verschaffen verstand, ist nicht mehr nachzuvollziehen. Rivalit�ten zwischen gem��igt
nationalsozialistisch infiltrierten Akademikern wie Friedrich Blume, Hans Joachim Moser
und Schole einerseits und erkl�rt-ideologischen �berzeugungst�tern wie Gerigk,
Boetticher, Fellerer, Gerber etc. sind aktenkundig; so wurde Blume beispielsweise Mitte
des Jahre 1940 das designierte Referat protestantischer Kirchenmusik in �MGG�
zugunsten Gerbers wieder entzogen.
Das Gerigk sich noch im April des Jahres 1944 hartn�ckig um die Frontbefreiung
wesensverwandter nationalsozialistischer Wissenschaftler wie Fellerer, Gerber, Osthoff
und Boetticher bem�hte (alles Namen, welche im Zusammenhang mit dem
Enzyklop�die-Projekt schon genannt wurden), spricht allerdings in hohem Ma�e daf�r,
dass er jene zur Fortsetzung der Konzeption von �MGG� einzusetzen trachtete und
Blume in Kiel als neuer Herausgeber der Enzyklop�die somit auf strikte Anweisungen
des �Amtes Rosenberg� und Gerigks agierte. Im April des Jahres 1944 wurde das
Projekt �MGG� von hochrangigen Partei-und Regimebeh�rden denn auch kontrovers
er�rtert. So verwies die �NSDAP�-Verwaltung im M�nchner F�hrerbau in einem
Schreiben an das "Reichsministerium f�r Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung"
auf das Problem, �eine umfassende, mehrb�ndige Enzyklop�die (...) die gesamte Musik
aller L�nder und Zeiten umfasse (...) jetzt �berhaupt� anzuk�ndigen, da man �es f�r ein
eine Benachteiligung der bei der Wehrmacht befindlichen Fachvertreter und des
gesamten Nachwuchses� gleich dort befindlich hielte, �wenn f�r diese Standardwerke
die Daheimgebliebenen unter sich die Aufteilung vornehmen".
Die Anfrage, etwa ein Jahr vor dem Zusammenbruch des Regimes formuliert, spricht,
eindeutig oder indirekt zwei wesentliche Sachverhalte im Umfeld des Projektes an.
Zum einen verweist sie, ungewollt zwar, aber wahrhaft prophetisch, auf die zuk�nftige
Relevanz unbestreitbar nationalsozialistisch indoktrinierten musikwissenschaftlichen
Nachwuchses f�r die Jahre nach 1945.
Zum anderen spielt sie unverhohlen auf den Umstand an, das die Erarbeitung der
Enzyklop�die mittlerweile m�glicherweise einer verschworenen
musikwissenschaftlichen Clique nurmehr als Vorwand diente, der Front ferngehalten zu
werden und somit im Schutze des Projektes das Kriegsende abzuwarten. Prof. Gerber
gestand genau dies bereits in mehreren an Projektleiter Gerigk gerichteten Schreiben
des Jahres 1940 offen ein: Wunsch nach Teilhabe am Prestigeprojekt des Regimes,
welche ihm, dem Intellektuellen besser und n�tzlicher anstehe als das Waffenhandwerk,
indem sich ja verst�rkt die Primitivit�t und Einfalt zum Wohle des Deutschen Volkes
�ben k�nne. Im September 1944 bezeugte die Essener Allgemeine Zeitung
ungebrochen fortgef�hrte Aktivit�ten hinsichtlich �MGG� dadurch, das sie auf das
baldige Erscheinen eines herausragenden Projektes der �deutschen Musikforschung�,
genauer: die Ver�ffentlichung einer �umfassende(n), gro�z�gige(n) musikalische(n)
Enzyklop�die� hinwies, welche eine �Gemeinschaftsarbeit f�hrender deutscher
Musikforscher� darstelle und den Titel "Musik in Geschichte und Gegenwart" tragen
werde.
130
Wie eingangs erw�hnt , fand die Publikation des ersten Bandes von Musik in
Geschichte und Gegenwart im Jahre 1949 statt; als Herausgeber firmierte weiterhin
Friedrich Blume. Ma�geblich beteiligt an der Erarbeitung des ersten und weiterer B�nde
waren die ehemaligen Gerigk-Untergebenen Boetticher, Danckert, Fellerer, Gerber,
Jammers, Osthoff, Schenk. Eva Weissweiler schildert in ihrer engagiert und umfassend
vorgelegten Studie �ber �das Lexikon der Juden in der Musik� (inkl. Kompletten
Faksimile-Reprints desselben !) und das Amt Gerigk trefflich, wie die Mitarbeit der
genannten an der B�renreiter-Enzyklop�die konkret vonstatten gegangen sein mochte: �
Sie brauchten nur ihre Manuskripte aus der Schublade zu holen und die schlimmsten
nationalsozialistischen Formulierungen daraus zu streichen�.
Blume und die Edition B�renreiter als Verlag verwandten wenig Sorgfalt auf
humanistisch-anthropologische Bereinigung des Alt-Materials. Die mit der Edition
�bernommene Teilverantwortung f�r das bildungsspezifische Klima des neuen
F�deralismus muss ihnen vollkommen gleichg�ltig gewesen sein. Wie w�re es sonst zu
verstehen, das die genannten �f�hrenden Musikforscher� des ehemaligen Regimes die
autobiographischen Eintr�ge in MGG eigenh�ndig autorisieren und ihre Biographie
somit erstmalig manipulieren durften? Auch andere �internationale Musiklexika� (de
Vriess) griffen auf die F�higkeiten der ehemaligen Gerigk-Mitarbeiter zur�ck,
m�glicherweise get�uscht durch die neugewonnen-manipulierte biographisch-
akademische Integrit�t. Substantieller noch sollte sich auswirken, dass man
beispielsweise einem ausgewiesenen nationalsozialistischen �berzeugungst�ter wie
Boetticher das Referat �ber j�dische Musiker �berliess. Wie jenes �ber Joseph
Joachim, den Weggef�hrten Mendelssohn Bartholdys, Johannes Brahms und Clara
Schumanns. Der Band von Musik in Geschichte und Gegenwart, der auch Felix
Mendelssohn Bartholdy zur Veranschaulichung bringt, erschien editionsbedingt erst im
Jahre 1961.
Es referiert dort der �ber jeden Zweifel erhabene amerikanische Mendelssohn-Forscher
Eric Werner. Sein Text weist stellenweise eine Reserviertheit gegen�ber Leben und
Werk Felix Mendelssohns auf, die sich im sp�ter ver�ffentlichten, Mendelssohn
gewidmeten Hauptwerk Werners, so nicht findet.
Der Herausgeber von MGG, Friedrich Blume referierte, wie bereits erw�hnt, im August
des Jahres 1938 in der Zeitschrift "Musik" �ber die Fragestellung "Musik und Rasse Grundlagen
einer musikalischen Rasseforschung". Er attestierte sich in seinem im Jahre
1938 vorgelegten Lebenslauf u. a. auch die Erarbeitung von "musikalischer Volks-und
Rassenkunde und musikalische(r) Raumforschung" und nahm im �III. Reich� u. a.
folgende Positionen wahr:
1933 au�erordentlicher Professor an der Berliner Universit�t, 1934 Leitung des
"Musikwissenschaftlichen Institutes", 1935 Mitglied des "Staatlichen Institutes f�r
Deutsche Musikforschung", 1938 Ordinarius der Universit�t Kiel, 1939 Leitung des
"Institutes Erbe deutscher Musik" und Redaktion der Zeitschrift "Deutsche Musikkultur",
letztere beiden fester Bestandteil nationalsozialistisch-rassistischer Kulturpolitik.
Des weiteren bet�tigte er sich als Referent und Herausgeber einschl�gig belasteten und
belastenden Gedankengutes und Schriftentums.
131
Bei den ersten Reichsmusiktagen im Jahre 1938 referierte Friedrich Blume �ber das
Thema "Musik und Rasse -Grundlagen einer musikalischen Rasseforschung", welches
ja auch Grundlage jenes in der Zeitschrift "Musik" ver�ffentlichten Aufsatzes war. Im
gleichen Jahre gab er das Buch "Das Rasseproblem in der Musik" heraus. Es war dies
die erste Ausgabe der von Blume publizierten "Schriften zur musikalischen Volks-und
Rassenkunde"; noch drei B�nde sollten bis zum Jahre 1944 folgen.
In der ab 1994 herausgegebenen Neuausgabe von �MGG� bestreitet der B�renreiter-
Verlag und der Herausgeber Ludwig Finscher jedwede Verbindung der Erstausgabe von
der Enzyklop�die zum Nationalsozialismus und tut den Gedanken daran als Spekulation
Wilhelm de Vriess ab. So ist in dem biographischen Abri�, welchen die Enzyklop�die
dem Erstherausgeber Friedrich Blume widmet zu lesen: "Im Jahre 1943 begab Blume
auf Anregung des Gr�nders des B�renreiter-Verlages Karl V�tterle und zusammen mit
Hans Albrecht mit der Vorbereitung der Enzyklop�die "Die Musik in Geschichte und
Gegenwart�. Dass diese Arbeit irgend etwas mit Pl�nen und Materialsammlungen von
Herbert Gerigk f�r eine von diesem sp�testens seit 1939 geplante Enzyklop�die zu tun
gehabt haben k�nnte, wie de Vriess 1998, 108 -115 behauptet, ist pure Spekulation."
Das Buch von Eva Weissweiler, welches die Sachlage einer Initiierung von �MGG�
durch die "Hohe Schule" der NSDAP und Herbert Gerigk erh�rtet, war zu jenem
Zeitpunkt noch nicht erschienen. Die Erkl�rung in der Blume-Biographie der
Neuausgabe wiederum muss als pure Behauptung des Verlages, genauer, als
Schutzbehauptung angesehen werden.
In den Vorworten zu den verschiedenen Auflagen erkennt sich der B�renreiterverlag
wiederholt das alleinige Verdienst um Initiierung von �MGG� zu und verweist im �brigen
auf den Herausgeber Friedrich Blume. So schreibt Blume in seinem Vorwort des
abgeschlossenen 1. Bandes aus dem Jahre 1951/ Tb-Ausgabe 1989:
"Der Gedanke der Enzyklop�die ist bereits 1943 von dem B�renreiter-Verlag in Kassel
ausgegangen und ist seitdem in st�ndigem engem Gedankenaustausch zwischen ihm
und dem Herausgeber unter allm�hlicher Einbeziehung vieler Mitarbeiter und Helfer
entwickelt worden".
Ludwig Finscher wiederum schreibt im Vorwort des im Jahre 1994 erschienenen
Bandes der Neuausgabe von �MGG�: "Die Zeit, in der Karl V�tterle und Friedrich Blume,
der Musikverleger und der Musikwissenschaftler, die schon in den letzten Jahren des
zweiten Weltkrieges entwickelte Konzeption der MGG zu verwirklichen begannen, war
einzigartig (...)
Ungew�hnlich war, da� Friedrich Blume als der Spiritus Rector des Unternehmens eine
viel weiter reichende Konsequenz aus der Situation zog: Die Entwicklung nicht eines
Lexikons, sondern einer Enzyklop�die, wie es schon im Geleitwort zur ersten Lieferung
1949 hei�t."
2 Faktoren sind ma�geblich geeignet, die Behauptungen des B�renreiter-Verlages und
seiner Herausgeber, die Entwicklung der Enzyklop�die stehe jeder Verwurzelung im
Nationalsozialismus vollst�ndig fern, zu widerlegen.
132
Erinnern wir uns der Meldung in der "Essener Allgemeinen Zeitung" von September
1944 hinsichtlich baldigen Erscheinens eines herausragenden Projektes der �deutschen
Musikforschung�, genauer: die Ver�ffentlichung einer �umfassende(n), gro�z�gige(n)
musikalische(n) Enzyklop�die�, welche eine �Gemeinschaftsarbeit f�hrender deutscher
Musikforscher� darstelle und den Titel "Musik in Geschichte und Gegenwart" tragen
werde.
In dieser Meldung wird der au�erordentliche Rang, die Dramaturgie und der Umfang der
Enzyklop�die "Musik in Geschichte und Gegenwart" explizit vorweggenommen und
hervorgehoben. Nun, beide Instanzen, der Verleger Karl V�tterle und sein B�renreiter-
Verlag sowie der Musikwissenschaftler Friedrich Blume, verf�gten in den Kriegsjahren
1943 -45 wohl kaum �ber die Machtvollkommenheit, ein Unternehmen solchen
Ausma�es zu konzipieren und vorzubereiten. Es ist wenig glaubhaft, dass Blume als
Ordinarius der Universit�t Kiel, also von einer Provinzuniversit�t aus, obgleich er
Mitglied und Pr�sident div. musikwissenschaftlicher Gesellschaften war, autonom, fern
jeder Weisung und Kontrolle durch die Partei ein herausragendes Projekt der
"deutschen Musikforschung" zu initiieren imstande war. Eine "Gemeinschaftsarbeit
f�hrender deutscher Musikforscher" (Essener Allgemeine 1944) "unter ...Einbeziehung
vieler Mitarbeiter und Helfer" (Blume 1951) herzustellen. Des gleichen war ein kleiner
Musikverlag in Kassel dazu nicht in der Lage.
Wie wir gesehen haben, unterlagen f�hrende Wissenschaftler und ihre T�tigkeit der
Zustimmung und Aufsicht von Parteigremien, wurden Wissenschaftler, die an Projekten
teilnehmen sollten, von der Partei auf ihre ideologische Zuverl�ssigkeit hin
durchleuchtet.
Eva Weissweiler dokumentiert in "Ausgemerzt! Das Lexikon der Juden in der Musik"
treffend das Wesen der von der Partei ausge�bten Kontrolle �ber etwaige in
Kriegszeiten vollf�hrte wissenschaftliche Arbeit: "Von irgendeiner direkten oder
indirekten Form der Mitarbeit bei Forschungsunternehmen der NSDAP, SS oder "Hohen
Schule" war allerdings kaum ein namhafter deutscher Musikwissenschaftler
freizusprechen; denn der politische "Anschluss" an offiziell gebilligte
Publikationsprojekte dieser Art stellte (...) nahezu die einzige M�glichkeit dar, in
Kriegszeiten �berhaupt noch ver�ffentlichen zu k�nnen. Jeder Versuch eines
wissenschaftlichen "Alleingangs" (...) w�re von Gerigk und der "Parteiamtlichen
Pr�fungskommission zum Schutze des NS-Schrifttums gnadenlos unterdr�ckt worden".
Obschon Hitler und die Partei Forschungsvorhaben gerade in Kriegszeiten h�chste
Priorit�t einr�umten, wurde jeder Wissenschaftler, der nicht in derartige, von der Partei
initiierte oder genehmigte Vorhaben eingebunden war, in den letzten Kriegsjahren zum
Wehrdienst eingezogen. Im Jahre 1944 schliesslich kamen unter dem Zeichen des
"Totalen Krieges" nahezu alle kulturellen Aktivit�ten in Deutschland zum Erliegen,
stellten die Theater und Opernh�user ihren Spielbetrieb ein, insofern sie nicht bereits
zerst�rt waren, wurden die meisten wissenschaftlichen Vorhaben abgebrochen und die
Verlage geschlossen. F�r Projekte wie der Konzeption von �MGG� t�tige
Wissenschaftler wie Blume handelten in dieser Situation also unmittelbar auf Weisung,
also unter Aufsicht nationalsozialistischer Funktion�re. Dabei bem�ngelten
rivalisierende Parteigremien die Fragw�rdigkeit einer bevorzugten Projekt-Beteiligung
einzelner Forscher zuungunsten des gesamten sich an der Front befindlichen
Nachwuchses.
133
Gerigk musste somit um die Wehrdienst-Freistellung jedes einzelnen an der
Vorbereitung von �MGG� beteiligten Wissenschaftlers k�mpfen; wie bereits dargelegt,
baten einzelne Akademiker dringlich um Aufnahme in das Projekt, um dem Frontdienst
zu entgehen. Nein, weder Verleger Karl V�tterle noch der Ordinarius der Universit�t Kiel
besa�en in den letzten Kriegsjahren �ber genug Autorit�t und Einflu�, die deutsche
Musikwissenschaft gezielt in die konzertierte Aktion der Erarbeitung eines
monumentalen enzyklop�dischen Vorhabens hineinzuf�hren.
Ein weiteres Indiz daf�r, dass die Herausgeber von �MGG� lediglich ein Projekt der
"Hohen Schule" der �NSDAP� weitergef�hrt hatten und keinesfalls als Urheber der
Enzyklop�die gelten k�nnen, liefert Blume im Vorwort des 1. Bandes von 1949/51
selbst:
"Jedoch wurde das gerettete Karteimaterial im Musikwissenschaftlichen Institut der
Universit�t Kiel in der Stille weiter ausgebaut."
Damit bringt Blume die einstmals von Gerigk erstellte Systematik von 20 000
Stichworten sowie das daraufhin erstellte Karteikartensystem der �MGG�-Recherche ins
Spiel, welches im Jahre 1943 auf Anordnung Rosenbergs oder Gerigks an die
Universit�t Kiel ausgelagert wurde. Ungekl�rt bleibt lediglich, ob Blume offiziell von
Rosenberg oder Gerigk mit der Weiterf�hrung der Enzyklop�die beauftragt wurde oder
aber die Partei gegen Kriegsende die Kontrolle �ber das Projekt verlor, so dass er das
Material �bernehmen und "in der Stille" einer abgeschiedenen Provinzuniversit�t �ber
die Stunde 0 hinaus ausbauen konnte.
30. Die zierlich-empfindsamen Lieder und Duette...
Gleichsam im Jahre 1949 l�sst sich auch der in der Nazi-Zeit als ambivalent agierend
erinnerliche Hans-Joachim Moser wieder zum Thema Felix Mendelssohn vernehmen; in
seinem "Lehrbuch der Musikgeschichte" vertritt er folgende Einsch�tzung:
�Die zierlich-empfindsamen Lieder und Duette, die bald behende, bald etwas
sentimentale Kammermusik, die freundlichen Orgelsonaten verbla�ten vorzeitig infolge�ursacheloser Schwermut� und einer gewissen Gl�tte, die �berdruss erregte.�
Arnold Schering sekundiert Moser im gleichen Jahre im Bem�hen, alten Geist in
vermeintlich neuen Zeiten lebensf�hig zu halten. In den in Leipzig herausgegebenen
Betrachtungen "Vom musikalischen Kunstwerk" veredelt er die Vorstellung vom
k�nstlerischen Heros auf bezeichnende Weise.
In der Person des autonomen k�nstlerischen Genius Beethoven sucht er den Heros
demonstrativ von der kleinb�rgerlichen, vermittels sentimentaler Musikerromane und �
filme transportierten, Popularisierung einer Stereotype des armen musikalischen Poeten
unterm Dache, zu separieren. Schering nimmt dabei in Kauf, dass der im Jahre 1824
verstorbene Beethoven sich anachronistisch zu einer Problemstellung zu �u�ern hat,
welche sich nachweislich erst in der 2. H�lfte des 19. Jahrhunderts auspr�gte.
�Damals kam die Legende auf, ein grosser K�nstler � insbesondere ein Tonk�nstler �
m�sse jederzeit ein grosser Leidender am Leben gewesen sein. Wo, bei Gott, sollte
sonst die �berzeugende Macht seiner Sch�pfung herkommen?
134
Als klassisches Beispiel galt Beethoven. Kein anderer als dieser selbst, der m�nnlichste
unter den Klassikern, hat sich sch�rfer gegen diesen Aberglauben gewandt, in dem er
das Wort sprach:
�Die meisten Menschen sind ger�hrt �ber etwas Gutes, das sind aber keine
K�nstlernaturen. K�nstler sind feurig, aber sie weinen nicht � R�hrung pa�t nur f�r
Frauenzimmer; dem Manne muss Musik Feuer aus dem Geist schlagen.�
Also muss auch Ludwig van Beethoven als Zeuge der zu jener Zeit weit verbreiteten
Ansicht herhalten, dass die Poesie und der musikalische Humanismus eines Felix
Mendelssohn im Reich wahrhaft grosser Musik keinen Raum haben k�nne.
Demgegen�ber wurde im angloamerikanischen Sprachraum ein objektiverer Umgang
mit musikhistorischen und ��sthetischen Entwicklungen, also auch dem musikalischen
Erbe Felix Mendelssohns respektive seiner unangezweifelt bedeutsamen
musikgeschichtlichen Stellung praktiziert als im deutschsprachigen Raum nach dem
Kriege. Das beweisen zeitgen�ssische Musiklehrwerke der Exilanten Arnold Sch�nberg
und Paul Hindemith, die Studienbeispiele aus Mendelssohns Werken zur
Veranschaulichung von musikalischer Pr�zision und Formbeherrschung anf�hren.
Desgleichen gab die "Musical Times" im Leitartikel der Oktoberausgabe des Jahres
1947 (m�glicherweise im Vorgriff auf Mendelssohns 100. Todestag am 4.11. dieses
Jahres) zu Bedenken:
�Seitdem das handwerkliche K�nnen des Komponisten auf der Suche nach neuen
Wirkungen an einem Stagnationspunkt angelangt ist, wird die Eleganz der Technik und
Formgebung, f�r die Mendelssohn so charakteristisch ist, wieder bewundert, nicht ganz
neidlos. Er z�hlt nunmehr zu der erlesenen Schar jener Komponisten (Mozart und Ravel
geh�ren dazu), die genau wussten, wie viel Noten zu schreiben und wie sie anzuordnen
(sind)".
Im Jahre 1950 ver�ffentlichte der Publizist Friedrich Herzfeld (vor allem bekannt
geworden durch sein Dirigentenkompendium "Magie des Taktstocks") indes eine
volkst�mliche Musikgeschichte unter dem Titel "Du und die Musik -eine Einf�hrung f�r
alle Musikfreunde"; erschienen im Ullstein Verlag/ Frankfurt-Berlin. Auf den Seiten 226 29
nimmt er auch zu Person und Lebenswerk Felix Mendelssohns Stellung. Einmal
mehr werden tradierte abwertete Stereotypen von Milde, Sentimentalit�t,
Nachrangigkeit und Kleinmeisterei versammelt.
Herzfeld macht Mendelssohns gro�b�rgerliche Herkunft f�r die vermeintliche Schw�che
seiner Tonsprache verantwortlich und kommt nahezu zu dem Schlu�, dass
Mendelssohn in der Durchf�hrung seines musikalischen Lebensentwurfes letztendlich
gescheitert sei.
"Nach der Hochglut eines Erzromantikers wie Berlioz nimmt sich das Feuer deutscher
Romantiker wie des in Kassel wirkenden Geigenmeisters Louis Spohr oder eines Felix
Mendelssohn-Bartholdy" zahm aus. (...) Die milde Temperatur seiner (Mendelssohns)
Pers�nlichkeit suchte das Neue nicht auf so erregende Weise. Mendelssohn war ein
echter Vertreter des Grossb�rgertums, wie es sich in diesen politisch ruhigen Jahren
entwickelte. Im Hause seiner Eltern (�) in Berlin verkehrte alles, was Rang und Namen
hatte. Dieses B�rgertum neigte zur Weichheit bis zur Sentimentalit�t. Die Tr�nen allzu
reger Empfindung, die in den Versen von Heinrich Heine oft flie�en, begegnen uns bei
Mendelssohn wieder.
135
Um Gegenkr�fte zu entwickeln, versuchte er die kontrapunktische Kunst Bachs und
H�ndels zu erneuern. Es ist aber nicht alles zu allen Zeiten m�glich. Die Fugen
Mendelssohns sind von den alten Fugen himmelweit entfernt. Auch seine Oratorien
Elias und Paulus, die er nach Vorbildern H�ndels schrieb, haben vor dem Ansturm der
Zeit an Geltung verloren. (...)
Offenbar geh�rte Mendelssohn zu denen, die im kleinen am gr��ten sind. Seine
Lieder ohne Worte haben in der Hausmusik des neunzehnten Jahrhunderts
begreiflicherweise eine grosse Rolle gespielt. Es geh�rte in der Generation unserer
Gro�-und Urgro�eltern zur guten Bildung, sich von diesen einschmeichelnden Weisen
durch die Lagunen von Venedig f�hren zu lassen. (...)
Alle Anerkennung seiner Meisterschaft hat nicht verhindern k�nnen, dass sein Bild
mit den Jahrzehnten allm�hlich, aber unaufhaltsam verblasste."
Am Ende seiner Mendelssohn-Betrachtungen gereift der Verfasser erneut auf die
Metapher vom Heros in der Kunst zur�ck, der Mendelssohn Herzfeld zu Folge
m�glicherweise nicht gerecht worden sei. Obgleich Herzfeld diese Sichtweise auf
musikalisches Wirken durchaus als romantizistisches Relikt in Frage stellt, hindert es ihn
doch keineswegs daran, sich ihrer selbst in der Mendelssohn-Infragestellung indirekt zu
bedienen:
"Es war nicht nur Spott, wenn man behauptet, es sei ihm im Leben immer zu gut
gegangen. Dass das Genie darben m�sse, war auch eine romantische Vorstellung. F�r
die Eingebung von oben m�sse es durch Leid empf�nglich gemacht werden.
K�nstlerschaft war danach ein Ersatz f�r Lebensgl�ck. Zur Quelle der Kunst wurde das
Leid. Dass sich die Not niemals an Mendelssohns Fersen heftete, w�re danach die
Ursache f�r seine allzu grosse Gef�lligkeit und Untiefe."
Der M�nchner Merkur attestierte der Musikgeschichte u. a.: "Sie kann insbesondere
Laien und Jugendlichen empfohlen werden, da sie in warmherziger, leichtverst�ndlicher
Form (...) alles Wissenswerte von den Anf�ngen der Musik bis zur unmittelbaren
Gegenwart vermittelt."
Es stimmt im Nachhinein bedenklich, dass ein Buch, welches gerade Laien und
Jugendlichen zur Lekt�re anempfohlen wurde, auch nach dem Kriege einer
nachwachsenden Generation von Musikfreunden wiederum ein einschl�gig
klischeebeladenes, verzerrtes Mendelssohn-Bild vermittelte. "Du und die Musik" wurde
im Jahre 1962 im Deutschen B�cherbund, Stuttgart/ Hamburg wieder ver�ffentlicht.
Friedrich Herzfeld war in den Zeiten des III. Reiches als Musikpublizist und Rezensent
t�tig, u.a. f�r die "Allgemeine Musikzeitung", Leipzig und "Die Musik", Berlin. In der
Neuauflage des "Lexikon der Juden in der Musik" des Amtes Rosenberg wurde er dann
allerdings als "Mischling zweiten Grades eingestuft, dessen Schriften damit f�r die
Parteiarbeit entfallen" (Herbert Gerigk, �L. d. J. i. d. M�., Editorial).
Im Jahre 1950 wurde das im Jahre 1934 erschienene Atlantisbuch der Musik vom
Atlantis-Verlag in Z�rich neu ver�ffentlicht. Als Herausgeber wirkten Fred Hamel und
Martin H�rlimann. Somit ist die Gelegenheit gegeben, einmal die Mendelssohn-
Betrachtung vom Standpunkte eines deutschsprachigen Nachbarlandes, der Schweiz,
zu �berpr�fen.
136
Wieder einmal ist dort, wie sich zeigt, die Notwendigkeit zum Monumentalen,
Heroischen das Ma� aller musikalischen Dinge, dem ein Felix Mendelssohn auf Grund
allzu sorgenlosen Lebenswandels schicksalsbedingt nun einmal nicht habe entsprechen
k�nnen. Der Verfasser Fred Hamel macht dies denn auch f�r vermeintliche eklatante
M�ngel und Schw�chen sowie Epigonentum in Mendelssohns symphonischer Sprache
verantwortlich.
"Denn eines war dieser Kunst wie diesem Leben vorenthalten: die �u�eren
Reibungen und inneren Spannungen, die zum Monumentalen unerl��lich sind. Das
Schicksal, das diesen K�nstler der k�mpferischen Problematik enthob und ihm
zwischen Freiheitskriegen und M�rzrevolution symbolische Grenzen zog -dieses
Schicksal verwehrte ihm auch den eigentlich symphonischen Atem. So fehlt seinen
Sinfonien im grossen die stilgeschichtliche Bedeutung; sie folgen fremden Spuren "
Schottische" und "Italienische" dem klassischen Formideal, der "Lobgesang" der
Sinfoniekantate nach dem Muster von Beethovens "Neunter", die "Reformationssinfonie"
programmmusikalischen Einfl�ssen."
Was schreibt Walter Georgi im gleichen Werk �ber Mendelssohns Klaviermusik? Er
repetiert erneut Wagners Invektive vom Mangel an W�rme und Tiefe in der Musik eines
j�disch-st�mmigen Komponisten, verweist des weiteren auf das Stereotyp der
vermeintlichen Sentimentalit�t von Mendelssohns Musik.
"Sein Bestes gibt er in leicht und zierlich dahinhuschenden Sachen (Charakterst�ck
Nr. 7, Lied ohne Worte Nr. 47, Scherzo Werk 16/2, Rondo Capriccioso) Als
gewandtester Kontrapunktiker unter den Romantikern verf�gt er �ber einen vornehmen,
frei polyphonen Klaviersatz (...) Aber dieses Formgenie kann nicht dar�ber
hinwegt�uschen, dass ihm etwas Wichtiges fehlt: Tiefe und W�rme der Empfindung.
Mendelssohn vermag kein Adagio zu schreiben. Vieles von seiner Musik ist verbla�t.
Ihre weichliche Sentimentalit�t wirkt nicht immer erfreulich (...) Mendelssohns zwei
Konzerte und drei Konzertst�cke verschwinden immer mehr aus dem Konzertsaal"
Helmut Osthoff hingegen merkt �ber Mendelssohns Kompositionen f�r Streicher solo
an:
"Von Felix Mendelssohn besitzen wir eine Violinsonate und zwei (...) Sonaten f�r Cello
und Klavier. Die letzteren sind f�r beide Partner dankbar, rechnen aber ebenso wie die
Violinsonate nicht zu den erstrangigen Werken der Gattung. Ein grosser Wurf gelang
Mendelssohn dagegen mit seinem Violinkonzert in e-moll, op. 64 (1845). Wir verhehlen
uns heute nicht, dass Mendelssohns Konzert letztlich durch seine blendende �u�ere
Aufmachung besticht."
Auch hier gesteht der Verfasser Qualit�ten in Mendelssohns Musik nur vorbehaltlich zu;
geht seine Beschreibung der Werke stets mit abwertenden Urteilen einher. Ausdruck
pers�nlicher Vorbehalte des Autors oder Zeichen daf�r, wie tief die jahrzehntelang
gepflogene Dramaturgie der Mendelssohn-Negation Betrachtung und Urteil jener Zeit
doch gepr�gt hatte?
Martin H�rlimann beschw�rt in seinen Betrachtungen �ber den Dirigenten Mendelssohn
das Bild eines unverbindlichen urbanen (j�dischstammig konvertierten?) Gro�b�rgers
im Musikergewande herauf, ein Bild, das uns in den Darlegungen Walter Abendroths in
deutlich antisemitischer Zielrichtung entscheidend wiederbegegnen wird:
137
"In �hnlicher Weise, konservativ in seinen Kunstanschauungen, liebensw�rdig und in
vornehmer Zur�ckhaltung wirkte Mendelssohn von 1835 bis zu seinem Tode 1847 als
Dirigent des Gewandhaus-Orchesters in Leipzig"
In der Betrachtung der "Sommernachtstraum"-Musik pflegt auch Otto Riemer das
Stereotyp vermeintlicher Oberfl�chlichkeit von Mendelssohns Musik. Des Weiteren
verweist er auf die Neuvertonungen der 30ssiger und vierziger Jahre, ohne mit einem
einzigen Wort den Hintergrund eines Musiknotstandes durch das regimebedingte Verbot
der Mendelssohn-Komposition im "III.-Reich", ja die Beauftragung zur Schaffung von
Neukompositionen durch die Machthaber zu erw�hnen.
�Die au�erordentliche melodische Leichtigkeit, die Mendelssohn auszeichnete und
die ihm nicht immer zum Vorteil gereichte: hier in diesem m�rchenhaften Koboldspiel
gab sie die gl�cklichste Erg�nzung der Dichtung. In j�ngster Zeit haben auch Edm. Nick,
Julius Weissmann und Rudolf Wagner-R�genyi Kompositionen zu Shakespeares
"Sommernachtstraum" geschrieben."
Werfen wir nun wiederum einen Blick auf den zu jener Zeit in Westdeutschland
vorherrschenden Stand der Mendelssohn-Sicht:
�Doch f�r eine solche Aufgabe war Mendelssohn zu schwach. K�rperlich zart,
niemals vor wesentliche Entscheidungen gestellt, woher sollten ihm Tatkr�fte
zugewachsen sein, die nur in geistigem Ringen oder harten Auseinandersetzungen mit
dem Leben gedeihen. Mendelssohns Schaffen hat zu keiner Zeit Frucht getragen, es
war eine F�lle von Bl�ten, die bald welkten und nicht viel mehr zur�cklie�en, als einen
wehen Duft.�
Der Verfasser dieser Zeilen, die einen vermeintlichen Mangel Mendelssohnscher Musik
vor allem aus schwachem Erbgut heraus begr�nden, ist Otto Schumann. Sie wurden
seinem im Jahre 1951 erschienen Handbuch der Klaviermusik entnommen. Diese,
unterschwellig die rassebiologischen Thesen des III.-Reiches reflektierende Sichtweise,
verwundert wenig, wenn man sich folgendes vor Augen h�lt: Es handelt sich um den
gleichen Otto Schumann, welcher 11 Jahre zuvor in seiner "Geschichte der Deutschen
Musik" die Aufarbeitung der Musikgeschichte explizit den Aspekten des Rassenprinzips
unterwarf und somit schrieb:
"H�tte Mendelssohn eine Musik geschrieben, die seiner rasseseelischen Beschaffenheit
entsprach, dann k�nnte sich vielleicht das Judentum eines grossen Komponisten
r�hmen."
Im Jahre 1954 gab Schumann ein Handbuch der Orchestermusik heraus; erschienen im
Heinrichshofen Verlag, Wilhelmshaven.
In diesem nimmt Schumann noch eindeutiger Bezug auf seine T�tigkeit
ideologienahen, v�lkischen, von antisemitischen �berzeugungen gepr�gten
Publizierens in Zeiten des Nationalsozialismus. Schumann paraphrasiert darin Zeilen
und Sichtweisen aus der "Geschichte der Deutschen Musik" aus dem Jahre 1940
nahezu wortw�rtlich -ein Faktum, das einmal mehr veranschaulicht, wie nachhaltig
ideologische Positionen des N.S.-Faschismus in Kultur und Gesellschaft der BRD zu
verankern m�glich war.
Gleich zu Beginn der Mendelssohn-Darlegungen schreibt Schumann im Jahre 1954
also:
138
"Schon seit Jahrzehnten sind immer neue Stimmen laut geworden, die gegen eine�bersch�tzung Mendelssohns zu Felde zogen. Umstritten wurde -�brigens schon zu
Lebzeiten des Komponisten -der innere Gehalt seiner Tonsch�pfungen. Seine
ungew�hnliche Form und sein erstaunlicher Formensinn geben den Werken zumeist
eine Gl�tte, die unbehaglich wirkt."
Im unmittelbaren Vergleich dazu nun die Sichtweise des Jahres 1940:
"Die fast ein Jahrhundert w�hrende Mendelssohn-Schw�rmerei ist um so
unbegreiflicher, als zu allen Zeiten M�nner aufstanden (schon als Mendelssohn noch
lebte), denen seine Musik allzu glatt erschien, -ein Urteil, das auch die unentwegtesten
Mendelssohn-Verehrer nicht bestritten."
Auch die ferneren Darlegungen Schumanns aus dem Jahre 1954 lassen eine
Verwurzelung in v�lkischem Denken unausgesetzt sp�ren: Stellenweise beflei�igt
Schumann sich gar der Tatsachen-und Geschichtsf�lschung, indem er die von
Mendelssohn begr�ndete Tradition des Leipziger Konservatoriums unterschl�gt.
"Der Deutsche hat ein ganz besonderes Verh�ltnis zur Form: er wei� sie zu
sch�tzen; aber sie ergreift ihn nur dann, wenn sie sich darstellt als letztes Ergebnis
inneren Ringens. (...) Mag er sich zuweilen an ihr erg�tzen -zum tiefem Erlebnis wird
sie ihm nicht.
Mendelssohn aber ist der Meister der nur "sch�nen" Form. Seine melodische Erfindung,
sein thematischer Aufbau und die instrumentale Einkleidung sind untadelig, aber zu sehr
nach Ma� gefertigt. (...) Entsprechend seiner Formensprache hat Mendelssohn
instrumentiert: glatt, sorgsam get�nt, alle Ausbr�che werden vermieden -MUSSTEN
vermieden werden, weil in Mendelssohn kein vulkanisches Feuer brannte.
�berzeugender noch als die Meinung mag die Geschichte reden: Mendelssohns
Schaffen hat keine Nachfolger gefunden. Man hat ihm Einzelheiten abgelauscht, aber
die Gl�tte seines Musizierens hat sich niemand zu eigen gemacht (au�er den
Edelkitsch-Komponisten der "Salonst�cke")".
Was lesen wir zur "Italienischen" Symphony:
"1833 (...) wurde die "Italienische Sinfonie" aufgef�hrt. Auch sie geht auf Eindr�cke
einer Reise zur�ck. Sah der J�ngling in Schottland wenigstens noch etwas �hnliches
wie Konfliktstimmung, so fand er, wie es scheint, in Italien eine g�nzlich problemlose
Welt vor. Wirklich "Italienisches" t�nt nur im Schlu�satz auf (...) Aber weder das Allegro
vivace (...) noch die d-moll Ballade des Andante con moto haben etwas Italienisches,
und der dritte Satz. (...) mit seinem anmutigen L�ndler und den "romantischen"
Hornkl�ngen (...) weisen vollends auf Deutschland zur�ck".
Wie auch die Zeilen zur "Italienischen" Symphony" sind Schumanns Bemerkungen zu
den Konzerten f�r Klavier und Orchester vom Bem�hen gepr�gt, abf�lliges �ber die
genannten Werke vorzubringen:
"Bis in die allerj�ngste Vergangenheit reichen die Versuche, Mendelssohns
Klavierkonzerte neu zu beleben. Diese Versuche d�rften vergeblich sein. Von dem
zweiten Klavierkonzert r�ckte schon Schumann h�flich ab, und es ist doch wohl kein
Zufall, da� auch das erste Klavierkonzert (...), einst ein Schlager, der "auf keinem
Programm fehlen durfte", l�ngst Seltenheitswert bekommen hat. Mendelssohns Absicht
war es, dem hohlen Virtuosenkonzert seiner Zeit etwas technisch Einfacheres und
musikalisch Wertvolleres entgegenzusetzen.
139
Das ist ihm mit seinem ersten Konzert auch gelungen, (...) weil es dem Pianisten "in der
Hand liegt", ohne gro�en Virtuosenaufwand konzertm�ssige Wirkung hervorbringt (...)
Doch einmal hat die Romantik bald st�rkere Werke hervorgebracht, und zum anderen
haben wir heute Klavierkonzerte, deren Zielsetzung der Mendelssohnschen
gleichkommt, deren Geist uns aber n�her ist".
Einen bemerkenswerten Ausbruch aus der uniform tendenziellen Sichtweise, welche
Schumanns bisherige Darlegungen pr�gt, vollzieht sich allerdings in der Vorstellung des
Violinkonzertes. Schumann verf�llt in der Schilderung der musikalischen Vorz�ge
desselben phasenweise in einen geradezu hymnischen Tonfall, obgleich er im
Klaviermusikf�hrer ja unmissverst�ndlich konstatierte, dass " Mendelssohns Schaffen
zu keiner Zeit Frucht getragen" habe. Das Bem�hen um R�ckkehr in die bislang an den
Tag gelegte "Objektivit�t", also tendenziell abf�llige Einsch�tzung Mendelssohns, ist
denn auch immer wieder zu bemerken.
"Bedeutend und unverblasst steht dagegen das Violinkonzert vor uns. (...) Nach
Meinung des Verfassers reicht es fast in die N�he der drei grossen Geigenkonzerte von
Beethoven, Brahms und Tschaikowsky. Form, Erfindung und Gestaltung sind hier
Einheit geworden wie sonst in keinem anderen Werke Mendelssohns (...) Von erlesener
Sch�nheit und ergreifender Wirkung das (...) zweite Thema. (...) Die Durchf�hrung stellt
an den H�rer keine gro�en Anspr�che, weil ihre Gr��e in ihrer Einfachheit besteht. Vom
Prestoschlu� dieses Satzes leiten Halbtonschritte (...) in den zweiten Satz (...), ein Lied
ohne Worte von inniger S��e".
Ein kurzer Blick nur in das Handbuch der Chormusik und des Klavierliedes Otto
Schumanns, 1953 wiederum im Herrmann H�bner Verlag, Wilhelmshaven erschienen.
Die Er�ffnungszeile des Mendelssohneintrags f�hrt sogleich in den vertrauten Tonfall
des Jahres 1940 hinein, variiert erneut eine zentrale These Schumanns aus jener Zeit:
"Schon manche seiner Zeitgenossen empfanden Mendelssohns Intrumentalwerk als
zu glatt und poliert, vermi�ten in ihnen echte Auseinandersetzungen geistlicher und
musikalischer Art, wie man das bei deutscher Intrumentalmusik f�r selbstverst�ndlich
hielt. Da man derartige Anspr�che nur sehr schwer an schlichte Chorwerke stellen kann
und die zahlreichen Chorvereinigungen sich gern nach schlichten, dabei wohllautenden
Werken umtun, sind Mendelssohns geschmeidig geschriebene, gutklingende acappella-
Ch�re schnell volkst�mlich geworden"
In den Klavierliedkapiteln heisst es wiederum:
"Von Mendelssohns Klavier-Liedern ist man -nach der erstaunlichen Hochsch�tzung im
19. Jahrhundert -schon seit einem halben Jahrhundert abger�ckt; ja man k�nnte sagen,
die wachsende Scheu vor dem Klavierlied habe sich erstmals deutlich bei
Mendelssohns Liedern gezeigt. Das allzu Glatte, Gef�hlsselige dieser Weisen spricht
nicht mehr an. Rein kompositorisch bleibt ebenfalls vieles unbefriedigend. (...) So wie er
einige Hefte seiner Klavierst�cke "Lieder ohne Worte " nannte, k�nnte man seine
meisten Klavierlieder als "Klavierst�cke mit Worten" bezeichnen".
140
Intermezzo VII: Vom deutschen Hausbuche
Otto Schumann wurde im Jahre 1897 geboren. Er studierte Musikwissenschaft an den
Universit�ten Frankfurt am Main und Leipzig. Danach war er als Musikkritiker
�zahlreicher� Zeitungen und Publizist t�tig. Otto Schumann starb im Jahre 1981.
Die akademische Ausbildung in Zeiten der Republik, die Vielzahl daraufhin
erfolgender Ver�ffentlichen, die Kontinuit�t des Publizierens in Zeiten des
Nationalsozialismus und der �BRD�, versinnbildlichen somit den Lebensweg eines
unbeirrbar deutschen bildungsb�rgerlichen Intellektuellen oder vielmehr: eine klassische
deutsche Sachbuchkarriere des 20. Jahrhunderts.
Publikationen Otto Schumanns u. a.:
Meyers Opernbuch, Leipzig, 1938; Meyers Konzertf�hrer, Leipzig, 1938; Geschichte der
deutschen Musik, Leipzig, 1940; Albert Lortzing, 1801-1851, Leipzig, 1941,
Neupublikation Opernbuch, Berlin, 1948; Neupublikation Opernbuch, Wilhelmshaven,
1948; Orchesterbuch, Berlin, 1949; Die j�ngere Cambridger Liedersammlung, Torino,
1950; Schumanns Schauspielbuch, Wilhelmshaven, 1950, Wiederauflage
[Schauspielbuch], Wilhelmshaven, 1951; Schumanns Kammermusikbuch,
Wilhelmshaven, 1951; Klaviermusikbuch, Wilhelmshaven, 1952; Schumanns
Chormusik-und Klavierliedbuch, Wilhelmshaven, 1953; Neupublikation Opernbuch
,Wilhelmshaven, 1954; Neupublikation Handbuch der Orchestermusik, Wilhelmshaven,
1954, Kleine lateinische Formenlehre, Frankfurt am Main 1954, Das Manuskript,
Wilhelmshaven, 1954;
Wiederauflage Handbuch der Kammermusik, Wilhelmshaven, 1956; Neupublikation
Schauspielbuch, Stuttgart, 1958; Ich wei� mehr �ber die Operette und das Musical,
Wilhelmshaven, 1961; Wege zum Musikverst�ndnis, Olten 1963; Wiederauflage
Handbuch der Klaviermusik, Otto. Wilhelmshaven, 1969; Wiederauflage Handbuch der
Opern , Wilhelmshaven, 1972; Quellen und Forschungen zur Geschichte des Orgelbaus
im Herzogtum Schleswig vor 1800, M�nchen, 1973; Wiederauflage Das Manuskript,
Wilhelmshaven, 1977; Wiederauflage Handbuch der Klaviermusik, Wilhelmshaven,
1977; Neupublikation Opernf�hrer, Reinbek bei Hamburg, 1982; Neupublikation/ Imprint
Handbuch der Klaviermusik Schumann, M�nchen, 1982; Imprint bei Pawlak, Der gro�e
Konzertf�hrer Herrsching, 1982; Imprint bei Pawlak Der gro�e Schauspielf�hrer,
Herrsching 1983; Imprint bei Pawlak Der gro�e Opern-und Operettenf�hrer Herrsching,
1983; Handbuch der Kammermusik, Herrsching 1983; Neupublikation Das Manuskript
unter Grundlagen und Technik der Schreibkunst, Herrsching 1983; Wiederauflage
Imprint Der gro�e Schauspielf�hrer, Herrsching 1987; Wiederauflage Opernf�hrer,
Reinbek bei Hamburg, 1989; Grundlagen und Techniken der Schreibkunst, Hamburg,
1995; Der neue Literaturf�hrer, Weyarn, 1996.
Im Jahre 1955 legte der Musikjournalist und Autor Hans Schnoor ein musikalisches
Hausbuch mit dem Titel "Oper, Operette, Konzert" vor. Schnoor war in den Jahren 193345
als Musikkritiker t�tig, dessen Rezensionen mit der Regimeideologie konform gingen.
Prieberg attestiert auch dem Nachkriegswirken Schnoors "antisemitischen Unterton"
und "Vokabular des NS-Journalismus von ehedem". Dies geschah wohl zu recht, da
man Schnoor bereits im Jahre 1956 in einer Sendung des S�dwestfunks Baden Baden
nationalsozialistische Musikkritik" attestierte.
141
Schnoor f�hrte daher einen Prozess gegen den Sender, doch die Gerichte gaben dem
Ausdruck in einem mehrj�hrigen Verfahren als "Wahrnehmung berechtigter Interessen,
zumal sich die Absicht einer Beleidigung weder aus der Form noch aus den Umst�nden
ergibt" statt. Wie berechtigt die Attestierung "nationalsozialistischer Musikkritik" erfolgte,
zeigt auch die Tatsache, dass Schnoor in einem Buch �ber zeitgen�ssische Musik
unausgesetzt von "Negermusik" spricht, wenn es um den von ihm ungeliebten Jazz
geht.
Schnoor engagierte sich im �III.-Reich� des Weiteren in einer vom Amte Rosenberg ins
Leben gerufenen "Arbeitsgemeinschaft deutscher Musikkritiker". Dort war er nicht nur
als lokaler Funktion�r, als Leiter der Ortsgruppe Dresden, sondern auch als Organisator
und Referent von Vortragsabenden t�tig. Weitere Aktivit�ten Schnoors zu
"Reichszeiten" galten u. a. Artikeln wie jenem: Peinliche Ehrenrettung des "Riemann".
"Deutsche Juden im neuen Musiklexikon". Dresdner Anzeiger, Nr. 73, 15. M�rz 1939. In
besagter Publikation "Oper Operette Konzert" aus dem Jahre 1955, 29. Auflage 342
361. Tausend, Bertelsmann Lesering 1962) wird das Mendelssohn-Bild dann auch
erwartungsgem�� in jene bekannte Schieflage gebracht, ja vom Verfasser stellenweise
als g�nzlich verbla�t umrissen. In dem, den einzelnen Komponistenportraits
vorangestellten musikgeschichtlichen Umri� kommt das Wirken des Felix Mendelssohn
Bartholdy in den relevanten Kapiteln "Revolution und Romantik" bzw. "Str�mungen im
19. Jahrhundert" gar nicht erst zur Sprache.
"�ber Beethoven, Weber, Berlioz, Liszt hinaus, k�ndigt sich das Jahrhundert
Richard Wagners an, das seine sinfonische Aufl�sung nach 2 Richtungen sucht: in den
Werken von Bruckner und Brahms. Mit diesen Namen ist eigentlich alles bezeichnet,
was bis zu Wagners Tode (1883) sch�pferisch am werke bleibt, ohne unter den
Einfl�ssen des nihilistischen 19. Jahrhunderts zu verzagen"
In S�tzen wie jenen, verurteilt Schnoor das ausserhalb des Spektrums der genannten
Komponisten liegende zu musikgeschichtlicher Bedeutungslosigkeit. Wenig sp�ter
referiert Schnoor in sattsam vertrauter, entwertender, stereotypischer Weise �ber den
Komponisten Felix Mendelssohn und stellt des Weiteren das Ideal des humanistischen
Menschenbildes, welches dessen Musik pr�gt, in Frage:
"Mendelssohn war unbestritten die musikalische Autorit�t der Biedermeierzeit. (...) Das
konzertierende Virtuosentum zehrte von seinem au�erordentlich vielf�ltigen Schaffen
ebenso wie die Hausmusik und der Kantor auf dem Lande. Was Mendelssohn und die
Mendelssohnianer mit Ihrer zur Gl�tte und Unverbindlichkeit, tieferen und echteren
Konflikten ausweichenden Kunst boten, entsprach genau den Bed�rfnissen eines
selbstzufriedenen Publikums" (...) Erst Wagner und Brahms haben das Ideal des
"Mendelssohnschen Menschen" fragw�rdig gemacht, und in unserer Zeit zeugen meist
nur noch vergilbte Bl�tter vom geschichtlichen Dasein einer biedermeierlichen
Romantikertums, dessen liebenswerte Seiten bis heute nachwirken."
Weitere T�tigkeitsnachweise Hans Schnoors vor und w�hrend des Krieges waren u. a.
Musikredakteur der "Neueste(n) Nachrichten" im Jahre 1922, "Leipziger Tageblatt" in
den Jahren 1923 -25, "Dresdner Anzeiger" in den Jahren 1926 -45. Des Weiteren
ver�ffentlichte er in den sp�ten 30ssiger Jahren auch einen umfangreichen, 2-b�ndigen
F�hrer durch den Konzertsaal.
142
31. Der Ausweg des Menschen aus seiner selbstverschuldetenUnm�ndigkeit oder vom Ende der "zeitlosen" Zeit
In den 50ziger Jahren kehrten auch vermehrt Emigranten nach Deutschland zur�ck,
welche sich einem neuen und besseren Deutschland zur Verf�gung zu stellen sich
verpflichtet f�hlten. Gegen ein Konglomerat vorbelasteter Koryph�en der Bereiche
Musik, Literatur, Theater, Film und Akademie, welche sich in Zeiten des Regimes im
Stande von Funktion�ren oder Mitl�ufern graduierten und profilierten hatten die
Remigranten stets einen schweren Stand.
Die Namen derer, welche, ausgeschlossen aus den etablierten Kollegenzirkeln
verbleibend, k�nstlerisch und institutionell untergraben, gemobbt, in einem Klima
erstarkender politischer Konservative und Kalten Krieges publizistisch und
parlamentarisch angefeindet, aus Positionen geekelt wurden, sind Legion.
Das Schicksal des Film-und Theaterregisseurs William Dieterle sei stellvertretend f�r
andere genannt: Dieterle, seinerzeit ein hochprominenter, erfolgreicher
Hollywoodregisseur kehrte Mitte der 50ziger Jahre nach Deutschland zur�ck und
inszenierte im Schauspielhaus Frankfurt, am W�rttembergischen Staatstheater
Stuttgart, bei den Salzburger Festspielen, am Stadttheater Basel, am Schillertheater in
Berlin, am Schauspielhaus Essen, am Z�rcher Schauspielhaus sowie bei den Bad
Hersfelder Festspielen. Die wenigen Filme, welche er, nach gl�nzender Karriere in
Hollywood, in Europa realisierte, wurden von konservativ-reaktion�ren Kreisen in der
�BRD� als "deutschfeindliche" Machwerke eines nach Hollywood emigrierten
Vaterlandsverr�ters diffamiert oder erwiesen sich als Publikumsflop. Erfolgreicher war er
als Regisseur von Fernsehfilmen, welche oftmals als Aufzeichnung seiner
B�hneninszenierungen entstanden. Anfang der 60ziger Jahre �bernahm er erfolgreich
die Intendanz der Bad Hersfelder Festspiele. Wiederum nahmen konservativ-
restaurative Funktion�re und Medien Ansto� an seinem Wirken. Man ver�belte ihn u.a.
den von ihm initiierten Theateraustausch mit der �DDR� sowie die Bevorzugung junger
Schauspieler zu Lasten "grosser" Namen, welche sich aber zum Teil durch Karrieren in
der NS-Zeit diskreditiert hatten.
Schlie�lich wurde ihm sein Vertrag im Jahre 1965 nicht verl�ngert. Pl�ne, andere
B�hnen als Intendant zu �bernehmen sowie R�ckkehr-Bestrebungen nach Hollywood
zerschlugen sich. Ein Prozess gegen die Stadt Bad Hersfeld wegen ungerechtfertigter
K�ndigung seines Vertrages als Intendant wurde verloren. Die Medien begannen, ihn
und sein Wirken zunehmend zu ignorieren. Im Jahre 1966 �bernahm er das
Tourn�etheaterunternehmen "Der gr�ne Wagen", ein Schritt, der langfristig sehr an
seiner Gesundheit und seinen Finanzen zehren sollte. Dieterle Starb am 8. Dezember
1972 an einer Erk�ltungskrankheit nach dem er gegen das Interesse seiner Gesundheit
f�r einen erkrankten Schauspieler in einer Produktion des "gr�nen Wagens einsprang
und sich somit k�rperlich ruinierte. Sie Beisetzung erfolgte im engsten Freundes-und
Familienkreise auf dem Friedhof von Ottobrunn in der N�he von M�nchen.
Wie sollte der hochgebildete j�dische Musikpublizist Alfred Einstein da mit
nachdenklicheren T�nen bez�glich schwindender Mendelssohnrezeption in der BRD
gegenzuhalten verm�gen? Jener Musikwissenschaftler, dem wir u. a. eine seinerzeit
hoch renommierte Mozartbetrachtung verdanken, welcher zuerst nach England und
dann in die Vereinigten Staaten emigrierte und dort unausgesetzt publizistisch t�tig
blieb.
143
In "Die Musik der Romantik", erschienen in Wien im Jahre 1950, stellte er in verhalten-
analytischer Vorgehensweise die Spezifika und Elemente eindeutig heraus. Jene
Spezifika, welche die unausgesetzt humane Ansprache durch die Musik Mendelssohns
und somit den potentiellen Langzeitwert seines Wirkens bedingen. Es ist zugleich ein
demonstrativ vorgebrachtes Pl�doyer gegen die sonstig unausgesetzt repetierten
Stereotypen von Gl�tte, K�lte und rein formeller Perfektion. Es heisst darin:
"Die Ebenm��igkeit der Form seiner S�tze und seiner Zyklen ist nicht zu �bertreffen;
aber �ber allen seinen �u�erungen gl�nzt etwas subjektives, rein romantischer
Schimmer, im Gef�hlhaften � die Nachwelt nannte es Sentimentalit�t -, in einer
Mischung von Grazie und Humor, die, wenn ins Objektive gewendet oder gedeutet, als
die Elfenmusik seiner "Sommernachtstraum"-Ouvert�re erscheint, und schliesslich in
einer Leidenschaftlichkeit, die romantisch wirkt durch eine Art von Ziellosigkeit".
Und darin schliesslich findet sich der unverbildet h�rende Mensch unserer Zeit in der
Musik des Felix Mendelssohn wieder. Wie in dem Kapitel, welches sich dem einstigen
ephemerischen Gl�ckskinde widmete bereits erw�hnt, waren die Umst�nde wahrhaftig
materieller und k�nstlerischer Prosperit�t nur eine Folie �u�erlicher Wahrnehmung. Da
er, von den letzten beiden Lebensjahren einmal abgesehen, gesellschaftlich,
musikalisch und famili�r perfekt funktionierte, den Anspr�chen hundertprozentig
gen�gte, teilte sich die Verlorenheit, welcher sich Felix Mendelssohn dessen ungeachtet
mit jedem Lebensjahre zunehmend �berantwortet f�hlte, nur durch seine Musik mit. Er
vermochte die Zeit und damit die Zeitenwende nicht aufzuhalten. Aggressiver
Kapitalismus, Industrialisierung und maschinelle Rationalisierung, das Heranwachsen
molochartiger Gro�st�dte, politische Radikalisierung der gegeneinander agitierenden
revolution�ren Parteien und prosperierender Nationalismus brachte diese eindeutig mit
sich.
Die humanistischen Ideale der Aufkl�rung, oder besser gesagt, der aufgekl�rten
Bildungsb�rgerschaft, welche ihn zeitlebens pr�gten, denen er sich verpflichtete, die
Wertsch�tzung gesellschaftlichen und menschlichen Ausgleichs, intellektueller, sittlicher
und religi�ser Bildung, die Veredelung des Menschen durch die klassischen
k�nstlerischen Erfahrungswerte des Wahren, Sch�nen und Guten, verloren zunehmend
an Wert. Auch die Achtung vor der Kreatur und der in zahllosen Dichterworten so
eindringlich verherrlichten nat�rlichen Umgebung des Menschen schwand. Die
Menschen, die ihn pr�gten, die ihn auf seinem Lebensweg begleiteten, waren nahezu
alle dahingegangen: Zelter, sein bewunderter Lehrer, Goethe, der kindlich verehrte
Dichterf�rst und Mentor, die Eltern Abraham und Lea, zuletzt Fanny, die seelisch und
musikalisch kongenial pr�destinierte Schwester. Was sollte er in dieser neuen Zeit
verm�gen, was konnte sie ihm bringen, er ihr geben?
Das Zeitalter der "Zeitlosigkeit", von der Heinrich Eduard Jacob in seinem Buche "Felix
Mendelssohn Bartholdy und seine Zeit" spricht, war zu Lebzeiten Mendelssohns zu
Ende gegangen. Jenes Zeitalter bedingte einstmals die Abkehr von tagespolitischem
Rumor, vom den nationalistischen Exzessen der Burschenschaften, der Revolution, der
Reaktion und anderen Beunruhigungen in deutschen Landen, also den vielf�ltigen
oftmals kurzlebigen Vorf�llen von "Zeit" zugunsten der Bewahrung und
Vervollkommnung des "Zeitlosen". Das Leben und Werk Johann Wolfgang von Goethes
stand daf�r Pate und Modell. Im Todesjahre 1847 befand sich das Leben des Felix
Mendelssohn somit in einer substantiellen Krise. Briefe, welche in diesem Jahre verfa�t
wurden k�nden von tiefen Depressionen.
144
So schrieb Felix Mendelssohn im Sommer 1847: "Wenn Menschen kommen und
durcheinander sprechen, von allen Allt�glichkeiten und von Gott und der Welt, so wird
mir gleich so uns�glich traurig zumute, dass ich gar nicht weiss, wie ich�s aushalten
soll."
Nachfolgend bekundet er noch einmal dezidiert das Ende einer �ra; den Niedergang der
"Zeitlosigkeit" der klassizistisch-humanistischen Epoche: Ein gro�es Kapitel ist nun ebenaus, -und von dem n�chsten ist weder die �berschrift, noch das erste Wort bis jetzt da.
Aber Gott wird es schon recht machen; dass pa�t an den Anfang und den Schlu� von
allen Kapiteln."
Dem grossen Rembrandt in Carl Zuckmayers inspiriertem, feinf�hlig nachgestaltendem
gleichnamigen Historien-Script res�mierte Mendelssohn, wie auch jener, am Ende
seines Lebens das fatalistisch substantielle Predigerwort Salomons von der Eitelkeit,
M��igkeit allen menschlichen Tuns aus dem alten Testament. Es kommt nicht von
ungef�hr, das uns diese letzten Jahre die erhabensten, von h�chster melancholischer
Intensit�t erf�llten Werke des Komponisten beschieden. Dennoch blieb Felix
Mendelssohn Bartholdy dem neu anbrechenden Zeitalter die Antwort, was er diesem
spezifisch zu geben vermocht h�tte, letztendlich schuldig. Er hat diese Krise nicht
�berstanden und starb, bevor es ihn vollends zu erreichen vermochte. Und so schrieb
der Mendelssohn-Zeitgenosse Werner A. Lampadius zum Tode des Komponisten im
Nachruf so trefflich:
"Denn mit ihm ist f�r jetzt der letzte classische Geist aus Germaniens grosser
Bildungsepoche seiner irdischen Behausung entflohen.�
Welcher Mensch auch unserer Tage kennt es nicht, hat es nicht selbst schon einmal
erfahren: die Situation vollendeter Ausweglosigkeit, das Gef�hl, das Leben gleite ihm in
allen Bereichen unaufhaltsam aus den H�nden, den Zweifel am Sinn bisherigen Tuns
und k�nftigen Strebens, die von Einstein feinf�hlig bemerkte substantielle Ziellosigkeit?
Dies, das Ersp�ren, Erleiden, Durchleben; das solidarische Mitf�hlen und �berliefern
einer fragilen Conditio Humana in der Sprache der Musik wie auch das Bem�hen
"zeitloses" musikalisch exemplarisch festzuschreiben und somit den Mitmenschen f�r
alle Zeit erfahrbar zu machen, ist die Aktualit�t, der Jetztzeitwert, welcher der Musik
Felix Mendelssohns unausgesetzt inne wohnt. Dies also ist ihre Botschaft an uns und
Nachgeborene!
Ulrich Schreiber res�miert das "Schicksal des Komponisten Felix Mendelssohn
Bartholdy" in seiner Betrachtung "Die Unbequemheit eines romantischen Klassizisten"
aus dem Jahre 1972 auf dem Cover einer Aufnahme der "Schottischen Symphony" mit
dem Gewandhausorchester unter Kurt Masur (Eurodisc/ Bertelsmann Club Ed. 1972)
denn auch mit vergleichbarem Resultat. Resignierend verweist er auf den hohen
Symbolcharakter Mendelssohnschen Lebens und Wirkens f�r die Befindlichkeiten, das
Sein oder Nichtsein eines prosperierenden, den gesellschaftlichen, kulturellen und
historischen Konsens erstrebenden deutschen Vaterlandes. Somit verdeutlicht sich der
Status Quo Deutschlands im 19. und 20. Jahrhundert -am Vorbilde Felix Mendelssohn
gemessen -in nahezu erschreckendem Ausma�e. Ein Deutschland -geeint oder nicht das
den strebsamen Humanisten Felix Mendelssohn Bartholdy nicht zu ertragen f�hig
war, krankte an sich selbst und konnte somit keinen Bestand und keine Zukunft haben.
145
Eine Tatsache, welche die plangem�� vollf�hrte Vernichtung von Millionen
Menschenleben und die Verheerungen an nahezu allem architektonisch-historisch
gewachsenem Kulturerbe durch Bomben auf deutschem Boden, anschaulich
hervorheben.
(Es) "begann eigentlich erst nach seinem Tod ein spezifisch deutsches zu werden. (...)
Was diesem kurzen Menschenleben in der ersten H�lfte des 19. Jahrhunderts
widerfuhr, war die Konkretisierung der Popularphilosophie seines Gro�vaters Moses
Mendelssohn (...), Konkretisierung einer Lebensphilosophie, die -w�re sie nicht nur
Vorschu� bis zum Lebensende gewesen -die Zukunft Deutschlands �ber die zweite
H�lfte des vorigen Jahrhunderts bis zu unserer Zeit hin h�tte pr�gen k�nnen als eine
Synthese der Kantschen Aufkl�rungsphilosophie, als Ausweg des Menschen aus seiner
selbstverschuldeten Unm�ndigkeit. (...) Doch der Weg der Menschheit ist nicht jener der
Vernunft, nicht jener, der aus der Unm�ndigkeit herausf�hrt. Mendelssohn, der als
Siebenj�hriger protestantisch getauft wurde, hat vielleicht nur ein einziges Mal erfahren,
da� die deutsche Philosophie zwar f�r die Vernunft und gegen die Unm�ndigkeit focht,
da� sie aber kein Mittel besa�, einer Machtergreifung vorzubeugen, (...) als deren Folge
Vernunft und M�ndigkeit ihres universal-humanen Wirkungshorizontes beraubt und zum
reinen Verf�gungsobjekt einer sich rassisch auserkoren d�nkenden Schicht werden
wurde".
Nachfolgend verweist Schreiber auf jenes einschl�gige Zelterwort vom "Judensohne",
l�sst dabei aber die Anw�rfe auf den Strassen Berlins und Dobberans au�er Acht.
Der Zwiespalt, welcher sich -Zelters Worten zufolge -zwischen den Positionen
Deutscher und Jude, Jude und Taufe, Lehrer und Meistersch�ler unverkennbar auftat,
wird in der Biographie Mendelssohns allein dadurch offenbar, das jener sein
Deutschsein gerade in fr�her erw�hntem Schreiben an den Lehrer exemplarisch f�r sich
einforderte.
Schreiber kommt denn auch folgerichtig auf die vermeintliche Unvereinbarkeit all dieser
Begriffe und Daseinszust�nde zu sprechen:
"Dass dieser Ausspruch zu einem hoffnungslosen Stigma werden sollte, wissen erst die
weit nach Mendelssohn geborenen: dass die einen ihn als Juden reklamierten, wo doch
in seinem Werk sich nicht ein einziger Takt von Synagogenankl�ngen findet, und dass
die anderen ihn als Christen f�r sich forderten, wo er doch Zeit seines Lebens sich nur,
und um so st�rker, je weiter er auf seinen Reisen von der Heimat entfernt war, als
Deutscher f�hlte."
Intermezzo VIII: Es ist alles ganz eitel und ein Haschen nach Wind
Dies sind die Reden des Predigers des Sohnes
Davids, des K�nigs zu Jerusalem:
Es ist alles ganz eitel, sprach der Prediger, es ist alles ganz eitel.
Was hat der Mensch f�r Gewinn von all seiner M�he, die er hat unter der Sonne?
Ein Geschlecht vergeht, das andere kommt; die Erde bleibt aber ewiglich. Die Sonne
geht auf und geht unter und l�uft an ihrem Ort, dass sie wieder daselbst aufgehe.
146
Der Wind geht gen Mittag und kommt herum zur Mitternacht und wieder herum an den
Ort, da er anfing. Alle Wasser laufen ins Meer, doch wird das Wasser nicht voller;
an den Ort, da sie her flie�en, flie�en sie wieder hin.
Es sind alle Dinge so voll M�he, dass es niemand ausreden kann.
Das Auge sieht sich nimmer satt, und das Ohr h�rt sich nimmer satt.
Was ist�s, das geschehen ist? Eben das hernach geschehn wird.
Was ist�s, das man getan hat? Eben das, was man hernach wieder tun wird;
und geschieht nichts neues unter der Sonne.
Geschieht auch etwas, davon man sagen m�chte: Siehe, das ist neu?
Es ist zuvor auch schon geschehen in den langen Zeiten, die vor uns gewesen sind.
Man gedenkt nicht derer, die zuvor gewesen sind; also auch derer,
so hernach kommen, wird man nicht gedenken bei denen, die darnach sein werden.
Ich, der Prediger, war K�nig �ber Israel zu Jerusalem und richtete mein Herz,
zu suchen und zu forschen wei�lich alles, was man unter dem Himmel tut.
Solche unselige M�he hat Gott den Menschenkindern gegeben, dass sie
sich darin m�ssen qu�len. Ich sah an alles Tun, das unter der Sonne geschieht; und
siehe, es war alles eitel und haschen nach Wind. (...)
Und richtete auch mein Herz darauf, dass ich erkenne Weisheit und erkenne Tollheit
und Torheit. Ich ward aber gewahr, dass solches auch haschen nach Wind ist.
Denn wo viel Weisheit ist, da ist viel Gr�mens; und wer viel lernt, der muss viel leiden.
Ich sprach zu meinem Herzen: Wohlan, ich will wohl leben und gute Tage haben!
Aber siehe, das war auch eitel. (...)
Ich tat grosse Dinge: ich baute H�user, pflanzte Weinberge; (...) ich hatte
Knechte und M�gde und auch Gesinde, (...) ich hatte eine gr��ere Habe an
Rindern und Schafen denn alle, die vor mir in Jerusalem gewesen waren;
ich sammelte mir auch Silber und Gold und von den K�nigen und L�ndern einen Schatz
(...) und nahm zu �ber alle die vor mir zu Jerusalem gewesen waren (...)
und alles, was meine Augen w�nschten, dass liess ich ihnen und wehrte meinem
Herzen keine Freude, dass es fr�hlich war von all meiner Arbeit;
und das hielt ich f�r mein Teil von aller meiner Arbeit.
Da ich aber ansah alle meine Werke, die meine Hand getan hatte und die M�he, die ich
gehabt hatte, siehe, da war es alles eitel und haschen nach Wind
und kein Gewinn unter der Sonne.
Da wandte ich mich zu sehen die Weisheit und die Tollheit (...).
Da sah ich, dass die Weisheit die Tollheit �bertraf wie das Licht die Finsternis;
dass dem Weisen seine Augen im Haupt stehen, aber die Narren
in der Finsternis gehen; und merkte doch, dass es einem geht wie dem anderen.
147
Da dachte ich in meinem Herzen: Weil es denn mir geht wie dem Narren,
warum habe ich denn nach Weisheit getrachtet?
Da dachte ich in meinem Herzen, dass solches auch eitel sei.
Denn man gedenkt des Weisen nicht immerdar, ebenso wenig wie des Narren,
und die k�nftigen Tage vergessen alles; und wie der Narr stirbt, also auch der Weise.
Darum verdro� mich zu leben; denn es gefiel mir �bel,
was unter der Sonne geschieht, dass alles eitel ist und Haschen nach Wind.
Und mich verdro� alle meine Arbeit, die ich unter der Sonne hatte,
dass ich dieselbe einem Menschen lassen m�sste, der nach mir sein sollte.
Denn wer weiss, ob er weise oder toll sein wird? Und soll doch herrschen in aller
meiner Arbeit, die ich wei�lich getan habe unter der Sonne. Das ist auch eitel. (...)
Denn es muss ein Mensch, der seine Arbeit mit Weisheit, Vernunft
und Geschicklichkeit getan hat, sie einem andern zum Erbteil lassen,
der nicht daran gearbeitet hat. Das ist auch eitel und ein gro�es Ungl�ck.
Denn was kriegt der Mensch von aller seiner Arbeit
und M�he seines Herzens, die er hat unter der Sonne?
Denn alle seine Lebtage hat er Schmerzen mit Gr�men und Leid,
dass auch sein Herz des Nachts nicht ruht. Das ist auch eitel. (...)
Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vornehmen
unter dem Himmel hat seine Stunde.
Geboren werden und sterben, pflanzen und ausrotten, was gepflanzt ist,
w�rgen und heilen, brechen und bauen, weinen und lachen, klagen und tanzen,
Steine zerstreuen und Steine sammeln, herzen und ferne sein von Herzen, suchen und
verlieren, behalten und wegwerfen, zerrei�en und zun�hen,
schweigen und reden, lieben und hassen,
Streit und Friede hat seine Zeit.
Man arbeite, wie man will, so hat man keinen Gewinn davon. Ich sah die M�he,
die Gott den Menschen gegeben hat, dass sie darin geplagt werden,...
denn der Mensch kann doch nicht treffen das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch
Ende (...) Was geschieht, das ist zuvor geschehen, und was geschehen wird, ist auch
zuvor geschehen; und Gott sucht wieder auf, was vergangen ist. (...)
Ich sprach in meinem Herzen: Es geschieht wegen der Menschenkinder,
auf dass Gott sie pr�fe und sie sehen, dass sie an sich selbst sind wie das Vieh.
148
Denn es geht dem Menschen wie dem Vieh: wie dies stirbt, so stirbt er auch,
und haben alle einerlei Odem, und der Mensch hat nichts mehr als das Vieh;
denn es ist alles eitel.
Es f�hrt alles an einen Ort; es ist alles von Staub gemacht und wird wieder zu Staub.
Wer weiss, ob der Odem der Menschen aufw�rts fahre und der Odem des Viehs
unterw�rts unter die Erde fahre?
So sah ich denn, dass nichts besseres ist, als dass ein Mensch fr�hlich sei in seiner
Arbeit, denn das ist sein Teil. Denn wer will ihn dahin bringen, dass er sehe, was nach
ihm geschehen wird? (...)
Ich sah an Arbeit und Geschicklichkeit in allen Sachen; da neidet
einer den andern. Das ist auch eitel und haschen nach Wind. (...)
Ich wandte mich und sah die Eitelkeit unter der Sonne. Es ist ein
einzelner (...) und hat weder Kind noch Bruder; doch ist seines Arbeitens
kein Ende, und seine Augen werden Reichtums nicht satt.
Wem arbeite ich doch und breche meiner Seele ab? Das ist auch eitel und eine b�se
M�he. (...) Wo viel Tr�ume sind, da ist Eitelkeit und viel Worte; aber f�rchte du Gott. (...)
Wer Geld liebt, wird des Geldes nimmer satt; und wer Reichtum liebt,
wird keinen Nutzen davon haben. Das ist auch eitel. (...)
Denn der Reiche kommt um mit gro�em Jammer, (...) wie er nackt ist von
seiner Mutter Leibe gekommen, so f�hrt er wieder hin, wie er gekommen ist,
und nimmt nichts mit sich von seiner Arbeit in seiner Hand, wenn er hinf�hrt.
Das ist ein b�ses �bel, dass er hinf�hrt, wie er gekommen ist.
Was hilft�s ihm denn, dass er in den Wind gearbeitet hat? (...)
Einer, dem Gott Reichtum, G�ter und Ehre gegeben hat und mangelt ihm keins, das
sein Herz begehrt; und Gott gibt doch ihm nicht Macht, es zu genie�en, sondern ein
anderer verzehrt es; das ist eitel und ein b�ses �bel. (...)
Es ist besser, das gegenw�rtige Gut gebrauchen, denn nach anderem gedenken.
Das ist auch Eitelkeit und haschen nach Wind. (...)
Das habe ich alles gesehen, und richtete mein Herz auf alle Werke, die unter der Sonne
geschehn. Ein Mensch herrscht zuzeiten �ber den andern zu seinem Ungl�ck.
Und da sah ich Gottlose, die begraben wurden und zur Ruhe kamen;
aber es wandelten hinweg von heiliger St�tte und wurden vergessen
in der Stadt die, so recht getan hatten. Das ist auch eitel. (...)
Es ist eine Eitelkeit, die auf Erden geschieht: es sind Gerechte,
denen geht es, als h�tten sie Werke der Gottlosen - und sind Gottlose,
denen geht es, als h�tten sie Werke der Gerechten. Ich sprach: Das ist auch eitel. (...)
149
Fr�he s�e deinen Samen und lass deine Hand des Abends nicht ab; denn du wei�t
nicht, ob dies oder das geraten wird; und ob beides geriete, so w�re es desto besser.
Es ist das Licht s��, und den Augen lieblich, die Sonne zu sehen.
Wenn ein Mensch viele Jahre lebt, so sei er fr�hlich in ihnen allen und gedenke
der finstren Tage, dass ihrer viele sein werden, denn alles, was kommt, ist eitel.
So freue Dich, J�ngling, in deiner Jugend und lass dein Herz guter Dinge sein
in Deiner Jugend. Tue, was Dein Herz gel�stet und deinen Augen gef�llt (...)
La� die Traurigkeit aus deinem Herzen und tue das �bel
von deinem Leibe; denn Kindheit und Jugend sind eitel.
Gedenke an deinen Sch�pfer in deiner Jugend, ehe denn die b�sen Tage kommen
und die Jahre herzutreten, da du sagen wirst: sie gefallen mir nicht;
ehe denn die Sonne und das Licht, Mond und Sterne finster werden
und Wolken wieder kommen nach dem Regen; (...)
wenn man auch vor H�hen sich f�rchtet und sich scheut auf dem Wege;
wenn der Mandelbaum bl�ht, und die Heuschrecke beladen wird,
und alle Lust vergeht (denn der Mensch f�hrt hin (...) und die Klageleute gehen umher
auf der Gasse) (...) Denn der Staub muss wieder zu der Erde kommen, wie er gewesen
ist. Und der Geist wieder zu Gott, der ihn gegeben hat.
Es ist alles ganz eitel, sprach der Prediger, ganz eitel.
La�t uns die Hauptsumme aller Lehre h�ren: F�rchte Gott und halte seine Gebote; denn
das geh�rt allen Menschen zu.
Denn Gott wird alle Werke vor Gericht bringen, alles, was verborgen ist, es sei gut oder
b�se.
Die Lekt�re dieses hier in Ausz�gen wiedergegebenen, erhabenen alttestamentarischen
Textes verdeutlicht, wie folgerichtig Felix Mendelssohn Bartholdy denselben kurz vor
seinem Tode rezitierte. Reflektiert sich doch dessen gesamter Lebenswandel oder das
Spektrum seines Lebens bis hin zu der unmittelbaren seelischen Befindlichkeit der
letzten Monate in hoher Affinit�t in diesen Versen. Die Lekt�re l�sst uns auch
ma�geblich an der ethischen Pers�nlichkeit Mendelssohn teilhaben. Sie zeigt uns somit
auch den tiefgl�ubigen Menschen, welcher sein ganzes Leben dem Predigerworte
gem�� verbrachte.
Sich in ma�geblicher ethischer Selbstverpflichtung, bis hin zu �berlastung und
�berarbeitung in seiner musikalischen und somit humanistischen T�tigkeit, dabei
"fr�hlich war in seiner Arbeit" und somit der Aussendinge, der "Eitelkeiten" wenig
achtete.
Oh ja, Felix Mendelssohn Bartholdy hatte die Jahre der Jugend, stetigen musikalischen
Wirkens zum Trotze, wahrlich genossen, sich "ihrer erfreut" und "liess sein Herz guter
Dinge sein".
150
Ehe denn die "b�sen Jahre kamen", welche ihm nach und nach die Mitglieder seiner
Familie und andere geliebte Menschen vor der Zeit rauben sollten. "Eitel" erschienen am
Ende seines Lebens die Jahre jugendlicher Freuden und jene erfolgreichen,
musikerf�llten Mannestums.
Nichtig war ihm der Reichtum, den man ihm noch so h�ufig zum Vorwurf machen sollte.
Mendelssohn achtete des Geldes, der irdischen G�ter nicht und verwandte es stets zum
Wohle der Familie, der ihm unterstellten Musiker, der Musik und anderen wohlt�tigen
Zwecken. Konnte es doch vom Streben eines ethisch angeleiteten Herzens nach
menschlicher Vollendung nicht f�r einen Augenblick freikaufen; es lediglich auf dem
Wege der Vervollkommnung begleitend und unterst�tzend zur Geltung kommen.
Nichtig erschien ihm am Ende seines Lebens auch sein musikalisches Schaffen, sein
unaufh�rliches Bem�hen um das Wohl des deutschen Musiklebens, mit welchem er
einstmals glaubte, zur Versch�nerung der Welt, zur Verbesserung der Lebensumst�nde
auf ihr und in ihr beitragen zu k�nnen. Nichtig, "eitel", ein vergebliches "haschen nach
Wind" erschien ihm nunmehr das Streben um Vervollkommnung der musikalischen
Form und des musikalischen Ausdrucks, jenes Elementes also, das man sp�ter sooftmals in erkl�rter oder willf�hriger �chtung als "perfektionistische Gl�tte" seiner Musik
verunglimpfen sollte. H�tte er ahnen k�nnen, dass Wagner und Nationalsozialisten,
willf�hrige Musikwissenschaftler, Enzyklop�disten, Rezensenten und Adepten jedweder
Art es vermochten, die fatalistisch heraufbeschworene Nichtigkeit musikalischen
Mendelssohnschen Strebens nahezu dauerhaft zu bewahrheiten?
32. Grenzen in der Bedeutung dieser Musik
Gerhard von Westerman, als Musikfunktion�r und Autor in den Kultur-und
Propagandabetrieb des "III. Reiches" seinerzeit fest eingebunden, legte im Jahre 1956
einen Konzertf�hrer vor, welcher neben Hans Renners Standard-Ver�ffentlichung aus
dem Hause Reclam bis in die 70ziger Jahre hinein Allgemeinverbindlichkeit unter
Musikfreunden der �BRD� besa�. Von Westerman war in der NS-Zeit als Intendant der
Berliner Philharmoniker t�tig und geh�rte im Jahre 1942 neben den Komponisten
Werner Egk und Paul H�ffer, sowie Egon Kornrauth einer Kommission an, welche im
Auftrage des Propagandaministeriums �ber die publicitytr�chtige Verteilung finanzieller
Zuwendungen an zahlreiche prominente und nachgeordnete Komponisten zu befinden
hatte.
Er pr�sentiert in seinem Konzertf�hrer Beschreibungen folgender Werke Mendelssohns:
des "Violinkonzertes in E-moll" op. 64., des "Klavierkonzertes in G-moll" op. 26, der
"Italienischen" und "Schottischen Symphony", der Ouvert�ren "Hebriden", "Meeresstille
und Gl�ckliche Fahrt", "Das M�rchen von der sch�nen Melusine", und
"Sommernachtstraum"; sowie der Oratorien "Paulus" und "Elias" .
Dies stellt zugleich einen �berblick der Werkfolge, auf welche sich Felix Mendelssohns
umfangreiches Orchester-, Kammermusik und Vokalschaffen in Westdeutschland nach
1945 reduzierte, dar. Den Werkbetrachtungen gibt er einleitend Einsch�tzungen vorweg,
welche alle bislang dargelegten Traditionen und Stereotypen der Mendelssohn-
Rezeption innerhalb der Deutschen Musikwissenschaft der vergangenen 100 Jahre
bruchlos fortschreiben. Daneben stehen unumg�nglich vorzubringende Worten der
Relativierung unhaltbarer Positionen des 19. Jahrhunderts sowie der Anklage von Nazi-
Willk�r.
151
Es werden Einsch�tzungen vorgelegt, welche im Anspruche abschlie�enden
endg�ltigen Urteils die g�ltigen Invektiven der Mendelssohn-Verunglimpfung
zusammenfassen:
"Sein Leben war ein einziger Siegeslauf. Die gl�nzende musikalische Begabung, die
ihm (...) Erfolge �ber Erfolge eintrug, das Liebensw�rdige seiner Pers�nlichkeit, das ihm
aller Sympathien verschaffte, die finanzielle Unabh�ngigkeit durch den grossen
Reichtum seines Vaters (...) -alle diese Gl�cksumst�nde wirkten zusammen (...).
Gegen�ber dem unsteten St�rmer und Dr�nger Schumann (...) wirkte der �beraus
fr�hreife Mendelssohn ruhig und �berlegen in der klassischen Formbeherrschung. (...)
Man hat Mendelssohn daraufhin eine gewisse inhaltsleere Gl�tte vorgeworfen (...). Die
Wiederbegegnung mit seinen Werken nach dem sinnlosen Verbot in der
nationalsozialistischen Zeit zeigte dann deutlich die Grenzen in der Bedeutung dieser
Musik. (...) Seine Melodien verm�gen ebenso zu r�hren wie zu bezaubern, seine Musik
vermittelt Freude und Entz�cken, zu ergreifen oder gar zu ersch�ttern vermag sie
allerdings in den seltensten F�llen. In der kleinen Form, etwa in den reizenden Liedern
ohne Worte oder im virtuosen Stil (...) konnte Mendelssohn sein Bestes geben."
33. Sein Platz nach Beethoven und Brahms ist ehrenvoll genug
Im Jahre 1965 erschien das "Musiklexikon" der "Deutschen Buchgemeinschaft" als
Nachdruck eines vormals ver�ffentlichten Lexikons aus dem Hause Ullstein.
Herausgeber war Friedrich Herzfeld.
Das Ullstein/ �DBG�-Musiklexikon wurde, enzyklop�dischen Gepflogenheiten gem��,
von einem wissenschaftlichen Autorenteam erarbeitet, die Beitr�ge selbst verbleiben im
Gegensatz zu Kompendien, welche den Artikeln zumindest ein Sigle zugestehen vollends
in der Anonymit�t.
Erneut ist der Felix Mendelssohn Eintrag eines Lexikons insgesamt von
Geringsch�tzung des Sujets Mendelssohn gepr�gt. Er irritiert des weitern durch die
merkw�rdige Gepflogenheit, biographische Fakten weniger zu pr�zisieren, sondern
lediglich lakonisch anzudeuten, als ob es der genaueren Darlegung nicht wert w�re.
"F. M. trug seinen Vornamen Felix zu Recht, denn das Leben zeigte sich ihm von seiner
lichten Seite. Der Reichtum des Elternhauses erlaubte vielseitige Ausbildung.
Mendelssohn-Bartholdy wurde mit seiner Schwester Fanny im Klavierspiel unterrichtet.
(...)
1826, also mit 17 J.; komponierte M. die Ouvert�re zu Shakespeares
"Sommernachtstraum". Keines seiner sp�teren Werke konnte dieses geniale St�ck
�bertreffen. (...)
In solchen kleinen KlSt�cken (Klavierst�cken, Anm. d. Verf.) zeigte sich M. von der
besten Seite. Als Zeugnisse seiner sensitiven Romantik entz�cken sie durch
schmachtende Melodik und Formgl�tte. M.s Lieder ohne Worte waren daher f�r das
B�rgertum des 19. Jh. ideale HausMs. Gerade deshalb haben sie heute an Geltung
verloren. (...)
Eine Berufung als MusTheoretiker an die Berliner Univers. lehnte M. ab. Seiner
Bewerbung als Dirigent der Singakademie wurde nicht entsprochen. Daher trennte sich
M. von Berlin. (...)
152
M. offenbarte hier den Grundzug seines Tonschaffens: romantischen Ausdruck mit
klass. Form zu verbinden. Aus der Besch�ftigung mit Bach erwuchsen f�r M. freilich
auch Gefahren, denn sein Kontrapunkt geriet nur �u�erl. In gr��eren W. blieb ein
Zwiespalt zwischen Form und Inhalt (...)
Die OrgelW. verbla�ten schnell. (...)
Nach der "Sommernachtstraum-Ouvert�re" war M. nie wieder so gl�cklich in der them.
Erfindung wie bei seinem VlKonz.e moll opus 64. Sein Platz nach Beethoven und
Brahms ist ehrenvoll genug. Ein halbes J. nach dem Tod der geliebten Schwester starb
M. ohne ersichtliche Krankheit."
34. "Diese Musik wurde ermordet" I
"Das Problem Mendelssohn" war demzufolge ein im Jahre 1972 von der musikwissenschaftlichen
Autorit�t Carl Dahlhaus in Berlin veranstaltetes Symposium betitelt, das
sich, dem dramatischen Titel zuwiderlaufend, n�chterner Analyse dramaturgischer und
kompositionstechnischer Fragen von Mendelssohns Musik widmete. Das wahre
Problem Mendelssohn fasst Heinrich Eduard Jacob in seinem engagierten
Mendelssohn-Portrait "Felix Mendelssohn und seine Zeit" von 1958 denn auch
symboltr�chtig zusammen:
�Musik, wie sich erwiesen hat, ist durchaus nichts unsterbliches. Aber wie jedes
Zeitalter, dessen innerster Ausdruck sie ist, hat sie Anspruch auf einen nat�rlichen Tod.
Die Musik Felix Mendelssohns ist keines nat�rlichen Todes gestorben. Sie wurde
ermordet.�
Musikwissenschaftler in der sozialistischen Deutschen Demokratischen Republik und
den USA bem�hten sich ab Ende der 50ziger Jahre entschiedener um Relativierung und
grundlegende Neudefinierung eines vergangenheits-und gegenwartgerechten
Mendelssohn-Bildes. Die 2. Ausgabe der Zeitschrift "Musik und Gesellschaft" (DDR
1959) bezog sich in grossen Teilen auf den Anlass der Wiederkehr des 175.
Geburtstages des Komponisten.
Der Musikhistoriker Karl-Heinz K�hler, damals Leiter der Musikabteilung der "DeutschenStaatsbibliothek Berlin" (Ost), legte darin erstmals einen �berblick der Jugendwerke vor,
welche auch die handschriftlich �berlieferten, in der bisherigen Gesamtausgabe
ausgeklammerten Werke einbezog. Der Beitrag ging mit den Vorbereitungen der
"Leipziger Ausgabe der Werke F. M. B." einher, welche in den ersten B�nden
ausschlie�lich unver�ffentlichte Werke vorlegte und Mendelssohn somit in den Rang
anderer grosser Musiker erhob, die zeitgleich fundamentale, philologisch exakte
Gesamtausgaben erfuhren.
In einem anderen Beitrag setzte sich Georg Knepler eine auf Pr�missen
musikhistorischer Objektivit�t gr�ndende Gesamtw�rdigung des Lebens und Werkes
Mendelssohns zum Ziel, die auch das weit reichende Feld der Analyse von
Spezialfragen bez�glich Mendelssohns Wirken ansprach. Mit dem Essay unternahm
Knepler die Vorver�ffentlichung von Passagen seiner umfassenden Musikgeschichte
des 19. Jahrhunderts aus dem Jahre 1961, welche die dringlich gebotene Aufl�sung
153
einheitlich verstandener Betrachtung von musikalischer Werk-und Rezeptions�sthetik
des sp�ten 19. Jahrhunderts vornahm, die Riemanns Enzyklop�die so nachhaltig
pr�gte.
In den USA wirkten beispielsweise Eric Werner und Donald Mintz im Sinne einer
objektiven Neusicht auf das Oeuvre Mendelssohns. Neben zahlreichen Essays, welche
sich mit Spezialfragen des Sujets befa�ten, legte Werner im Jahre 1963 eine Biographie
des Komponisten vor, die Erkenntnisse aus bislang unver�ffentlichtem Briefmaterial
bezog und mittlerweile als Standardwerk eingesch�tzt wird.
In der bereits herangef�hrten Betrachtung Ulrich Schreibers von der "Unbequemheit
eines romantischen Klassizisten" nimmt der westdeutsche Autor auch eine
Bestandsaufnahme vom Tageswert Mendelssohnscher Musik in den 70zigerJahren vor.
Dabei kommt in behutsam allegorischer Verklausulierung auch die massive Pr�senz
ehedem nationalsozialistisch gepr�gter Funktion�re in allen Bereichen
bundesdeutschen Musiklebens zur Sprache.
"Sicherlich w�re es unsinnig, vom Deutschen Musikbetrieb eine Wiedergutmachung an
einem lange diffamierten Komponisten zu verlangen; denn dieser Musikbetrieb ist selbst
derart hoffnungslos stigmatisiert, dass von ihm keine Kl�rung seiner Zukunft �ber eine
Bew�ltigung der Vergangenheit zu erhoffen ist.
Denn eines steht fest: bis auf eine oder 2 Ouvert�ren, bis auf eine oder 2
Symphonien, bis auf das Violinkonzert schliesslich ist Mendelssohn heute tot. Seine
Chormusik, seine Streichquartette, seine Lieder ohne Worte, das alles ist vergessen,
weil niemand sich Gedanken dar�ber macht, dass in der Musik dieses klassischen
Romantikers geradezu paradigmatisch das zum Ausdruck kommt, was heute noch
unser Musikleben...ausmacht: eben die kanonischer Verbindung von Klassik und
Romantik."
35. Das erreichbare H�chstma� an Gl�tte und Ausgeglichenheit...
Im Nachbarstaat �sterreich wiederum ist die Tradition der Mendelssohn-Pflege unter
umgekehrtem Vorzeichen, also einschl�gigen �sthetischen Vorbehalten gegen seine
Musik auch in neuerer Zeit zumindest partiell nachweisbar. Der Verlag �Jugend und
Volk� (!) Wien beschied den im Verlagsnamen genannten Zielgruppen im Jahre 1970 im
�Symphoniekonzert � ein Stilf�hrer durch das Konzertrepertoire�, da�: �die
Vollkommene Beherrschung der kontrapunktischen Technik und sein spezieller Sinn f�r
das Verbindliche (...) ihn (Mendelssohn) zu einem symphonischen Stil (f�hrten), der das
erreichbare H�chstma� an Gl�tte und Ausgeglichenheit erzielte�
In der Betrachtung der 4. Symphony � die "Italienische" interpretiert der Autor Rudolf
Klein des Weiteren den Werkcharakter ausschlie�lich aus schriftlich niedergelegten
Impressionen heraus, welche das Land Italien beim Komponisten hinterlie�.
Klein behauptet, da� �f�r ihren (der 4. Symphony) Charakter (...) bezeichnend (ist), was
der Komponist �ber seine Empfindungen in Italien schrieb: �Ich habe mir den ganzen
ersten Eindruck von Italien wie einen Knalleffekt, schlagend, hinrei�end gedacht; -so ist
es mir bis jetzt nicht erschienen, aber von einer W�rme, Milde, Heiterkeit, von einem
�ber alles sich ausbreitenden Behagen und Frohsinn, da� es unbeschreiblich ist.�
154
Behagen und Frohsinn sprechen auch aus dem Werk, da� direktere Beziehungen zu
seinem Titel nur durch den letzten Satz schafft, einem Saltarello, in dessen Rhythmik
und Melodik die Tarantella des Italieners eingefangen scheint.�
Da diese, ohne jeden Hinweis auf Quelle und Datum herangef�hrte Konstatierung
impliziten Klischees bez�glich �W�rme, Milde und Heiterkeit� aus dem Munde des
Komponisten selbst in keinem erkennbaren Zusammenhang zur Komposition steht,
erscheint die Vorgehensweise Kleins, eine Werkinterpretation nicht aus der Analyse
konkret vorgelegter Musik, sondern aus autonomen biographischen Subjektivismen
herzuleiten, als fragw�rdig und tendenziell.
�bereinstimmung oder Abweichung der Mendelssohn-Rezeption �sterreichs bis zum
�Anschluss� im Jahre 1938 und nach dem Ende des nationalsozialistischen Regimes;
des Weiteren die Mendelssohn (und Meyerbeer)-Rezeption in der deutschsprachigen
Schweiz vollst�ndig nachzuvollziehen, dies Thema w�re wiederum einer eigenst�ndigen
Untersuchung wert.
36. Philosophische Musici: vom Gewandhausdirecteur Moses Mendelssohn
Der Komponist und Musikpublizist Walter Abendrot war in den Jahren des III. Reiches
aus einem Freundeskreis um den in nationalistisch-antisemitischer Zwiesp�ltigkeit
befangenen Komponisten Hans Pfitzner heraus als Agitator gegen �j�dische
Musikzersetzung� und neue Musik t�tig. Er verk�ndete nach 1945 u. a. als
Feuilletonchef der renommierten Wochenzeitung "Die Zeit", Gr�ndungsmitglied der
"Freien Akademie" in Hamburg und Autor weiterhin Lehrmeinungen latent
antisemitischen Charakters.
In einer Ende der sechziger Jahre erschienenen "Kurzen Geschichte der Musik"
zeichnet er so mit ausgesucht freundlichen, diffamierenden Worten das Portrait eines
charmanten, oberfl�chlichen j�dischen Dandys:
�Ein anderes Berliner Bankhaus bescherte der deutschen Musikromantik ihren
urbansten Vertreter: den liebensw�rdigen, eleganten, formgewandten und
lebenst�chtigen, heiter-gebildeten und j�nglinghaft-verschw�rmten Felix Mendelssohn-
Bartholdy.�
Wenige Zeilen sp�ter verl��t er die Ebene wohlwollenden Kulturplauderns zugunsten
deutlicher Worte:
�Es unterliegt keinem Zweifel, das (...) das Violinkonzert die Geiger immer anziehen
wird, von den Klavierkompositionen die Lieder ohne Worte beste Hausmusik sind, auch
in gewissen d�nnbl�tigen Nummern, die dann wieder durch ihre spielerische Leichtigkeit
entsch�digen. Die beiden Oratorien Paulus und Elias haben uns nicht mehr allzu viel zu
sagen, desgleichen die meiste Kammermusik, die Psalmen, Motetten, Lieder und jene
Art von M�nner-und gemischten Ch�ren, an denen sich biergem�tliche
Gesangsvereine jahrzehntelang nicht ers�ttigen konnten.�
Die "Kurze Geschichte der Musik" Walter Abendroths wurde im Jahre 1978 als
Taschenbuch neu verlegt. Sie war bis in unsere Tage hinein in der 4.
Taschenbuchauflage von 1994 (DTV/B�renreiter) �ber jede Buchhandlung problemlos
zu beziehen; und wirbt mit �dem Vergn�gen einer fast plaudernd vorgetragenen
Belehrung� f�r � oberfl�chlich Interessierte�.
155
Somit stellten diese nur 147 Seiten umfassende Musikgeschichte auch hinsichtlich ihres
attraktiven Taschenbuch-Preises sicherlich die ideale Erstlekt�re f�r junge
Musikliebhaber dar, der Fortbestand der Auffassung Mendelssohns als eines
�bersch�tzten Kleinmeisters war somit partiell gew�hrleistet. Der aktuelle
Internetbuchhandel h�lt das Buch indes in hohem Ma�e antiquarisch verf�gbar.
Auch Walter Abendroth liess sich in jenen unseligen Jahren der Hitler-Diktatur u. a. �ber
die Frage "Musik und Rasse" aus, herausgegeben in "Deutsches Volkstum" von 1937.
Ein weiteres Traktat liegt in "Opernideale der Rassen und V�lker" aus "Die Musik" vom
M�rz des Jahres 1936 vor.
Musikf�hrer aus dem Traditionshause Reclam transportierten die das Oeuvre
Mendelssohns entwertenden Stereotypen bis in die neunziger Jahre hinein. Sie halten,
der �berarbeitung j�ngster Zeit zum Trotz, Beurteilungen vom �Sinn f�r �sthetisch
�sch�ne� Wirkung�, vom �Stil (...) der klassisches Ebenma� der Form mit romantischer
Empfindsamkeit wohltuend verbindet� als �Stil des geringsten Widerstands�, wie Hans
Renner im dem in den 60ziger Jahren erschienen Orchestermusikf�hrer aus dem
Reclam-Verlag schreibt; also gel�ufige Entwertungen von Mendelssohns Schaffen, dem
erw�hnten Konzertf�hrer von Westermans gleich, �ber Bibliotheken weiterhin aufrecht.
Der Musikpublizist Hans Renner, Autor einer umfangreichen Musikgeschichte, welche u.
a. in den 90ziger Jahren �ber Buchgemeinschaften vertrieben wurde, war im III. Reich
im Rahmen der Organisation "Deutsche Arbeitsfront" (DAF) t�tig.
So geh�rte er im Jahre 1934 einem Gremium der DAF an, welches einen Musikpreis f�r
Kompositionen zu vergeben hatte, die den Ethos Deutscher Arbeit verherrlichten. Der
Preis von 500 RM erging an "Weckruf und Lob der Arbeit" von Karl Gerstenberg.
In seiner Geschichte der Musik", erstmals erschienen im Jahre 1965 und im Jahre 1991
unver�ndert vom Bertelsmann-Buchclubverlag nachgedruckt, pr�gt Renner das Bild
eines Kleinmeisters der Biedermeier-Zeit, welcher seine eng bemessenen Grenzen klar
erkannt und somit lediglich als "sch�nster Zwischenfall der deutschen Musik" zu gelten
habe. Die tendenzielle, von Antisemitismus und NS-Zeit beeinflu�te Sichtweise auf
Person und Werk Felix Mendelssohns in der Publizistik Hans Renners, belegt sich allein
schon durch die wahrheitswidrige Schreibweise des unverbundenen Doppelnamens als
Mendelssohn-Bartholdy. Renner verkennt dabei eklatant die tiefe Verwurzelung von
Mendelssohns unaffektiertem Komponieren in rein humanistischen, ethisch
empfundenen Idealen und sperrt ihn vielmehr in den engen K�fig der genannten
Grenzen einer hypersensiblen Unf�higkeit zu dramatischem Ausdruck. Obgleich Renner
selbst von einer Mendelssohn-Schule spricht, aus welcher Komponisten wie Hiller,
Volkmann, Kiel, Reinecke und Draeseke hervorgegangen sind, neigt er doch zum
Widerspr�chlichen. Ohne auf das Leipziger Konservatorium und dessen Mendelssohn-
Pflege in der Nachfolge des Komponisten oder die Affinit�t Mendelssohns zu
Schumanns und Brahms Schaffen, zu jenem Bruchs und Regers einzugehen, spricht
Renner dem "sch�nsten Zwischenfall der Musik" Mendelssohn des Weiteren jedwede
Stilpr�gung und musikalische Gefolgschaft rundweg ab.
Renner schreibt also:
�Felix Mendelssohn-Bartholdy, Romantiker mit biedermeierlichem Einschlag, war nach
der Ansicht seines Freundes Schumann "der hellste Musiker, der die Widerspr�che der
Zeit am klarsten durchschaute und zuerst vers�hnte." (...) Alles Extreme, �bersteigert
emotionale war ihm zuwider.
156
Die ungest�men Kraftausdr�cke in Beethovens "IX. Sinfonie" erschreckten ihn ebenso
wie das Zerrissene, Dunkle, Exzessive in manchen Werken Schumanns. Mit heiterer
Selbstironie meinte er einmal, er sei ein Philister gegen�ber Berlioz, denn nicht das
Grenzenlose, vielmehr das Umgrenzte, Einfache, Klare entspreche seiner Natur. Er
kannte seine Grenzen genau und er hielt sich in ihnen, das war seine St�rke. (...)
Mendelssohn blieb "der sch�ne Zwischenfall der deutschen Musik" (...) Zu einem
Ausgleich der in ihr wirkenden Gegenkr�fte kam es nicht. Jeder der "Grossen" ging
seinen eigenen Weg, um jeden bildete sich eine Schule von Mit und Nachl�ufern, keiner
vermochte wiederherzustellen, was verloren war: die Einheit der Anschauungen, der
Gesinnung, des Stils."
Noch in den achtziger und neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts reflektieren
�ber jeden Verdacht erhabene Kultur-und Medienbetriebe Geringsch�tzung und
Desinteresse des musikalischen Tagesgeschehens an Musik, Person und
Rezeptionsgeschichte Felix Mendelssohns. Lassen die Musikredakteure � geschult an
den im Verlaufe dieser Abhandlung genannten Enzyklop�dien und Handb�chern des
zwanzigsten Jahrhunderts � wiederum die stetig repetierten stereotypen Wendungen
anklingen.
So geschehen in einem im Jahre 1984 anl��lich des 175. Geburtstages Mendelssohns
am 4. Februar in der liberalen "Frankfurter Rundschau" ver�ffentlichten Gedenkbeitrags,
welcher vom �Mustersch�lerhaften der Formpr�gung� Mendelssohnscher
Kompositionen der �Sonatenform als Maske�, den �Gew�chshausblumen der
Klavierst�cke�, der �nazarenisch geleckten Verz�ckung der Oratorien� spricht. Ja, der
Artikel nimmt gar -zitiert nach Wulf Konold � -mit seiner Kritik an Mendelssohns
schnellen S�tzen, seinem Hinweis auf �nerv�se Ratlosigkeit� und �verdr�ngte
Lebensunruhe� unbewu�t unmittelbaren Bezug auf den rassisch begr�ndeten Aspekt
der �semitischen�, der �prickelnden Unruhe� in dem Juden-Aufsatz Wagners aus dem
Jahre 1850.
Im gleichen Jahre ging Gustav Stresemann -langj�hriger Intendant der Berliner
Philharmoniker zu Furtw�nglers und von Karajans Zeiten -daran, seine "Lanze f�r Felix
Mendelssohn" zu brechen.
Aber gleich zu Beginn seines durchaus engagiert erarbeiteten, etwa 250 Seiten
umfassenden Mendelssohn-Portraits, wird der Leser mit widerspr�chlichen Fragen und
Betrachtungen verwirrt.
So heisst es zu Anfang durchaus zutreffend:
�Mu� man sie brechen? Rennt man nicht offene T�ren ein? Leider nicht. So seltsam
es klingt, auch heute begegnet man manchen Mi�verst�ndnissen gegen�ber einem
Komponisten (...), der sich schwer einordnen l�sst, im Vergleich mit den ber�hmtesten
seiner Zeitgenossen den k�rzeren zu ziehen scheint und mit vielen seiner
bedeutendsten Werke nahezu ein Schattendasein f�hrt."
Wenige Zeilen sp�ter verst�rt Stresemann mit einer Missinterpretation, einer markanten
Negation der bislang dargelegten antisemitischen und musikgeschichtlichen Vorf�lle
und Traditionen der Mendelssohn-Rezeption. Als unmittelbarem Zeitzeugen der NS-
Diktatur und deren Eliminierung von Mendelssohn-Musik h�tten ihm, auch als
f�hrendem Vertreter des deutschen Musiklebens jener Zeit,
157
vor allem die Auswirkungen und Folgen des unmittelbaren Verbotes der NS-Zeit auf die
Mendelssohn-Rezeption nach dem Kriege wie auch jene der Fortschreibung braunen
Gedankengutes oder jener von Riemann u. a. autorisierten entwertenden Klischees von
Gl�tte, K�lte o. �. im akademischen und musikpublizistischen Bereich nach 1945
zwingend bewusst sein k�nnen und m�ssen:
"Aber schon bald begann sein Stern zu verblassen, die ihm zu Lebzeiten zuteil
gewordene Wertsch�tzung zu sinken. Es w�re durchaus verfehlt, hierf�r Richard
Wagners sp�tere Attacken oder Hitler mit seinem Verbot so genannter nichtarischer
Musik besonders verantwortlich zu machen. Denn auch nach deren Tode ist es zu einer
wahren Mendelssohn-Renaissance nicht gekommen. Aus Felix, dem Gl�ckskind, wurde
im Laufe der Jahrzehnte ein "Stiefkind", und diese Entwicklung hat sich bis in unsere
Tage fortgesetzt."
Im Abschluss des Vorwortes zu seinem Mendelssohn-Portrait stellt Stresemann den
Gegenstand desselben, also Leben und Werk des Komponisten, in hohem Masse in
Frage, reflektiert die bekannten Stereotypen Mendelssohnscher Entwertung. Die Lanze,
vorgeblich f�r Mendelssohn eingelegt, muss somit von Anbeginn an stumpf bleiben.
"Niemand bestreitet zwar die Bedeutung der Musik zum Sommernachtstraum oder des
nur selten zu h�renden "Oktetts", Werke, die Felix mit 17 oder 18 Jahren schrieb; auch
das Violinkonzert, sowie 2 seiner Symphonien finden allgemein Zustimmung. Aber
Mendelssohns Gesamterscheinung bleibt umstritten. Dies gilt f�r einen erheblichen Teil
seiner Kompositionen, die oft als glatt, oberfl�chlich, zu gef�llig bezeichnet werden, wie
auch f�r sein Leben, einmal der strahlenden, vom Gl�ck �berreich gesegneten Jugend,
die Leid nicht kannte, daher unf�hig, tiefere Werke zu erzeugen, dann von den
sp�teren, nicht selten ruhelosen Jahren mit ihrer vielgleisigen Betriebsamkeit, Folge fast
zu mannigfacher Gaben oder vielleicht auch des Wunsches, sie zur Schau zu stellen".
Im Jahre 1983 gab Joseph Wulf seine dankenswert umfassend erstellte Sammlung
aufschlu�reicher Dokumente aus dem "Kultur"-Betrieb des "III. Reiches heraus. Im
Vorwort des Bandes "Musik im III. Reich" - es diente auch als Grundlage zahlreicher hier
wiedergegebener Traktate des akademischen und musikalischen Nationalsozialismus fa�te
Wulf Ursprung und Entwicklung des musikalischen Chauvinismus, also auch die
Geschichte Mendelssohnscher Entwertung, in wenigen Zeilen hellsichtig zusammen:
�Mit seinen Ideen und vielen Schriften legte Richard Wagner den Grundstein f�r eine
verh�ngnisvolle Richtung in der deutschen Musikwelt, die in ihrer Entwicklung
fortlaufend bereichert, erg�nzt und endlich vervollkommnet wurde. Um diesen
Wachstumsproze� in seiner ganzen Eindeutigkeit unmissverst�ndlich zu erkennen,
braucht man nur den Wagner des 19. und den Hans Pfitzner des 20. Jahrhunderts zu
lesen. Wenn gewisse Wissenschaftler des Dritten Reichs Schiller als ersten
Nationalsozialisten bezeichnen, so kann man dar�ber wirklich nur l�cheln. Falls sich
jedoch diese Behauptung auf Wagner bezieht, besteht eine gewisse Berechtigung�.
Dem Buch "Musik im III. Reich" ist denn auch wahrhaft symboltr�chtig jene Metapher
Thomas Manns aus dem Jahre 1911 vorangestellt:
"Die Deutschen sollte man vor die Entscheidung stellen: Goethe oder Wagner. Beides
zusammen geht nicht. Aber ich f�rchte, sie w�rden Wagner sagen".
158
Im Jahre 1988 legte der russische Dirigent Semyon Bychkov auf dem Philips-Label eine
Schallplattenaufnahme der 3. und 4. Symphony Mendelssohns, der "Schottischen" und
"Italienischen" vor, welche er im Jahre 1986 mit dem London Philharmonic Orchestra
realisiert hatte. In einer Rezension reflektiert Werner Bollert in der Musikzeitschrift "Fono
Forum" vom Februar des Jahres 1988 in abf�lligem Tonfall anschaulich die Tatsache,
dass man Mendelssohns Hauptwerke keinesfalls als festen Bestandteil des
Kernrepertoires auf den Konzertpodien der Welt ansah und anzusehen habe. Best�tigt
er die durch eine uns�glich h�rdenreich, ja katastrophal verlaufene
Rezeptionsgeschichte gepr�gte Aussenseiterposition, die Mendelssohn im
Konzertrepertoire immer noch einnimmt.
Anschlie�end stellt Bollert gar den musikalischen Wert der "Schottischen", sicher eines
der hochrangigen Mendelssohnschen Meisterwerke, pauschal in Frage und stellt sich
dabei in den Gegensatz zum Dirigenten, welcher sich -Bollerts Worten zufolge -den
beiden Werken mit grosser Aufmerksamkeit und Hingabe widmete.
"Selbstverst�ndlich war und ist er (Bychkov) bestrebt, sein Repertoire zu erweitern und
die grossen Meister der Sinfonik in seine Programme miteinzubeziehen (...) Dem
Medium Schallplatte hat er sich ebenfalls nicht verschlossen; hier begann er
bezeichnenderweise mit der f�nften Sinfonie von Schostakowitsch, der er
Tschaikowskys "Nu�knacker" folgen liess. Die dritte Produktion (�) galt diesen beiden
Sch�pfungen Felix Mendelssohns. Ob Bychkov aber damit schon zum "harten Kern" der
klassisch-romantischen Sinfonik vorzusto�en vermochte (wie es die Plattenwerbung
formuliert), sei dahingestellt.
Gerade an diese Aufnahme hat Bychkov offenbar viel M�he gewandt; doch das
klingende Ergebnis ist nicht sehr zwingend ausgefallen. Bei der "Schottischen" liegt das
Problem zweifelsohne im Werk selbst, in der Konzeption der Ecks�tze (beispielsweise
will es nur selten gelingen, die A-Dur-Kr�nung des Finales, Allegro maestoso assai,
wirklich plausibel darzustellen)."
Eine im Jahre 1989 vom westdeutschen Fernsehen produzierte Dokumentation der
Geschichte des Leipziger Gewandhauses und seines Orchesters erw�hnt mehrfach den
Komponisten �Moses Mendelssohn Bartholdy� bzw. �Moses Mendelssohn�, welcher
seinerzeit dort als Dirigent t�tig war.
Im Jahre 1991 promovierte Hartmut Wecker mit einer Studie �ber den "Epigone(n) Ignaz
Br�ll". Nicht allein, da� Wecker darin eine Verharmlosung von Wagners Judenschrift in
der Thesenstellung und Folgewirkung vornimmt. Er behauptet darin, dass jene Schrift
"mit Recht "Das Epigonentum in der Musik" lauten" m�sse; ein "Faktum"...
(welches)...bislang unbeachtet geblieben" sei. Bedenklicher als dies stimmt noch das
abschlie�ende Urteil, welches Welcker �ber die jener Studie zugrunde liegende
Pers�nlichkeit Ignaz Br�ll f�llt: Br�ll sei ein Epigone gewesen, "weil er Jude war."
37. Dass Mendelssohn Grenzen hat, sei unbestritten
Im Jahre 1997 verweist Gerhard R. Koch im umfangreichen Gedenkartikel der
�Frankfurter Allgemeinen Zeitung� anl�sslich des 150. Todestages Mendelssohns am 4.
November dezidiert auf �Grenzen�, welche der Musik Mendelssohns �unbestritten�
gezogen seien. Koch paraphrasiert mit dem Satz "Dass Mendelssohn Grenzen hat, sei
unbestritten." unmittelbar eine zentrale Sentenz aus von Westermans ma�geblichen
Darlegungen aus dem Jahre 1956.
159
Dieser Gedenkbeitrag �Weltgeist, auf Fl�geln des Gesanges� Gerhard R. Kochs ist
einmal mehr einer spezifischen Dramaturgie musikgeschichtlicher Analyse unterworfen,
welche sich exklusiv in der Darstellung des musikalischen Ph�nomens Mendelssohn
findet und aus etlichen, vermeintlich objektiv vorgenommene Betrachtungen hervorgeht.
Nicht allein die Nachwirkungen fataler musikpublizistischer und �wissenschaftlicher
�berlieferungen; auch die suggestive, faszinierende Negativ-Aura, welche die
Rezeptionsgeschichte um das Ph�nomen Mendelssohn zu errichten verstand, fanden in
dieser Dramaturgie der Negation ihren Ausdruck. Auch die Dominanz sp�tromantisch-
subjektiven Musizierens das Ideal heroisch-monumentalen Tonfalls, welche das
Musikleben in Deutschland bis in die 60ziger Jahre hinein pr�gte, mag in diesem und in
anderen F�llen unwillk�rlich ihren Ausdruck gefunden haben. Das Muster ist wie folgt:
Umsichtig, sachkundig, �objektiv�, ausf�hrlich werden die spezifischen hohen Qualit�ten
des Idioms Mendelssohnscher Musik gew�rdigt; desgleichen Ungerechtigkeit, ja
Absurdit�t ideologisch besetzter Urteile und Stereotypen hervorgehoben. Doch im
wenigen bedeutsam formulierten Worten oder Zeilen wird dann zumeist aber eine
pauschale Zur�cksetzung des gesamten Sujets Mendelssohn vorgenommen. Lassen
Autoren wie Koch das im Verlaufe eines �usserst umfangreichen Beitrags bedachtsam
errichtete Geb�ude "objektiver" W�rdigung der belasteten Mendelssohn-Rezeption mit
einem Satz wieder in sich zusammenfallen. In den Grundz�gen geht es wiederum auf
das rhetorische und dramaturgische Vorbild zur�ck, welches Wagner einstmals
prototypisch vorgab.
Wir erinnern uns: Mendelssohn "hat uns gezeigt, da� ein Jude von reichster
spezifischer Talentf�lle sein, die feinste mannigfachste Bildung, das gesteigertste...
Ehrgef�hl besitzen kann, ohne es...je erm�glichen zu k�nnen, auch nur ein einziges Mal
die tiefe, Herz und Seele ergreifende Wirkung auf uns hervorzubringen, welche wir...der
Kunst...f�hig wissen, weil wir diese Wirkung zahllos oft empfunden haben, sobald ein
Heros unserer Kunst sozusagen nur den Mund auftat�.
Ph�nomene werden am Vorfall Mendelssohn in kritischer Distanziertheit konstatiert,
welche im Falle anderer bedeutsamer Komponisten kaum einer Silbe gew�rdigt w�rden.
�Grenzen, welche der Bedeutung dieser Musik unbestritten� gesetzt sind: Diese lie�en
sich wohl mit Leichtigkeit hinsichtlich der Musiksprache jedes Komponisten spezifisch
definieren. Doch nur in diesem speziellen Fall legen Publizisten wie Riemann, Keller,
Chop, Moser, von Westerman, Schweickart und Koch den eigent�mlichen Sonderfleiss
zu Tage, "Grenzen" in der Tonsprache eines bestimmten Komponisten, n�mlich Felix
Mendelssohn zu eruieren.
38. Wie ist eine derartige Geringsch�tzung im Umgang mit einem dochbedeutenden Komponisten �berhaupt m�glich?
Die Dramaturgie der M�nchner Philharmoniker konstatiert in den Ank�ndigungen eines
Konzertes in der Saison 2001/02, welches Mendelssohns bedeutendes Chorwerk "Elias"
vorstellte, leichtfertig, das �die alttestamentarischen und damit j�dischen Traditionen der
Bibellekt�re Felix Mendelssohn Bartholdy sozusagen �im Blut� lagen.� Dabei unterstellt
sie in uns�glicher Entlehnung fataler NS-Terminologien, dass Mendelssohn als Jude
quasi einem semitisch-biologischen Rasseprinzip unterworfen gewesen sei.
160
Im Jahre 2003 legte der Chamber Choir of Europe unter der Leitung des Dirigenten
Nicol Matt bei Brillant Classics in dankenswerter Initiative eine Gesamtaufnahme des
gesamten geistlichen Chorwerkes Felix Mendelssohns vor.
Zu Beginn seines engagiert erarbeiteten Mendelssohn-Artikels im Begleitbuch fasst
Christian Wildhagen die fatale Entwicklung der Mendelssohn-Entwertung noch einmal
pr�gnant zusammen und konstatiert demzufolge Mendelssohns fatale aktuelle
Positionierung im Musikleben als eines Komponisten quasi lediglich in der zweiten oder
gar erst dritten Reihe.
"Wenigen Komponisten hat die Nachwelt derart �bel mitgespielt wie Felix Mendelssohn
Bartholdy. (...) Obwohl er noch zu Lebzeiten als �berragender Vertreter der deutschen
Musik im fr�hen 19. Jahrhundert geehrt wurde, spielt sein Schaffen heute im Ganzen
nur mehr eine untergeordnete Rolle. W�ren nicht Geniestreiche wie die Ouvert�re zu
Shakespeares "Sommernachtstraum", die "Italienische" Symphonie oder das
Violinkonzert -man w�rde Mendelssohn wohl umgehend, Carl Loewe oder Heinrich
Marschner vergleichbar, zu den Komponisten der zweiten und dritten Reihe schlagen.
Schon seine einst viel gesungenen Lieder, aber auch die Klaviermusik und die
ehedem als stilbildend gesch�tzten Streichquartette sind �berwiegend an den Rand des
Repertoires ger�ckt, und man kann nicht umhin, diese Auslese als arg beschr�nkt zu
empfinden -namentlich im Vergleich mit Zeitgenossen wie Schumann oder Chopin,
deren Werk in weit reichhaltigeren Ausschnitten rezipiert wird. Noch �rger ist freilich ein
Bereich betroffen, der zweifelsohne zu den Schwerpunkten in Mendelssohns Oeuvre
z�hlt: die Chormusik. Hier hat sich die posthume Auswahl nahezu ausschlie�lich auf die
beiden grossen Oratorien "Paulus" und "Elias" und einige wenige Einzelst�cke verengt.
Die Gr�nde f�r diese Entwicklung sind vielf�ltig. Dass Mendelssohn heute kaum mehr
die Wertsch�tzung erf�hrt, die seiner herausgehobenen Stellung im europ�ischen
Kultur-und Geistesleben um 1840 entspr�che, mag zum einen, wie oft behauptet, noch
immer der Verfemung seiner Person und der �chtung seines Werks durch den
Nationalsozialismus geschuldet sein. Von dem totalen Auff�hrungsverbot w�hrend der
Zeit des "Dritten Reiches" hat sich sein Schaffen tats�chlich nie recht erholt;
entsprechend ist auch die Wahrnehmung seiner Biographie nach wie vor nicht frei von
Denkmustern, die sich mitunter gef�hrlich im Fahrwasser antisemitischer
Rezeptionsmuster bewegen. Richard Wagners fatales Pamphlet �ber "Das Judentum in
der Musik" hat hier schon 1850 die Stossrichtung vorgegeben, und so scheint es, als
habe sich der Nationalsozialismus lediglich auf perfide Weise zu Nutze gemacht, was an
mehr oder minder k�nstlerisch motivierten Einw�nden von jeher gegen Mendelssohn
vorgebracht worden ist. (...)
Dessen ungeachtet hatten bereits viele Zeitgenossen M�he, die Vorstellung vom wohl
beh�teten, mit der Leichtigkeit eines Mozart schaffenden Wunderkind, die Mendelssohn
so eindrucksvoll mit der "Sommernachtstraum"-Ouvert�re oder dem Streichoktett unter
Beweis gestellt hatte, in Einklang zu bringen mit dem bevorzugten K�nstlertypus der
aufkommenden Romantik, die in der Nachfolge Beethovens gerade das titanhafte
Ringen um jeden Ton und jede Phrase als wahre Gr�sse sch�tzte.
Mendelssohns religi�se Musik -und damit ein Gro�teil seines Chorwerks -hatte
�berdies lange vor 1933 unter dem Vorurteil zu leiden, ein zum Protestantismus
�bergetretener Jude k�nne keine ad�quate christliche Kirchenmusik verfassen. In
solchen Klischees, die leider in erheblichem Ausma� die Rezeptionsgeschichte sowohl
des 19. wie des 20. Jahrhunderts pr�gen,
161
spiegelt sich allenfalls an der Oberfl�che ein viel tiefer liegendes Problem: die
grunds�tzliche Ungewi�heit (...), welche Richtung die Musik nach dem Ende der
klassischen Epoche einschlagen werde..."
Werner Pfister rezensiert die Gesamtaufnahme der geistlichen Chorwerke
Mendelssohns unter Nicol Matt in der Oktoberausgabe der Zeitschrift "Fono Forum"
des Jahres 2003 auf der Seite 77.
Gleich zu Beginn der Rezension wirft Pfister eine zentrale, entscheidende Frage der
Mendelssohn-Rezeptionsgeschichte auf:
"Liest man sich in Eric Werners Mendelssohn-Biographie im Werkverzeichnis durch die
geistliche Chormusik, st��t man wiederholt auf den Hinweis "Manuskript". In der Tat
sind wesentliche Werke, darunter die grossen Choralkantaten, erst vor gut 20 Jahren
erstmals gedruckt worden. Wie ist eine derartige Geringsch�tzung im Umgang mit
einem doch bedeutenden Komponisten �berhaupt m�glich? Die Frage ist um so
brisanter, als es sich beim geistlichen Chorwerk Mendelssohns nicht gleichsam um
Nebenprodukte handelt, sondern mehrheitlich um ausgereifte grosse Kantaten, um
Hymnen und Psalmen; auch Magnificat, Gloria und Te Deum fehlen nicht. Ganze zehn
Compact Discs machen sie insgesamt aus -mithin wohl die umfangreichste Gattung
�berhaupt in Mendelssohns Schaffen".
Ja, wie war und ist die Geringsch�tzung eines bedeutenden Komponisten und
wesentlicher Teile seines Oeuvres �berhaupt m�glich gewesen? Dieser Frage
eingehender nachzusp�ren, war und ist eben auch zentrales und wesentliches
Bestreben und Ziel beim Verfassen dieser Abhandlung gewesen. Wie konnte es
geschehen, dass der Pamphlet gewordene K�nstlerneid eines musikalischen Rivalen
gleichsam zum Dogma ganzer Generationen von Musikliebhabern, -wissenschaftlern
und -publizisten wurde? Dass die M�r vom Heros in der Musik das Ansehen eines
feinsinnigen Humanisten auszul�schen verstand, der, dem Schaffen eines Mozart
vergleichbar, Werke von erhabener klassizistischer Klarheit, Hellsicht und Konzentration
zu schaffen verstand? Dass ein Publizist nach dem anderen manuskriptgewordene
Klischees und Stereotypen des Vorg�ngers transkribierte? Dass ein Volk in Gesamtheit
in den nationalen Gr��en-und Rassenwahn verfallen konnte und somit Leben und
Werk eines ganzen Volkes in Deutschland zu verfemen, aus Deutschland auszumerzen
trachtete? Wie war es m�glich, dass die Eliten des verbrecherischen Regimes mit dem
ethischen Wiederaufbau eines demokratischen Gemeinwesens betraut wurden und
somit Ungeist und Vorurteil in der Einsch�tzung eines einstmals von den Zeitgenossen
und hellsichtigen Repr�sentanten eines besseren Musiklebens als wahrhaft gro�
angesehenen Komponisten fortzuschreiben und fortzulehren vermochten? Dass die
Routine eines klassisch-romantisch dominierten Musikbetriebs sich bislang der Aufgabe
einer umfassend vorgenommenen Mendelssohn-Restaurierung auf den Konzertpodien
so hartn�ckig und desinteressiert zu entziehen vermag?
Ja, wie war und ist das alles im Bereich einer sich in Vergangenheit und Gegenwart als
aufgekl�rt gerierenden Kulturnation �berhaupt m�glich?
Im weiteren Verlauf der Rezension relativiert Pfister die Bedeutsamkeit seiner so zentral
gestellten Aussage, indem er Mendelssohn Schaffen in der Tradition von Publizisten wie
von Westerman einmal mehr als vordringlich gef�hlig und subjektivistisch bewertet.
162
Wieder haben wir es also hier mit der Einsch�tzung Mendelssohns als lyrisch
empfindsamem Kleinmeister zu tun, welcher zur Nachempfindung menschlichen Leides
nicht bef�higt somit wahrhaft grosse und bedeutungstiefe Musik nicht vorzulegen
verstand.
"Der formale Aufbau -Chornummern wechseln mit Soloarien -orientiert sich am
barocken Vorbild, doch die Mittel, mit denen musikalisch gebaut wird, sind romantische.
Stilistisch heisst das: Statt einer scharf-linearen barocken Kontrapunktik herrscht hier
eine lyrisch innige Empfindsamkeit, die zwar gro� und erhaben wirken kann, im
wesentlichen aber in den kleiner bemessenen Bereichen des subjektiven Gef�hls ihren
eigentlichen Ort hat."
Dem Dirigat Matts bescheidet Pfister des Weiteren, dass er "ersichtlich ein Gesp�r hat
f�r das, was diese Musik leidet und was sie eben nicht leidet..."
Konold gibt dem Musikleben angesichts solch getreulicher Kontinuit�t unausgesetzter
Mendelssohn-Infragestellung und -Reduktion den salomonisch anmutenden Rat mit auf
den Weg: �Man versteht Mendelssohns ausgepr�gte Abneigung gegen jede Art von
Musikpublizistik und man kann -ein Lessing-Wort paraphrasierend -nur w�nschen,
Mendelssohns Musik werde weniger beschrieben, aber mehr aufgef�hrt.�
39. "Diese Musik wurde ermordet" II
Auch ein Blick auf den musikalischen Tagesbetrieb verdeutlicht, dass die Konstatierung
vollg�ltiger Rehabilitierung der Werke Felix Mendelssohns nach 1945 vorschnell
erfolgte.
Das im Jahre 1988 von der Musikhandelverlagsgesellschaft Bonn vorgelegte Handbuch
des Musikalienhandels, ein Lehrbuch f�r angehende Musikalienh�ndler gibt unter der
Rubrik V auf der Seite 21 auch einen �berblick �ber die "Wichtigsten Werke der
Klassik".
Es handelt sich dabei wohl um ein Verzeichnis der im Noten-und Schallplattenhandel
am meisten verlangten Werke; 67 Kompositionen g�ngigsten Repertoires werden
genannt.
W�hrend Mozart beispielsweise mit 6, Beethoven mit 7, Schubert mit 6 und Chopin mit
immerhin 4 Kompositionen vertreten sind, ist Mendelssohn mit nur einem Werk
aufgelistet. Es handelt sich dabei aber nicht um die angeblich bei Musikanf�ngern so
beliebten, oftmals als "Finger�bungen" diffamierten "Lieder ohne Worte" sondern das
erhaben sch�ne Violinkonzert.
Nichts desto trotz ist die Verankerung Mendelssohns also im aktuellen Musikbetrieb analog
seiner Pr�senz auf den Konzertpodien -quasi auf ein einziges Werk
zur�ckgegangen.
Im Jahre 1995 ver�ffentlichte der s�ddeutsche Grossrezensent Joachim Kaiser im
Schneekluth Verlag M�nchen das Kompendium Kaisers Klassik, eine Umschau �ber
100 Meisterwerke der Musik, welcher aus einer w�chentlichen Zeitungskolumne
hervorging. Das Buch wurde im Jahre 2001 im btb-Verlag/ Goldmann als Taschenbuch
wiederver�ffentlicht.
163
Die Umschau bietet ein dem Handbuch des Musikalienhandels vergleichbares Bild.
Unter 100 Meisterwerken, welche Joachim Kaiser als ma�geblich vorstellt, firmiert
Mendelssohn wiederum nur mit einem Werk, dem Violinkonzert. Wenn man besieht,
dass es sich um nur ein Werk unter immerhin 100 handelt, bietet sich der Schnitt, die
Relation in Sachen Mendelssohn-Rezeption noch ung�nstiger, als es im Verh�ltnis 1:67
im Handbuch des Musikalienhandels der Fall ist.
Wie pr�sentieren sich andere Komponisten mit Werken unter den 100 ausgew�hlten?
Ludwig van Beethoven dominiert die Auswahl mit sage und schreibe 14
Werkbeschreibungen bei weitem, aber auch andere Komponisten schneiden weit
g�nstiger ab, als es Felix Mendelssohn mit dem 1 Werk tut. Johannes Brahms ist mit
einer Auswahl von 7 Werken vertreten, Frederic Chopin mit 5, Wolfgang Amadeus
Mozart mit 12, Franz Schubert mit 8, Robert Schumann mit 6 und Mendelssohn-Gegner
Richard Wagner mit immerhin 9 seiner 13 Opern.
Wenn auch dieser Werkkanon als subjektiv vorgenommene Auswahl eines einzelnen
Rezensenten gelten muss, wirft er doch ein bezeichnendes Licht auf die aktuelle Felix
Mendelssohn Rezeption. Pr�gt die Meinung eines ma�geblichen Rezensenten und
Publizisten als beachteten Multiplikators des deutschen Musiklebens doch ein
einschl�giges Bild eben jenes von Traditionen dominierten unflexiblen Musikbetriebes,
der Beethoven, Mozart und Brahms etc. demonstrativ auf den Schild hebt, einen Felix
Mendelssohn und sein Werk aber nahezu ausklammert. M�ssen die Leser jenes
Buches doch zu der Ansicht gelangen, dass ein Felix Mendelssohn im Schatten
�berm�chtig repr�senter Meister nahezu nichts wert ist.
Zum weiterem Beweise einer erneuerungsbed�rftigen Mendelssohn-Rezeption; einer
notwendigen Wiederbelebung seines musikalischen Renommees seien einige Zahlen
bez�glich klassisch-romantischer Komponisten wie Mendelssohn, Schumann und
Brahms genannt, welche vor allem die aktuelle Situation im Konzertleben
ber�cksichtigen:
Felix Mendelssohn und Johannes Brahms haben jeweils etwa 120 mit einer Opuszahl
im Werkverzeichnis aufgelistete Kompositionen hinterlassen. Robert Schumann ging mit
etwa 150 sogar dar�ber hinaus. Zuz�glich jeweils 30 von Brahms, 48 von Schumann
und immerhin 180 von Felix Mendelssohn Bartholdy nachgelassene Werke ohne
Opuszahl.
Ein Gesamtverzeichnis der Klassikaufnahmen der "Deutschen Grammophon-
Gesellschaft" von 1956 verweist in der Sache der erw�hnten Komponisten auf folgende
Eintr�ge: Johannes Brahms 45; Robert Schumann 22 Eintr�ge; Felix Mendelssohn 13
Eintr�ge. Was zeigt der Onlinekatalog des Jahres 2009?
Brahms 118 Eintr�ge; Schumann 71 Eintr�ge; Mendelssohn 38 Eintr�ge.
Und was zeigt der Onlinekatalog des Jahres 2012: Brahms 125 Eintr�ge; Schumann 81
Eintr�ge; Mendelssohn 44 Eintr�ge.
Der deutsche Konzertalmanach der Saison 2000/1 sowie jener der Saison 1992/93
vermittelt ein �hnliches Bild: Johannes Brahms 633 (636) Eintr�ge, sprich
Auff�hrungen; Robert Schumann 409 (462) Eintr�ge; Mendelssohn 358 (360)
Eintr�ge.
164
Nach einer Hausse Mendelssohnscher Kompositionen im Gedenkjahr 97 fortfolgend hat
sich die Auff�hrungsdichte der Saison 2000/1 also wieder auf die Ebene um 360 der
Saison 92/93 reduziert.
Des Weiteren seien noch folgende Zahlen zur Kenntnis gegeben: Giacomo Meyerbeer,
als Meister der Grand Oper�, �hnlich infamen Angriffen auf Werk und Person
ausgesetzt, war mit Opern wie "Robert le Diable", "Die Hugenotten", "Der Prophet" etc.
dennoch fester Repertoirebestandteil der Wilhelminischen �ra; in der Weimarer
Republik wurden dieselben rezeptionsgeschichtlich und auff�hrungspraktisch lebhaft
diskutiert. (59 Auff�hrungen von Meyerbeer-Opern in der Saison 1928/29.) Der
Nationalsozialismus schloss sein Werk sofort von der B�hne aus. Heute erleben wir
gelegentliche Auff�hrungen derselben als exotisch; feiern die szenische Realisierung
derselben als mutige Gro�tat.
Der Gesamtkatalog der "Deutschen Grammophon" von 1956 bietet daher folgende Zahl:
6 Eintr�ge; der "Konzert-Almanach" der Saison 2000/1: 7 Eintr�ge (1992/3: 4); der
Onlinekatalog der "Deutschen Grammophon" des Jahres 2012: keinen Eintrag!
40. Die Mendelssohn-Falle
Noch in j�ngerer und j�ngster Zeit st��t man auf die vertraute Geringsch�tzung, welche
dem Erbe Felix Mendelssohns partiell entgegengebracht wird. Nach wie vor sind es nur
wenige Werke Mendelssohns, welche das Standartprogramm des Komponisten auf
deutschen Podien ausmachen. Es handelt sich dabei um die Symphonien Nr. 3 �die
Schottische� und Nr. 4 �die Italienische", um die �Sommernachtstraum�-sowie die
�Hebriden�-Ouvert�ren, das Violinkonzert in E-moll, op. 64, das Oratorium �Elias�, die
"Variationes serioses" sowie das "Rondo cappricioso" op. 14 f�r Klavier Solo sowie
einige wenige Kammermusik und sp�rlich bemessene Ch�re und �Lieder mit oder ohne
Worte�. Der Rest des doch durchaus umfangreichen und bedeutenden Oeuvres ist �
Wagner sei�s gedankt -weiterhin zum Schweigen verurteilt. Wie sieht es auf dem
Phonomarkt insgesamt aus? Das Verh�ltnis von Aufnahmen einer der f�hrenden
Klassik-Labels, der Deutschen Grammophon, haben wir ja bereits besehen. Das
Verh�ltnis auf dem freien Markt erweist sich als noch aufschlussreicher im Bezug aufaktueller Mendelssohnscher Relevanz in der interessierten musikalischen �ffentlichkeit.
Das Internet-Versandhaus Amazon liefert da diesbez�glich einige interessante
Zahlen. Der am reichhaltigsten durch Aufnahmen geehrte grosse Meister ist
�berraschenderweise Mozart; Amazon listet 10561 Tontr�ger auf. Es folgt Beethoven
mit immerhin 8273 Aufnahmen. Brahms bringt es auf solide 5264 Eintr�ge. Schumann
f�llt mit 3458 Hits deutlich ab im Bezug auf das Oeuvre anderer Meister. Das
Schlusslicht bildet � wenig verwunderlich angesichts der in diesem Buche bisher
dargelegten Vorkommen und Prozesse � Felix Mendelssohn mit gerade einmal 2603
DVDs und CDs. Also nur ein reichliches F�nftel des von Mozart vorliegenden Kataloges
� obgleich beide Komponisten in jungen Jahren verstarben und gleichsam zahlreiche
Werke hinterlassen haben. Wo sind die Aufnahmen des Mendelssohn -Oeuvres durch
die grossen Meister der heutigen Musik-Szene. Die in Deutschland marktf�hrenden
Dirigenten Maris Jansson, Simon Rattle und Christian Thielemann f�hren so gut wie
keine Mendelssohn-CDs in ihrem vorliegenden Katalog geschweige dass die so
wichtigen Gesamtaufnahmen der mendelssohnschen Symphonien als Leuchtfeuer des
Repertoires in absehbarer Zeit durch die genanten Dirigenten zu erwarten w�ren.
165
In der Publizistik sieht es insgesamt genommen auch nicht besser aus. Das zeigen
deutlich die aktuellen Zahlen des Buchmarktes. Es gibt (wiederum bei Amazon
besehen) 1406 Druckwerke �ber Mozart, 1377 B�cher �ber Beethoven, 867 Werke �ber
Brahms, 969 Eintr�ge bei Schumann und nur 521 Druckwerke �ber Mendelssohn.
Die Fachpresse der Klassik-Szene zeigt sich uneinheitlich positioniert im Bem�hen,
Mendelssohn und seiner Leidensgeschichte gerecht zu werden. Gelungene
wohlwollende Berichte wechseln sich ab mit Ungeheuerlichkeiten alten Stiles. Auch
dabei zeigt sich die schon vorher angesprochene Konstante: Es geh�rt anscheinend
immer noch zum guten Ton in der Klassikszene, abf�llig �ber Felix Mendelssohn zu
reden. So als ob seine Geschichte, seine Labilit�t im Bezug zu anderen Komponisten
geradezu herausfordere, abf�llig �ber ihn zu sprechen und zu schreiben. So als ob
Mendelssohn der labile Pr�gelknabe der Musikgeschichte w�re, auf den alle einpr�geln,
als ob man dem bereits zu Boden gegangenen noch nachtreten w�rde. Die Faszination
des Opfers, das zu Aggressivit�ten herausfordert, m�chte ich hier die Mendelssohn-
Falle nennen. Die von Mendelssohn hinterbliebene, leidvollen Rezeptionsgeschichte
verleitet als Mendelsohn-Falle Publizisten offenkundig reihenweise dazu, im Dahin
-ziehen auf alten, gewohnten und ausgetretenen Pfaden wandelnd hineinzutappen.
W�hrend die Musikzeitschrift Fono Forum beispielsweise den Jubilaren des Jahres
2010/11 Robert Schumann, Frederic Chopin und Gustav Mahler heft�bergreifend ganze
Themen-Schwerpunkte widmete, (beispielsweise im Juniheft 2010 mit einem Robert
Schumann-Schwerpunkt) wurde der 200. Geburtstag Felix Mendelssohns im
Februarheft 2009 mit gerade einmal mit einem Interview mit dem Chorleiter und
Dirigenten Frieder Bernius und einem exakt 2 Seiten umfassenden Gedenkartikel des
Autors Giselher Schubert gew�rdigt. Nicht einmal in besagter Mendelssohn-
Jubil�umsausgabe vom Februar 2009 wurde dem Komponisten beispielsweise ein
Exemplar der stets sehr umfangreich ausfallenden Klassik-Kanon-Artikel zuerkannt.
Im Juniheft des Klassikmagazins Fono Forum des Jahres 2009 erschien unter dem Titel
�Schatzsuche� die Rezension einer Aufnahme von den �Lieder(n) ohne Worte� von Felix
Mendelssohn, welche von massiven, sattsam bekannten Vorurteilen gegen�ber
Komponist und Werk gepr�gt ist. Dem Interpreten Roberto Prosseda bescheinigt der
Rezensent Matthias Kornemann eingangs, sein Spiel sei partiell schwach, sei �ebendort
am schw�chsten, wo auch Mendelssohn schwach ist.� Kornemann konstatiert des
weiteren �unweigerlich hektisch aufgeplusterte Fortisssimo-Repetitionen in der
Begleitung� des Agitato D-Dur (op. 30/ 4), welches auf dem modernen Fl�gel nicht
befriedigend darzustellen sei. Die Abfolge des Werk-Zyklus �Lieder ohne Worte� sei
(auch in der Aufnahme durch Roberto Prosseda) gepr�gt von einer �auf die Dauer etwas
erm�dendem Konstellation von Einstimmigkeit auf sich oft sehr �hnelnden
Fundamenten� der einzelnen St�cke, welcher Prosseda immerhin �sublime Nuancen�
abgew�nne. Des weiteren liest es sich dort von jenen �die Liedeinfachheit
raffinierenden Momenten�, von �verborgener Mehrstimmigkeit�, von �zaghaften
polyphonen Ans�tzen�, einer �verborgenen Dreistimmigkeit� sowie von
�mikroskopischen Gesten�, welche wir �allerorten� f�nden. Die Aufgabe der
Gesamteinspielung der �Lieder ohne Worte� von Felix Mendelssohn stelle gar,
Kornemann zufolge eine �Fron� dar. Eine musikalische und pianistische �Bedeutung� der
als �kleine St�cke� bezeichneten �Lieder ohne Worte� spricht Kornemann denselben
rundweg ab. Die Rezension schliesst mit dem aufschlussreichen, bezeichnenden,
dr�gen Satze: �Prossedas Entdeckungen erg�nzen sich zwanglos zu facettenreichem
Schliff, und Mendelssohns Halbedelsteine gl�nzen wie selten zuvor�.
166
Was haben wir da im einzelnen jenem Artikel zu entnehmen? Das Unheil beginnt gleich
zu Anfang mit der Erkl�rung, dass Mendelssohn als Komponist, quasi von Hause aus
partiell �schwach� sei. Im weiteren Verlaufe des Artikels, im Schwerpunkt seiner
Argumentation� begegnen wir einem alten Bekannten der Mendelssohn-Negation,
n�mlich der per se vorgenommenen, perfiden Infragestellung von echter, wahrer
k�nstlerischen Gr�sse des Mendelssohnschen Schaffens. Was die eine Hand an
konstruktiven Substantiven gibt, nimmt die andere Adjektiv und destruktiv wieder zur�ck.
Es ist eben von nur einer �verborgenen� anstelle einer formvollendeten
Mehrstimmigkeit, �einer �zaghaften� anstelle einer k�hn zu werke gehender
Polyphonie die Rede. Der Beitrag vermittelt fortw�hrend den faden Beigeschmack, als
sei Mendelssohn in allen Bereichen seines k�nstlerischen Schaffens, genauer in seinen
�Lieder(n) ohne Worte� durch einen Mangel, ja einen Makel, von der wahrhaft
k�nstlerischen Gr�sse ferngehalten worden. Als habe dieser auf der ganzen Linie, bei
den verschiedensten kompositorischen Anforderungen letztendlich versagt. Der schale,
eine hohle Beg�tigung suggerierende, Nachsatz von den �Halbedelsteinen� der
Mendelssohnschen �Lieder ohne Worte� also, entspringt dem Bereiche der reinen
Demagogie.
Im November des Jahres 2010 stellte der Veranstalter �Seminare f�r klassische Musik�/
Dr. Schaub sein Programm von Wochenend-und Ferienseminaren mit dem
Schwerpunkt Klassische Musik des Jahres 2011 vor. In insgesamt 53 Veranstaltungen,
welche sich geradezu mit Gott und der Welt der klassischen Musik auseinandersetzen,
ist nicht eine einzige dem Komponisten Felix Mendelssohn gewidmet.
Dies entspringt sicherlich nicht dem b�sen Willen des Veranstalters � es zeigt vielmehr
auf, welch geringen Stellenwert Werk und Person Felix Mendelssohns, trotz aller
Jubeljahre, immer noch haben. Es ist zwar eine Veranstaltung vom Freitag, den 18.
Februar in Frankfurt am Main gelistet, welche sich mit der deutschen Romantik
besch�ftigt. Diese steht aber nicht einmal singul�r im Programm, sondern ist vielmehr
Teil einer Gruppe von Seminaren, welche vom Donnerstag, den 17. Februar bis
einschlie�lich Sonntag, den 20. Februar in Frankfurt am Main stattfanden und sich mit
verschiedenen nationalen Schulen der Tonkunst besch�ftigt.
Sicherlich kam das besagte Seminar , �Die deutsche Romantik� kaum darum herum,
sich auch mit dem Schaffen Felix Mendelssohns auseinanderzusetzen � aber das w�re,
angesichts der Gruppendidaktik der Veranstaltungsreihe, kaum als repr�sentativ f�r das
Leben und Werk des Komponisten zu werten.
Im Gedenkjahre 2009, im Gedenkmonat Februar, um den Gedenktermin von
Mendelssohns 200 Geburtstage herum; genauer: in dem Artikel: �Andacht bei den
Preu�en Italiens� � Leipziger Gewandhausorchester auf Tournee in Turin in der
�Leipziger Volkszeitung� vom Samstag, den 7. Februar entbl�det sich Feuilletonchef und
Klassikspezialist Peter Korfmacher nicht, auf fragw�rdige Weise mit den Terminologien
Leicht und Schwer zu jonglieren und dem Angedenken an den Komponisten dabei einen
�blen Tiefschlag zu versetzten. Er schreibt also: �Im Gegensatz zum Auftakt in der
Mail�nder Scala steht hier im l�ngst ausverkauften Saal nicht das Mendelssohn-
Geburtstagsprogramm auf dem Spielplan, sondern Beethovens zweite und Bruckners
Dritte. Ungleich schwererer Stoff also.� Und damit ist die Katze aus dem Sack. Wie in
Stein eingeschrieben, f�r die Ewigkeit in eherne Lettern in die K�pfe und Hirne
eingemeisselt ist und bleibt das von Richard Wagner in die Welt gesetzte Vorurteil.
Mendelssohns Musik ist also �leicht�.
167
Ungleich leichter also als Bruckner und Beethoven. Es wird nicht einmal nach einzelnen
Werken ausdifferenziert. Das Mendelssohn Programm insgesamt, also Mendelssohns
Musik ist, in pauschaler Einm�tigkeit abgekanzelt, �ungleich leichter�.
Seri�se, quasi unparteiische Klassikspezialisten, welche nicht vom eindimensional
sp�ten Erbe Wagnerschen Tuns und Denkens infiziert sind, vertreten hingegen die
Ansicht, dass �usserst pr�zise, �konomisch streng auf wesentliches musikalisches
Material bezogene. transparent gesetzte und subtil instrumentierte Werke wie jene
Mendelssohns, Mozarts oder Ravels besonders schwer zu realisieren sind respektive in
notwendiger pr�ziser rhythmischer Genauigkeit besonders hohe Anspr�che an die
Ausf�hrenden stellen.
In der Publikums-Postille der Phonoindustrie �CLASSaktuell� Nr. 4 2008 bespricht
Wolfgang Teubner die CD-Ausgabe der Klavierwerke Felix Mendelssohns der Profi
Edition G�nter H�nssler.
Obgleich der Autor sichtlich bem�ht war, darzulegen, warum Mendelssohns Klaviermusik
so wurde, wie sie ist und durchaus differenziert das seelische und musikalische
Auf und Ab des mendelssohnschen Lebensweges nachzuzeichnen, geht es auch
diesmal nicht ohne den nunmehr ber�chtigten Killersatz innerhalb eines Traktates ab,
der das vorher gesagte zum negativen hin relativiert.
So schreibt Teubner zuerst durchaus kommod, dass viel von Mendelssohns
Klavierwerken �von einer flie�enden Eleganz und pianistischer Brillanz� leben, dass sie
�eine bemerkenswerte Stellung zwischen Klassik und Romantik einnehmen, ja gar eine
�poetische Gef�hlstiefe und heitere Grazie zu gleichen Teilen� aufweise. Des Weiteren
w�re �Mendelssohns Grundhaltung f�r die Klaviermusik ein Sinn f�r einen nat�rlichen
Fluss der Gedanken.� Dazu k�men �leise Melancholie, Empfindungsausdruck und
Zur�ckhaltung, alles aber verbunden durch eine W�rme des Ausdruck�.
So Weit, so gut. Aber kaum ist das Geb�ude rezeptioneller Erw�gungen und
Verlautbarungen rund um Mendelssohns Oeuvre errichtet kommt der �Killersatz� der all
das vorig erbrachte Bem�hen unweigerlich zum Einsturz bringt: �Insofern hatten die
Kritiker recht: sonderlich tief lotend ist seine Klaviermusik nicht�. Rums: der Schlag sitzt.
Alles hin. Was bleibt einem dabei blo� noch zu sagen �brig: Alles und gar Nichts. Die
Sysiphusarbeit: unendliches, offenkundig g�nzlich sinnloses Unterfangen um die
Reputation eines musikalischen Humanisten und:... das Schweigen!
Im Jahre 2009 wurde Mendelssohns Jugend-Singspiel �Die Heimkehr aus der Fremde�
Op. 89 als CD der H�nssler Classik Edition herausgegeben. Die Ver�ffentlichung dieser
wenig verbreiteten Opern-Rarit�t ist also durchaus sehr verdienstvoll; die Besetzung der
Gesangspartien durchweg mit namhaften Interpreten wie Juliane Banse, Spopran, Iris
Vermillion, Alt und Christian Gerhaher, Bass sowie mit Helmut Rilling am Pult
hochkar�tig und dem Renommee des vergessenen Werke eines grossen deutschen
Komponisten durchaus angemessen. Die Freude, diese Rarit�t in H�nden zu halten, ist
anfangs also gross. Bis man beginnt, den von Thomas Krettenauer verfassten Begleit �
Text im Booklet zu lesen.
Gleich zu Beginn heisst es dort also: �Es war gewiss keine Sternstunde deutscher
Musiktheatergeschichte, als Felix Mendelssohn Bartholdys einaktiges Liederspiel
Heimkehr aus der Fremde op. 89 am 26. Dezember 1829 seine szenische
Erstauff�hrung im Gartensaal des mendelssohnschen Familiensitzes (Berlin,
Leipzigerstrasse 9) erlebte�.
168
Ja, Toll! Das ist genau dass, was ein Interessent zu Beginn einer Information �ber den
Gegenstand des Interesses lesen m�chte, genau dass, was man dazu also zu Wissen
braucht.
In dem der Wirkungsgeschichte des Werkes gewidmeten Kapitel am Ende des
Booklettextes kommt es zu weiteren M�keleien und Verf�nglichkeiten Krettenauers.
So sei es im Jahre 1829 �nicht mehr ganz zeitgem�ߓ gewesen, �ein Liederspiel zu
komponieren�. Dasselbe � eine Sch�pfung also aus Mendelssohns H�nden �wom�glich
auf einer grossen Opernb�hne zur Auff�hrung zu bringen�.
Nach einer Umschau �ber die Rezeption des Werkes bei und nach der Drucklegung
im Jahre 1851, angesichts welcher der Verfasser immerhin anmerkt, dass das
kompositorische Erbe Mendessohns �nach seinem Tod im November 1847 zunehmend
einer feindseligeren, stark antisemitisch gef�rbten Rezeption zum Opfer fiel�, heisst es
dann weiter in unausgesetzt ambivalenten Tonfall: �Vielerorts konnte sich das Werk
aber nur relativ kurzzeitig auf den Theaterspielpl�nen halten�(...) Bemerkenswert aber
ist, dass sich �Heimkehr aus der Fremde op. 89� nachweislich dort einen Stammplatz
sichern konnte, wof�r es urspr�nglich bestimmt war: auf vielen Laienb�hnen und bei
Privatauff�hrungen in Liebhaberkreisen, (...)�
Ab also, ein f�r alle Mal, mit der Mendelssohn-Oper � auf die Laienspielb�hne!. Als
gen�ge es vollauf, dieselbe anhand von �Privatauff�hrungen�, in �Liebhaberkreisen� gar
zu rezipieren. Als sei das der einzig zugeh�rige Platz eines nicht unwesentliches Teiles
des Mendelssohn-Oeuvres. Diese Empfehlungen zu Ende gedacht zufolge w�rde also
auf einen eklatanten Missgriff, der Produktionsgesellschaft H�nssler r�ckschliessen
lassen, welche das Werk mit bedeutenden S�ngerinnen und S�ngern der grossen Oper
besetzt hat , von einem Staatlichen Profi-Orchester hat musizieren und einem
renommierten Kapellmeister hat leiten lassen. Es ist nahezu unfassbar, wie
unausgegoren und leichtfertig im Falle Felix Mendesohns theoretisiert und
dramaturgisiert wird. Da es sich ja durchwegs um Neuland handelt, glauben solche
Koryph�en offenkundig, sie k�nnten sich dort unter dem Deckm�ntelchen der Pioniertat
alles erlauben. In der anma�enden Selbstvergewisserung, das das schon nicht
auffallen, es der Leser nicht bemerken werde.
Eine im Januar des Jahres 2012 fabrikneu erworbene Schubert-CD des Labels
�Concerto Royal� des �Royal Philharmonic Orchestra�, welche im Jahre 2001
herauskam befindet sich anstelle eines Booklets Werbung f�r weitere CD-
Ver�ffentlichungen des Labels. Es werden insgesamt 60 CD�s aufgelistet.
Auf Johann Sebastian Bach entfallen 7, auf Ludwig van Beethoven ebenfalls 7, auf
Brahms 3, auf Mozart 6, auf Schubert 3 und auf Peter Tschaikowski 4 CD-
Ver�ffentlichungen. Die Romantiker Robert Schumann und Felix Mendelssohn sind mit
nur jeweils einer CD aufgelistet.
Der renommierte hochrangige Musikwissenschaftler und Publizist Martin Geck ist
hinsichtlich �berkommenem latentem Antisemitismus wahrhaft �ber jeden Zweifel
erhaben. Dennoch tappt auch er, wie so zahllos andere, in seinen Schriften �ber Musik
in die von Tradition und Chauvinismus bereitgehaltene Mendelssohn Falle.
In seinem aufschlussreich gehaltvoll aufbereiteten Kompendium �Von Beethoven bis
Mahler � Leben und Werk der grossen Komponisten des 19. Jahrhunderts� befasst sich
Geck auch mit der Vita Felix Mendelssohns.
169
Diesen stellt er Franz Liszt beiseite � beide, Felix Mendelssohn und Franz Liszt, werden
von Geck als Au�enseiter und �Kosmopoliten� angesichts des deutschen Musiklebens
dargestellt Schon in der Einleitung des diesbez�glichen Kapitels 3 �Im Dienst der
Volksbildung: Franz Liszt und Felix Mendelssohn Bartholdy� verf�ngt sich Geck selbst
an einem der in diesem Buche von ihm selbst so zahlreich ausgelegten Stolpersteine; er
l�sst die Leserschaft an einer Information, einer Einsch�tzung latent oder offenkundig
fragw�rdigen Charakters innehalten � zwingt zum Wiederholen, zum Zweimall lesen, ja
zum Nachdenken. Vielleicht wollte der geehrte Autor ja genau das erreichen: zum
Nachdenken zu provozieren.
Martin Geck schreibt also:
�Liszt und Mendelssohn sind auf den ersten Blick ein ungleiches Paar: der eine
skandalumwitterter Allerweltskerl, der andere Musterknabe der Nation. (...) Man
untersch�tzt leicht, was beide speziell f�r das deutsche Musiklebern geleistet haben,
obwohl oder weil sie keine Deutschen im emphatischen Sinne waren und es an Totalit�t
weder des kompositorischen Ausdrucks noch der narzisstischen Ich-Bezogenheit mit
Schubert, Schumann, Brahms, Wagner oder Bruckner aufnehmen konnten.� Stopp,
Halt! - bereits an dieser Stelle endet die Lekt�re vorerst � zwingt sie zum innehalten, zur
R�ckschau.
Ja was?! -Mendelssohn war also, Martin Geck zufolge �kein Deutscher im
emphatischen Sinne�: Nun, Frage: Ist ein vom Judentum abstammender, in Deutschland
geborener, in deutschen Sinne (also in diesem falle protestantisch) erzogener und
aufgewachsener Mensch dennoch kein Deutscher, ganz gleich ob im emphatischen
oder nichtemphatischen Sinne?
Man w�rde Martin Geck unrecht tun, wen man angesichts dieser Darstellung die ganz
grosse Moralkeule des Faschismus, der Unterscheidung von �deutschem� und
�semitischem� Blute, also die Thesen rassenbiologisch aufbereiteter Unterscheidung
von �arischer� und �nichtarische�, also �semitischer�, Rasse zu schwingen.
Aber es ist zum Haare ausraufen: � warum bringen es die einschl�gigen Publizisten
einfach nicht fertig, einen in Deutschland geborenen, deutsch erzogenen und sich
erkl�rter Massen zum Deutschtum bekennenden K�nstler (siehe im Brief an Karl
Friedrich Zelter aus dem Jahre 1832 auf Seite 12) als vollwertiges Mitglied der
deutschen Gesellschaft anzuerkennen.
Bezieht sich der vom Martin Geck ge�u�erte diesbez�glich erhobene Zweifel nicht
vielmehr auf geistvoller als Chauvinistisch zu Werke gehende Kritiker wie Heinrich
Heine oder Hans Mayer?, Die Mendelsohn ja seinen erkl�rten und gelebten
Protestantismus einfach nicht abkauften?
Letztendlich muss jeder einzelne die Frage nach der deutschen Identit�t selber
beantworten � aber wenn man nun wie Martin Geck zu einer negierenden Auffassung in
dieser Frage gelangte, und man diese Auffassung auch noch publiziert, darf man sich
�ber Kritik, Bezweifelung und Verwunderung nicht beschweren.
Bleibt noch die Nachfrage, ob es Mendelssohn an einer Totalit�t des Komponierens, an
gesch�rftem kompositorischen Ausdruck, also an kompositorischen Profil mangelte?
170
Ob er genauso ego-autonom im Komponieren veranlagt war, wie die genannten
Kollegen? Ob es �berhaupt einen Sinn macht, bekannten und beliebten Komponisten
und K�nstlern eine jeweils �narzistische Ich-Bezogenheit� anzukreiden. Es muss in der
Beantwortung all dieser Thesenstellungen einmal mehr im Sinne des hochverehrten,
leider bereits verstorbenen Wulf Konold energisch darauf hingewiesen werden, dass
das allf�llige Gerede �ber Fragestellungen, wie jener nach einer �narzisstischen Ich-
Bezogenheit� von Komponisten nicht wirklich weiterbringt. Dass es letztendlich nicht
viel zum Ziel, sich einen Bekannten oder vergessenen Komponisten bewusst zu
machen und vor Augen zu f�hrten, beitr�gt; dass es vielmehr im Sinne einer
Bewusstmachung eines verdienten Musikers liegt, denselben schliesslich und endlich so
reichhaltig wie m�glich aufzuf�hren.
Immerhin bietet die Lekt�re von Gecks Buch eine sch�ne M�glichkeit, sich einmal
wieder statistisch Mendelssohns Stellung Im Musikbetrieb des Jahres 2000, als das
1993 in einer Erstfassung erschiene Buch wieder aufgelegt wurde, plastisch vor Augen
zu f�hren. Im Anhang findet sich ein Werkregister, das alle in dem Textk�rper
behandelten Kompositionen auflistet. Schauen wir uns einmal den Sachstand von
Komponisten an, welche alle im 19. Jahrhundert gelebt und komponiert haben
Brahms bringt es auf 33 Werkauflistungen, von Schumann werden gar 42 Werke im
Text behandelt, gleichfalls 42 Werke Schuberts werden besprochen, Beethoven erringt
die Krone mit 63 genannten Werken. Schauen wir uns nunmehr an, wie viele Werke
Mendelssohns im Register Erw�hnung finden. Sage und Schreibe nur 6 St�ck: das
�Streichquartett f-moll op. 80�, das �Klaviertrio d-moll op. 49�, die �Lieder ohne Worte�,
Die Oratorien "Paulus" und "Elias" und zuletzt schliesslich der ber�hmte �Gruss, Lied op.
19�. Also nicht gerade eine repr�sentative �bersicht �ber Mendelssohns Schaffen. Die
Symphonik kommt augenf�llig zu kurz angesichts der mehrheitlich genannten
Kammermusikwerke, es fehlen beispielsweise die �Schottische� und die �Italienische�
Symphony zuz�glich die �Sommernachtstraum�-Ouvert�re und das �Violinkonzert� als
absolutes Kern-Schaffen von Mendelssohn Oeuvre.
Noch mit einem weiteren Werk wendet sich Martin Geck dem Leben und Wirken Felix
Mendelssohns zu. Er verfasste die farbig illustrierte Neuausgabe des Felix Mendelssohn
-Beitrags zur bekannten und beliebten Reihe der rororo-Bildmonographien, welche im
Jahre 2009 das im Jahre 1974 erschienene, noch schwarz-weiss-illustrierte
Vorg�ngerexemplar von Hans Christoph Worbs abl�ste.
Wie in der Vorg�ngerschrift �Von Beethoven bis Mahler� verheddert sich Geck sogleich
in der Mendelsohn-Falle subtil-latenter Zur�cksetzung von Mendelssohns Ansehen
durch deutsche Publizisten. Geck hinterl�sst dabei wiederum etliche Stolpersteine
fragw�rdiger, zum innehalten und nachdenken verleitender Ansichten und
Suggestionen. Es w�rde den Rahmen der vorliegenden Schrift erheblich sprengen, alle
diese im Text verteilten Merk.-und Denkw�rdigkeiten aufzulisten und zu kommentieren,
aber die sch�nste, weitestausgreifende, effektivste Stilbl�te soll Ihnen nicht vorenthalten
werden. Im Kapitel �zwischen Leipzig und Berlin 1841-1844� �u�ert sich Geck in
despektierlichem, herablassenden Ton �ber Mendelssohns grandiose �Schottische�-
Symphony.
Es ist da von �einiger M�he� welche �dem Komponisten innerhalb �einer weit �ber
drei�ig Minuten dauernden, nach klassizistischem Vorbild geschaffenen Sinfonie�
angeblich bereitet war, die Rede. Von einer �kleinen, etwa zeitgleich mit Wagners
�Fliegendem Holl�nder� komponierte Sturmszene� sowie von einem �kleinen Hymnus�.
171
Dann kommt Geck z�gig zur Sache: �Jedoch tut man Mendelssohn Bartholdys Sinfonien
kaum unrecht, wen man sie einem Mittelgebirge zurechnet, das sich zwischen den
Gipfelpaaren Beethoven/ Schubert auf der einen und Brahms/ Bruckner auf der anderen
Seite der Zeitachse des 19. Jahrhunderts abzeichnet�.
Noch plastischerer, anschaulicher l�sst sich eine Mendelssohn Erniedrigung unserer
Tage kaum darstellen. �Das Gerede vom Templower H�gel bei Berlin, welchen Heinrich
Heine als Ma�stab von Mendelssohns �Paulus" dem Apenninen von Rossinis "Stabat
Mater" entgegensetzt hat, kommt einem dabei in den Sinn. Das Ziel, Mendelssohn in
unseren Tagen wieder in den Rang zu erheben, welcher ihm von hause aus als
wahrhaft grossen und bedeutenden Komponisten des 19. Jahrhunderts geb�hrt, ist
somit unerreichbar. Eine vergebliche Liebesm�h, eine Sysiphusarbeit, solange
namhafte Publizisten wie Geck Mendelssohn in Stumpf und Stiel niederschreiben,
solange derartige demagogischer Unfug wie jener vom �Mittelgebirge der
Mendelsohnschen Symphonik das Publikum ungehindert, ungefiltert, quasi eins zu eins
erreichen kann.
Es ist richtig, dass Mendelssohn Symphonik sehr unterschiedlich ausgefallen ist, dass
sich die Werke in hohem Ma�e stilistisch voneinander unterscheiden. Der klassizistisch
ausgestalteten, orchestral ausgewogenen einhergehenden Jugendsymphony Nr. 1 folgt
eine symphonische Kantate, der �Lobgesang� welche einen Weg weist zu den sch�nen,
von Mendelssohn geschriebenen Psalmvertonungen. Es folgt die 3. Symphony, die
�Schottische�, welche klassisch romantisch erscheinend, gleichberechtigt, eine
Verbindung schafft von Beethoven in der Vergangenheit und Brahms in der Zukunft.
Von kammermusikalisch-feinsinniger, hell-erstrahlender Tonsprache gepr�gt erscheint
uns die 4., die� �italienische� Symphony und von �Sturm und Drang� beseelt ist die
F�nfte als protestantisch durchdrungene Bekenntnismusik. Die unterschiedliche
Vorgehensweise indes l�sst vermuten, dass Mendelssohn auf der Suche nach einer
eigenen -symphonischen Tonsprache und Form war und sich in verschiedenen
Stilistiken und thematischen Sujets ausprobierte. Wie die Lekt�re eines Otto-Klemperer-
Konzertmitschnitts vom Mai 1969 mit dem Symhonyorchester des Bairischen Rundfunks
im M�nchner Herkulessaal aufgenommen, belegt, zeigt die klassisch romantisch
gewichtete �Schottische� Symphony zumindest Mendelssohn auf der H�he der
Tonsprache Beethovens, Brahms oder Schuberts. Wie so manches Mal in der Kunst
oder in der Musik f�llig, l�sst sich nur erahnen was die unmittelbare Zukunft uns noch ,
von der klassisch -romantisch geformten Tonsprache der �Schottischen� und der fahlen
expressionistischen Zerrissenheit des Streichquartettes op. 80 als Zeugen eines sich
anbahnenden entwickelnden Sp�tstiles ausgehend betrachtet, an symphonischen
Meisterwerken geschenkt h�tte, wenn Mendelssohn nicht mit 38 Jahren gestorben
w�re.
Eine letzte Stilbl�te, welche uns das f�hrende deutsche Klassikmagazin Fonoforum
zulieferte, sei Ihnen am Schluss noch mit auf den Weg gegeben. In der April-Ausgabe
des Jahres 2012 ist, anl�sslich der Rezension einer Tschaikowsky und Mendelssohn
gewidmeten CD-Ver�ffentlichung des jungen taiwanesischen Geigers Ray Chen, in
lockerer Schreibe anmerkenswertes und belehrendes des Rezensenten Christoph
Vratz zu lesen.
Der erste Satz seiner Rezension beginnt gleich mit einem flapsig-stilistischen
Donnerschlag: �Eine Geiger-Karriere, wie gelackt�. Nach dem somit bereits beredt der
Tonfall der Rezension vorgegeben ist, gibt Vratz dem jungen Virtuosen vor allem den
Rat, die Karriere etwas langsamer, umsichtiger anzugehen.
172
Dennoch ist Vratz auch voll des Lobes �ber die bereits ereichte K�nnerschaft Chens. Es
heisst also: �Chen kann berauschen, gl�nzen, faszinieren, staunen machen. Wie leicht
und souver�n er alles aus Kopf, Hand und Arm schleudert, etwa in der Kadenz des
Tschaikowski-Konzertes�.
Und dann ger�t Vratz in die sattsam vertraute, eingedenk der zahlreichen Vorg�nger
bereits ziemlich ausgetretene Mendelssohn Falle. In rasantem, beredten Tonfall kommt
er, quasi �ber Eck, angebraust: �Wie sicher er die Zuckert�pfe bei Mendelsohn umf�hrt,
um Klebrigkeiten zu vermeiden�. Bumms. Da liegt er...Verheddert sich in der
Mendelssohn-Falle, strauchelt und schl�gt der L�nge nach hin. Also: Felix....;
Mendelssohn..............Bartholdy?..........................
Der Rest ist Schweigen.
Copyright:
Rainer Hauptmann/ Die Cavallerotti -das
KulturNetzWerk e. V.
1997/2012
www.cavallerotti.de
173
6618 Besuche seit 1. September 2016